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Ungewisse Vergangenheit: Roman 1
Ungewisse Vergangenheit: Roman 1
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eBook493 Seiten6 Stunden

Ungewisse Vergangenheit: Roman 1

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Über dieses E-Book

Julie Clerence verwandelt sich in "Rose Connor", als sie unfreiwillig durch ein physikalisches Experiment mit zweien ihrer Studenten in die Vergangenheit reist. Noch bevor sie herausfinden kann, in welcher Zeit sie sich befindet, ist sie hoffnungslos in die dort gegebenen Umstände verwickelt. Täglich glaubt sie anfangs an eine Möglichkeit zurückzukehren, da Schmerz und Angst ihre ständigen Begleiter sind und die Herausforderungen, mit welchen sie sich auseinandersetzen muss, oft ausweglos und unlösbar erscheinen. In Adam findet sie jedoch unerwartet einen Menschen, der ihr in jeder Hinsicht Unterstützung bietet und ihr die oft so lebensnotwendigen Hilfestellungen geben kann. Die nun plötzliche Begegnung mit Liebe, Glück und Geborgenheit lassen sie schließlich, als sie mit einer angekündigten Rückreise konfrontiert wird, äußerst kritisch abwägen, welche Form von Zukunft für sie in Frage kommt.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum17. Okt. 2018
ISBN9783742718860
Ungewisse Vergangenheit: Roman 1

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    Buchvorschau

    Ungewisse Vergangenheit - Nicole Siecke

    Prolog

    Impressum

    1. Auflage Juni 2014

    2.Auflage September 2018

    Texte: Copyright by Nicole Siecke

    Cover: Copyright by Bettina Weisgerber

    Bilder: Copyright Digitalisierung by Dirk Schmidt

    Verlag: Nicole Siecke

    nicolle.schneider@siecke.de

    Druck: epubli, ein Service der neopubli GmbH, Berlin

    ISBN:

    Printed in Germany

    ___________________________________________________________________________

    Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages oder des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

    Für Petra Drunagel.

    Eine verwandte Seele.

    Ich vermisse sie sehr!

    Liebe Leserin, lieber Leser!

    Mein Buch erhebt keinen Anspruch auf Perfektion.

    Es ist nicht professionell korrigiert.

    Es ist das Spiel mit dem Stil, der Satzlänge und den nur allzu blumigen Adjektiven.

    Es ist das Spiel mit der Kommasetzung, des Ausdruckes und dem Spannungsaufbau.

    Für mich ist es das fantastische Spiel des intuitiven Denkens und Niederschreibens.

    Ich bin von meinem Spiel überzeugt und würde mich freuen, wenn Du von jetzt an in die Rolle der Julie Clerence schlüpfst.

    Sei sie auf ihrer Reise. Du wirst spüren, wie es Dich mitzieht.

    Viel Spaß damit!

    Denn:

    Eines solltest Du bedenken.

    Meine Kunst, das ist das Lenken,

    von Deinen Sinnen an den Ort,

    den ich schuf in Bild und Wort.

    Und wirst Du die Geschichte lieben,

    hab ich ein gutes Buch geschrieben!

    Das alles nur, weil ich gern still,

    schöne Dinge für Dich schreiben will!

    Nicole Siecke

    Grafik 2

    Die Autorin:

    Nicole Siecke lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern im Siegerland. Sie schreibt bereits seit ihrer Kindheit, weil ihre ungezähmte Fantasie sie immer wieder dazu verleitet. Das Buchstabenjonglieren ermöglicht ein Spiel ohne Grenzen und animiert zu neu erschaffenen Traumwelten.

    Sie versucht sich auch in der Dichterwelt und hat zu diesem Buch noch drei Folgeromane geschrieben:

    „Zeitrand"

    „Sinn einer Sache"

    „Nach all der Zeit

    Seine Glieder schmerzten extrem. Die Stiche in seiner Schulter ließen jedoch endlich nach. Er rieb sich die Stelle gedankenverloren, aber all die Strapazen hatten sich gelohnt. Er genoss den Schmerz als Triumph und Belohnung für seine Genialität.

    „Unglaublich! Phänomenal!"

    Seine Gedanken überschlugen sich, während er die Worte laut heraussprudelte. Die Sonne war bereits untergegangen und die Abenddämmerung ließ die schmalen Bäume hier hinter dem Haus gespenstisch wackelnde Silhouetten bilden. Die dürren Äste wiegten unsanft im Wind. Der Herbst kam unaufhaltsam.

    „Das wird er mir niemals glauben! Ich habe es geschafft!"

    Seine eigene flüsternde Stimme klang ihm fremd.

    Mühsam raffte er sich vom Rasen auf und ging im Geiste sämtliche Berechnungen noch einmal durch.

    Wie viel Zeit hatte ihn dieser Traum gekostet?

    Er überlegte. Was war die Zeit schon wert? Jetzt, nach seinen neuesten Erkenntnissen würde sie nie wieder eine Rolle spielen, die Zeit!

    Gleich Morgen würde er seinen besten Freund aufsuchen, um ihm davon zu erzählen. Ach was, er würde ins Haus laufen und ihn gleich anrufen und her zitieren, um sich von ihm als Gott feiern zu lassen.

    „Wir werden eine Reise machen!" würde er sagen und er freute sich auf das ungläubige Gesicht seines Freundes dabei.

    Scharlatanerie übermannte ihn und er genoss diesen Höhenflug über alle Grenzen hinaus.

    Als er im Hausflur angekommen war, begegnete er unerwartet seinem Spiegelbild an der großen gesprossten Fensterscheibe und er nahm Schmutz auf seinem weißen Hemd wahr.

    Er machte keine Anstalten, es fortwischen zu wollen.

    Nie hatte er sich derart über Flecken auf seiner Kleidung gefreut, denn immerhin war dieser Staub 140 Jahre alt.

    DIE STUNDE, DIE ALLES VERÄNDERN SOLLTE

    Niemand der Anwesenden wusste, ob man sich mit seinem Namen einen Scherz erlaubt hatte. Vibelle zu heißen war noch nicht das Außergewöhnliche, aber die Tatsache, dass sein Vorname Manitu war, stieß in diesem Kurs auf ein leises unterdrücktes Schmunzeln. Es schien ihm in keiner Weise peinlich zu sein, als er sich so genannt vorstellte.

    Manitu Vibelle stand da in seinem weißen Kittel und hatte sich bereit erklärt, Menschen wie uns die geheimen Wege der Physik nahe zu bringen. Er war neu an dieser Universität. Seine unbekannte Vergangenheit sprach also für ihn. Es gab noch keine Skandale zu erzählen, weder konnten ihm Affären noch Ungerechtigkeiten gegenüber den Studenten nachgesagt werden. Er war ein unbeschriebenes Blatt und gerade dies machte ihn so interessant. Interessant, ihn aus seinen eigenen Reserven zu locken, zu sehen, wie er in unangenehmen Situationen handelte.

    Ich betrachtete ihn länger und intensiver als alle anderen, was vermutlich mit meiner Position als Referentin in diesem Kurs zusammenhing.

    Die breiten, aber regelmäßigen Furchen, die seine Stirn und auch die Wangen durchzogen, waren Merkmal eines vermutlich intensiven Lebens. Ich war davon überzeugt, dass jede einzelne Falte ihre eigene Geschichte zu erzählen hatte. Die tief liegenden dunklen Augen funkelten wie frisch polierte Edelsteine in ihren Höhlen. Sie versprühten ein verborgenes Geheimnis, welches nur er zu kennen schien. Das grau- melierte Haar war kurz und bildete den perfekten Rahmen um sein Gesicht. Seine Lippen waren schmal. Es machte fast den Eindruck, als hätten sie sich in all der Zeit ab erzählt. Der weiße Schutzkittel, den er trug, ließ ihn noch dünner erscheinen, als er ohnehin schon war.

    Es waren seine Hände, die ständig mitsprachen und auf diese Art und Weise dem Zuhörer verboten, sein Interesse abschweifen zu lassen. Er war groß, wie man sich Gott vorzustellen vermochte, mit unnatürlich gerader Haltung. War es das, was ihn hatte Manitu heißen lassen? War es seine freundliche, tiefe Stimme, die immer neues Wissenswertes berichtete?

    Ich befeuchtete meine Lippen und zweifelte an meinem Verstand. Der Bleistift, den ich eben noch in der Hand gehalten hatte, war längst ab- gekaut und bot einen eher unappetitlichen Anblick auf dem Seitenrand, wohin er gerollt war.

    Was war es, was mich an diesem Mann so faszinierte?

    Weshalb nur kam es mir so vor, als ob ich ihn seit Jahren kannte?

    Ich bemerkte, dass sein Blick zu mir hinüber geschweift war und mich alle stumm musterten. Offensichtlich hatte er mir eine Frage gestellt, deren Antwort ich ihm schuldig geblieben war.

    Ich erschrak verlegen. Dass ich in solchen Situationen immer noch errötete, ärgerte mich jedes Mal.

    „Entschuldigen Sie, könnten Sie die Frage wohl wiederholen?"

    Meine zittrige Stimme musste ihm meine Unsicherheit widerspiegeln, jedoch blieb sein Gesichtsausdruck weiterhin freundlich.

    „Natürlich. Ich war gerade dabei, mich nach den zuletzt besprochenen Themen zu erkundigen. Offensichtlich ist niemand hier in der Lage, mir dies zu beantworten? Aber Sie als Referentin können mir bestimmt weiterhelfen. Es hat den Anschein, als ob mein Vorgänger sich zu wenig Respekt verschafft hat."

    Er konnte wohl kaum erahnen, wie Recht seine Annahme war. Unser Kurs galt als der desinteressierteste der ganzen Universität, und es war jedem Lehrkörper ausnahmslos nicht erspart geblieben, diese bittere Erfahrung zu machen.

    „Nun?"

    Wieder sah er mich lächelnd an.

    „Es war die Relativitätstheorie. Wir, wir sind eher zähfließend damit vorangekommen, aber ..."

    „Stilles Gebet! Das hatte ich mir erhofft!" Sein plötzlicher Ausruf ließ mich erschrocken schweigen.

    „Sie alle sind unglaublich dumm, einem solchen Thema kein besonderes Interesse zu widmen. Meine Wissenschaften darüber werden Sie eines Besseren belehren. Sie werden einen komplett neuen Bezug dazu nehmen können, wenn Sie diese Räumlichkeiten nach unserer Stunde verlassen!"

    Es war unübersehbar, dass niemand seine aufsprühende Begeisterung teilte. Er überlegte kurz: Sie dort hinten, junger Mann. Nennen Sie mir ihren Namen!

    Er wies auf Kiefer, der in seiner Ecke saß und gedankenverloren seinen Kritzeleien nachging. Ich hielt ihn für den noch fähigsten Schüler hier, aber er schaffte es immer wieder, seine Intelligenz geschickt zu verschweigen, aus lauter Angst, er könne zu viel gefordert werden. Ich war mir sicher, dass sein jetziges Desinteresse auch nur gespielt war und dass seine vorübergehende Laune, anders als bei den anderen, ziemlich schnell einer Höflichkeit wich, und ich sollte Recht behalten.

    „E=MxC², das ist Energie gleich Masse mal Lichtgeschwindigkeit zum Quadrat!"

    „Und wie schnell ist Licht?", forderte er weiter.

    „300.000 km/Sek."

    „Was bedeutet das?", er lächelte und seine Lippen wurden schmal.

    „Dass uns eigentlich, wenn wir schneller als das Licht sein könnten, Zeitreisen möglich wären!"

    Ein Wortwechsel, dem man gerne lauschte, zumindest von der Lehrerseite betrachtet. Manitu Vibelle sah ihn unergründlich an. Wenn er beeindruckt war, so wusste er es gut zu verbergen.

    „Ich gratuliere Ihnen! Wie war doch gleich Ihr Name?"

    „Kiefer Wood. Mein Name ist genauso abartig wie Ihrer!"

    Schadenfrohes Lachen ertönte, welches Professor Vibelle zu ignorieren wusste.

    „Wäre Ihnen ein gewöhnlicher Name, wie Christopher Miller oder Andy Smith lieber? Ist es tatsächlich besser, ein kleiner grauer Durchschnittsmensch zu sein, der weder mit seinem gewöhnlichen Namen noch mit seiner Intelligenz auffällt?"

    Kiefer blickte ihn direkt an; man sah ihm an, dass er nichts zu erwidern wusste.

    „Schon mal darüber nachgedacht, Mr. Wood?"

    Instinktiv hielt ich die Luft an. Wenn Professor Vibelle unsere Aufmerksamkeit schon nicht mit der Relativitätstheorie erregen konnte, so hatte er sie sich jetzt mit einfachen Namensvergleichen verschafft. Ich wusste nicht, welche Taktik er im Unterricht anwandte, aber er hatte den ganzen Kurs zum Nachdenken gebracht. Mit Überlegungen, die einen die langweilige Gewöhnlichkeit des eigenen Namens erkennen ließen.

    „Schon mal über Zeitreisen nachgedacht, Mr. Wood? Ich meine, wo wir gerade beim Thema sind."

    Vibelle bohrte weiter.

    „Ich verstehe nicht?"

    Nun formulierte e seine Frage anders: „Sind Sie an einem Experiment interessiert?"

    Der Professor verschränkte die Arme vor der Brust.

    „Wenn ich hinterher keinen Anwalt benötige."

    Es war wie verhext, aber niemand traute sich ein Wort zu sprechen. Nie hatte ich solche Unterrichtsmethoden kennen gelernt. Unbewusst krallten sich meine Finger um den Block, den ich an mich gepresst hielt.

    „Sonst noch irgendjemand, der an Einsteins brillanter Vorstellungskraft und Genialität teilhaben möchte?"

    Ein absurder Gedanke sich einzubilden, einer der Schüler würde seinen wild entschlossenen Blick erwidern.

    „Miss Julie Clerence, ich schätze, Sie müssen mit gutem Beispiel vorangehen!"

    Angestrengt überlegte ich, wie er zu meinem vollständigen Namen gekommen war, da ich mich nicht erinnern konnte, mich vorgestellt zu haben. Ich war verspätet erschienen, was mir schon peinlich genug gewesen war. Während ich noch mit dieser Frage zugange war, kam er

    entschieden auf mich zu und umfasste fest mein Handgelenk. Diese Berührung löste ein seltsames Gefühl in mir aus. Seine Hand war kalt, was ich nicht vermutet hätte. Es passte weder zu meiner Annahme noch zu dieser Jahreszeit. Diese Sekunden kamen mir vor, als kenne ich ihn schon seit Jahren, als sei er ständiger Begleiter meines dreißigjährigen Lebens gewesen. Irgendein Déjà-vu verfolgte mich und löste unheimliche Wahrheiten in mir aus. Mein Herz raste und ich fühlte, wie mich eine seltsame Vertrautheit beschlich.

    Wie ein hypnotisiertes Kaninchen vor der Schlange ging ich hinter ihm her, die neugierig bohrenden Blicke der Schüler im Rücken. Obwohl ich aufgeregt war, sagte mir seine Stimme, dass ich es nicht sein musste. Kiefers Blick kreuzte unsicher den meinen. Er stand bereits am Pult als erwarte er mich. Jetzt sah er alles andere als gelangweilt aus. Ich blinzelte ihm beruhigend zu und hoffte, somit eine Brücke zwischen uns aufbauen zu können.

    „Ich würde gerne auch mitmachen!"

    Loris Stimme ertönte plötzlich laut aus den hinteren Reihen.

    Mit einem Male hatte sie alle Aufmerksamkeit auf sich gezogen, was ihr unvermutet peinlich aufstieß. Hektisch warf sie ihr dunkles langes Haar in den Nacken, während sie bereits dabei war, sich zu erheben. Zielstrebig ging sie auf unsere kleine Gruppe an dem Pult zu. In ihren Augen spiegelte sich pure Neugier. Sie war eine ruhige, unscheinbare Studentin. Ich nahm an, dass sie nicht ganz uneigennützig an diesem Experiment teilnahm. Es war klar, dass hier etwas seltsam Neues geschehen sollte und sie sah es vermutlich als eine interessante Chance an. Außerdem nahm jeder hier im Kurs an, dass ihre Bereitschaft mitzumachen mit Kiefer zusammenhing, denn eine Verliebtheit zu ihm wurde ihr angedichtet, die sich jedoch bis jetzt noch nicht bestätigt hatte.

    Professor Vibelle nickte ihr aufmunternd zu.

    „Kommen Sie, es ist schön, dass Sie meine Leidenschaft teilen."

    Zur Bestätigung sah er uns nacheinander intensiv freundlich an.

    „Wir alle werden nun eine Zeitreise machen. Sind Sie bereit?"

    „Moment mal, wie meinen Sie das?"

    Ich schaffte es nicht, meine inzwischen aufgekommene Skepsis zu unterdrücken. Wir vier standen um das Lehrerpult herum. Es war mir aufgefallen, dass der Rest des Kurses ebenfalls herangetreten war und zufällig einen Kreis um uns bildete.

    „Sie glauben mir nicht?!"

    Seine angehobenen Augenbrauen zuckten amüsiert. Es war mehr eine Feststellung als eine Frage und er sah mich an.

    „Es hat weniger mit Glauben zu tun, aber ich habe kein Interesse an einer solch mysteriösen Veranstaltung teilzunehmen. Werden Sie die Chemikalien, die hier auf dem Tisch stehen dazu anwenden, oder wie haben Sie sich das gedacht? Oder sprechen wir hier gar von einer Art Okkultismus?"

    „Ich schätze Ihre Skepsis, Miss Clerence, aber sehen Sie hier irgendwo Kreuze, Kerzen oder Pentagramme?"

    Ich holte tief Luft: Natürlich nicht, aber wenn Sie jetzt von uns verlangen, dass wir uns an den Händen fassen sollen, könnte ich annehmen, dass Sie Utensilien wie diese unter dem Pult versteckt halten.

    Unsere Blicke kreuzten sich intensiv. Es war, als könne er all meine Gedanken innerhalb von Sekunden lesen, und ich fühlte mich ertappt von Überlegungen, die ich wahrscheinlich noch gar nicht gemacht hatte, die er jedoch bereits zu interpretieren vermochte.

    „Ich möchte lediglich ein physikalisches Experiment durchführen, welches die allgemeine Infragestellung der Relativitätstheorie beantwortet, das ist alles, Miss Clerence. Ich habe dazu geforscht. Es steht Ihnen offen zu, jederzeit auszusteigen oder einen anderen an Ihre Stelle treten zu lassen. Allerdings wäre mir gerade an Ihrer Mitarbeit gelegen, da Sie als Lehrerin eine Art Vorbildfunktion übernehmen könnten!"

    Seine suggestive Wortwahl hallte in meinen Ohren wie eine Warnung, aber dennoch neigte ich gefühlsmäßig eher zu einer bereitwilligen Teilnahme, da ich mir keine Angst eingestehen wollte.

    Also stob ich verlegen Luft durch die Nase, was wohl meine Einwilligung widerspiegelte?

    „Miss Armstrong, könnten Sie mir sagen, was Sie, wenn Sie aus dem Fenster schauen, draußen sehen?"

    Während Professor Vibelle diese Frage stellte, haftete sein Blick immer noch auf mir. Eine Tatsache, die mir Unbehagen einflößte, zumal ich abermals scharf überlegte, woher er nun auch noch Loris Namen wusste.

    „Oh, ich sehe ein Footballfeld. Ein leeres Footballfeld. Es spielt niemand dort, vermutlich weil es heute regnet."

    Natürlich folgte der ganze Kurs ihrem Blick nach draußen, obwohl jeder um diese Tatsache bereits wusste.

    „Das ist gut beobachtet und nun gebe ich Ihnen allen ein Beispiel wie es wäre, wenn wir tatsächlich zeitgereist wären."

    Seine Hand schnellte plötzlich über das Pult hinweg zu ihrer. Ein gleißendes Licht zuckte ziellos auf. Eine Glühbirne in unserer Nähe, die gar nicht in Betrieb gewesen war, implodierte mit einem lauten Knall in Abertausende von Glasscherben. Ein stechender Geruch wie Schwefel verbreitete sich, wovon niemand wusste, woher er plötzlich kommen konnte. Ich hatte Gefäße, die Chemikalien dieser Art enthielten, nicht in Pultnähe gesehen, jedoch hatte ich einen seltsamen Apparat in seiner Kitteltasche entdeckt, der mir zuvor nicht aufgefallen war. Ich erschrak über dieses unerwartete Ereignis und warf meinen Kopf schützend zur Seite. Meine Hände befanden sich noch abwehrend in der Luft, als er sie ein zweites Mal fragte, mich jedoch dabei intensiv beobachtete.

    „Was sehen Sie jetzt?"

    Lori Armstrong stand plötzlich wie gelähmt. Bis jetzt war mir ein solches Verhalten an ihr nicht aufgefallen, da sie stets die Unerschütterte spielte. Wir alle waren nur Sekunden geblendet und erschrocken gewesen. Jetzt ging ihr Atem heftig und seltsamerweise strahlte sie plötzlich Angst aus. Ich wusste nicht, ob noch jemand außer mir die winzigen Schweißperlen auf ihrer Stirn bemerkt hatte. Ihre Augen waren geschlossen, die Lider zuckten, ihre Nasenlöcher leicht geweitet.

    „Öffnen Sie die Augen und sehen Sie aus dem Fenster. Es passiert Ihnen nichts. Sagen Sie mir nur, was Sie da draußen jetzt sehen."

    Ich hatte nicht den Eindruck, dass Lori jemals wieder bereit war, seiner Bitte aus Angst, was sie zu sehen bekam, nachkommen würde und Kiefer schien das Gleiche zu denken. Die innere Unruhe, die sie plötzlich leicht erschauern ließ, steigerte sich zu einem heftigen Zitteranfall. Sie kniff verbissen die Augen zu und schluchzte plötzlich. Fast zeitgleich legten Kiefer und ich unsere Hände auf ihre, um ihr die Sicherheit zu gewährleisten, die ihr vermutlich in diesem Moment fehlte. Die Berührungen ließen sie die Augen wieder öffnen und ich erschrak, als ich ihrem Blick begegnete. Es kam mir vor, als ob sie in der Zwischenzeit ihre Augenfarbe gewechselt hätte. Ich sah sie frontal an, aber sie blickte durch mich hindurch Richtung Fenster.

    „Ich sehe ein Footballfeld, aber es befinden sich Menschenmassen darauf. Einen Moment, ein Spieler liegt am Boden. Ich glaube, er ist tot! Die Spielanzeige schreibt das Jahr 1965!"

    Der plötzliche Sprung von so vielen Jahren machte mir Angst.

    „Hören Sie auf! Stoppen Sie sofort dieses Experiment, Professor Vibelle!" Während meine messerscharf fordernde Stimme die Stille durchschnitt und alle Anwesenden zusammenzuckten, blieb Lori Armstrong wie hypnotisiert stehen.

    Ich hielt immer noch ihre Hand fest, wahrscheinlich um mich selbst zu trösten, oder ich brauchte sie als Unterstützung, um zu wissen, dass dies kein Spiel mehr war!

    Professor Vibelle antwortete mir nicht, aber ein Satz aus den hinteren Reihen bestätigte mir mein bereits vorhandenes Wissen.

    „Das war vor dreißig Jahren. Es ist wahr! Mein Vater hat mir davon erzählt. Ein Footballspieler hatte einen plötzlichen Herztod. Er brach auf dem Spielfeld zusammen. Eine wahre Begebenheit, die jeder hier an der Universität kennt, die aber nicht gerade gute Geschichte schreibt!"

    Meine Lungen füllten sich mit Luft, um lautstarken Protest anzustreben, aber Manitu Vibelles unvermutete, plötzliche Berührung hielt mich von weiterem Handeln ab. Noch bevor ich nachdenken konnte, nahm ich seine vertraulich flüsternden Worte wahr, die offensichtlich nur mir allein galten.

    „Ich möchte alles das erklären können. Habe keine Angst! Ich möchte, dass du mitkommst."

    Er sah allein mich an, während er sowohl nach Kiefer als auch in meine Richtung gegriffen hatte und somit der Kreis geschlossen war. Lautes Getöse umgab uns abermals und ich war versucht, meine Ohren vor diesem Lärm zu schützen. Es gelang mir jedoch nicht, da meine Hände in der von ihm und Kiefer lagen. Der stechende Geruch kam zurück und grell helles Licht durchflutete meinen Kopf, wie Blitze bei einem heftigen Gewitter. Danach umgab mich eine tiefe, stille Schwärze, die mich in eine Art Spirale zu ziehen schien. Der Sog war so stark, dass mir ein undefinierbarer Druck auf dem Brustkorb kurzfristig die Luft zum Atmen raubte. Es hing mit Schmerzen zusammen. Ich tauchte vorerst aus dieser absoluten Dunkelheit nicht auf, verweilte in ihr und ängstigte mich zu Tode. Danach wurde meine Atmung wieder leichter und ich gierte nach Frischluft wie ein Ertrinkender. Endlich löste ein lichtreiches Spektrum die Dunkelheit, die mich umgab, ab. Auch ließ der Sog endlich nach und ich fiel. Der Schwindel in meinem Kopf erlaubte mir keine Orientierung. Es war schließlich die Angst, die mich meine Augen wieder öffnen ließ. Ich fühlte mich körperlich schlecht, das Bedürfnis, mich zu übergeben, wuchs immer mehr. Ich rang nach Luft wie ein Asthmakranker und wusste, dass ich dabei war zu hyperventilieren, wenn ich nicht augenblicklich an meinen Verstand appellierte. Als ich die Augen öffnete, kreisten Bäume uns ein. Dichtes Dickicht zu meiner Rechten versperrte mir die Sicht auf das, was dahinter lag. Ich spürte weichen Waldboden unter mir. Ein Lufthauch streifte mein Gesicht und ich zitterte unwillkürlich. Die Bäume, die mich umgaben, waren endlos hoch und einseitig von Moos bewachsen. Dieser Ort sah eher paradiesisch aus, unter diesen Umständen jedoch stufte ich ihn in das Vorzimmer zur Hölle. Es war beängstigend still um mich, so als hätten sich sämtliche hier im Wald lebende Tiere aus Angst vor meinem urplötzlichen Auftauchen verkrochen.

    Wo war ich? Was war geschehen? Lebte ich oder war ich tot? Mein Schädel drohte zu bersten. Unwillkürlich griff ich an meine Stirn. Ein Stöhnen entfuhr meiner Kehle, dann bemerkte ich eine Bewegung neben mir. Ich brauchte eine ganze Weile, um Kiefer zu erkennen.

    „Hier, nehmen Sie das hier!"

    Er hielt mir eine braune Papiertüte entgegen, die ich verwirrt annahm, um hinein zu atmen. Zwar war die Übelkeit immer noch da, aber der alte Trick, vor einer Ohnmacht zu fliehen, half wenigstens. Als ich endlich aufsah, entdeckte ich Lori zu meiner Linken neben mir auf dem Boden liegend. Mein Herz setzte einen Schlag lang aus, weil ich in der Annahme war, sie sei tot. Sie sah sehr blass aus. Ihr langes, glattes Haar umrahmte ihr Gesicht wie ein übergroßer Fächer. Ihr Körper schien schlaff, doch ihre flachen, aber regelmäßigen Atemzüge überzeugten mich dann schließlich vom Gegenteil. Mechanisch griff ich nach ihrem Handgelenk. Ich musste sie irgendwie wach bekommen.

    „Das habe ich auch schon versucht!"

    Kiefers Aussage erinnerte mich an seine Gegenwart. Allem Anschein nach schien er mich intensiv beobachtet zu haben.

    „Bei Ihnen hat es auch länger gedauert. Sie wird vermutlich gleich aufwachen?"

    Seine ruhigen Worte halfen mir in keiner Hinsicht weiter. Unwillkürlich blickte ich auf meine Uhr und stellte mit Entsetzen fest, dass sie kaputt war. Das Glas war zerbrochen und das mechanische Uhrwerk war stehen geblieben. Der Sekundenzeiger war verbogen. Vorwurfsvoll zeigte er gen Himmel.

    „Wo, wo sind wir, Kiefer?"

    Er saß neben mir: Ich weiß es nicht!

    Hastig versuchte ich aufzustehen. Der jedoch eher wackelige Versuch misslang mir. Nervös rieb ich die Handflächen aneinander, um Schmutzteilchen zu entfernen. Kiefer machte keinen Versuch mir aufzuhelfen. Es störte mich, aber ich behielt einen Kommentar der Empörung für mich. Erst seine nächstfolgenden Sätze ließen eine minimale Aufklärung zu.

    „Ich bin schon ein bisschen länger wach als Sie und habe versucht, die Gegend zu erkunden. Keine Ahnung, wo wir uns befinden, aber ich habe das dumme Gefühl, dass wir gereist sind ..."

    Ich hatte Angst, über sein Gesagtes genauer nachzudenken. Es flößte mir Unbehagen ein. Nicht zu wissen, was vorgefallen war und das bei einer kalkulierenden Persönlichkeit wie mir, machte mich nervös.

    „Mit gereist, ich sprach es aus wie ein lästiges Übel, mit gereist meinst du ..."

    Er nickte, ohne meine Frage abzuwarten.

    „Bist du dir sicher?"

    „Ich denke schon."

    „Wie kannst du nur so ruhig bleiben, wenn du es schon weißt?", fuhr ich ihn unbeherrscht an.

    Er erhob sich. Im Gegensatz zu mir schien er es bereits besser zu beherrschen, denn ich hatte immer noch das Gefühl, nie wieder richtig laufen zu können.

    „Weil es nun mal nichts an der Tatsache ändert, Miss Clerence! Wir befinden uns hier in einer Gegend, die ich nicht kenne und ich weiß mit ziemlicher Sicherheit, dass wir uns eben noch in einem Hörsaal einer Universität befunden haben!"

    Verärgert setzte ich mich auf. Ich war sehr hilflos: Du hörst dich schon ähnlich selbstherrlich an wie Professor Vibelle!

    Noch während ich seinen Namen aussprach, wurde mir bewusst, dass er nicht Vorort war. Warum fehlte er? Hatte er nicht diesen verfluchten Kreis mit seinen Händen geschlossen? Und war er es nicht gewesen, der uns all das hier eingebrockt hatte?

    Kiefer schien meine Gedanken genau verfolgen zu können.

    „Ich habe ihn nirgendwo entdeckt. Er ist verschwunden!"

    Ich überlegte, ob er überhaupt anwesend sein konnte, ob er nicht unser Medium gewesen war und aus welchen Gründen er uns hierher befördert hatte. Mein Gott, welchen Gedanken hing ich nach? Waren wir tatsächlich Opfer einer Zeitreise geworden? Der Fakt, dass ich nicht allein war, hielt mich davon ab zu glauben, dass dies hier mit rechten Dingen zuging. Ich träumte nicht. Es war ein Alptraum, den ich zu unterdrücken versuchte. Es war ein Alptraum, welchen Kiefer und Lori mir mit ihrer Anwesenheit bestätigten, dass er noch nicht so schnell vorüber sein würde. Hatte er mich damit gemeint, keine Angst haben zu müssen? Panik dehnte sich in mir aus und wenn ich mich nicht zusammenriss, würde ich gleich in Tränen ausbrechen.

    „Hören Sie, ich hatte schon länger Gelegenheit als Sie, mir Gedanken über diese Situation zu machen. Das Schlimmste daran ist die Unwissenheit, der wir ausgeliefert sind. Wir müssen das Beste für uns alle daraus machen. Es hat keinen Sinn, in Panik zu verfallen. Wir müssen einen kühlen Kopf bewahren!"

    Kiefers Worte waren wahr. Anscheinend war er erwachsener, als ich ihn eingeschätzt hatte. Insgeheim bewunderte ich ihn für seinen Mut. Wahrscheinlich war es wirklich das Beste, abzuwarten. Herauszufinden, wo wir uns nun befanden, an welchem Ort und in welcher Zeit, denn einer Sache war ich mir hundert Prozent sicher, wir waren nicht mehr in der Universität, in diesem verdammten Hörsaal, an diesem verdammten Lehrerpult!

    Lori kam plötzlich zu sich und ich hatte starkes Mitleid schon jetzt mit ihr, weil sie noch dem ausgeliefert war, was uns bereits beschlichen und ergriffen hatte.

    Erstaunlicherweise blieb sie relativ gefasst. Ihre Augen musterten unsicher die Gegend um uns herum. Ich konnte ihrer Gesichtsmimik absolut keine Regung entnehmen und ich hatte das Gefühl, dass meine Nerven blanker lagen als ihre.

    Kiefer und ich warteten in stummem Einverständnis ihre Desorientierung ab. Es hatte keinen Zweck, sie direkt mit der ganzen Wahrheit zu konfrontieren. Es kam mir so vor, als ob er und ich uns sehr gut auch ohne Worte verstanden, eine Tatsache, die ich mir mit manch anderem ebenfalls wünschte.

    „Wir sind tatsächlich gereist!" Loris Satz war nicht als Frage gemeint.

    „Es sieht ganz so aus", tastete ich mich vor.

    „Das ist ganz offensichtlich, denn eben waren wir noch im Physikunterricht. Ich begreife es nicht!" Ihre Stimme klang trocken und fassungslos und wieder konnte man ihr nicht widersprechen.

    Während wir unschlüssig und überfordert dort beisammensaßen, versuchte ich erneut, mich zu erheben und dieses Mal hatte ich Glück. Völlig überflüssig strich ich mir den Rock glatt. Die Falten, die er mittlerweile aufwies, waren kaum mehr mit dem heißesten Bügeleisen in Form zu bringen. Langsam musterte ich die Umgebung, in der wir uns befanden. Es war ein Waldstück, Laubbäume umgaben uns. Unter normalen Umständen hätte ich diesen Ort sogar wunderschön gefunden, nicht aber in dieser Situation.

    „Welche Richtung bist du schon gegangen?"

    Kiefer wusste, dass ich ihn ansprach.

    „Südlich, ein paar hundert Meter weiter endet der Wald. Aber es gibt keinen Weg. Nur endlose Hügelketten. Ich konnte nichts erkennen, was auch nur annähernd mit einem Gebäude oder Menschen zu tun hat!"

    Ich verstand ihn. Das wäre auch meine erste zu stillende Neugier gewesen. Während ich dort stand, schoss mir urplötzlich eine Erinnerung durch den Kopf.

    „Von welcher Zeit hast du gesprochen, als es um diese schlimme Sache auf dem Footballfeld der Uni ging?"

    Meine Frage war an Lori gerichtet.

    Sie sah verwirrt in meine Richtung, aber Kiefer kam ihr zu Hilfe: „Es war dreißig Jahre zurück. Meinen Sie, es hängt mit der Dauer seiner Berührung zusammen, wie weit wir gereist sind?"

    Sein Scharfsinn war enorm. Noch bevor ich antworten konnte, mischte Lori sich jedoch dazwischen: Ich kann es immer noch nicht fassen! Wie in Gottes Namen hat er das angestellt?

    Ich konnte ihr ansehen, in welchem Schock sie sich befand, wusste ihr jedoch keine passende Hilfestellung zu geben. Kiefer und ich standen vor ihr und waren beide zu überwältigt, um eine passende Antwort zu geben.

    Lori wiederholte sich laut: „Ich will wissen, wie er das angestellt hat, verdammt!"

    „Lori, wenn wir das wüssten, würden wir uns wohl so schnell wie möglich zurück katapultieren, das kannst du mir glauben! Wir sind von einem Hörsaal aus in einem Gott verlassenen Wald gelandet. Was meinst du, wie er das angestellt haben wird, he?"

    Er machte eine kurze Pause und sprach dann weiter.

    „Meinst du tatsächlich, er würde sein Wissen darüber mit uns teilen? Meinst du nicht, er hätte uns dann vorher in diese Problematik eingeweiht?!"

    Er war laut geworden und stand wie ein Rachegott vor ihr, vermutlich tat er es aus seiner eigenen Verzweiflung heraus, ich wusste es nicht genau.

    Kiefers offener Verbalangriff löste Zorn in ihr aus. Sie bebte innerlich und schaffte es kaum, es nicht als ein unaufhörliches Zittern nach außen dringen zu lassen. Ihre Hände hatten sich so fest um ihre Knie geschlossen, dass die Fingerknöchel weiß hervortraten. Ihre Augen waren geschlossen und rollten unruhig unter ihren Lidern. Mich hätte es nicht gewundert, wenn dieser stumme Schrei sich in einen hysterischen Schreianfall verwandelt hätte, aber es blieb aus. Stattdessen stand Kiefer unschlüssig vor ihr, unsicher, irgendeine Handlung zu begehen. Als einige weitere stumme Minuten vergangen waren, begann er zu sprechen.

    Es tut mir leid, Lori. Ich bin sicher, dass wir eine Chance haben werden, hier wieder heraus zu kommen. Stimmt es, Miss Clerence?

    Ich nickte und doch konnte sie meine Reaktion nicht sehen. Fast kameradschaftlich stieß er sie an die Schulter und es schien eine beruhigende Wirkung auf sie zu haben. Nach einer Weile sah sie auf, die Röte, die sie zu unterdrücken versucht hatte, hatte ihr ganzes Gesicht in Beschlag genommen. Es blieb weder Kiefer noch mir die Gelegenheit, weiter darüber nachdenken zu wollen, denn ein fernes Geräusch drang zu uns herüber. Alle drei sahen wir überrascht in die Richtung, aus der es kam, aber es war nichts zu sehen. Blitzschnell entschlossen schlich Kiefer an mir vorbei. Eine solche Geschmeidigkeit hatte ich ihm gar nicht zugetraut! Es war zu spät, um reagieren zu können. Ich konnte ihn nicht mehr aufhalten. Anscheinend hatte er die Regie in diesem schrecklichen Spiel übernommen.

    Ich hielt Lori aufmunternd meine Hand entgegen, die sie erschrocken vor dem Unbekannten, was da auf uns zukam, entgegennahm. Leise folgten wir Kiefer ins dichte Geäst. Ich war froh, dass man uns von hier aus nicht sehen konnte, denn es waren tatsächlich Menschen in der Nähe, die ein Fuhrwerk durch tiefen Morast lotsten.

    Diese Szene hätte auch in unsere eigene Zeit gepasst und ich stutzte leicht. Schon wollte ich erleichtert auf die Gruppe zulaufen, als Kiefer mich heftig am Ärmel zurück riss.

    „Schon mal Leute in solcher Kluft bei uns gesehen?", zischte er unterdrückt.

    Er hatte Recht, obwohl ich Skepsis entgegen zu bringen versuchte: Es könnten Amish sein.

    Er unterbrach mich: Diese Leute mögen vielleicht den elektrischen Strom verpönen und eine sonst sehr engräumige Betrachtungsweise der Welt haben, aber ich glaube nicht, dass sie Pistolen mit sich führen, um einen mit Lebensmitteln bepackten Zweispänner zu eskortieren?!

    Ich sah, was er meinte, da die mitgeführten Waffen in der Sonne glänzten.

    „Sie sehen aber trotzdem ganz harmlos aus!", meldete ich überflüssigerweise entgegen.

    Kiefer sah mich von oben herab an. Mir war noch gar nicht aufgefallen, dass er tatsächlich größer war als ich.

    „Und wie stellen Sie sich das nun vor? Gehen wir dorthin und sagen „Hallo und fragen ganz zufällig, in welcher Zeit wir uns befinden?

    Der tadelnde Blick, den ich ihm zuwarf, duldete keine weiteren ironischen Schnapsideen. Gerade als ich etwas erwidern wollte, mischte sich Lori dazwischen.

    „Wir werden auf keinen Fall dort hingehen. Seht doch mal an Euch herunter!"

    Das brauchte ich nicht, um zu verstehen, was sie damit meinte. Sie selbst trug Jeans mit Turnschuhen, während Kiefer Gott sei Dank an diesem Morgen braune Halbschuhe gewählt hatte. Trotzdem sahen sie beide aus wie ganz normale junge Erwachsene des einundzwanzigsten Jahrhunderts. T-Shirts waren vermutlich genauso wenig bekannt, ebenso Reißverschlüsse oder Regenjacken aus Goretexstoff. Ich war die Einzige, die einen langen Rock anhatte, obwohl ich den nur trug, um mich von dem Rest der Schüler unterscheiden zu können. Ich bildete mir ein, dadurch ein wenig älter auszusehen, und es bestätigte mir diese Tatsache, dass es ausnahmsweise mal die richtige Kleiderwahl an jenem verfluchten Morgen, an welchen uns Manitu Vibelle in die Vergangenheit befördert hatte, gewesen war.

    „Wir müssten uns irgendwie andere Kleidung beschaffen. Es bleibt uns keine andere Wahl, außer sie zu stehlen!"

    Loris Aussage brachte mich zum Überlegen. Sie schien sich wieder gefangen zu haben. Dass sie sich so schnell an die Situation adaptieren konnte, bewunderte ich.

    „Bist du verrückt? Weißt du, wie man mit Dieben in früheren Zeiten verfahren ist? Ich habe keine Lust, am Galgen zu baumeln!" Kiefer sah sie entsetzt an.

    Ich hörte ungeduldig diesem Dialog zu.

    Das alles hat doch keinen Sinn, mein Gott! Woher wollen wir wissen, ob ein solches Gesetz noch greift, wenn wir nicht wissen, welches Datum wir schreiben?

    Mein Satzbau klang kompliziert, aber ich glaubte trotzdem, dass sie verstanden hatten, was ich damit meinte.

    Ich sah sie beide nacheinander an.

    Es gibt zwei Dinge, die überlebenswichtig in unserer Situation sind. Erstens, wo befindet sich Professor Vibelle und zweitens, welches Jahr schreiben wir?

    Noch während ich dies aussprach, kam mir die nächste Idee.

    „Lori, gib mir deinen Strickpullover, dafür bekommst du meine Jacke. Hier Kiefer, hüte mir diese Uhr, auch wenn sie kaputt ist. Sie war ein Erbstück meines Großvaters, ich hänge sehr daran!"

    Beide sahen mich erschrocken an, aber instinktiv wussten sie wohl, was ich vorhatte zu tun.

    „Sie können da nicht einfach hingehen, Miss Clerence, es ..."

    Ich unterbrach Kiefer forsch.

    Nein, es ist besser, sie weiter ziehen zu lassen und womöglich auf eine Gruppe blutrünstiger Indianer zu warten, die sich auf dem Kriegspfad befinden, oder andere kriminelle Wegelagerer, die sich über unseren Besuch definitiv freuen, du hast Recht.

    Ich schaffte es nicht, meine Unsicherheit zu überspielen.

    Einer muss sich opfern und ich bin nun mal die Älteste!

    Niemand von ihnen widersprach mir mehr, was meine Angst in keiner Weise dämpfte. Über Handlungen zu sprechen, war eine Sache, sie in die Tat umzusetzen, die andere, und so machte ich mich ziemlich übereilt auf den Weg, um nicht noch genauer darüber nachdenken zu müssen. Ich hatte ihnen noch einen Treffpunkt gegen Abend von weitem zugerufen und hoffte inständig, dass sie meine Worte noch hatten vernehmen können. Es war auch mittlerweile zu spät, um umkehren zu wollen, denn einer in der Gruppe hatte mich bereits entdeckt, als ich ihnen unsicher stolpernd folgte.

    Meine Knie schlugen unwillkürlich aneinander. Ich schaffte es nicht, sie einzuholen. War ich so in Panik versetzt, dass mir jeder einzelne Schritt wie ein Weglaufen vor meinem alten Leben vorkam?

    Die Person, die mich gesehen hatte, brachte schließlich alle anderen zum Stehen. Mir war

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