Ich will deine Mutter sein!: Sophienlust - Die nächste Generation 74 – Familienroman
Von Anna Sonngarten
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Über dieses E-Book
Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt.
Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren.
»Ich gratuliere zu Ihrem wunderschönen Söhnchen«, sagte die junge Hebammenschülerin und legte Svenja Haller das Neugeborene in den Arm. Überwältigt drückte die erst siebzehnjährige Mutter das warme Bündelchen an sich. Sie blickte auf die kleinen Händchen, die Füßchen, den dunklen Flaum auf dem kleinen Kopf, und in diesem Augenblick reifte in ihr ein Entschluss. »Ich möchte mein Baby behalten«, sagte sie zu der Hebamme Maria Franke, die in diesem Moment auf sie zutrat. Die erfahrene Hebamme lächelte starr und warf der Hebammenschülerin zugleich einen Blick zu, der ihr sofort signalisierte, etwas falsch gemacht zu haben. »Ich bin gleich wieder bei Ihnen, Frau Haller«, sagte Maria Franke und gab der Hebammenschülerin einen Wink, ihr zu folgen. Im Schwesternzimmer stemmte Maria die Hände in die Hüften und blickte die Jüngere streng an: »Was haben Sie denn da angerichtet! Das Jugendamt hat Frau Haller angemeldet. Frau Haller ist minderjährig und hat ihr Kind zur Adoption freigegeben. In so einem Fall legt man einer Frau das Neugeborene nicht in den Arm. Wussten Sie das nicht?« Der Hebammenschülerin wurde es erst heiß und dann kalt. »Nein, das wusste ich nicht, Frau Franke. O je, das tut mir leid …«, stammelte sie und brach in Tränen aus. An diesem denkwürdigen Samstag war ungewöhnlich viel zu tun gewesen. Maria Franke musste überall gleichzeitig sein und hatte für einen Moment die Hebammenschülerin nicht im Auge behalten.
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Buchvorschau
Ich will deine Mutter sein! - Anna Sonngarten
Sophienlust - Die nächste Generation
– 74 –
Ich will deine Mutter sein!
Ein junges Paar bittet in Sophienlust um Asyl …
Anna Sonngarten
»Ich gratuliere zu Ihrem wunderschönen Söhnchen«, sagte die junge Hebammenschülerin und legte Svenja Haller das Neugeborene in den Arm. Überwältigt drückte die erst siebzehnjährige Mutter das warme Bündelchen an sich. Sie blickte auf die kleinen Händchen, die Füßchen, den dunklen Flaum auf dem kleinen Kopf, und in diesem Augenblick reifte in ihr ein Entschluss.
»Ich möchte mein Baby behalten«, sagte sie zu der Hebamme Maria Franke, die in diesem Moment auf sie zutrat. Die erfahrene Hebamme lächelte starr und warf der Hebammenschülerin zugleich einen Blick zu, der ihr sofort signalisierte, etwas falsch gemacht zu haben.
»Ich bin gleich wieder bei Ihnen, Frau Haller«, sagte Maria Franke und gab der Hebammenschülerin einen Wink, ihr zu folgen.
Im Schwesternzimmer stemmte Maria die Hände in die Hüften und blickte die Jüngere streng an: »Was haben Sie denn da angerichtet! Das Jugendamt hat Frau Haller angemeldet. Frau Haller ist minderjährig und hat ihr Kind zur Adoption freigegeben. In so einem Fall legt man einer Frau das Neugeborene nicht in den Arm. Wussten Sie das nicht?«
Der Hebammenschülerin wurde es erst heiß und dann kalt.
»Nein, das wusste ich nicht, Frau Franke. O je, das tut mir leid …«, stammelte sie und brach in Tränen aus.
An diesem denkwürdigen Samstag war ungewöhnlich viel zu tun gewesen. Maria Franke musste überall gleichzeitig sein und hatte für einen Moment die Hebammenschülerin nicht im Auge behalten. Sie atmete einmal tief durch, weil sie ahnte, was sie gleich von der Stationsleitung zu hören bekommen würde. Aber zuerst reichte sie der Gescholtenen ein Taschentuch und versuchte, sie zu beruhigen.
»Ist schon gut. Vielleicht sollte es so sein. Ich wäre nicht Hebamme geworden, wenn ich nicht glauben würde, dass Mutter und Kind zusammengehören.«
Dann ging sie zurück zu der jungen Mutter. Sie sah, wie Svenja Haller leise mit ihrem Söhnchen sprach, völlig versunken in den Anblick des kleinen Wesens, das ihre ganz Liebe zu spüren bekam, eine Liebe von der Svenja nie gedacht hatte, dass sie so überwältigend sein würde. Maria Franke räusperte sich.
»Frau Haller, Sie hatten gegenüber dem Jugendamt ausgesagt, dass das Kind zur Adoption freigegeben werden soll. Sie sind ja erst siebzehn.«
»Ich weiß, wie alt ich bin, aber ich habe meine Meinung geändert. Ich behalte das Kind«, sagte die junge Mutter trotz ihrer Erschöpfung bestimmt.
Die Hebamme betrachtete die junge Frau, die eigentlich noch ein Mädchen war. Blass war sie, und einige schweißnasse Strähnen ihres dunkelbraunen Haars klebten ihr auf der glatten Stirn. Große blaue Augen sahen Maria misstrauisch an.
Trotz des jungen Alters hatte Maria Franke Respekt vor dem Mädchen. Sie hatte die Geburt allein durchgestanden und jetzt allein entschieden, ihr Kind nicht wegzugeben.
»Frau Haller, ich untersuche jetzt Ihr Kind. Sie bleiben noch zwei Stunden bei uns im Kreißsaal, und dann verlegen wir Sie auf die Geburtsstation. Geben Sie mir bitte für einen Moment das Kind?«
Svenja schaute die Hebamme entsetzt an und schüttelte den Kopf. Maria Franke holte einen Stuhl und setzte sich neben das Bett.
»Frau Haller, Sie sind minderjährig, aber nicht rechtlos. Sie dürfen das Kind behalten. Egal, was Sie zuvor gesagt haben. Sie haben aber nicht das alleinige Sorgerecht. Das Jugendamt vertritt Sie, bis Sie volljährig sind. Wir respektieren Ihre Entscheidung«, versuchte die Hebamme das Vertrauen des Mädchens zu gewinnen.
»Sie respektieren das vielleicht, aber alle anderen nicht. Sie wollen, dass ich das Kind weggebe«, entgegnete Svenja.
Maria Franke wollte sich nicht auf eine Diskussion mit der jungen Mutter einlassen, die gerade entbunden hatte. Die Hebamme wusste zwar nicht, wen Svenja mit ›alle anderen‹ meinte, hatte aber eine Vorstellung. Die Eltern einer minderjährigen Mutter und wahrscheinlich vor allem die Eltern des Vaters, der wahrscheinlich auch jung war, wollten das ›Problem‹ oft durch eine Adoption aus der Welt schaffen.
»Hier sind nur wir Hebammen und eine Ärztin. Sie können mir vertrauen, und Sie bekommen den Kleinen sofort wieder. Wie soll er eigentlich heißen?«
»Sönke«, kam die prompte Antwort, die Maria Franke in ihrer Vermutung bestätigte, dass die junge Mutter sich nie hatte von dem Kind trennen wollen.
»Ein schöner Name. Dann wollen wir uns den Prachtburschen doch mal genauer ansehen, und Sie können, wenn Sie mögen, mithilfe unserer Hebammenschülerinnen ein Duschbad nehmen. Das wird Ihnen guttun«, sagte Maria Franke, und endlich war Svenja bereit, ihr Kind der Hebamme anzuvertrauen.
*
Die Stadthalle in Maibach war erfüllt vom fröhlichen Geplauder junger Menschen in Abendgarderobe. Die glitzernden Abendkleider der jungen Abiturientinnen, die mit ihren eleganten Hochsteckfrisuren den ersten Galaauftritt ihres jungen Lebens erprobten, ließen die Stadthalle erstrahlen, während die jungen Männer im Abendanzug eher verlegen und unbeholfen daherkamen. Die Abiturfeierlichkeiten hatten ihren Höhepunkt erreicht. Die Jahrgangsbesten waren ausgezeichnet worden, von denen leider eine fehlte, nämlich Svenja Haller.
Warum sie fehlte, wusste nur Leonard Steinfeld. Er saß mit seinen stolzen Eltern an einem runden Tisch und starrte ständig auf sein Smartphone. Es hätte der schönste Tag ihrer Schullaufbahn sein können, doch ihm war nicht zum Feiern zumute. Um fünf Uhr in der Frühe hatte er zuletzt eine Nachricht von Svenja bekommen, die ihm mit nur drei Worten ihre Lage beschrieben hatte: ›Es geht los.‹
Seitdem wartete er. Worauf er wartete, konnte er kaum in Worte fassen. Denn es war abgemacht, dass sie das Kind nicht behalten sollten. Deshalb durfte er auch nicht bei der Geburt dabei sein. Seine Eltern hatten ihm in einer Deutlichkeit abgeraten, die einem Verbot gleichkam. Er hatte sich geschämt, Svenja davon zu erzählen. Doch sie hatte es ihm leicht gemacht.
»Ist bestimmt besser so, Leonard«, hatte sie gesagt. Doch jetzt hatte er das Gefühl, sie im Stich zu lassen, und konnte sich nur mit Mühe auf das Fest konzentrieren. Überrascht stellte er fest, dass plötzlich seine Mutter auf der Bühne neben dem Rektor stand. Sie nahm das Mikrofon und richtete in ihrer Funktion als Vorsitzende des Schulvereins einige Worte an die Eltern- und Schülerschaft. Seine schöne Mutter Elsa Steinfeld war Inhaberin der teuersten Boutique der Stadt, in der mehrfach im Jahr Modenschauen stattfanden, die sie selbst moderierte. Deshalb gelang ihr auch dieser Auftritt mit Leichtigkeit. Sein Vater blickte stolz auf seine schöne und elegante Frau.
Leonard schaute sich um, ob er Svenjas Mutter irgendwo in der Menge sitzen sah. Eigentlich gab es keinen Grund für sie zu kommen, wenn ihre Tochter nicht dabei sein konnte. Doch dann sah er sie weit entfernt an einem der hinteren Tische sitzen. Ihr Gesicht wirkte maskenhaft, weil ein unechtes Lächeln sich darin eingegraben hatte. Er mochte Meike Haller trotz allem, was sie ihm an den Kopf geworfen hatte.
Leonard senkte den Blick wieder auf sein Smartphone. Endlich eine Nachricht von Svenja!
›Ich nenne ihn Sönke‹, schrieb sie ihm als Textnachricht. Unter der Nachricht war ein Handyfoto des Neugeborenen. Er war verwirrt. Was hatte das zu bedeuten? War er jetzt doch ein richtiger Vater geworden? Sein Herz klopfte, und in seiner Irritation nahm er Blickkontakt zu seinem Vater auf. Gerade zu ihm hatte sich sein Verhältnis in den letzten Monaten deutlich abgekühlt. Werner Steinfeld war Anwalt. Er hatte sich für seinen Sohn etwas anderes vorgestellt, als mit achtzehn Vater zu werden. Allein die Tatsache, dass Svenja das Kind austrug, war für seinen strengen Vater ein Ärgernis. Da gäbe es doch schließlich andere Möglichkeiten, hatte er Leonard gesagt.
»Alles in Ordnung?«, fragte Werner Steinfeld.
»Ja, alles cool«, kam die Antwort von Leonard, die falscher nicht hätte sein können. Doch sein Vater bemerkte es nicht, weil seine Aufmerksamkeit vom Auftritt seiner Frau gefesselt war. In diesem Moment entschied Leonard, nicht an der Abiparty teilzunehmen, die im Anschluss an den offiziellen Teil geplant war, sondern heimlich ins Krankenhaus zu fahren.
*
Familie Steinfeld hatte im Vorfeld dafür gesorgt, dass Svenja Haller ein Einzelzimmer bekam, denn man wollte verhindern, dass zu viele Menschen von ›der Sache‹, wie sie es