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Eigentlich Prinzessin
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eBook304 Seiten4 Stunden

Eigentlich Prinzessin

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Über dieses E-Book

Eine nicht alltägliche Liebesgeschichte in den deutschen Nachkriegsjahren.
Eine Frau, ein Mann, eine Beziehung mit Folgen. Doch alltäglich?
Eher nicht!
Die bürgerliche Kriegswitwe Helene mit vier Kindern und der Prinz Karl Eugen, der, wie sich erst zum Zeitpunkt der
Schwangerschaft herausstellt, verheiratet ist.
Dazwischen Hans Schlegel, Untermieter und eifersüchtiger Bewunderer der schönen Witwe, Kamerad und Widersacher.
Wahre Liebe gegen gesellschaftliche Zwänge. Genährt durch Kompromisse.
Und schließlich noch der macht- und habgierige Bruder des Prinzen, der selbst vor üblen Machenschaften nicht
zurückschreckt, als er von der außerehelichen und einzigen Erbin erfährt.
Wird er ihre Liebe zerstören?
Ein Roman voller Emotionen. Die ganze Bandbreite der Gefühle wie Glückseligkeit, Furcht, Enttäuschung, Sehnsucht und Trauer.
Ein Roman, ganz sicher nicht nur für Frauen!
SpracheDeutsch
HerausgeberBurg Verlag
Erscheinungsdatum15. Nov. 2019
ISBN9783948397050
Autor

Ilka Silbermann

Ilka Silbermann, am 31.8.1957 in Kamen NRW geboren, begann erst 2013 in ihrer Wahlheimat Ostfriesland mit der schriftstellerischen Tätigkeit. Ihr Buch „Meines Mannes Rippe – die bin ich“ war der erste Versuch sich in Kurzgeschichten auszudrücken. Nach zwei weiteren Kurzgeschichten, die in Anthologien veröffentlicht wurden, begann sie vorliegenden Roman. Mehr über die Autorin finden Sie unter: www.ilka-silbermann.de facebook.com/ilka.silbermann

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    Buchvorschau

    Eigentlich Prinzessin - Ilka Silbermann

    Ilka Silbermann

    Eigentlich Prinzessin

    Nach einer Idee

    von

    Helga Geßner

    Über die Autorin:

    Ilka Silbermann, am 31.8.1957 in Kamen NRW geboren, begann erst 2013 in ihrer Wahlheimat Ostfriesland mit der schriftstellerischen Tätigkeit.

    Ihr Buch „Meines Mannes Rippe – die bin ich"

    war der erste Versuch sich in Kurzgeschichten auszudrücken.

    Nach zwei weiteren Kurzgeschichten, die in Anthologien veröffentlicht wurden, begann sie vorliegenden Roman.

    Mehr über die Autorin finden Sie unter:

    www.ilka-silbermann.de

    facebook.com/ilka.silbermann

    Die Personen und Handlung des Romans sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten oder lebenden sowie verstorbenen Personen wären rein zufällig und nicht beabsichtigt.

    Ich widme dieses Buch allen Lesern.

    Mögen sie die gleichen Gefühle empfinden, wie ich sie hatte, beim Schreiben dieser Geschichte.

    Das Leben, das ich selbst gewählt

    Eh ich in dieses Erdenleben kam,

    ward mir gezeigt, wie ich es leben würde:

    Da war Kümmernis, da war Gram,

    da war Elend und Leidensbürde.

    Da war Laster, das mich packen sollte,

    da war Irrtum, der gefangen nahm,

    da war der schnelle Zorn, in dem ich grollte,

    da waren Hass und Hochmut, Stolz und Scham.

    Doch da waren auch die Freuden jener Tage,

    die voller Licht und schöner Träume sind,

    wo Klage nicht mehr ist und nicht mehr Plage

    und überall der Quell der Gaben rinnt.

    Wo Liebe dem, der noch im Erdenkleid gebunden, die Seligkeit des Losgelösten schenkt,

    wo sich der Mensch der Menschenpein entwunden

    als Auserwählter hoher Geister denkt.

    Mir ward gezeigt das Schlechte und das Gute,

    mir ward gezeigt die Fülle meiner Mängel.

    Mir ward gezeigt die Wunde, draus ich blute,

    mir ward gezeigt die Helfertat der Engel.

    Und als ich so mein künftig Leben schaute,

    da hört ein Wesen ich die Frage tun,

    ob ich dies zu leben mich getraue,

    denn der Entscheidung Stunde schlüge nun.

    Und ich ermaß noch einmal alles Schlimme –

    „Dies ist das Leben, das ich leben will!",

    gab ich zur Antwort mit entschloss’ner Stimme

    und nahm auf mich mein neues Schicksal still.

    So ward ich geboren in diese Welt,

    so war’s, als ich ins neue Leben trat.

    Ich klage nicht, wenn’s oft mir nicht gefällt,

    denn ungeboren hab‘ ich es bejaht.

    Verfasser unbekannt

    April 1951

    Er spürte sie, noch ehe er sie sah. Wie elektrisiert stellten sich seine Nackenhaare auf. Verwirrt, jedoch ohne sich umzudrehen, legte er das Geld auf die fast brusthohe Verkaufstheke und nahm das Päckchen Filterzigaretten und die Streichhölzer an sich.

    Neben ihn hatte sich nun eine junge Frau vor den Tresen gestellt.

    »Guten Tag, Frau Förster! Was darf´s denn sein?« Die rund-liche Krämersfrau begrüßte freundlich lächelnd ihre wohlbekannte Kundin.

    Ein Seitenblick genügte und er wusste, dass sie es war, die diese Reaktion bei ihm ausgelöst hatte. Eine schlanke Gestalt, das volle dunkle, leicht gewellte Haar im Nacken verschlungen und zusammengehalten. Ein edles Profil und eine Stimme, die ihn sanft zu streicheln schien.

    »Guten Tag, Frau Kramer«, entgegnete sie. »Einen Liter Milch, 6 Eier und ein Pfund Mehl, bitte.«

    »Ah, heute gibt es wohl Pfannkuchen für die Kinder?« Neugierig schaute Frau Kramer ihr ins Gesicht, während sie die Milchkanne entgegennahm. Das Mehl wurde abgewogen und in eine Tüte gefüllt und die Eier sorgsam in ein Stück Zeitungspapier gewickelt.

    »Soll ich es wieder anschreiben, Frau Förster?«, posaunte sie die Frage hinaus und übersah, dass ihr Gegenüber schamrot anlief. Ein versteckter Blick zu ihrem Nachbarn, und zum ersten Mal trafen sich ihre Augen. Das Rot in ihren Wangen verstärkte sich, und schüchtern senkte sie den Blick. „Muss ja nicht gleich jeder wissen, dass ich nicht bezahlen kann", begehrte sie stumm auf.

    »Haben Sie noch etwas vergessen?«, hoffte Frau Krämer und betrachtete ihn erwartungsvoll.

    »Äh, ja, äh«, stotterte er überrascht, wandte seinen Blick von ihr ab und richtete ihn auf die Geschäftsfrau.

    »Ich nehme noch eine Tageszeitung. Was macht das?« Er nahm eine Handvoll Münzen aus der Hosentasche, zählte das Verlangte ab und legte es auf die Theke.

    Die junge Frau hatte unterdessen die Waren in ihre Einkaufstasche verstaut und bewegte sich auf den Ausgang zu. Doch er kam ihr zuvor und hielt ihr galant die Tür auf, während das Glöckchen, welches sich oberhalb am Türrahmen befand und so auf Kundschaft aufmerksam machte, durch den Schwung des Öffnens einen wilden Tanz aufführte.

    Sie schritt an ihm vorbei, nickte dankend und wollte eilig ihren Heimweg antreten.

    Mit seinen großen Schritten war er jedoch sehr schnell an ihrer Seite. »Darf ich Ihnen mein schützendes Geleit antragen, gnädige Frau?«, sprach er sie altmodisch ritterlich an. Und er hatte sie richtig eingeschätzt. Sie blieb überrascht stehen und schaute in sein verschmitzt lächelndes Gesicht. Feine Lachfältchen hatten sich an den Augenwinkeln gebildet und machten ihn dadurch unglaublich sympathisch. Sofort nutzte er die Chance, um das noch einseitige Gespräch auszudehnen.

    »Ich würde Ihnen gerne behilflich sein. Vielleicht darf ich die Tasche tragen? Oder Sie einfach nur nach Hause begleiten?« Erwartungsvoll schaute er sie an und dachte:

    »Junge, beherrsche Dich, nicht gleich überfahren, diese Frau hat Stil. – Wie schön sie ist.« Er versank förmlich in ihren Augen.

    Sichtlich verwirrt, wusste sie dem nichts zu entgegnen und daher ging sie langsam weiter. Ihrer Körperhaltung entnahm er, dass er sich anschließen durfte und so passte er sich ihrem Tempo an. Insgeheim freute er sich, dass sie gemächlich ging. Dann würde ihr Ziel nicht so schnell erreicht sein. Schweigend schritten sie nebeneinander her, während er sie immer wieder verstohlen betrachtete.

    Nach einigen Abbiegungen mussten sie letztendlich die Straße überqueren. Fürsorglich legte er seine Hand unter ihren angewinkelten Unterarm, an dem ihre Einkaufstasche hing, und sie ließ es geschehen. Es schien, als ginge ein Feuer von der Hand aus und durchzöge ihren ganzen Körper.

    Gleich darauf standen sie vor einem Mehrfamilienhaus. Der graue Putz bröckelte hie und da. Um die Fenster waren angedeutete Stuckarbeiten, deren Blütezeit lange zurück lag. Die ausgetretenen Stufen, die zur Eingangstür führten, zeugten von unzähligen Füßen, die diese Schwelle überschritten hatten.

    Ihm zugewandt, streckte sie ihm ein wenig schüchtern die Hand entgegen. Ihr zurückhaltendes Lächeln bezauberte ihn, als sie mit leiser Stimme sagte:

    »Ich danke Ihnen für Ihr schützendes Geleit. Auf Wiedersehen.«

    »Die Frau hat Witz«, dachte er begeistert.

    »Augenblick! Bitte! – Ich habe mich doch noch gar nicht vorgestellt.« Bittend schaute er sie an, und als sie tatsächlich noch keine Anstalten unternahm, ins Hausinnere zu entschwinden, schlug er militärisch die Hacken zusammen, wobei er gleichzeitig seinen schlanken Körper in die Höhe reckte und seinen Hut abnahm.

    »Gestatten, mein Name ist Karl Eugen von Wegen, eigentlich habe ich noch viele weitere Vornamen, aber das würde jetzt nur für Verwirrung sorgen.« Neugierig schaute er ihr anschließend ins Gesicht. Wie würde sie wohl mit dieser Information umgehen?

    Sie hingegen betrachtete ihn nun genauer. Machte dieser Mann sich lustig über sie? – Sein Tweedanzug, der ihr jetzt erst auffiel, war aus gutem britischem Tuch gearbeitet. Sie kannte sich da aus. Verdiente sie ihren Lebensunterhalt doch als Schneiderin.

    So etwas Edles hatte sie allerdings noch nicht in ihrer Hand halten dürfen, um es zu verarbeiten. Sein blütenweißes Oberhemd schien makellos und ebenso makellos auch seine dezente Krawatte, die passend zum Inselstil in schottisch anmutenden Karos gewebt war. Seine Schuhe glänzten, als wären sie mit dem Straßenstaub noch nie in Berührung gekommen.

    »Ihren Nachnamen habe ich ja schon erfahren, Frau Förster«, half er ihr, wieder ins Gespräch zu kommen.

    »Verraten Sie mir nun auch Ihren Vornamen?«

    »Helene«

    »Helene«, wiederholte er verträumt. »Variante von Helena« Er versuchte, ihren Blick zu fesseln.

    »Ja, das passt – wie eine Göttin schauen Sie auch aus.«

    Verlegen senkte sie den Blick. »Ich muss jetzt ins Haus«, wandte sie sich ab.

    »Nein. Bitte nicht!«, rief er ihr zu. »Darf ich Sie wiedersehen? Ich bin neu hier in der Stadt, kenne niemanden.« Als er merkte, dass sie zögerte, fuhr er fort:

    »Ich fühle mich so allein und einsam. Haben Sie ein Herz und zeigen Sie mir die Stadt.«

    »Das geht nicht«, antwortete sie ganz entschieden.

    »Oder gehen Sie wenigstens mit mir tanzen. – Kann man hier tanzen gehen?«

    »Ja, ab und zu gibt es in den verschiedenen Gasthöfen Tanz«, erwiderte sie, nun ein wenig lebhafter. Sie tanzte für ihr Leben gern. Wann hatte sie zum letzten Mal getanzt? Konnte sie sich überhaupt noch daran erinnern?

    »Im „Krug ist bald „Tanz in den Mai. Vielleicht kann ich es einrichten. – Doch nun muss ich gehen.« Sie öffnete hastig die Tür und verschwand im dunklen Flur, ließ ihn einfach stehen. Das hatte er noch nie erlebt. Diese Frau war wirklich faszinierend.

    „Tanz in den Mai, dachte er. „Noch eine Woche – wie halte ich das aus? Er wandte sich zur Straße und ging den Weg zurück, den sie gemeinsam gekommen waren.

    „Und wenn sie nun doch nicht kommt?" Wie ein Blitz schoss dieser Gedanke durch seinen Körper. Erschrocken blieb er stehen.

    „Junge, Junge, dich hat es ja ganz schön erwischt."

    ***

    »Du musst mir alles erzählen!«, mit diesen Worten wurde Helene an der Wohnungstür von der über ihr wohnenden Freundin Klara empfangen. Sie hatte Zigarette rauchend an der Wand gelehnt, was vom Hausmeister streng verboten war und offensichtlich bereits auf sie gewartet. Mit diesen Worten machte sie ungeduldig einen Schritt auf Helene zu.

    Helene hatte, nachdem sie die Haustür hinter sich geschlossen hatte, noch einen Kübel Kohlen aus dem Keller geholt, um den Herd sogleich für das Mittagessen vorzubereiten. Außerdem glaubte sie, dass sie dann nicht über das soeben Erlebte nachdenken müsste.

    Überrascht schaute sie ihre Freundin an, steckte wortlos den Schlüssel in die Tür, öffnete sie und schon rauschte Klara an ihr vorbei, direkt in die Küche, wo sie sich auf einen der weiß lackierten Holzstühle plumpsend fallen ließ. Dabei fiel die überständige Asche auf die bestickte Mitteldecke, die über Eck liegend den Tisch außerhalb der Mahlzeiten zierte.

    »Du sollst doch hier nicht rauchen!«, schimpfte Helene ärgerlich, stellte die Kohlen neben den Ofen, die Einkaufstasche auf die Holzbank unter dem Fenster und schnappte sich die Tischdecke, indem sie sie an den Ecken hochhielt, das Fenster öffnete und sie ausschüttelte.

    Dann faltete sie sie sorgsam zusammen, zog vom Buffetschrank eine Schublade auf und legte sie dort hinein.

    Schweigend stand Klara auf und ging zum Fenster, öffnete es, drückte außen die Zigarette an der Wand aus und warf die Kippe auf den Bürgersteig.

    Geräuschvoll setzte sie sich wieder und beobachtete Helene ganz genau, die fahrig durch die Küche ging. Dann entfachte sie das Feuer im Ofen, nahm einen Eisenring von der Platte und setzte den Wasserkessel in die Aussparung. Klara wusste, wenn Helene in einer solchen Stimmung war, sollte sie sie besser nicht bedrängen.

    »Möchtest du einen Kaffee?«, die Antwort nicht abwartend holte sie die Kaffeemühle vom Bord, schüttete ein paar Bohnen zwischen die Messer, setzte sich seitwärts von Klara und mahlte den Kaffee mit der Kurbel, die Mühle zwischen die Knie geklemmt.

    Klara stand auf, nahm zwei Tassen aus dem Schrank und stellte die Kaffekanne neben den Herd in das emaillierte Spülbecken.

    Als sich der Kaffee dampfend in den Tassen befand, eröffnete Helene das lang ersehnte Gespräch:

    »Du hast uns also vom Fenster aus beobachtet.«

    »Das war rein zufällig, ehrlich.« Noch fürchtete sie den Unmut, den sie bei Helene ausgelöst haben könnte, und wagte nicht weiter zu forschen.

    »Nun, du wirst ja doch keine Ruhe geben«, resignierte Helene wissend mit leichtem Lächeln.

    Sie liebte Klara wie eine Schwester. Ihre impulsive und direkte Art waren ihr stets eine Hilfe und Bereicherung.

    Auch wenn Frau Meier, die Nachbarin von gegenüber, sie mal im Hausflur zur Seite genommen hatte und ihr wohlmeinend den Rat gab:

    »Das ist doch kein Umgang für Sie, Frau Förster. Die mit ihren Männergeschichten. Sie wird noch Ihre Kinder verderben.«

    Was Frau Meier nicht wusste, dass Klara genau wie sie, ihren Mann im Krieg verloren hatte und dann auch noch ihr Baby. Es war einfach im Mutterleib gestorben und hätte sie beinahe auch umgebracht. Nun konnte sie keine Kinder mehr bekommen. Ihre Freundin hatte ihre eigene Art, diese Erlebnisse zu bewältigen. Sie, Helene, konnte sie nicht wegen der wechselnden Männer-bekanntschaften verurteilen. Sie wusste, dass Klara nicht unerheblich von deren Geschenken ihr Leben bestritt.

    »Er war im Krämerladen, als ich zum Einkaufen kam, dann hat er mir die Tür aufgehalten und mich einfach nach Hause begleitet.« Sie hob die Hände, als Bekräftigung, dass sie dagegen machtlos gewesen sei.

    »Ja, ja.« Ungeduldig hatte Klara die Worte hervorgestoßen. »Und nun?«

    »Nun will er mit mir tanzen gehen.«

    Klara sprang auf, riss Helene von ihrem Stuhl hoch und wirbelte sie durch die Küche.

    »Juhu – Tanzen. Das ist ja großartig.« Sie alberten und tanzten für eine Weile, bis sie sich außer Atem wieder auf die Stühle niederließen.

    »Was wirst du anziehen?« Klara war zu den praktischen und überaus wichtigen Dingen zurückgekehrt.

    »Ich weiß ja noch nicht einmal, ob ich wirklich zum Tanz in den Mai gehen werde.«

    »Aber warum denn nicht? Das ist doch endlich mal eine Gelegenheit, wieder herauszukommen. Du versauerst hier doch noch. – Ja, du fängst schon an, verbittert zu werden.«

    »Ich bin eine Kriegswitwe mit vier Kindern, wenn das ein Mann erfährt, ist er schnell wieder weg. So schnell kannst du gar nicht gucken, wie der verschwunden ist.«

    »Du musst ja nicht gleich beim ersten Treffen damit herausrücken. Er sollte dich zunächst besser kennenlernen. Du musst ihn erst mal an der Angel haben.«

    »Also du gehst jetzt aber zu weit!« Die Empörung in der Stimme ließ Klara zusammenzucken.

    »Du tust ja gerade so, als würde ich unbedingt einen Mann brauchen, der mich und die Kinder versorgt.«

    »Das hast du gesagt«, lachte Klara.

    »Aber schön wär’s schon, oder? Stell dir doch mal vor, ein Mann, der dich auf Händen trägt. Mal wieder lachen und unbeschwert sein, sich geliebt fühlen, selber lieben dürfen.– Wann hattest du denn das letzte Mal einen Männerkörper in deinem Bett, der nicht einer deiner Söhne war?«

    »Klara!«

    »Ach ist doch wahr! – Schau dich doch mal an – du bist eine wunderschöne junge Frau. Die vier Kinder sieht dir keiner an, du siehst sogar viel jünger aus als dreiunddreißig." Klara schaute ihr dabei prüfend ins Gesicht. „Das hat übrigens dein Untermieter, der Hans Schlegel, auch schon bemerkt. Oder was glaubst du, warum er dir hier mit den Reparaturen immer wieder zur Hand geht? Doch nicht, weil er weiß, dass er viel zu wenig Miete zahlt.«

    »Da bildest du dir etwas ein, er ist doch viel jünger als ich. Und mit den Kindern kommt er nicht wirklich gut zurecht. Er will mich bestimmt nicht heiraten.«

    »Das hab ich auch gar nicht gesagt, und ich glaube, da hast du sogar recht. Er will etwas ganz anderes. Ich sehe doch seine Blicke, wie er dich anschaut und vor allen Dingen, wohin er schaut.«

    Helene blickte ins Leere, so als ob sich gerade eine Szene vor ihren Augen abspielte. Dann schüttelte sie sich, blickte Klara an und rief:

    »Niemals! – Kommt überhaupt nicht in Frage. Nicht mit mir. Auf den Gedanken bin ich bisher wirklich nicht gekommen. Er ist ja ganz nett und immer sehr hilfsbereit, aber mehr…« wieder schüttelte sie sich.

    »Du, zeig mir mal deine Ausgehkleider – ist da etwas Passendes dabei? Es sollte fröhlich, verspielt und mädchenhaft sein. Und natürlich figurbetont. Noch nicht zu aufreizend.« Sie zwinkerte mit den Augen und erhob sich. Schon strebte sie auf das Schlafzimmer zu, das die ganze Familie Förster beherbergte, wie sie wusste. Das eigentliche Kinderzimmer hatte ihre Freundin vermietet. „Kost und Logis", wie es so schön hieß. Es war nicht viel, was sie dafür bekam, doch so konnte sie die knappe Kriegerwitwenrente ein wenig aufbessern, so wie auch ihre Schneiderarbeiten zum Leben beitrugen.

    Sie öffnete den zweiflügeligen Schrank und nahm ihre drei Sonntagskleider heraus.

    »Mädel, Mädel«, schüttelte sie den Kopf, »damit kannst du sonntags in die Kirche gehen, aber nicht zum Tanzen.«

    »Ja, was glaubst du wohl, was ich in diesen Kleidern mache, außer in die Kirche zu gehen und anschließend mit den Kindern Enten füttern am Teich, sofern altes Brot übrig geblieben ist.« Seufzend dachte sie daran, dass ihr Ältester anfing, unglaubliche Mengen an Brote zu vertilgen. Mit seinen vierzehn Jahren war er auch schon ziemlich groß.

    »Komm, wir gehen zu mir nach oben«, prüfend schaute sie Helene von oben bis unten an, kniff ein wenig die Augen zusammen, so als könne sie dadurch ihre Figur besser abschätzen. »Wir sind ja zum Glück etwa gleich groß. Das könnte klappen.«

    »Du bist ja verrückt!«, Helene trat einen Schritt zurück.

    »Das geht jetzt nicht, ich muss den Kindern das Essen richten, sie kommen gleich aus der Schule, und wenn ich da nicht die Pfannkuchen fertig habe…«, ließ Helene den Rest des Satzes in der Schwebe und rollte mit den Augen.

    »Außerdem, wir sind vielleicht gleich groß, aber schau dich doch mal an und dann mich.« Sie zerrte ihre Freundin vor den Spiegel, der in der Innenseite der Schranktür angebracht war.

    Klara hatte tatsächlich eine sehr weibliche Figur, wohingegen Helene eher eine zarte elfenhafte hatte.

    »Ach, das meinst du«, grinste Klara. »Das gleichen wir aus. Ich habe einen schicken Gürtel, damit werden wir die Taille enger machen und … Hast du ein Mieder?« Sie schaute ihr direkt auf die Brust und gab sich selbst die Antwort:

    »Nein, Du hast kein Mieder. Du hast es trotz der vier Kinder nicht einmal nötig. Macht nichts. Ich suche das Kleinste heraus und dann schnüren wir es zusammen. Das Fehlende ersetzen wir einfach mit Watte«. Schelmisch spielte sie damit auf den Unterschied zwischen ihrer beider Oberweiten an.

    »Das können wir doch nicht machen«, empörte sich Helene, »das ist ja so etwas wie Betrug.«

    Die beiden Frauen schauten sich an und dann prusteten sie lauthals los. Plötzlich löste sich die stets unterdrückte Anspannung und sie waren nur noch junge Frauen, die die Liebe ersehnten. Glücksgefühle und Hoffnung bahnten sich durch die zu lang verschlossene Seele. Die Trauer der vergangenen Jahre, die Härte des Lebens verschwanden für diesen einen Augenblick des Gelächters. Sie warfen sich übermütig auf die Betten und schnappten nach Luft.

    ***

    »Seid bitte brav. Und geht zeitig ins Bett. Abendbrote sind schon geschmiert und liegen in der Butterbrotbox im Schrank.« Helene hauchte den Kindern, die aufgereiht vor ihr standen und sie mit großen, bewundernden Augen anschauten, einen Kuss auf die Wange.

    Heute trug sie Lippenstift, den Klara ihr geliehen hatte, und sie wollte doch keinen Abdruck auf den Wangen der Kinder hinterlassen.

    »Ja, ja«, entgegnete Kurt, ihr Ältester, der nun die Verantwortung für die Geschwister trug.

    »Amüsier dich, Mama. Wir kommen hier schon zurecht. Sind ja keine Babys mehr.« Kurt benutzte mit Vorliebe einige englische Ausdrücke, die die Besatzungsmächte in den Alltag brachten.

    Am Rande der Stadt lagen ihre Unterkünfte, und so ergab es sich eben, dass Klara davon profitierte.

    Aber nicht nur Klara. Viele junge Frauen suchten sich aus diesen Reihen den Mann fürs Leben. Waren doch unzählige junge Männer nicht mehr aus dem Krieg heimgekehrt. Denn kurz vor dem Untergang des deutschen Reiches wurde niemand mehr verschont. Alle, die in der Lage waren, eine Waffe zu halten, wurden einberufen, und viele von ihnen starben letztendlich den Heldentod. So ergab sich ein enormes Ungleichgewicht an Männern und Frauen.

    Fern ihrer Heimat und Familien hatten die Soldaten, als Befreier und Hüter der Ordnung, genug Selbstbewusstsein, sich der besiegten und somit unterlegenen jungen Frauen zu bedienen. Manch einer fand die wahre Liebe und gründete eine Familie. Andere dagegen, gründeten eher unfreiwillig eine Familie. Konnten ihr dann aber entfliehen, indem sie wieder in ihre Heimat abberufen wurden.

    So etwas wurde nicht geduldet.

    Können Verbote aber tatsächlich gegen die Macht der Liebe und Triebe erfolgreich sein?

    Die Tanzabende jedoch, waren stets gut besucht. Bunte Kleider, die fröhlich um die Waden der Damen schwangen. Die Herren entweder in Uniform oder in Anzügen, die die wenigen jungen Männer, die der Krieg verschont hatte, in dezenten Farben trugen.

    Es klopfte leise an der Wohnungstür. Kaum, dass Helene sie einen Spalt breit öffnete, zwängte sich auch schon Klara hindurch. Sie trug einen dunklen Mantel, bei dem am rückwärtigen Gehschlitz und unterhalb der Knopfreihe der hellblaue Tellerrock hervor blitzte.

    Helene wusste sofort, dass sie die weiße Tupfenbluse dazu trug, die ihre weiblichen Formen besonders betonte. Auf dem Kopf trug sie ein lustiges kleines Hütchen, dessen abstehende Feder bei jeder Bewegung wippte.

    »Bist du fertig?«, flüsterte Klara aufgeregt. »Die Meiersche ist gerade mit dem Kohleneimer in den Keller gegangen. Wenn wir gleich ihre Wohnungstür hören, können wir schnell nach draußen huschen. Sie ist dann erst noch eine Weile mit dem Ofen beschäftigt, bevor sie wieder ihren Beobachtungsposten am Fenster einnimmt.«

    Schnell ergriff Helene ihren Sonntagsmantel, klemmte ihre Tasche unter den Arm und bezog Stellung an der Tür, wo Klara bereits ihr Ohr angepresst hielt. Vor lauter Aufregung hatte sie nicht mehr daran gedacht, ihren Hut aufzusetzen. Sogar die Kinder hielten vor Spannung fast den Atem an und lauschten angestrengt in den Flur hinein.

    Das Geräusch, das der beladene Kohlekübel beim Absetzen auf den Fliesen verursachte, kündigte den baldigen Aufbruch an. Dann hörten sie, wie die Tür ins Schloss fiel. Klara öffnete vorsichtig die Wohnungstür und spähte durch den Spalt.

    »Los!«, zischte sie über ihre Schulter in den Raum hinein. Helene warf wortlos eine Kusshand ins Zimmer und zog leise die Tür hinter sich zu. Auf Zehenspitzen schlichen sie aus dem Haus. Die Kinder rannten zum Fenster, um zu beobachten, ob die Mutter auch unbehelligt bis zur nächsten Ecke

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