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Paulo wächst auf und wird flügge (1)
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Paulo wächst auf und wird flügge (1)
eBook407 Seiten4 Stunden

Paulo wächst auf und wird flügge (1)

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Über dieses E-Book

Paulo Köhler ist nach seiner Jugendzeit plötzlich erwachsen und fährt in die Welt hinaus, er weiß zunächst nicht wie es mit ihm weitergehen wird und lässt das Leben auf sich einströmen, er saugt es in sich auf.Nachdem er während seiner Jugendzeit und auch noch als Student mehr oder weniger unbeteiligt dem Leben gegenüberstand, nimmt er vom Zeitpunkt seiner Reisen an alles selbst in seine Hände, was ihn betrifft und gestaltet sein Erlebensumfeld.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum27. Aug. 2013
ISBN9783847650775
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    Buchvorschau

    Paulo wächst auf und wird flügge (1) - Hans Müller-Jüngst

    Los Rios

    Mein Name ist Paulo Köhler, ich bin der Sohn von Alfred Köhler, einem Polizeibeamten und seiner Ehefrau Ilse, einer Hausfrau.

    Mein Bruder Klaus ist 14 Monate und mein Bruder Fred ist 9 Jahre älter als ich.

    Klaus machte eine Ausbildung zum Fernmeldemonteur, Fred wurde Einzelhandelskaufmann.

    Ich war dazu auserkoren, das Gymnasium zu besuchen.

    Schon früh entwickelte ich einen Hang zum Spanischen.

    Meine Mutter sagte sehr oft die fünf spanischen Hauptflüsse auf: Ebro, Duero, Tajo, Guadiana, Guadalquivir.

    Komischerweise hat sie die aus ihrer Schulzeit behalten.

    Ich konnte sie bald nachplappern.

    Mutter kannte auch die Namen der zwölf Apostel, die habe ich aber nicht gelernt.

    Ich schaute mir das schöne große Land Spanien oft im Atlas an.

    Meine Eltern flogen später oft nach Mallorca, wie viele andere auch.

    Ich fuhr viele Male nach Spanien; zuerst an die Atlantikküste ins Baskenland.

    Mein Klassenkamerad Axel und ich, wir hatten einen alten Opel P1, für den wir in Poitiers eine neue Lichtmaschine kaufen mussten.

    Wir hatten die Haare lang und fielen deshalb natürlich überall auf.

    Geschlafen haben wir in Bundeswehrschlafsäcken am Strand.

    Ein schöneres Bett habe ich nie gehabt.

    Spanien war damals spottbillig, eine Stange Celtas Selectas kostete umgerechnet drei Mark, die Rückbank im Auto lag immer voll mit Zigaretten.

    Ein riesiges Glas Gin Tonic (Gordon`s Dry Gin, Schweppes Tonic Water) kostete 80 Pfennige.

    Ein Zimmer kostete 5 Mark die Nacht und ein Essen im Restaurant waren extrem billig.

    Hier ließ sich leben, dazu die fantastische Landschaft und das herrliche Wetter.

    Dass die Spanier zum Teil in relativer Armut lebten, dass das Franco-Regime schon seit fast dreißig Jahren an der Macht war, dass die Guardia Civil sich so manchen Übergriff erlaubte - ein Beamter stand mal mit seinen Stiefeln auf meinen bloßen Füßen und schaute mir aus circa dreißig Zentimetern direkt in die Augen, weil wir barfuß und mit freiem Oberkörper durch das Dorf gingen – das bekam man nur am Rande mit.

    Im Jahr darauf fuhr ich mit meiner Freundin Carola wieder ins Baskenland, von da quer durch das riesige Land ebroabwärts bis zur Costa Brava.

    Ein anderes Mal fuhr ich zur Ebromündung nach Alcanar in das Haus einer guten Bekannten.

    Später ging es nach Andalusien und nach Sevilla.

    Selbstverständlich war ich auch ein paar Mal auf Mallorca und einmal auf Gran Canaria.

    Ich lernte die spanische Lebensart und die spanische Kultur lieben.

    Weil ich in der Schule Latein gelernt hatte, fiel es mir relativ leicht, Spanisch zu sprechen, g und j sprach man wie das ch in Lachen aus.

    Das war vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig.

    Ansonsten musste man die Vokabeln kennen, um wenigstens zu radebrechen.

    Meine Spanienliebe brachte mir irgendwann den Namen Paulo ein,den wurde ich nicht mehr los.

    Paulo war ein lustiger Name, der erste Sohn Pablo Picassos hieß Paulo.

    Ich hatte Pablo Picasso immer verehrt.

    EBRO

    Vater brachte nach Dienstschluss immer seine Uniform mit nach Hause. Die hing zusammen mit seinem Pistolenhalfter, seinem Gürtel und einem Knebel im Flur an der Garderobe.

    Der Knebel war eine Kette, die Verhafteten um die Handgelenke geführt wurde, an deren Ende befanden sich verstärkte Griffe, die man ineinanderlegen konnte, sodass sie nur einen Griff bildeten.

    Durch Verdrehen dieses Griffes zog man die Kette um die Handgelenke stramm und machte sich so den Verhafteten gefügig.

    Mein Bruder und ich haben mit dem Knebel oft „Abführen" gespielt, an die Pistole haben wir uns nicht getraut.

    Vater hatte immer Schichtdienst beim Verkehrsunfallkommando. Er hatte die Führerscheine aller Klassen und konnte mit dem öffentlichen Personennahverkehr umsonst fahren.

    Er fuhr immer mit dem Bus zum Dienst.

    Stets trug er – auch im Sommer – lange Unterhosen. Wahrscheinlich hatte sich diese Angewohnheit aus der Kriegszeit erhalten, er war ja Soldat gewesen.

    War er mittags zu Hause, so legte er sich unmittelbar nach dem Mittagessen hin und hielt einen zweistündigen Mittagsschlaf. Wir mussten in dieser Zeit leise sein, jedenfalls so leise, dass er nicht gestört wurde.

    War er abends zu Hause, so saß er zumeist in der Küche und las Zeitung.

    Vor den Fernseher setzte er sich nur zur Tagesschau, zur Wetterkarte und samstags zur Unterhaltungssendung.

    Wochentags verließ er das Wohnzimmer unmittelbar nach der Wetterkarte.

    Bekam er noch die Programmansagerin zu sehen, machte er oft die Bemerkung:

    „Was ist das denn für ein Schmalzküken?" oder er sagte empört:

    „Mein Gott und das für unsere sieben Mark!"

    Morgens oder nachmittags war Vater unten.

    Unten waren der Hof, die Laube, der Schuppen, der Kaninchenstall und natürlich der Garten.

    Er trug unten meistens seine Holzschuhe, die er Klotschen nannte.

    Unten gab es jede Menge zu tun, nicht nur mussten die Kaninchen versorgt werden, es musste auch Holz gehackt, es mussten die Schuhe geputzt, es mussten die Hühner gefüttert und der Garten umgegraben werden.

    Die Gartenarbeit variierte je nach Jahreszeit, war in der Regel aber immer anstrengend, jedenfalls für uns Kinder bzw. Jugendliche.

    Mutter war immer dominant, was Vater aber akzeptierte, ohne als Pantoffelheld dazustehen.

    Er sprach Mutter oft ein Lob für ihre Hausarbeit aus, besonders lobte er ihre Kochkunst.

    Jedes Jahr ließ er sich wegen eines Ischiasleidens eine Kur verschreiben, sodass er bald alle Kurorte kannte. Später fuhr Mutter oft mit zur Kur, beide machten sie einen schönen Urlaub.

    Von der Sanitätsstelle der Polizei brachte er jede Menge kostenloser Medikamente mit, so zum Beispiel gezuckerte Hustenpastillen, die wir „Knüsselchen" nannten.

    Er war ein schwer zu beschreibender Mensch, insgesamt war er eher ruhig (nicht still), lachte aber gern in Gesellschaft; vermutlich war er ein Kriegsopfer, redete aber nicht so gern darüber.

    Seine Arbeit war wohl belastend, seinen Beamtenstatus wusste er aber auszukosten, jedenfalls ließ er gelegentlich seine Beziehungen spielen.

    Das Presbyterium der Evangelischen Kirchengemeinde wählte ihn später zum Kirchmeister.

    Von da an spielte sich ein großer Teil der Gemeindepolitik bei uns zu Hause ab.

    Die jeweiligen Pastoren gaben sich die Klinke in die Hand, mussten doch alle finanziellen Kirchenentscheidungen den Segen meines Vaters tragen.

    Im Laufe der Jahre machte sich bei ihm ein verschlepptes Lungenemphysem bemerkbar, das er sich sicher im Kriege oder bei seiner Raucherei eingehandelt hatte.

    Er verstarb im Jahre 1986.

    Oma Buchecker wohnte unten im Hause, ihre Wohnung lag zur Hofseite hin. Sie stammte aus Ostpreußen, was man unschwer hören konnte, hängte sie doch an alles, was sie sagte, ein typisches „näch" an.

    Theo Kolb, dessen Schwiegermutter Oma Buchecker war, hatte die Wohnung nebenan. Er wohnte da mit seiner Familie, unter anderem mit seinem Sohn Theo, der etwa so alt war wie mein Bruder und ich, mit dem wir aber nicht so viel zu tun hatten.

    Theo Kolb besaß einen Opel Kadett A, heute ein legendäres Modell, den er am Wochenende immer auf den Hof fuhr und dort wusch.

    Wir schauten dann neidisch auf den weißen Wagen, denn wir hatten nie ein Auto besessen.

    Mein Vater pflegte beim Thema Auto die Bemerkung zu machen:

    „Auto fängt mit Au an und hört mit o auf!"

    Sicher hatte er während seines Dienstes bei der Polizei schlechte Erfahrungen mit Autos gemacht, aber in erster Linie spielten wohl die Kosten eine Rolle.

    Onkel Bruno und Tante Thea wohnten in der Stolbergstraße, ungefähr zehn Minuten Richtung Borbeck zu Fuß. Deren VW Käfer stand unten vor der Tür, war dunkelgrün und hatte das Kennzeichen E-A 971.

    Tante Thea war oft leidend, sie sprach meistens so, als wollte sie gleich zu heulen anfangen.

    Ich glaube, dass sie von Mutter missachtet wurde.

    Mutter verstand es sehr gut, Menschen zu verstehen zu geben, ob sie sie mochte oder nicht, wenn nicht subtil, dann durchaus auch offen und direkt, was manchmal peinliche Züge annahm, wenn man dabei war.

    An Weihnachten wurde die Tür zum Wohnzimmer mit einem stabilen Band an der Klinke verschlossen, abschließen konnte man die nicht.

    Vor der Bescherung wurde dann in der Küche ausgiebig gegessen.

    Das kleinste Geräusch wurde den Engelchen zugeschrieben, die im Wohnzimmer dabei wären, die Geschenke unter den Tannenbaum zu legen.

    Das traditionelle Heiligabendessen war bei uns Kartoffelsalat, selbstverständlich mit selbst gemachter Majonäse, warmer Fleischwurst, Tatar und allerlei Wurst und Käse.

    Für uns Kinder war die Spannung bis zur Bescherung kaum auszuhalten.

    Wenn es dann soweit war, betraten wir mit großen Augen das Wohnzimmer und betrachteten zuerst den Tannenbaum.

    Er stand in der Zimmerecke auf der Fernsehtruhe. Er war relativ spärlich geschmückt mit Lametta und Wunderkerzen.

    Auf dem Zimmerboden davor lagen die Geschenkpakete.

    Man erahnte schon an der Paketform das obligatorische SOS-Geschenk, Schlips, Oberhemd, Socken, oft auch noch Unterhosen.

    Meine Aufgabe bestand darin, die Weihnachtsgeschichte aus dem Lukasevangelium vorzulesen.

    Erst danach durften wir an unsere Geschenke.

    Die mit Abstand besten Geschenke gab es für uns von Onkel Bruno und Tante Thea.

    Beide kamen regelmäßig zu Heiligabend, um mit uns gemeinsam zu feiern.

    Einmal schenkten sie uns ein Epidiaskop, das allerdings schon recht bald daran glauben musste. Wir stellten das kostbare Gerät unter das Bett, dachten nicht mehr daran und als wir auf dem Bett tobten, ging unser schönes Geschenk zu Bruch, unrettbar.

    Ein anderes mal gab es eine Dampfmaschine, so wie sie heute noch zu kaufen ist.

    Man erhitzte in einem kleinen Kessel mittels Esbittabletten Wasser und trieb mit dem unter Druck stehenden Wasserdampf alle möglichen Geräte an, das war eine richtig ausgeklügelte Technik, und wir freuten uns sehr.

    Irgendwann verloren wir aber auch daran unseren Spaß.

    Schließlich schenkten Onkel Bruno und Tante Thea uns Gewehre.

    Man schob hölzerne Pfeile, die an der Spitze Gummisauger hatten, in den Lauf, wo sie eine Feder spannten.

    Beim Betätigen des Hahnes flogen sie ziemlich weit. Später entfernten wir die Gummis und spitzten die Holzpfeile mit unseren Messern an.

    Dann waren sie richtig gefährlich.

    Nach dem Sichten der Geschenke und dem ersten Kosten der Süßigkeiten, die auf dem Weihnachtsteller lagen, nach dem ersten Anstoßen der Erwachsenen mit Wein und Bier, auch mit Schnaps, wurden Weihnachtslieder gesungen.

    Zum Teil gab es unübliche Lieder, deren Text ich heute nicht mehr kenne.

    Ich denke, die gehen auf meine Oma mütterlicherseits zurück, denn die war neuapostolisch.

    Oma war natürlich immer dabei, sie wohnte später auch bei uns im Anbau.

    Meine Oma Köhler, Vaters Mutter also, lebte in einem Altenheim in der Stadt.

    Sie war erzkatholisch und es hieß immer, dass ihr die Schwestern das Geld aus der Tasche zögen.

    Wir besuchten sie manchmal sonntags.

    Gesungen wurde bei uns gern, nicht nur an Weihnachten.

    Onkel Bruno sang immer Kopfstimme, sehr hoch und sehr schön.

    Vater hatte keine gute Singstimme, er grölte immer ein bassähnliches Geräusch dagegen, oft falsch.

    Die anderen hielten sich zurück, man konnte sie aber gut vernehmen.

    Wenn auf der stark befahrenen Bottroper Str., auf der wir wohnten, ein Bus oder LKW vorbeifuhr, wackelte das ganze Haus.

    Die Bottroper Str. war eine Hauptverkehrsstraße. Ein Großteil unserer Katzen, von denen später noch die Rede sein wird, war auf dieser Straße überfahren worden.

    Wir beerdigten sie alle bei unserer Bude hinten im Garten.

    Sie bekamen sogar ein Holzkreuz.

    Die Bude hatten wir gebaut, indem wir ein großes Loch aushoben, dieses mit einem Türblatt abdeckten und darauf wiederum Mutterboden schaufelten, sodass man außer einer kleinen Bodenerhebung nichts von unserer Bude wahrnehmen konnte.

    Wenn wir uns in der Bude aufhielten, rauchten wir oft Zigaretten, die wir aus alten Teeblättern gedreht hatten oder wir fuhren mit unserer Karre zur Bushaltestelle am Sulterkamp, sammelten weggeworfene Kippen, fuhren zurück zur Bude und pulten den Tabak aus den Zigarettenstummeln heraus.

    Meistens drehten wir daraus Zigaretten mit Zeitungspapier.

    Einer guckte immer aus der kleinen Luke, die wir gelassen hatten und beobachtete den Garten, ob Vater oder Mutter in der Nähe waren.

    Vor der Bude gab es an der Gartenabschlussmauer eine Kochstelle. Das war ein Geviert aus Ziegelsteinen, über welche ein alter Backofenrost gelegt wurde. Mutter hatte uns einen ihrer Töpfe überlassen und wir machten oft Feuer und kochten zum Beispiel Suppe aus Maggiwürfeln.

    Die Karre, die schon erwähnt wurde, war für uns ein wichtiges Transportmittel.

    Sie war eine Konstruktion aus einem langen Brett, unter dessen Enden alte Kinderwagenachsen montiert wurden.

    Bevor die Räder darauf geschoben wurden, kam eine Portion Staufferfett auf die Achsenden, damit die Räder leicht liefen.

    Die vordere Achse wurde drehbar montiert und mit Seilen versehen, die wie Zügel benutzt wurden, und mit denen man somit die Karre lenken konnte.

    Einer setzte sich darauf, während der andere mit einem alten Schüppen- oder Besenstiel anschob.

    Bergab lief die Sache natürlich von selbst, sofern man die Karre vorher bergauf geschoben hatte.

    Wir haben unsere Karre viele Jahre benutzt und ein ähnliches Modell in einem Schwarzwaldurlaub gebaut – davon später mehr.

    Im Herbst bauten wir uns Drachen oder Windvögel, wie wir sagten.

    Dazu besorgten wir uns schmale Tapezierleisten, die es in den entsprechenden Geschäften zu kaufen gab.

    Aus den Leisten wurde ein großes Kreuz gebaut.

    Rund um das Kreuz wurde ein an den Enden der Leisten befestigtes Band gespannt.

    Die Querleiste wurde leicht nach innen gebogen und die Spannung mit einem kurzen Stück Band, das an deren Enden befestigt war, gehalten.

    Das Band wiederum wurde durch eine ganz kurzes Stückchen Leiste, welches in der Mitte der Querleiste aufgestellt wurde, gespannt.

    Legte man dieses Stückchen Leiste um, war die Spannung aus dem Drachen genommen.

    Jetzt wurde das Leistenkreuz mit großen Papierbögen verklebt.

    Zeitung eignete sich dazu nicht, weil sie zu leicht einriss.

    Es gab zu diesem Zweck eigens verstärktes Drachenpapier, das man bei uns im Zeitschriftenhandel bei Frau Ulbricht erstehen konnte.

    War der Drachen soweit gediehen, wurde an das Kreuzende ein langes Band befestigt, aus dem dann der Drachenschwanz, meist aus Grasbüscheln, entstand.

    Es war schon eine gehörige Windstärke nötig, um die recht schwere Drachenkonstruktion in die Luft zu erheben.

    Es klappte aber jedes mal recht gut, war der Drachen einmal in der Luft, musste man nur darauf achten, dass er nicht zu tief absank.

    Es waren immer zwei Leute nötig, um den Drachen steigen zu lassen.

    Einer musste den Drachen startbereit hochhalten, der andere lief mit gespannter Leine los, bis sich der Windvogel weit genug in die Höhe begeben hatte, um dann Leine nachzulassen.

    Die große Wiese, die sich hinter dem uns gegenüberliegenden Jugendheim anschloss, war der geeignete Ort, um die Windvögel steigen zu lassen.

    Auf der anderen Seite des Hauses wohnte Ferdinand Pilz.

    Er war alt und hatte einen unglaublichen Buckel. Immer, wenn man ihn sah, bat er:

    „Kratz mich doch mal am Rücken!"

    Er selbst konnte das aus verständlichen Gründen nicht.

    Herr Pilz hatte auf der Seite des Gartens, die der unsrigen gegenüber lag, eine große Voliere, in der er unzählige Kanarienvögel und Wellensittiche hielt.

    Er lebte mit seiner Schwester Friedchen zusammen (ich weiß nicht, wie deren korrekter Name war).

    Über den beiden wohnte Herr Prinz mit Frau. Er hatte eine Steinstaublunge und werkelte oft in seinem Schuppen auf dem Hof.

    Ich ging immer dorthin, um zu rauchen.

    Neben dem Gang zum Hof wohnte Herr Lukaj mit seiner Schwester in einem sehr alten kleinen Häuschen.

    Wir wussten nicht viel über die beiden, sicher waren sie Flüchtlinge. Sie hatten einen großen Garten wie wir und einen Hund, der hieß Blacky.

    Immer, wenn man den Gang entlang auf den Hof ging oder wenn eine unserer Katzen zum Hof lief, rannte er laut kläffend den Zaun entlang.

    Er war eine kleine schwarz-weiße Promenadenmischung. Herr Lukaj hielt auch Tauben, ich glaube, um sie zu essen.

    Frau Lukaj sah man kaum.

    Vater oder Mutter unterhielten sich manchmal über den Zaun hinweg mit einem von beiden.

    Sie sprachen dann einen kaum zu verstehenden westfälischen Dialekt, jedenfalls glaube ich, dass es einer war.

    DUERO

    Als ich aufs Gymnasium (colegio) gehen sollte (und wollte), musste ich mich einer dreitägigen Aufnahmeprüfung unterziehen.

    Ich erinnere mich noch dunkel an Mathematik.

    Ich erinnere mich auch noch dunkel an den Prüfungsraum.

    Das Gymnasium war ein großer alter Bau in der Prinzenstraße in Borbeck.

    Es war glaube ich circa einhundert Jahre alt und hatte eigentlich einen relativ guten Ruf.

    Es verfügte über ein riesiges Außensportareal, wir hatten einen eigenen Fußballplatz, auf dem allerdings auch der SV Borbeck trainierte.

    Es gab eine Vierhundert-Meter-Bahn, auf der ich so manchen Schweißtropfen gelassen hatte.

    Ferner war eine gute Weitsprunganlage vorhanden. Vom großen Schulhof aus ging man in den Fahrradkeller, den ich lange benutzt hatte.

    Der große Turnhallenanbau ragte in den Hof hinein, über der Turnhalle lag der Kunsttrakt.

    Auf der gegenüberliegenden Seite befand sich ein weiterer Anbau mit Klassenräumen, der die provisorischen Pavillons ablöste.

    Vor dem Bau gab es den Lehrerparkplatz mit relativ bescheidenen Ausmaßen, viele Lehrer kamen damals noch mit Bus oder Bahn zur Schule.

    Der Chef, Dr. Lofing, hatte einen VW 411 Fließheck, der kam damals gerade heraus, hässlich!

    Wenn man den Bau durch den Haupteingang betrat, ging man in den Gang nach rechts zum Lehrerzimmer, hier gab es auch die Schulbibliothek.

    Im Keller lagen Räume für den „ND", die katholische Jugend.

    Auch ein Fotolabor gab es hier, ich habe mich aber nie dafür interessiert.

    Halb links ging man in die Umkleideräume und dann in die Turnhalle.

    Wenn man den Treppentrakt ganz hoch ging, kam man unter dem Dach zum Musikraum.

    Musik unterrichtete Herr Ellinghaus.

    Er war ein begnadeter Musiklehrer von sehr hoher Fachkompetenz, sofern man das als musikalischer Laie beurteilen konnte.

    Die wichtigste Funktion kam in seinem Unterricht dem Flügel zu.

    Er saß eigentlich permanent vor seinem Instrument und spielte während er gleichzeitig zu uns sprach.

    Ab und zu stand er auf und schrieb etwas an die Tafel, was wir abzuschreiben hatten.

    Natürlich quatschten wir auch untereinander.

    Bekam er das mit, stand er auf, fragte kurz:

    „Wer war das?", forderte denjenigen, der sich meldete, auf, sich zu erheben, schlug ihm heftig ins Gesicht, dass man alle seine Finger auf dem Gesicht erkennen konnte und setzte sich wieder vor seinen Flügel, so als wäre nichts geschehen.

    Ein Schüler musste die Musikanlage bedienen, wenn wir mal eine Symphonie oder ein anderes Werk hören sollten.

    Es gab ausschließlich Schallplatten, die von einem Plattenspieler abgetastet wurden.

    Die Qualität litt natürlich mit der Zeit, die Platten mussten eine Zeit lang halten und hatten im Laufe ihrer Benutzung einige Kratzer abbekommen.

    Der Musikunterricht war so qualifiziert, dass ich heute noch einige musikalische Grundbegriffe kenne.

    Der Chor wurde von Frau Hegemanns geleitet. Sie hatte mir die Bassstimme zugewiesen.

    Da wir aber, zumal die Bässe ganz hinten im Chor standen, fast ausschließlich Mist machten, flog ich sehr bald wieder aus dem Chor.

    Ich erinnere mich aber noch an das Stück „Gaudeamus igitur", das wir mit Inbrunst übten.

    Auch im Musikunterricht wurde sehr viel gesungen. Wer ein Instrument auch nur ansatzweise spielen konnte, so wie ich die Gitarre, wurde eine Notenstufe heraufgesetzt.

    Herr Ellinghaus war immer fröhlich und ging in seiner Musik auf.

    Biologie wurde von Herrn Strasser unterrichtet.

    Der Biologiesaal war, wie auch der Physiksaal, als Hörsaal ausgelegt, die Bankreihen stiegen nach hinten hin auf.

    Er lag über dem Lehrerzimmer.

    Vor dem Biologiesaal gab es Schauterrarien, in dem einen wurde eine Boa gehalten, die ausgesuchte Schüler in der großen Pause mit Mäusen füttern durften.

    Wir schauten oft dabei zu.

    Herr Strasser war streng, er ließ uns viel zeichnen, was sicher zu einem guten Biologieunterricht gehörte.

    Auch mussten wir nicht angekündigte Tests schreiben, die ich mit Ach und Krach schaffte.

    Auch Herr Strasser schlug die Schüler, wenn auch weniger oft als Herr Ellinghaus.

    Das Biologiebuch war der Hermann Linder, den es heute noch mit dickem gelbem biochemischem Anhang gibt.

    Wenn Filme gezeigt wurden, konnte man schwarze lichtundurchlässige Rollos herunterlassen.

    Mein Klassenkamerad Inderwies hat dann regelmäßig onaniert.

    Es wurden große 16-mm-Bauer-Projektoren benutzt, in die man den Film in unzähligen Schlaufen einfädeln musste.

    Neben den Projektor wurde die Abdeckung gestellt, in die ein Lautsprecher montiert war.

    Oft war nur ein lautes Knistern zu hören.

    Eine große Attraktion war im Nebenraum des Biologiesaales der „Hugo".

    „Hugo" war ein menschliches Skelett, angeblich ein echtes.

    Genau wusste das aber niemand.

    Der Physiksaal lag über dem Biologiesaal. Herr Flake gab Physik, und das tat er sehr rigide.

    Er war wohl Berufsanfänger, jedenfalls jung und setzte ordentliche Mathematikkenntnisse voraus. Trotz seiner Strenge konnte er hervorragend erklären.

    Ich als Großschnauze versuchte Herrn Flake manchmal zu verunsichern, zum Beispiel mit der Bemerkung:

    „Na, gestern beim Friseur gewesen?"

    Herr Flake ging zwar über solche Bemerkungen hinweg, ganz unberührt ließ ihn so etwas aber nicht.

    Er machte, wie sich das für einen anschaulichen Physikunterricht gehört, sehr oft Versuche, ich erinnere mich noch an die schiefe Ebene, an der die gleichmäßig beschleunigte Bewegung veranschaulicht wurde oder an das Bleiband aus einer Gardine, das zur Verdeutlichung der Schwingungslehre benutzt wurde (Longitudinalwellen).

    Die harmonische Schwingung brach mir, neben Latein, ich glaube in der zehnten Klasse, das Genick, ich blieb sitzen.

    Herr Grüter gab Latein, später Dr. Lau.

    Grüter war ein Prolet, er popelte und schmierte sein Popelergebnis unter das Pult.

    Sein markigster Spruch war:

    „Lange Haare, kurzer Verstand!"

    Das war auch gegen mich gerichtet, der ich inzwischen die Haare schon recht lang trug.

    Herr Grüter hatte auch etwas gegen meine Ringelsocken, was ich zum Anlass nahm, meine Beine ordentlich unter der Bank auszustrecken.

    Zu Beginn jeder Stunde überprüfte Herr Grüter die Vokabeln.

    Die Lateingrammatik aus „Ludus Latinus" habe ich heute noch in großen Teilen präsent, das Pauken der Grammatik half mir auch in Deutsch und Englisch.

    Bei Klassenarbeiten wurde oft der „Pons" benutzt, der half aber nicht immer.

    Dr. Lau, der Herrn Grüter später aböste, war ein ganz anderer Typus von Lehrer.

    Er war eine elegante Erscheinung und legte Wert auf gut formulierte, wenn es ging freie Übersetzung. Merkwürdigerweise hatte ich Talent für freie Übersetzungen, ich wurde von Dr. Lau gelobt und stand dann plötzlich drei in Latein.

    Zur Mathematik hatte ich anfangs kein gutes Verhältnis.

    Mathe wurde von Herrn Becker unterrichtet.

    Ich erinnere mich noch an Ungleichungen, Betragsrechnen und Grenzwertbetrachtungen.

    Herr Becker und Herr Flake waren befreundet, sie spielten zusammen Fußball im Lehrersport.

    Herr Becker hatte einen alten VW-Käfer und kam jeden Morgen aus Werden.

    Das waren sicher zehn Kilometer pro Strecke.

    Er hatte die Eigenart, bei Klassenarbeiten dicht am Fenster zu stehen und in der Scheibe zu beobachten, ob jemand fuschte.

    Er rauchte dabei und blies den Qualm zum Fenster hinaus.

    Ich weiß noch, dass er „Astor" rauchte.

    Herr Becker war unser Klassenlehrer, wir fuhren mit ihm nach Berlin in das Jugendgästehaus in der Kluckstraße.

    Begleitlehrer waren Herr Linnenborn und Herr Agatz.

    Herr Agatz war ein komischer Kauz.

    Er gab Philosophie bei uns.

    Er war unglaublich intelligent, wenngleich man vieles von dem, was er im Unterricht von sich gab, nicht verstand.

    Ich erinnere mich noch an seine überaus verständlichen Tafelbilder, mit denen er unter Verwendung vieler Pfeile die Beziehung zwischen Subjekt und Objekt zu veranschaulichen suchte.

    Einmal ließ er zu seinem Geburtstag einen Kasten Bier hoch holen.

    Wir tranken dann in seinem Unterricht Bier.

    Ich denke, er hatte oft Streit mit der Schulleitung.

    Sport machte eigentlich sehr viel Spaß, wenn man mal von anstrengenden Vierhundert-Meter-Runden absieht.

    Im Winter fand der Sportunterricht in der Halle statt, und hier gab es tolle Sportgeräte, an denen man seine Kräfte und sein Geschick messen konnte, wie Barren, Kasten, Pferd, Hochreck.

    Sport wurde von Herrn Ganther, Herrn Dömkes, Herrn Detering und Herrn Hönsch unterrichtet.

    Herrn Deterings Erscheinungsbild änderte sich vom Erdkundeunterricht, den wir auch bei ihm hatten, zum Sport dadurch, dass er sich eine Trainingsjacke anzog und sich in der Turnhalle eine Zigarre ansteckte.

    Er ließ uns alle im Kommandoton antreten und zu Beginn jeder Sportstunde drei Runden laufen. Dabei stand er in der Mitte der Halle und rauchte genüsslich.

    Dann befahl er, wieder im Kommandoton, den Mattenwagen zu holen und das Reck aufzubauen.

    Die armen Säcke, die am Reck keinen Aufschwung konnten, weil sie zum Beispiel zu dick waren, wie Kanther, waren die Würstchen.

    „Du Würstchen, stell Dich hinten an", war dann sein Kommentar.

    Auch in Erdkunde gab es Würstchen, wenn man nämlich zum Beispiel vorne an der Karte nicht zeigen konnte, wo Breslau lag.

    An Herrn Ganther erinnere ich mich, wenn ich an die Leichtathletik draußen denke.

    Er verstand es, die Schüler zu motivieren und übte mit uns den Start beim Hundert-Meter-Sprint vom Startblock, sowie Anlauf und Absprung beim Weitsprung.

    Wir lernten, unsere Anlaufstrecke so zu markieren, dass wir beim Absprung exakt den Absprungbalken trafen.

    Herr Ganther brachte mich und einige Mitschüler dazu, dass wir uns Spikes in der Stadt kauften.

    Die kosteten vierzig Mark bei Sport Vosswinkel, ich musste mir noch zehn Mark bei meiner Schwägerin leihen, den Rest konnte ich durch Nachhilfe, die ich gab, selbst bezahlen.

    Die Spikes waren aus Nappaleder.

    Ich trug sie stolz wie Oskar und lief die vierhundert Meter mit siebzehn Jahren in siebenundfünfzig Sekunden. Das war keine schlechte Zeit.

    Der Leichtathletikunterricht fand im Rahmen des Spielturnens statt, das war Sportunterricht, der nachmittags für eineinhalb Stunden gegeben wurde.

    Unsere Sportanlage war hervorragend, ein Platzwart kümmerte sich um deren ordnungsgemäßen Zustand.

    Wir spielten zwar ab und zu Fußball, meistens aber traktierten wir die Aschebahn.

    Der Vierhundert-Meter-Lauf war sehr hart, man dachte in der letzten Kurve, dass einem die Beine durch Bleigewichte ersetzt worden waren.

    Beim Zieldurchlauf war man dermaßen außer Atem, dass man noch eine Zeit lang gehen musste,

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