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Rosen brechen
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eBook208 Seiten3 Stunden

Rosen brechen

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Über dieses E-Book

Leopold Federmair gilt als polyglotter, interkultureller Autor. Seine Romane und Erzählungen spielen in Argentinien, Paris, Mexiko oder Japan. Dabei wird oft seine feste Verwurzelung in der (west)österreichischen Sprache und Kultur übersehen. Seit er Anfang der neunziger Jahre Bücher zu veröffentlichen begann, ist er in seinem Schreiben immer wieder zu dieser Herkunftswelt zurückgekehrt.
Mit seinem neuen Erzählband "Rosen brechen" zieht Federmair einen vorläufigen Schlussstrich unter seine jahrzehntelange Auseinandersetzung mit den Prägungen durch die österreichische Provinz. Ererzählt darin die Geschichte eines Feldes, schildert die magische Welt der frühen Kindheit, legt den Finger in immer noch offene Wunden, zugefügt durch Kindesmissbrauch und eine allzu strenge Moral im katholischen Milieu, aber auch durch Grausamkeiten, zu denen Kinder und
Jugendliche selbst fähig sind.
Wir alle tragen unsere Kindheit, unsere Jugend in uns und zehren davon. Literatur öffnet den Zugang zu anderen Welten – auch das ist Thema in diesem Erzählen, das zuletzt auf die Beschwörung
von Befreiungsversuchen hinausläuft, von denen nicht alle zum Scheitern verurteilt sind.
Denen, die es noch nicht wissen, wird "Rosen brechen" zeigen, dass Federmair einer der vielseitigsten und spannendsten Erzähler der österreichischen Gegenwartsliteratur ist.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum22. Mai 2017
ISBN9783701362455
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    Buchvorschau

    Rosen brechen - Leopold Federmair

    Kukuruz

    Vorwort

    Als ich vor drei Jahren mit meiner spanischen Übersetzerin über eine Auswahl von Erzähltexten sprach, die in Mexiko erscheinen sollten, entschieden wir uns für „österreichische Erzählungen", denn mir wurde klar, daß ich mich seit den späten achtziger Jahren, als ich mit dem Schreiben ernst zu machen begann, immer wieder mit meiner österreichischen Kindheit und Jugend auseinandersetzte, auf mehr oder weniger direkte Weise, mit einem wechselnden Anteil an Fiktion, Erfindung, Phantasie. Jene Auswahl trägt den für Mexikaner exotischen, für Oberösterreicher, Salzbur ger und Bayern vertrauten Titel Freilassing. Wege der Befreiung aus den Gefängnissen, den Festlegungen der frühen Biographie zu suchen, war und ist einer der Antriebe dieses Schreibens.

    Eine österreichische Autorin sagte kürzlich in einem Interview, an einem bestimmten Punkt ihres Lebens seien viele ihrer Kindheitserinnerungen „abgefallen. Ihre Verwandten waren alle gestorben, so konnte sie „neu anfangen. Obwohl ich bezweifle, daß Erinnerungen einfach so abfallen können, glaube ich ebenfalls an die Möglichkeit von Neuanfängen, von Wiedergeburten. Zugleich aber trägt ein jeder die frühen Erinnerungen ein Leben lang mit sich. Die Art, wie sie auf unser gegenwärtiges Leben einwirken, ändert sich, und ebenso ihre Gestalt. Wir gestalten die Inhalte unseres Gedächtnisses, meist unbewußt, zuweilen mit Absicht. Was wir erlebt haben, ändert sich in der Erinnerung, und schon die ersten Speicherungen sind heterogen, durch Erzählungen anderer beeinflußt, durch Familienfotos und Ansichtskarten, durch das eigene Wunschdenken. Schon aus diesem Grund glaube ich nicht, mit meinen Erinnerungen jemals ganz fertig zu werden. Was wir tun können, ist, sie durch Erzählen so zu bearbeiten, daß sie uns nicht mehr bedrängen und behindern. Ja, vielleicht können sie sogar Impulse zum Neuanfang geben.

    Meiner spanischen Übersetzerin habe ich es zu verdanken, daß das, was ich für abgeschlossen hielt, wie eine späte Welle zurückgekehrt ist, unter anderen Blickwinkeln, mit Schichten und Höhlen des Gelebten, die in meinem Gedächtnis verborgen waren und der Fiktion bedurften, um formuliert werden zu können. Der Grundtext dieses Strangs österreichischer Erzählungen ist eine Geschichte mit dem gar nicht heimatlich klingenden Titel Bitumen, 1994 in dem Band Monument und Zufall erschienen, aber schon in den achtziger Jahren entstanden. Aus ihm geht alles weitere hervor. Die relative Kohärenz dieses Blocks oder Stroms, also die Zusammengehörigkeit verschiedener Texte, war mir selbst lange Zeit nicht klar. Die mexikanische Anthologie hat in mir den Wunsch geweckt, einen abschließenden Band mit österreichischen Erzählungen zu schreiben. Dabei bin ich einem Ausdrucksbedürfnis gefolgt, das mich zum Beispiel die Erfahrungen von Kindesmißbrauch ein weiteres Mal und, wie ich glaube, auf neue Weise literarisch bearbeiten ließ. Die jetzt modifizierte Erzählung Rosen brechen hat ihren Ursprung in der Zeit von Bitumen und ist mit der viel später entstandenen Erzählung Freilassing verwandt.

    Inzwischen habe ich das Gefühl, diese Themen „erschöpft" zu haben. In Wahrheit können Schlußstriche unter die eigene Vergangenheit, ob sie nun fiktional oder autobiographisch ist, immer nur vorläufig sein. Ganz gleich, wohin wir fliehen, wir tragen unsere Kindheit mit uns und werden sie nicht los. Die frühen Erlebnisse und Erfahrungen, auch die ganz gewöhnlichen, unscheinbaren, haben uns stärker geprägt und sich dem Gedächtnis tiefer eingeprägt als die meisten der späten. Allein schon deshalb zehren so viele Autoren von diesem oft genug ambivalenten Schatz. Nicht nur Schreibende, auch Leser, sogar Nicht-Leser, wir alle zehren davon. Wenn wir uns neu erfinden, was wir von Zeit zu Zeit tun sollten, kann uns der Rückblick als Trampolin für Kunstsprünge dienen.

    Hiroshima, im März 2016

    Vom Lande

    Das Scheitel

    Da stand er jetzt mit dem Scheitel in der Hand, während der Vater in die Knie ging. Ein Herzanfall wieder einmal, wird nicht der letzte sein. „Ich sag euch immer, ihr dürft ihn nicht ärgern, sagte die Mutter bei jeder Gelegenheit. Seit er aus der Gefangenschaft zurück war, gingen ihm ständig die Nerven durch. „Dir werd ich die Wadel nach vorne richten! schrie er, wenn einer der Söhne nicht spurte. Dabei hatte der Sepp nur gesagt, was der Vater selbst oft gesagt hatte, nämlich daß das Holz vor Ostern gehackt werden muß. Jetzt hatte er etwas anderes im Kopf, die Mai feier nämlich, und an der Wand stapelten sich die gehackten Scheitel fast bis unters Dach. „Dir werd ich das Scheitel über den Scheitel ziehen", hatte der Vater diesmal geschrien, und der Sepp hatte gelacht, das Scheitel über den Scheitel, das ist doch ein Witz. Er hatte den rechten Arm gehoben, hatte den Vaterarm aufprallen lassen und das zu Boden gefallene Scheitel an sich genommen. Jetzt lag der Alte wie ein Wurm gekrümmt im Gras und röchelte. Der Sepp warf das Scheitel in hohem Bogen fort, als wär’s ein Corpus Delicti (Cor pus Christi, dachte er, Deo gratias). Es landete zwischen den Mostbirnbäumen hinter dem Misthaufen.

    Eine nervöse Wespe …

    … kroch auf dem Tischtuch herum, erhob sich schwerfällig, zog ein paar Kreise über dem Bierglas und schwirrte ab, nahm die Nervosität mit sich. Auf ihre Rückkehr hätte man gefaßt sein können, aber sie näherte sich unbemerkt dem Schaum, diesem weißen Gebirge über dem gelben See, und hier stolperte sie, rappelte sich hoch, verlor sich zwischen den Rücken, halb betäubt. Die Änderungsschneiderin, eine bildhübsche Frau Ende zwanzig, hob das Glas auf die Höhe ihres Mundes, ohne das Gespräch mit dem weißhaarigen Mann, der kaum älter als sie war, zu unterbrechen, schließlich war sie gerade erst ins Er zäh len gekommen. Der Haarschopf blendete sie, aber sie konnte den Blick nicht abwenden. Der Mann leuchtet ja, dachte sie, der leuchtet wie der Stern von Bethlehem. Als sie mit ihrer Geschichte vom Hof und dem gefallenen und dem heimgekehrten Bruder zu Ende war, tat sie einen tiefen Zug und spürte sogleich einen Stich, griff sich an die Kehle, aber der Stich war inwendig, die Wespe kämpfte um ihr Leben, die Schneiderin rang nach Atem, ihr Gesicht verfärbte sich zuerst rot, dann blau. „Eis! rief der Mann mit dem Heiligen schein, „Eis! Er stürzte zum Kühlraum, drückte den schweren Hebel herunter, kam mit einem Kübel heraus. „Hätte ich ihr die Kehle durchschneiden sollen?" sagte er später lachend, wenn die Rede auf den Vorfall kam. Er hatte die Frau geheiratet, sie arbeitete in der Küche, die Schneiderei hatte sie aufgegeben.

    Die Scheibtruhe

    Ja, das Schieben der Scheibtruhe, die nur ein Rad hatte, war eine Kunst, wenn man schwer geladen hatte. Die Welzig Berta kam ein- oder zweimal pro Woche mit ihrem hölzernen Wägelchen daher, auf das sie das Trank stellte, das unter dem Küchenfenster stand. Zwischen dem Tonnenrand und dem Fenster sims verlief ein dunkler Streifen an der Hauswand, weil das Küchenpersonal den für die Schweine vorgesehenen Abfall einfach aus dem Fenster fallen ließ und die Kartoffelschalen, Soßenreste, Fritösenrückstände und all das Verkommene, Verfaulte, das sich rasch ansammelte, Spritzer und Dünste absonderten. Die Welzig Berta trug eine blaue Arbeitshose aus grobem Stoff, ein kariertes Männerhemd, das sie sorgfältig in den Hosenbund steckte, und schwarze Gummistiefel, denn sie arbeitete im Stall und verbrachte die meiste Zeit bei den Tieren, die sie besser verstand als die Menschen. Manche behaupteten sogar, die Berta schlafe im Stroh neben den Schweinen, aber das stimmte nicht, weil sie einen Sohn hatte, der in die Haupt schule ging, und zwei Zimmer mit ihm bewohnte, neben der Stiege, die zum Mostkeller führte, zwei dunkle und feuchte Löcher in der Mitte des bedroh lichen Labyrinths, das der außen stattliche Bauernhof in seinem Inneren war. Manchmal, auf der Straße oder aus dem Stall, hörte man die Welzig Berta vor sich hin fluchen, aber es war schwer, sie zu verstehen, weil sie wie mit einem Knödel im Mund redete. Ein- oder zweimal im Jahr kam es vor, daß sie eine der Likör flaschen austrank, die sie unter der Abwasch hortete. Dabei hörte sie dem Wunschkonzert zu und schlief irgendwann ein, schlief wie eine Tote, bis tief in den nächsten Tag hinein. An so einem Tag kam ihr Sohn, der Welzig Herbert, weil das Trank schon einen Gupf auf der Tonne machte und neue Speisereste auf den Boden fielen, mit der Scheibtruhe daher und lud die Tonne auf, stellte sie an den seitlichen Rand der Ladefläche, so daß sie umkippte, als er vom Parkplatz in die Straße einbiegen wollte. Das Trank rann die Straße hinunter, und der Welzig Herbert wußte nichts Besseres, als sich in den Graben daneben zu setzen und zu weinen. Er steckte seinen Kopf zwischen die Knie und wimmerte nach seiner Mutter, die ihn auch dann nicht gehört hätte, wenn er den Kopf gehoben und laut nach ihr gerufen hätte, denn sie lag schnarchend auf dem Diwan neben dem Volksempfänger, der irgendeine Blasmusik dudelte.

    Hollywoodschaukel und Prinzenrolle

    Die Hollywoodschaukel vor der dunkelgrünen Glaswand der Fertigungshalle quietschte noch eine Weile vor sich hin, ehe sie ganz zum Stillstand kam. Der Schaukelboden strich im langsamer werdenden Rhythmus über die ungemähten Gräser, und auf dem graubraunen Lehmfleck vor der Bank, der ein Oval aus der Wiese schnitt, lag ein Fetzen von einer Prinzenrolle, auf dem just der schlanke Prinz sichtbar war, sowie das Sternengefunkel über seinem Kopf. Mit seinen Zähnchen knabberte das Kind den Keks von dem Cremekreis, um die Erfüllung seines Begehrens hinauszuschieben und, wenn die Arbeit beendet war, die Süße umso reiner zu schmecken. Hinter dem grünen Vorhang der Trauerweide versteckt hatte das Kind beobachtet, wie der Kopf der Kellnerin langsam nach hinten gesunken war und der Mann von Zimmer 12 seine Lippen auf ihre Lippen legte, ohne mit den kleinen Fußstößen aufzuhören, die die Hollywoodschaukel im Rhythmus hielten, und es hatte einen Seufzer vernommen, als machte ihr irgendetwas Sorgen. Das Knistern vom Keks, dachte der Bub, wird sie aufschrecken, und er ließ die Masse im Mund zergehen, bis sie ihm als brauner Saft aus dem Mundwinkel rann. Als er das nächste Mal seine Nase zwischen die Zweige und Blätter steckte, war das Pärchen verschwunden, als wäre es niemals dagewesen. Und doch hatten die beiden auf der Hollywoodschaukel küssend geschaukelt, der lachende Prinz würde noch Zeugnis ablegen, wenn das Quietschen längst verstummt und hinter der Hecke der Motor des Opel Kadett – nach dem fünften Versuch – angesprungen war.

    Der geköpfte Hahn

    Ob der Hahn wirklich ohne Kopf über den Hof gelaufen ist? In jeder Landkindheit kommt die schauerliche Szene vor, aber vielleicht handelt es sich um Wiederholungen, von Kind zu Kind, deren ursprüngliches Bild längst verloren gegangen ist. Viel schlimmer war doch das Hühnerrupfen, es wiederholte sich als handfeste Wirklichkeit alle paar Tage, immer gleich, die weißliche Haut bildete Spitzen, die Federn waren Stacheln, an denen die Hand zupfte, ein paar ausgerissene steckten schon in dem kleinen Hohl raum, den die beiden letzten Finger bildeten. Die nackte Haut war von kleinen roten und ein paar blauen Flecken übersät. Die mißhandelte Leiche sollte jetzt gebraten und gegessen werden? Ab in den Kühl raum mit ihr, auf Nimmerwiedersehen!

    Die Fischblase

    Unter der Hand der Köchin, die den Fisch am Bauch aufschlitzte, quoll die Blase hervor und wurde größer, als säße ein Kobold im Fischbauch und bliese, vorsichtig wie die Kinder ihren Bazooka-Kaugummi, da mit er nicht platzte, sondern größer wurde, noch ein wenig, noch ein wenig, die Weltkugel vor dem Mund. Irgendwann platzte das federleichte rosa Gebilde, wie alles platzt, auch die Fischblase, das Kind holte eine Nadel vom Nähtisch im Arbeitszimmer und stach hinein, selbst das Zerstören war schön, das Zurückgehen, das Kleinerwerden, Verschwinden, schließlich der Hautfetzen, der von der Hand der Köchin im Trank verschwand.

    Brennesseln

    Das Brennesselgestrüpp wächst immer noch an seinen Orten, hinten am Rand der Scheune, unter der Eisenbahnböschung, zwischen der Marienkapelle und dem Schotterwegerl. Der große Dicke schubst den Kleinen, weil er „Dicker gesagt hat, und die gezackten Brennnesseln lecken gierig an den Waden, es ist die grüne Hölle des Kleinen. „Daraus kann man Tee machen, schrie er eines Tages, „Brennesseltee, hat die Mutter vom Herbert gesagt", und der Herbert nickte, weil er immer nickte, damit er nicht in die Brennesseln geschubst wird. Also haben sie angefangen, Brennesseln auszurupfen, die sie nur am Stengel anfassen durften, nicht an den Blättern, sonst wäre es wieder die Hölle gewesen. Sie schlichteten die Pflanzen vorsichtig übereinander, der Dicke legte Wert auf Ordnung, daß ein Blatt über das andere paßte, und der Welzig Herbert lief, um den Zöger zu holen, in den seine Mutter sonst die Nüsse legte. Aber die Welzig Berta machte daraus keinen Tee, sondern eine Salbe, die angeblich gegen Rheumatismus half. Sicher ist, daß der Dicke den Kleinen nicht mehr in die Brennesseln schubste und daß sie nun öfters Brennesseln pflückten, weil ihnen die Welzig Berta dafür einen Schilling gab, mit dem sie sich Bazookas kaufen konnten. Sie sammelten die Kaugummibilder, damit sie, wenn sie hundert gesammelt hätten, einen Fußball geschickt bekämen. Die Wuchtel ist nie eingetroffen, aber die Brennesseln, wie gesagt, die wachsen immer noch.

    Der Weihrauchbub …

    … schob seinen Arm in den Ärmel der Joppe und tastete nach dem Fäustling, der an einem starken Wollfaden hing, der zum anderen Fäustling führte, der im anderen Ärmel steckte. Dasselbe Spiel dann auf der anderen Seite, und der Faden kratzte im Nacken, weshalb der Weihrauchbub ein, zwei Hüpfer machte, um sich und die Kleidung zu lockern. Draußen war es noch finster, die Schneewächten schimmerten im gelblichen Licht der Straßenlaterne, die Kirche lag am Ende des Wegs wie der Schatten eines der vorzeit lichen Tiere, die das Buch bevölkerten, das er zu Weihnachten bekommen hatte. In der Sakristei wankte der turmhohe Pfarrer, während Schwester Monika an seinem weißen Kittel herumzupfte, damit er über dem Gurt bauschige Falten würfe, nicht zu wenig und nicht zu viel. Schläfrigkeit, später, im Stehen, Traum reste vermischt mit eingeschliffenen Handlungen, das Häuflein der alten Frauen in den Bankreihen vor der Treppe. Der Höhepunkt, wenn er den Pfarrer zum Tabernakel begleitete, sie zwei allein, der winzige Knabe und der turmhohe Mann, allein vor der rosenfarbenen Höhle, die sich im Holzschnitzwerk auftat, und der Goldkelch darin, das sanfte Fleisch, der Seifenduft an den gepflegten Fingern des Pfarrers.

    Tarock

    „Industrie und Glück", stand auf einer der bunten Tarockkarten. Das Wortpaar wurde dem Kind zum Leitspruch, obwohl der Vater, der jeden Samstagabend in der Kartenrunde saß, nur unverständlich brummte, wenn es danach fragte. Die Karten flogen, wandten sich ab, wurden aufgedeckt, blieben verhalten, bis das Spiel eine Lösung fand. Das Kind folgte dem Streit und den Verbrüderungen von Mond und Gstieß, von Vernunft und Zufall, es flog mit dem Adler, setzte sich dessen funkelnde Krone auf, die sich wie eine Wollmütze anfühlte. Der Vater war beherrscht, konzentriert, manchmal zeigte sich etwas wie Genugtuung auf seinem Gesicht. Andere Spieler zischten, pfiffen durch die Zähne, grinsten. Ein Zaundürrer kaute an einem Zahnstocher, der ihm aus dem Mundwinkel stand. Der Mond sandte silbrige Strahlen über den Tisch. Oder waren es Rauchschwaden einer doch noch entzündeten Zigarette? Der Gstieß sah aus wie ein lustiger Kerl, aber dann stieg er auf wie der Sichelmond und stürzte herab wie der Raubvogel und packte einen aus der Runde am Genick. Nie den Vater, vor ihm hatte er Respekt.

    Der Eierkarton …

    … hatte 25 Vertiefungen, Mulden in denen die Eier ruhten. Ebensoviele Erhöhungen, oder noch mehr, die aussahen wie Spitzberge, wie Fingerhüte. Der Karton war weich und doch fest, nur gegen Flüssigkeiten schwach. Wenn eine Schale zerbrach, bildete sich ein gelber See, der mit der Zeit stockte. Der Mann, der die Kartons durch die Hintertür neben der Küche hereintrug, wurde Oagödn genannt. Hatte er die Eierkartons abgestellt, bestellte er sich einen gespritzten Apfelsaft an der Theke der Gaststube, den er manchmal auszutrinken vergaß. Er wechselte ein paar Worte mit der Kellnerin, die eine kleine Tochter hatte, und mit ihrer Bedäch tig keit und dem wächsernen Teint nicht in die Wirtshaus umgebung paßte, weshalb sie als hochnäsig galt. Eines Tages quittierte sie den Dienst und zog mit ihrer Tochter auf den Bauernhof, von dem die in der Küche verarbeiteten Eier stammten. Weiterhin brachte der Oagödn die Eier, verzichtete jedoch auf das Getränk an der Theke. Eines Tages, als die Tochter der Kellnerin schon großjährig war, wurde ihre Mutter erschossen, angeblich, weil sie sich der Verbindung mit ihrem Lieb haber, einem Hauptstadtganoven, wi der setzt hatte. Seit

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