Noch keiner blieb von ihr verschont: Leni Behrendt Bestseller 51 – Liebesroman
Von Leni Behrendt
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Abendfriede lag über Uthersbrünn. Den großen Gutshof, auf dem eben noch reges Leben geherrscht, hatten die Arbeiter verlassen, um in den Ställen das Vieh zu versorgen. Ab und zu klang Lachen gedämpft durch die Türen, ein Zeichen, daß man bei der Arbeit recht vergnügt war. Nun, dazu hatte man auch allen Grund; denn es arbeitete sich gut unter dem Befehl der Herrin von Uthersbrünn. Obgleich es März war, stellte sich immer noch Frost ein. Von den Dachrinnen hingen dicke Eiszapfen, die im funkelnden Licht der untergehenden Sonne wie herrliche Diamanten gleißten. Der Schnee glitzerte an manchen Stellen wie grober Zucker, und doch lag schon ein Frühlingsahnen in der Luft. Gerade als die Turmuhr des Herrenhauses zu sechs dumpftönenden Schlägen ausholte, klangen die Glocken der kleinen Schloßkapelle, die ein wenig abseits des Gutes auf einer Anhöhe stand, melodisch in das dumpfe Getön. Hellklingend läuteten sie den Abend ein. Noch waren die Töne nicht verklungen, als eine Seitentür des Hauses geöffnet wurde und ein Mädchen hinaustrat. Entzückt blieben die blauen Augen an dem rotglühenden Sonnenball haften, der durch die kahlen Äste der Parkbäume hindurchleuchtete. Gleichzeitig vernahm das Ohr die Glockenklänge, und es war dem Mäd-chen wohl kaum bewußt, daß es die Hände über der Brust faltete wie in stillem Gebet. Erst als der letzte Glockenton verhallt war, schritt die schlanke Gestalt ohne Eile den Parkweg entlang. Der Schnee knackte unter den leichten Füßen wie sprödes Glas. Der Abend-wind fuhr sacht durch die Bäume und schlug die gefrorenen Äste zusammen, daß es ein Klingen gab wie bei einer Äolsharfe, so lieblich und zart. Am Horizont loderte es wie ein Flammenmeer. Die Augen des jungen Mädchens strahlten vor Lebensfreude, der rote Mund lachte. Das Lachen wurde hörbar, als es den Mann entdeckte, der an der Parkmauer stand und mißmutig umherschaute. »Nanu, Achim, du machst ja ein Gesicht, als wäre dir die Petersilie verhagelt«, neckte sie ihn, der nun auf sie zutrat.
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Noch keiner blieb von ihr verschont - Leni Behrendt
Leni Behrendt Bestseller
– 51 –
Noch keiner blieb von ihr verschont
Leni Behrendt
Abendfriede lag über Uthersbrünn. Den großen Gutshof, auf dem eben noch reges Leben geherrscht, hatten die Arbeiter verlassen, um in den Ställen das Vieh zu versorgen. Ab und zu klang Lachen gedämpft durch die Türen, ein Zeichen, daß man bei der Arbeit recht vergnügt war. Nun, dazu hatte man auch allen Grund; denn es arbeitete sich gut unter dem Befehl der Herrin von Uthersbrünn. Obgleich es März war, stellte sich immer noch Frost ein. Von den Dachrinnen hingen dicke Eiszapfen, die im funkelnden Licht der untergehenden Sonne wie herrliche Diamanten gleißten. Der Schnee glitzerte an manchen Stellen wie grober Zucker, und doch lag schon ein Frühlingsahnen in der Luft. Gerade als die Turmuhr des Herrenhauses zu sechs dumpftönenden Schlägen ausholte, klangen die Glocken der kleinen Schloßkapelle, die ein wenig abseits des Gutes auf einer Anhöhe stand, melodisch in das dumpfe Getön. Hellklingend läuteten sie den Abend ein. Noch waren die Töne nicht verklungen, als eine Seitentür des Hauses geöffnet wurde und ein Mädchen hinaustrat. Entzückt blieben die blauen Augen an dem rotglühenden Sonnenball haften, der durch die kahlen Äste der Parkbäume hindurchleuchtete. Gleichzeitig vernahm das Ohr die Glockenklänge, und es war dem Mäd-chen wohl kaum bewußt, daß es die Hände über der Brust faltete wie in stillem Gebet.
Erst als der letzte Glockenton verhallt war, schritt die schlanke Gestalt ohne Eile den Parkweg entlang. Der Schnee knackte unter den leichten Füßen wie sprödes Glas. Der Abend-wind fuhr sacht durch die Bäume und schlug die gefrorenen Äste zusammen, daß es ein Klingen gab wie bei einer Äolsharfe, so lieblich und zart. Am Horizont loderte es wie ein Flammenmeer.
Die Augen des jungen Mädchens strahlten vor Lebensfreude, der rote Mund lachte. Das Lachen wurde hörbar, als es den Mann entdeckte, der an der Parkmauer stand und mißmutig umherschaute.
»Nanu, Achim, du machst ja ein Gesicht, als wäre dir die Petersilie verhagelt«, neckte sie ihn, der nun auf sie zutrat.
»Du kommst recht spät, Melitta. Es ist bereits zehn Minuten über die vereinbarte Zeit«, sagte er vorwurfsvoll, worauf sie erwiderte:
»Dafür ist es ja auch ein Rendezvous, mein lieber Achim. Also gehört es sich, daß die Angebetete den Liebsten warten läßt. Mach bloß ein freundlicheres Gesicht, sonst laufe ich gleich wieder davon.«
Stürmisch wollte er sie an sein Herz ziehen, doch sie trat hastig einen Schritt zurück.
»Bitte nicht, Achim, es könnte uns jemand sehen.«
»Sei doch nicht so prüde«, mehrte sich sein Ärger. Erst einen Kuß habe ich von dir bekommen. Schließlich bist du doch meine Braut –«
»Noch nicht«, unterbrach sie ihn ruhig. »Noch trage ich nicht deinen Ring.«
»Spießig bis dort hinaus. Dazu stets rücksichtsvoll gegen andere – nur nicht gegen mich.«
»Worin soll diese Rücksichtnahme wohl bestehen?« fragte sie spöttisch. »Etwa darin, daß ich mich von dir abknutschen lasse wie das erste beste Gänschen? Das würde mich doch wohl in deinen Augen herabsetzen, nicht wahr? Außerdem würde ich dann meiner Herrin, die so großes Vertrauen in mich setzt, nicht mehr frei in die Augen schauen können.
Und nun sei friedlich, du Dummer. Schau dir mal den Sonnenuntergang an. Ist der nicht herrlich?«
»Ach was –«, brummte er verdrossen. »Den genieße ich jeden Tag. Aber nicht dich, woran mir mehr gelegen ist als an sämtlichen Naturschönheiten der Welt. Du machst dich doch wahrhaftig rar genug, ich bekomme dich kaum zu sehen. »
»Aber du siehst mich doch jeden Tag –«
»Geschäftlich, jawohl, immer im Beisein anderer. So richtig allein habe ich dich für mich wohl noch nie gehabt während unserer vierwöchigen Verlobungszeit. Immer strenge Distanz. Melitta, du hast einfach kein Blut in den Adern –«
Ironisch klang es, als sie sagte:
»Soso. Nur immer gemach, mein Lieber. Warte ab, bis wir verheiratet sind. Dann wirst du die gewünschte Zweisamkeit schon noch genießen dürfen.«
»Ich höre immer heiraten –«, lachte er ärgerlich. »Das kann noch eine gute Weile dauern. Hast du der Alten überhaupt schon nahegelegt…«
»Achim, ich verbiete dir, daß du so verächtlich von unserer Herrin sprichst«, blitzte sie ihn an. »Das hat sie doch wahrhaftig nicht um dich verdient.«
»Fehlt nur noch, daß du mir die Wohltaten einzeln aufzählst«, unterbrach er sie. Doch sie ließ sich nicht beirren, sondern sprach kühl weiter:
»Wenn du es so nennen willst – bitte. Jedenfalls steht fest, daß sie dich in ihre Dienste nahm, nachdem du nirgends unterkommen konntest.«
»Und hat sie damit etwa einen schlechten Griff gemacht, wie?«
»Gewiß nicht, Achim; denn du bist tüchtig in deiner Arbeit. Du sollst nur nicht von meinem lieben alten Fräulein so abfällig sprechen, das vertrage ich nicht.
Gestern noch hat sie zu mir gesagt, daß sie eine Wohnung für uns ausbauen lassen will. Denn eine solche ist nicht vorhanden, weil es noch nie einen verheirateten zweiten Inspektor auf Uthersbrünn gegeben hat. Uns zuliebe will sie nun die alte Regel umstoßen. Ist das nicht entgegenkommend genug?«
»Und wie lange soll das mit dem Bau dauern?« fragte er kurz.
»Wahrscheinlich bis zum Sommer, da doch erst mit den Arbeiten begonnen werden kann, wenn der Frost vorüber ist. Bis er dann fertiggestellt ist, kann es schon Juli oder August werden.
»Ja – wenn –«, meinte er skeptisch. »Es werden oft Versprechen gegeben, die hinterher nicht gehalten werden, mein Kind.«
»Aber doch nicht, wenn die Baroneß Uthersbrünn etwas verspricht«, wurde Melitta immer unwilliger. »Ich weiß gar nicht, was in letzter Zeit in dich gefahren ist. Vor vier Wochen noch schautest du so frohgemut in die Zukunft, und seit vierzehn Tagen bekommst du pessimistische Anwandlungen. Was willst du eigentlich, geht es dir hier nicht wirklich gut? Lebst sorglos…«
»Sehr sorglos –«, warf er ironisch ein. »So als zweiter Inspektor unter der Willkür einer alten, verschrobenen Jungfer, eines rauhbeinigen Verwalters und eines überheblichen ersten Inspektors. Außerdem hat der alte Rentmeister auch noch dreinzureden – da lebt es sich wahrlich sorglos, meine liebe Melitta. Und so werde ich weiterleben, bis an mein seliges Ende. Denn die Aussicht, einmal selbständig zu werden, ist gleich Null.«
»Ach, lassen wir das. Du verstehst mich eben nicht – das ist alles.«
»Da hast du recht –«, sprach das Mädchen nun langsam, dabei prüfend in sein Gesicht schauend, um dessen Mund ein verbissener Zug lag.
»Da hast du recht –«, sagte sie noch einmal. »Ich verstehe wirklich nicht, nämlich, daß du unter sooo viel Willkür zu leiden hast. Meine Ansicht ist, daß es sich kaum woanders so gut leben läßt wie in Uthersbrünn, wo die Herrin nur rechtschaffene Menschen auf ihrem Besitz duldet.«
Sie wurde durch ein Geräusch unterbrochen, das von der Parkmauer her kam. Sich umwendend, erblickte sie einen halbwüchsigen Jungen, dessen Oberkörper über die Parkmauer ragte. Die Arme fuchtelten zu Achim hin, und er schrie:
»Ich habe Sie wie eine Stecknadel gesucht, Herr Inspektor! Unser Fräulein hat mir nämlich gesagt, daß ich diesen Brief nur Ihnen persönlich abgeben soll. Passen Sie auf, ich werfe ihn zu. –
Dann soll ich noch bestellen, daß unser Fräulein große Sehnsucht nach Ihnen hat und Sie bestimmt heute abend erwartet.
Die Küsse schmecken ihr doch zu gut!« setzte er noch grinsend hinzu.
Der Brief flog durch die Luft, der Strubbelkopf verschwand, und Achim stand da wie ein ertappter Sünder.
Dann bückte er sich, hob den Brief auf, steckte ihn hastig in die Tasche und versuchte, unbekümmert zu lachen, was unter den zürnenden Augen des Mädchens jedoch ganz und gar vorbeigelang. Die Stimme klang hart, als es sagte:
»Sprich jetzt nicht, Achim. Jedes Wort von dir wäre doch nur gelogen. Ich bin auch so vollständig im Bilde, da ich in dem Jungen einen Stallburschen unseres Nachbargutes Treutzen erkannt habe.
Schöner Besitz – und die Erbtochter ein ansehnliches Mädchen, das einen mittellosen Inspektor schon reizen kann. Da läßt sich der Zwiespalt recht gut erklären, in dem du dich seit einiger Zeit befunden hast. Zwei heimliche Bräute auf einmal – alle Achtung vor so viel Chancen, Herr Inspektor Berditt.
Natürlich hältst du die fest, die dir ein Gut in die Ehe bringt und dir somit zu deiner heißersehnten Selbständigkeit verhilft. Verschwende keine schönen Worte. Denn selbst dem Begriffsstutzigsten muß ja mit einem Schlage die Erkenntnis kommen bei dem, was ich eben sah und hörte.
Ich will deinem Glück natürlich nicht im Wege stehen. So egoistisch bin ich nicht. Schließlich hat jeder Mensch das Recht, sich sein Leben so angenehm wie möglich zu gestalten – ich täte es auch. Also, mein lieber Achim, ich wünsche dir für die Zukunft viel Glück.«
Ehe der verdatterte Mann antworten konnte, ging Melitta schon rasch davon. Er sollte nicht merken, wie elend ihr zumute war, sollte die Tränen nicht sehen, die ihr über die Wangen liefen. Das ließ Melitta Harfners Stolz nicht zu. –
Hier gab es kein Drehen und Deuteln mehr, hier gab es nur einen scharfen Schnitt. Es tat zwar erbärmlich weh – aber es mußte sein!
In ihrem Zimmer ließ sie ihren Tränen freien Lauf. Die sah ja niemand – und ihr verschafften sie Erleichterung bei ihrer Pein.
Einen Traum von Glück begraben zu müssen, schafft allemal Herzweh. Zumal dann, wenn man so jung ist und so vertrauensselig gewesen war wie die einundzwanzigjährige Melitta Harfner. So ein trauriges Begebnis hinterläßt immer Wunden in Menschenherzen, die je nach Veranlagung rasch oder nur langsam vernarben oder gar ständig bluten.
Verstandesgemäß schafft so ein Begebnis Haß, Verbitterung, Mißtrauen und Zweifel an Liebe und Treue. Wie es sich bei Melitta Harfner auswirken würde, das mußte erst die Zukunft lehren. Vorläufig weinte sie wie ein Mensch, der soeben etwas Liebes zu Grabe getragen hat.
Allein, um sich lange dem Schmerzensausbruch hingeben zu können, dazu war sie nicht wehleidig genug. So trocknete sie denn die Tränen und trat an den zierlichen Schreibtisch, auf dem eine Fotografie Achim Berditts stand. Sie griff danach und schaute in das ein wenig weichliche Männerantlitz, mit den dunklen Augen, der schmalrückigen Nase, dem zu kleinen Mund mit dem kecken Bärtchen dar-über, das dunkle, peinlich gescheitelte Haar, die mittelgroße, geschmeidige Gestalt.
Alles in allem ein junger Mann von gefälligem Aussehen, wie man einem solchen oft begegnet. Aber etwas Besonderes hatte Melitta Harfner auch nie als Ehepartner beansprucht, dazu war sie viel zu bescheiden und vernünftig. Ihr Traum hatte darin gegipfelt, ein trautes Heim, einen lieben Mann und später nette Kinder zu haben. Ihre Lieben zu umsorgen und ihnen ein so behagliches Leben zu schaffen, wie es nur angehen wollte.
Doch der Mann, den sie sich als Lebenskameraden erkoren, verlangte eben mehr vom Leben. Sein Ehrgeiz strebte dahin, Herr auf eigener Scholle zu werden. Solange dazu keine Aussicht für ihn bestand, hatte er sich zu ihr herabgelassen. Aber als er die Erbtochter kennenlernte, umgarnte er die, und die mittellose Melitta war für ihn erledigt. Um es ihr frank und frei zu bekennen, dazu war er zu feige. Er versuchte lieber, sie mit Verdrießlichkeit, seiner Unzufriedenheit und seinen Launen zu verscheuchen.
Und versuchte skrupellos, mit seinem stürmischen Werben ihr Blut heiß zu machen, um sie dann später sitzen zu lassen.
»Nein –!« sagte sie hart und laut. »Nein, es ist und muß alles vorbei sein. Lieber Gott, ich danke dir, daß du mir die Erkenntnis schicktest, solange es noch nicht zu spät ist –«
Sie nahm das Bild aus dem Rahmen, las, was auf der Rückseite stand: »In ewiger, treuer Liebe – Dein Achim.« Dann riß sie es zornig mitten durch und warf die Fetzen in den brennenden Kamin.
Aus, der Traum –! Fortan würde sie sich hüten, sich noch einmal gläubig hinzugeben. Wahrscheinlich würde sie keinem Mann mehr trauen können – und das war gut so.
Da nun der Gong zum Abendessen rief, ging sie in das kleine Badezimmer, kühlte dort die verweinten Augen mit eiskaltem Wasser, zog sich rasch um, und als der zweite Gongschlag, ein Mahnruf für die Säumigen, ertönte, begab sie sich rasch nach dem Speisezimmer.
*
In dem weiten Gemach, dem die Buntglasfenster ein feierliches Gepräge gaben, fand Melitta ihre Herrin bereits vor. Eine vierundachtzigjährige Dame mit einem vornehmen Antlitz, aus dem die Augen gütig blickten. Leider war der Körper arg verwachsen, klein und zart. Ein Geburtsfehler, den auch die berühmtesten Ärzte nicht hatten ändern können.