Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Schalentiere, Wandern und andere Schwierigkeiten: Ein lesbischer Liebesroman
Schalentiere, Wandern und andere Schwierigkeiten: Ein lesbischer Liebesroman
Schalentiere, Wandern und andere Schwierigkeiten: Ein lesbischer Liebesroman
eBook325 Seiten4 Stunden

Schalentiere, Wandern und andere Schwierigkeiten: Ein lesbischer Liebesroman

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Paula ist Ende dreißig und sammelt Frauenherzen. Tiefergehende Gefühle sind gefährlich, wie sie aus schmerzhafter Erfahrung weiß. Das Haltbarkeitsdatum dieser leidenschaftlichen Begegnungen übertrifft deshalb selten den Sonnenaufgang am nächsten Morgen. Wer liegt neben ihr? Und wie heißen diese Schönen? Sie fliegt mit ihrer besten Freundin Sabine nach Lesbos - ausgerechnet Lesbos - um durch vierzehn Tage, und vor allem Nächte, zu treiben. Eine flüchtige Begegnung auf dem Flughafen mit einer atemberaubenden Frau - Johanna - weckt Paulas Interesse nachhaltig. Johanna begegnet ihr erneut. Sie bringt in Paula eine Saite zum Klingen, die diese doch längst begraben hatte. Voller Neugier lässt Paula sich trotzdem auf weitere Begegnungen mit Johanna ein. Dafür nimmt sie sogar die Anstrengung in Kauf, mit ihr zu wandern, und obendrein auch noch Bekanntschaft mit ungeliebten Meeresfrüchten auf ihrem Teller zu machen. Sabine erkennt, dass das Zusammensein mit Johanna etwas an Paula verändert. Statt schnellem Sex subtile Erotik. Statt direkter Flirtoffensive leises Knistern. Paula gerät immer mehr in einen Konflikt mit sich selbst, denn ihr Herz zu öffnen, es sogar zu verschenken, verunsichert sie. Zudem gibt es da ja noch diese Ex-Freundin von Johanna, deren Schatten manchmal ihre Augen verdunkelt und sie dann so unnahbar macht. Gut, dass sie sich Sabine anvertrauen kann, denn Paulas Freundin kennt sie besser als sonst jemand auf der Welt. Der Widerstreit zwischen Unverbindlichkeit und ausbrechender Leidenschaft gipfelt dann doch in der ersten gemeinsamen Nacht mit Johanna. Und es dämmert Paula, dass sie noch viel öfter in diese Augen schauen will, wenn die Sonne aufgeht.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum24. Feb. 2017
ISBN9783734589539
Schalentiere, Wandern und andere Schwierigkeiten: Ein lesbischer Liebesroman

Ähnlich wie Schalentiere, Wandern und andere Schwierigkeiten

Ähnliche E-Books

Allgemeine Belletristik für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Schalentiere, Wandern und andere Schwierigkeiten

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Schalentiere, Wandern und andere Schwierigkeiten - Ute Elisabeth Büsing

    Tag 1:

    Ich erwachte aus viel zu kurzem, traumlosem Schlaf.

    War ich Zuhause? War eine Frau neben mir, an deren Namen ich mich erst erinnern musste?

    Die Gardinen waren nur notdürftig geschlossen, die Schuhe lagen mitten im Raum und mein Kopfkissen hatte sich vor dem Bett niedergelassen.

    Warum lag im Durchgang zum Flur diese Blumengießkanne?

    Und warum - um Himmels Willen - war ich mit der linken Socke am Fuß eingeschlafen?

    Immerhin, ich war in meinem Bett und allein.

    Ein lautes Pfeifen im Ohr erinnerte mich daran, dass ich die Nacht durchtanzt hatte. Zu nah an den Boxen, deren Höhen und Bässe mich noch Stunden begleiten würden. Ein leichter Kopfschmerz, der nach Tequila schmeckte, wohnte über der linken Augenbraue.

    Ich erinnerte mich an Augenpaare, die mich fixiert hatten und auch an einen Flirt an der Bar mit einer blonden Schönheit…sie waren doch immer blond.

    Mein Blick schweifte weiter durch den Raum und ich entdeckte den noch offenen aber gepackten Koffer neben meinem Kleiderschrank.

    Urlaub! Der Gedanke schoss mir blitzartig durch den Kopf. Ich wollte in den Urlaub fliegen!

    Oh Gott!

    Wie spät war es denn?

    Verdammt! Ein Blick auf den Wecker schüttelte auch den Rest Trägheit aus mir. Gleich würde Sabine da sein, meine beste Freundin. Gemeinsam wollten wir heute in den Urlaub fliegen – auf meine Insel, nach Lesbos!

    Sie war selten pünktlich, aber auch das würde mich dieses Mal nicht retten.

    „Paula, du hast definitiv verschlafen!" seufzte ich bei einem Sprung aus dem Bett.

    Ich taumelte ins Badezimmer und sah mir im Spiegel die Spuren der letzten Nacht an. Verstrubbelte, kurze Haare, die die Farbe von Salz und Pfeffer hatten, umrahmten mein Gesicht.

    Die blauen Augen waren nicht ganz so strahlend wie sonst, eher ein wenig verwässert, gerötet und übernächtigt. Ein kleiner, kettenförmiger Abdruck zog sich über die Wange. Ich verglich das Muster mit dem Armband meiner Uhr, die ich vergessen hatte abzulegen.

    „Wow, was für ein Glück, dass ich niemanden hier habe, für die ich Mrs. Perfect sein muss!" sagte ich lächelnd zu dem Spiegelbild. Die Zeiger der Armbanduhr waren unerbittlich, in weniger als 15 Minuten würde Sabine da sein. Schnell drehte ich das Wasser der Dusche an und entledigte mich der einzelnen Socke und dem verknitterten T-Shirt. Das Wasser war lauwarm – verdammte Therme! Es dauerte immer Minuten, bis es richtig heiß wurde.

    Wo war das Duschgel? Bestimmt schon eingepackt! Ich zog den hellgelben Duschvorhang zu, der sich kalt und feucht sofort an meinen Körper saugte.

    Es klingelte – Mist – Sabine, überpünktlich heute.

    Hektisch tanzte ich unter dem Wasserstrahl und versuchte den Schaum aus den Haaren zu spülen, der mir dabei brennend ins linke Auge lief. Mit einer Hand griff ich nach dem Handtuch, das neben der Dusche am Haken hing und stolperte auf den harten Fliesen Richtung Haustür. Notdürftig ins Handtuch gewickelt öffnete ich diese und stand blinzelnd einer bestens gelaunten Sabine gegenüber.

    „Das glaub ich jetzt nicht!" sagte sie kopfschüttelnd.

    „Du bringst es fertig, dass wir noch den Flieger verpassen!"

    Ich massierte noch immer mein brennendes Auge, als sie an mir vorbei rauschte um sich ein Bild davon zu machen wie weit fortgeschritten meine Reisevorbereitungen tatsächlich waren. Dabei kickte sie die Blumengießkanne unter mein Bett und warf einen Blick in meinen Koffer.

    „Immerhin, der ist schon mal gepackt!" Sie drehte sich zu mir um und sah mich immer noch ein wenig strafend an.

    „Paula, wir haben noch genau zehn Minuten bis das Taxi kommt. Warum stehst du da noch rum, zieh dich an!"

    „Kaffee!" ächzte ich und sah sie flehend an.

    „Nix da! rief sie, „Den gibt’s nach dem Einchecken und keinen Moment früher! Ich bemerkte, dass es keinen Sinn hätte ihr zu wiedersprechen und trollte mich zurück ins Badezimmer.

    „Noch 5 Minuten!" krähte es aus der Küche.

    „Jaja!" murmelte ich und fasste den Entschluss das Föhnen zu überspringen. Stattdessen klatschte ich mir ein wenig Wachs auf die Handflächen und verstrubbelte meine Haare damit nachhaltig. Noch einen schnellen Blick in den Spiegel werfend griff ich alle Dinge die wahrscheinlich noch mitgenommen werden sollten. Ich versuchte zu erfassen, ob ich denn auch alles eingepackt hatte und spähte in meinen übervollen Koffer. Einen Großteil des Platzes nahm mein Schlafsack ein.

    „Wichtig, wichtig!" grinste ich, denn den hatte ich bis jetzt in jedem Urlaub gebraucht. Selbst Single-Frauen, die einer Urlaubsliebschaft nicht abgeneigt waren, reisten selten allein.

    Schlafsack – Strand – Sternenhimmel, und die Sache war geritzt! Hinter mir hörte ich schon wieder Sabines Schritte und beschloss, dass ich mir wohl keine genaue Prüfung meines Gepäcks mehr leisten konnte.

    „Flugticket, Reisepass, Geld, Kreditkarte?" feuerte Sabine ihr finales Stakkato ab. Ich griff nach der Brieftasche, die auf meinem Schreibtisch lag und warf einen kurzen Blick in alle Fächer.

    „Hab ich!" freute ich mich erleichtert lächelnd und drehte mich zu ihr um.

    Sie stand noch immer hochkonzentriert da und zog eine Augenbraue hoch. So sah Sabine immer aus, wenn sie meinte mal wieder die Welt für mich retten zu müssen. Leicht in den Knien wippend blickte sie mich von oben bis unten an. Ich knallte den Koffer zu und auf ging es.

    Als wir im Taxi auf die Rückbank fielen, drückte Sabine mir einen feuchten Kuss auf die Wange und grinste zufrieden.

    „Wie kann man es auf Dauer nur mit dir aushalten, Paula? Ich zuckte mit den Schultern und überlegte einen kurzen Augenblick. „Nun, die wenigsten Frauen schätzen meine Pünktlichkeit, soviel ist mal sicher, aber sie beten mich an wenn sie meine wahren Talente kennengelernt haben!

    Am Flughafen angekommen, wollte ich mir eine wohlverdiente Zigarette anzünden. Doch Sabine stand vor den Automatik-Türen des Flughafengebäudes und wippte schon wieder in den Knien. „Was denn? Wir haben doch jetzt noch jede Menge Zeit!" blökte ich vergeblich. Ich freute mich schon auf den bevorstehenden Kaffee.

    „Lass uns erst das Gepäck aufgeben, dann haben wir möglicherweise noch Zeit, Paula. Ich bin erst beruhigt wenn ich die Bordkarten in Händen halte!" kam die erwartete Reaktion meiner besten Freundin.

    Sabine war nicht gerade Meisterin in Gelassenheit und Ruhe. Mit ihr war immer erst etwas anzufangen, wenn sie alles Nötige erledigt hatte und ihre innere Checkliste abgehakt war. Egal wofür wir verabredet waren, zuerst mussten die Kinokarten reserviert oder gar abgeholt sein, der Tisch im Restaurant langfristig gebucht, und die Weihnachtsgeschenke vorzugsweise schon im August gekauft werden.

    Ich kannte sie schon weit über zehn Jahre. Wir hatten es auch mal kurzfristig miteinander versucht aber – um ihre Worte zu gebrauchen – „Wie kann man es mit dir nur aushalten, Paula?" – waren wir als Liebespaar ein Reinfall. Sie engte mich ein und ich machte sie verrückt mit meiner Spontanität und dem Chaos, mit dem ich mein Leben meisterte.

    Also versuchten wir es mit Freundschaft, und das klappte ganz gut. Denn ich fühlte mich frei und konnte ihre Strukturversuche dosiert zulassen. Sie begab sich in mein verrücktes Leben so oft sie es wollte und aushalten konnte. Sie war ein Mensch mit viel Tiefgang und hinterfragte alles und jeden. Ich hatte immer einen lockeren Spruch auf den Lippen und war eine unerschütterliche Optimistin. Diese Gegensätzlichkeit ließ uns trotzdem zu besten Freundinnen werden, wofür ich sehr dankbar war.

    Ich zuckelte kopfschüttelnd hinter ihr her und war sehr sicher, dass sie genau wusste wo wir uns anstellen mussten, ohne dass sie auf das Flugticket schaute. Die Schlange vor dem Schalter war lang und ich schätzte schnell ab, wie lange ich nun noch auf Kaffee und Zigarette warten musste.

    Alle paar Minuten ging es zwei Meter voran. Die Frau hinter dem Tresen hatte die Ruhe weg, was Sabine immer nervöser machte. Unentwegt schaute sie der Dame hypnotisierend auf Arbeitstempo und aufgesetzt freundlichen Gesichtsausdruck. Ich tätschelte beruhigend Sabines Arm und grinste sie aufmunternd an. „Die fliegen schon nicht ohne uns ab, Süße!"

    Sabine blickt mich mit ihren dunklen Augen an. Strähnen ihrer kurzen, schwarzen Haare standen steil in die Höhe, weil sie sich immer wieder mit den Händen nervös hindurch fuhr. Sie nickte fast ein wenig abwesend und wandte sich sofort wieder dem Ziel ihrer Aufmerksamkeit zu.

    Ich schaute mich um in der Reihe, in der wir standen. Familien mit kleinen Kindern, Rentner, Rucksack-Touristen mit Sperrgepäck und der eine oder andere Alleinreisende standen noch vor uns. Als ich mir die Menschen ansah die hinter uns noch warteten, blieb mein Blick an zwei grünen Augen hängen, die mich fixierten.

    Sie gehörten einer Frau mit blonden, kurzen Haaren. Die Sonnenbrille lässig auf dem Kopf tragend stand sie da, ein Knie auf ihren Koffer gestützt. Ich schätzte sie etwa auf mein Alter und schickte ein kleines Lächeln zu ihr hinüber. Doch sie reagierte nicht, sondern sah stattdessen rasch fort.

    Also stellte ich mich ein wenig zur Seite, um sie genauer zu betrachten. Hatte ich sie schon einmal gesehen? Nein, sie wäre mir aufgefallen. Sie war der Typ Frau, für den ich die Sterne vom Himmel holte bis die Süße mir zu Füßen lag – oder in meinem Bett, was ungefähr dasselbe war.

    Sabine zupfte mich am Ärmel und damit zurück in die Realität. Die Schlange vor unserem Schalter war mittlerweile fünf Meter weiter gerückt, und das hatte ich nicht bemerkt.

    „Paula, träumst du?"

    „Äh, nein!" grinste ich sie an und trottete zu ihr um Anschluss zu halten.

    „Gleich sind wir dran!" frohlockte Sabine und ihre nervöse Ungeduld begann sich leicht zu verflüchtigen.

    Nickend drehte ich mich erneut um. Die blonde Schönheit blickte mittlerweile auf ihr I-Phone und steckte sich kleine Kopfhörer-Knöpfe in die Ohren. Welche Art von Musik sie wohl hörte? Oder telefonierte sie vielleicht? Mit ihrer Freundin? Sie musste einfach auf Frauen stehen! Meine Intuition irrte sich da so gut wie nie, und wenn doch einmal, dann waren acht von zehn Frauen immer noch zu überzeugen sich auf ein Abenteuer einzulassen.

    In dem Moment als sie aufblickte, schickte ich ihr erneut ein gewinnendes Lächeln hinüber – und sie lächelte zurück.

    „Bingo!" dachte ich, der Lesbos-Urlaub ließ sich verheißungsvoll an.

    Nachdem das Gepäck endlich auf dem Weg zum Flugzeug war, folgte Sabine mir zum Café meiner Wahl. Ich suchte jenes aus, welches noch in Blickweite des Schalters war. Schnell wählte ich einen Big-Size Cappuccino und ein Teilchen, das zumindest von der Form her, an ein Croissant erinnerte. Dann setzte ich mich an einen Tisch, der noch die unauffällige Aussicht auf die interessante, blonde Frau gestattete.

    Kaffee, endlich! seufzte ich und nahm einen großen Schluck. Die Lebensgeister, die Blondie noch nicht geweckt hatte, würde jetzt das Koffein erledigen. Sabine kam mit einem frisch gepressten Orangensaft zu mir und ließ sich ächzend in den Korbstuhl sinken.

    „Geschafft!" grinste sie mich an und trank in langen Zügen die kühle Vitamin-C-Bombe. Ich nickte und nippte an meinem Heißgetränk und schielte dabei immer noch nach dieser Traumfrau, die mittlerweile selbst bei der Schalter-Dame angekommen war.

    Sie stand entspannt am Tresen, folgte den Anweisungen der Frau und legte alle gewünschten Dokumente vor. Zum Schluss warf sie schwungvoll ihren Koffer aufs Band und bedankte sich mit einem knappen Kopfnicken für die freundliche Bedienung. Sie schlenderte zum Zeitungskiosk und verschwand darin. Ich ließ den Eingang nicht aus den Augen, während ich versuchte gleichzeitig Sabines Ausführungen zum weiteren Reiseverlauf zu lauschen.

    „Wir müssen in 90 Minuten am Gate sein!" sagte sie während sie ihre Bordkarte studierte.

    „Hm, viel Zeit!" quittierte ich die als Aufforderung zur Eile mahnenden Worte. Sabine funkelte mich unwirsch an.

    „Nein, nicht viel Zeit! Wir müssen noch durch die Kontrolle und das kann dauern!" Ich verdrehte die Augen.

    „Okay, nach dem Frühstück noch eine Zigarette und wir stellen uns an!"

    Wieder blickte ich in Richtung des Kiosks und zerbröselte dabei das Croissant auf dem Tablett. Das Teigteilchen schmeckte nach Fett und Zucker und klebte am Gaumen wie Kleister.

    Meine Schöne kam aus dem Kiosk. Sie trug eine gerollte Zeitung in der Hand, ihren Rucksack lässig über eine Schulter gehängt. Dann zögerte sie einen Moment und ich könnte schwören sie schaute zu mir hinüber. Schließlich ging sie zur Rolltreppe und verschwand in der 1.Etage der Abflughalle.

    „Dein Kaffee wird kalt!" Sabine hatte es erfasst. Ich hielt die Tasse noch immer in den Händen und hatte ihn ganz vergessen. Lauwarm schmeckte er scheußlich.

    „Wo bist du heute eigentlich mit deinen Gedanken, Paula? Ist irgendetwas passiert letzte Nacht, von dem ich wissen sollte?"

    Ich blickte Sabine verwundert an. Stimmte ja, sie hatte die Party schon früh verlassen um ausgeschlafen zu sein für die Reise. Als sie ging war ich grade erst auf Betriebstemperatur und ihre mahnenden Worte, nicht zu lange zu machen, hatte ich natürlich überhört.

    „Nö, nichts Besonderes passiert. Immerhin hast du mich doch allein vorgefunden, vorhin!"

    Grinsend lehnte ich mich in meinem Stuhl zurück.

    „Ja, stimmt. War nichts Schickes dabei?"

    Ich schüttelte den Kopf. Die blonde Schöne an der Bar war zwar hübsch anzuschauen, aber nicht fesselnd genug um mein Programm abzuspulen. Ab und an konnte man es doch auch bei einem Flirt belassen, fand ich.

    Meine aktuelle Eroberung hieß Katrin. Ich hatte sie bei Freunden kennengelernt. Sie wohnte in einem kleinen Städtchen bei Düsseldorf und war Schauspielerin. Nicht, dass man sie aus dem Fernsehen oder vom Kino kannte, aber sie war als Bühnenakteurin schon an vielen Theatern gewesen. Die Affäre mit Katrin ließ sich verheißungsvoll an. Wir konnten uns nur in unregelmäßigen Abständen treffen, was gut war und das Verlangen, das wir nacheinander hatten, befeuerte. Doch mit der Zeit bemerkte ich eine Veränderung. Sie rief häufiger an, sie versuchte sich in jeder freien Stunde mit mir zu treffen. Allein die dreihundert Kilometer die zwischen uns lagen verhinderten, dass sie täglich bei mir vor der Tür stand. Das war nicht das was ich wollte und wozu ich bereit war. Deshalb kam mir der Beginn dieses Urlaubs sehr gelegen um ein wenig mehr Abstand gewinnen zu können.

    Mit einem Knall setzte ich den Cappuccino Becher auf die Untertasse und blickte Sabine an.

    „Komm kurz mit vor die Tür und auf zur nächsten Etappe, okay? Sabine nickte und folgte mir munter zum Mini-Raucherbereich vor der Abflughalle.

    Die Kontrolle von Handgepäck und Körper verschlang weitere fünfundvierzig Minuten unseres üppigen Zeitkontos. Dreißig Minuten vor dem Boarding kamen wir auf Gate 32 an. Der Wartebereich platzte aus allen Nähten. Schreiende Kinder und deren King-Size Mütter und Väter belegten fünfzig Prozent aller Sitzgelegenheiten. Die restlichen Plätze besetzten Paare und Alleinreisende, die ihr Handgepäck sorgsam neben sich auf den Sitzen deponiert hatten.

    Seufzend lehnte ich mich an eine freie Säule und stellte den Rucksack auf den Boden vor meinen Füßen. Sabine rutschte rücklings an der Säule herunter und setzte sich im Schneidersitz auf die kalten Fliesen. Zufrieden lächelte sie zu mir herauf.

    „Na, kannst du jetzt ein wenig entspannen?" fragte ich sie. Mit einem energischen Nicken kuschelte sie sich an die Säule und schloss die Augen. Von meiner erhöhten Position aus, gestattete ich mir einen Rundumblick um die schöne Unbekannte zu suchen. Sie musste hier ja irgendwo sein, da sie mit uns am selben Schalter eingecheckt hatte.

    Sekunden, die mir wie Minuten vorkamen scannte ich die Wartenden ab. Sie war nicht zu finden! Mein Suchen wurde hektischer. Kreuz und quer durch die ganze Halle und wieder zurück. Als ich schon enttäuscht aufgeben wollte, berührte mich etwas am Arm. War es wirklich eine Berührung? War es vielleicht auch nur ein Luftzug?

    Egal, die Schöne ging sehr nah an mir vorbei und ließ einen wunderbaren Hauch von Parfüm für meine Nase zurück. Zielstrebig bewegte sie sich in den hinteren Bereich der Halle um dort am Fenster das Boarding abzuwarten.

    Ich folgte ihrem Gang mit den Augen. Ihre zierlichen Füße schienen kaum den Boden zu berühren. Sie war klein, eine ganze Ecke kleiner als ich. Ich schätzte ihre Größe auf einen Meter siebzig. Der schlanke Hals ging über in schmale, grazile Schultern.

    Das blaue Hemd, das sie trug, war am Bauch zusammengeknotet, was einen winzig kleinen Blick auf nackte Haut gestattete. Halblange Jeans verhüllten die sanften Rundungen ihrer Hüften und endeten auf Höhe der Knie. Muskulöse Waden ließen auf sportliche Betätigung schließen.

    Als mein Blick zurück zu ihren Haaren wandern wollte, knallte er voll in zwei grüne Augen, die mich unverwandt ansahen. Sie lehnte lässig am Geländer, die Arme verschränkt und starrte mich an. Mir blieb für einen Moment der Atem weg.

    Als ich mein gewinnendstes Lächeln hinüber schicken wollte, war dieser Augenblick aber schon verstrichen. Ein Anruf auf ihrem Handy hatte mir ihre Aufmerksamkeit entzogen. Es war scheinbar kein angenehmes Gespräch. Sie drehte sich zum Fenster, und fuhr sich immer wieder mit der freien Hand durch die Haare. Kurze Momente des Zuhörens wechselten sich ab mit energischen Erwiderungen.

    Schließlich legte sie einfach auf und schaltete das Handy komplett ab. Minutenlang stand sie da und hielt die Augen gesenkt, war in sich abgetaucht und isoliert. Ab und zu zeigte ein winziges Kopfschütteln, dass sie mit sich selbst im Zwiegespräch war.

    Ich konnte den Blick nicht von ihr abwenden. Sie war so schön, so makellos schön, auch in ihrer Zurückgezogenheit in jenem Moment. Ich musste sie näher kennenlernen, das wusste ich.

    Energisch stopfte sie ihr I-Phone in die Hosentasche und streckte sich. Ihr Blick tauchte auf und prallte schon wieder mit meinem zusammen.

    „Meine Damen und Herren, ihr Flugzeug nach Mytelini-Lesbos, ist nun zum Einsteigen bereit. Die Passagiere aus den Reihen Sechzehn bis Dreißig steigen zuerst ein. Danach dann die Passagiere der Reihen Eins bis Fünfzehn!"

    Die leiernde Mikrofon-Stimme der Dame hinter dem Boardingschalter gab den Startschuss, und bevor ich mich versah war Sabine aufgesprungen und schnappte meinen Arm.

    „Los, das sind wir!" krähte sie und ich folgte ihr lachend.

    Meine Schöne blieb ruhig stehen. Scheinbar gehörte sie zu der zweiten Gruppe. „Beep!" machte das Lesegerät, als ich meinen Boardingpass auflegte. Die Schranke sprang auf und die nachdrängenden Reisenden spülten mich weiter in den schmalen Korridor zum Flugzeug und raus aus ihrem Gesichtsfeld.

    „Willst du ans Fenster, Paula?" fragte Sabine, als wir unsere Plätze erreicht hatten.

    „Nö, geh du ruhig, ich versuche es mit dem Gangplatz, da kann ich wenigstens ab und an die Beine ausstrecken!"

    Warum, zum Kuckuck, haben diese Flugzeugbauer die Sitzreihen so eng gestellt, dass alle Menschen jenseits der eins achtzig einen Schuhlöffel brauchten um sich auf den Platz zu quetschen? Ich nahm mir ein Buch aus meinem Rucksack und verstaute ihn in dem Gepäckfach über mir. Dann fädelte ich mich – blaue Flecken an den Knien vermeidend – in meinen Sitz.

    „Passt, sitzt, wackelt und hat keine Luft!" brummte ich. Sabine blickte mich milde lächelnd an und schenkte ihre Aufmerksamkeit dann dem Geschehen jenseits des Fensters als wäre es das Spannendste, was sie je gesehen hatte. Dabei waren wir noch nicht einmal abgeflogen.

    Mein Blick konzentrierte sich natürlich wieder auf die Reihen vor uns. Zwei Sekunden später konnte ich das Objekt meiner Begierde endlich erspähen. Sie nahm schätzungsweise in Reihe fünf Platz, und war daher aus meinem Blickfeld verschwunden. Eine wunderbare Vorfreude erfasste mich. Der Urlaub konnte beginnen.

    Der Flughafen hatte sich kaum verändert, seit ich vor sieben Jahren das letzte Mal hier war. Die Luft war warm, roch würzig, und die Sonne verschwand langsam am Horizont. Die schöne Unbekannte war schon im ersten Bus zum Terminal unterwegs. Sabine und ich nahmen den zweiten Haufen Schrott ohne Klimaanlage. Er setzte sich rumpelnd in Bewegung und ächzte unter der Last der vielen Menschen.

    Als der Bus beim Terminal ankam, konnte ich kaum schnell genug Richtung Gepäckband laufen. Immerhin musste ich meine blonde Versuchung wiederfinden, und zog Sabine schwungvoll hinter mir her. Ein kurzer Blick in die Runde und ich hatte sie entdeckt. Wie zufällig platzierten wir uns genau hinter ihr. Sabine kam schnaufend neben mir zum Stehen und wischte sich ein paar Schweißtropfen von der Stirn.

    „Puh, noch ganz schön warm um diese Uhrzeit!" ächzte sie und steckte ihren Kopf am Arm von der blonden Schönheit vorbei, um zu sehen ob sich schon etwas auf dem Gepäckband tat. Die Koffer kamen ganz gemächlich angefahren, als ob sie ein einzelner Mensch von der Maschine zum Terminal tragen würde. Plötzlich stutzte Sabine.

    „Hey! Was für ein Zufall, du auch hier?" fragte sie und legte die Hand auf die Schulter meines Observations-Objektes. Die drehte sich fast erschrocken um und mir blieb fast das Herz stehen, als sie nur diesen kleinen und endlosen Meter vor mir stand. Sie blickte von Sabine zu mir und wieder zurück.

    „Ist ja nicht zu fassen, dass ich dich hier treffe!" jubilierte Sabine mit einer höher liegenden Oktave in der Stimme als gewöhnlich.

    „Na, das ist ja ein Zufall!" erwiderte die Angesprochene mit einem eher überraschten als erfreuten Gesichtsausdruck.

    Darf ich vorstellen? Meine beste Freundin Paula – das ist Johanna! präsentierte Sabine stolz. Sie kannte auch wirklich überall jemanden, sogar hier.

    „Hallo Johanna!" hörte ich eine fremde Stimme sagen, obwohl es meine eigene war.

    „Hallo Paula!" erwiderte diese mit einem sanften und doch kräftigen Timbre.

    „Kennt ihr euch denn überhaupt nicht?" fragte Sabine. Wir schüttelten beide den Kopf.

    „Mensch Paula, du kennst Johanna und Sonja nicht? Die sind doch schon gefühlte Ewigkeiten zusammen und tauchen regelmäßig beim Schwof auf!"

    Ich überlegte noch einmal genau. Doch obwohl ich kaum jemals eine Party ausließ, Johanna war ein weißer Fleck auf meiner Landkarte. Möglicherweise fiel sie mir deshalb nie auf, weil ich mehr auf Singles programmiert war und Paare für mich ein absolutes Tabu darstellten.

    „Bist du allein unterwegs? Wo hast du Sonja gelassen?" plauderte Sabine munter weiter, nicht im Entferntesten ahnend, dass sie mit dieser Frage vielleicht in ein Wespennest stechen könnte. Johannas Gesichtszüge versteinerten unmittelbar.

    „Wir haben uns getrennt!" presste sie leise heraus.

    „Was? Wieso? Wie lange seid ihr schon getrennt?" Postwendend begann Sabine mit einem ihrer unverwechselbaren Verhöre.

    „Ein halbes Jahr!" erwiderte Johanna einsilbig. Doch das schien Sabine nicht zu stören.

    „Ihr habt doch zusammen gewohnt, bist du schon umgezogen?!" Sabine war unerbittlich und ich wünschte ihr sofort eine Stimmbandentzündung. Johanna trat unbehaglich von einem Bein aufs andere und jegliche Farbe war aus ihrem Gesicht verschwunden.

    „Naja, ich…es ist nicht so einfach. Ich hab grade angefangen darüber nachzudenken." Es war mehr als deutlich, dass Johanna nicht mehr sagen wollte, doch es gehörte einfach nicht zu Sabines Stärken im richtigen Moment nichts mehr zu sagen.

    „Wo wirst du hier wohnen?" platzte ich dazwischen, denn Sabine holte schon wieder Luft für die nächste unangenehme Frage. Johanna hob den Kopf. Der Blick ihrer Augen war traurig.

    „In Skala Eressou hab ich ein kleines Appartement gebucht!" sagte sie. Ich lächelte heimlich – was für ein schöner Zufall!

    „Warst du schon mal dort?" fragte ich schnell weiter, denn die Gelegenheit war günstig Sabine ein wenig in Schach zu halten.

    „Nein, ich bin das erste Mal hier und möchte einfach ein wenig abschalten und die Sonne auf der Haut fühlen!" Johanna lächelte fein. Bei näherem Hinsehen bemerkte ich, wie müde ihre Augen aussahen. Sie konnte diesen Urlaub dringend gebrauchen, soviel war mal sicher. Eben in dem Moment wollte Sabine das Frageund Antwortspiel wieder an sich ziehen, da entdeckte ich unser Gepäck auf dem Band.

    „Hey Sabine, ich glaube da vorn ist dein Koffer!" rief ich ihr zu und wies mit einem Kopfnicken die Richtung die ich meinte. Sabine war sofort auf dem Sender und quetschte sich in die erste Reihe um die Packstücke zu angeln. Ich wandte mich wieder Johanna zu.

    „Fährst du auch mit dem Bus? Möchtest du, dass wir auf dich warten?" fragte ich lächelnd?

    „Nein, ich hab mir ein Taxi bestellt, das wartet sicher schon draußen!" sagte sie und schüttelte leicht ihren Kopf.

    „Gut, dann schnappe ich mir jetzt Sabine und ihren Fragenkatalog, okay?" zwinkerte ich ihr zu. Sie umfasste meinen Arm und drückte ihn leicht.

    „Danke, Paula!"

    „Nichts zu danken! Wir sehen uns!" Skala Eressou war so übersichtlich klein, dass man sich kaum aus dem Weg gehen konnte, und ich freute mich schon jetzt auf das nächste Wiedersehen. Sabine hatte beide Koffer ergattert.

    „Komm, lass uns gehen. Der Bus wartet!" sagte ich und schob zur Abwechslung mal sie vor mir her zum Ausgang.

    Zweieinhalb Stunden dauerte die Fahrt quer über die Insel in den Süden. Ab und an warf Sabine ein paar Bemerkungen ein, die ich höflich kommentierte. Vielmehr war ich allerdings damit beschäftigt Lesbos

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1