Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Liebe und andere Stolpersteine: Hannas Geschichte Teil 3
Liebe und andere Stolpersteine: Hannas Geschichte Teil 3
Liebe und andere Stolpersteine: Hannas Geschichte Teil 3
eBook320 Seiten3 Stunden

Liebe und andere Stolpersteine: Hannas Geschichte Teil 3

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Hannas Geschichte Teil 3: Erleichtert sieht Hanna positiv in ihre Zukunft. Doch ein Geständnis zu Weihnachten und eine unerwartete Entdeckung sind nur zwei von mehreren Stolpersteinen auf ihrem neuen Weg, den sie längst schon unbemerkt beschritten hat. Zu ihrer eigenen Zufriedenheit hin, aber auch zu ihrem persönlichen Glück?
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum8. Dez. 2023
ISBN9783758361920
Liebe und andere Stolpersteine: Hannas Geschichte Teil 3
Autor

Helen Marie Rosenits

Helen Marie Rosenits studierte Jus an den Universitäten Wien und Salzburg, promovierte an der Paris-Lodron-Universität. Sie arbeitete in verschiedenen Bereichen, betreute ihre Blogs und verfasste Artikel für die Zeitung ihres Hundevereines, bis sie ihrer Leidenschaft nachgab, und auch Romane zu schreiben begann. Heute lebt sie mit ihrem Mann in Niederösterreich. www.helenmarierosenits.at http://helenmarierosenits.blogspot.com https://www.facebook.com/profile.php?id=100010622282861/ https://www.instagram.com/helen_marie_rosenits

Mehr von Helen Marie Rosenits lesen

Ähnlich wie Liebe und andere Stolpersteine

Titel in dieser Serie (3)

Mehr anzeigen

Ähnliche E-Books

Biografien / Autofiktion für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Liebe und andere Stolpersteine

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Liebe und andere Stolpersteine - Helen Marie Rosenits

    Kapitel 1

    Verflixt, in welchem Kasten hatte sie nur die

    Weihnachtssachen verstaut, fragte sich Hanna und lief voller Eifer durchs Haus.

    Auf dem Dachboden – nein, im Keller – nein auch nicht. Endlich, in der sogenannten Werkstatt hatte ihre Suche schließlich Erfolg. Da, hinter etlichen aufgerollten Kabeln und einigen Dingen, die man garantiert würde irgendwann nochmals brauchen können, fand sie die beiden Kartons mit den besonders schönen Dekorationsstücken.

    Vorsichtig hob sie die einzelnen Schachteln heraus, öffnete deren Deckel und legte sich Teile des Inhalts in drei Haufen zurecht: einen fürs Esszimmer, einen fürs Wohnzimmer und einen für das Stiegenhaus mitsamt dem Entree. Der Rest war dann der Schmuck für den Christbaum selbst, inklusive der Lichterketten.

    Mattes oder glänzendes Gold, bestreut mit Glitzerpartikeln, zartes Glas, zu hauchdünnen Gebilden geblasen und aus Metallschnüren fein gebogene Objekte wie Glocken, Engelchen oder Trompeten. Ihre Augen schweiften über die weihnachtliche Opulenz und hielten kurz, sich erinnernd, bei dem einen oder anderen inne. Plötzlich zuckten ihre Finger und griffen dann nach dem spitz zulaufenden Ding, das in der hintersten Ecke verborgen lag.

    Hanna starrte auf die aus filigranem Gold-Draht gefertigte Figur in ihrer Hand – der Eiffelturm. Sie wusste nicht mehr, wann oder wo sie diesen außergewöhnlichen Christbaumschmuck gekauft hatte. Doch in diesem Moment erinnerte er sie nicht länger an ihre aufregenden Sprachferien vor der Matura, sondern nur mehr an die schrecklichen Bilder der Terroranschläge in Paris, denen weltweit in immer kürzerem Abstand die nächsten folgten.

    Horror am Fließband, Schock-Bilder im Live-Ticker. Wie aus dem Nichts Tod und Verdammnis. Und die Welt online erste Reihe fußfrei dabei, um Sekunden später bereits ihre Meinung kundzutun, wo Schweigen die einzige Option gewesen wäre.

    Die vielen Toten und die unzähligen Betroffenen, deren Leben eine Zäsur erfahren hatte und nie mehr so wie früher sein würde, begleitet von unsichtbaren Dämonen, für immer. Medien, die sich wie Hyänen auf jede Information stürzten, um – getarnt hinter dem Schild des Mitleids – Geschichten über etliche der 130 Menschen aus Paris, die diese Weihnachten nicht mehr erleben würden, zu verbreiten. Ob wahr oder falsch, übertrieben oder sensationsheischend, vollkommen egal. Dazu Porträtfotos und Namen, bildschirmfüllend mit einem Klick.

    Doch in den Familien von hundertdreißig Menschen würde ein gewohntes Gesicht fehlen, herausgerissen aus allen Hoffnungen und Träumen, binnen Augenblicken ausradiert. Pläne, die sich nie mehr realisieren würden. Umarmungen, die nur mehr die Ewigkeit erreichten. Und Schmerz, der sich zwar irgendwann mildern, aber nie mehr vergehen würde.

    „Warum", fragte Hanna lautlos und sogleich gab das Wissen über die Historie der letzten Jahrhunderte ihr still die Antwort. Sie war eine alte Seele, die im selben Moment bedrückend die Vergangenheit spürte und vor der Zukunft warnen wollte. Doch wer war sie schon, um mahnend die Stimme zu erheben? Nur eine kleine Ameise der Zeit, deren Worte ungehört verhallen würden. Denn Geschichte wiederholte sich immer wieder, nur unter anderen Prämissen, weil der Mensch letzten Endes unbelehrbar war.

    Wo waren Vernunft und klares Denken? Spürte niemand den Abgrund, auf den alle zutrieben?

    Bataclan – ein Name, der stellvertretend für so viele andere Schauplätze des Terrors zum Synonym für Hass geworden war; und das, in der Stadt der Liebe.

    Gänsehaut kroch ihren Rücken entlang und Hanna zwang sich, dieses Unbehagen und diese dumpfe Ahnung von sich stetig steigerndem Zündeln, das irgendwann, womöglich viel schneller als vermutet, zu einem brennenden Inferno mutieren konnte, abzuschütteln. Sie war nur ein kleines, unbedeutendes Rädchen im großen Getriebe, vermochte nichts zu ändern. Sie würde den Lauf der Zeit nicht beeinflussen können.

    Beinahe unwillig schüttelte Hanna ihre dunkelgrauen Gedanken ab; kämpfte sich bewusst zurück zur Freude, ihr Zuhause in diesem markanten Jahr 2015 besonders anheimelnd, sogar festlich zu schmücken. Ja, sie hatte allen Grund dazu, schließlich war ihre Gesundheit wieder stabil und das getroffene Arrangement mit ihren beiden Männern zufriedenstellend.

    Sie steckte Tannen-Reisig in Töpfe und Vasen, befestigte Kugeln und kleine Engel an den Ästen und verteilte die mit Schleifen verzierten Gefäße großzügig in den Räumen. Schließlich stieg ihr der harzige Geruch der frischen Nadeln fein in die Nase und gaukelte ihr einen Waldspaziergang vor. Tief das wohlige Aroma einatmend, hängte sie beschwingt dann noch glitzernde Figuren und Sterne auf Kastenknöpfe und Luster-Arme, betrachtete lächelnd ihr Werk und klopfte sich selbst äußerst zufrieden auf die Schulter. Zumindest so lange, bis sich hinter ihr die Eingangstüre öffnete und zweifelhaftes Lob erklang.

    „Das ist ja der reinste Dekorationswahnsinn!, rief ihr Mann Bernhard. „Da hast du dich echt übertroffen, jeder einschlägige Geschäftsbesitzer würde vor Neid erblassen, bedachte er ihre Bemühungen, als er hereinkam.

    „Ach, sei nicht so prosaisch, kam es hinter ihm nun sonor tadelnd von Paul, ihrem Geliebten, retour. „Weihnachten ist nur einmal im Jahr. Und Hanna hat mit dem Schmücken wenigstens bis zum Advent gewartet und nicht bereits im August mit Lebkuchen-Bombardement begonnen oder im Oktober mit farbintensiven Glitter-Attacken fortgesetzt, um ab November mit Christmas-Songs in Endlosschleife bis zum Erbrechen zu traktieren.

    „Na, dann müssen wir ihr noch vermutlich dankbar sein", grummelte Bernhard und verdrehte enerviert die Augen.

    „Aber sicher, mein Lieber, unsere Hanna ist einzigartig, oder nicht?"

    Der leicht aggressive Ton Pauls entging Hanna nicht und sie legte beschwichtigend ihre Hand auf seinen Arm. Da glättete sich die Unmutsfalte auf seiner Stirn und ein amüsiertes Lachen erklang gleich darauf, als Fellnase Burgi begeistert an seine Sakkotasche stupste und seine Hand abschleckte.

    „Dir bleibt auch nichts verborgen", murmelte er und zog den mitgebrachten Kauknochen hervor.

    „Seid friedlich und kommt zum Abendessen", ermahnte Hanna ihre beiden Männer und ging die Stufen in den ersten Stock voraus.

    „Möchtest du nicht ein paar Weihnachtsmärkte besuchen?"

    Paul sah Hanna fragend an und hoffte insgeheim, sie würde begeistert zustimmen, denn dann könnte sie die Nacht bei ihm in der Stadt verbringen.

    Nun, er war ja im Prinzip zufrieden mit der jetzigen Situation. Er hatte eine Lebensgefährtin, die zwar nicht bei ihm wohnte, ihn aber ansonsten perfekt ergänzte, in geistiger, emotionaler und körperlicher Hinsicht. Mit Hanna konnte er über seine Projekte diskutieren, ihr über seine Recherchen berichten und sie sogar als Lektorin einsetzen. Und als Abrundung aller Erwartungen mit ihr Leidenschaft, Verlangen, Zärtlichkeit und Fantasien nachgeben, allerdings viel zu selten.

    Er hatte seine Freiheit, keine Verantwortung und brauchte die alltäglichen Sorgen nicht zu teilen. Bloß in Gegenwart von Bernhard hatte er immer so ein komisches Gefühl, wenn er seinem Zärtlichkeitsbedürfnis nachkam und Hanna umarmte oder küsste. Obwohl sie ihm in ihrem Arbeitszimmer ein Bett anbot und Platz für seine Sachen einräumte, fühlte er sich unbehaglich.

    Wir Männer haben uns ja ausgesprochen und diesen Weg als gangbar angesehen, versicherte er sich zum hundertsten Mal. Und doch legte er seiner Leidenschaft unbewusst Zügel an und Hanna wohl auch, wenn er die Gedanken zurück nach Irland und zu ihrer gemeinsamen Reise schweifen ließ. Sicher, es könnte schlimmer sein, gestand er sich ein und im selben Augenblick wurde ihm bewusst, dass er Besitzansprüche stellte. Nein, das wollte er doch nicht, wollte keine Fesseln. Oder nicht?

    Hannas Antwort holte ihn aus seinen Überlegungen zurück. – „Ja, eigentlich gerne. Nur wäre nicht so ein Adventmarkt bei uns der ideale Platz, um mit einem Terror-Überfall Aufmerksamkeit zu erregen? Es ist letztlich eines der großen Feste der Religion der so verhassten Ungläubigen."

    „Da hast du im Prinzip recht, räumte er jetzt zögerlich ein und wurde prompt von Bernhard unterbrochen: „Wenn du dich vor allem fürchtest, dürftest du nicht einmal aufstehen. Und selbst dann könnte dir das Dach auf den Kopf fallen.

    Klar, ihr Mann, der Pragmatiker.

    „Richtig, schließlich müssen wir alle irgendwann sterben, griff Paul die Bemerkung auf. „Warum nicht inmitten von Glaskugeln, Kastanien, Bratkartoffeln und begossen mit Litern von Punsch oder Glühwein?

    Na fein, auch noch SEIN Sarkasmus.

    Manchmal könnte sie beide vor Empörung oder Missbilligung an die Wand nageln!

    Doch jedes noch so kleine Auflachen erstarb in ihr bei der Vorstellung des soeben Geschilderten. Nein, es war keineswegs unmöglich. Nicht bei dem Hass und dem kaum verhüllten Kampf, der einer der drei monotheistischen Religionen entsprang. EIN GOTT – und die Gläubigen bekriegten sich.

    Nicht nachdenken, befahl sich Hanna, verzog übellaunig ihr Gesicht und seufzte.

    „Also gut, ich komme zu dir nach Wien, Paul, und du suchst das Passende aus."

    „Wie wäre es mit einem Kompromiss?, schlug er nun vor. „Wir gehen nicht auf einen der riesengroßen Märkte, sondern auf den Spittelberg. Dort ist es nicht so überlaufen, eher überschaubar und das Angebot kleiner strukturiert.

    Insgeheim lobte sich Paul für seinen Einfall und wurde mit einem bestätigenden Lächeln Hannas belohnt.

    Ein paar Tage später bummelte Paul mit seiner Liebsten zwischen kleinen Hütten und stöberte in winzigen Boutiquen. Künstler boten ihre selbstgefertigten Werke an und das verfügbare Essensangebot hob sich zum Teil wohltuend von den großen Märkten ab. Vegetarisches existierte neben Veganem, Traditionelles neben Eigenkreationen. Hanna kostete hier und dort, betrachtete mit Begeisterung die zum Verkauf angebotenen, außergewöhnlichen Dinge und verweilte mit sehnsüchtig glänzenden Augen bei einem niedrigen Tisch voller Schmuckstücke. Als Paul über ihre Schulter blickte, wusste er auch warum. Keltische Muster, Knoten und Kreuze, verarbeitet zu Halsketten, Ringen, Armbändern oder Broschen.

    In einer verlorenen, zarten Bewegung strichen Hannas Finger über einen altsilbernen Anhänger mit dem Baum des Lebens. Paul beobachtete den grübelnden Ausdruck in ihrem Gesicht und in den Augen, die weit in die Ferne oder auch ins Nichts gerichtet schienen; in denen sich für Sekunden Angst, Schmerz und Sehnsucht widerspiegelten. Er brauchte nicht zu fragen, er spürte ihre Gedanken.

    „Du bringst die Anschläge nicht aus deinem Kopf, flüsterte er in ihr Ohr, „denkst an die Zukunft und das für die Augen Unsichtbare, alles Leben.

    Es war eine Feststellung und Hanna nickte nur, denn er kannte ihre tiefreichenden Ahnungen und die gleich unter der Oberfläche lauernde Gewissheit, bereits zwei Mal auf dieser Erde gelebt zu haben.

    Nein, er verspottete und verurteilte sie nicht dafür. Zu klar waren ihre Schilderungen inmitten der irischen Ruinen gewesen und zu deutlich erst vor kurzem ihre Worte über das Unbehagen, das sie für die Zukunft fürchtete. Diesen ungezähmten Hass, der sich ausbreitete. Diese Kluft zwischen Arm und Reich, die nicht zu überwinden war, weil der Wille fehlte. Diese verzweifelten Heerscharen, die sich auf den Weg machten in ein vermeintlich besseres Leben und nicht wirklich nachhaltig aufzuhalten waren. Diese Masse an Menschen, die sich wie Ameisen vermehrten und die Welt überfluteten. Und diese einzigartige, einmalige Erde, die sich nicht wie ein Gummiband ausdehnen ließ.

    Ja, Paul verstand sie, bloß hatte er nicht so viel Hingabe ans Schicksal und latente Rebellion im Blut.

    Da schoben sich ungebeten Bilder einer anderen Vorweihnachtszeit in seine Erinnerung, tauchten auf aus einer lang vergangenen Zeit, als er jung, unbedacht und übermütig gewesen war. Eine zierliche Figur, ein ovales Gesicht, beherrscht von haselnussbraunen Augen, aus denen die kupfernen Punkte wie kleine Blitze unvermutet herausschießen konnten und verführerisch-volle Lippen, die einen Mann in den Wahnsinn zu treiben vermochten, alles verknüpft mit EINEM Namen – Manon-Catherine Lefort. Sein Paris von damals mit ihr, so weit zurück und weg. War das wirklich er gewesen? Es fühlte sich wie in einem anderen Leben an, wäre da nicht eine Folge gewesen, die ihn auch heute noch, besonders in dieser so speziellen Jahreszeit, quälte und ihm manchmal den Atem nahm.

    Unwillig über sich selbst, schüttelte er still den Kopf und sah auf die Frau an seiner Seite, roch den zarten Blütenduft ihres Parfums und konnte in seinem Gedächtnis das Grün ihrer Augen sich in einer Palette an Gefühlen verändern sehen. Sein Herz, anders als früher in Paris, reifer, älter, vielleicht weiser und beständiger? Er wusste es nicht mit Sicherheit, wollte jetzt nicht grübeln und zwang sich in die Gegenwart.

    Hannas Fingerspitzen zeichneten das feine Relief auf dem Rund des Schmuckstückes nach. Den Stamm und die Zweige des Baumes, die von der Erde bis in die Wolken reichten. Oder doch von der Hölle bis in den Himmel?

    Leben – Tod. So schnell alles vorbei und niemand wusste den Moment. Ein Lachen, das minutenschnell erstarb und Trauer, die ewig währte. Wärme, die in den Himmel flog und Kälte, die in alle Nervenritzen kroch. Ein Kreis – ohne Anfang und ohne Ende. Beginn, kaum bemerkt und Unendlichkeit, nur einen Atemzug entfernt.

    Hannas Hand begann zu zittern und Kühle breitete sich von den Kuppen aus, über den gesamten Körper, bis hindurch in ihre Seele. Da spürte sie den warmen Atem von Paul, nah an ihrem Gesicht, und blickte auf in das Dunkelgrau seiner Augen.

    Im nächsten Augenblick beugte er sich über sie und sie fühlte die zarte Berührung seiner Finger, als er ihr die Kette mit dem Anhänger um den Hals legte.

    „Das ist dein Baum des Lebens. Möge er dir Glück bringen und Blätter auf ihm so viele Jahre sprießen, wie du ertragen kannst."

    Hanna blinzelte die aufsteigenden Tränen weg und schluckte, bevor sie heiser ihren Dank stammeln konnte. Sie küsste Paul und flüsterte leise „Ich liebe dich. Da umarmte er sie fest und sein kaum hörbares „Ich dich auch ließ die Welt für Sekunden still stehen.

    Kapitel 2

    Wuff, wuff, grr, grr, Ding-dong, Ding-dong, wuff, wuff.

    „Ja, ich komme schon", brüllte Hanna beim Fenster hinaus, indem sie schnell den rechten Flügel aufriss. Doch bis sie endlich, vorbei an der aufgeregt bellenden Burgi, das Gartentor erreichte, war der Postbote auf seinem Moped bereits weitergefahren, winkte ihr noch zu und deutete auf die Buchs-Hecke.

    Ah, richtig, hier hatte er ein größeres Kuvert deponiert. Hanna blickte auf den Absender: Linda Gruber, wohnhaft in einem Ort ihres Bezirkes, und der Empfänger war ihr Mann Bernhard. Schnell durchforstete sie ihre Hirn-Festplatte und hatte gleich darauf die passende Information: Reha nach Bernhards Hüft-OP, Leidensgenossin, oftmals in Erzählungen erwähnt, ein Verhältnis mit ihr geleugnet.

    Letzteres hätte sie beinahe dazu verleitet, den Umschlag zu öffnen, so wie sie es früher, stets auf das Einverständnis ihres Mannes bauend, getan hatte. Doch seit Paul hatte sie Skrupel, weil sie die gleiche Bedenkenlosigkeit ihr selbst gegenüber nicht schätzen würde. So verzichtete sie, ihrer Neugierde nachzugeben und brachte die Post ins Haus.

    Bernhard hob überrascht die Brauen, riss beinahe ungehalten den Verschluss auf und zog einen Briefbogen heraus, dem ein Haufen Fotos hinterherpurzelten. Mit gerunzelter Stirn überflog er die Nachricht, lachte ein paar Mal herzhaft und in einem amüsierten Lächeln glätteten sich seine Züge. Auffordernd reichte er Hanna das DIN-A4-Blatt, die es zögerlich ergriff und die Zeilen überflog.

    Wie es ihm ginge? Ob er brav seine Übungen und die Ergotherapie absolviere oder bereits faul w.o. gegeben hätte? Gewicht gehalten? Oder zu müdem Sack zurückgefallen? …… Sie habe die beigelegten Fotos ausgedruckt, weil sie um seinen Kampf mit Bits und Bytes Bescheid wüsste. Schließlich stünde er mit PC & Co auf Kriegsfuß, weswegen sie von einer Übermittlung mittels Mail-Programm abgesehen hätte. Es sei denn, er wäre inzwischen zu einem IT-Experten mutiert. ……

    Du lieber Himmel, die Frau hatte Humor und wusste Bernhard zu nehmen. Hanna konnte sich kaum ein herzhaftes Schmunzeln verkneifen, das sich dann doch in einem kurzen Auflachen Bahn brach.

    „Du wirst dich doch hoffentlich bedanken und auch ein paar nette, persönliche Worte für diese Linda finden?, fragte Hanna und zog dabei eine Braue in die Höhe. „Sie hat dir sogar ihre Email-Adresse angefügt.

    „Wenn du meinst", grummelte Bernhard unwillig und sah sich schon in einem ungleichen Kampf mit Tastatur, Maus und Mail-Programm verstrickt. Ihm blieb aber nichts erspart, hatte er doch bereits Hannas diverse Belehrungen dazu beinahe vergessen. Nun würde er sich, nolens volens, wieder daran erinnern müssen.

    Während er noch seufzte und an seine Pflicht der Höflichkeit dachte, begleitet von ein paar unerwünschten, heißeren Erinnerungen, betrachtete Hanna die diversen Fotos.

    Gern kam er ihrer Aufforderung nach Erklärung nach, nannte ihr Namen von Reha-Gefährten und Ausflugszielen wie diesem beschaulichen Heurigen oder bestimmte erheiternde Situationen zu manchem Schnappschuss, wie die von ihm unelegant ausgeführte Unterwassergymnastik.

    Da hatte er sich damals doch unversehens in einem Vergleich mit einer Robbe oder, schlimmer noch, mit einem Seehund an Land wiedergefunden.

    Die Neckereien fielen ihm wieder ein und Lindas selbstironische Anmerkung zu sich selbst als Elefantin im Wasserladen. Dabei wurde ihm eigenartigerweise leichter ums Herz und die Erinnerung an die vier Wochen, die ihm ursprünglich wie eine endlose Dauer an Widerwärtigkeiten erschienen war, zauberte ihm Entspannung und Erheiterung in sein Gesicht.

    Hanna musterte die Bilder, hielt das eine oder andere länger in der Hand und blickte verstohlen auf Bernhard.

    Wie sich seine Miene veränderte, dachte sie, verglich die Fotos vor ihr mit ihren Erinnerungen und rief sich seinen Ausdruck der letzten Jahre ins Gedächtnis.

    Meine Güte, wann hatte sie zuletzt diese Unbeschwertheit, diesen Charme, dieses amüsierte Mundwinkelhochziehen bei ihm gesehen?

    Dieses befreite Lachen und diesen Eroberungsblick?

    Diesen Hauch an erotischem Begehren in seinen Augen und die schmalen Finger in Besitzstreben um eine Damenschulter?

    Wehmut machte sich wie eine anschwellende Woge in ihr breit. – Ja, ganz zu Beginn ihrer Bekanntschaft und jungen Liebe war er genauso gewesen. Dieses Amüsement, diese unausgesprochene Herausforderung und diese frivole Frage in seinen Augen. Diese Anspannung eines Jägers und zugleich diese lauernde Geduld eines Erstürmers einer Beute, genannt Frau.

    Hilflos wischte sie sich eine Haarsträhne aus der Stirn und wusste, dass diese Empfindungen ihr gegenüber verschwunden waren, unwiderruflich, wie sie mit schmerzender Klarheit erkannte.

    Da gab es kein Heucheln oder Leugnen, nicht mehr.

    Zitternd strich sie über die Bilder, schob sie wieder zu einem Stoß zusammen und murmelte eine Entschuldigung. Dann stand sie auf, Chaos im Kopf, Denken wie ein Knäuel aus verworrenen, grellbunten bis grauschwarzen Bändern und eine Hand, die sich hilflos ein paar stille Tränen von der Wange wischte.

    Meine Güte, diese Linda, unglaublich.

    Was sollte er ihr bloß schreiben? Bernhard grübelte und nahm sich vor, einfach einmal ‚Danke‘ zu sagen und sich dann für die weiteren Worte von seiner Intuition inspirieren zu lassen.

    Während er Lindas Schreiben noch einmal überflog und die ihm besonders zusagenden Fotos nebeneinander auffächerte, startete er seinen Laptop und kramte Hannas Anweisungen aus seinem Gedächtnis. Hätte er einen Spiegel vor sich gehabt, hätte er sich vielleicht über seine erheiterte Miene und das Blitzen in seinen Augen gewundert. So jedoch fühlte er nur eine eigenartige Freude und Beschwingtheit, als er in immer schnellerem und sichererem Takt in die Tastatur klopfte.

    Ohne sich nochmals seinen Text durchzulesen oder Bedenken über seine Formulierungen oder seine Offenheit aufkommen zu lassen, klickte er auf ‚SENDEN‘.

    Warum sollte er nicht dort fortsetzen, wo sie in ihrer Vertraulichkeit bei der Reha aufgehört hatten? Nein, er würde kein schlechtes Gewissen haben, wenn er auch eine Seelenverwandte hätte, die nicht einmal seine Geliebte war.

    Noch nicht, flüsterte da eine Stimme in ihm. Wenn ja, was dann, fragte eine andere, leise mahnende.

    Da gibt es doch Paul, schrie etwas in ihm, vermutlich sein männlicher Stolz oder aber sein gekränktes Ego.

    Vielleicht auch sein verletztes Herz.

    Kapitel 3

    Claire-Paulette Lefort griff mit zitternden Fingern nach dem Brief, den ihr der Notar entgegenhielt. Er trug

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1