Weihnachtslied gesucht
Von Natalie Rabengut
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Über dieses E-Book
Liebesroman. In sich abgeschlossen. Gefühlvolle Handlung. Ein Schuss Humor. Explizite Szenen.
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Buchvorschau
Weihnachtslied gesucht - Natalie Rabengut
KAPITEL 1
CORA
Ich war mir unschlüssig, ob ich die Zimmerdecke über mir streichen sollte oder nicht. Das fragte ich mich jeden Morgen, weil das Weiß mittlerweile eher einem hellen Grau glich. Auf der anderen Seite hatte ich das Haus nur gemietet und wusste nicht, ob ich überhaupt lang genug hier wohnen blieb, damit eine solche Aktion sich lohnte.
Und dann war da noch das Problem, dass es in Neuhnfelde keinen Baumarkt gab. Ich würde mindestens vierzig Kilometer fahren müssen, um einen Eimer Farbe zu kaufen.
Mit einem Seufzen schlug ich die Bettdecke zurück und stand auf. Mein erster Gang führte mich zur Kaffeemaschine, weil mein Handy dort lag. Wenn ich es nämlich mit ins Schlafzimmer nahm, schlief ich praktisch gar nicht.
Noch während ich die Kaffeemaschine anschaltete und zu der Erkenntnis kam, dass ich erst morgen wieder über die Zimmerdecke nachdenken würde, griff ich nach meinem Handy. Ich überflog die News, meine E-Mails, die aktuellen Twittertrends, sah mich auf Instagram, TikTok und Snapchat um und überprüfte meinen Kontostand. Es gab glücklicherweise nichts Neues.
Mit meinem Kaffee, einer Scheibe Schwarzbrot aus der Bäckerei und meinem liebsten veganen Brotaufstrich setzte ich mich an den Küchentisch. Ich legte das Handy weg und zog stattdessen den Laptop zu mir, ging über meine To-do-Liste für den Tag.
Ganz oben und fett markiert stand der Name »Felix Scholl«. Ich drückte mich jetzt seit einer Weile davor, ihn zu besuchen und zu testen, wie empfänglich er wohl für meinen Vorschlag war.
Mein Brot kauend öffnete ich den Browser und rief das letzte Musikvideo auf, das er vor fünf Jahren veröffentlicht hatte. In dem Video spielte noch seine ehemalige Verlobte mit, und eigentlich war es so kitschig, dass ich davon hätte Zahnschmerzen bekommen müssen, aber der Song war unglaublich gut. So gut, dass ich bereute, mir das Video angesehen zu haben, weil der Ohrwurm mich jetzt tagelang begleiten würde.
Du oder keine hieß der Track, und ich fragte mich, ob es vielleicht ein Omen gewesen war, dass Felix den Song seiner Verlobten gewidmet hatte, die ihn dann – live und in Farbe – vor dem Altar stehen gelassen hatte. Die verpatzte TV-Übertragung war wochenlang das Thema Nummer 1 in allen Klatschspalten gewesen. Mega-Superstar Felix Scholl von Model Saskia Broich vor dem Altar stehen gelassen.
Der Arme hatte mir damals unglaublich leidgetan. Vielleicht war es Einbildung gewesen, weil ich schon immer etwas für ihn übrig gehabt hatte, aber meiner Meinung nach hatte er bereits während der Sendung Saskia und Felix heiraten gewirkt, als wäre ihm der Trubel, den Saskia veranstaltete, viel zu viel. Als Profi hatte er es überspielt, doch glücklich hatte er auch nicht gewirkt.
Da war es vermutlich kein Wunder, dass er komplett untergetaucht war, nachdem Saskia mit seinem Manager durchgebrannt war. Die beiden hatten auf Barbados geheiratet und Saskias Karriere hatte eine absolute Bruchlandung hingelegt. Der Großteil der Sympathien hatte eindeutig bei Felix gelegen, und niemand wollte die Frau als Gesicht einer Werbekampagne, die Deutschlands Liebling und Saubermann vor dem Altar hatte stehen lassen.
Als die Erkenntnis über ihn hereingebrochen war, hatte Felix wie ein geprügelter Welpe geguckt. Ich kannte ihn nicht einmal persönlich und trotzdem hatte mir der Gesichtsausdruck das Herz zerrissen.
Ähnliche Einschaltquoten hatte es danach nur gegeben, als Saskia im australischen Dschungel versucht hatte, ihre Karriere wieder zu beleben, indem sie ein paar Kakerlaken aß. Manchmal, wenn ich einen sehr schlechten Tag hatte, sah ich mir die Aufzeichnungen davon an, wie sie heulte und flennte, bevor sie sich in ihr Schicksal fügte.
Ich stoppte das Musikvideo, als nur Felix im Bild war, und fragte mich, ob er sich in den letzten fünf Jahren wohl sehr verändert hatte. Dabei versuchte ich, mich auf alle Eventualitäten vorzubereiten, denn ich wollte ihn später nicht mit offenem Mund anstarren und kein Wort herausbekommen.
Nachdem ich mein Geschirr weggeräumt und die Spülmaschine angestellt hatte, ging ich ins Bad, um zu duschen und ein wenig Make-up aufzulegen. Ich wollte mich schließlich von meiner besten Seite zeigen, wenn ich Felix besuchte und ihm einen Song und ein Benefizkonzert für die Stadt aus den Rippen leierte.
Inzwischen hatte mir jeder hier versichert, dass meine Chancen alles andere als gut waren, doch das hatte mich noch nie gehindert. Meine Hartnäckigkeit war meine beste und meine schlechteste Angewohnheit.
Ich warf einen Blick aus dem Fenster und entschied mich direkt für die dicke Jacke mit der Kapuze und steckte sicherheitshalber ein Paar Handschuhe in meine überdimensionierte Handtasche. Auch eine meiner schlechten Angewohnheiten – ich war immer und überall übervorbereitet. Wenn ich jetzt durch ein Loch fallen und am Amazonas wieder rauskommen würde, könnte ich dort mit dem Inhalt meiner Tasche vermutlich locker ein paar Tage überleben.
Ich hievte das Monster über meine Schulter und verließ das Haus. »P. Baader« stand auf dem Klingelschild, weil ich mir keine Mühe gemacht hatte, es auszutauschen. Das Haus gehörte Pascal Baader, der es mir für einen monatlichen Spottpreis vermietete, der jedem Berliner oder Kölner die Tränen in die Augen treiben würde. Meine Schwester hatte irritiert gefragt, ob ich für den Preis dreimal in der Woche zusätzlich mit Pascal schlafen musste. Sie wollte partout nicht glauben, dass Pascal in Hamburg wohnte und keine Verwendung für das hübsche, wenn auch etwas kleine Einfamilienhaus am Ende der Welt hatte.
Ich wollte zur Bäckerei, wo Bea mir netterweise ihr Fahrrad hingestellt hatte. Mit dem Fahrrad konnte ich über die Feldwege in knapp zehn Minuten direkt vor Felix’ Haustür stehen. Mit dem Auto würde ich die Stadt verlassen und über diverse Landstraßen fahren müssen, auf denen streckenweise nur Schritttempo aufgrund der vielen Lastwagen und Trecker möglich war, bloß um eine halbe Stunde später vor dem verschlossenen Tor zu stehen, das Felix’ Einfahrt säumte.
Immer wieder sah ich in den Himmel, weil für diese Woche grausiges Wetter angesagt war. Es war mir egal, wie oft Hella Flügel behauptete, dass sie den Schnee in den Knochen spüren konnte – hier würde es regnen und nicht schneien.
Ich hatte vielleicht die halbe Strecke zurückgelegt, als ich die merkwürdige Mischung aus Gurren und Krähen hörte, die dieser blöde stalkende Hahn immer von sich gab.
Da ich mich grundsätzlich nicht einschüchtern ließ, drehte ich mich um. »Du!« Meine Augen wurden schmal.
Der Kapitän – was für ein blöder Name für einen Hahn – plusterte die Brust auf, und hätte er Augenbrauen gehabt, hätte er wahrscheinlich anzüglich mit ihnen gewackelt, während er sein merkwürdiges Kräh-Gurren hören ließ.
»Ich habe keine Angst vor dir. Siehst du die Tasche hier? Die lasse ich auf deinen Kopf fallen und dann gibt’s heute Abend Chicken Wings.«
»Gurr.« Er kam langsam näher, und mir wurde klar, dass ich gelogen hatte. Zwar war es nicht unbedingt Angst, die ich verspürte, aber wohl war mir bei dem Gedanken, von einem erregten Hahn angesprungen zu werden, dann doch nicht.
Wie bei einem klassischen Western-Showdown starrten wir uns noch einen Moment an.
Ich holte tief Luft und wappnete mich. Bis hier waren es knapp zweihundert Meter bis zur Bäckerei. Das konnte ich schaffen. Das war … machbar.
Mein Herz klopfte wie wild, als ich herumfuhr und losrannte. Ich spielte sogar kurz mit dem Gedanken, meine Handtasche fallen zu lassen, um den unnötigen Ballast loszuwerden, aber was sollte ich dann machen, wenn jemand spontan eine neue Strumpfhose, Haarnadeln oder ein Dutzend Tampons brauchte? Ganz unten lag sogar noch ein Pullover, der mir zwei Nummern zu groß war. Ich musste wirklich aufhören, immer so viel Kram mitzuschleppen.
Hinter mir fauchte der Kapitän und ich hörte das bedrohliche Flattern seiner Flügel. Ich fragte mich, was er da wohl fauchte. Vielleicht so etwas wie »Meine werten Damen, haben Sie einen Moment, um mit mir über unseren Erlöser Jesus Christus zu reden?« oder eher etwas in die Richtung »Menschenfleisch. Köstlich. Gib, gib!« – ich wusste nicht einmal, welche Variante mir lieber war.
Erleichterung durchflutete mich, als ich merkte, dass Armin Goldscheider, Besitzer der Bäckerei Goldscheider mit den leckersten Stollen, die ich in meinem ganzen Leben gegessen hatte, mein Dilemma mitbekommen hatte und bereits mit dem Besen in der Hand in der Ladentür stand.
Ich flüchtete mich hinter die großen Glasscheiben, Armin holte weit aus und der Kapitän bremste mit einem empörten Krähen und flatternden Flügeln ab. Er kam zum Stehen, bevor Armin ihn mit dem Besen in die Stratosphäre katapultieren konnte.
»Gurr!« Der Kapitän schüttelte sich, warf mir einen letzten, merkwürdig besitzergreifenden Blick zu und stolzierte davon.
»Melanie.« Ich nickte ihr zu und ging zum Tresen.
Wie jeden Morgen gab sie mir keine Antwort, sondern starrte bloß finster vor sich hin.
»Grün«, schnaufte Armin hinter der geschlossenen Glastür. Er hatte den Besen auf den Boden gestellt und die andere Hand in die Seite gestützt. Er schüttelte den Kopf. »Ein grünes Ladenschild.«
Ich folgte seinem Blick zur gegenüberliegenden Straßenseite, wo bald der neue Cupcake-Shop aufmachen sollte. Es wurde gerade fleißig renoviert, und ich war klug genug, meine Klappe zu halten, denn ich fand das Schild sehr hübsch und überaus passend für eine Weihnachtsstadt. Da Armin mich aber mit Schwarzbrot, Stollen und Kaffee to go versorgte, sagte ich nichts, um nicht versehentlich seinen Unmut zu erregen.
Er kam zu mir und lächelte mich an. »Kaffee?«
»Ja, bitte.«
»Und Schwarzbrot?«
Ha, da hatte er recht. In der Küche lagen bloß noch zwei Scheiben. Aber meine Tasche war bereits so voll. Allerdings wusste ich nicht, wie es mit Felix laufen würde, weshalb ich vielleicht erst zurück war, wenn die Bäckerei Goldscheider längst geschlossen war.
Ich wühlte in der Tasche und schob das Paar Ballerinas, das ich immer für alle Fälle dabeihatte, zur Seite. »Okay. Ein Brot würde ich auch nehmen.«
»Extra dünne Scheiben?«, fragte er mit einem Lächeln.
»Dünne Scheiben«, murmelte Melanie mit Verachtung in der Stimme hinter mir. Ich ignorierte sie und ihre übliche schlechte Laune.
»Ja, bitte.«
Das Kleinstadtleben musste man echt mögen. Ich war bloß erst ein paar Wochen hier, und jeder wusste, wie ich mein Brot aß, meinen Kaffee trank und dass ich zum Schlafen nur im Schlafzimmer die Jalousien herunterließ.
Während Armin das Brot für mich schnitt, musterte ich Beas Fahrrad vor dem Laden. Es war ziemlich lang her, dass ich zum letzten Mal Fahrrad gefahren war, aber angeblich verlernte man es ja nicht.
»Hey, Melanie, wie war noch mal der Weg zu Felix Scholls Villa?«
Sie seufzte. »Du fährst in Richtung Kreisverkehr und links raus, den Feldweg lang bis zu den Hühnern. Da biegst du rechts ab und folgst dem Weg bis zum gelben Pfosten.«
»Gelber Pfosten, richtig.«
»Dann musst du geradeaus, bis du zu dem Maschendrahtzaun kommst. Da geht’s wieder links, bis zur Jagdhütte – da steht der blaue Pfosten. Von da aus müsstest du den Weg auf Felix’ Grundstück eigentlich sehen können.«
»Okay. Hühner, gelber Pfosten, Maschendrahtzaun, blauer Pfosten, Jagdhütte. Das sollte ich hinbekommen.«
»Denk nur dran«, sagte Armin und legte mein Brot auf die Theke. »Wenn du zuerst beim blauen Pfosten auskommst, bist du falsch abgebogen und am anderen blauen Pfosten.«
»Es wäre wohl zu einfach gewesen, ein paar Straßenschilder aufzustellen, was?«, murrte ich und schob die zwei Packungen Pflaster und den Regenschirm zur Seite, damit ich das Brot in meiner Tasche unterbringen konnte. Ach, da war die Angelschnur.
»Und hier ist dein Kaffee. Schwarz.« Armin lächelte mich an.
Im ersten Moment dachte ich mir nichts dabei, dass Karla Ober direkt hinter mir stand, doch dann bemerkte ich ihren Gesichtsausdruck.
»Guten Morgen, Cora«, sagte sie.
»Guten Morgen, Karla. Ich –« Ein wenig hilflos deutete ich auf den Ausgang hinter ihr, weil sie mir im Weg stand.
»Du bist zweiunddreißig, richtig?«
»Dreiunddreißig«, korrigierte ich sanft und ahnte bereits, dass ich vermutlich gar nicht wissen wollte, warum sie fragte.
»Hm«, machte sie. »Alexander ist erst neunundzwanzig, aber das macht nichts. Der braucht sowieso eine Frau, die ihm zeigt, wo es langgeht.«
Oh nein! Karla hatte doch nicht etwa vor, mich zu verkuppeln, oder? Das war ja … grauenvoll. Ich räusperte mich und fragte so taktvoll wie möglich: »Und Alexander ist wer genau?«
»Mein Enkel. Mein ältester Enkel. Er kommt am Wochenende und hilft Samuel mit der Infrastruktur der Stadtwebsite, die neue Features und ein Intranet bekommt.«
»Ein Intranet«, wiederholte ich.
»Ja.« Karla strahlte mich an. »Ich habe keine Ahnung, was irgendetwas davon bedeutet, aber Alexander ist immer so stolz, wenn ich es fehlerfrei aussprechen kann.«
»Es ist ja auch nett, dass du dir extra die Mühe machst.« Ich trat einen Schritt zur Seite und wollte mich an ihr vorbeischieben, aber Karla ließ mich nicht.
Stattdessen hielt sie mir ihr Smartphone unter die Nase und zeigte mir das Bild eines – zugegebenermaßen – ziemlich attraktiven Mannes. Das Foto war schwarz-weiß und vermutlich sein professioneller Headshot, denn er lächelte kompetent und wissend vor einem nichtssagenden Studiohintergrund in die Kamera.
»Ach«, murmelte Karla eher zu sich selbst. »Das wollte ich dir gar nicht zeigen. Das ist nicht interessant. Hier!«
Ich starrte auf Alexanders durchaus ansehnliches Sixpack, das er über dem Rand seiner Badehose präsentierte. Er hatte die Augen zusammengekniffen, da er offensichtlich in die Sonne schaute, während er im Sand saß, sich auf den Händen aufstützte und die langen Beine von sich gestreckt hatte. Sicherheitshalber musterte ich seine Schultern noch ein zweites Mal, bis mir wieder einfiel, dass Männer und Beziehungen nur Probleme mit sich brachten. Ich war schließlich nach Neuhnfelde gekommen, um mich nicht mehr mit Dating und dem ganzen Mist auseinandersetzen zu müssen.
»Danke, Karla, das ist wirklich nett, aber ich … brauche Zeit für mich.«
Hella Flügel schob sich vorwärts und stieß Karla mit dem Ellbogen an. »Siehst du? Ich habe doch gesagt, dass sie zu beschäftigt ist.«
»Papperlapapp.« Karla plusterte sich auf. »Sie trinkt jeden Morgen hier einen Kaffee, da wird sie Samstag ja wohl einen mit Alexander trinken können.«
»Ich möchte gerade wirklich keine Beziehung.« Ich führte eine Mischung aus Konga und Limbo bei dem Versuch auf, mich an den alten Damen des Kaffeekränzchens vorbeizuschieben. In meiner Naivität dachte ich sogar, ich hätte es geschafft, doch sie folgten mir schlicht zu Beas Fahrrad.
»Junges Fräulein«, sagte Karla, »meinst du, wir sind von gestern? Ich brauchte auch Zeit für mich und hatte die Nase voll von Männern. Weißt du, wo