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Wie ein Stern, der vom Himmel fällt
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eBook322 Seiten4 Stunden

Wie ein Stern, der vom Himmel fällt

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Über dieses E-Book

Weihnachtliches Plätzchenbacken gehört eigentlich in glückliche Familien. Wenn jedoch die unfreundliche Nachbarin nur für sich allein backt, dann ist das verdächtig. Und wenn diese Nachbarin zwar spröde, aber ungemein attraktiv ist und mit ihren schönen Augen lockt, dann erwacht der lesbische Jagdtrieb: Wenn schon Plätzchenbacken, dann bitte nur zu zweit ...
SpracheDeutsch
Herausgeberédition eles
Erscheinungsdatum29. Apr. 2013
ISBN9783956090622
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    Buchvorschau

    Wie ein Stern, der vom Himmel fällt - Ruth Gogoll

    Fotolia.com

    »Wirst du wohl loslassen! Das ist meins!«

    Bumms lag ich flach, weil mein Hund Otto meine Worte ernstgenommen hatte.

    »Du Biest!« schimpfte ich ihn aus – und er saß gemütlich da und lächelte. Das heißt, er lächelte nicht, er hechelte, aber es sah genauso aus.

    »Ja, jetzt lach mich auch noch aus!« schimpfte ich weiter und erhob mich vom Boden. Als er meinen Schal losgelassen hatte, an dem wir von beiden Seiten zogen, war ich ziemlich schmerzhaft mit dem festen Untergrund in Berührung gekommen. Ich stöhnte.

    Prompt kam er an und leckte meine Hand.

    »Meinst du, dadurch wird es wieder gut?« fragte ich ihn, immer noch ärgerlich. Er hob seine treuen braunen Augen zu mir auf. »Ja, das denkst du, nicht wahr?« Ich musste lachen und wuschelte ihm über den Kopf. Ich konnte ihm nicht länger böse sein. So hatte er es ja auch nicht gemeint. Ich hatte ihn einfach zu sehr vernachlässigt in letzter Zeit, und er wollte spielen. Das war sein gutes Recht.

    »Also dann, komm«, sagte ich.

    »Wuff! Wuff!« Die Freude, dass ich nun endlich mit ihm spazierenging, war ihm am Gesicht abzulesen.

    Ich nahm die Leine, öffnete die Tür, und er raste mit einem Affenzahn die Treppe hinunter. Unten hörte ich eine Stimme laut fluchen. Verdammt, das war bestimmt wieder die neue Nachbarin! Die konnte Hunde nicht leiden – und Otto noch weniger als alle anderen.

    Ich seufzte. Ich musste mich bei ihr entschuldigen.

    Als ich unten ankam, sah ich die Bescherung sofort. Eine Keksdose war auf der Steintreppe zerschellt, der Inhalt lag überall verteilt, die Nachbarin kroch auf dem Boden herum und versuchte zu retten, was zu retten war – und Otto stand daneben und wedelte, wenn er nicht gerade seine Nase in die Kekse steckte und versuchte sie zu klauen und zu fressen.

    »Das . . . das tut mir schrecklich leid«, sagte ich bedripst, als ich endlich meine Bestürzung überwinden konnte. »Ich werde die Kekse natürlich ersetzen.«

    Sie hob den Kopf. »Die sind selbstgebacken«, sagte sie mürrisch. »Die kann man nicht ersetzen.«

    »Ich . . . ich . . . dann backe ich Ihnen eben welche. Ich meine, ich kann das nicht besonders gut . . .« Ich lachte verlegen. »Um die Wahrheit zu sagen, habe ich das noch nie gemacht – aber ich werde es schon schaffen.«

    »Lassen Sie nur.« Sie stand auf und überließ Otto den Rest der zertrümmerten Keksherrlichkeit. »Ich werde neue backen.« Sie schaute noch einmal auf die Krümel, die unter Ottos flinker Zunge immer weniger wurden. »Wenigstens der Hund hat etwas davon.«

    »Otto, komm her!« rief ich scharf.

    Otto blickte auf, wedelte kurz und widmete sich dann wieder den Keksen.

    »Besonders gut erzogen ist er nicht«, sagte die Nachbarin mit tadelndem Blick.

    »Doch . . . doch, eigentlich schon«, stammelte ich verwirrt. »Ich war sogar mit ihm in der Hundeschule, und da war er einer der besten. Ich verstehe auch nicht, was los ist. Das muss an den Keksen liegen.«

    Weshalb ich so stammelte, das lag allerdings nicht an den Keksen. Es lag an ihrem Blick. Ich hatte bislang noch nie ihre Augen gesehen, schon gar nicht so aus der Nähe, und so war mir auch nicht aufgefallen, wie außergewöhnlich . . . schön sie waren.

    »Dann sollte ich die nächste Ladung vielleicht als Hundekuchen verkaufen«, sagte sie mit trockenem Humor.

    Ich musste lachen. »Das wäre eine Geschäftsidee: Hundekekse der besonderen Art.«

    Sie drehte sich um und wollte die Treppe hinaufsteigen.

    »Warten Sie!« Ich wollte den Blick dieser Augen nicht verlieren. »Ich muss Ihnen doch wenigstens den Wert der Kekse ersetzen, wenn ich Ihnen schon keine backen darf.«

    »Den kann man nicht ersetzen«, sagte sie. »Der Wert ist . . . unbezahlbar.«

    O Gott! Wie sie das sagte . . . das klang ja, als ob . . . es klang traurig. Als ob Otto mehr zerstört hätte als eine Mischung aus Zucker, Mehl und Eiern.

    »Das . . . das wusste ich nicht«, murmelte ich betreten. »Es tut mir leid. Kann ich denn gar nichts tun, um den Verlust auszugleichen?«

    »Halten Sie Ihre Töle von mir fern«, sagte sie, drehte sich um und ging.

    Ich setzte mich entgeistert auf die unterste Treppenstufe. »Da hast du ja was Schönes angerichtet«, sagte ich vorwurfsvoll zu Otto.

    Er kam zu mir herüber, immer noch mit Krümeln auf der Nase, und sah mich aufmerksam an. Seine Rute machte einen vorsichtigen Versuch zu wedeln, abwartend, was Frauchen denn nun tun würde.

    Ich sah ihn an. »Sie mag keine Hunde, verstehst du? Zu solchen Leuten muss man immer besonders nett und höflich sein und darf sie nicht über den Haufen rennen. Dann werden sie nämlich stocksauer. Wirst du dir das hinter die Ohren schreiben?« Ich zog ihn leicht an einem derselben.

    »Wuff!« machte er.

    Ich seufzte. »Ja, das sagst du immer . . . und dann?« Ich stand auf und öffnete die Haustür. »Jetzt tob dich gefälligst draußen aus, damit du wenigstens beim Zurückkommen kein Unheil mehr anrichten kannst.«

    Er schoss davon. Er hatte das schon alles wieder vergessen.

    Aber ich nicht.

    Ich sah ihre Augen vor mir, und sie konnte sein, wie sie wollte – sie interessierte mich. Da hatte etwas in ihrem Blick gelegen . . . ich wusste auch nicht, was. Aber eines wusste ich: Was auch immer sie war, sie war kein schlechter Mensch. Sie war traurig und distanziert, aber weder das eine noch das andere hatte der Vorfall mit den Keksen ausgelöst.

    Sie wollte aus einem ganz anderen Grund nichts mit den Menschen zu tun haben.

    Ich trat vor die Tür und sah mich nach Otto um. Wie immer fegte er am Waldrand entlang. Direkt vor dem Haus begann der Stadtforst, deshalb hatte ich die Wohnung genommen. Damit Otto genügend Auslauf hatte. Ein Schäferhund ist kein Schoßhündchen, der braucht Bewegung.

    Ich pfiff nach ihm. Mit wehenden Ohren kam er über die Wiese galoppiert. »Komm«, sagte ich. »Wir fahren runter zum Weiher.« Ich griff nach dem kleinen Hundeschlitten, der neben der Tür stand.

    Otto sprang aufgeregt hin und her.

    »Nun steh schon still«, sagte ich lachend, »sonst kann ich dich doch nicht anschirren. Und dann können wir nicht losfahren.«

    Also ob er mich verstanden hätte, stand er plötzlich ganz ruhig und ließ sich das Geschirr anlegen.

    Ich streichelte seinen großen, freundlichen Kopf. »Du bist ein verkleideter Husky, könnte man meinen. Kein anderer Hund zieht so gern einen Schlitten wie du.«

    »Wuff! Wuff!« machte er bestätigend.

    Ich setzte mich auf den Schlitten, und sofort zog Otto an und lief los. Es war seine größte Freude, wenn dabei auch noch Schnee lag. Im Sommer montierte ich Räder unter die Kufen, damit er nicht auf sein Vergnügen verzichten musste, aber richtig originalgetreu war es nur im Winter. Mit Glöckchen und der kalten, weißen Pracht ringsum.

    Am Weiher angekommen schirrte ich ihn ab, und er stürzte auf seine schon anwesenden Hundefreunde los. Sie spielten miteinander, während einige ihrer Herrchen und Frauchen auf dem Weiher in Schlittschuhen ihre Kreise zogen. Es war ein knackig kalter Winter, und der Weiher war vollständig zugefroren.

    Nach einer Weile kam einer der Schlittschuhläufer an den Rand. »Na, so nachdenklich heute?« Er stapfte über den Schnee und setzte sich neben mich auf die Bank.

    »Was macht man mit einer Frau, die keine Hunde mag?« sagte ich, legte meine Stirn in Falten und mein Kinn in die Hand.

    »In Ruhe lassen?« fragte er.

    Ich sah ihn an.

    »Ah, ich sehe schon, das willst du nicht. Aber du weißt, Leute, die keine Tiere mögen, sind meistens keine angenehmen Zeitgenossen. Also besser auf Abstand bleiben, würde ich sagen.«

    »Ach, Timo, was sollen denn diese Alltagsweisheiten? Von dir hätte ich mehr Phantasie erwartet.« Ich schaute ihn verärgert an.

    »Ich bin Schauspieler«, sagte er und zuckte mit den Schultern. »Die Phantasie haben die anderen. Die, die die Geschichten schreiben. Ich setze das nur in Bilder um.«

    »Das machst du aber toll«, sagte ich und lächelte. »Und dazu gehört schließlich auch einiges.« Er war selbst ein Bild von einem Mann . . . groß, dunkel, breitschultrig – und schwul.

    »Nicht sehr viel«, sagte er. »Es liegt mir im Blut.« Er sah mich an. »Und dir liegt diese Frau im Blut?«

    Ich schüttelte verständnislos gegenüber mir selbst den Kopf. »Eigentlich gar nicht. Bis heute kannte ich sie so gut wie überhaupt nicht. Sie hat sich ein paarmal über Otto beklagt, seit sie eingezogen ist. Das allein hat uns schon voneinander ferngehalten. Und sie wohnt ja auch noch gar nicht lange in unserem Haus.«

    »Eine neue Nachbarin?« Er lachte. »Die nimmst du doch sonst immer ganz besonders genau unter die Lupe!«

    Ich boxte ihn heftig in die Seite. »Spinner! Die meisten sind hetero und kommen sowieso nicht in Frage. Die sind uninteressant. Das dachte ich von ihr auch.«

    »Jetzt nicht mehr?« Seine Augen konnten so mitfühlend blicken, dass jede Frau, die nicht wusste, dass er schwul war, sofort dahinschmolz. Das machte den größten Teil seines Erfolges aus. Er war ein Frauenschwarm. Wenn die wüssten . . .

    »Ich weiß nicht. Da war etwas, als sie mich angesehen hat . . .« Ich winkte ab. »Ach, wahrscheinlich nur Einbildung. Warum sollte sie lesbisch sein? Sie backt Plätzchen!« Ich lachte ein wenig.

    »Das tue ich auch«, sagte Timo etwas beleidigt.

    Ich blickte ihn an. »Eben«, sagte ich.

    Als ich mit Otto zurückkehrte, war alles still im Haus. Doch den Flur durchzog ein süßer Duft.

    Sie backt, dachte ich lächelnd. Und es war mir, als käme ich nach Hause – zu ihr, in die Küche, wo sie in einer mehlbestäubten Schürze stand und ein Blech in den Ofen schob.

    Albern, dachte ich. »Albern!« wiederholte ich laut. So laut, dass Otto mich fragend ansah. »Hast du nicht ein dummes Frauchen?« sagte ich zu ihm. »Ein dummes, dummes, dummes Frauchen!«

    »Wuff?« machte Otto.

    »Ach du . . .« Ich strich ihm liebevoll über den kantigen Schädel. »Wenn ich dich nicht hätte . . .«

    Otto richtete sich auf und legte mir die Pfoten auf die Schultern, sein Kopf überragte meinen. Seine Zunge näherte sich gefährlich meinem Gesicht.

    »Nicht!« Ich lachte und sprang zur Seite, so dass Otto wieder auf allen Vieren vor mir stand. »Du sollst mich doch nicht abschlecken!« Otto wedelte mit einem schelmischen Seitenblick, weil er seine Chancen abschätzte, vielleicht doch noch zu einem kleinen Schlecker zu kommen. Ich strich ihm erneut über den Kopf. »Aber es ist nett, dass du mich trösten willst. Komm!« Ich lief schnell die Treppe hinauf. »Oder willst du gar nicht sehen, was gleich in deinem Napf ist?«

    »Wuff, wuff, wuff!« Otto sprang neben mir her, vor mir hoch bis zur Wohnungstür, kam wieder zurück und feuerte mich begeistert hechelnd an, weil ich die Stufen nicht so schnell bewältigen konnte wie er. Erneut erschallte sein »Wuff, wuff, wuff!«

    »O Gott, Otto, sei leise!« Ich verharrte auf der Treppe, während Otto mich etwas verständnislos ansah. »Gleich beschwert sie sich wieder über dich«, flüsterte ich ihm zu, was ihn aber nicht zu erschüttern schien. Während ich erstarrt wartete, dass sich über mir die Tür öffnete und ein ärgerlicher Kommentar mir den Tag verderben würde, geschah . . . nichts. Ich hörte keine Schritte, die sich der Tür näherten, keinen Schlüssel, der klapperte, während sie die Ketten ihrer Festung löste.

    Meine Muskeln fingen an sich zu verkrampfen, weil ich in einer sehr unbequemen Position stehengeblieben war. Ich richtete mich auf und nahm vorsichtig die nächste Treppenstufe, immer noch in der Erwartung, dass der Sturm gleich losbrechen würde. Es waren nur noch ein paar Stufen bis zu meiner Wohnung.

    Als ich angekommen war und aufschloss, horchte ich noch einmal hinauf. Sie hatte die Wohnung direkt über mir. Aber kein Laut. Alles war still.

    Aufseufzend öffnete ich die Tür, Otto sprang hinein, und ich folgte ihm.

    Otto kam bereits das zweite Mal aus der Küche zurück und lief immer wieder wegweisend um die Ecke, während ich noch meinen Mantel aufhängte.

    »Ich weiß, wo die Küche ist, Otto!« sagte ich lachend. Er meinte immer, wenn ich so lange brauchte, den Raum zu finden, hätte ich es wohl vergessen. »Du wirst schon nicht verhungern!«

    Er bezweifelte das eindeutig, denn er kam an und schob mich in die gewünschte Richtung.

    »Otto!« Er interpretierte den Klang meiner Stimme richtig und hörte auf zu schieben.

    Ich füllte seinen Napf, und endlich konnte er sicher sein, dass ich ihn nicht verhungern ließ, und begann zu fressen.

    Ich ging ins Wohnzimmer hinüber, setzte mich in einen Sessel und blickte zur Decke. Manchmal hörte ich die Schritte meiner Nachbarin über mir, aber im Moment war alles still. Trotz Ottos Gebell schien die Wohnung oben wie ausgestorben.

    Dass es dort so ruhig war, war nichts Besonderes. Meine Nachbarin empfing nie Besuch und sie ging auch sehr wenig aus. Seit zwei Monaten wohnte sie nun hier, und obwohl ich nicht immer zu Hause war, hatte ich den Verdacht, dass in den gesamten zwei Monaten niemand außer ihr diese Wohnung betreten hatte.

    Es gab sechs Parteien im Haus, und da es ein so kleines Haus war, hatte eigentlich bisher jeder Nachbar, zumindest aber jede Nachbarin, die neu einzog, die Runde durchs Haus gemacht und sich vorgestellt oder die anderen Hausbewohner zum Kaffeeklatsch eingeladen. Sie nicht. Wenn auf dem Klingelschild nicht ihr Name gestanden hätte, hätte ich nicht einmal gewusst, wie sie hieß.

    Der einzige Kontakt war Otto. Wahrscheinlich hatte ich durch ihn mehr mit der neuen Nachbarin zu tun gehabt als jeder andere im Haus. Leider nicht zu meinem Vergnügen.

    Wenn man einmal von heute absah . . . Heute war es irgendwie anders gewesen. Heute hatte ich in ihre Augen gesehen . . .

    Das Telefon klingelte und riss mich aus meinen Gedanken. »Ah, Timo«, sagte ich, nachdem ich abgenommen hatte.

    »Du hast doch sicher gerade nichts zu tun«, sagte er. Seine Stimme hatte diesen verführerischen Soap-Opera-Schmelz, für den er berühmt war.

    »Woraus schließt du das?« fragte ich. Ich musste grinsen. Er war so leicht zu durchschauen. Für mich. Heterofrauen schien das entsprechende Gen zu fehlen, wenn ich deren Reaktionen auf seinen Charme manchmal so beobachtete.

    »Oder hast du deine Nachbarin inzwischen näher kennengelernt?« fragte er spitzbübisch.

    »Wann? In der letzten Viertelstunde, seit wir uns am Weiher verabschiedet haben?« Das konnte er kaum ernsthaft annehmen. Obwohl – er war ein Mann . . . ein schwuler Mann zudem. Bei denen gingen solche Dinge manchmal wahnsinnig schnell.

    »Zeit genug«, erwiderte er. »Mehr als Zeit genug.« Ich hörte sein Grinsen.

    »Also – was willst du?« fragte ich, bevor er das Thema vertiefen konnte. »Wofür soll ich Zeit haben?«

    »Das Drehbuch . . .«, begann er vorsichtig.

    »Sag es nicht!« Ich sprang mit einem Satz aus dem Sessel auf. »Sag nicht, dass sie es schon wieder geändert haben will!«

    »Doch, will sie.« Er machte eine kleine, wirkungsvolle Pause. »Sie findet die Folge zu lahm.«

    »Zu lahm?« Ich holte tief Luft. »Zu lahm?« Worte konnten meiner Empörung nur schwach Ausdruck verleihen.

    »Du weißt, wie sie ist«, sagte er seufzend.

    »Ich weiß, wie sie zu mir ist«, wandelte ich seine Aussage ab, »und warum.«

    »Ihr solltet eure Beziehung noch einmal überdenken«, schlug er sanft vor. »Damit die Zusammenarbeit besser klappt.«

    »Unsere Beziehung? Welche Beziehung?« fragte ich ärgerlich. »Wir haben keine mehr.«

    »Irgendwie scheint sie das noch nicht mitbekommen zu haben«, meinte er trocken.

    »Ich habe wie eine Blöde an den letzten Änderungen gearbeitet, die sie wollte«, sagte ich. »Otto wusste schon kaum mehr, wie ich aussehe. Erst heute konnte ich einmal wieder länger mit ihm spazierengehen. Ich hatte nicht die Absicht, das zum Dauerzustand werden zu lassen.«

    Otto tapste herein und legte mir seinen großen Kopf in den Schoß. Ich streichelte ihn automatisch.

    »Dann solltest du nicht für eine Soap schreiben«, sagte Timo. »Das ist nun mal der härteste Job, den es gibt.«

    »Ich sollte nicht für eine Soap schreiben, bei der eine Ex von mir Regie führt«, sagte ich, während meine Backenzähne wütend mahlten. »Sie fand die Folge zu stressig, zu schnell, zu actionreich, also habe ich alles rausgeschmissen, was auch nur entfernt an Action erinnert, und jetzt wagt sie zu behaupten, es wäre . . . lahm!« Ich konnte das Wort kaum aussprechen. Meine Empörung wuchs.

    »Leg ihr doch einfach die alte Fassung wieder vor«, sagte Timo. »Sie hat mich angerufen, um mir zu sagen, ich soll mir mit dem Textlernen noch Zeit lassen, du würdest das alles neu schreiben.«

    »Diese . . .!« Ich sprach es lieber nicht aus.

    »Ich weiß«, sagte Timo. »Entspann dich doch vorher ein bisschen mit deiner Nachbarin, bevor du anfängst, alles noch einmal umzuschreiben.« Er lachte leicht. »Dann fällt es dir vielleicht leichter. Vor allem die Liebesszenen.«

    »Liebesszenen? Mit meiner Nachbarin? Du spinnst!« Ich musste selbst lachen. »Diese Nachbarin ist nicht die geeignete Person dafür.«

    »Bist du da ganz sicher?« fragte Timo. Er klang belustigt.

    »Ich glaube, die längste Zeit, die ich sie am Stück gesehen habe, waren ungefähr zwei Minuten«, sagte ich. »Ein bisschen wenig, um überhaupt darüber nachzudenken.«

    »Ihr Frauen seid echt kompliziert«, sagte Timo. »Bei uns reichen zwei Minuten für –«

    »Ich weiß, wofür das bei euch reicht«, unterbrach ich ihn, »aber bei uns geht das eben nicht so schnell.«

    »Da Marika dich noch nicht angerufen hat, sondern nur mich, weißt du ja eigentlich noch nichts von den Drehbuchänderungen«, sagte er, »also könnten wir heute Abend doch noch einmal die Stadt unsicher machen. Was meinst du?«

    »Ich weiß nicht«, sagte ich. »Sie hat bestimmt damit gerechnet, dass du mich anrufst und dass ich gleich anfange.«

    »Damit kann sie ja rechnen«, sagte Timo, »aber verlangen kann sie es nicht. Dann müsste sie dich selbst anrufen.«

    »Was sie seit unserer Trennung tunlichst vermeidet«, ergänzte ich.

    »Eben. Dann ist sie doch selbst schuld, oder nicht?« sagte Timo. »Also komm, lass mich nicht im Stich. So ganz allein im Pimpernel, das ist einfach zuviel für mich. All die Jungs . . .«

    »Was meinst du, wie allein ich mich dort fühle unter all den Jungs?« fragte ich zurück. »Wann verirrt sich schon einmal eine Frau dorthin? Und wenn ja, was für eine?«

    »Bring doch deine Nachbarin mit«, lachte er.

    »Du Affe!« schimpfte ich gutmütig und legte auf. »Ach Otto . . .« Ich schaute meinem nun schon seit Jahren ständigen Begleiter in die treuen braunen Augen. »Warum können wir kein Paar sein?«

    Otto nickte begeistert.

    »Wäre schön, nicht?« fragte ich ihn.

    Er richtete sich auf und legte eine Pfote in meinen Schoß.

    »Dass wir nicht derselben Art angehören, darüber könnte ich ja noch hinwegsehen«, sagte ich, »aber über eins leider nicht: Du hast entschieden das falsche Geschlecht.«

    »Wuff!« bestätigte Otto fröhlich schwanzwedelnd.

    In der Wohnung über mir schien sich etwas zu rühren. »Das war ein Wuff zuviel«, sagte ich seufzend zu Otto und zog schicksalsergeben die Stirn kraus.

    Es hatte keinen Sinn, sich noch länger um die Sache herumzudrücken. Angriff ist die beste Verteidigung. Ich verwies Otto auf seine Decke, was er mit einem traurigen Gesichtsausdruck quittierte, aber es musste sein. Sonst war er immer der Sympathieträger, von dem ich profitierte, aber in diesem Fall nun einmal nicht. Ich verließ meine Wohnung und stieg den Absatz bis zum nächsten Stock hinauf.

    Ich überlegte noch, ob ich lieber klingeln oder klopfen sollte, da öffnete sich die Tür. Meine Nachbarin schaute mich an. Kein Muskel in ihrem Gesicht zuckte. Sie wirkte wie eine Statue.

    »Ich . . .« Ich räusperte mich. »Ich kann Otto leider nicht die Stimmbänder herausoperieren lassen«, sagte ich entschuldigend. »Ich weiß, dass Sie sein Bellen stört, aber er ist eben ein Hund. Weil ich das nicht ändern kann, würde ich Sie gern zum Kaffee einladen. Wann immer Sie wollen . . . Wann Sie Zeit haben.«

    Meiner Auffassung nach hatte sie die immer, aber das hieß ja noch lange nicht, dass sie sie mit mir verbringen wollte.

    »Das ist nicht nötig«, sagte sie, immer noch mit diesem starren Gesichtsausdruck.

    »Sehen Sie . . .« Ich knetete meine Hände. »Ich bin ein etwas harmoniesüchtiger Mensch. Ich möchte mit allen Menschen in Einklang leben, zumindest nicht im Streit.« Ich lachte verlegen. »Ich weiß, das ist mein Fehler, aber ich kann es nun einmal nicht ändern. Ich möchte nicht das Gefühl haben, dass Sie sich ständig über mich ärgern . . . oder über Otto. Er ist noch harmoniesüchtiger als ich«, fügte ich mit einem treuherzigen Augenaufschlag hinzu.

    Es schien, als ob ihr Gesicht etwas von seiner Starrheit verlöre, oder war das nur Einbildung?

    »So schlimm ist es auch wieder nicht«, sagte sie.

    Ich atmete erleichtert aus. »Da bin ich aber froh. Sie sind nicht böse auf mich?«

    »Böse.« Sie wiederholte das Wort, als käme ihr seine Bedeutung erst jetzt zu Bewusstsein. »Sie meinen, ich wäre böse auf Sie?«

    »Na ja, Sie haben sich schon öfter über Otto beschwert, und ich kann verstehen, dass –«

    »Ich bin nicht böse auf Sie«, unterbrach sie mich. »Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte.« Sie wollte die Tür schließen.

    »Der Kaffee . . .«, warf ich schnell ein. »Wollen Sie nachher nicht für ein Viertelstündchen runterkommen? Ich habe eine sehr begabte Kaffeemaschine, so ein italienisches Modell, das Kaffeevariationen herstellen kann, von denen ich nicht einmal den Namen kenne.«

    »Sie scheinen zu all Ihren Mitbewohnern ein inniges Verhältnis zu haben«, sagte sie, »zu Ihrem Hund, zu Ihrer Kaffeemaschine . . .« Wenn das ein Witz sein sollte, hätte sie eigentlich lächeln müssen. Tat sie aber nicht.

    »Wie gesagt: harmoniesüchtig.« Ich musste lachen. »Bisher ist mir noch nie aufgefallen, dass sich das nicht nur auf lebende Wesen bezieht, aber Sie haben recht.« Ich versuchte ihre schönen Augen einzufangen, die immer noch etwas starr blickten. »Bitte, tun Sie mir doch den Gefallen«, flehte ich. »Ich kann schon nicht mehr schlafen, weil ich immer das Gefühl habe, Sie zu stören. Ich möchte das aus der Welt schaffen. Wir hatten in diesem Haus immer ein gutes Verhältnis zueinander, man hilft sich gegenseitig aus, wenn es nötig ist, das ist sehr angenehm. Wenn Sie einmal Hilfe brauchen, können Sie sich an jeden hier wenden. Es ist ein nettes Haus.«

    Sie schwieg, aber sie schloss die Tür nicht. Ich betrachtete sie, soweit es mir nicht aufdringlich erschien, und bemerkte, dass nicht nur ihre Augen schön waren. Manche Leute meinen, sie machen einer Frau ein Kompliment, wenn sie behaupten, sie hätte ein Gesicht wie eine Madonna. Ich finde Madonnengesichter im allgemeinen hässlich und uninteressant, deshalb würde ich einer Frau so etwas nie sagen.

    Ihr Gesicht war das absolute Gegenteil von dem einer Madonna: Es war interessant und schön. Aber es lag auch ein Schmerz darin, der es wie ein Schleier ungreifbar erscheinen ließ. Schon merkwürdig.

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