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Morde und Leben - Hans und Werner
Morde und Leben - Hans und Werner
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eBook478 Seiten7 Stunden

Morde und Leben - Hans und Werner

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Über dieses E-Book

Nachdem Conchita Gutierrez, eine mexikanische Studentin, während eines Ferienjobs in Amsterdam ermordet worden ist, machen sich die beiden Essener Kommissare Hans und Werner auf die Tätersuche.
Sie sind beide Essener Urgewächse und bestens mit den Essener Verältnissen vertraut. Sie nehmen Kontakt zu Wim, ihrem Amsterdamer Kollegen auf und fühlen sich bei einer Dienstreise nach Amsterdam an alte Zeiten zurückerinnert, als sie Jeansjacken trugen, Van Nelle´s rauchten und ab und zu auch mal einen Joint zu sich nahmen wie auch Wim, der in etwa in ihrem Alter ist. Die Ermordete ist schrecklich zugerichtet und vergewaltigt worden und obwohl die beiden Essener Kommissare einiges gewohnt sind, berührt sie der Anblick der Leiche doch sehr.
Sie nehmen zunächst die nähere Umgebung von Conchita in Essen unter die Lupe, befragen ihre Mitbewohnerinnen in der Wohngemeinschaft am Viehofert Platz und kommen dort nicht weiter.
Nachdem Conchitas Eltern nach Essen gekommen sind und die beiden Kommissare aufgefordert haben, ihre Untersuchungen in Mexiko fortzuführen, reisen die beiden mit ihren Frauen nach Mexiko und verleben dort zwei Wochen bei den reichen Eltern von Conchita in Oaxaca. Sie kommen in Kontakt zu Conchitas Bekanntenkreis und zu deren zapotekischen Kulthandlungen und begründen am Ende einen Verdacht gegen einen von ihnen, den sie nach Südafdrika verfolgen. Dort beginnt eine Vefolgungsjagd, in deren Verlauf weitere Morde geschehen, sie verfolgen den Mörder von Kapstadt über die Garden Route, Johannesburg, durch die Kalahari bis in den Krüger Park, wo sie den Mörder schließlich stellen und wo er sein Leben verliert. Am Ende reisen sie nocheinmal nach Mexiko und überbringen den Eltern des Mörders die Urne mit seiner Asche.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum17. Feb. 2017
ISBN9783742796424
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    Buchvorschau

    Morde und Leben - Hans und Werner - Hans Müller-Jüngst

    Mord an Conchita Gutierrez

    In Amsterdam gab es etwas, das ich nirgendwo sonst erlebt hatte, möglicherweise verschloss es sich mir auch wegen fehlender Sprachkenntnisse in Rom, Paris oder Barcelona. Es tat sich auf, sobald man nach zwei Stunden Fahrt den Wagen abgestellt hatte, die Altstadt betrat und tief durchatmete. Mit der eingeatmeten Luft inhalierte man die Gerüche von Multikulturalität und Freiheit, es war tatsächlich so, dass man glaubte, den Mief von Zuhause hinter sich gelassen zu haben und in eine andere Welt eingetaucht zu sein. Es umgab einen das Aroma von Pommes Frites, Van Nelle´s Tabak und Marihuana aus den Coffee-Shops.

    Was daran so besonders wäre, fragten viele und ich musste antworten, dass ich das nicht wüsste, es wäre aber diese Geruchsmischung, kombiniert mit dem Blick auf die schönen alten Häuser und die Menschen aus aller Herren Länder, die sich zu einem Gesamteindruck verfestigten, zu einer Wahrnehmungsbesonderheit, wie sie vielleicht nur jüngere Menschen an sich heranließen. Immer, wenn ich in späteren Zeiten nach Amsterdam gefahren war, suchte ich diesen Eindruck, der sich mir in meiner Jugendzeit vermittelt hatte, vergebens, was nicht heißen musste, dass es ihn nicht mehr gäbe, die spezifischen Wahrnehmungskanäle, durch die er damals in einen eindrang, waren nur verschüttet von einem Wust von Erfahrungen, die man gemacht hatte, und durch die wie durch einen Filter alles an äußeren Reizen gehen musste. Schaffte man es, diesen Filter für eine Zeit auszuschalten, musste man sich womöglich überwinden und fand die auf einen einströmenden Eindrücke ekelhaft, ein Zeichen dafür, dass man nicht in der Lage war, unvoreingenommen Dinge in sich aufzunehmen, die man in seiner Jugend wertfrei an sich herangelassen hatte. Am Dam-Denkmal zu sitzen, einen Joint zu rauchen und sich die Sonne auf den Pelz scheinen zu lassen, das war das Größte. Man saß mit unzähligen anderen und redete kaum ein Wort, alle waren wie weggetreten, was nicht nur am Joint lag, sondern was die Atmosphäre bewirkte, die sich zu etwas Unvergleichlichem verdichtete und die man auch niemandem, der sie nicht selbst erlebt hatte, mitteilen konnte, weil Worte oder Fotos nie ausreichten, zu beschreiben, was sich dort auf dem Dam ereignete, das gesamte Umfeld erzeugte ein Gefühl großer Toleranz, auch wenn jemand noch so schrill aussah.

    Das alles empfand man heute nicht mehr, jedenfalls blieb einem der Zauber dieser zurückliegenden Zeit verbarrikadiert, man dachte wehmütig daran zurück, wenn man in Amsterdam gewesen war, den Dam gab es immer noch und auch die alten Häuser, es gab das „Paradiso in der Weteringschans und zweihundert Meter entfernt am Leidseplein „t´Cafe. Das war eine Kneipe, die das Herz von Amsterdam in sich aufgenommen zu haben schien, in der, genauso wie im Paradiso, die Rolling Stones verkehrt hatten und wo man an der Theke stand, ein Pils trank, einen Joint rauchte. Nostalgisch, dieser Rückblick, aber das sollte er auch sein, ein unwiederbringliches Stück Leben, wie ich es nirgendwo anders mitbekommen hatte. Ich war damals noch Schüler am Gymnasium und nach dem Abitur zur Polizei gegangen, der Grund war einfach der, dass man sofort Geld bekam, obwohl man in der Ausbildung war, ich habe diesen Schritt aber bis in die heutige Zeit nicht bereut.

    Mittlerweile war ich Kriminalhauptkommissar am Polizeipräsidium in der Zweigertstraße in Essen, ich hatte die Stationen der Kommissarslaufbahn absolviert, war in Hiltrup auf der Polizeischule gewesen und war nach der Beförderung zum Kommissar auf verschiedenen Wachen eingesetzt, wo ich den regulären Dienst verrichtete und auf Streife fuhr, was sich meistens in Essener Vororten vollzog und ich bekam dort einiges mit, was zu meiner Lebensreife beitrug.

    Das Abgeschmackteste waren Wirtshausschlägereien in den Stadtteilen, die bevorzugt von bildungsferneren Schichten bewohnt wurden, die lagen im Essener Norden und ich erinnerte mich an einen Einsatz, bei dem es sehr brenzlig zuging Mein Kollege und ich sind zu einer schäbigen Kneipe in Essen-Katernberg gerufen worden, es war schon später Abend und es schwante uns nichts Gutes. Wir haben noch überlegt, gleich Verstärkung mitzunehmen, waren aber doch allein losgefahren. Im Regelfall lösten sich solche Schlägereien sofort auf, wenn die Polizei die Szene betrat, oftmals waren ja Nichtigkeiten der Anlass, aus dem man sich schlug. Bei dem Einsatz in der „Schwämme", so der abstoßende Name der Kneipe, war aber alles anders, wir betraten den Gastraum und niemand nahm Notiz von uns. Es prügelten sich auch nicht nur einige Gäste, sondern der gesamte Kneipenbesuch war in eine Schlägerei verwickelt, bei der es mächtig zur Sache ging. Mein Kollege und ich merken auf Anhieb, dass dort etwas anderes, Brutaleres im Gange war, als das sonst bei Kneipenschlägereien der Fall war, man ging mit Stühlen und abgeschlagenen Gläsern aufeinander los, es floss auch schon viel Blut. Gerade als ich mein Funkgerät zückte, um den Notarzt anzurufen, sah ich, wie jemand mit einem Stuhl auf mich losging und wäre ich seinem Schlag mit dem Stuhl nicht ausgewichen, wer wusste schon, was mit mir passiert wäre, so traf er mich an der Schulter und ich trug schlimme Schmerzen davon.

    Eine spätere eingehende Untersuchung durch den Polizeiarzt ergab aber nur eine Prellung, die ich auskurieren müsste, wozu er mir die Schulter drei Tage lang ruhigstellte, indem er meinen Arm in einen engen Verband um den Oberkörper zwang. Mein Kollege legte dem Angreifer Handschellen an und ich hatte meine Waffe gezogen, als die Tür aufging und Verstärkung die Kneipe betrat, die der Wirt herbeigerufen hatte und die der Schlägerei im Nu ein Ende bereitete. Es waren drei Notärzte mitgekommen, die sich um die Verletzten kümmerten und sie in die Ambulanz brachten. Ich hatte es meinem Kollegen und meiner schnellen Reaktion zu verdanken, dass nichts Schlimmeres passiert war, das war der übelste Einsatz, den ich in der Frühphase meines Polizeidienstes hinter mich gebracht hatte. Ich wurde nach der harten Bewährungszeit im Dienst vor Ort befördert, bis ich das wurde, was ich war, Hauptkommissar bei der Kriminalpolizei. Ich fühlte mich sehr wohl in meinem Job, das Polizeipräsidium in der Zweigertstraße war ein großer heller Bau, der in seiner Architektur viel mit einem alten Gymnasium gemein hatte.

    Ich kam in meiner Leitungsfunktion kaum noch vor die Tür und hatte mit der Delegation von Ermittlungsaufgaben zu tun, was auch Spaß machte, aber die Tuchfühlung mit der Basis vermissen ließ. Ich hatte mich gerne mit den Menschen im Essener Norden unterhalten, sie waren absolut authentisch und herzensgut, wenn man sie halbwegs kannte, konnte man von ihnen haben, was man wollte. Die Szene, die sich damals in der „Schwämme" abgespielt hatte, passte überhaupt nicht in den Essener Norden, es hatte sich später auch herausgestellt, dass die Rädelsführer aus Bottrop gestammt hatten. Ich hatte es mir in letzter Zeit zur Angewohnheit gemacht, von meinem Wohnort in Essen-Bergerhausen aus nach Katernberg zu fahren und mich dort zu Leuten an die Trinkhalle zu stellen, um mich mit ihnen zu unterhalten, ich trank eine Flasche Bier mit ihnen und sprach über alles Mögliche, angefangen mit Politik, über Rot-Weiß-Essen bis hin zu Brieftauben, denn Taubenvater war jeder zweite. Solche Gespräche waren für mich Seelenbalsam, ich saugte aus ihnen viel menschliche Wärme und zehrte mehrere Tage davon. Meine Kollegen zeigten mir einen Vogel, wenn ich ihnen von meinen Gesprächen an der Bude erzählte, es ging nicht in ihre Köpfe, dass ich mich als reifer Mann auf so ein Niveau herablassen konnte. Leider versiegte dieser Gesprächskult mehr und mehr, die Leute blieben zu Hause vor dem Fernseher und tranken ihr Bier dort, anstatt sich zu ihren Kumpels an die Bude zu stellen. Im Freundeskreis zu Hause vermisste ich in den Gesprächen, die wir führten, immer die menschliche Nähe, jeder redete abgehoben und gab so wenig wie möglich von sich selbst preis, ich machte es genauso wie die anderen auch.

    Am vorvorigen Tag ging ein Anruf aus Amsterdam im Präsidium ein, man bat die Essener Polizei um Amtshilfe bei der Aufklärung eines Mordes an einer Frau, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aus Essen stammte und mexikanischer Herkunft war. Ihr Name war Conchita Gutierrez, sie hatte im „t´Cafe" am Leidseplein gearbeitet und dort Bier gezapft. Nachforschungen der Kollegen in Essen ergaben, dass sie Studentin der Soziologie im dritten Semester an der Essener Uni war. Sie hätte am Viehofer Platz in einer Wohngemeinschaft mit zwei Vietnamesinnen und einer weiteren Mexikanerin gelebt, bevor sie sich nach Amsterdam aufgemacht hätte, um dort zu arbeiten. Rückfragen an der Uni hätten ergeben, dass sie immer noch eingeschrieben und nicht exmatrikuliert worden war. Ich wurde beauftragt, mit meinem Kollegen Werner, der ebenfalls Hauptkommissar war, nach Amsterdam zu reisen, um den holländischen Kollegen Amtshilfe zu leisten, schließlich hatte das Mordopfer in Essen gelebt.

    Werner und ich nahmen einen neutralen Dienstwagen und fuhren über Emmerich und Utrecht nach Amsterdam. Es kamen alte Erinnerungen auf, als wir am „Paradiso" vorbei zum Leidseplein fuhren, aber es stellte sich nicht die Stimmung ein, die einen damals befallen hatte.

    Werner und ich stellten den Wagen ab und wurden von einem Kollegen der holländischen Rijkspolitie empfangen, der uns freundschaftlich die Hände schüttelte und uns in seinem Revier willkommen hieß.„t´Cafe" war für zwei Tage geschlossen, um der Spurensicherung die Möglichkeit zu geben, ihre Arbeit zu machen und zu verhindern, dass wichtige Spuren verwischt wurden. Unser holländischer Kollege ging mit uns in die Kneipe und mich überkam ein Gefühl, das nur schwer zu beschreiben war, eine Mischung aus Nostalgie und einer Art Neugier, dienstbedingter Neugier, die die Gedanken an früher zu überdecken im Stande war. Unser Kollege, sein Name war Wim, führte uns hinter die Theke, wo Conchita gelegen hatte, er zeigte uns Fotos, die von der KTU unmittelbar nach deren Eintreffen am Tatort gemacht worden waren. Solche Fotos hatten immer etwas sehr Bedrückendes, Trauriges, sie gaben die ungeschönte Wahrheit der Verbrechen wieder, die begangen worden waren und Werner und ich sahen auf den Bildern eine schwarzhaarige junge Frau, die in ihrem Blut lag. Das Blut stammte aus einer großen Wunde im Brustbereich, ihr Kopf war halb abgetrennt und wies entstellt zur Seite, sie war nur halb bekleidet und trug BH und Slip, ihr Slip war heruntergezogen, es sah so aus, als wäre sie vergewaltigt worden, an der Innenseite ihrer Oberschenkel gab es Spermaspuren, der Täter musste mit äußerster Brutalität vorgegangen sein, von ihm fehlte jede Spur, mit Ausnahme derer am Tatort.

    Natürlich hatte die Polizei diese alle gesichert und aus dem Sperma die Täter-DNA bestimmen lassen, es käme danach darauf an, von vielen in Frage kommenden Männern Speichelproben zu nehmen und die daraus gewonnene DNA mit der des Täters zu vergleichen, ein Unterfangen, das an Aussichtslosigkeit grenzte, bei dem Publikumsverkehr, der im „t´Cafe" herrschte. Wim sagte:

    „Die Rijkspolitie hat deshalb um Amtshilfe gebeten, weil der Täterkreis bis nach Essen und darüber hinaus reichen kann und ihr Euch in der entsprechenden Szene umhören sollt." Werner und ich entgegneten:

    „Wir verstehen schon und geben zu Hause unser Bestes, wenn sich der Täter in Essen aufhält, werden wir ihn wohl bald verhaften können, wenn er sich aber abgesetzt hat, sieht die Sache schlecht aus. Wim fuhr mit uns in die Forensische Medizin und zeigte uns die Leiche von Conchita, Werner und wir mussten uns beim Anblick der Toten sehr beherrschen, in so einem Moment schien alles Grauen der Welt sichtbar zu werden. Man hatte an Conchitas Körper den üblichen Y-Schnitt vorgenommen, um mögliche weitere Todesursachen ermitteln zu können, man fand heraus, was sie zuletzt gegessen hatte, Kroketten und Pommes Frites mit Majonäse, der Vergewaltigungsbefund wurde bestätigt und es wurden Spuren von Marihuana in ihrem Körper gefunden, was aber nichts Besonderes war, wenn man im „t´Cafe arbeitete. Bei aller Schrecknis, die der Anblick der Leiche vermittelte, konnte man aber sagen, dass Conchita einmal ein sehr gut aussehendes Mädchen gewesen sein musste.

    Sicher stammte sie aus einem reichen mexikanischen Elternhaus, denn ein Studienaufenthalt in Deutschland kostete einen Mexikaner ein Vermögen, viele hätte sich das bestimmt nicht leisten können. Conchita war vierundzwanzig Jahre alt, wie aus ihren Unterlagen hervorging und nach Aussage mehrerer befragter Gäste war sie lustig und immer gut aufgelegt, sie hatte ein immer währendes Lächeln im Gesicht und zeigte dabei ihre makellos weißen Zähne, was sie sehr attraktiv machte. Ich saß mit Werner und Wim zusammen auf der Wache bei einer Tasse Kaffee, Wim rauchte Van Nelle´s, er drehte.

    „Ich drehe seit ich mit dem Rauchen angefangen habe", wie er sagte und wir kamen über alte Zeiten in Amsterdam ins Gespräch. Wim erklärte sich bereit, mit uns am nächsten Tag einen Rundgang durch die Stadt zu machen. Werner und ich verabschiedeten uns von Wim und gingen etwas essen, wir besprachen beim Essen den Fall und stellten fest, dass wir noch nicht sehr weit gekommen waren, was wir hatten war ein Mordopfer mexikanischer Nationalität, das eine Zeit lang als Studentin in Essen gelebt hatte und danach nach Amsterdam gegangen war, wir hatten das Sperma des Mörders und dessen DNA, es war davon auszugehen, dass es sich um einen äußerst brutalen Vergewaltiger handelte, nach der Schwere und der Art der Verletzungen zu urteilen, die er seinem Opfer beigebracht hatte.

    Werner und ich waren bei einem Chinesen gelandet, die Chinesen gehörten in Holland mit zu dem Besten, was kulinarisch geboten wurde, das lag an Hollands kolonialer Vergangenheit, die Chinesen waren Indonesier und verstanden als Köche ihr Handwerk ausgezeichnet, es schmeckte dort einen Tick besser als bei einem Chinesen in Deutschland. Früher hatten wir für den Chinesen in Amsterdam kein Geld, es reichte gerade, um sich an einem der vielen Automaten zwei Kroketten zu ziehen, geschlafen wurde sehr beengt im VW-Käfer meines Freundes, entsprechend schnell war die Nacht vorüber und man streckte sich früh vor dem Wagen, nachdem man die ganze Nacht in verbogener Haltung mehr gedöst als geschlafen hatte. Werner und ich hatten ein Hotel der mittleren Preisklasse in der Nähe des Leidseplein, was früher ebenfalls undenkbar gewesen wäre, für ein Hotel hatte niemand von uns Geld, wir standen mit offenen Mündern am Dam-Denkmal, wenn wir sahen, wie die Reichen im „Krasnapolsky abstiegen, Chauffeure hielten ihnen die Wagentür auf und sie verschwanden in der Halle. Aber wir waren rundum glücklich, auch ohne Hotel, später war John Lennon mit seiner Yoko Ono im „Krasnapolsky abgestiegen.

    Werner und ich tranken noch ein paar Bier und zwei, drei Jonges, das war Genever-Schnaps. Werner meckerte am Bier herum, er war Stauder-Trinker und konnte dem Heineken nichts abgewinnen, ich sagte ihm:

    „Du fährst am besten, wenn du immer das Bier trinkst, das es gerade gibt, Dein Stauder kannst Du ohnehin nur in Essen bekommen!" Werner ließ das Gemeckere, nachdem er zwei Heineken getrunken hatte und bestellte gleich noch zwei, den Jonge mochte er aber, wenngleich er mit dem Korn, den er schon mal in Essen trank, nicht zu vergleichen war. Wir gingen nicht zu spät ins Bett und schliefen sehr gut in unserem Doppelbett, hätte ich aber vorher gewusst, dass Werner so schnarchte, hätte ich zwei Einzelzimmer genommen, ich schlief aber ein und hörte ihn dann nicht mehr. Nach dem Frühstück am nächsten Morgen brachten wir unser Gepäck zum Wagen und fuhren mit der Straßenbahn zum Bahnhof, wo wir mit Wim verabredet waren. Der kam in Zivil und begrüßte uns beide, er fragte uns:

    „Wie habt ihr geschlafen, ist euer Hotel zu eurer Zufriedenheit gewesen?" und Werner und ich sagten, dass wir geschlafen hätten wie in Abrahams Schoß. Wir liefen langsam den Dam entlang und passierten das Sex-Museum, das es früher nicht gegeben hatte, ich spürte beinahe an jedem Haus die früheren Zeiten, es gab aber die typische Stimmung nicht mehr, wie sie sich früher eingestellt hatte, wenn wir am Dam waren, wir setzten uns einen Moment an das Denkmal und Wim drehte sich eine Zigarette. Ich sagte Wim:

    „Ich saß vor fünfunddreißig Jahren exakt an dieser Stelle und habe mir auch eine gedreht, der Tabak hat einen Gulden und fünfzig Cent gekostet und die Blättchen zehn Cents."

    „Wie lange rauchst du denn schon nicht mehr?", fragte Wim und ich antwortete:

    „Das sind mittlerweile schon siebzehn Jahre, ich habe damals von heute auf morgen aufgehört und nie wieder geraucht., auch nicht einmal gezogen, das Thema Rauchen ist für mich erledigt!" Wim sagte:

    „Ich habe schon mehrere Male versucht aufzuhören, bin aber immer gescheitert, ich habe von Akupunktur über Nikotinpflaster alles versucht, ohne Erfolg." Ich versuchte erst gar nicht, Wim Tipps zu geben, ich dachte, dass er, wenn er wollte, schon stark genug wäre, aber er wollte in Wirklichkeit gar nicht mit dem Rauchen aufhören, weil es ihm zu sehr schmeckte und große Diskussionen über die Gesundheitsschädlichkeit des Rauchens wollte ich auch nicht mit ihm führen. Wim war ein großer schlacksiger Kerl mit einem für meine Begriffe typisch holländischen Äußeren, er war hager und ging leicht nach vorne gebeugt, an ihm war kein Gramm Fett zu viel. Wim hatte große Füße und sehr lange Beine, seine Hose schlabberte an ihm herum, seine Arme hatten eine beträchtliche Länge und baumelten scheinbar unkontrolliert an seinem Körper, fast war man geneigt zu glauben, dass es für solche Auslagen keine passenden Jacken- oder Hemdsärmel gäbe, seine Hose hatte, auch das typisch holländisch, Hochwasser.

    Wims Gesicht war markant unter dem inzwischen lichten Haar, er hatte eine große, aber nicht knubbelige Nase, die sein Gesicht beherrschte, dazu eingefallene Wangen, die wie sein gesamtes Gesicht glatt rasiert waren. Seine Augen wurde von mächtigen Augenbrauenbüscheln überwölbt, sein Mund war fein und wenn er lachte, legte er eine Reihe gerader Zähne frei, die nicht ganz weiß, aber auch nicht gelb waren. Wim hatte einen sehr dünnen langen Hals, der war so dünn, dass sein Hemdkragen viel zu groß schien, sein ehemals schwarzes, inzwischen aber graues Haar zeigte auf dem Kopf eine kahle Stelle, Wim hatte, wie wir zwei anderen auch, ein Kränzchen. Meine Güte, wie hatten wir uns doch verändert, ich fragte Wim nach seinem früheren Aussehen und er zeigte mit einer Hand, bis wohin ihm sein Haar gereicht hatte, er sagte:

    „Ich habe einen Vollbart getragen", und ich konnte ihn mir gut vorstellen. Werner war da von ganz anderer Statur, er war nicht so groß wie Wim und korpulent, um nicht zu sagen dick, aber sein Körperumfang hielt sich noch in Grenzen. Werner hatte relativ kurze stämmige Beine und einen nicht zu übersehenden Bauch, neben dem fleischige Arme hingen, auf einem kurzen speckigen Hals saß sein voluminöser Kopf mit klugen Augen und einer unauffälligen Nase. Werner hatte, genau wie auch ich, kaum noch Haare, wenn man ihn nach früher fragte, zeigte auch er, bis wohin ihm sein Haar gereicht hatte, einen Bart hätte er in seinem ganzen Leben noch nicht getragen.

    Meine Figur war im Laufe der vergangenen Jahre auch etwas rundlicher geworden, Werner und ich hatten bei Weitem nicht Wims Körpergröße, der gut und gerne 1.90 m maß, ich hatte bei meiner letzten Körpergrößenmessung 1.83 m, was auch nicht klein war. Ich glaubte, nicht dick zu sein, wenngleich sich meine Hosengröße schon nach oben bewegt hatte, ich hatte, wie auch Werner, eine leichte Wohlstandsplauze bekommen, aber mit Anfang fünfzig war das fast normal, ich war aber noch ganz gut bei Kräften und nahm regelmäßig am Polizeisport teil. Ich zeigte den beiden, bis wohin früher meine Haare reichten und sagte:

    „Ich habe auch einen Vollbart getragen. Unsere Kleidung waren Jenas, auch Jeansjacken, das war die Uniform, die fast jeder angehabt hatte, Mädchen wie Jungen. Auch die obligatorischen Boots hatte jeder, das waren hohe Wildlederschuhe von „Clarks, die in ihrer ursprünglichen Ausstattung eine Naturkautschuksohle hatten und mit der Zeit speckig wurden, denn gepflegt hatte seine „Clarks" eigentlich niemand. In der oberen linken Außentasche der Jeansjacke steckte immer das Van-Nelle´s-Päckchen. Man lief mit großen wiegenden Schritten, damit das Haar in Bewegung kam und wenn wir am Dam-Denkmal saßen, rauchten wir Joints und lachten uns kaputt, denn das Marihuana und auch Haschisch brachten einen zum Lachen, es bedurfte beim Joint-Rauchen nur eines geringen Anlasses und man lachte los, als würde man permanent gekitzelt, das bestätigten Werner und Wim.

    Wir standen wieder auf und verließen den Denkmalsplatz, wir kamen an Madame Tussauds vorbei zur Keizersgracht und zur Westerkerk an der Prinsengracht, hundert Meter weiter hoch lag das Anne-Frank-Haus, das wir früher aber nie besucht hatten. In uns gekehrt liefen wir anschließend die Prinsengracht entlang, bis wir auf die Leidsegracht stießen, wir liefen hundert Meter weiter die Lijnbaansgracht entlang und kamen zum Leidseplein, wo wir uns auf einen Kaffee vor „t´Cafe" setzten. Am Leidseplein war unsere Stadtführung beendet und nach dem Kaffee verabschiedeten Werner und ich uns von Wim, wir fuhren nach Essen zurück, wir hatten eine Kopie des forensischen Befundes vom Opfer und der DNA des Täters dabei. Auf der Rückfahrt waren Werner und ich in Gedanken vertieft, Gedanken an unsere Freiheit in Amsterdam, die es so nie mehr geben würde, bestenfalls als Erinnerung, warum hatte man damals bloß keine Fotos geschossen? Im Präsidium in der Zweigertstraße wurden wir schon erwartet und wir mussten über den Mord am Leidseplein Bericht erstatten. Noch ganz angetan von unserem Amsterdamerlebnis, übergaben wir unserem Chef den forensischen Befund und die Täter-DNA, wir sagten:

    „Die Rijkspolitie in Amsterdam will jede Menge Speichelproben nehmen, um den Täter anhand seiner DNA zu überführen. Werner und ich sollten zum Viehofer Platz fahren und uns bei Conchitas Mitbewohnern in der Wohngemeinschaft umhören, um auf diese Weise etwas herauszubekommen. Also machten Werner und ich uns auf den Weg zum Viehofer Platz, der früher ein Problemviertel in Essen war und nach der Universitätseröffnung ein ganz normales städtisches Aussehen angenommen hatte. Die Wohnung Conchitas und ihrer Mitbewohnerinnen lag im Haus des „Cafe Nord, die Adresse war Viehofer Platz 1. Ich erinnerte mich wie früher unweit des Kino 7, wo Schmuddelfilme gezeigt wurden, immer lichtscheues Gesindel anzutreffen war und man froh war, wenn man an der Bushaltestelle wartete, dass endlich der Bus gekommen war und einen aus der bedrohlichen Situation befreite. Oftmals stieg man früher am Nordrand der Innenstadt, am Viehofer Platz eben, aus und lief von dort die Viehofer Straße entlang, bis sie in die Kettwiger Straße überging und man mitten in der City war. Ich war im Essener Norden, in Bergeborbeck groß geworden, für uns erschloss die Buslinie Sechsundsechzig, später die Fünfundvierzig, den Weg in die Stadt. Werner stammte aus Frintrop, er hatte es noch weiter in die Stadt und nahm immer die Straßenbahnlinie Drei. Wir waren in etwa gleich alt, hatten früher aber einen jeweils anderen Erlebnishorizont, während ich mich immer Richtung Innenstadt orientiert hatte, war Werners Hauptbetätigungsfeld Borbeck, was mir zu wenig geboten hatte, Werner aber offensichtlich reichte. Die heißeste Disco in der Innenstadt war das Pop-Inn, in der natürlich auch gekifft wurde.

    Das Neueste damals waren Dias, bei denen zwischen zwei Glasflächen Farben gebracht wurden, die unter der Hitzeeinwirkung zu zerlaufen begannen, was die skurrilsten Muster hervorbrachte. Wenn man das Pop-Inn betrat, war die Musik oft so laut, dass sich einem die Bässe auf die Bauchdecke übertrugen und sie zum Vibrieren brachten. An Unterhaltung war natürlich kein Denken, es bestand dazu aber auch kein Bedürfnis, man stand einfach herum oder machte verzückte Bewegungen zu der Musik. Das Pop-Inn lag in der 1. Dellbrügge, wenn man an der Lichtburg vorbeigelaufen war, links rein. Man ging nicht so oft dorthin, weil der Besuch natürlich Eintritt kostete und man nicht so viel auf der Tasche hatte. Eine zweite Anlaufadresse war das Bistro am Anfang der Rellinghauser Straße, das war bedeutend kleiner als das Pop-Inn und mit ihm nicht zu vergleichen, die Musik, die dort gespielt wurde, war bei Weitem nicht so laut und man konnte sich gut unterhalten, ab und zu tanzten Mädchen auf den Tischen, was niemanden störte. Als Werner und ich unseren Wagen auf dem Parkplatz des City Hotels abgestellt hatten, liefen wir über die Fußgängerampeln zum Viehofer Platz hinüber.

    Vor dem „Cafe Nord" waren Tische aufgebaut und es war dort eine Menge los, wir gingen zum Hauseingang und suchten nach der Wohnungsklingel, aber das richtige Schild unter dem Wust vom Klingelschildern zu finden, war nicht so einfach, es gab kein Klingelschild, auf dem der Name Gutierrez gestanden hätte. Also schellten wir an der erstbesten Schelle und wollten an der dazu gehörigen Wohnung fragen, wo denn die Wohngemeinschaft zu finden wäre, in der Conchita Gutierrez gelebt hätte. Der Türdrücker wurde betätigt und eine junge Frau, wahrscheinlich eine Studentin, stand vor uns, wir zeigten gleich unsere Dienstausweise und stellten unsere Frage:

    „Das ist im ersten Stock gleich links", sagte uns die Studentin und wir stiegen die Treppen hinauf. Nachdem wir auf die Wohnungsklingel gedrückt hatten, wurde geöffnet und eine asiatisch anmutende junge Frau stand vor uns und fragte, was wir wollten, wir zeigten unsere Dienstausweise und sie ließ uns herein. Wir kamen in eine Diele, von der vier Zimmer abgingen, die jeweils einer Mieterin gehörten, zwei Vietnamesinnen und zwei Mexikanerinnen, wie wir erfuhren, von denen eine allerdings im Moment verreist wäre, wie uns Bian Nguyen, wie unser Gegenüber hieß, erzählte. Sie führte uns in die Gemeinschaftsküche und bat uns, Platz zu nehmen, sie fragte:

    „Wollen Sie vielleicht einen Tee haben?" und wir waren nicht abgeneigt. Bian kochte uns einen Jasmin-Tee, als ihre Zimmernachbarin, Thao Nguyen, die Küche betrat und uns begrüßte. Bian sagte:

    „Die Herren sind Polizisten" und Thao fragte:

    „In welcher Angelegenheit sind Sie gekommen?", eine Frage, die Bian uns noch gar nicht gestellt hatte. Ich sagte:

    „Wir sind wegen Conchita Gutierrez gekommen, dürfen wir einmal in ihr Zimmer?" Bian lief vor und öffnete Conchitas Zimmertür, sie fragte:

    „Was ist mit Conchita?", und als ich gerade zu einer Antwort anhob, öffnete sich die Wohnungstür und Lupita Gonzales kam herein, eine sehr gut aussehende Mexikanerin, die die Freundin von Conchita gewesen war. Als sie uns erstaunt musterte, klärte Bian sie über uns auf und ich sagte:

    „Ich habe eine sehr schlechte Nachrichten zu überbringen, Conchita ist in Amsterdam ermordet worden." Lupita riss die Auen auf, Bian und Thao schauten entsetzt, niemand sagte etwas und ich bat alle drei in die Gemeinschaftsküche und sorgte dafür, dass sich jede von ihnen setzte. Lupita schaute verstört zu Boden, sie hatte Tränen in den Augen, Bian und Thao stierten vor sich hin, und bevor irgendwelche Nachfragen kamen, sagte ich:

    „Mein Kollege und ich wurden von der Rijkspolitie in Amsterdam angerufen und um Hilfe gebeten, weil, wie sie dort herausgefunden haben, Conchita in Essen gewohnt hat."

    „Wie ist sie denn ermordet worden?", fragte Lupita mit tränenerstickter Stimme und ich antwortete:

    „Ihr Mörder hat sie erstochen" und ich ging mit keinem Wort auf die näheren Umstände der Vergewaltigung und den halb abgetrennten Kopf ein. Lupita fragte weiter:

    „Gibt es denn schon irgendwelche Anhaltspunkte von dem Mörder?" und ich antwortete:

    „Wir tappen noch völlig im Dunkeln und es liegen keinerlei Fahndungsergebnisse vor, weshalb wir zum Viehofer Platz gekommen sind, um vielleicht von Conchitas Mitbewohnerinnen ein paar brauchbare Hinweise zu bekommen." Bian und Thao sagten:

    „Wir haben kaum Kontakt zu Conchita gehabt und können deshalb auch nichts sagen, was Ihnen weiterhilft." Lupita erzählte:

    „Ich bin seinerzeit mit Conchita aus Mexiko gekommen, wir sind in unserer Heimatstadt Oaxaca schon Freundinnen gewesen und dort gemeinsam zur Schule gegangen, unsere Familien kennen sich gut und sind miteinander befreundet. Ich weiß gar nicht, wie ich ihrer Familie die schlimme Nachricht überbringen soll", und Lupita fiel in einen Weinkrampf. Ich nahm Lupita in den Arm und tröstete sie, wohl wissend, dass Conchita durch meine Worte auch nicht wieder lebendig werden würde. Lupita war völlig aufgelöst und weinte ununterbrochen, Werner und ich sahen, dass wir mit unserer Befragung an diesem Tag nicht weiterkommen würden, wir nippten an dem Jasmin-Tee, den Bian uns gekocht hatte und warteten, bis sich Lupita etwas beruhigt hatte, ich gab Lupita eine Tasse und schüttete ihr ein wenig von dem Tee ein. Lupita schluchzte nur noch und warf ihren Kopf dabei immer zur Seite, Werner und ich schauten uns an und hatten keine Erklärung für diese Geste. Lupita kam ganz allmählich zur Ruhe und bekam auch wieder einige Worte heraus, sie sagte:

    „Conchita und ich haben wie Pech und Schwefel zusammengehalten, das ist immer schon so gewesen, auch drüben in Mexiko. Der Verlust meiner besten Freundin wiegt unglaublich schwer für mich, ich kann es noch gar nicht richtig fassen." Lupita strich über ihr langes glattes Haar, während sie mit uns sprach und verlor sich dabei in Gedanken. Werner und ich begannen, mit ihr zu reden und wollten etwas über ihre Bekanntschaften in Erfahrung bringen, um so möglicherweise auf die Täterschaft eines männlichen Bekannten von Conchita zu stoßen. Lupita entgegnete aber:

    „Es hat unter Conchitas Kommilitonen kaum jemanden gegeben, zu dem Conchita ein enges Verhältnis gehabt hat", sie überlegte kurz und ergänzte:

    „Conchita hat einmal mit einem Dieter Welbers im „Cafe Nord gesessen, aber das ist nur einmal vorgekommen und ich kann gar nicht sagen, ob sich aus der oberflächlichen Beziehung etwas ergeben hat. Werner und ich ließen uns diesen Dieter beschreiben und fragten Lupita, wie wir Kontakt zu ihm aufnehmen könnten, aber sie konnte uns nicht dessen Adresse geben, sie sagte:

    „Gehen Sie am nächsten Tag in der Mittagspause mit mir in die Mensa, ich will Ihnen Dieter dort zeigen." Anschließend gingen wir mit Lupita in Conchitas Zimmer und sahen uns dort genau um, das Zimmer war so spärlich eingerichtet, wie es Studentenzimmer nun einmal waren, es gab ein Bett, einen Schreibtisch mit Stuhl und einen Schrank, daneben waren aber viele Kleinigkeiten in dem Zimmer vorhanden, die unsere Aufmerksamkeit erregten. Wir betrachteten zunächst die unzähligen Fotos an der Wand und fragten Lupita, ob sie uns jeweils etwas zu den Bildern sagen könnte. Es gab eine ganze Reihe Fotos, auf denen sie auch zu sehen war, viele von denen waren offensichtlich in Mexiko aufgenommen worden, es gab ferner Fotos von Kommilitoninnen, die vom Campus stammten und da waren zwei, drei Bilder, auf denen Conchita mit einem jungen Mann zu sehen war und wir fragten Lupita nach ihm. Sie sagte:

    „Conchita ist einmal mit einem Kommilitonen an den Baldeneysee gefahren, völlig harmlos, sie hat ihn danach nie wieder getroffen", und sofort fragten Werner und ich nach dessen Adresse, aber da musste Lupita passen.

    „Vielleicht finden Sie etwas in Conchitas Unterlagen, meinte sie, „Sie müssen dazu nur ihren Schreibtisch durchsuchen, und das taten wir danach auch ausgiebig. Ich hatte mich längst auf Conchitas Schreibtischstuhl gesetzt und Werner hatte sich auf ihrem Bett niedergelassen. Den Schrank hatten wir schon durchsucht, aber in ihm nichts Auffälliges gefunden, es gab ein wenig Wäsche und ein Paar Hosen, sonst befand sich nichts in dem Schrank, ich hatte auch oben drauf nachgesehen und wir hatten ihn auch abgerückt, um darunter zu schauen, aber nichts entdeckt. Beim Schreibtisch sah die Sache schon anders aus, und ich sagte Lupita:

    „Wir müssen den gesamten Schreibtischinhalt konfiszieren", wogegen sie nichts einzuwenden hatte.

    Ich fragte Lupita nach Plastiktüten und sie versorgte uns damit aus der Küche. Werner und ich stopften alle Sachen, die uns halbwegs interessant erschienen, in die Tüten und nahmen sie mit.

    „Wie lange ist Conchita denn schon in Amsterdam gewesen ?" und Luptia antwortete:

    „Sie ist zum Ende des letzten Semesters gefahren, das ist vier Monate her, sie wollte ein Semester aussetzen und in Amsterdam arbeiten." Als Werner und ich fast den gesamten Schreibtischinhalt in die Tüten verfrachtet hatten, brachten wir die Sachen zum Präsidium, wo wir sie zu sichten begannen, wir hatten Lupita gesagt, dass wir wegen eventueller Rückfragen noch einmal wiederkommen würden, sie aber zunächst am nächsten Tag in der Mensa treffen wollten. Werner und ich machten Feierabend und mussten beide an Dieter Welbers und den Unbekannten vom Baldeneysee denken, den wir mit Lupitas Hilfe noch ausfindig machen mussten. Wir setzten am nächsten Morgen die Untersuchung von Conchitas Schreibtischunterlagen fort und stießen auf eine Menge Studienmaterial, das sie wohl in den Seminaren mitgeschrieben und gesammelt hatte.

    Werner und ich unterhielten uns über Lupita, der der Tod von Conchita sehr nahegegangen war, sie tat uns leid, Lupita war eine sehr sympathische junge Dame, vieles von ihrer Fröhlichkeit und Lebensfreude war verschwunden, nachdem sie gehört hatte, dass ihre beste Freundin ermordet worden war, sie war fast in sich zusammengesunken, als wir ihr die schreckliche Nachricht überbracht hatten. Lupita war ausgesprochen attraktiv, groß gewachsen und schlank, ihre Körpergröße war für eine Mexikanerin geradezu untypisch, sie hatte dieses lange glänzende schwarze Haar, das ihr Markenzeichen war, meistens trug sie es offen. Ihre Figur war makellos, wenn sie ging, ging sie aufrecht und brachte ihre Proportionen zur Geltung, sie wusste zweifellos um ihre Schönheit, Conchita musste eine ähnliche Ausstrahlung gehabt haben. Werner und ich fuhren am Mittag zur Uni und hatten Schwierigkeiten, auf dem Parkplatz am Reckhammerweg noch eine freie Fläche zu finden, offensichtlich hatten heute viele Studenten einen eigenen Wagen. Die gesamte Uni-Anlage machte einen freundlichen Eindruck auf Werner und mich, die Gebäude waren farbig gehalten und hatten viele Fensterflächen, durch die das Licht hineingelangen konnte. Wir fragten auf dem Parkplatz jemanden nach der Mensa, er war Student und musterte uns beide, als wenn er sich fragte:

    „Was machen denn diese Methusalems an der Uni? Er sagte, dass wir ihm folgen sollten, er ginge an der Mensa vorbei, „sind Sie Seniorenstudenten?, wollte er von uns wissen und wir antworteten:

    „Wir sind in der Mensa mit jemandem verabredet." Er hatte etwas von den vergangenen Zeiten an sich, dachte ich bei mir, er trug Jeans und Jeansjacke, allerdings Turnschuhe statt Boots, hatte die Haare zwar nicht so lang, wie das früher üblich war, aber länger als normal, auch diesen wiegenden Gang hatte er an sich, der Gang, der reinem Narzissmus entsprang und die eigene Person wichtig erscheinen lassen sollte. Wir kamen zur Mensa und bedankten uns bei unserem Helfer, er verschwand in einem anderen Gebäude und wir fanden uns unter hunderten von Studenten und wurden gemustert, als wären wir das siebte Weltwunder. Plötzlich sprach uns jemand an und wir waren erleichtert, Lupita zu sehen, sie lief mit uns zur Essensausgabe und wir reihten uns in eine Warteschlange an der Kasse ein. Werner und ich mussten den Tarif für Angestellte zahlen, der aber immer noch weit unter den Preisen in einem Restaurant lag. Wir suchten uns unter den fünf Wahlmenüs einen Eintopf aus, Lupita begnügte sich mit einem Salatteller, Werner holte für jeden ein Getränk und Lupita suchte einen Platz für uns. Sie hielt angestrengt Ausschau nach Dieter Welbers, konnte ihn aber nirgendwo entdecken, stattdessen sah sie mit einem Mal einen alten Bekannten von Conchita und zeigte ihn uns. Werner und ich ließen unser Essen stehen und liefen quer durch die überfüllte Mensa zu dessen Tisch, stellten uns unauffällig vor und baten ihn, uns an einen ruhigeren Ort zu folgen, es würde nicht lange dauern.

    Unser Gegenüber stellte sich als Klaus Mertens vor und war von seinem Alter her wohl schon ein fortgeschrittener Student, wir gingen mit ihm nach draußen auf den Hof zwischen den Uni-Gebäuden, und wir setzten uns dort auf eine Bank. Als wir Klaus erzählten, dass Conchita in Amsterdam ermordet worden wäre und wir wüssten, dass er mit ihr am Baldeneysee gewesen wäre, war er sehr betroffen und fragte gleich:

    „Haben Sie denn schon einen Verdacht?" Werner antwortete:

    „Wir stehen erst ganz am Anfang unserer Untersuchungen und müssen deshalb auch Dich befragen, auch müssen wir eine Speichelprobe von Dir nehmen, um Deine DNA mit der des Täters zu vergleichen." Werner zückte das Speichelröhrchen und fuhr Klaus mit dem Wattestäbchen durch den Mund, um es anschließend wieder in das Röhrchen zu stecken. Niemand konnte uns sehen, unsere Bank stand hinter einem Gebüsch, das alle Blicke von uns fernhielt, sodass Klaus keine Befürchtungen haben musste, bei der Speichelprobe beobachtet zu werden. Wir fragten ihn hinterher:

    „Bist du in der letzten Woche in Amsterdam gewesen?, und er wies das weit von sich, „ich stehe schließlich mitten im Semester und kann deshalb nicht einfach wegfahren. Gehöre ich denn zu dem in Frage kommenden Verdächtigtenkreis?, und Werner und ich antworteten, ohne direkt auf seine Frage einzugehen:

    „Wir nehmen jeden Verdächtigen in Augenschein und überprüfen ihn, wir werden Dir nach dem DNA-Abgleich eine Nachricht zukommen lassen", und Klaus gab uns seine Anschrift. Anschließend gingen Werner und ich zu Lupita zurück in die Mensa, unser Eintopf war inzwischen kalt geworden und wir stocherten mit unseren Löffeln in ihm herum. Lupita sah das und fragte:

    „Wollen Sie Ihr Essen nicht noch einmal aufwärmen lassen, Sie müssen nur zur Essensausgabe gehen und das Personal bitten, Ihr Essen kurz noch einmal in die Mikrowelle zu stellen." Das taten wir gleich, dankten Lupita für den Tipp und genossen anschließend unseren schmackhaften Eintopf.

    „Sind Sie denn mit meinem Kommilitonen weitergekommen?", fragte sie uns und wir antworteten:

    „Wir haben eine Speichelrobe von ihm genommen." Lupita erwähnte, dass sie von Dieter Welbers bislang noch nichts gesehen hätte, wir müssten ihn wohl bei ihm zu Hause besuchen, seinen Namen hätten wir ja, seine Adresse könnte sie uns aber nicht geben. Die wüssten wir schon herauszubekommen, sagte ich, wir würden einfach beim Studentensekretariat nachfragen und uns dort seine Adresse geben lassen.

    Wir standen auf und verabschiedeten uns von Lupita, die uns mit einem verhaltenen Lächeln Tschüss sagte.

    Wir warteten vor dem Studentensekretariat, bis um 13.00 h die Mittagspause vorbei war und gingen zusammen mit einigen Studenten hinein, es gab drei Damen, die sich um die Besucher kümmerten. Wir warteten kurz, bis wir dran waren und sagten, was wir wollten. Unsere Dienstausweise wurden sehr genau in Augenschein genommen, denn so ohne Weiteres gäbe man keine Adresse heraus, sagte uns die Dame, aber in diesem Falle wollte sie eine Ausnahme machen. Dieter Welbers wohnte in Altenessen im Palmbuschweg, und Werner und ich stiegen gleich in unseren Wagen, um dorthin zu fahren. Wir fuhren die Altenessener Straße entlang, am Arabischen Markt und der Sparkasse vorbei, bis wir nach rechts in den Palmbuschweg abbogen. Als wir an Dieter Welbers Wohnung geschellt hatten. öffnete niemand, was uns nicht weiter verwunderte, er wäre sicher noch in der Uni, dachten wir. Ich schrieb einen Zettel, auf dem ich Dieter bat, mich auf dem Polizeipräsidium anzurufen, ich heftete meine Karte an den Zettel und steckte beides in Dieters Briefkasten. Werner und ich fuhren zum Präsidium zurück, wo wir uns weiter um Conchitas Schreibtischunterlagen kümmerten. Conchita hatte Tagebuch geschrieben, jedenfalls bis vor vier Monaten, allerdings auf Spanisch, ich konnte zwar ein wenig Spanisch, das reichte aber nicht, um das Tagebuch lesen zu können.

    Es war ein geblümtes kladdenartiges Heft, das sie offensichtlich noch in Mexiko begonnen und in Deutschland fortgeführt hatte. Ich schlug die erste Seite auf und las das Datum: 30.06.2008.

    Das Heft

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