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Psychoterrorist
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eBook311 Seiten3 Stunden

Psychoterrorist

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Über dieses E-Book

Sehnsucht nach Liebe.
Ist es nicht das, was uns alle bewegt?

Immerhin treibt diese Sehnsucht Lena dazu, eine Kontaktanzeige ins Internet zu setzen.
Schon nach dem ersten Date mit Julio glaubt sie, den perfekten Mann fürs Leben gefunden zu haben.
Doch hinter seiner glänzenden Fassade verbergen sich Abgründe, die sie in ihrer Verliebtheit nicht einmal erahnt.
Ohne dass sich Lena dessen bewusst ist, entwickelt sich die Beziehung immer mehr zur Seelenfolter.
Wird sie je wieder heil aus dem Geflecht subtiler Manipulationen herauskommen?

Ein dramatischer Beziehungsthriller, angelehnt an eine wahre Begebenheit


»… was ich in diesem Roman erzähle, ist nicht meine Geschichte und doch gründet sie auf eigenen Erfahrungen.
Es sind Gefühle, die ich selbst erlebt habe, Gefühle der Selbstzweifel, Beklemmung, Hilflosigkeit und Angst.
Denn das Fatale an der subtilen Gewalt ist die Hinterhältigkeit, mit der sie sich schleichend langsam immer
weiter entfaltet, bis sie einem gänzlich die Luft zum Atmen raubt.
Lange habe ich dieses Projekt hinausgezögert, doch nun ist es an der Zeit, Licht auf die Schatten zu werfen.
Als Romantasy-Autorin möchte ich vorneweg schicken, dass das reale Leben manchmal fantastischere, groteskere
und unwirklichere Geschichten hervorbringt als jede Fantasie.
Dieser Roman taucht ein in Abgründe der menschlichen Psyche, die Sie kaum für möglich halten und doch
steckt mehr Realität darin, als Sie glauben werden.

Ihre Bella Muray«

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum9. Feb. 2020
ISBN9783748729037
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    Buchvorschau

    Psychoterrorist - Bella Muray

    PSYCHOTERRORIST

    PSYCHOTERRORIST

    Bella Muray

    Grenzenlose Liebe

    Deine Umarmung ist mein Gefängnis,

    das mir die Luft zum Atmen raubt.

    Deine Nähe ist meine Beklemmung,

    die mir die Freiheit zu Leben nimmt.

    Deine sentimentalen Erinnerungen

    knüpfen dicke Knoten in meinem Bauch.

    Das, was Du Liebe nennst,

    zerquetscht mich in einer Presse

    aus falscher Verpflichtung

    und manipuliertem Gewissen.

    Mit Deiner Weise zu lieben

    haben Deine Grenzen die meinen

    meilenweit überschritten.

    Ein unheimliches Geschenk

    Innere Leere lässt sich nur scheinbar durch einen Partner füllen.

    Weiße Engel des Todes, dachte Lena beim Blick aus dem Fenster.

    Sie stand in ihrem Zimmer im zweiten Stock des Studentenwohnheims. Draußen hatten die Bäume bereits ihre Blüten entfaltet, doch vom Himmel schwebten dicke Schneeflocken und legten sich auf die noch jungen Triebe, hüllten das hervorsprießende Leben in einen zarten Mantel aus Eiskristallen.

    Sobald das Plasma gefriert, platzen die Zellwände und das Gewebe stirbt ab – für Lena als Biologiestudentin eine naheliegende Betrachtungsweise, die jedoch keineswegs so nüchtern war, wie es den Anschein haben mochte. Es war, als ob die Szene vor dem Fenster ein verborgenes Gefühl spiegelte. Vom Anblick dieser fragilen Schönheit gefangen, beobachtete sie, wie sich allmählich ein weißer Flaum um die zarten Blätter und Blüten legte.

    Eiskalt.

    Dabei sehnte sie sich doch so sehr nach der Wärme einer Liebesbeziehung. Da war so eine undefinierbare Leere in ihr, obwohl rein äußerlich alles perfekt zu sein schien.

    Ein leises Pling riss Lena aus der Starre. Ihre Aufmerksamkeit wanderte zu den leuchtenden Ziffern auf dem Bildschirm. Eine neue Nachricht blinkte im E-Mail-Postfach. Es waren viele Rückmeldungen auf ihre Kontaktanzeige hin gekommen – von unbekannten Männern, deren wahres Wesen sich übers Netz lediglich erahnen ließ. Natürlich war ihr klar, dass sie vorsichtig sein musste – allzu oft hörte man Schauergeschichten über Frauen, die nach einem Date mit einem Verehrer nicht wiederkehrten, von Perverslingen, die Opfer für abstruse Sexpraktiken suchten oder über Männer, die lediglich auf ein schnelles Abenteuer aus waren. Sicherlich bot das Internet nicht die optimalen Voraussetzungen, um einen Partner fürs Leben zu finden, doch rein zufällig war ihr die große Liebe bisher leider nicht über den Weg gelaufen. Mit dem knappen Budget einer Studentin konnte sie das Geld für ein seröses Datingportal nicht aufbringen. Aber wie so viele junge Frauen träumte auch Lena von der großen, einzigartigen Liebe, um ihrem Leben einen Sinn zu geben, um die einsame Leere in ihrem Inneren auszufüllen. Dafür ging sie auch schon mal riskante Wege. Sicher gab es im Wohnheim einige Studenten, denen sie gefallen würde, denn Lena war eine attraktive junge Frau, doch hier hatte sich bislang niemand gefunden, der ihre Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit hätte stillen können, niemand, mit dem sie sowohl ihr Bett als auch ihr Leben teilen wollte.

    Ein Date hatte Lena bereits wahrgenommen. Der Kandidat schien vielversprechend, fast schon ein Seelenverwandter zu sein. Allein durch ihre Gespräche im Chat, sein Foto und seine Art hatte sich Lena in ihn verliebt. Aber als sie den jungen Mann dann persönlich getroffen hatte, waren die Schmetterlinge ziemlich schnell wieder fortgeflogen. Es gehört eben mehr zu einem Menschen als seine Gedanken und seine Fähigkeit, schöne Worte zu formulieren. Weder seine Ausstrahlung noch die Art, wie er sich gab, ließen die Funken zwischen ihnen sprühen. Er sah anders aus als auf dem Bild, das er ihr geschickt, und erst recht anders als auf dem, das sie sich in ihrem Kopf zusammengezimmert hatte. Das Foto zeigte zwar eindeutig ihn, allerdings hatte der Fotograf ihn sehr vorteilhaft in Szene gesetzt.

    Aber wer konnte ihm das verübeln? Im Grunde versuchte jeder, sich von seiner besten Seite zu präsentieren, oder nicht?

    Die neue E-Mail stammte von einem Unbekannten und trug den Titel »Eine besondere Überraschung für einen besonderen Menschen«.

    Klingt fast wie ein Werbeslogan. Wer schreibt denn so was?, wunderte sich Lena.

    Als sie die Nachricht öffnete, fand sie nichts als das Foto eines kunstvoll dekorierten Pakets. Ihre Neugier war geweckt, das hatte dieser Mann zumindest schon einmal geschafft.

    »Hallo Unbekannter, was finde ich, wenn ich das Paket öffne?«

    Die Antwort ließ auf sich warten. Als am Abend noch immer keine Nachricht von Mister Unbekannt eingegangen war, glaubte Lena tatsächlich schon an einen Werbegag, was aber unwahrscheinlich war, denn diese E-Mail-Adresse nutzte sie ausschließlich für die Kontakte der Anzeige.

    Aber vielleicht hat sich jemand einen blöden Scherz erlaubt, überlegte sie.

    Plötzlich klopfte es an der Tür und als Lena öffnete, strahlte ihr Tom, einer der zwölf Mitbewohner im Stockwerk D3, mit breitem Grinsen entgegen.

    »Das hat ein Bote unten für dich abgegeben«, erklärte er, wobei seine Augen vor Neugier glühten.

    In den Händen hielt er ein Paket, das exakt so aussah, wie das auf dem Foto des Unbekannten, und darauf prangte obendrein ein Schild mit ihrem Namen: »Lena Sommer«. Sie zuckte erschrocken zusammen. Sprachlos starrte sie das Päckchen an. Innerlich wirbelte ein ganzer Cocktail an Gefühlen.

    Die Idee ist ja extrem originell, aber andererseits verdammt gruselig. Woher kennt dieser Typ meine Adresse?

    Lenas Herz raste und kleine Schweißperlen sammelten sich auf ihrer Stirn.

    »Was ist los, Lena? Ein bisschen mehr Freude hätte ich schon erwartet«, wunderte sich Tom über ihre Reaktion.

    Ihren Mitbewohner hatte sie vor lauter Schreck beinahe vergessen.

    »Äh, d-danke, Tom«, stammelte sie und griff hastig nach dem Geschenk.

    Doch er zog das Paket rasch zurück und hielt es unerreichbar hoch über seinen Kopf. Das war zu viel.

    »Lass das!«

    In ihrer Stimme lag ein Hauch von Hysterie, sodass er das Paket wieder sinken ließ. Seine belustigte Miene wandelte sich in eine besorgte.

    »Stimmt etwas nicht mit dem Paket? Was ist los?«

    Sie wich seinem Blick aus, entriss ihm hastig das Geschenk und drückte eilig die Tür zu. Im letzten Moment griff Tom nach der Klinke und hielt dagegen.

    »Lena, wenn du Hilfe brauchst, gib mir Bescheid, okay?«, rief er durch den Spalt.

    »Jaja, danke!«, antwortete sie hastig, während sie die Tür ins Schloss schob.

    Als sie endlich allein war, stellte sie das Geschenk auf ihren Schreibtisch, setzte sich auf den Bürostuhl und starrte es an, als handelte es sich um ein Tier von einem fremden Planeten.

    Ob ich es wirklich öffnen soll? Was, wenn da ein Irrer eine Bombe drin versteckt hat oder Gift oder irgendetwas Perverses?

    Das Handy klingelte und Lena zuckte vor Schreck zusammen. Genervt kontrollierte sie das Display. Mama. Ihre Mutter war mit der besonderen Begabung gesegnet, in den unpassendsten Momenten anzurufen. Vielleicht lag es daran, dass sie nach der Scheidung allein in einem großen Haus lebte – mehrere Hundert Kilometer entfernt von Frankfurt – und in der Stille ihrer vier Wände einen siebten Sinn für das falsche Timing entwickelt hatte. Doch Brigitte würde sich jetzt gedulden müssen; vor lauter Aufregung wäre Lena kaum in der Lage, ein vernünftiges Telefongespräch mit ihrer Mutter zu führen. Sie schaltete das Handy stumm und widmete sich wieder dem Paket.

    Ihre Hände streiften zitternd über das weiße Geschenkpapier, bis sie die rote Schleife auf der Oberseite erreichten.

    Lenas Herz pochte fast hörbar in ihrem Brustkorb, als sie das purpurne Geschenkband löste. Dann zog sie vorsichtig das weiße Papier auseinander. Eine gläserne Kugel kam zum Vorschein. Was sie darin erblickte, ließ ihr für eine Sekunde den Atem stocken.

    In einem Bett aus roten und weißen Schmucksteinen steckte ein wundervoll dekorierter Blumenstrauß. Accessoires wie Schleifen, Kristalle und Muscheln waren farblich perfekt aufeinander abgestimmt. Die Kugel ruhte auf einem Sockel aus schwarzem Holz. Gebannt von dieser kleinen Welt im Glas, betrachtete Lena für einige Minuten fasziniert das wundervolle Geschenk. Erst als sie den Sockel anhob, um die schillernden Perlen auf der gegenüberliegenden Seite genauer zu betrachten, entdeckte sie einen Umschlag, der an der Unterseite befestigt war. Wieder schlug ihr Herz mehrfache Saltos. Hier würde sie vielleicht endlich eine Antwort auf das Rätsel finden, das ihr dieses Präsent bescherte. Lena zog einen Brief aus dem Umschlag und entfaltete ihn. Sie musste sich zwingen, die Hände ruhig zu halten, um den in sauberer Handschrift geschriebenen Text lesen zu können.

    »Liebe Lena,

    ich hoffe, ich habe Dich nicht erschreckt mit meinem Geschenk. Du hast Dich mit mir bereits unter meinem Nickname ›Topolino‹ unterhalten und mir dabei netterweise deinen echten Namen genannt. Da Du mir ja erzählt hast, dass Du in einem Frankfurter Studentenwohnheim wohnst, war es dank meiner Beziehungen nicht weiter schwer, Deine Adresse herauszufinden. Ich hoffe, Du verzeihst mir meine Neugier auf Dich und meine ungewöhnliche Überraschungsaktion. Sicher erhältst Du viele Zuschriften, da dachte ich, dass ich mir schon etwas Besonderes einfallen lassen muss, um ein Date mit Dir zu ergattern.

    Ich freue mich schon auf Deine Antwort.

    Liebe Grüße

    Julio«

    Ein riesengroßer Stein der Erleichterung fiel Lena vom Herzen. Es war kein perverser Stalker, der sie hier beschenkt hatte, sondern jemand, den sie offensichtlich vom Chatten her kannte. Sie erinnerte sich an die Nachrichten, die sie mit Topolino ausgetauscht hatte – er hatte ihr dabei auch seinen echten Namen verraten: Julio Rodriguez. Die Unterhaltungen mit ihm waren nett gewesen, dennoch war er ihr unter den vielen Kontakten nicht besonders aufgefallen. Aber durch dieses Geschenk war es ihm gelungen, aus der Masse an Zuschriften deutlich hervorzustechen.

    Lena setzte sich an ihren Computer und las erneut alle Mails durch, die sie von Topolino erhalten hatte. Sie erinnerte sich, dass er eine mittelständische Firma leitete. Viel konnte sie sich allerdings nicht darunter vorstellen, denn ihr Blick reichte kaum über das Studentendasein als angehende Biologin hinaus. Lena liebte das abwechslungsreiche Studium und fühlte sich wohl in ihrem kleinen Zimmer mit Waschbecken, Bett, Schreibtisch, begehbarem Kleiderschrank und Bücherregal. Die Möbel waren fast komplett in Weiß gehalten, die Türen von Zimmer und Schrank mit grünem Lack überzogen, das Bett ließ sich tagsüber zu einer Couch umfunktionieren. Jedes der vier Stockwerke wurde von einem schlauchförmigen Flur durchzogen, in dem sich rechts und links insgesamt zwölf Zimmer aufreihten, am Ende des Ganges befand sich die Gemeinschaftsküche und gleich daneben lag das Bad mit zwei Duschkabinen sowie drei Toiletten.

    Eine neue Nachricht erschien im E-Mail-Postfach. Der Nickname Topolino sprang ihr förmlich ins Gesicht.

    »Möchtest Du mit mir chatten?«, stand im Header, die Mail selbst war leer.

    Aufgeregt öffnete Lena das Chatfenster und schrieb an Topolino.

    > Hallo!

    > Schön, dass du dich meldest! Wie hat dir mein Geschenk gefallen?

    > Sehr gut. Vielen Dank! Es ist wundervoll.

    > Freut mich. Was machst du gerade?

    > Nichts Besonderes. Im Moment chatte ich mit dir ;-).

    > Und das nennst du nichts Besonderes?

    Reingefallen! Aber bestimmt war das humorvoll gemeint, oder?

    Es war so schwer, zwischen den Zeilen zu lesen, wenn kein Emoji dabeistand.

    > So war das nicht gemeint.

    > Natürlich nicht! Ich mache nur Spaß! ;-) Ich stehe zu deiner Verfügung. Was möchtest du wissen?

    Natürlich wollte sie mehr über ihn erfahren. Da fielen ihr diese Onlinetests ein, mit denen man angeblich den perfekten Traumpartner ermitteln konnte. Ohne weiter darüber nachzudenken schrieb sie:

    > Was sind deine größten Stärken und Schwächen?

    Oje, hoffentlich ist diese Frage nicht zu persönlich, wo wir uns doch kaum kennen, überlegte sie im selben Augenblick, als sie den Satz wegschickte.

    Tatsächlich ließ die Antwort unangenehm lange auf sich warten. Schon wollte sie sich für die persönliche Frage entschuldigen, als sein Text im Chatfenster auftauchte:

    > Hoppla, wird das jetzt eine SWOT-Analyse? Also gut, meine Persönlichkeit kurz zusammengefasst: Ich bin ungeduldig, neugierig, erfolgreich, eloquent, emotional, charmant und manchmal pedantisch. Was ich überhaupt nicht leiden kann ist Besserwisserei. Und wie siehts mit dir aus? Wie würdest du dich beschreiben?

    Lena atmete tief durch. Topolinos Antwort klang sympathisch und ehrlich – weshalb hätte er sich auch sonst als Pedant geoutet? Und Menschen ohne kleine Macken gibt es ja schließlich nur im Märchen, entschuldigte sie ihn innerlich und tippte dann ihre Antwort.

    > Als romantisch, natürlich, kreativ und sensibel. Und was ist überhaupt eine SWOT-Analyse?

    > SWOT = Strengths (Stärken), Weaknesses (Schwächen), Opportunities (Chancen) und Threats (Bedrohungen) – ein Instrument der strategischen Planung. Was du beschreibst, sind alles Eigenschaften, die ich am weiblichen Geschlecht sehr schätze. Nun habe ich eine ungefähre Vorstellung von deiner Art, und hm … ich weiß, so etwas fragt man eigentlich nicht direkt … aber wie darf ich mir ein Bild von Lena Sommer vorstellen? Wie siehst du aus?

    > Blonde, glatte Haare und blaue Augen. Ich würde mich zumindest nicht als hässlich bezeichnen. Und du?

    > Wie die meisten Männer spanischer Herkunft bin ich schwarzhaarig. Dafür sind meine Augen aber grün.

    > Oh, deine Eltern sind Spanier? Beide?

    > Ja, aber sie sind nach Deutschland eingewandert, bevor sie mich zur Welt gebracht haben.

    > Hätte ich mir eigentlich denken können, beim Vornamen Julio.

    > Weißt du was, morgen Nachmittag fällt ein Termin aus, da könnte ich eventuell etwas Zeit freischaufeln. Wenn du Lust hast, können wir uns treffen.

    Lena hielt einen Moment die Luft an. Julio hatte sie neugierig gemacht und soweit sie das einschätzen konnte, schien er in Ordnung zu sein.

    > Okay! Und wo?

    > Wie wäre es mit dem Palmengarten? Das passt doch zu einer Biologin.

    Lena lächelte. Die Idee gefiel ihr, zumal der Palmengarten in der Nähe der Uni lag.

    > Gerne! Mein Praktikum dauert nur bis 12 Uhr, nachmittags habe ich frei.

    > Wollen wir uns um 15 Uhr vor dem Osteingang treffen?

    > Ja, das ginge. Woran erkenne ich dich?

    > Ich komme direkt von einem Geschäftstermin, deshalb werde ich einen Anzug tragen. Wahrscheinlich gehen nicht viele Leute um diese Uhrzeit in Businesskleidung in den Palmengarten.

    > Gut, dann halte ich Ausschau nach einem dunkelhaarigen Mann im Anzug.

    > Ich freue mich auf dich. Bis morgen, Lena. Ich muss jetzt Schluss machen, ein wichtiges Meeting steht an. Tschüss.

    > Tschüss!

    Topolinos Icon verschwand aus dem Chatfenster. Lena scrollte noch einmal nach oben, um den Text in eine Datei zu kopieren. Immer wieder las sie die Zeilen durch und versuchte dabei, ein Bild von diesem Mann zu kreieren. Vielleicht hätten sie doch lieber Fotos austauschen sollen. Nach ihrer letzten Erfahrung war ihr allerdings klar, dass auch ein Bild über die Wirklichkeit hinwegtäuschen konnte.

    Plötzlich klopfte es an der Tür.

    »Ja?«, rief Lena, mit den Gedanken noch immer bei ihrer neuen Bekanntschaft. Tom lugte herein.

    »Wir sammeln Spieler für die Uno-Runde. Machst du mit?«

    »Okay«, antwortete sie.

    Ein Strahlen erhellte sein Gesicht. Uno artete in der Studentenrunde immer in jede Menge Gelächter und gute Laune aus. Auf ihrem Stockwerk fühlte sich Lena manchmal wie in einer kleinen Familie. Dennoch konnte das nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie diese allgegenwärtige unerfüllte Sehnsucht in sich trug – eine Leere, die sie mit der Liebe und Geborgenheit des perfekten Partners zu füllen hoffte.

    Lena fuhr das Notebook herunter und folgte Tom in die Küche, wo Karin bereits die Karten mischte. Sarah und Bernd nickten ihr freudig zu. Sie zog einen der orangen Plastikstühle zurück und setzte sich dazu.

    Die fünf Karten, welche vor ihr auf dem Tisch lagen, versprachen ein amüsantes Spiel und tatsächlich war Lena in den folgenden beiden Stunden so abgelenkt, dass das Treffen mit Topolino fast völlig in den Hintergrund geriet. Am Abend aßen die Studenten den gemeinsam gebackenen Zwiebelkuchen, während Musikvideos aus dem Fernseher die Küche beschallten. Erst als Lena später in ihrem Bett lag, begannen ihre Gedanken um Topolino alias Julio zu kreisen.

    Ihr Herz hüpfte, wenn sie nur an ihn dachte, und gleichzeitig ermahnte sie sich immer wieder, nicht zu viel in ihn hineinzuprojizieren. Er könnte sich schließlich als große Enttäuschung entpuppen. Und dann war da auch noch die Angst vor dem Unbekannten: ein fremder Mann und eine noch nicht geschriebene Zukunft.

    Date mit Malheur

    Verführung ist die gewaltlose Kunst der Manipulation.

    Noch eine Stunde, dann würde Lena Julio gegenüberstehen. Bisher hatte sie es geschafft, die Aufregung einigermaßen im Zaum zu halten. Ein wenig schüchtern und zurückhaltend wie sie war, bevorzugte sie einen schlichten Kleidungsstil – Jeans, Sneakers, Shirt –, doch für das Date kam die Standardkluft nicht infrage, denn natürlich wollte sie einen guten ersten Eindruck hinterlassen. Nachdem der Frühling gerade noch den letzten Schnee geschickt hatte, waren die Temperaturen auf einmal so stark angestiegen, dass sich das Eis nicht halten konnte. Bei 25 Grad Außentemperatur war ein sommerliches Outfit daher durchaus angebracht. Neben Hosen und Röcken baumelten drei Kleider am Bügel – ein cremefarbenes mit violetten Blumen, ein beiges und ein blaues. Dank ihrer schlanken Figur standen Lena aber auch die langen Wickelröcke, die sie während eines botanischen Praktikums in den mittelamerikanischen Tropen erworben hatte, ausgezeichnet. So wählte sie schließlich einen dunkelblauen Wickelrock und ein farblich passendes, bauchfreies Top. Mit Schminke hatte sie sich noch nie richtig wohlgefühlt, aber ein wenig Rouge und transparenter Lipgloss mussten dann doch herhalten, um ihre Fassade ein wenig aufzuwerten.

    Die Zeit schritt unaufhörlich voran, trieb ihre Nervosität immer weiter. Irgendwann hielt Lena es nicht mehr aus. Sie schlüpfte in ein paar Sneakers und überließ das Zimmer sich selbst. Da sich sowohl Uni als auch Studentenwohnheim in der Nähe des Palmengartens befanden, legte sie den Weg zu Fuß zurück. Es blieb zwar noch genügend Zeit, aber lieber wollte sie ein wenig auf Topolino warten, als zu spät zu kommen.

    Lena stand etwas abseits des Eingangs und beobachtete angespannt die Leute auf der Straße. Das flaue Gefühl im Magen wollte nicht nachlassen. Unruhig verlagerte sie ihr Gewicht von einem Bein auf das andere, ohne Aussicht darauf, jemals eine entspannte Körperhaltung zu finden.

    Verflixt, ich drehe noch durch! Wie werde ich diese schreckliche Nervosität los?

    Zahlreiche Männer im Anzug wanderten an ihr vorbei – was wollten die nur hier? Offenbar führte seit Kurzem die Umleitung für in Stau geratene Geschäftsleute ausgerechnet am Palmengarten vorbei. Jedes Mal, wenn sich ein Anzugträger näherte, beschleunigte sich Lenas Herzschlag, in ihren Achselhöhlen sammelte sich unangenehme Feuchtigkeit und die Nervosität schien sich förmlich an einem Reibeisen aufzuwetzen. Lena versuchte, jedes Gesicht unauffällig zu mustern.

    Ein dunkelhaariger Mann in schwarzem Anzug näherte sich dem Eingang des Palmengartens und sah sich dabei aufmerksam um.

    Das könnte er sein! Aber seine Augen … O Gott, der hat so einen kalten Blick! Bitte nicht! Hoffentlich ist das nicht Topolino!, betete sie innerlich.

    Der Fremde musterte Lena flüchtig und ging dann wortlos an ihr vorüber. Noch während sie erleichtert aufatmete, kam bereits ein weiterer Geschäftsmann auf sie zu. Seine dunkelblonden Haare waren zu einem Seitenscheitel gekämmt, das schmale Gesicht wirkte blass.

    Der sieht nicht gerade nach südländischer Herkunft aus, das wird er wohl eher nicht sein, dachte sie und sah sich weiter um. Doch der Mann steuerte geradewegs auf sie zu. Lena sah forschend zu ihm auf, als er sie ansprach.

    »Entschuldigung, haben Sie vielleicht Feuer?«, fragte er und blitzte die Studentin mit seinen tiefblauen Augen einen Tick zu charmant an.

    Obendrein wurde ihr die Zweideutigkeit seiner Frage bewusst. Aber für derartige Flirts hatte sie jetzt absolut keinen Kopf und außerdem wirkte dieser Typ nicht besonders anziehend.

    »Äh, nein, ich rauche nicht«, antwortete sie daher knapp und senkte den Blick Richtung Bordsteinkante, wo ein verklebter Kaugummi ihre Aufmerksamkeit gefangen hielt.

    Der Fremde zog wortlos ab. Lenas Aufregung stieg von Minute zu Minute weiter an. Sie blickte in verschiedene Gesichter, aber bisher war nicht mal ein Ansatz ihres Traumtypen dabei gewesen. Ihre Nerven lagen so blank, dass sie kurz davor war, einfach wieder zu verschwinden.

    Wieso haben wir bloß keine Handynummern ausgetauscht?

    Dann hätte sie jetzt wenigstens eine SMS schicken können, fragen, wo er blieb; oder er hätte Bescheid geben können, wenn ihm etwas dazwischengekommen wäre.

    Wie spät ist es eigentlich?

    Lena zückte ihr Handy, um nach der Zeit zu sehen: 15:15 Uhr. Da verdeckte plötzlich eine rote Rose das Display. Reflexartig schob sie das störende Gewächs beiseite, doch im nächsten Moment zuckte sie zusammen und sah auf. Sie blickte in ein freundliches Gesicht, das aus einer Modezeitschrift entsprungen sein musste. Die tiefschwarzen Haare bildeten einen mystischen Kontrast zur grünen Iris seiner Augen und der leicht gebräunte Teint deutete auf einen ausgiebigen Urlaub in der Sonne hin.

    »Lena Sommer?«, fragte mit einer tiefen, warmen Stimme.

    »Topolino?«, flüsterte sie kaum hörbar.

    Sie musste sich zurückhalten, um ihm nicht überschwänglich in die Arme zu fallen, denn nach der angespannten Warterei fühlte sie sich bei seinem Anblick urplötzlich wie auf eine Wolke der Glückseligkeit katapultiert. Mit einer derart positiven Überraschung hatte sie nicht gerechnet und sie konnte gar nicht aufhören, ihn selig anzugrinsen. Julio lächelte sie ebenfalls freudig überrascht an, doch irgendwann wurde Lena bewusst, wie peinlich lange sie sich schon in die Augen sahen. Hitze schoss in ihre Wangen. Schüchtern senkte Lena den Blick – mal wieder zur Bordsteinkante. Dort hatte sich zum Kaugummi die rote Rose gesellt, die Lena Topolino versehentlich aus der Hand gewischt hatte.

    »Du hast etwas verloren«, bemerkte er, bückte sich und reichte Lena die Blume.

    »Danke«, antwortete sie und kicherte verlegen.

    »Ich konnte die Verkäuferin im Blumenladen nur mit Mühe davon abhalten, mir ihre gesamte Lebensgeschichte zu erzählen, deshalb komme ich leider etwas zu spät. Tut mir leid«, entschuldigte

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