Dornröschen wider Willen: Leni Behrendt Bestseller 26 – Liebesroman
Von Leni Behrendt
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In der Hauptgeschäftsstraße einer Großstadt zählte ein Geschäft für Kunstgewerbe zu den vornehmsten und teuersten. Die Kunden ließen sich gern beraten von der Inhaberin, einer gewandten Dame mit verbindlichem Lächeln und liebenswürdiger, zuvorkommender Art. Nur, daß sich diese Attribute allein auf die Kunden bezogen; bei den Angestellten schlug die aalglatte Geschäftsfrau ganz andere Töne an. Hauptsächlich der Nichte gegenüber, bei der sie sich das ungestraft leisten konnte. O ja, das gerissene Fräulein Lucinde Mentel wußte schon, was sie tat, als sie ihrer älteren Schwester eindringlich zuredete, die Tochter nicht Chemikerin werden zu lassen, wie diese es gern gewollt, sondern sie nach der mittleren Reife vom Lyzeum zu nehmen und auf die Kunstgewerbeschule zu schicken. Das bestach die Frau Mama natürlich. Und als dann gar noch der Gatte starb, behauptete die »arme Witwe«, von der Pension, die der Landgerichtsrat ihr hinterließ, ein so teures Studium für die Tochter nicht bezahlen zu können. So besuchte denn das einzige Kind dieser egoistischen Mutter die Kunstgewerbeschule und, da die liebe Tante es für vorteilhaft hielt, auch noch Abendkurse für Buchführung, Stenographie und Schreibmaschine. Daß das zarte Geschöpf sich bei dieser doppelten Lehre überanstrengte, wurde weder von Mutter noch Tante bemerkt. Ersterer konnte es nicht schnell genug gehen, die Tochter von der Tasche zu kriegen, und letzterer ging es darum, in der gefügigen Nichte so schnell wie möglich eine Arbeitskraft zu bekommen, mit der sie nach Willkür verfahren konnte. Das geschah dann noch rascher, als die gerissene Lucinde erhoffte. Denn bevor noch Swidgart Friesen die Kunstgewerbeschule absolviert hatte, starb ihre Mutter. Abends klagte sie über heftige Kopfschmerzen, ging zeitig zu Bett – wo die Tochter sie am Morgen tot auffand. Ein Gehirnschlag hatte dem Leben der Endvierzigerin ein rasches Ende gesetzt. Woher sollte die junge Swidgart nun das Geld nehmen, um ihre Lehre, die noch länger als ein halbes Jahr währte, zu bezahlen? Womit den Lebensunterhalt bestreiten? Antwort darauf wußte die gute Tante Lucinde, die als Vormund der Nichte Bestimmungsrecht besaß. Sie ließ die gesamte Wohnungseinrichtung versteigern und bestritt von dem Erlös, der ja so kärglich war, wie sie dem lebensunerfahrenen Mädchen weismachte, dessen Ausgaben. Kost und Logis erhielt das liebe Kind natürlich von ihr gratis; dafür mußte es allerdings im Geschäft mithelfen, bevor es noch die Prüfung abgelegt hatte.
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Dornröschen wider Willen - Leni Behrendt
Leni Behrendt Bestseller
– 26 –
Dornröschen wider Willen
Leni Behrendt
In der Hauptgeschäftsstraße einer Großstadt zählte ein Geschäft für Kunstgewerbe zu den vornehmsten und teuersten.
Die Kunden ließen sich gern beraten von der Inhaberin, einer gewandten Dame mit verbindlichem Lächeln und liebenswürdiger, zuvorkommender Art. Nur, daß sich diese Attribute allein auf die Kunden bezogen; bei den Angestellten schlug die aalglatte Geschäftsfrau ganz andere Töne an. Hauptsächlich der Nichte gegenüber, bei der sie sich das ungestraft leisten konnte.
O ja, das gerissene Fräulein Lucinde Mentel wußte schon, was sie tat, als sie ihrer älteren Schwester eindringlich zuredete, die Tochter nicht Chemikerin werden zu lassen, wie diese es gern gewollt, sondern sie nach der mittleren Reife vom Lyzeum zu nehmen und auf die Kunstgewerbeschule zu schicken. Lucinde ließ dabei durchblicken, daß ihr geliebtes, einziges Nichtchen später einmal das Geschäft übernehmen würde…
Das bestach die Frau Mama natürlich. Und als dann gar noch der Gatte starb, behauptete die »arme Witwe«, von der Pension, die der Landgerichtsrat ihr hinterließ, ein so teures Studium für die Tochter nicht bezahlen zu können.
So besuchte denn das einzige Kind dieser egoistischen Mutter die Kunstgewerbeschule und, da die liebe Tante es für vorteilhaft hielt, auch noch Abendkurse für Buchführung, Stenographie und Schreibmaschine. Daß das zarte Geschöpf sich bei dieser doppelten Lehre überanstrengte, wurde weder von Mutter noch Tante bemerkt. Ersterer konnte es nicht schnell genug gehen, die Tochter von der Tasche zu kriegen, und letzterer ging es darum, in der gefügigen Nichte so schnell wie möglich eine Arbeitskraft zu bekommen, mit der sie nach Willkür verfahren konnte.
Das geschah dann noch rascher, als die gerissene Lucinde erhoffte. Denn bevor noch Swidgart Friesen die Kunstgewerbeschule absolviert hatte, starb ihre Mutter. Abends klagte sie über heftige Kopfschmerzen, ging zeitig zu Bett – wo die Tochter sie am Morgen tot auffand. Ein Gehirnschlag hatte dem Leben der Endvierzigerin ein rasches Ende gesetzt.
Woher sollte die junge Swidgart nun das Geld nehmen, um ihre Lehre, die noch länger als ein halbes Jahr währte, zu bezahlen? Womit den Lebensunterhalt bestreiten?
Antwort darauf wußte die gute Tante Lucinde, die als Vormund der Nichte Bestimmungsrecht besaß. Sie ließ die gesamte Wohnungseinrichtung versteigern und bestritt von dem Erlös, der ja so kärglich war, wie sie dem lebensunerfahrenen Mädchen weismachte, dessen Ausgaben. Kost und Logis erhielt das liebe Kind natürlich von ihr gratis; dafür mußte es allerdings im Geschäft mithelfen, bevor es noch die Prüfung abgelegt hatte.
Noch ärger wurde es während der einjährigen praktischen Lehrzeit. Da mußte der bedauernswerte Lehrling nicht nur die Kunden bedienen, sondern noch nach Dienstschluß die schriftlichen Arbeiten erledigen.
Und am ärgsten wurde es, als Lucinde ein »spätes Glück« fand und einen Witwer heiratete, der eine vierzehnjährige Tochter mit in die Ehe brachte, der Swidgart ihr bisheriges Zimmer abtreten und sich eine andere Bleibe suchen mußte.
Da sie mittlerweile ausgelernt hatte und als Angestellte tätig war, mußte die Tante ihr wohl oder übel den tariflichen Lohn zahlen. Sie tat es aber nur für die Hilfe im Geschäft; die schriftlichen Arbeiten und die im Haushalt bezeichnete die ehrenwerte Dame als kleine Gefälligkeiten. Da ging es den ganzen Tag: »Ach, liebe Swidgart, du tätest mir einen großen Gefallen…«, und… »Ach, liebe Swidgart, du könntest dieses, du könntest das…«
Und die bedauernswerte Swidgart hetzte herum. Denn um der despotischen Frau mal gehörig die Zähne zu zeigen, dafür war sie zu gut gedrillt. Außerdem hätte es keinen Zweck gehabt, sich gegen den Vormund aufzulehnen.
So wurde denn die ohnehin zarte Swidgart bei der Arbeitsüberbürdung immer müder und blasser. Kein Wunder, da sie selten vor Mitternacht ins Bett kam und um sieben Uhr früh schon wieder heraus mußte.
*
Es war an einem Morgen zu Anfang März. Vom diesigen Himmel rieselte Schlackerschnee, der sich auf dem Boden sofort auflöste, ihn naß und glitschig machte. Dazu wehte ein Nordost, der sozusagen bis auf die Knochen ging.
Swidgart, die verschlafen hatte, rannte ohne Frühstück zum Bus, der bereits fort war. Also mußte sie auf den nächsten warten, der selbstverständlich Verspätung hatte – und so traf denn das durchnäßte und erschöpfte Mädchen verspätet in dem Zimmer neben dem Laden ein, wo Lucinde ihm erbost entgegenschrie: »Ich möchte gern wissen, was du dir eigentlich denkst! Anstatt am Sonnabend eine halbe Stunde früher zu erscheinen, wie es deine Pflicht ist, kommst du gar um eine halbe Stunde zu spät. Hab ich das um dich verdient…«
»Entschuldige, Tante Lucinde«, unterbrach die Nichte sie hastig, um nicht wieder einmal mit anhören zu müssen, was alles sie der erbosten Dame zu verdanken hatte. »Ich verpaßte den Bus und mußte auf den nächsten warten, der außerdem noch Verspätung hatte. Es tut mir leid…«
»Als ob dir irgend etwas leid täte, du verstocktes Geschöpf!« tobte Lucinde weiter ihre Wut aus.
Schade, daß die Kunden sie nicht so sehen konnten – sie hätten in dieser Megäre wohl die allzeit liebenswürdige, zuvorkommende Lucinde Kroß-Mentel, wie sie sich nach ihrer Verheiratung stolz nannte, kaum erkannt.
Allein Swidgart kannte sie in dieser Fassung nur zu gut und wußte daher, daß man sie ohne Widerrede austoben lassen mußte, wollte man sich nicht der Gefahr aussetzen, geohrfeigt zu werden. Lange würde sie gottlob den Widerwärtigkeiten, denen sie unter der Fuchtel dieser gehässigen Frau ausgesetzt war, nicht mehr standhalten müssen, da sie vor einigen Tagen mündig geworden war. Am Fünfzehnten wollte sie kündigen.
»Es hat sich heute überhaupt alles gegen mich verschworen!« schrillte es in Swidgarts Gedanken hinein. »Oben liegt unser Herzenskind fiebernd im Bett, mein lieber Mann ging trotz seiner starken Erkältung zum Dienst, was mich mit tiefster Sorge erfüllt, Ella hat sich wegen Krankheit entschuldigen lassen, mich plagt die heftigste Migräne, der Laden ist voll Kunden – und du – du…«
Weiter hörte Swidgart nichts mehr, da sie das Zimmer verließ und die Tür nachdrücklich schloß.
Nun stand sie im Laden, wo wiederum eine Kundin sie ungnädig empfing: »Endlich läßt sich jemand blicken! Ist es überhaupt eine Art, die Kunden stundenlang warten zu lassen?«
»Verzeihung, gnädige Frau, es soll nicht wieder vorkommen. Was steht zu Diensten?«
Wenn diese schwierige Kundin das nur selbst gewußt hätte! Es gehörte viel Geduld dazu, sie zu beraten. Aber das gertenschlanke Mädchen mit den sonnenhellen Haaren, den leuchtendblauen Augen, dem reizenden Lächeln und der weichen Stimme brachte diese Geduld mit der Haltung eines wohlerzogenen Menschen auf. Legte vor, beriet, beantwortete auch die dümmsten Fragen, ohne dabei mit einer Wimper zu zucken.
Die schwierige Kundin war endlich abgefertigt, eine andere kam heran, noch eine – da erst bequemte sich die Inhaberin, ihrer unermüdlichen Verkäuferin zur Unterstützung zu erscheinen. Keiner bemerkte, wie blaß diese war, wie sie wiederholt die Augen schloß und tief Atem holte.
Nur einem Herrn entging das nicht. Er saß etwas abseits und wartete geduldig, bis er an die Reihe kommen würde, um für seine Frau die kostbare Decke zu kaufen, die sie im Schaufenster bewundert hatte. Nun sollte sie diese als Geburtstagsüberraschung haben, was den Mann zwang, ein Geschäft zu betreten, das in der Hauptsache von Damen aufgesucht wurde.
Um nicht zu sehr aufzufallen, setzte er sich abseits und konnte so ungestört beobachten, was im Laden vor sich ging. Die junge Verkäuferin tat ihm leid, die in ihrer hellsonnigen Schönheit und dem vornehmen Gebaren viel zu schade war, herumnörgelnden Damen als Blitzableiter zu dienen.
Aber was war denn das? Was anderen entging, hatte sein geübtes Arztauge bereits erfaßt, nämlich, daß das junge Mädchen sich nur mit Aufbietung aller Energie aufrecht halten konnte. Was er befürchtete, geschah dann so plötzlich, daß es ihm gerade noch gelang, zuzuspringen und die Zusammensinkende aufzufangen, bevor sie auf den Boden schlug.
Ohne sich um die bestürzten Damen zu kümmern, die alle in ihm den vielbeschäftigten Arzt erkannten, wandte er sich der Geschäftsinhaberin zu, die einen besorgten Ausdruck mimte.
»Wo kann ich die Ohnmächtige niederlegen?«
»Im Zimmer nebenan steht ein Diwan, Herr Doktor.«
Auf den der Mann gleich darauf seine leichte Last sinken ließ und forschend in das blutleere Gesicht sah, in dem die bläulichen Lider zu zucken begannen, sich dann mühsam von den Augen hoben, die verständnislos um sich schauten. Wie kam sie auf den Diwan, und wer war der Herr, der neben Tante Lucinde