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SKRUPELLOS: Der Krimi-Klassiker!
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eBook295 Seiten4 Stunden

SKRUPELLOS: Der Krimi-Klassiker!

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Über dieses E-Book

Es ist die Stimme eines Kidnappers. Sie wird über alle englischen Rundfunksender verbreitet. Auf Tonband war eine telefonische Unterredung zwischen dem Kidnapper und dem Vater des entführten und inzwischen ermordeten Kindes aufgenommen worden. Wer kann der Polizei Hinweise geben?

Vor der Telefonzelle, aus welcher der Mörder sprach, hatte eine alte Frau gewartet. Obwohl ihre Beschreibung nur vage und ungenau ist, versucht die Polizei, den Mörder zu stellen. Wird es ihr gelingen, den skrupellosen Unhold in eine Falle zu locken?

Evelyn (Domenica) Berckman (*18. Oktober 1900; †18 September 1978) war eine US-amerikanische Autorin von Kriminal- und Schauer-Romanen.

Der Roman Skrupellos erschien erstmals im Jahr 1960; eine deutsche Erstveröffentlichung folgte 1963.

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum3. Apr. 2020
ISBN9783748734536
SKRUPELLOS: Der Krimi-Klassiker!

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    Buchvorschau

    SKRUPELLOS - Evelyn Berckman

    Das Buch

    Es ist die Stimme eines Kidnappers. Sie wird über alle englischen Rundfunksender verbreitet. Auf Tonband war eine telefonische Unterredung zwischen dem Kidnapper und dem Vater des entführten und inzwischen ermordeten Kindes aufgenommen worden. Wer kann der Polizei Hinweise geben?

    Vor der Telefonzelle, aus welcher der Mörder sprach, hatte eine alte Frau gewartet. Obwohl ihre Beschreibung nur vage und ungenau ist, versucht die Polizei, den Mörder zu stellen. Wird es ihr gelingen, den skrupellosen Unhold in eine Falle zu locken?

    Evelyn (Domenica) Berckman (*18. Oktober 1900; †18 September 1978) war eine US-amerikanische Autorin von Kriminal- und Schauer-Romanen.

    Der Roman Skrupellos erschien erstmals im Jahr 1960; eine deutsche Erstveröffentlichung folgte 1963.

    Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

    SKRUPELLOS

    Erstes Kapitel

    Mrs. Gertrude Maryk, fast achtundsiebzig Jahre alt, hatte Kummer. Ihre Enkelin, Trudy Merrick, fast achtzehn Jahre alt, hatte Sorgen. Kummer und Sorgen waren der einzige gemeinsame Nenner zwischen den beiden Frauen. Ansonsten waren sie nicht nur durch Alter, Herkunft, Sprache und Milieu, sondern auch durch die ganze Weite einer Stadt, die zwischen ihnen lag, voneinander getrennt - eine geistige, physische und geographische Kluft, wie sie krasser kaum denkbar wäre.

    Das finstere Gewölk, das über der Alten und der Jungen lastete, war im Wesentlichen das gleiche, wenn auch seiner Art nach noch so verschieden. Sorgen der Jahre hier wie dort, unentrinnbarer Kummer des alten, unentrinnbarer Kummer des jungen Menschen, und in beiden Fällen erst einmal unheilbar. Allein mit sich selbst hatten die alte Mrs. Maryk und die junge Trudy, ohne sich anderen anzuvertrauen, endlos ihre Probleme gewälzt und waren beide zu der gleichen Schlussfolgerung gelangt: Es sei nichts zu machen, denn nur der Ablauf der Zeit könne Hilfe bringen, und die Zeit vergehe viel zu langsam.

    Schließlich bestanden zwischen den beiden Blutsverwandten, die einander gleichzeitig so fremd waren, eine letzte Ähnlichkeit und eine letzte Verschiedenheit. Die Ähnlichkeit lag darin, dass sie beide - die eine kaltblütig, die andere fieberhaft - auf die Errettung warteten. Die Verschiedenheit lag darin, dass die eine der Gefahr entgegenrannte und die andere vor ihr weglief.

    In dieser späten Phase ihres hohen Alters hatte Mrs. Maryk allzu oft zu spüren bekommen, dass das Räderwerk ihres Lebens allmählich abzulaufen begann. Sie hatte das Ganze von Herzen satt und sehnte sich nur noch nach dem Ende. Mit unerschöpflicher Erfindungskraft entdeckte ihr Körper immer neue Wege, die dem Grab entgegenführten. Kaum merkte er, dass der eine Weg durch die ärztliche Wissenschaft versperrt war, machte er sich daran, einen neuen Zugang zum Nichts zu erschließen. In der Klinik hatte man sich in recht allgemeinen Redewendungen über den Zustand ihres Herzens geäußert, ihr allerlei Medikamente gegeben und ihr strenge Weisungen erteilt, sie möge jede Anstrengung vermeiden, mit ihren Kräften haushalten und so weiter. Brav hatte sie die Pulver und Pillen in Empfang genommen, ohne zu erwähnen, dass sie nicht die geringste Absicht habe, die Weisungen zu befolgen. In ihrer sanften, wortkargen Art war sie eine äußerst eigensinnige alte Frau. Aber die Diagnose Herzleiden war ihr geradezu ein Trost und eine innige Hoffnung, während ihre Finger an dem Rosenkranz entlangglitten, dessen braune Kugeln durch den vielen Gebrauch lauter unregelmäßige Kanten erhalten hatten. Mit wechselnden Stoßgebeten, aber unbesieglicher Halsstarrigkeit erflehte sie die Gnade eines schnellen Endes, um nur ja nicht die unsäglichen Erniedrigungen und Leiden einer langwierigen Todeskrankheit ertragen zu müssen.

    Diese alte Frau, um die es sich handelt, war nach Abstammung, Charakter und finanzieller Lage ein Niemand, eines jener obskuren Geschöpfe, die zu Millionen umherlaufen, und deren Geburt und Tod selbst in ihrer eigenen Welt kaum die Oberfläche kräuseln. Äußerlich war sie der langen Reihe biederer tschechischer Bauern nachgeraten, von denen sie herstammte: klein und stämmig, mit blauen Augen, hohen Backenknochen und vierkantigen Zügen slawischen Gepräges. Von Tag zu Tag schrumpfte sie immer mehr zusammen, und doch verblieb ihr gleichsam ein Echo früherer Kraft und Gesundheit, wie dem verwelkten Apfel der zarte Duft seiner Reife. Inmitten all der hässlichen Härte der Industriestadt, an deren Peripherie sie wohnte, war unauslöschlich etwas Bäuerisches an ihr haften geblieben, obwohl sie sich schon vor Jahren einen anständigen schwarzen Mantel und ein Hütchen zugelegt hatte und nie mehr, nicht einmal, wenn sie einkaufen ging, ein Kopftuch trug.

    Die Anonymität ihres Lebens passte vorzüglich zu der eigenartigen Anonymität der Gegend, in der sie hauste. Am Rand eines weiten, öden, trockengelegten Sumpfgeländes gelegen, auf dem sich früher einmal eine Anzahl, jetzt schon fast zur Gänze gesperrter Betriebe befunden hatte, war dieses Viertel ein Teil einer für die Betriebsangestellten geplanten Mustersiedlung gewesen. Zwei Straßenzüge billiger, kleiner Häuser, die, solange sie neu waren, fälschlich einen netten und erfreulichen Eindruck machten, waren angelegt und besiedelt worden. Dann aber - im Gefolge einer jener wirtschaftlichen Umwälzungen, die der großen Mehrzahl so unverständlich sind - war die riesige Fabrik, die so solide und dauerhaft ausgesehen hatte wie der Fels von Gibraltar, nach einem anderen Staat gezogen: Das Siedlungsprojekt hatte man kurzerhand in seinem halbfertigen Zustand fallen lassen. Binnen einem Jahr folgten andere Betriebe dem Beispiel des Giganten, bis auf dem gesamten, enormen Gelände nur noch zwei kleinere Werkstätten zurückblieben. Gegenwärtig war nur etwa die Hälfte der »vorbildlichen« Häuser, die sich beeilt hatten, aus den Fugen zu gehen, noch bewohnt - natürlich von Leuten, die keine andere Wahl hatten.

    Dieses gottverlassene Viertel war das Milieu, in dem Mrs. Maryks Leben sich immer langsamer in den immer engeren Kreisen von Heim, Markt und Kirche bewegte. Sie hatte ein paar Bekannte, aber keine Freunde. Ihren Sohn bekam sie so oft wie nur möglich zu sehen, ihre Schwiegertochter und ihre Enkelkinder fast nie. Im Grunde genommen kannte sie niemanden und ging auch nirgends hin. Weder bewusst noch unbewusst hatte sie Kontakt mit den Menschen und Ereignissen der Außenwelt. Da sie sogar in der Muttersprache eine halbe Analphabetin war, konnte sie Englisch nur mit großer Mühe lesen und verstand das meiste nicht. Zeitungen bekam sie eigentlich nur zufällig zu sehen und entbehrte sie nicht. Sie besaß auch kein Radio.

    Angesichts dieser Isolierung war es fast nicht zu glauben, dass eine Frau wie Mrs. Maryk - alt, unbekannt, kränklich und von Natur aus zurückhaltend - im Brennpunkt der Kindesentführung Wilmer stehen und das grelle Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit des Landes auf sich lenken sollte. Das war natürlich weder ihre Schuld noch ihr Verdienst. Von Anfang an war ihr der blinde und böse Zufall behilflich - bei diesem Anlass noch böser als sonst, aber vielleicht, schließlich und endlich, doch nicht gar so blind.

      Zweites Kapitel

    Trudy Merrick blickte in ihre nächste Zukunft und sah sie auf eine lange Strecke hin im Dunkel liegen - oder zumindest in einem schweren Schatten, dem Schlagschatten einer Gestalt, die regungslos dort stand, immer ein und dieselbe und immer allein. Darüber wurde sie sich klar, als sie in ihrem Schlafzimmer saß, das die geschickten Hände ihrer Mutter in ein gemütliches und behagliches Nest verwandelt hatten, mit einer Fülle bunter Rüschen an allen erdenklichen Ecken und Enden. Trudys ganzes Leben, von der Wiege bis in die Backfischjahre, war durch Rüschen in den ihrer jeweiligen Altersstufe angemessenen Pastellfarben geschmückt gewesen. Inmitten all dieser Farbenpracht lief es ihr plötzlich kalt über den Rücken, dann zuckte sie zusammen: Sie erinnerte sich wieder, wie es gewesen war, als sie zum ersten Mal einen Kollegen aus der Kunstgewerbeschule zu sich nach Hause eingeladen hatte. Bei diesem Gedanken wurde ihr geradezu mulmig zumute, sie hätte diese Erinnerung am liebsten für ewige Zeiten aus ihrem Gedächtnis ausgelöscht, aber ein kleiner Teufel zwang sie, immer wieder daran zu denken und sich auch nicht die kleinste peinliche Einzelheit zu ersparen. Bilder dieser Art tauchten auf: Wie sie zusammen mit Bob Straker nach Hause gekommen war, wie erfreut er ausgesehen hatte, als sie ihn durch den gepflegten sonnenbeglänzten Garten führte, wie stolz sie gewesen war, als sie seine Miene sah. Schmerzlich runzelte sie die Stirn und flüsterte vor sich hin: »Du dumme Gans!«, bevor sie die weiteren Ereignisse Revue passieren ließ gleich einem abscheulichen Film, von dem sie den Blick nicht abwenden konnte.

    Ihre Mutter hatte sie an der Haustür empfangen, hochgewachsen und derbknochig, elegant gekleidet wie stets, mit ihrem üblichen gleichsam frischgestriegelten Aussehen. Ihre Anwesenheit war an und für sich eine Ausnahme von der Regel. In all den Jahren, in denen Trudy früher mit den Nachbarskindern verkehrte, hatte sie sich nie um sie gekümmert, abgesehen davon, dass sie sie streng ins Spielzimmer verbannte und stets einen Überfluss an Leckerbissen für sie bereit hielt. Nun aber, da dieser Fremdling aus höheren Regionen, aus der Kunstgewerbeschule erschien - ein fast schon erwachsener Freund Trudys - hatte sie sich offenbar verpflichtet gefühlt, sich besonders anzustrengen. Und sie hatte sich angestrengt. Wenn Trudy zurückdachte, schauderte sie wieder. Wenn sie uns bloß in Ruhe gelassen hätte! dachte Trudy. Mehr wäre nicht nötig gewesen: - uns nur in Ruhe lassen... Weit entfernt davon, sie nicht zu stören, hatte Mrs. Merrick das Ruder an sich gerissen. Sie besaß die Wucht und Stoßkraft einer mittleren Lawine und war ungefähr ebenso leicht zu bezwingen. Im Nu war die Lunchbar in einem üppigen Flor schöner Leckerbissen erblüht, und auf Mrs. Merricks Aufforderung hatten Trudy und Bob die hohen Hocker an der einen Seite erklommen, während sie sich ihnen gegenüber niederließ. Mit diesem Augenblick begann die gespenstische Szenenfolge, deren Spuren seither Trudy das Dasein vergällten: die unaufhörlichen Heiterkeitsausbrüche der Mama, ihre von lautem Gelächter und verschmitzten, vielsagenden Blicken begleiteten Anspielungen, welche die beiden jungen Leute sozusagen verkuppeln wollten, die stumm und unglücklich nebeneinander hockten, während Bobs Lächeln immer dünner wurde und schließlich erlosch, bis er nur noch ein unbeholfener Klotz mit brennend roten Ohren war und ab und zu ein »Ja, gnädige Frau« oder ein »Nein, gnädige Frau«, murmelte, und dann - dann der allerschlimmste Moment, der Höhepunkt des Unerträglichen, als Mrs. Merrick - in der klaren Einsicht, dass ihr der Erfolg, zu dem ihre Bemühungen sie berechtigt hätten, versagt blieb - ihre Jovialität auf die brüskeste Art, dass es geradezu knallte, einfach fallen ließ und Bob mit einem finsteren Blick musterte, der deutlicher als alle Worte zu sagen schien: Was ist denn mit dir los, du eingebildeter kleiner Lümmel? Wir sind dir nicht gut genug, nein...?

    »Oh, du lieber Gott!«, flüsterte Trudy. Immer wieder zuckte sie unwillkürlich zusammen. Dann verscheuchte sie gewaltsam jene Bilder aus ihrem Kopf und begann abermals die Zukunftsaussichten im Lichte dieser ersten Erfahrung zu erwägen. Was mit Bob passiert war, könnte sich jederzeit wiederholen, wenn sie Freunde oder Freundinnen ins Haus brachte - vor allem Freunde (wie ein Instinkt ihr warnend zu verstehen gab). An Bob hatte ihr nicht viel gelegen, er war nicht ihr Typ. Wie denn aber, wenn er ihr gefallen hätte? Angenommen, sie wären sogar drauf und dran gewesen, sich ineinander zu verlieben. Wäre seine Liebe, wäre die Liebe irgendeines Mannes einer ersten Begegnung solcher Art gewachsen gewesen? Heftig schüttelte sie den Kopf und schämte sich ihres Verrats, der ihr wie ein Stein auf dem Herzen lastete. Abgesehen von ihrem ungewöhnlich reizvollen Aussehen besaß Trudy die Denkweise und den Wortschatz eines durchschnittlichen Teenagers.

    Es wäre ihr nie eingefallen, ihre Mutter als ordinär, großmäulig oder aufdringlich zu bezeichnen. Aber sie musste zugeben - wieder mit jenem Gefühl eines Treuebruchs -, dass schon allerlei dazu gehörte, ihre Mutter zu verdauen, und dass man so heldenhaften Mägen nicht alle Tage begegnet. Plötzlich sah sie sich in Gedanken mit einem Schwertschlucker verheiratet und fing hysterisch zu kichern an. Dann legte sich ihr wieder der schwere Stein aufs Herz. Im Handumdrehen verfiel sie aus dem Lachen in schwarze Verzweiflung. Wenn jemand sich in sie verliebte, war es unvermeidlich - wer immer es sein mochte -, dass seine Angehörigen eines Tages fragten: Wer ist sie? Wo stammt sie her?

    »Das ist ja aus einem Kostümfilm!«, sagte sie mit matter Selbstironie. »Alter Plüsch.« Aber der Spott verblasste sogleich vor dem schrecklichen Verdacht, dass dieser alte Plüsch in den Kreisen, in denen du gern dein Leben verbringen möchtest, noch immer recht angesehen ist. An dir hängt ein unsichtbarer Faden, den verfolgen die Leute, und dort, wo er endet, findet man deine Herkunft, und was man dort gefunden hat, hat erschreckend viel damit zu tun, was man von dir hält, wenigstens zu Anfang. Und gleich am Ausgangspunkt ihres eigenen Lebens hatte sie den Mühlstein gespürt, der ihr um den Hals hing, den Stein des Anstoßes, der ihr künftiges Glück gefährdete...

    Ein wenig später in der Küche...

    »Warum bringst du nicht mal abends einen netten Jungen mit nach Hause?«, sagte Mrs. Merrick mit ihrer schrillen Stimme. »Nicht so einen wie neulich den Bob, den kleinen Schnösel, sondern einen, den man noch nicht auf Eis gelegt hat, um Himmels willen! Du musst doch in der Schule auch nette Burschen kennenlernen«, fügte sie vorwurfsvoll hinzu. »Wenn nicht, dann weiß ich wirklich nicht, warum wir so viel Geld hinausschmeißen.«

    Ich werde mich hüten, dachte Trudy, noch einmal jemanden einzuladen. Ihr Entschluss war dreifach gehärtet. Ich werde mich hüten...

    Mrs. Merrick setzte ihre Strafpredigt fort. »Du siehst gut aus, und ich schneidere dir die schönsten Kleider, die ein Mädel in deinem Alter sich nur wünschen kann - also was machst du bloß mit deiner Zeit? Glaubst du, du kannst dich einfach auf deine vier Buchstaben hocken, und die Männer werden angelaufen kommen? So geht es in dieser Welt nicht zu, das weißt du genauso gut wie ich. Ach, du lieber Gott!«, rief sie weinerlich aus, als ihr eine andere Möglichkeit einfiel. »Wirst du auch so ein Karpfen werden wie dein Papa, dem noch nie in seinem Leben etwas Spaß gemacht hat? Das hätte mir gerade noch gefehlt, Jesus Maria! Einer in der Familie reicht mir!«

    Nie, dachte Trudy und stellte sachte und präzise den Thermostat des Bügeleisens ein. Nie wieder werde ich jemanden in dieses Haus einladen...

      Drittes Kapitel

    Die Kindesentführung war von ihren ersten Anfängen an durch seltsame Abweichungen von dem üblichen Muster solcher Verbrechen gekennzeichnet. Erstens einmal waren die Wilmers weder reich noch auch nur besonders wohlhabend. Welche Maßstäbe man auch anlegen mochte, so waren sie doch nie mehr als immer zahlungsfähig gewesen. Freilich wohnten sie in einem guten und teuren Viertel, aber nur dank einer Laune des Zufalls, weil es ihnen gerade noch gelungen war, den Bauvorschriften ein Schnippchen zu schlagen: Ihre unansehnliche Villa war auf allen Seiten von großen Häusern umgeben, die zum Teil einen hochherrschaftlichen Charakter hatten. Fred Wilmer, ein Kleinunternehmer, würde alle Hände voll zu tun haben, um überhaupt ein Lösegeld aufzutreiben. Bisher war noch keine Summe genannt worden - so weit war die Angelegenheit noch nicht gediehen.

    Auf das Verschwinden des Kindes folgte der übliche Tumult. Von jeder ersten Zeitungsseite, von jedem Fernsehbildschirm blickte einem das hübsche, lausbübische Gesicht mit den schwarzen Augen und dem Grübchen-Kinn entgegen. Auf den Brustbildern war die mit Fransen besetzte Cowboyjacke zu sehen, ein besonders imposantes Stück, das Jonny zu seinem fünften Geburtstag, drei Wochen und zwei Tage zuvor, geschenkt bekommen hatte. Nach dem ersten Tamtam setzte eine Art Windstille ein, eine Pause, als hielte das Land den Atem an, während es auf das erste Signal der Kindesräuber wartete. Als dieses erste Signal nach etwas über vierundzwanzig Stunden kam und jeder Quadratmillimeter des halb analphabetischen Briefes auf billigem Papier mit den schärfsten Methoden moderner Kriminaltechnik untersucht wurde, war das Ergebnis gleich Null. Die Formulierung der Nachricht - dass die Kidnapper anrufen würden - schien auf eine nicht bodenständig amerikanische Herkunft des oder der Schreiber hinzudeuten, aber man fragte sich, ob nicht dieser fremdländische Einschlag nur vorgetäuscht sei. In Erwartung des Anrufs, dessen Zeitpunkt nicht näher bestimmt war, wurden alle möglichen Vorbereitungen getroffen und ein komplizierter Apparat in Gang gebracht, dessen Auslösungsmechanismus so exakt bemessen war wie der einer hochexplosiven Sprengstoffladung. Unablässig drehten sich die Spulen der Tonbandgeräte, welche die Leitung bewachten. Sonderagenten waren Tag und Nacht auf dem Posten, um dem Anruf sogleich nachgehen zu können. In jedem Polizeidistrikt standen Funkstreifenwagen bereit, um sich mit gellenden Sirenen auf das ausfindig gemachte Telefon und das gesichtslose Wesen zu stürzen, das sich lange genug aus seinem Schlupfloch hatte hervorwagen müssen, um sich durch den Klang seiner Stimme ans Messer zu liefern. Alles wurde sorgsam arrangiert - mit einem unbegrenzten Aufwand an Zeit, Geld und Umsicht. In endlosen Besprechungen auf höchster Ebene zermarterten sich die Experten das Gehirn, um sämtliche Eventualitäten mit- einzuberechnen, die krassesten und die fadenscheinigsten. Nichts geschah. Nichts und wieder nichts. Die qualvolle Wartezeit schleppte sich hin, vierundzwanzig Stunden, sechsunddreißig Stunden lang...

    Die zweite Variation des gewohnten Ablaufs kam am dritten Tag, als die Angelegenheit plötzlich aus einem öffentlichen Ereignis zu einem Geheimnis wurde - einem mit dreifachen Sicherungen umgebenen Geheimnis. An einem erbärmlichen Septembermorgen kam bei strömendem Regen ein Parkwächter namens Neil Monahan, dessen Runden auch einen allgemein zugänglichen Golfplatz umfassten, an einem Gehölz vorbei, das an den Golfplatz grenzte. Als er zufällig einen Blick in das dornige und äußerst dichte Gestrüpp warf, sah er dort etwas Helles mitten im Grün liegen. Er blieb stehen und glaubte, einen verirrten Golfball vor sich zu sehen. Er überlegte lange, ob es der Mühe wert sei, sich wegen einer so bescheidenen Lockung durch das nasse Dickicht zu zwängen. Dann aber sagte er sich, er würde bestimmt den ganzen Tag lang an den Ball denken, der einen knappen Meter entfernt war und den er nur hätte aufzuheben brauchen. Wie ein Elefant ging er gegen die grüne Mauer los und zertrampelte jeden Widerstand mit seinen kräftigen Beinen, die in Ledergamaschen steckten. Der Gegenstand, als er ihn aufhob, erwies sich nicht als ein Golfball, sondern als ein Fransenbesatz, der von einem Cowboyanzug stammte und sauber und neu aussah. Von düsteren Ahnungen erfüllt, eilte Monahan über den durchweichten, öden Golfplatz zu dem Telefon in seiner Bude.

    Die Insassen der beiden Bereitschaftswagen, die auf den Alarm hin angerast kamen, entdeckten binnen einer Viertelstunde das flache Grab, nicht weit von der Stelle, wo der Fransenbesatz die Aufmerksamkeit des Parkwächters erregt hatte. Das Opfer war erwürgt worden, und die Obduktion (ein Teilergebnis lag schon nach zwei Stunden vor) ließ darauf schließen, dass man dem Kind einen Faustschlag oder eine heftige Ohrfeige versetzt hatte. Aber lange bevor diese oder sonstige Auskünfte zur Verfügung standen, war eine dringendere Aufgabe zu erledigen, nämlich, die Eltern zu benachrichtigen. Dieses Vergnügen wurde - und da gab es kein Entrinnen - dem Kriminal-Captain zuteil, der den Fall bearbeitete, einem Mann namens Thomas Helm. Er galt als sehr jung für den Rang, den er bekleidete. Groß und vierschrötig, mit derben Zügen und stahlblauen Augen, sah er aus wie der Prototyp des Polizeibeamten. Aber mochte auch sein Äußeres im Rahmen seines Berufs alltäglich sein - seine Fähigkeiten waren keineswegs alltäglich.

    Mit jeder Faser seines Wesens vor der Pflicht zurückschreckend, die ihm bevorstand, holte Helm zwei Polizeiärzte heran, da er das Gefühl hatte, ihre Dienste würden nötig sein, und befahl mit finsterer Miene, in den Villenvorort zu fahren, in dem die Wilmers wohnten. Als er die kleine Veranda betrat, wurde die Eingangstür von innen aufgerissen, und der Vater des Jungen stand vor ihm. Jede Falte in Fred Wilmers Gesicht, jeder Muskel an seinem Körper verriet, wie er blindlings hingestürzt war, um die Tür zu öffnen. Verstört blickten seine Augen, entsetzt und fragend. Seine grauen Lippen bewegten sich lautlos wie die Schalen einer Auster. Ein paar Schritte hinter ihm sah Helm die Frau stehen mit zerrauftem Haar und irrem Blick. Aber wie die beiden dastanden und ihre Besucher anstarrten, sah Helm etwas in ihren Gesichtern Vorgehen, nicht so sehr einen Wandel des Ausdrucks, sondern eine jähe Leere: Die Hoffnung erlosch wie eine ausgeblasene Kerze, und dann war tote Finsternis. Ohne dass er ein Wort gesagt hatte, ohne dass er sich den Kopf zerbrechen und nach den behutsamsten Phrasen suchen musste, war es geschehen.

    Sie wussten Bescheid.

    Eine Weile später befanden sich Helm und einer der Ärzte zusammen mit Fred Wilmer im Badezimmer zu ebener Erde. Mrs. Wilmer lag oben zu Bett, mit Beruhigungsmitteln vollgestopft, unter der Obhut des zweiten Arztes.

    Die beiden Hauptpersonen und die Polizeibeamten hatten die ersten schlimmen Augenblicke hinter sich - den ersten Einbruch des Albtraums ins tägliche Leben, die entwürdigende Hysterie, das Nein-Nein-Geschrei, als könnte man das Geschehene dadurch, dass man es ablehnt, zur Umkehr zwingen und ungeschehen machen. Dann, nach der Tobsucht, die Erschöpfung und der unvermeidliche Kollaps, eine dumpfe Lähmung, unterbrochen durch neue Krämpfe, die sie packten, wie der Terrier eine Ratte packt, die er zu Tode schüttelt. Der kleine Waschraum bot kaum Platz genug für Fred Wilmer, Helm und den Arzt. Im Wohnzimmer warteten der dem Captain unterstellte Kriminalleutnant Bender und drei weitere Beamte. In den vier Wänden des Badezimmers war ein seltsamer Kampf im Gange - ein ungleicher Kampf: Wille gegen Wille - der eine hellwach, frisch und unbarmherzig, der andere wirr und matt, wie der eines vergifteten Tiers, das seinen Quälgeistern entwischen möchte. Fred Wilmer war ganz still geworden. Seine Augen waren stumpf und umwölkt. Die meiste Zeit saß er in sich zusammengesunken da, während Helm auf ihn einredete. Nur ab und zu sprang er plötzlich auf, beugte sich vor und übergab sich heftig, schmerzhaft würgend aus leerem Magen. Er nahm das Peinliche

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