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Margas Leben - Familien nach dem Krieg (1)
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Margas Leben - Familien nach dem Krieg (1)
eBook289 Seiten4 Stunden

Margas Leben - Familien nach dem Krieg (1)

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Über dieses E-Book

Die Geschichte der Familie Goldschmid findet in der vorliegenden Erzählung ihre Fortsetzung, der historische Hintergrund ist die deutsche Nachkriegszeit und da besonders die Schritte, die zur Teilung Deutschlands geführt haben. Goldschmids leben seit nunmehr zwölf Jahren in Amsterdam, Robert Goldschmid hat seine Arztpraxis längst aufgegeben, Max Rozenbaum ist auch in Rente, genau wie Piet Gerrits. Die drei Genannten bilden zusammen mit ihren Frauen eine Einheit in den Augen der deutschen Kinder und deren Familien, sie besuchen sie regelmäßig zu am Ende festen Terminen und durchleben so die Nachkriegszeit, ebenso statten die Holländer ihren deutschen Kindern Besuche ab,in Essen und in Göttingen. Die Situation unmittelbar nach Kriegsende ist verworren, es fehlt an ordnenden Kräften und Verwaltungseinheiten, sowohl die Essener als auch die Göttinger leben in der britischen Besatzungszone und erleben dort hautnah mit wie sich ganz allmählich die Verhältnisse konsolidieren. Die Essener Familie Theißen nimmt Flüchtlinge aus Königsberg bei sich auf und arrangiert sich mit ihnen,sie wohnen am Ende im Hause der Theißens.
Goldschmids, die Familie des Sohnes von Robert aus Amsterdam, lebt in einem Arzthaushalt, Manfred führt die alte Praxis seines Vaters weiter und Petra, die Tochter von Gerrits aus Amsterdam, ist Tierärztin, Marga, die Tochter von Rozenbaums, ist Studienrätin geworden und lebt mit Werner Theißen im Hause von dessen Mutter zusammen, Werner ist Philosophieprofessor in Düsseldorf geworden, von daher geht es den Protagonisten überdurchschnittlich gut. Gerda, die Tochter von Goldschmids, lebt zusammen mit Siegfried Lamprecht in Göttingen und betreibt mit ihm dort eine psychotherapeutische Praxis mit zunehmendem Erfolg.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum2. Feb. 2014
ISBN9783847673330
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    Buchvorschau

    Margas Leben - Familien nach dem Krieg (1) - Hans Müller-Jüngst

    Auf nach Holland!

    Der Krieg war vorüber, und es standen für Marga, Gerda, Siegfried, Gerdas Mann, Petra, Werner und Manfred Entscheidungen an, von denen der Verlauf ihres weiteren Lebens abhängen sollte. Marga war nach Deutschland zurückgekehrt und ist Deutsche geworden. Sie lebte zusammen mit Werner in Essen, wo sie Studienrätin am Goethe-Gymnasium war und die Fächer Geschichte und Deutsch unterrichtete. Werner war an den Lehrstuhl für Philosophie nach Düsseldorf gerufen worden. Sie waren seit einigen Jahren verheiratet und 1941 Eltern geworden, sie hatten zwei Kinder, einen Jungen und ein Mädchen und lebten mit Werners Mutter zusammen im alten Theißen-Haus.

    Werners Mutter war inzwischen siebzig und von sehr stabiler Natur. Jetzt, wo ihr Haus mit Menschen gefüllt war, sah sie sich in ihrem Leben von Neuem herausgefordert. Sie hatte ein sehr gutes Verhältnis zu den Kindern ihres Sohnes entwickelt, und die Kinder mochten ihre Oma über alles. Werner hatte sich ein Auto zugelegt, mit dem er jeden Morgen nach Düsseldorf fuhr, Marga nahm für ihren Schulweg ihr Fahrrad, sie musste nur die Meisenburgstraße überqueren und in die Ruschenstraße einbiegen, das waren ein paar hundert Meter. In der Zeit ihrer täglichen Abwesenheit kümmerte sich Bärbel, so der Name von Werners Mutter, liebevoll um die Kinder und kochte für alle Essen. Auch Petra und Manfred waren während der Kriegszeit ein Paar geworden und hatten 1942 geheiratet. Sie hatten seit 1942 Kinder, zwei Jungen, mit denen sie auch in Essen lebten, allerdings nicht in dem alten Goldschmid-Haus, denn das hatten Manfreds Eltern 1934 verkauft, bevor sie zu Margas Eltern und ihren Verwandten nach Amsterdam ausgewandert waren. Sie hatten sich vielmehr ein Haus kaufen müssen und waren wieder nach Bredeney gezogen, ganz in die Nähe von Marga und Werner. Manfred hatte in der alten Praxis seines Vaters bei David Zuckerberg, dessen ehemaligem Kompagnon, seine Arbeit als Arzt aufgenommen und hatte die feste Absicht, genauso erfolgreich und mit aller Kraft seinen Arztberuf auszuüben.

    Petra war Tierärztin geworden und hatte Praxisräume in Bredeney gefunden. Es war für sie in der unmittelbaren Nachkriegszeit nicht einfach, ihr Leben als Tierärztin zu bestehen, weil die Menschen natürlich andere Sorgen hatten, als sich um das Wohl ihrer Tiere zu kümmern. Zusammen mit Manfred schaffte sie es aber, ihrer Familie ein überdurchschnittliches Auskommen zu sichern. Gerda ist nach ihrem Studium in Göttingen geblieben und hatte einen ehemaligen Kommilitonen geheiratet, mit dem sie eine psychotherapeutische Praxis eröffnet hatte. Auch sie hatten zwei Kinder, die allerdings noch sehr klein waren und erst vor kurzer Zeit, also 1944 und 1945 geboren worden waren. Gerda, die immer wie das fünfte Rad am Wagen gewirkt hatte, war in Wirklichkeit schon seit Beginn ihres Studiums mit Siegfried, wie ihr Mann hieß, liiert, was niemand wusste, was aber auch niemanden überraschte, denn Gerda sah sehr hübsch aus und sie war intelligent. Die alten Rozenbaums, Margas Eltern und Goldschmids, Gerdas und Manfreds Eltern, lebten ein glückliches Leben in Amsterdam. Sie hatten während der deutschen Besatzung so manche Entbehrung hinnehmen müssen, waren aber mit heiler Haut durch die Zeit der Schrecknis gekommen. Goldschmids bewohnten an der Keizersgracht ein altes vornehmes Bürgerhaus mit sehr viel Platz, Rozenbaums wohnten seit eh und je in der Tuinstraat in ihrem alten Stadthäuschen, das die Firma seinerzeit Herrn Rozenbaum zur Verfügung gestellt hatte. Die Rozenbaums mussten, nachdem der Alte in Rente gegangen war, ein wenig Miete bezahlen, die aber kaum der Rede wert war.

    Auch Herr Goldschmid arbeitete nicht mehr und hatte seine Arztpraxis in der Bergstraat verkauft.

    Die Goldschmids trafen sich öfters mit Rosenbaums, auch Petras Eltern, die Gerrits, gehörten zu dem Kreis, in dem wie in alten Zeiten über Politik diskutiert wurde, wobei Piet Gerrits sich immer besonders hervortat und sich gelegentlich überengagiert zeigte. Es war nicht so, dass er Genugtuung empfand, wenn er auf das geschlagene und völlig am Boden zerstörte ehemalige Großdeutsche Reich blickte, aber er machte kaum einen Hehl daraus, dass ihn die Entwicklung in Deutschland bis zu dessen bedingungsloser Kapitulation mit Zufriedenheit erfüllte. Bärbel Theißen unternahm mehre Male im Jahr die anstrengende Zugfahrt nach Amsterdam, um sich mit ihren alten Freuden zu treffen und eine Woche, manchmal auch drei Wochen lang bei Goldschmids, ihren ehemaligen Nachbarn in Essen, zu wohnen. Wenn sie in der alten Runde zusammensaßen, meistens bei Goldschmids, weil die den meisten Platz hatten, ging es schon mal hoch her wie früher, Bärbel und Piet, Petras Vater, standen sich in ihrem politischen Eifer in nichts nach und zogen über alles her, was ihrem politischen Denkschema entgegenstand. Iris, Petras Mutter und Doris, Marga Mutter, hielten sich meistens zurück, wenn sich Bärbel, Piet und Max, Margas Vater und Robert, Gerdas und Manfreds Vater, in die Haare kriegten. Die Stimmung blieb aber immer sehr erträglich und niemand der Anwesenden fühlte sich im Anschluss auf den Schlips getreten, weil sie im Grunde alle einer Meinung waren wie schon in der Vorkriegszeit, als alle gegen das Hitlerregime waren und sich deshalb nie ernsthaft in die Wolle kriegten, höchstens dass sie sich einmal über Nuancen stritten.

    Piet versuchte aber immer, in seiner provozierenden Art einen Kitzel in die Runde zu bringen. Er schien die Brisanz, die dadurch in die Diskussion gebracht wurde, zu brauchen und fühlte sich sichtlich wohl, wenn er die Gemüter hochgeschaukelt hatte. Kam es hin und wieder dazu, dass sich alle Familien mit ihren Angehörigen trafen, waren sie neunzehn Personen. Da wurde nicht gekocht, sondern sie gingen essen, nachdem sie sich ein Restaurant mit ausreichend Platz ausgesucht hatten. Das war in der unmittelbaren Nachkriegszeit in Deutschland natürlich gar nicht möglich, denn es gab gar keine Versorgung mit Lebensmitteln, die ein Restaurant gebraucht hätte und es gab niemanden, der die finanziellen Mittel gehabt hätte, um in einem Restaurant essen zu gehen. Jeder dachte doch nur daran, irgendetwas zu essen zu bekommen, man war nicht wählerisch, die Hauptsache war doch, dass das Essen genießbar war und satt machte. In Holland sah die Sache anders aus, in Amsterdam fing, nachdem die deutschen Besatzer abziehen mussten, schnell wieder das normale Leben an. Es hatte ja in der Stadt keine Zerstörungen gegeben und die Vorkriegszustände waren im Nu wiederhergestellt.

    Das Verhältnis zwischen Holländern und Deutschen war, wie man sich leicht vorstellen konnte, für lange Zeit auf das Schlimmste belastet. Aber das betraf den Familienclan ja nicht, zu dem auch irgendwann Gerrits gehörten. Wenn man als Deutscher zu einem Holländer in Kontakt treten wollte, zum Beispiel in einem Geschäft, konnte es einem passieren, dass man gar nicht beachtet oder sogar beschimpft wurde. Es gab Holländer, die einen regelrechten Hass gegen die Deutschen hegten, der natürlich in den gemachten überaus negativen Erfahrungen wurzelte. Die „Stunde Null", wie der Neuanfang in Deutschland nach dem Krieg bezeichnet wurde, bedeutete für die Allermeisten den tatsächlichen Neubeginn in allen lebensrelevanten Angelegenheiten. Das betraf zumindest die Befriedigung der Existenzbedürfnisse Wohnen, Essen und Kleidung. An die Befriedigung weiterer Bedürfnisse dachte in den ersten Monaten nach Kriegsende, also vom 8. Mai 1945 an gerechnet, noch kaum jemand. Die Situation stellte sich in Essen für die beiden jungen Familien noch ganz passabel dar: Petra und Manfred wurden von ihren Patienten in Naturalien bezahlt und hatten deshalb eine ausreichende bis gute Versorgung mit Lebensmitteln.

    Marga und Werner waren Staatsbedienstete und hatten als Beamte deshalb ihr festes Einkommen, das bei den Positionen, die sie bekleideten, recht gut ausfiel, sodass auch sie ihr Auskommen hatten. Das Gros der deutschen Bevölkerung hungerte aber in der unmittelbaren Nachkriegszeit und war auf öffentliche Speisungen angewiesen.

    Menschen, die auf dem Land lebten, hatten es da besser, und wenn sie auch noch einen Hof besaßen, waren sie Selbstversorger und gut mit Lebensmitteln eingedeckt, die eigentlichen Hungersnöte betrafen fast ausschließlich die Städter. Sie gingen aus Not „hamstern", wie man es nannte, wenn sie, ausgestattet mit Pelzmänteln, kostbaren Teppichen und Schmuck, aufs Land fuhren und dort im Tausch Lebensmittel zu ergattern versuchten. Das war natürlich erst möglich, nachdem die Gleisanlagen, die durch die alliierten Bombardements arg in Mitleidenschaft gezogen waren, wieder repariert waren. Aber eins nach dem anderen!

    Als Hitler von seinem Führerbunker unter der Reichskanzlei in Berlin aus seine letzten Befehle an die immer aussichtsloser kämpfenden Soldaten herausgegeben und eingesehen hatte, dass der Krieg für Deutschland verloren war, entzog er sich am 30. April zusammen mit seiner Frau Eva Braun durch Selbstmord der Verantwortung. Es dauerte im Anschluss daran noch eine ganze Woche, bis General Keitel die Kapitulationsurkunde unterschrieb und der 8. Mai das Ende aller Kampfhandlungen in Europa bedeutete. Deutschland war von da an ein besetztes Land, die Alliierten USA, Großbritannien, die Sowjetunion und später auch Frankreich kommandierten in ihren Zonen, die Stadt Berlin wurde in vier Sektoren eingeteilt, der Sowjetunion ist mit Ostberlin die halbe Stadtfläche zugestanden worden.

    Berlin lag von da an wie eine Insel in der sowjetischen Besatzungszone. Selbstverständlich hatten sich die Alliierten im Verlauf des Krieges Gedanken darüber gemacht, wie sie im Falle des Sieges - und alle gingen von einem Sieg der Alliierten über Deutschland aus - verfahren sollten. Dass das Gebiet des Deutschen Reiches in den Grenzen von 1937 in irgendeiner Weise unter den Siegermächten aufzuteilen wäre, war von Anfang an klar. Auch dass es Arrondierungen im Osten geben müsste, war klar und man traf sich zur Besprechung solcher Dinge in Teheran, Jalta und nach dem Krieg in Potsdam, wo im Juli/August 1945 das berühmte Potsdamer Abkommen verabschiedet wurde. Der Inhalt dieses Abkommens ließ sich passend mit Demokratisierung, Dezentralisierung, Demontagen, Denazfizierung und Demilitarisierung beschreiben. Wovon ließen sich die Alliierten bei ihren Überlegungen im Hinblick auf Nachkriegsdeutschland leiten, welche waren die Motive, aus denen sie an eine Politik in Deutschland herangingen? Sehr stark, wenn auch bei den Alliierten unterschiedlich stark ausgeprägt, war der Revanchegdanke, der noch Nahrung bekam, als man die Konzentrationslager geöffnet hatte und die Lagerinsassen befreite, die zum Teil nur noch Haut und Knochen und dem Tode näher als dem Leben waren. Die Deutschen zu bestrafen war die eine Seite der in Frage kommenden Maßnahmen, es überwogen am Ende aber die Meinungen derjenigen, die konstruktiv an einen Wiederaufbau Deutschlands herangehen und nur die Hauptkriegsverbrecher vor Gericht bringen wollten, unter denen sich Göring und Heß, aber auch der Industrielle Krupp befanden. Die Kriegsgefangenen kamen natürlich in Gefangenenlager und blieben dort wie einige, die in sowjetischer Gefangenschaft waren bis teilweise 1955!

    Wie schon erwähnt, gab es interalliierte Zusammenkünfte während des Krieges, bei denen besprochen wurde, wie zu verfahren wäre, um Deutschland in die Knie zu zwingen, und was nach dem Krieg mit Deutschland zu geschehen hätte. Zuvor verkündete der amerikanische Präsident Roosevelt vor dem Kongress die „vier Freiheiten, nach denen es in einem Land territoriale Veränderungen nur aufgrund des Selbstbestimmungrechtes geben dürfte, ein jedes Volk müsste über die Regierungsform in seinem Land entscheiden dürfen, jeder Nation müsste der freie Zugang zu allen Rohstoffen der Erde zugestanden werden, und ein dauernder Friede, der ein Leben frei von Furcht und Not ermöglichte, wäre anzustreben. Ferner trat das sogenannte „Leih- und Pachtgesetz in Kraft, nach welchem ab August 1941 Materiallieferungen an die UdSSR erfolgten, die Neutralitätspolitik der USA aufgegeben wurde und britisch-amerikanische Generalstabsbesprechungen begannen, die USA sahen sich als „Arsenal der Demokratie. Vom 16. - 26. Januar 1943 fand die Konferenz von Casablanca statt, noch trafen sich dort nur Roosevelt und Churchill ohne Stalin, Roosevelt forderte dort die bedingungslose Kapitulation („unconditional surrender) Deutschlands.

    Im Laufe des Jahres gab es britisch-amerikanisch-sowjetische Verhandlungen in Moskau, bei denen eine Zusammenarbeit bis zum Endsieg vereinbart wurde. Auf der Konferenz von Teheran vom 28. November – 1. Dezember 1943 trafen sich Roosevelt und Churchill mit Stalin, und es wurde die Zusammenarbeit nach dem Krieg besprochen und die Landung in Nordfrankreich beschlossen, ferner wurde die Curzon-Line als polnische Ostgrenze festgelegt, im Westen sollte Polen auf Kosten Deutschlands bis zur Oder ausgedehnt werden. Die beiden Problembereiche Neuordnung Deutschlands und Modalitäten bei der Neuerrichtung des Staates Polen machten erste grundlegende Differenzen in der Anti-Hitler-Koalition deutlich, die zu diesem Zeitpunkt aber noch von dem vorrangigen Ziel der gemeinsamen Niederringung Deutschlands überdeckt wurden. Deutschland sollte als Großmacht ausgeschaltet, Nazideutschland sollte besiegt und der Faschismus ausgerottet werden. Die unterschiedlichen Vorstellungen der drei Staatsmänner fanden ihren Niederschlag in den Deutschlandplänen der Konferenz:

    Die USA wollten die Aufteilung Deutschlands in fünf völlig voneinander unabhängige Länder, wobei die Wirtschaftszentren Hamburg mit dem Nord-Ostsee-Kanal, das Ruhrgebiet und das Saarland einer internationalen Behörde unterstellt werden sollten. Großbritannien wollte die Isolierung Preußens, weil man im Militarismus Preußens das Hautübel sah, ferner die Abtrennung von Baden, Württemberg, der Pfalz und Bayern und deren Zusammenlegung zu einer Donauföderation.

    Die UdSSR formulierte ihre Haltung aus der Antiposition zu den Plänen der USA und Großbritanniens heraus. Stalin lehnte den Churchill-Plan unter Hinweis auf die Gefährlichkeit aller Deutschen ab, den Roosevelt-Plan sah er als Minimallösung an, obwohl für ihn die Zerstückelung Deutschlands nicht nur in der Schaffung von fünf Ländern und der Ausgliederung der Wirtschaftszentren bestehen sollte. Roosevelt wollte eine dauerhafte wirtschaftliche Schwächung Deutschlands und in diesem Sinne war auch der Plan seines Finanzministers Henry Morgenthau zu verstehen, der in Deutschland die Zerstörung der Industrie und seine Umwandlung in einen Agrarstaat vorsah. Noch im selben Jahr zogen Churchill und Roosevelt ihre Unterschriften unter diesen Plan wieder zurück, der aber gleichwohl die amerikanische Deutschlandpolitik noch bis 1946 beeinflusste. Churchill bezog schon sehr früh eine antikommunistische Position, er wollte ein starkes Deutschland als Bollwerk gegen den Kommunismus. Stalin wollte die Beeinflussung bzw. Einbeziehung eines schwachen Deutschlands, das als Sprungbrett bis zum Atlantik dienen könnte. Bemerkenswert war, dass schon während der Kriegszeit Zerwürfnisse in der Anti-Hitler-Koalition deutlich wurden, die auf die grundsätzlich verschiedenen Politikauffassungen zurückgingen:

    auf der einen Seite die kapitalistische Auffassung mit repräsentativen Demokratien, auf der anderen Seite die sozialistisch-kommunistische Auffassung mit volksdemokratischer Struktur. Die wichtigere und weitreichendere interalliierte Kriegskonferenz war die Konferenz von Jalta, die vom 4. - 12. Februar 1945 stattfand. Die Konferenz stand von Anfang an unter keinem guten Stern, die latent vorhandenen Spannungen führten dazu, dass sie die Unentschlossenheit und das Fehlen eines klaren Konzeptes offenlegte. Die wichtigen Fragen nach der Zerstückelung Deutschlands, der deutsch-polnischen Grenze und der wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands blieben offen oder wurden durch Formelkompromisse geregelt. Die Verhandlungsposition der USA wurde dadurch gekennzeichnet, dass man glaubte, auf die UdSSR als Verbündeten im Krieg gegen Japan angewiesen zu sein, die Position Stalins wurde somit gestärkt. Der Gesundheitszustand Roosevelt verschlechterte sich zusehends, sodass er den körperlichen und geistigen Beanspruchungen einer solchen Konferenz nicht mehr gewachsen war. Franklin D. Roosevelt starb am 12. April 1945 an Kinderlähmung, sein Nachfolger wurde Harry S. Truman. Churchill gab den Forderungen Stalin widerstrebend nach, weil er die Einheit der Koalition und damit verbunden den verbürgten Sieg nicht gefährden wollte. Die Pläne zur Zerstückelung Deutschlands wurden einem Komitee übertragen, das die Modalitäten erarbeiten sollte („dismemberment comittee"). Als Ergebnisse der Konferenz blieben:

    keine Einigung über die territoriale Zukunft Deutschlands, Verhaftung und Bestrafung der Kriegsverbrecher, Reparationen, die UdSSR erhielt 50 % der von Deutschland zu zahlenden Reparationen, Bildung einer französischen Zone, die von den beiden zu schaffenden Westzonen abgetrennt werden sollte, Einrichtung eines alliierten Kontrollrates, der aus den vier Oberkommandierenden bestehen und seinen Sitz in Berlin haben sollte, und dessen Beschlüsse einstimmig gefasst werden sollten, er sollte über die Deutschland als Ganzes betreffenden Angelegenheiten bestimmen. Stalins Deutschlandhaltung änderte sich nach der Jalta-Konferenz radikal: sein Maximalziel bestand nun in einem gesamtdeutschen kommunistischen Einheitsstaat, sein Minimalziel in einem kommunistischen Teilstaat, wie er ihn später mit der sowjetischen Besatzungszone verwirklichte. Den jungen Familien Goldschmid, Theißen und Lamprecht, wie Gerda jetzt mit Nachnamen hieß, stellten sich in der „Stunde Null" ganz andere Probleme. Es war aber nicht so, dass sie sich nicht für das interessierten, was um sie herum geschah, aber sie wurden von den Alltagsproblemen bedrängt, wenngleich sie über ausreichend Geld verfügten, um sich Nahrung und Kleidung zu beschaffen. Am schwersten war es für Gerda, Siegfried und deren Kinder. Die beiden Eltern bekamen mit ihrer Therapiepraxis so recht kein Bein auf die Erde, zumindest am Anfang nicht.

    Es gab in der Folge der unvorstellbar grausamen Kriegsereignisse genügend seelisch zerrüttete Menschen, die unbedingt einer Therapie bedurft hätten, eine Therapie kostete aber Geld. Das bisschen Geld, das die Menschen besaßen aber für eine Therapie einzusetzen, sahen sie nicht ein. So behalfen sich Gerda und Siegfried im Jahre 1945 damit, Nachhilfestunden zu geben und an ihrer alten Hochschule als Tutoren zur Verfügung zu stehen, damit sie wenigstens Geld für die grundlegenden Dinge des Lebens hatten. Die „Stunde Null" bedeutete chaotische Zustände in allen Bereichen des privaten und öffentlichen Lebens:

    Die Städte lagen in Schutt und Asche, gerade auch Essen, die Trümmerfrauen bestimmten das Straßenbild, große Teile der Bevölkerung waren vertrieben, vermisst, verwundet oder getötet, Familien waren zerrissen, Millionen waren nach ihrer Vertreibung aus dem Osten obdachlos, Wirtschaft und Infrastruktur waren weitestgehend zusammengebrochen, die Versorgung der Bevölkerung, die Essen, Wohnung und Arbeitsplätze mit den Flüchtlingen teilen mussten, konnte nur unzureichend gewährleistet werden , die Industrie erreichte nur einen Bruchteil der Vorkriegsproduktion wegen der Zerstörungen, des Mangels an Arbeitskräften und der schlechten technischen Ausstattung, es fehlte jedwede politische Steuerung, sodass diese Dinge in die Hände der Alliierten gelegt waren.

    Der Zweite Weltkrieg hatte sechzig Millionen Tote gefordert, fünfunddreißig Millionen Verwundete und drei Millionen Vermisste, die UdSSR allein hatte zwanzig Millionen Tote zu beklagen. Wie sah nun der Alltag für die jungen Familien aus, wie nahmen sie ihre Erziehungsaufgaben gegenüber den Kindern wahr, wie übten die Erwachsenen ihre Berufe aus?Das härteste Los hatten, wie schon oben erwähnt, Gerda und Siegfried, die sich mit ihrer Nachhilfe so gerade über Wasser halten konnten und sich in der Erziehung von Gerlinde und Sven, wie ihre Kinder hießen, abwechselten, was sich relativ problemlos managen ließ. Sie besaßen ein Fahrrad, mit dem sie sich vorwärts bewegten, was in dem bergigen Göttingen nicht so einfach war. Aber Geld für ein Auto hatten sie nicht, sie lebten mit ihren Kindern in einer kleinen Wohnung zur Miete und kochten und heizten mit Kohleöfen. Sie hofften auf bessere Zeiten, die sich für sie sicher ab dem nächsten Jahr einstellen würden, wenn sich die Verhältnisse in Deutschland so weit wieder konsolidiert hätten. Marga und Werner schickten ab und zu ein Paket an Gerda und Siegfried, in das sie vornehmlich Lebensmittel gelegt hatten, und das die beiden dankbar annahmen. Gerlinde und Sven waren noch so klein, dass sie von dem ganzen Elend, das sie umgab, nichts mitbekamen. Marga fuhr mit dem Rad zum Goethe-Gymnasium und versah ihren Dienst als Studienrätin sehr gern. Sie war sich im Klaren darüber, dass sie es bei ihren Schülerinnen und Schülern mit Kindern aus den oberen Gesellschaftsschichten zu tun hatte, denn der Besuch des Gymnasiums kostete Schulgeld.

    Werner setzte sich morgens in seinen VW und fuhr eine Stunde nach Düsseldorf zur Universität. Er musste über Werden fahren, um die Ruhr zu überqueren. Niemals fragte er sich, was die Menschen in ihrer großen materiellen Not mit Philosophie anfangen sollten, was etwa half die Kant´sche „Kritik der reinen Vernunft" gegen den bohrenden Hunger, der die Studenten plagte? Um Christine und Peter, wie ihre beiden Kinder hießen, kümmerte sich Oma Bärbel liebevoll. Am frühen Nachmittag, spätestens gegen 13.30 h war Marga wieder zu Hause und erlöste ihre Schwiegermutter von ihren Erziehungsaufgaben. Bärbel Theißens Mann Georg war schon seit vielen Jahren tot, er ist nach dem Weltkrieg einem Lungenleiden erlegen. Oftmals war Werner auch schon um diese Zeit zu Hause, wenn er keine Nachmittagsveranstaltung hatte. Bei Petra und Manfred sah die Sache anders aus, sie hatten beide eine Praxis zu betreuen, Petra nur mit halber Stundenzahl, damit sie Zeit für ihre Kinder Peter und Daniel hatte, um die sich während Petras Abwesenheit eine Kinderfrau kümmerte. Petra hatte in ihrer Praxis gar nicht so viel zu tun, und es gab kaum Patienten, die mit ihren Tieren kamen. Sie wurde oft zu naheliegenden Bauernhöfen gerufen, um Kühen beim Kalben zu helfen. Bei Manfred brummte die Praxis, die Menschen litten unter den Krankheiten, die die Zeit so mit sich brachte, es gab mangel- oder fehlernährte Kinder, Atemwegserkrankungen, TBC, Würmer etc. Wenn Manfred abends nach Hause kam, war er geschafft.

    In Ausnahmefällen, wenn die Kinderfrau einmal krank war, brachten sie Peter und Daniel schon mal zu Frau Theißen, der es nichts ausmachte, auch noch auf die beiden anderen Kinder aufzupassen, das kam aber zum Glück nur selten vor. Im Sommer 1945 stand ein Treffen in Amsterdam an, bei dem sich alle versammeln wollten, die zu dem Familienclan gehörten. Die Eisenbahnstrecke war wieder repariert und konnte befahren werden. Gerda und Siegfried nahmen mit ihren Kindern den Zug über Hannover, der sie direkt nach Amsterdam brachte, sie hatten den weitesten Weg. Die Zugfahrt von Essen nach Amsterdam dauerte nur vier Stunden, bei den zu der Zeit vollzogenen Gleisbauarbeiten konnte sie aber auch länger dauern. Marga und Werner hatten Sommerferien bzw. Semesterferien, Gerda und Siegfried hatten während der Sommerferien keine Nachhilfe und in den Semesterferien kein Tutorium, Petra und Manfred hielten ihre Praxen für vierzehn Tage geschlossen, David Zuckerberg würde in der Zeit die Patienten für Manfred mit versorgen. Es war Anfang Juli 1945, ein herrlicher Sommertag und reichlich heiß, wenn man in den strahlend blauen Himmel blickte, konnte man alles um sich herum vergessen, man schloss anschließend die Augen und wähnte sich im schönsten Sommerurlaub. Sobald man seine Augen aber wieder öffnete und sich umsah, hatte einen die traurige und niederschmetternde Realität wieder zurück, und man schaute über Trümmerfelder und in die ausgemergelte Gesichter von Menschen, die in abgerissener Kleidung steckten und hungerten.

    Wenn sie in Amsterdam angekommen wären, hätte Peter kurze Zeit später seinen dritten Geburtstag. Was mochte so einem kleinen Erdenbewohner wohl durch den Kopf gehen, wenn er das gesamte Elend betrachtete? Aber Peter war wohl noch zu klein, um die Not in ihrer gesamten Ausprägung richtig einzuschätzen oder etwas ändern zu können.

    „Habt Ihr ein Geschenk für Peter mitgenommen?", fragte Marga Petra und Manfred im Zug und Petra antwortete:

    „Ich habe im letzten Moment noch daran gedacht, dass der kleine Kerl auch schon drei Jahre alt wird und ihm etwas zum Spielen besorgt."

    Bärbel, die mit nach Amsterdam fuhr, war eigens noch in die Stadt gefahren, um dem kleinen Peter ein Geschenk zu kaufen. Der Dampfzug fuhr bedächtig seine Strecke und musste gelegentlich abbremsen und manchmal sogar halten, wenn es die Gleisbauarbeiten erforderten. Das Ruhrgebiet war eine einzige Trümmerwüste, die vier Erwachsenen schauten gar nicht groß aus dem Abteilfenster, und die Kinder interessierte ohnehin nicht, was sie da zu sehen bekamen. Die Eltern mussten daran denken, wie sie in der Vorkriegszeit

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