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DIE SCHRULLEN DER ALTEN LADY: Der Krimi-Klassiker!
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eBook242 Seiten3 Stunden

DIE SCHRULLEN DER ALTEN LADY: Der Krimi-Klassiker!

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Über dieses E-Book

Einst galt sie als eine berühmte Archäologin. Jetzt ist Valerie Tor eine exzentrische alte Frau, die offenbar an Verfolgungswahn leidet und behauptet, man wolle sie ermorden. Aber Jacintha Cory, ihre Gesellschafterin, beginnt zu zweifeln, ob es sich dabei nur um die Schrullen einer alten Lady handelt...

Evelyn (Domenica) Berckman (*18. Oktober 1900; †18. September 1978) war eine US-amerikanische Autorin von Kriminal- und Schauer-Romanen.

Der Roman Die Schrullen der alten Lady erschien erstmals im Jahr 1975; eine deutsche Erstveröffentlichung folgte im gleichen Jahr.

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum23. Juni 2020
ISBN9783748746942
DIE SCHRULLEN DER ALTEN LADY: Der Krimi-Klassiker!

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    Buchvorschau

    DIE SCHRULLEN DER ALTEN LADY - Evelyn Berckman

    Das Buch

    Einst galt sie als eine berühmte Archäologin. Jetzt ist Valerie Tor eine exzentrische alte Frau, die offenbar an Verfolgungswahn leidet und behauptet, man wolle sie ermorden. Aber Jacintha Cory, ihre Gesellschafterin, beginnt zu zweifeln, ob es sich dabei nur um die Schrullen einer alten Lady handelt...

    Evelyn (Domenica) Berckman (*18. Oktober 1900; †18. September 1978) war eine US-amerikanische Autorin von Kriminal- und Schauer-Romanen.

    Der Roman Die Schrullen der alten Lady erschien erstmals im Jahr 1975; eine deutsche Erstveröffentlichung folgte im gleichen Jahr.

    Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

    DIE SCHRULLEN DER ALTEN LADY

    Erstes Kapitel

    »Mein Sohn kann es kaum erwarten, dass ich sterbe«, sagte Mrs. Tor zu ihrem Anwalt. »Das ist die volle Wahrheit.«

    »Oh, das glaube ich nicht«, widersprach er vorsichtig. »Das können Sie doch nicht sagen.«

    »Ich sage es, weil es wahr ist, John Dennison.« Sie starrte ihn an, wild und unversöhnlich. »Ich bin ihm im Wege, ich lebe schon viel zu lange, ich bin ihm lästig.«

    »Tun Sie ihm da nicht unrecht, oder?«

    Sein Ton war meisterhaft, halb ausweichend, halb ehrerbietig. Ausweichend, weil Dennison seine guten Gründe hatte; ehrerbietig, weil es sich um eine Mandantin von einst hervorragendem Geist und bedeutendem Ruf handelte, die jetzt im Begriff war, den Verstand zu verlieren. Von Mrs. Tors geistigem Verfall hatte er durch den Klatsch im Dorf erfahren. Er zog es jedoch vor, sich selbst ein Urteil zu bilden. So hatte er sie seit Beginn ihres Gesprächs - dem ersten seit mehreren Wochen - mit versteckter, an Furcht grenzender Wachsamkeit beobachtet, um herauszufinden, wie weit ihr Zustand fortgeschritten war. Bis jetzt war ihm nichts Besonderes aufgefallen; ihr energisches, abweisendes Gesicht, das von Runzeln unbarmherzig zerfurcht war, sah traurig aus und hatte eine schlechte Farbe, aber der durchdringende Blick ihrer Augen, ihr scharfer, entschiedener Ton waren immer noch geprägt von ihrer inneren Kraft. Die schlecht sitzenden Kleider und das struppige, grauweiße Haar, das unordentlich unter ihrem Hut steckte, mochten seltsam wirken, doch abgesehen davon war ihr Verhalten zweifellos normal.

    »Ja, Sie tun ihm unrecht, nicht wahr?«, fuhr er fort und versuchte behutsam und ohne Hast, sie aus der Reserve zu locken. »Hugh war Ihnen immer ein liebender Sohn, soweit ich ihn kenne.«

    »Soweit ich ihn kenne«, äffte sie ihn verächtlich nach. »Und weshalb sollte Hubert ein liebender Sohn sein, wenn ich fragen darf? Ich war ihm keine liebende Mutter.«

    »Was das betrifft, so kann ich mir natürlich kein Urteil erlauben, aber...«

    »Natürlich können Sie das nicht«, schnitt sie ihm das Wort ab. »Sie haben nicht die geringste Ahnung.«

    »Aber ich hatte den Eindruck«, widersprach ihr Dennison höflich, »dass Sie immer sehr gut für ihn gesorgt haben, dass er in bester Pflege war.«

    »Ich habe keine Ausgaben gescheut. Die besten Schulen und die besten Kleider, die teuersten Ferien und Sportausrüstungen. Ich war bereit, ihm alles zu geben, was für Geld zu haben war.«

    Dennison, der merkte, welche Richtung das Gespräch nahm, schwieg und war zufrieden.

    »Meine Arbeit war mein Leben.« Ihr Blick und ihre Stimme schienen jetzt ganz fern. »Das einzig Wahre in meinem Leben. Ich hätte nie heiraten sollen. Ich tat es aus Langeweile - zwischen einem Job und dem nächsten.«

    Das ist der Gipfel der Gleichgültigkeit, dachte Dennison; drei Ehen so abzutun!

    »Hubert war ein Unglücksfall«, sagte sie bedauernd. »Mein bisschen Pech im Leben.« Es trat eine Pause ein, kurz, aber abgrundtief. »Es war auch sein Pech«, fuhr sie fort. »Nachdem ich ihn während seiner ganzen Kindheit vernachlässigt und bezahlten Hausangestellten und Lehrern überlassen habe, weshalb sollte er mich da lieben? Das wäre ja wider alle Vernunft.«

    »Liebe ist keine Sache der Vernunft.« Er spürte, dass seine Worte lahm klangen. »Sie kann Vernachlässigung, Unfreundlichkeit und schlechte Behandlung überleben. Manchmal«, seine Stimme wurde fester, »wird sie dadurch sogar stärker.«

    »So was soll vorkommen.« Ihr Lächeln verhöhnte ihn. »Für willensschwache Menschen, denen es nichts ausmacht, hin und her geschubst zu werden, mag Ihre Theorie zutreffen. Aber was Hubert angeht«, ihr spöttisches Lächeln wurde breiter, »ist es kompletter Unsinn. Dass er es nicht erwarten kann, an mein Geld heranzukommen, ja, das ergibt in meinen Augen einen Sinn.«

    »Es geht ihm doch gut«, wandte Dennison ein. »Er ist unabhängig, hat Arbeit.«

    »Als Reisender.« Mrs. Tor lächelte abschätzig. »Als Reisender in Wein und Brandy.«

    »Aber er ist sehr erfolgreich, oder?«

    »Es geht. Ich kenne seinen Geschmack. Er hat sein gutes Auskommen, aber er würde gern auf größerem Fuß leben, ordentlich auf die Pauke hauen. Dieses verwöhnte Luder, mit dem er sich herumtreibt - die Tochter eines Generals Soundso -, wird sich nicht mit einem Mann zufriedengeben, der ständig auf Achse sein und Aufträge an Land ziehen muss, der die Konkurrenz zu fürchten hat. Nein, ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand wie sie einen Reisenden in Brandy heiratet.«

    Sie sind dennoch verlobt, dachte Dennison. Oder weiß sie das am Ende gar nicht?

    »Was schuldet er mir eigentlich?« Sie war nachdenklich geworden. »Nichts. Und ich verlange nichts von ihm. Ich könnte ein bisschen Liebe und Aufmerksamkeit brauchen, jetzt schon. Aber ich habe kein Recht darauf, also bitte ich auch nicht drum.«

    Auf seine Weise schenkt er dir sogar Liebe und Aufmerksamkeit, gestand sich der Anwalt widerstrebend ein. Auf seine ganz besondere, dickköpfige Weise.

    »Ich rechne mir das als Verdienst an. Ich mische mich nie in seine Angelegenheiten. Er lebt nebenan, aber er ist sein eigener Herr im Haus.«            

    Ja, er wohnt mietfrei, der Glückliche, kommentierte Dennison schweigend. Vor Jahren hatte sie ihr großes Haus entsprechend geteilt.

    »Ich gebe ihm ein Taschengeld, ohne irgendwelche Bedingungen zu stellen. Ich habe nicht einmal«, triumphierend klammerte sie sich an ihr Argument, »ich habe nicht einmal einen Schlüssel zu seiner Hälfte des Hauses.«

    »Nicht einmal einen Schlüssel?«, wiederholte er bestürzt.

    »Keine Sorge.« Ihr boshaftes Lächeln verriet, wie genau sie seinem Gedankengang gefolgt war. »Hubert hat natürlich Schlüssel zu meiner Seite des Hauses. Wenn mir etwas zustoßen sollte und ich so gut wie allein im Haus bin. Mary, diese alte Närrin, wäre in der Not mehr als unbrauchbar. Natürlich hat er Schlüssel zu meinem Haus. Aber das... das bedeutet nicht... bedeutet...«

    Die Plötzlichkeit war es, die ihn wie ein Schlag traf: die Plötzlichkeit, mit der es geschah. Ihre Stimme, eben noch fest und bestimmt, brach und stockte; es war unendlich traurig, so als ob man mit ansah, wie ein schwacher, alter Mensch stolperte und zu Boden stürzte. Sie suchte nach Worten und brachte stammelnd ein paar unzusammenhängende Wortfetzen hervor. Gleichzeitig mit dem Straucheln ihrer Gedanken erlebte er, wie das andere geschah, das er kaum beschreiben konnte. Der Ausdruck geistiger Kraft und Überlegenheit, der ihr Gesicht zusammenhielt, rann daraus wie Wasser aus einem Sieb; die Augen wurden leer, der Unterkiefer sank hinunter, so dass der Mund halb offenstand, die Züge erschlafften, und der Ausdruck blöder Heiterkeit breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Sie kicherte plötzlich, und dieser Laut fuhr ihm eiskalt bis ins Mark. Aber schon verwandelte sich die Heiterkeit in etwas anderes: Verwirrung, Misstrauen, dann Wut. Sie blickte ihn finster an, wich jedoch in ihren Sessel zurück, als fürchtete sie einen Schlag.

    »W-wo ist es?«, wimmerte sie. Ebenso wie ihr Gesicht hatte sich ihre Stimme bis zur Unkenntlichkeit verändert und war jetzt hoch und drängend. »Sie haben g-gesagt, Sie... würden... es bringen!«

    Er befeuchtete seine Lippen und suchte nach einem passenden Wort, nach irgendeinem Wort.

    »Holen Sie es!« Sie hatte ihm keine Zeit gelassen. »Holen Sie es!«

    »Ja, ja«, sagte er schnell. »Das werde ich tun.«

    »M-mehr Geld?«, fragte sie mit zitternder Stimme. »Sie wollen m-mehr...?«

    »Nein«, antwortete er zögernd. »Nein.«

    »Sie werden... Sie werden... es holen? V-versprechen Sie?«

    »Ja«, besänftigte er sie, »ja, ja«, und beim letzten Ja sah er es wieder geschehen, nur umgekehrt. Vernunft und Bewusstsein strömten in ihr Gesicht zurück. Etwas an dem Aussehen des Anwalts musste ihr aufgefallen sein, denn sie fragte sofort: »War ich anders, jetzt eben?«

    »N-nein«, leugnete er, ganz außer Fassung.

    »Was habe ich gemacht?« Sie ignorierte seine Antwort. »Was habe ich gesagt?«

    »Nichts Besonderes«, entgegnete er ohne Zögern. »Sie haben offenbar einen Moment den Faden verloren. Das ist alles. Vielleicht eine kleine Bewusstseinsstörung?«

    »Und das war wirklich alles?« Sowohl ihre Stimme als auch ihr Blick wirkten skeptisch.

    »Ja«, bestätigte er tapfer. »Um die Wahrheit zu sagen, es ging so schnell, dass ich es fast nicht bemerkt hätte.«

    »Das nehme ich Ihnen nicht ab - so wie Sie mich angestarrt haben«, sagte sie ruhig. »Ich glaube, Sie lügen.«

    Er lächelte nachsichtig, aber trotz seiner Erleichterung darüber, dass sie wieder Herr ihrer Sinne war, war er davon überzeugt, dass sich der Anfall jeden Augenblick wiederholen würde. Es lag so etwas in ihrem Blick...

    »Er will mich aus dem Weg haben«, stieß sie plötzlich hervor. Wieder war ihre Stimme anders als sonst, ausgehöhlt von drohendem Unheil. »Will mich loswerden.«

    »Hugh?«

    »Er will mich irgendwo einsperren.«

    Jetzt hatte sie wirklich den Verstand verloren.

    »Er will alles an sich reißen«, erklärte sie. »Mich beobachten, bis ich weit genug bin, und mich dann im Handumdrehen in eine Gummizelle stecken. Natürlich mit ärztlicher Zustimmung, ganz korrekt und legal.« Nach kurzer Pause fuhr sie wütend fort: »Aber Sie können ihm etwas von mir ausrichten. Sagen Sie meinem Sohn, dass er vielleicht nicht mehr lange zu warten braucht. Es gibt einen guten Grund dafür, bestellen Sie ihm das von mir. Nämlich weil - weil ich nicht warten werde.« Sie grinste ihn triumphierend an. »Nein, ich werde nicht warten. S-sagen Sie... s-sagen Sie...«

    Es geschah wieder; obwohl er es geahnt hatte, traf es ihn völlig unvorbereitet. Wieder waren die finster blickenden Augen, die ihn anstarrten, leer geworden, die scharfen, festgefügten Züge verrutschten, lösten sich auf - ein einfältiger, schmachtender Ausdruck des Erbarmens trat diesmal an ihre Stelle.

    »Der arme Mann«, murmelte sie. »Ja, hier ist Geld, ja, Sie werden... es mir besorgen? Kein leichtes Leben, sagen Sie. Nein, nein, kein leichtes...«

    »Mrs. Tor.« Dennison stand auf, sein Herz schlug heftig. »Ich danke Ihnen, dass Sie gekommen sind. Es ist für mich immer eine große Freude...« Mein Gott, jetzt erhob sie sich. »Wenn ich Ihnen irgendwie behilflich sein kann...«

    Sie war in Richtung Tür gegangen und hörte offensichtlich nicht zu.

    »Es trifft sich gut, ich habe gerade einen Termin im Ort«, log er schnell. »Darf ich Sie nach Hause fahren?«

    In diesem Augenblick verzerrte ein neuer Krampf ihr Gesicht; sie wandte sich dem Anwalt zu, ihre Augen glühten, ihr Mund verzog sich. »Lassen Sie mich in Ruhe!«, schrie sie. »Mir nachspionieren... nachspionieren...« Ein Speichelfaden schlängelte sich über ihr Kinn, aber so unglaublich es auch war, der Ausdruck halbwacher Vernunft kehrte in das Gesicht zurück - ein vorüberziehender Wolkenschatten, der unendlich traurig war.

    »Ich hätte nie gedacht... dass mir so was passieren würde«, sagte sie klagend, nicht zu ihm. »Jedenfalls nicht das.« Ein Lachen entfuhr ihr, Inbegriff der Trostlosigkeit. »Irgendetwas, wofür es sich lohnt zu leben...«

    Er stand schweigend da und wagte kaum zu atmen.

    »Ich danke Ihnen«, sagte sie voller Würde, immer noch zu jemandem, der nicht hier war, »ich danke Ihnen«, und schwankte aus dem Zimmer. Ohne einen Moment zu zögern, schoss Dennison zur Tür und sah, wie sie auf dieselbe schlafwandlerische Weise aus dem Zimmer taumelte.

    Nachdem er seine Sekretärin kurz ins Bild gesetzt hatte, stürzte er hinaus, voller Angst, dass sie vielleicht schon einen zu großen Vorsprung hatte. Doch seine Sorgen waren unbegründet, die riesige alte Mietskaserne hatte ein großes und hohes Treppenhaus. Er lief auf Zehenspitzen zum obersten Treppenabsatz. Von hier aus konnte er gut sehen, wie sie unter ihm im Schneckentempo eine Kurve nahm. An das Treppengeländer geklammert, stieg sie vorsichtig Stufe für Stufe hinunter, so als ob ihr jeder Schritt abwärts einen Stoß oder einen leichten Schock versetzte. Ab und zu blieb sie stehen. Als sie das Haus verlassen hatte und er ihr auf den Fersen folgte, so schnell er es wagen konnte, war seine nächste Sorge, wohin sie sich jetzt wenden würde. Wenn sie für unbestimmte Zeit umherirrte, würde das die Sache unendlich erschweren. Jetzt war sie nach rechts abgebogen, Gott sei Dank, aber ob ihre unsicheren und schlendernden Schritte heimwärts gerichtet waren... Ja, mit grenzenloser Erleichterung beobachtete er, wie sie vorsichtig die Straße überquerte, schließlich das Gartentor ihres Hauses erreichte und langsam den gepflasterten Gartenweg hinaufging.

    Auf dem Rückweg waren Dennisons Gedanken in einem Zustand, der sehr oft einem beunruhigenden Erlebnis folgt, nämlich mehr oder weniger chaotisch. Als Mrs. Tor - wie üblich unangemeldet - in sein Büro gekommen war, hatte er zunächst angenommen, sie wolle ihn wegen der Einstellung einer neuen Gesellschafterin konsultieren; die letzte war gerade in dem üblichen Wirbel höchster Erregung und verletzter Gefühle abgereist, und zwar aus dem üblichen Grund: weil sie zu sehr Mrs. Tors scharfer Zunge ausgeliefert gewesen war. Als sich Mrs. Tor stattdessen geradewegs auf die geheimen Wünsche und dunklen Absichten ihres Sohnes gestürzt hatte, fühlte er sich überrumpelt, völlig unvorbereitet, mit ihr zu diskutieren, bis er ahnte, wohin der Hase lief...

    Ein Lächeln, das sich auf seinem Gesicht auszubreiten begann, wurde von einem anderen Gedanken weggewischt. Diese Bankgeschichte, von der er erfahren hatte, diese mysteriösen und häufigen Geldabhebungen, die offensichtlich nicht mit Mrs. Tors Haushaltsausgaben zusammenhingen, für die sie jede Woche einen Scheck von mehr oder weniger gleicher Höhe ausstellte. Es handelte sich nicht um besonders hohe Beträge, aber sie mussten inzwischen auf eine beträchtliche Summe angewachsen sein. Was machte Mrs. Tor mit dem Geld? Und was konnte man gegen die Sache unternehmen? Soweit er wusste, nichts. Das Geld gehörte ihr, sie hatte ungehinderten Zugang dazu, solange man sie nicht für nicht voll verantwortlich erklärte. Und solange sich ihr Narr von einem Sohn weiterhin hartnäckig weigerte, ihr auch nur die geringsten Beschränkungen aufzuerlegen.

    Er beschleunigte den Schritt und dachte darüber nach, was sie wohl mit dem vielen Geld machte. Sie mochte diese Summen, die nie weniger als fünfzig Pfund betrugen, aus irgendeinem törichten oder unvernünftigen Grund abheben, aber dass sie einen bestimmten Zweck verfolgte, daran hatte er nie einen Augenblick gezweifelt.

    Seine Gedanken wandten sich blitzartig anderen, verwandten Fragen zu. Er verwaltete bereits einen Teil von Mrs. Tors Vermögen, nachdem sie ihn selbst damit beauftragt hatte. Konnte er nach dem entsetzlichen Erlebnis von eben ihren Sohn davon überzeugen, dass sie dringend des Schutzes bedurfte, und ihn dazu überreden, einem Entmündigungsantrag zuzustimmen? Der Augenblick war gekommen, wo sie nicht mehr in der Lage war, eigenverantwortlich zu handeln, er würde ihren Sohn zwingen, das einzusehen. Dann die Bestellung des Vormunds. Es konnte keinen Zweifel geben, wer für diese Rolle am geeignetsten war... Er runzelte die Stirn. Natürlich konnte in diesem Stadium nur der Sohn und kein anderer den Antrag stellen.

    Wieviel das alte Mädchen wohl wert war? Was er selbst für sie verwaltete, konnte nur ein Bruchteil ihres Vermögens sein. Es musste sich um eine eindrucksvolle Summe handeln, denn sie hatte drei reiche Männer geplündert; vielleicht wollte sie sie dafür bestrafen, dass sie sich überhaupt angemaßt hatten, sie zu heiraten. Wenn man sie dagegen heute sah! Sie war immer noch arrogant, immer noch zäh, aber geistig hatte sie sehr nachgelassen.

    Als er sein Büro betrat, dachte er über die Bestellung zum Vormund und die damit verbundenen Vorteile nach. Der Gedanke, ihr ganzes Vermögen und nicht nur einen Teil davon zu verwalten, erschien ihm sehr verlockend.

      Zweites Kapitel

    »Ja, ja.« Mit überschwänglichem Wohlwollen öffnete der Mann weit die Eingangstür seines Hauses. »Kommen Sie herein, Miss Cory, kommen Sie herein. Schön, dass Sie mich besuchen. Sind Sie mit dem Auto da?«

    »Nein, ich bin mit dem Zug gekommen.«

    »Warum haben Sie mich denn nicht benachrichtigt? Ich hätte Sie am Bahnhof abgeholt.«

    »Vielen Dank, Mr. Kerwin, aber das war nicht nötig. Vom Bahnhof bis zu Ihnen ist es nicht weit, und es war ein hübscher Spaziergang.« Sie hatte Zeit, ihn zu mustern, die groben Gesichtszüge, den kräftigen Körperbau, die freundlichen grauen Augen, die ungewöhnlich groß waren. Insgesamt wirkte er warmherzig, aufrichtig und sympathisch. Trotzdem empfand sie ihm gegenüber eine gewisse Geringschätzung, was ihr selbst unerklärlich war.

    Er nahm ihr den Mantel ab und brachte ihn hinaus. Er

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