Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Besinnliche Geschichten (2)
Besinnliche Geschichten (2)
Besinnliche Geschichten (2)
eBook427 Seiten5 Stunden

Besinnliche Geschichten (2)

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Paulo begibt sich auf die Seidenstraße und kommt zuerst nach Istanbul. Dort lässt er sich ein Reisemesser schmieden und wird fortan darum bewunder. Er gerät in ein Erdbeben und kommt an den Van-See, wo er sich verliebt. Er fährt aber weiter nach Teheran, auch dort verleint er sich, setzt aber seine Reise fort. Am Ende kommt er nach Zentrralasien in das Ferganatal und hält sich dort länger auf.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum7. Apr. 2018
ISBN9783742742926
Besinnliche Geschichten (2)

Mehr von Hans Müller Jüngst lesen

Ähnlich wie Besinnliche Geschichten (2)

Titel in dieser Serie (4)

Mehr anzeigen

Ähnliche E-Books

Allgemeine Belletristik für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Besinnliche Geschichten (2)

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Besinnliche Geschichten (2) - Hans Müller-Jüngst

    Das Messer

    Paulo kommt nach Istanbul und trifft dort auf Yussuf, einen Onkel seines Schulkameraden Aydin, Yussuf ist früher ein angesehener Messerschmied gewesen, der aber sein Handwerk wegen der billigen Konkurrenz aus Ostasien an den Nagel gehängt hat.

    Er begutachtete meine „Raichle"-Schuhe, sah sich genau deren Verarbeitung und die Sohle an und attestierte den Schuhen gute Qualität.

    Ob ich denn alles zu Fuß machen wollte. Ich verneinte und sage, dass ich alle sich mir bietenden Verkehrsgelegenheiten nutzen wollte.

    Ob ich denn kein Messer hätte, wollte Yussuf von mir wissen und ich sagte ihm, dass ich mit einem Messer nicht durch die Sicherheitsüberprüfung am Flughafen gekommen wäre.

    Wenn ich zwei Tage Zeit hätte, könnte er mir ein Messer schmieden, sagte Yussuf dann.

    Ich antwortete, dass ich vier Tage in Istanbul bleiben und ihm beim Schmieden eines Messers gern zusehen wollte.

    Wieder hatte Yussuf den Glanz in den Augen, „gut" sagte er dann, wir würden am nächsten Tag in den Großen Basar gehen und Messerstahl kaufen, er hätte einen alten Bekannten im Großen Basar, der sich auskannte und nicht betrügen würde.

    Ich müsste für ein geschmiedetes Messer aber schon dreißig bis vierzig Euro ausgeben!

    Ich willigte ein und entgegnete, dass ich gerne bereit wäre, für ein gutes Messer so viel Geld auszugeben.

    Ich bekam ein eigenes Zimmer neben dem von Aydin und ging früh schlafen.

    Aydins Onkel und Tante verließen am nächsten Morgen nach dem Frühstück zeitig das Haus.

    Wir liefen zum Großen Basar, den wir nach zehn Minuten erreichten, es wimmelte von Touristen.

    Die Händler waren alle auf die Touristen eingestellt und belagerten sie. Immer wenn sich eine Touristengruppe näherte, gingen sie auf sie zu und priesen ihre Ware an.

    Oft hatten sie den typischen Touristenramsch im Angebot, viele Touristen fielen darauf herein und kauften zu völlig überzogenen Preisen.

    Immer gaben die Händler den Touristen das Gefühl, gehandelt und ein gutes Geschäft gemacht zu haben.

    Dabei machten sie selbst gut und gerne zweihundert bis dreihundert Prozent Gewinn.

    Der Große Basar war ein fünfhundert Jahre altes Geschäftsviertel in Istanbul, er bestand aus einem Gewirr von überwölbten Gassen und Gässchen. In der Mitte befanden sich die Gold- und Silberhändler.

    Eine Menge Cafes reihten sich aneinander.

    Yussuf ging zielstrebig auf seinen Händler zu.

    Mustafa führte seinen Stand schon in der dritten Generation, er handelte mit Messern und Schmuck, man konnte über ihn aber auch Rohstahl beziehen, so wie er zum Schmieden gebraucht wurde.

    Er umarmte Yussuf herzlich und ging dann mit ihm in die hinterste Ecke seines Verkaufsraumes, dort kramte er ein Stück Rohstahl hervor.

    Yussuf nahm das Stück in Augenschein und befand es für gut, man wurde schnell handelseinig.

    Yussuf zahlte und ging mit Aydin und mir wieder hinaus, er freute sich über das gute Geschäft, das er gemacht hatte.

    Wieder glänzten seine Augen, wahrscheinlich in Vorfreude auf seine Schmiedearbeit.

    Zu Hause angekommen schickte er Aydin, Holzkohle kaufen. Er entfachte auf seiner alten Feuerstelle ein kleines Holzfeuer und schichtete, als es richtig brannte, Holzkohle darauf.

    Die Esse zog immer noch gut. Den Blasebalg hatte man inzwischen elektrifiziert.

    Yussuf leitete den Luftstrom vorsichtig auf die Holzkohle, bis sie weiß glühte. Dann legte er den Stahlrohling in die Glut und wartete, bis er die Schmiedetemperatur erreicht hatte. Anschließend nahm er den Rohling mit der Schmiedezange und legte ihn auf den Amboss.

    Yussufs Bewegungen waren fast jugendlich und bestimmt, mit großer Eleganz schlug er mit dem Hammer auf den Stahlrohling und formte ihn nach seinem Willen.

    Tack, tack, tack, der alte Arbeitsrhythmus war wieder zurückgekehrt.

    In der Nachbarschaft wunderte man sich, dass Yussuf seine Schmiedearbeit wieder aufgenommen hatte. Aydin erklärte Neugierigen, was es damit auf sich hatte.

    Yussuf war lange Zeit nicht ansprechbar, er schien in seiner Arbeit versunken.

    Immer wieder legte er den Rohling ins Feuer, bis er rot glühte und schlug dann mit dem Schmiedehammer auf ihn ein.

    Diese Tätigkeit dauerte Stunden.

    Mit einem Mal legte Yussuf den Hammer zur Seite und wischte sich den Schweiß von der Stirn, er schickte Aydin los, für uns etwas zu essen zu kaufen.

    Eine keine Arbeitspause würde ihm gut tun.

    Immer wieder nahm er den Stahl in die Hand, er hatte ihn in einem Wassereimer abgekühlt, der Stahl hatte mittlerweile eine schöne Messerform.

    Nach der Pause nahm Yussuf seine Hammertätigkeit mit unverminderter Intensität wieder auf, am frühen Abend war er fertig.

    Er legte den Hammer zur Seite, wischte sich den Schweiß ab und setzte sich, etwas entfernt von der Feuerstelle, auf einen Stuhl.

    Das Messer war in seiner Rohform fertig, es fehlten noch der Griff und die Scheide und es musste noch ein Endschliff gemacht werden. Das würde Yussuf am nächsten Tag erledigen.

    Er wäre müde, sagte er und ließ sich, von Aydin gestützt, nach oben bringen.

    Aydins Eltern wunderten sich, warum Yussuf so umtriebig wäre.

    Aydin erklärte, dass er für mich ein Messer geschmiedet und den ganzen Tag am Amboss gestanden hätte.

    Sie sagten nichts dazu, Aydins Mutter schüttete Yussuf einen Raki ein und setzte ihn in seinen Sessel, dann gab sie ihm seine Zigaretten.

    Yussuf war mit sich und seiner Arbeit zufrieden.

    Er würde am nächsten Tag drei Löcher in den Schaft bohren, um danach zwei Griffschalen an das Heft zu nieten.

    Er trank genüsslich seinen Raki und rauchte eine Zigarette. Ich lobte ihn für die Standhaftigkeit, mit der er seine Arbeit verrichtet hatte und ich lobte das Messer, das er gefertigt hatte.

    Nach vierzig Minuten war Yussuf eingeschlafen, sein ebenmäßiges Gesicht strahlte eine Zufriedenheit aus, wie sie nur ein guter Handwerker nach getaner Arbeit haben konnte.

    Aydins Eltern führten Yussuf auf sein Zimmer und legten ihn ins Bett.

    Aydin und ich gingen am Abend hinaus und liefen zur Galata-Brücke.

    Ich sah vom Fähranleger in Eminönü hinüber nach Üsküdar, auf dem Bosporus herrschte reger Schiffsverkehr, die Fähren zogen unablässig zwischen den großen Schiffen hindurch, die vom Mittelmeer ins Schwarze Meer zogen und umgekehrt.

    An der Galata-Brücke standen die Angler und warfen die gefangenen Fische in Plastiktüten, die sie vor sich hingestellt hatten.

    Sie unterhielten sich ununterbrochen, die meisten Angler rauchten, vom Halic zog ein unangenehmer Geruch herüber.

    Auf der anderen Seite der Galata-Brücke lag auf halber Höhe in Beyoglu der Galata-Turm.

    Dort am Bosporus lag Europas Ostgrenze, in zwei Tagen würde ich nach Asien übersetzen und für lange Zeit alles hinter mir lassen.

    Aydin und ich liefen am Halic entlang, das kurze Stück bis zur Yeni-Moschee.

    Dann gingen wir wieder stadteinwärts in die Hamidye Caddesi.

    Bis spät in den Abend hatten die Geschäfte geöffnet, der Trubel auf der Straße hatte kaum nachgelassen.

    Aydin und ich gingen hoch und setzten uns eine Zeit in sein Zimmer. Er hatte einen PC und einen Fernseher.

    Er zeigte mit die Spiele, die er auf seinen PC geladen hatte.

    Ich fragte ihn, was er später einmal werden wollte, Aydin sagte, dass er das noch nicht genau wüsste, wahrscheinlich würde er aber irgendetwas in der Informatikbranche anstreben.

    Er wollte studieren, aber nicht in Istanbul, vielleicht in Konya, dort gäbe es 8500 Studenten in sechzehn Fakultäten.

    Aber zuerst müsste er seinen Schulabschluss machen, er schaltete den Fernseher an und stellte MTV ein.

    Wie zu Hause, dachte ich und schaute mir ein paar Clips an.

    Dann ging ich ins Bett.

    Der nächste Tag stand wieder im Zeichen der Messerfertigung.

    Yussuf war früh aufgestanden, was er aber immer tat.

    Er hatte in seiner Werkstatt aus früheren Zeiten noch einen Ebenholzblock liegen, daraus hatte er immer seine Griffschalen hergestellt.

    Er sägte und schliff mit der gleichen Behändigkeit, mit der er auch geschmiedet hatte.

    Dann passte er die Griffschalen an, polierte hie und da noch ein bisschen und schlug drei Hohlnieten durch die Ebenholzgriffe und das Messerheft.

    Ich nahm das Messer, es lag ausgezeichnet in der Hand, Yussuf sah mir an, dass mir das Messer gefiel, er war stolz auf seine Arbeit.

    Er setzte sich noch eine halbe Stunde an den Schleifstein, dann war das Messer fertig.

    Yussuf nahm ein Stück Leder und schnitt zwei Scheidenhälften daraus, mit einer Ahle stach er Löcher für die Naht aus.

    Mit geübtem Griff nähte er aus den zwei Lederhälften eine Messerscheide zusammen, er heftete gleichzeitig eine Gürtelschlaufe daran.

    Danach machte Yussuf ein feierliches Gesicht und händigte mir seine hervorragende Handwerksarbeit aus.

    Ich zog meinen Hosengürtel durch die Lederschlaufe und steckte das Messer in die Scheide.

    Mit einem Mal befiel mich ein Gefühl der Zufriedenheit, ich hatte mein Messer!

    Natürlich könnte ich es nicht die ganze Zeit am Gürtel tragen, es würde mir gestohlen werden.

    Ich gab Yussuf vierzig Euro, er war zufrieden.

    Er setzte er sich in seinen Sessel und begann, auf mich einzureden, Aydin kam mit der Übersetzung kaum hinterher.

    Ich sollte auf meinem Weg nach Osten unbedingt in Konya Station machen. Ich könnte von Istanbul-Haydarpascha mit der Anatolischen Eisenbahn bis nach Konya fahren, dann wäre ich schon ein gutes Stück nach Osten vorwärts gekommen.

    Yussuf wünschte mir für meine Reise Allahs Segen und nannte mir die Adresse seines Bruders in Konya, da könnte ich übernachten.

    Es hätte ihn sehr gefreut, noch einmal schmieden zu können.

    Ich sollte ihm unbedingt schreiben, vielleicht sogar aus China!

    Ein Lächeln überflog sein Gesicht, als er das sagte, wie auch immer das zu deuten war.

    Kirmes in Leopoldsau

    Rosi ist Lenis Tante und lädt ihre Nichte auf die alljährlich stattfindende Kirmes ein, wo sie einen halban Tag verbringen und kaum ein Fahrgschäft auslassen.

    Am ersten Tag der Kirmes lud Rosi ihre Nichte Leni ein, mit ihr einen Nachmittag auf dem Volksfest zu verbringen.

    Leni war begeistert und Rosi holte sie mit ihrem Käfer ab. Leni wollte zuerst einen Teil ihres Kommuniongeldes mit zur Kirmes nehmen, das redete ihr Rosi aber wieder aus, Sie wollte alles bezahlen.

    Miriam steckte ihrer Tochter dann aber doch dreißig Euro zu. Lenis Schule endete um 13.15 h, die Kinder aus Leopoldsau hatten am Kirmesmontag schulfrei.

    Leni machte schnell ihre Schulaufgaben und aß. Um 14.15 h kam Rosi und holte sie ab. Sie waren dann um 14.45 h auf der Kirmes.

    Rosi versprach Leni:

    „Wie bleiben bis zum Abend, gegen 19.00 h bringe ich Dich aber wieder nach Hause!"

    Rosi hatte zugesagt, Leni spätestens um 19.30 h zu Hause abzuliefern.

    Die Kirmes fand wie in jedem Jahrs auf den Donauwiesen statt. Sie war sehr groß, es gab viele Fahrgeschäfte.

    Waren diese früher eher harmlos und lustig, so gab es in dieser Zeit Fahrgeschäfte, die einen das Gruseln lehrten. Aber Leni wollte mit ihrer Tante gerade die spektakulären Fahrgeschäfte ausprobieren. Auf manche durfte Leni wegen ihres geringen Alters noch gar nicht, oder sie musste von einer erwachsenen Person begleitet werden.

    Rosi parkte bei sich zu Hause und ging anschließend mit Leni zur Donau hinunter. Man konnte die Kirmesmusik bis in die Stadt hinein hören.

    Um 14.00 h fing der Kirmesbetrieb an. Es war eigens eine Donauwiese für Parkzwecke hergerichtet, für Auswärtige.

    Sie mussten 3 Euro für das Parken bezahlen.

    Um 15.00 h war noch nicht so viel los, es begann aber, voll zu werden.

    Rosi und Leni hatten sich vorgenommen, so viele Fahrgeschäfte wie möglich mitzunehmen. Sie mussten sich ranhalten.

    Gleich am Eingang gab es schon ein Kettenkarussell, das war zwar nicht sehr aufregend, aber für den Anfang genau das Richtige.

    Kettenkarussells gab es auf der Kirmes schon seit ewigen Zeiten.

    Dieses war noch recht neu und drehte ziemlich schnell. Man hob mit seinem Sitz ziemlich ab und drehte sich in großer Höhe im Kreis.

    Leni versuchte, mit den Beinen den Sitz vor ihr zu berühren, schaffte das aber nicht. Auch hielt sie der Sicherungsbügel zurück, den alle umlegen mussten.

    Rosi saß auf dem Sitz neben ihr und hielt die Ketten, an denen der Sitz hing.

    Nach ungefähr zehn Runden wurde die Fahrt langsamer und das Karussell kam zum Stillstand.

    Rosi und Leni stiegen ab und gingen zum nächsten Fahrgeschäft. Das war der Autoscooter.

    Auch den Autoscooter gab es schon, so lange Rosi denken konnte. Er übte auf alle Fahrer eine merkwürdige Faszination aus.

    Man zahlte 3 Euro, setzte sich in einen Wagen und fuhr seine Runden. Es kam darauf an, möglichst den Remplern der anderen zu entgehen. Junge Burschen hatten es besonders auf die Mädchen abgesehen, die sie nach Möglichkeit frontal rempelten. Das war nicht besonders schlimm, weil die Wagen mit einem umlaufenden Gummiring gepolstert waren, dennoch wurden die Körper stark durcheinandergewirbelt, was manchmal unangenehm war.

    Am Autoscooter lief immer laute Techno-, Dance- oder Discomusik.

    Auch wurden Nebelmaschinen betrieben, die die Fahrfläche verschleierten.

    LED-Licht wurde computergesteuert eingesetzt.

    Das alles machte den Autoscooter zu einer Hauptattraktion für die Jugend. Manche standen stundenlang am Rand und bewegten sich nicht.

    Fahrten wurden wegen des hohen Preises nicht so oft gekauft.

    Rosi und Leni sind ohne großes Gerempel davongekommen und verließen den Autoscooter wieder.

    Sie kamen so langsam in Fahrt. Draußen gab es vor dem Autoscooter und dem Freifallturm einen Kokosnuss-Stand. Beide gingen sie hin und kauften sich gebrochene Kokosnuss-Stücke.

    Kokosnüsse kannte man nur vom Weihnachtsteller und von der Kirmes. Die Kokosspalten schmeckten ausgezeichnet, blieben aber auch am Gaumen kleben. Also kaufte Rosi zwei Dosen Sprite.

    Die nächste Attraktion war der Freifallturm. Diesen Turm gab es noch nicht so lange auf der Kirmes. Er erfreute sich einer großen Beliebtheit.

    Rosi und Leni zahlten 5 Euro pro Person und setzten sich auf eine Bank, die rund um einen vierzig Meter hohen Turm angebracht war.

    Es passten ungefähr dreißig Personen auf die Bank. Alle Personen wurden durch hydraulische Schulterbügel gesichert.

    Als die Bank voll besetzt war, wurde sie an Stahlseilen hochgezogen. Langsam ging es hoch fast bis zur Turmspitze. Es lief sehr laute Musik, die ab und zu von Durchsagen des Bedieners unterbrochen wurde. Bis dieser plötzlich sagte: „Und jetzt festhalten!" Dann fiel die Bank am Turm nach unten, wo sie kurz vor dem Ende durch starke Wirbelstrombremsen aufgefangen wurde.

    Als sie zum Stillstand gekommen war, ging es gleich noch einmal hoch bis auf halbe Höhe, und wieder kam der Absturz.

    Der freie Fall wurde von einem ohrenbetäubenden Gekreische begleitet, auch Rosi und Leni schrien.

    Danach war Schluss, die Schulterbügel klappten hoch und beide stiegen aus, noch etwas benommen.

    Sie schauten an dem Turm hoch und staunten über die große Höhe.

    Von außen beobachteten sie ihre Nachfolger und sahen deren vom Kreischen verzerrte Gesichter.

    Sie kamen anschließend zur Raupenbahn. Die Raupe war ein Fahrgeschäft, das Rosi auch von früher kannte.

    Sehr laute Musik dröhnte aus den Lautsprechern. Es standen viele Jugendliche herum und hingen ab.

    Die Jungen baggerten die Mädchen an, die meist zu zweit in die Fahrkabinen stiegen. Am Nachmittag kamen aber auch immer mehr Pärchen, die traditionell zur Hauptkundschaft der Raupe gehörten.

    Die Raupe fuhr einfach im Kreis hoch und runter, gegen Ende der Fahrt senkte sich ein Stoffbalg über die Kabinen. Das war der Moment des Kuschelns und Knutschens, was wegen des Verdecks aber niemand sehen konnte.

    Die wagemutigen Bediensteten standen auf der Außenkante der Wagen und kontrollierten die Fahrchips.

    Früher trugen sie eine große Haartolle, die sie mit dem im Hosenbund steckenden Kamm permanent frisierten.

    Sie schafften es auch, während der Fahrt abzuspringen und kamen sich vor wie Tarzan.

    Rosi und Leni stiegen in einen Wagen, nachdem sie 2.50 Euro bezahlt hatten und gaben ihren Chip ab.

    In einem Affenzahn ging es im Kreis herum, Leni wurde gegen Rosi gepresst.

    Danach schloss sich das Stoffverdeck, und man hörte vereinzelte Schreie. Als es sich wieder öffnete, war die Fahrt zu Ende.

    Rosi und Leni verließen die Raupe und kamen an eine Losbude. Rosi kaufte für jeden fünf Lose, Leni hatte tatsächlich einen Gewinn gezogen.

    Der Losverkäufer gab ihr eine Kunststoffrose. Die hielt Leni während der ganzen Zeit in der Hand. Sie nahm sie später als Erinnerung mit nach Hause.

    Rosi und Leni schlenderten weiter, sie kamen am Kinderkarussell vorbei, wo Eltern mit ihren Kleinen standen.

    Dafür war Leni natürlich schon zu groß, Rosi musste an früher denken, als sie liebend gern auf die Feuerwehr ging und immer die Glocke läutete, während ihre Mutter und ihr Vater am Rand standen und sich unterhielten.

    Sie erreichten den Schießstand, wo junge Männer versuchten, ihrer Freundin eine Puppe zu schießen.

    Es wurde immer nachgeladen, immer wurden 2 Euro für vier Schuss hingelegt, bis dann irgendwann Schluss war und der Budenbesitzer dem jungen Mann einen Trostpreis hinlegte.

    Die Freundin heuchelte große Freude und nahm den Preis an sich.

    Rosi kaufte für Leni und sich eine Tüte gebrannte Mandeln. Das hatte sie immer schon getan, immer wenn sie auf der Leopoldsauer Kirmes war, kaufte sie gebrannte Mandeln.

    Die waren wegen der harten und süßen Glasur natürlich schlecht für die Zähne, schmeckten frisch geröstet aber umso besser.

    Danach gelangen sie an ein Fahrgeschäft, das man am besten mit nüchternem Magen bestieg, es hieß Break Dance.

    Auf deutschen Kirmesveranstaltungen war es eine relativ neue Erscheinung.

    Auf einer großen rotierenden Scheibe befanden sich vier oder sechs Gondelkreuze, an denen jeweils vier Gondeln befestigt waren

    Die Drehscheibe und die Gondelkreuze wurde durch Elektromotoren angetrieben und die Gondeln dadurch in eine kombinierte Drehung versetzt.

    Ähnlich wie die Drehscheibe waren die Gondeln schräg an den Gondelkreuzen befestigt, konnten sich aber frei um die eigene Achse bewegen.

    Aufgrund der wilden und oftmals nur schwer vorhersehbaren und sich ständig ändernden Fahrtbewegung lehnte sich der Name dieses Fahrgeschäftes an den Breakdance-Tanzstil an.

    Leni wurde schon vom Zuschauen fast schlecht. Aber sie wollte unbedingt auf den Break Dance.

    Auch Rosi war nicht ganz wohl bei dem Gedanken, in dieser zuckenden Gondel sitzen zu müssen, kaufte aber zwei Chips und setzte sich mit Leni hinein.

    Am Spätnachmittag bekam man noch bequem eine Gondel, abends rannten die Leute auf die sich noch drehende Scheibe und kämpften um die Gondeln. Viele mussten die Scheibe dann unverrichteter Dinge wieder verlassen. Es ertönte die Stimme des Rekommandeurs: „Nichts geht mehr! Bitte zurückbleiben!"

    Dann setzte sich der Break Dance in Bewegung.

    Man konnte wirklich nicht vorhersagen, wie sich die Gondeln bewegen würden, die ganze Sache verlief auch noch auf einer schiefen Ebene.

    Mal gab es recht gemächliche Drehungen, dann wieder ein starkes Reißen und unglaubliche Beschleunigungen.

    Rosi und Leni waren froh. als sie den Break Dance hinter sich lassen konnten. Sie hatten während der ganzen Fahrt nicht ein Wort miteinander gewechselt, beiden war etwas flau im Magen.

    Sie sahen sogar jemanden am Rande der Scheibe sich übergeben.

    Schnell gingen sie weiter.

    Rosi fragte Leni:

    „Ist mit Dir alles in Ordnung, sollen wir noch weiter machen?" und Leni nickte mit dem Kopf und steuerte zielstrebig das Riesenrad an.

    Dieser Klassiker einer jeden Kirmes war immerhin dreißig Meter hoch.

    Rosi kaufte Chips und setzte sich mit Leni in eine Kabine.

    Und schon setzte sich das Rad in Bewegung, bis es nach kurzer Zeit wieder stehen blieb.

    Erst als alle Kabinen besetzt waren, fing es an, sich ständig zu drehen.

    Toll war der Ausblick auf Leopoldsau, die Fahrt war kein Vergleich zum Break Dance.

    Sie drehten ungefähr sechs Runden, als das Riesenrad zur Ruhe kam und die Kabine unten angehalten wurde.

    Rosi und Leni stiegen aus. Es war mittlerweile 18.00 h geworden und Rosi mahnte zur Eile.

    Leni war noch nicht müde, obwohl sie ein Fahrgeschäft nach dem anderen ausprobiert hatten.

    Nebenan gab es den Dark Ride, was nur eine andere Bezeichnung für die alte Geisterbahn war. Leni zog sofort dorthin.

    Es war an diesem Dark Ride nichts los, keiner von beiden wusste, was auf sie zukommen würde.

    Sie fuhren in einen völlig dunklen Raum, in dem eine abscheuliche Musik lief, deren Klang durch spöttisches Lachen, durch Entsetzensschreie, durch unheimliche Rufe oder lautes Gebrüll unterbrochen wurde. Leni rückte ganz dicht an Rosi heran. Beide versuchten, durch weit geöffnete Augen zu erkennen, was um sie herum geschah.

    Sie sahen aber nichts.

    Plötzlich erklang direkt neben ihren Ohren ein infernalischer Schrei und im gleiche Moment flog ihnen ein feuchter Lappen ins Gesicht.

    Sie erschraken zu Tode, Leni hielt sich an Rosi fest, die einen Arm um ihre Nichte legte.

    Danach ging ein grelles Licht an, welches auf ein menschliches Skelett fiel, das sich auf sie zubewegte.

    Leni war wie erstarrt, sie schmiegte sich eng an Rosi. Zum Schluss fuhr der Wagen an wilden Tieren vorbei, die brüllten und nach ihnen schnappten.

    Sie waren beide froh, als sie die Fahrt des Grauens hinter sich gebracht hatten.

    Zufrieden blickte der Betreiber in zwei aschfahle Gesichter.

    Langsam löste sich bei Rosi und Leni der Kloß im Hals und sie liefen gut gelaunt weiter.

    „Da will ich noch rein!" rief Leni und zeigte auf den Round up, den Rosi auch schon von früher kannte.

    Der Round up war ein klassischer Karuselltyp, bei dem die Fahrgäste wie in einer Zentrifuge durch die Fliehkraft an die Außenwand gedrückt wurden. Dabei stellte sich die rotierende Scheibe fast senkrecht.

    Rosi und Leni klebten an der Drahtwand und schauen in die Mitte der Drehscheibe.

    Die Drehgechwindgkeit war ziemlich hoch, jedenfalls kam sie einem so vor.

    Erst als sie herabgesetzt und die Scheibe wieder in die Horizontale gebracht wurde, konnten sich die beiden wieder normal bewegen. Es war ihnen aber nicht schwindelig geworden.

    Rosi sagte:

    „Wir können noch ein Fahrgeschäft mitnehmen, danach müssen wir nach Hause!"

    Leni entschied sich für ein absolut verrücktes Gerät, das auf der deutschen Kirmes noch neu war, den Top Spin.

    Die Fahrgäste saßen auf einer circa zehn Meter breiten Bank, die zwischen zwei Tragarmen frei schwingend aufgehängt war. Die Tragarme wurden durch Elektromotoren in eine Drehbewegung versetzt und waren ihrerseits an breiten Ständern montiert.

    Die ganze Geschichte konnte durch kreisförmig am Drehpunkt angebrachte Bremsen festgestellt oder gelöst werden. Dadurch konnte sich die Bank in maximaler Höhe überschlagen.

    Das Fahrprogramm bestand aus verschiedenen Abfolgen von Hochfahren, Schaukeln und Überschlagen des Fahrgastträgers.

    Rosi sagte:

    „Anschließend müssen wir aber nach Weinlinden zurückfahren!"

    Auf dieser Attraktion wurde beiden beinahe übel. Man wusste während der Fahrt nie, wo man sich gerade befand. Wieder und wieder gab es Überschläge, ab und zu sah man Leute mit offenen Mündern staunend am Rand stehen. Dann endlich war Schluss.

    Rosi und Leni stiegen hinab und hielten sich gegenseitig, bis sie wieder zu Luft gekommen waren.

    „Das war klasse, Tante Rosi!" rief Leni.

    Wo sie denn ihre Rose hätte, wollte Rosi wissen. Dann zog Leni die Kunststoffrose aus ihrer Bluse, wo sie sie schon vor längerem hineingesteckt hatte.

    Zum Abschluss aßen beide eine Bratwurst und unterhielten sich über das Erlebte.

    „Ich will auf jeden Fall noch einmal mit meinen Eltern auf die Kirmes!", rief Leni.

    „Was hat Dir denn am besten gefallen?", wollte Rosi wissen.

    „Das Beste war, dass ich mit meiner Tante zusammen soviel Spaß gehabt habe", sagte Leni.

    Rosi freute sich über das Kompliment.

    Sie gingen zu ihrem Wagen und fuhren zurück nach Weinlinden. Rosi lieferte Leni pünktlich um 19.15 h zu Hause ab.

    Sie setzte sich noch ein wenig mit Miriam zusammen, Leni aß zu Abend und erzählte von der tollen Kirmes.

    Der Vluynbusch

    Viele Leute nutzen den Vluynbusch, um zu entspannen, zu joggen oder einfach nur, um spazieren zu gehen, denn der Vluynbusch ist das einzige zusammenhängende Waldgebiet in der näheren Umgebung und hat in seinem Inneren eine Naturwaldzelle, die nicht von Menschenhand umgestaltet werden darf.

    Der Vluynbusch ist ein Erholungsraum westlich von Neukirchen-Vluyn. Er ist ein Waldgebiet, zwar recht klein, aber ein zusammenhängender Wald, wie man ihn in der Umgebung sonst kaum findet.

    Er wird begrenzt durch die Geldernsche Straße im Norden, den Littardweg im Osten, die Rayener Straße im Süden und den Bergdahlsweg und den Sandbruch im Westen.

    Er ist drei Kilometer lang und an der breitesten Stelle einen Kilometer breit.

    Im Jahre 2004 erging eine ordnungsbehördliche Verordnung über die Festsetzung des Naturschutzgebietes Staatsforst Rheurdt/Littard in der Gemeinde Rheurdt, Kreis Kleve, darin heißt es in § 2: „Das Gebiet... „befindet sich nördlich der K 9, südlich der L 474 zwischen der Landwehr und Littardschem Kendel (innerhalb des Kuhlenbogens), südlich von Rheurdt und nordöstlich von Schaephuysen. Das Gebiet ist überwiegend Staatsforst des Landes Nordrhein-Westfalen."

    Dieser Staatsforst Rheurdt/Littard ist ein Naturschutzgebiet, das zwischen Rheurdt und Neukirchen-Vluyn liegt und eine Fläche von 145 ha hat. Er ist ein geschlossenes Laubmischwaldgebiet.

    Er wird durch Stieleichen-, Hainbuchenwälder und saure Buchenwälder geprägt, und hat einen sehr geringen Nadelholzanteil.

    Das Kernstück des Naturschutzgebietes ist die fünfundzwanzig Hektar große Naturwaldzelle Littard.

    In diesem Bereich findet keine Bewirtschaftung statt, sodass sich wild lebende Pflanzen und Tiere ungestört entwickeln können.

    Der Staatsforst wird im Norden und Westen von einem Gruben- und Stillgewässersystem umgeben, das von ehemaligen Torfkuhlen stammt.

    Mit diesem grenzt sich der relativ naturnahe Lebensraum von den umgebenden intensiv landwirtschaftlich genutzten Feldern ab.

    Für den Naturschutz bedeutsam ist das Naturschutzgebiet hauptsächlich aufgrund der Ausdehnung seiner naturnah entwickelten Laubwaldgesellschaften.

    Im Staatsforst leben der Schwarzspecht und, an zwei im Wald liegenden kleinen Teichen, der Eisvogel.

    Eigentlich gehört noch ein kleines Stück nördlich der Geldernschen Straße zum Staatsforst, das ist aber wirklich nur ein kleines Stück.

    In hohem Maße interessant ist aber die Naturwaldzelle, zu der man gelangt, wenn man vom Samanns Hof aus nach Westen durch den Wald läuft. In der Verlängerung erreicht man die Meenenkuhle und Rheurdt.

    Die genaue Beschreibung der Naturwaldzelle lautet: „Wuchsbezirk - Niederrheinebene, Bestand - ungleichaltrige Stieleichen, Hainbuchen-Eschen-Mischwald mit Kirschen und einzelnen Birken, Erlen und Buchen, Geologie - Auenablagerung (Holozän) über Hochflutablagerung (Pleistozän/Holozän), zum Teil über Terrassenablagerung (Niederterrassen, Pleistozän), Bodenart - sandig-lehmiger Schluff bis toniger Lehm über carbonhaltigem lehmigem Sand, Nährstoffhaushalt - mäßig nährstoffhaltig bis nährstoffreich, Höhenlage - 30 Meter ü. NN., natürliche Waldgesellschaft - Stieleichen, Hainbuchenwald, Größe der Naturwaldzelle - 24.5 ha, Alter im Jahre 2005 - Eiche 125 bis 255 Jahre, Esche, Hainbuche und Kirsche 82 bis 132 Jahre...."

    In der Bevölkerung heißt der Staatsforst schon seit jeher Vluynbusch. Er ist ein ausgesprochenes Naherholungsgebiet.

    Man kann ihn auf unterschiedliche Art nutzen, es gibt die Spaziergänger, wie überall, Jogger, Fahrradfahrer, Reiter und Ruderer und im Winter auch Schlittschuhläufer.

    Am Samannshof kann man Ruderboote mieten und auf den Teich, der ein Teil der Littardkuhlen ist, hinausrudern. Der Samannshof ist das Ausflugsziel par excellence. Er ist direkt an den Littardkuhlen gelegen und durch diese vom Wald getrennt. Der Littardweg führt immerzu am Wald entlang und ist zum Beispiel am 1. Mai dermaßen mit Fahrrädern überfüllt, dass man bei Samanns in einen Stau geraten kann.

    Man kann bei Samanns sehr gemütlich draußen sitzen und etwas trinken. Ganz früher war die Küche bei den Vorbesitzern nicht empfehlenswert, inzwischen hat sich aber gute Kost durchgesetzt.

    Ein Stück Apfelkuchen mit Sahne und dazu eine Tasse Cappuccino, das ist das größte.

    Das Bötchenfahren ist sehr beliebt, und man geht im Winter oft aufs Eis.

    Von Samanns aus kann man auch schön spazierengehen, man geht über die Kendelbrücke in den Wald. Schon bald sieht man da die Reitwege. Es wird im Vluynbusch viel geritten

    Der Wald ist als Laubmischwald sehr angenehm, lichtdurchlässig, nicht so duster wie ein Nadelholzwald.

    Man fährt schon mal mit dem Rad von Neukirchen zu Samanns. Das geht über die Felder nach Vluyn, nach Hochkamer auf die Hochkamerstraße, dann rechts ab in die Vluynbuschstraße, links ab in den Heisterweg bis zum Littardweg, dann ist man da.

    Wenn man einen freien Platz draußen erwischt, setzt man sich hin und trinkt etwas.

    Ansonsten geht man direkt auf den Bootssteg und leiht sich ein Ruderboot. Die Kinder haben dann meist Tüten mit altem Brot dabei und füttern die Wasservögel.

    Durch den ganzen Vluynbusch läuft von Nord nach Süd ein Hauptweg, den kreuzt schon mal ein Reiter. Reiter sind gelegentlich hochnäsig und nehmen keine Rücksicht. Vielleicht liegt das an der erhöhten Sitzposition. Man bleibt dann eben stehen und lässt die Reiter passieren. Oder man trifft auf schnaufende Jogger, die mit hochrotem Kopf ihre

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1