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Crimson Hunger
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eBook261 Seiten4 Stunden

Crimson Hunger

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Über dieses E-Book

Es ist falsch. Es ist grenzwertig. Es ist verboten.
Trotzdem sage ich nicht ein Wort, um ihn zu stoppen.

Das ist offiziell die schlimmste Woche meines Lebens!
Nachdem mein Freund mich abserviert hat, verliere ich meinen Job – was meinem Boss natürlich erst einfällt, als ich mit einem klapprigen Mietwagen bereits 400 Meilen bis zu einer Tagung gefahren bin, die gar nicht stattfindet. Zu allem Überfluss stiehlt mir auf dem Rückweg jemand das Auto.
Der einzige Lichtblick ist der Gentleman, der mir anbietet, mich zur Polizeistation zu fahren, weil die Polizei nicht auftaucht. Unter anderen Voraussetzungen wäre ich niemals darauf hereingefallen – auf diesen attraktiven Entführer, der mich nicht zur Polizeistation bringt, sondern in ein stillgelegtes Sanatorium.
Vermutlich sollte ich etwas sagen, um ihn aufzuhalten. Aber meine Lippen sind versiegelt.
Wie weit wird er gehen?
Dark Romance. Düstere Themen. Eindeutige Szenen. Deutliche Sprache. In sich abgeschlossen. Vorwort beachten!
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum7. Mai 2019
ISBN9783963704871
Crimson Hunger

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    Buchvorschau

    Crimson Hunger - Mia Kingsley

    KAPITEL 1

    ISAAC

    Ich sah zu, wie die Messerklinge unter die Haut glitt, bevor ich sie drehte und ruckartig nach oben zog. Da ich damit beschäftigt war, zu bewundern, wie das Licht sich in dem polierten Stahl brach, traten die Schreie in den Hintergrund.

    Der Moment hätte perfekt sein können.

    Wenn Sean McTyre seine Klappe gehalten hätte.

    Ich presste die Lippen zusammen und richtete mich auf. Blut tropfte vom Messer, sammelte sich in einer kleinen Pfütze auf dem nackten Betonboden der einsamen Lagerhalle.

    »Also?«, fragte er hinter mir.

    Nicht zum ersten Mal spielte ich mit dem Gedanken, ihm einfach die Zunge rauszuschneiden. Ich konnte gar nicht zählen, wie oft ich ihm erklärt hatte, dass er mich in Ruhe arbeiten lassen sollte, wenn er verdammte Informationen brauchte. Wie ich an die Infos kam, konnte ihm schließlich scheißegal sein.

    Aber nein. Bei jeder Gelegenheit störte er meine Konzentration.

    Ich drehte mich um und fixierte seinen Boss Cory Marshall. Nachdem ich einen Moment der Stille abgewartet hatte, sagte ich: »Es stört schon wieder.«

    Sofort wurde Seans Gesicht feuerrot. »Hör zu, du Wichser, nur weil du auf diese ganze perverse Scheiße stehst, musst du dir nicht einbilden, so mit mir reden zu können.«

    Die Knochen in meiner Hand knackten, als ich eine Faust ballte. Ich wartete darauf, dass Cory seinen Idioten zurückpfiff, bevor ich mich vergaß.

    »Wenn er sich nicht entschuldigt, mache ich nicht weiter. Bei der momentanen Rate würde ich schätzen, dass ein Zeitfenster von sieben bis acht Minuten bleibt, bevor eure Informationsquelle verblutet ist.«

    Cory rieb sich übers Kinn und betrachtete den drittklassigen Drogendealer, der gefesselt auf einem Stuhl in der Mitte der Halle saß. Der Typ war bereits ziemlich blass, allerdings noch weitestgehend intakt. Die Betonung lag auf »noch«, denn meine Laune raste rapide in den Keller.

    Vermutlich war meine Laune hauptsächlich so schlecht, da es der letzte Job war, der mich von meinem wohlverdienten Urlaub trennte. Dass ich dabei ausgerechnet Sean begegnen musste, war lediglich das Tüpfelchen auf dem i.

    Es war nicht das Klügste gewesen, mich an den Urlaub zu erinnern, denn sofort wurde meine Sehnsucht stärker.

    Die meiste Zeit hatte ich meine Dämonen gut im Griff und schaffte es, meine Bedürfnisse ersatzweise zu befriedigen. Aber manchmal brauchte ich einfach die volle Dosis.

    Ich warf einen Blick auf meine Armbanduhr. Sechs Stunden. Die würde ich wohl durchhalten. Ohne Sean auszuweiden, hoffte ich.

    Meine Unruhe war beinahe auf dem Höhepunkt und bis ich den erlösenden Anruf erhielt, würde ich mich nicht beruhigen können. Bis dahin würde ich mit der Vorfreude warten. Es musste alles glatt gehen, damit ich mich entspannen konnte.

    Cory spitzte die Lippen, was ihm ein sehr feminines Aussehen verlieh. »Bisher blutet er doch gar nicht so stark. Warum vertragt ihr Jungs euch nicht einfach wieder?«

    Ich hasste es, wenn der Boss sich nicht auf meine Seite stellte. Glücklicherweise war er nicht wirklich mein Boss.

    Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, nahm ich die Hippe vom Tisch und ging zu dem Gefesselten. Die kurze Sichelklinge bot sich einfach an, um die Oberschenkel von der Leiste bis zum Knie aufzuschlitzen.

    Ich legte das Messer weg und stellte den Timer an meiner Uhr. »Machen wir vier Minuten draus. Ich warte.«

    Sean starrte mich entgeistert an, bevor er sich zu seinem Boss wandte. »Das ist nicht sein Ernst, oder?«

    Cory musterte den Dealer, der bewusstlos zusammengesackt war. Im Gegensatz zu Sean war er mit meinen Fähigkeiten vertraut. »Entschuldige dich.«

    »Was?« Sean schien seine eigene Muttersprache plötzlich nicht mehr zu verstehen.

    »Entschuldige dich, McTyre. Jetzt sofort«, knurrte Cory.

    Das Blut schoss aus den langen, tiefen Wunden und ich konnte mir nicht verkneifen, meinen Teil beizusteuern. »Tick, tack. Tick, tack.«

    »Fahr zur Hölle«, schrie Sean und verteilte dabei ein wenig Speichel im Raum.

    Ich zuckte mit den Achseln, nahm einen Lappen und wischte meine Hände ab. »Mir soll es ja egal sein, denn ich werde immer im Voraus bezahlt. Außerdem habe ich jetzt Urlaub.« Dazu grinste ich Sean an. Dass ich meine Mundwinkel dabei absurd hochzog, machte es nicht gerade zu einem schönen Anblick.

    »Ich werde es nicht noch einmal sagen«, presste der Boss zwischen den Zähnen hervor.

    »Dieser verdammte Wichser kann ewig darauf warten, dass ich mich entschuldige. Seine Mutter hat nicht so hohe Ansprüche.« Sean verschränkte die Arme.

    Fast hätte ich gelächelt, weil er mir einen Freifahrtschein ausgestellt hatte, aber ich war zu routiniert, um meine wahren Gefühle zu zeigen.

    Stattdessen bewegte ich mich so schnell, dass der Idiot erst mitbekam, was passierte, als er mit dem Rücken bereits gegen die Wand prallte. Er war etwas kleiner als ich, sodass es für mich kein Problem war, meinen Unterarm auf seine Kehle zu legen und ihn hochzudrücken. Während ich ihm die Luftzufuhr abschnitt, scharrte er mit den Zehenspitzen über den Boden, auf der verzweifelten Suche nach Halt.

    »An deiner Stelle würde ich mich ruhig verhalten«, erklärte ich ihm und ließ das Stilett aus meinem Ärmel gleiten. Mit der Spitze der Klinge drückte ich das untere Lid weg, bis das Metall beinahe seinen Augapfel berührte.

    Seans Gesicht wurde krebsrot, doch er gehorchte und hörte auf, zu strampeln.

    »Folgendes wird geschehen: Du entschuldigst dich bei mir, bevor du dich aus der Halle verpisst und draußen wartest wie das brave Hündchen, das du bist. Und wenn wir uns das nächste Mal begegnen, hältst du dein verbleibendes Auge besser auf den Boden gerichtet, sonst schneide ich es dir auch noch raus.«

    Seans Mund öffnete sich, sein Körper wurde schlaff. Er suchte in meinem Gesicht nach Anzeichen dafür, dass ich scherzte. Schon allein der zunehmende Druck auf sein Auge überzeugte ihn vom Gegenteil.

    »Isaac«, sagte Cory hinter mir. »Es tut mir leid, wie idiotisch Sean sich benimmt, aber ich brauche ihn.«

    Ich wartete ab, ob noch etwas kam, als Sean wimmerte.

    Sein Boss seufzte. »Mit beiden Augen. Bitte.«

    Die Messerspitze wanderte ein Stück weiter nach unten und bohrte sich stattdessen in Seans speckige Wange. Seine Augen wirkten verdächtig wässrig.

    Ich schnalzte mit der Zunge und trat einen Schritt zurück. »Hoffentlich war es das letzte Mal, dass wir diese Unterhaltung geführt haben.«

    Sean landete auf den Knien, hustete und tastete dabei nach seiner Kehle.

    Als ich mich wieder umdrehte, nickte Cory. Er leckte sich über die Unterlippe. »Davon gehe ich aus. Würdest du dich jetzt freundlicherweise um die Informationsbeschaffung kümmern? Dafür bist du immerhin hier.«

    Der Timer meiner Uhr piepte. Wie auf Befehl schauten Cory und Sean gleichzeitig zu dem Drogendealer, der gerade seine letzten Atemzüge tätigte.

    »Verdammte Scheiße! Und jetzt?« Cory warf beide Arme in die Luft. Er wandte sich zu mir und wirkte deutlich angepisst. »Das war nicht der Deal, Isaac.«

    Weil ich wusste, dass es ihn in den Wahnsinn treiben würde, legte ich den Kopf schräg und musterte ihn, als würde ich seinen Ausbruch nicht richtig deuten können. Aus einem mir nicht erklärlichen Grund dachten er und seine Leute nämlich, ich wäre irgendwo auf dem Autismus-Spektrum angesiedelt. Vermutlich, da ich meistens erst einmal schwieg und abwartete, statt sinnlos drauflos zu quatschen. Mir war das nur recht.

    »Er ist tot und ich kann mir die Infos abschminken«, erklärte Cory mir. Dabei sprach er übertrieben langsam und deutlich. Offensichtlich war ich nicht nur emotional eingeschränkt, sondern auch geistig. Gut zu wissen.

    »Ich weiß, wie ich meinen Job zu erledigen habe.« Mit diesen Worten fasste ich in meine Jacketttasche und holte den Zettel hervor, auf dem ich mir Notizen zu allem gemacht hatte, was der Drogendealer bereit gewesen war, auszuspucken.

    Das hatte ich selbstverständlich zuerst erledigt, bevor ich mir den Spaß gegönnt hatte, ein bisschen an ihm herumzuschneiden. Ich hatte mir nur die Zeit vor dem Feierabend versüßen wollen. Als Sean mich beleidigt und ich die Drohung ausgesprochen hatte, waren mir bereits alle nötigen Fakten bekannt gewesen.

    Ich reichte Cory den Zettel und wartete darauf, dass die Erkenntnis über Sean hereinbrach. Noch arbeitete es hinter seiner Stirn.

    »Hier sind die Informationen. Ihr wart zu sehr damit beschäftigt, euch über den Arsch einer gewissen Mindy auszutauschen. Deshalb wird euch der Teil wohl entgangen sein.«

    »Du hast sie die ganze Zeit gehabt.«

    »Natürlich. Ich bin ein Profi. Ein Profi, der jetzt übrigens Urlaub hat.«

    Cory atmete tief durch, steckte den Zettel ein und holte dafür die Dose mit Magentabletten raus. Nachdem er zwei der giftgrünen Pillen eingeworfen hatte, massierte er seinen Nasenrücken. »Ja, ja. Du und dein Urlaub. Wir haben es verstanden. Was machst du eigentlich?«

    Ich starrte ihn nur stumm an, da ich nicht das geringste Interesse hatte, darüber zu reden.

    »Man wird ja fragen dürfen. Immerhin bist du sonst Tag und Nacht erreichbar. So erreichbar, dass ich manchmal daran zweifle, ob du überhaupt schläfst. Aber in den zwei Wochen bist du wie vom Erdboden verschluckt. Zumindest bei mir weckt das Neugier.«

    Sean hatte sich leider wieder erholt und war aufgestanden. »Wahrscheinlich schließt er sich irgendwo ein und mutiert zum Kannibalen«, sagte er, während er seine Knie abklopfte.

    »Wärst du nicht so fett, wäre ich versucht, dich für dieses Jahr auf die Speisekarte zu schreiben.«

    Ruckartig hob er den Kopf und sah mich an, woraufhin ich mir über die Zähne leckte. Natürlich mit offenem Mund, damit es extra scheußlich wirkte.

    Sean starrte mich an. »Du bist wirklich krank.«

    Ich lächelte. »Ja. Die Frage ist nur, wann du das endlich in dein Spatzenhirn bekommst und nicht mehr denkst, du könntest dich mit mir anlegen.«

    Er machte einen Schritt auf mich zu und ich hob den Arm, um ihm zu signalisieren, dass er bloß näher kommen musste, wenn er eine weitere Lektion brauchte.

    In diesem Moment klingelte mein Handy. Die Männer starrten mich an, denn das war bisher nie vorgekommen. Ich stellte das Ding grundsätzlich auf lautlos. Heute bildete die einzige Ausnahme.

    Mein Puls stieg an, ich holte tief Luft und spürte, wie meine Nasenflügel sich blähten. Da war sie. Die Vorfreude.

    Ohne Sean weiter zu beachten, nahm ich den Anruf entgegen.

    »Mister Henderson, hier ist Kaelyn Thompson. Ich wollte Ihnen Bescheid geben, dass alles zu Ihrer Zufriedenheit arrangiert ist. Die Vereinbarung startet um Punkt achtzehn Uhr im Roadstop Pub, die Dame weiß Bescheid und wurde über das Safeword informiert. Sie haben unsere Nummer für dringende Notfälle. Viel Vergnügen.«

    »Danke«, sagte ich und legte auf.

    Egal, was Cory und Sean dachten, ich hatte Urlaubspläne – und die beinhalteten keinen Kannibalismus.

    Wobei ich durchaus hungrig war.

    Ich würde meine Sachen zusammenräumen, mich ins Auto setzen und London bald schon nur noch im Rückspiegel sehen. In Gedanken war ich bereits auf dem Weg in die verschlafene Küstenstadt Mablethorpe. Wobei ich nicht direkt in die Stadt wollte, sondern mich außerhalb aufhalten würde. Monatelang hatte ich alles Nötige dafür organisiert und geplant. Die nächsten zwei Wochen würden etwas ganz Besonderes werden.

    Selbst Sean konnte mir jetzt nicht mehr die Laune verderben.

    »Ich bin dann weg. Ruft mich nicht an und versucht nicht, mich ausfindig zu machen.«

    »Und wenn wir dich brauchen?«, wollte Cory wissen.

    »Ihr habt Renoirs Nummer. Ruft ihn an. Er ist fast genauso gut wie ich.«

    Sean schob die Hände in die Hosentaschen. »Wir arbeiten nicht gern mit Fremden zusammen.«

    »Du wirst es überleben. Vielleicht gefällt es dir sogar. Renoir ist viel umgänglicher als ich. Abgesehen davon bin ich auch ein Fremder und du solltest dankbar dafür sein.«

    Ich warf ihm einen letzten Blick zu und obwohl Sean versuchte, seine Regung zu verbergen, sah ich genau, wie er erschauerte.

    KAPITEL 2

    JUNE

    Ich würgte den Wagen ab, als die Ampel grün wurde, und prompt startete der Fahrer hinter mir das reinste Hupkonzert. Über meine Schulter zeigte ich ihm den Mittelfinger und versuchte, mich an die Sache mit der Kupplung zu erinnern.

    Es war bestimmt vier Jahre her, dass ich überhaupt das letzte Mal gefahren war und das war der Automatikwagen meiner Mutter gewesen.

    Endlich rollte der Ford über die Kreuzung, was den Kerl an meiner Stoßstange nicht hinderte, zusätzlich die Lichthupe zu betätigen, um mir zu zeigen, wie eilig genau er es hatte.

    Du mich auch, Arschloch, dachte ich und umklammerte das Lenkrad fester. Ich hatte sicher nicht darum gebeten, an einem verdammten Freitagnachmittag über die Landstraße zu kriechen, damit ich anstelle meines Chefs an einer Tagung des Komitees für Architektur und Denkmalpflege teilnehmen konnte.

    Ich hatte nicht darum gebeten, das älteste Mietfahrzeug der Welt mit Schaltung zugewiesen zu bekommen, nachdem ich auf einen Automatikwagen bestanden hatte. Außerdem war im Zug kein Sitz für mich reserviert gewesen, wie mein Boss es mir versprochen hatte, nachdem er mich mehr oder weniger genötigt hatte, für ihn in die Einöde zu fahren.

    Wenigstens hatte ich meine Emotionen im Griff gehabt, bis ich in dem Wagen saß und vom Hof der Vermietung gefahren war – nachdem ich selbstverständlich den Motor diverse Male abgewürgt hatte. Der Typ vom Empfang war herausgeeilt gekommen und hatte mir ganz langsam erklärt, wie man Auto fuhr. Als wäre ich beschränkt und nicht bloß aus der Übung.

    Ich trat das Gaspedal weiter durch und schaltete die Scheibenwischer auf die höchste Stufe. Der finstere Himmel hatte schon vor Stunden Regen angekündigt und jetzt fielen die Tropfen vom Himmel, dass ich mir lieber eine Arche hätte mieten sollen.

    Wenigstens waren es nur noch wenige Meilen bis Grimsby. Wäre meine Laune besser gewesen, hätte ich vermutlich die umliegenden Dörfer und die Küstenlandschaft bewundert, doch ich wurde durch mein Geflenne und das penetrante Quietschen der Scheibenwischer abgelenkt.

    Mablethorpe, Manby, Saltfleet, North Thoresby und Humberston hatte ich bereits passiert. Die Städte klangen schon auf den Schildern einschläfernd und ruhig.

    Vermutlich sollte ich mich freuen, nach dem Desaster von letzter Nacht aus der Stadt raus zu sein, aber mein Magen verkrampfte sich bei dem Gedanken, den Vortrag von Professor Donington zu halten. Ich war seine Sekretärin und keine Architektin. Abgesehen davon, dass ich den Text würde ablesen müssen, war ich nicht in der Lage, Fragen zu beantworten, weil ich keine Ahnung von dem Thema hatte.

    Obwohl ich die Zähne aufeinanderbiss, begannen die Tränen über meine Wangen zu laufen. Dabei hatte ich mir vorgenommen, Evan nicht hinterherzuheulen.

    Ich blinzelte, damit ich wenigstens etwas von der Straße erkannte. Die dunklen Wolken brauten sich am Himmel zusammen, als wären sie entschlossen, auch das letzte Tageslicht zu vertreiben. Eine Traumsituation. Es war windig und ich kannte weder die Gegend noch war ich eine geübte Fahrerin.

    »Fuck!«, schrie ich laut ins Auto. »Fuck! Fuck! Fuck!«

    Tatsächlich fühlte ich mich danach für einige Sekunden besser. Zumindest so lange, bis ich Evans Stimme wieder in meinem Kopf hörte. Wie er mich angesehen hatte, als er die Hand nach dem Halsband ausgestreckt und es zurückverlangt hatte.

    Zwar waren wir nur ein knappes halbes Jahr zusammen gewesen, schmerzhaft war es trotzdem.

    Safe, sane, consensual. Dass ich nicht lachte. Der Arsch hatte mich abserviert, weil ich mein Safeword gesagt hatte. Obwohl ich selbst dabei gewesen war, konnte ich es nicht glauben. In den Romanzen, die ich in meiner Freizeit schrieb, wenn ich nicht für Professor Donington Aufgaben erledigte, die nicht in meiner Jobbeschreibung standen, passierten solche Sachen nicht.

    Da musste die Frau nicht panisch ihr Safeword benutzen, da ihr Liebhaber im Begriff war, ihr viel zu große Dinge ohne Vorbereitung in verschiedene Körperöffnungen zu rammen.

    Ich schüttelte den Kopf und atmete laut aus. Meine Schultern sanken, dabei spürte ich, wie verspannt mein Nacken war. Spätestens wenn ich heute Abend auf der – bei meinem momentanen Glück – vermutlich durchgelegenen Matratze im Hotel lag, würde ich eine Migränetablette brauchen. Glücklicherweise hatte ich welche in meine Reisetasche gepackt, die bei jeder Kurve auf dem Beifahrersitz herumrutschte. Der Kofferraum hatte so dreckig ausgesehen, dass ich es nicht übers Herz gebracht hatte, meine Tasche dort reinzulegen.

    Wenn das Schreiben bloß genug abwerfen würde, dachte ich mir. Dann müsste ich nicht mehr für Donington arbeiten und könnte jetzt Eiscreme essen. Stattdessen hatte ich mich in einen Pencilskirt, eine Bluse und einen Blazer pressen müssen.

    Ich passierte das Ortseingangsschild von Grimsby und war froh, wenigstens den Weg unfallfrei hinter mich gebracht zu haben.

    Das Hotel lag auf einem Hügel am Ende der Straße, auf der ich gerade fuhr und die anscheinend die einzige Straße in diesem Kaff war. Allerdings sah es nicht aus, als wären viele Gäste erschienen.

    Um ehrlich zu sein, wirkte es nicht, als wäre überhaupt jemand da.

    Unter dem Vordach des Hotels stand ein einsamer Page mit einem transparenten Regenmantel unter einem Regenschirm und trat von einem Fuß auf den anderen. Ich ließ den Wagen an

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