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Margas Leben - Familien nach dem Krieg (2)
Margas Leben - Familien nach dem Krieg (2)
Margas Leben - Familien nach dem Krieg (2)
eBook256 Seiten3 Stunden

Margas Leben - Familien nach dem Krieg (2)

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Über dieses E-Book

Die Geschichte der Familie Goldschmid findet in der vorliegenden Erzählung ihre Fortsetzung, der historische Hintergrund ist die deutsche Nachkriegszeit und da besonders die Schritte, die zur Teilung Deutschlands geführt haben. Goldschmids leben seit nunmehr zwölf Jahren in Amsterdam, Robert Goldschmid hat seine Arztpraxis längst aufgegeben, Max Rozenbaum ist auch in Rente, genau wie Piet Gerrits. Die drei Genannten bilden zusammen mit ihren Frauen eine Einheit in den Augen der deutschen Kinder und deren Familien, sie besuchen sie regelmäßig zu am Ende festen Terminen und durchleben so die Nachkriegszeit, ebenso statten die Holländer ihren deutschen Kindern Besuche ab,in Essen und in Göttingen. Die Situation unmittelbar nach Kriegsende ist verworren, es fehlt an ordnenden Kräften und Verwaltungseinheiten, sowohl die Essener als auch die Göttinger leben in der britischen Besatzungszone und erleben dort hautnah mit wie sich ganz allmählich die Verhältnisse konsolidieren. Die Essener Familie Theißen nimmt Flüchtlinge aus Königsberg bei sich auf und arrangiert sich mit ihnen,sie wohnen am Ende im Hause der Theißens.
Goldschmids, die Familie des Sohnes von Robert aus Amsterdam, lebt in einem Arzthaushalt, Manfred führt die alte Praxis seines Vaters weiter und Petra, die Tochter von Gerrits aus Amsterdam, ist Tierärztin, Marga, die Tochter von Rozenbaums, ist Studienrätin geworden und lebt mit Werner Theißen im Hause von dessen Mutter zusammen, Werner ist Philosophieprofessor in Düsseldorf geworden, von daher geht es den Protagonisten überdurchschnittlich gut. Gerda, die Tochter von Goldschmids, lebt zusammen mit Siegfried Lamprecht in Göttingen und betreibt mit ihm dort eine psychotherapeutische Praxis mit zunehmendem Erfolg.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum30. Jan. 2014
ISBN9783847672371
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    Buchvorschau

    Margas Leben - Familien nach dem Krieg (2) - Hans Müller-Jüngst

    Die britschen Ländergründungen

    Am Morgen des Abreisetages waren Werner und Manfred längst wieder mit den beiden Großen vor der Tür gewesen, als sie sich alle beim Frühstück trafen und sie hatten sich mit Christine und Peter amsterdamer museendie Schiffe auf der Gracht angesehen. Natürlich gab es wieder Rührei mit Speck in rauen Mengen zum Frühstück, Agnes, Bärbel und Robert machten sich aber auch noch jeder zwei Soleier fertig und schoben die Eihälften in ihre Münder. Die anderen aßen Hagelslagschnitten oder Käsebrote und wollten kein Solei mehr essen. Um 10.00 h spielte sich das gleiche Ritual ab wie immer, Doris, Iris, Piet und Max erschienen und würden die Göttinger und Essener zum Bahnhof begleiten.

    Vorab ließ sich Piet wieder einen Teller geben und aß von dem Rührei, Iris hatte es sich längst abgewöhnt, ihn deshalb strafend anzusehen und trank mit den anderen Kaffee. Iris hatte noch einen Rest von der Joghurt-Creme vom Vorabend mitgebracht und fragte die Kinder:

    „Wer möchte denn noch etwas von dem Nachtisch von gestern essen?, und es ertönte ein lautes „Ich!

    Christine und Peter kamen gleich angerannt, die Mütter holten die ganz Kleinen an den Tisch, und jedes der Kinder bekam etwas von der Creme ab. Sie saßen bis kurz vor Mittag am Tisch, griffen aber das politische Thema vom Vorabend nicht noch einmal auf. Die Väter liefen hoch auf ihre Zimmer und holten das Gepäck nach unten, wo sie es in die Diele stellten. Anschließend standen alle auf und gingen vor die Tür, die Väter brachten das Gepäck in die Kofferräume der Autos, bevor sie sich alle auf die Wagen verteilten, sie fuhren zur Centraal Station. Alle blickten noch einmal aus den Autofenstern und sahen die schmucken Amsterdamer Häuser an sich vorüberziehen, sie dachten, wie lange es wohl dauern würde, bis sich in ihrer Stadt ein ähnliches Bild von Sauberkeit und Unzerstörtheit zeigen würde. Sie parkten wieder auf dem Bahnhofsvorplatz, nahmen ihr Gepäck und liefen zu ihrem Bahnsteig. Sie umarmten zuerst Gerda, Siegfried und deren Kinder, weil der Zug nach Hannover vor dem nach Essen kam, und als er schnaubend einfuhr, bekamen die Kinder es mit der Angst zu tun.

    Aber ihre Mütter drückten sie und sagten, dass das Schnauben nichts Schlimmes wäre. Gerda und Siegfried stiegen mit ihren Kindern ein und winkten von ihrem Waggonfenster aus. Eine Viertelstunde später fuhr der Zug nach Essen ein, wieder mit lautem Schnauben und mit Dampfstößen. Alle umarmten und küssten sich zum Abschied, die Großeltern nahmen die Enkelkinder auf ihre Arme und küssten sie besonders, ob die das nun wollten oder nicht.

    „Bis zum Sommer!", riefen die Essener den zurückbleibenden Holländern zu und verschwanden in ihrem Waggon, aus dem auch sie nach der Abfahrt noch lange winkten. Als der Zug schon Fahrt aufgenommen hatte, schrie plötzlich Bärbel auf:

    „Ich habe den Hagelslag vergessen!", und sie war lange Zeit darüber traurig.

    „Lass Dir doch von Agnes ein paar Pakete schicken, sagte Marga, „das dauert zwar ein paar Tage, bis Du sie hast, aber das macht doch nichts! Als sie sich der Grenze näherten, befiel sie nicht mehr ein Gefühl der Angst, wie das früher der Fall war, weil sie nie gewusst hatten, welchen Unberechenbarkeiten der Zöllner sie ausgeliefert sein würden. Zu dem Zeitpunkt war der Grenzübertritt kein Problem mehr, und als sie an die Grenze kamen, huschte der holländische Grenzbeamte durch ihr Abteil und sah sich nicht einmal mehr ihre Papiere an. Die deutschen Zöllner, die inzwischen an die Stelle der Besatzungssoldaten gerückt waren, gingen etwas strenger vor, vollzogen aber längst nicht mehr ein so rigides Verfahren wie ehemals, sie sahen sich die Papiere an, fragten, ob es etwas zu verzollen gäbe und gingen wieder.

    Natürlich sahen sie in Wesel noch die vielen Zerstörungen, die Trümmerlandschaft, aber man glaubte doch, ein wenig von Wiederaufbau wahrnehmen zu können, wenn auch nicht sehr deutlich, aber man konnte Leute sehen, die mit der Reparatur ihrer Häuser beschäftigt waren. Als sie in das Ruhrgebiet einfuhren, wurde der erste positive Eindruck gleich wieder zunichtegemacht, dort lag immer noch alles in Schutt und Asche, es würde vermutlich Jahre dauern, bis ein akzeptables Stadtbild wiederhergestellt sein würde. Immerhin machte der Essener Hauptbahnhof wieder den Eindruck einer Reisestation und nicht mehr den einer Trümmerwüste, wenngleich es noch an allem fehlte, was dem Reisenden seinen Aufenthalt verschönern konnte. Sie stiegen aus dem Zug und liefen vor den Bahnhof, um in den Bus nach Bredeney zu steigen, sie erreichten das Bredeneyer Kreuz nach zwanzig minütiger Fahrzeit. Wieder sahen sie dort die lichtscheuen Menschen, die am Schwarzmarkt teilnahmen. Sie schenkten ihnen aber keine Beachtung, sondern sie liefen schnurstracks zu Bärbels Haus. Als Bärbel die Haustür geöffnet hatte, kamen ihnen Ringsdorffs entgegengelaufen, und sie umarmten sich alle zur Begrüßung.

    „Wie war es denn in Amsterdam?", fragte Martha gleich, noch bevor sie einen Schritt weitergegangen waren, und Bärbel antwortete:

    „Lasst und doch erst einmal hereinkommen, wir erzählen gleich alles bei einer Tasse Kaffee, wenn wir uns gesetzt haben!"

    Bärbel lief in die Küche und kochte eine große Kanne Kaffee, und Martha stellte Kuchen auf den Tisch, den sie am Ostersamstag zusammen mit Lisa gebacken hatte, und von dem noch ein großes Stück übrig war.

    „Wir haben die Ostertage im Kreis unserer Verwandten verbracht, erzählte Marga „und es genossen, von allen umsorgt zu werden.

    „Wann werdet Ihr denn das nächste Mal wieder nach Amsterdam fahren?", fragte Lisa und Marga antwortete:

    „Wir haben daran gedacht, im Sommer, so Ende August wieder hinzufahren und Agnes hat angeregt, dass wir Euch mitbringen sollen, sie sind dort alle ganz neugierig darauf, unseren ostpreußischen Vertriebenenbesuch kennen zu lernen, ihr solltet wirklich darüber nachdenken, im Sommer mitzukommen!"

    „Aber wird das denn den Amsterdamern nicht zu viel, wenn sie so viele unterbringen müssen?", fragte Martha.

    „Agnes hat eigens darauf hingewiesen, dass sie für Euch auch noch Platz in ihrem Haus hätte!", sagte Marga.

    „Bis Ende August haben wir ja noch richtig viel Zeit, darüber nachzudenken, was haltet Ihr denn davon?", frage sie an ihre Familie gerichtet. Lisa antwortete ohne groß zu überlegen:

    „Ich fände es sehr interessant, einmal nach Amsterdam zu fahren und zu sehen, wie die Menschen in Holland leben."

    Otto zuckte nur mit seinen Schultern und meinte:

    „Wenn Ihr meint!", und er fügte sich ganz einfach immer dem, was Martha entschied.

    Das war schon immer so, auch als sie noch in Königsberg lebten, wenn Martha etwas entschieden hatte, beugte sich Otto ihrem Entschluss. Das hieß nicht, dass Otto ein entscheidungsschwacher Mensch war, es war ihm in vielen Situationen nur einfach zu lästig, etwas zu entscheiden und dazu stehen zu müssen.

    „Ich habe schon so viel von Amsterdam gehört, dass sie die Stadt der Freiheit und des leichten Lebens wäre, ich führe sehr gerne Ende August mit Euch!", sagte Lisa.

    „Wartet mit Eurer Entscheidung noch bis Ende August, vielleicht ändert Ihr Eure Haltung ja noch, aber grundsätzlich seid Ihr in Amsterdam willkommen!", entgegnete Bärbel.

    „Und wie habt Ihr die Ostertage verbracht?", fragte sie im Anschluss Martha und sie antwortete:

    „Hier ist alles ganz ruhig verlaufen, wir haben mit Bernd Eier im Garten gesucht und uns hinterher Soleier gemacht, die Bernd aber nicht gemocht hatte, ich habe am Ostersonntag und -montag etwas von Deinem Eingeweckten gekocht und dazu das Fleisch gebraten, das Petra uns dagelassen hatte, ich denke, dass Bernd sich sehr freut, dass seine Spielkameraden wieder da sind!" Die Kinder hatten sich längst in die hinterste Wohnzimmerecke verzogen und spielten dort gemeinsam.

    Peter vermisste seine LKWs, aber er wusste sich auch ohne sie mit den anderen zu vergnügen. Bärbel entschuldigte sich für einen Augenblick und schrieb Agnes eine Brief, in dem sie ihr mitteilte, dass sie gut in Essen angekommen wären, sie aber vergessen hätte, Hagelslag zu kaufen, „bitte schicke mir doch sechs Pakete, ich zahle sie Dir, wenn wir im Sommer wieder in Amsterdam sind!" Sie wollte den Brief gleich am nächsten Tag zur Post bringen und ging wieder zu den anderen zurück, die sich gerade darüber unterhielten, was Piet im Gespräch angestoßen hatte.

    „Den Sowjetkommunismus als Segen für Deutschland zu bezeichnen, halte ich für vollkommen vermessen, sagte Otto, „man muss sich doch nur ansehen, wie es der Bevölkerung in der sowjetischen Zone geht und sich danach ein Urteil bilden!

    „Genau das haben wir auch erwidert, aber gemerkt, dass wir in unserer Diskussion so nicht weiterkamen und sie wieder abgebrochen!", sagte Werner. Am nächsten Tag fing für alle wieder der Alltag an, Lisa und Manfred gingen in die Praxis, Werner und Marga in ihre Lehranstalten. Die beiden alten Ringsdorffs und Bärbel saßen mit den Kindern beim Frühstück, Bärbel hatte sich ein Exemplar der erstmalig erschienen Rheinischen Post gekauft und Käse und gutes Roggenbrot mitgebracht. Sie verschlang die Zeitung, wenngleich sie noch sehr dünn war und nur die wichtigsten Nachrichten enthielt, aber Ringsdorffs zeigten an der aktuellen Tagespolitik nur wenig Interesse.

    Das war es, was Bärbel so vermisste, sie wollte sich gern mit jemandem im Gespräch austauschen können, sich mit ihm streiten, aber da musste sie eben zurückstecken. Sie hatte auf dem Weg zum Lebensmittelhändler und zum Bäcker die Post aufgesucht, den Brief nach Holland frankiert und eingeworfen, sie war gespannt, wie lange es dauern würde, bis sie Antwort von Agnes erhielt. Das Roggenbrot war wieder ausgezeichnet und bildete den vollkommenen Kontrast zu dem wabbeligen holländischen Weißbrot, das Bärbel aber auch ganz gern mit Hagelslag gegessen hatte. Am frühen Nachmittag kamen Marga und Werner nach Hause, Lisa gesellte sich in der Mittagspause zu ihnen und sie aßen zusammen zu Mittag. An einem Tag im Mai 1946 las Bärbel plötzlich in ihrer Zeitung, dass General Lucius D. Clay in der amerikanischen Zone einen Demontagestopp verhängt hatte, die demontierten Anlagen sollten an die Sowjetunion gehen, die aber mit den vereinbarten Lebensmittellieferungen nicht nachkam. In der Rheinischen Post wurde das als weiterer Baustein in der Trennungsmauer zwischen West und Ost angesehen, und man sah zunächst noch nicht, wie die verhärteten Fronten auf beiden Seiten aufgeweicht werden könnten. Bärbel fiel bei der Zeitungslektüre auf, dass die zuständige Redaktion bei der Rheinischen Post sehr stark antisowjetisch eingestellt war und kein gutes Haar an der sowjetischen Zonenpolitik ließ, ja, man unterstellte der Sowjetunion sogar imperialistisches Gebaren, weil sie sich einen cordon sanitaire aus Vasallenstaaten zulegte, der gegen den kapitalistischen Westen gerichtet sein sollte.

    Ringsdorffs, die ohnehin beide nicht gut auf die Russen zu sprechen waren, weil sie ihnen schließlich gewaltsam die Heimat genommen hatten, gaben der Zeitung in ihrer Auslegung der sowjetischen Politik Recht und zwar vorbehaltlos, was Bärbel nicht weiter verwunderte. Als es langsam wärmer draußen wurde, begann für Bärbel und ihre Familie wieder die Gartenarbeit, die während des zurückliegenden Winters vollständig geruht hatte. Dieses Mal halfen aber Martha und Otto mit, sodass Bärbel nicht unbedingt auf die Hilfe der jungen Eltern angewiesen war. Nur wenn es darum ging, schwere Arbeiten zu verrichten, bat sie Werner und Manfred um ihre Hilfe, ansonsten kam sie aber mit Lisa und den beiden alten Ringsdorffs prima zurecht. Die Hauptarbeit bestand für Bärbel im Mai darin, das riesige Kartoffelbeet umzugraben und dabei brauchte sie schon die Unterstützung von Werner und Manfred, sie besaß zwei Spaten, sodass die beiden gemeinsam das Land umgraben konnten. Natürlich kamen sie dabei ordentlich ins Schwitzen und Bärbel brachte ihnen Bier und etwas zu essen. Schließlich schafften sie aber das gesamte Kartoffelbeet an einem Nachmittag und waren hinterher reichlich geschafft, Manfred hatte am Mittwochnachmittag seine Praxis geschlossen und Werner hatte einen vorlesungsfreien Nachmittag.

    Bärbel hatte einen Sack Setzkartoffeln besorgt und ging am nächsten Tag zunächst daran, mit Martha und Otto das Land zu harken, damit die Erde fein zerkleinert wurde. Die Arbeit des Kartoffelsetzens erforderte ein abgestimmte Arbeiten: Otto nahm den Spaten und hob in einer Reihe, die sie vorher mit einem Band abgesteckt hatten, ein Loch in Spatentiefe aus. In dieses Loch legte Bärbel im Anschluss eine Setzkartoffel mit den Augen nach oben, danach legte Martha eine Handvoll Mist auf die Kartoffel und Otto warf das Loch wieder zu. So verfuhren sie Reihe für Reihe, bis der Sack mit den Setzkartoffeln leer war, und sie das gesamte Kartoffelbeet bepflanzt hatten. Danach hieß es, bis zum Herbst zu warten und die Kartoffeln wieder auszumachen. Bärbel hoffte, dass sie bei dieser intensiven Vorarbeit eine gute Kartoffelernte einfahren würde. Was im Garten noch zu tun blieb, war das Säen von Bohnen, Erbsen und Möhren, das Martha und Otto übernahmen und das Säubern der Obstbaumbeete, auch die Beerensträucher mussten von Unkraut befreit werden. Sie waren insgesamt eine ganze Woche beschäftigt, Bärbel säte zum Schluss noch Salat und kümmerte sich um die Kräuterspirale, die sie im letzten Jahr angelegt hatte und die recht ertragreich gewesen war. Jetzt musste sie aber von den verdorrten Kräuterresten befreit und mit Erde aufgefüllt werden, bevor Bärbel daranging, neue Kräuter einzusäen. Als sie mit Ringsdorffs nach getaner Arbeit über den Garten blickte, sah sie unkrautfreies frisches Land, das nur darauf wartete, dass es in ihm spross.

    Längst hatte Bärbel das erwartete Paket von Agnes zugesandt bekommen, und Agnes hatte einen Brief beigelegt, in dem sie schrieb, dass sie sich schon auf Ende August freute, wenn sie wieder alle kämen, dieses Mal hoffentlich mit Ringsdorffs, und sie hatte zwei Ausrufezeichen dahinter gesetzt. Bärbel hatte mit den beiden Alten noch nicht wieder über die Amsterdamreise gesprochen und ihnen jetzt gesagt, dass die Holländer sie quasi erwarteten und sie nicht einfach zu Hause bleiben könnten. Schließlich ließen sich Martha und Otto breitschlagen und gaben ihr Einverständnis, wenngleich Martha nicht ganz wohl war bei dem Gedanken, ins Ausland zu reisen, aber Bärbel beschwichtigte sie und redete auf sie ein, dass sie da keine Befürchtungen zu haben brauchte, Holland wäre zwar Ausland, so weit aber auch nicht, allein nach Berlin wäre es doppelt so weit wie nach Amsterdam.

    „Wollen wir denn in Holland wirklich baden gehen?", fragte Martha und Bärbel antwortete:

    „Ja natürlich, wir fahren nach Zandvoort schon allein der Kinder wegen, die sich dort am Strand pudelwohl gefühlt haben, Du kannst von mir einen Badeanzug haben, und für Otto habe ich bestimmt noch eine Badehose von Georg!"

    „Das letzte Mal war ich vor Jahren zusammen mit Otto, Lisa und ihrem Mann im Frischen Haff baden, seitdem nicht mehr, ich weiß gar nicht, ob ich überhaupt noch schwimmen kann!", entgegnete Martha.

    „Schwimmen verlernt man nicht!, antwortete Bärbel, „im Übrigen musst Du gar nicht schwimmen, es reicht völlig aus, sich am Strand im vorderen Bereich des Wassers aufzuhalten und sich die Wellen auf den Körper krachen zu lassen! Im August 1946 vollzogen sich in der britischen Zone Ländergründungen, die bisherige Verwaltungsgliederung in die vier kleineren Länder Oldenburg, Braunschweig, Schaumburg-Lippe und Lippe-Detmold, die zwei Stadtstaaten Hamburg und Bremen, in Schleswig-Holstein, in Hannover und Westfalen und den Nordteil der preußischen Rheinprovinz wurde aufgegeben, und es wurden die Länder Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen gegründet, die beiden Stadtstaaten bleiben bestehen. Die Besatzungsbehörden favorisierten eine bundesstaatliche Konstruktion mit mit jeweils einer Zentralgewalt, die den Parteien einen großen Einfluss beließ. Es gab sogenannte Zentralämter, die die Bereiche Handel und Industrie, Ernährung und Landwirtschaft, Justiz, Gesundheit, Post- und Fernmeldewesen, Verkehr, Arbeit, Flüchtlinge öffentliche Sicherheit und Erziehung kontrollierten und mit Deutschen besetzt waren. Der im Februar 1946 gebildete Zonenbeirat war die Körperschaft, die quasi die Politik in den neugegründeten Ländern bis zur Schaffung von Bundestag und Bundesrat mitbestimmte, obwohl er formell nur Empfehlungen für die verschiedenen Politikfelder gab.

    Hinter den Ländergründungen, die im Vergleich zur amerikanischen Zone erst spät erfolgten, stand die Überlegung, dem Föderalismus zur Geltung zu verhelfen. Damit folgte man dem aus dem Potsdamer Abkommen resultierenden Geist nach Dezentralisierung, die Länder sollten eigene Hoheitsbefugnisse und damit Souveränitätsrechte erhalten, um gegenüber einer Zentralinstanz einen mächtigen Gegenpol bilden zu können. Die Briten gestalteten das Land Nordrhein-Westfalen aus dem Nordteil der preußischen Rheinprovinz und der preußischen Provinz Westfalen, das Land Lippe wurde 1947 Nordrhein-Westfalen zugeschlagen, sodass das Land seinen endgültigen Zuschnitt bekam.

    Ein weiterer Beweggrund, dieses Land zu gründen, lag in der Absicht verborgen, einen industriellen Ballungsraum in ein Land einzubinden und so einer Zentralinstanz zu unterziehen, auch sollte es dem sowjetischen oder französischen Kontrollzugriff entzogen werden. Es hat beim Land Nordrhein-Westfalen keinen identitätsstiftenden Vorgängerstaat gegeben, auch keine Überlegungen, altes Brauchtum oder Volksstämme zusammenzuführen, sondern im Vordergrund stand wohl wirklich der Versuch, das Ruhrgebiet als Industriezentrum staatlich zu binden. Das Land hatte bei seiner Gründung rund 11.5 Mio. Einwohner, wobei das Ruhrgebiet allein 4.5 Mio. auf sich vereinigte. Die Landeshauptstadt wurde Düsseldorf, die nach Einwohnern zweitgrößte Stadt nach Köln, mit dieser Entscheidung wurde eine bis heute andauernde Städtefehde zwischen Düsseldorf und Köln begründet, die immer wieder neu befeuert wurde.

    Die geografische Zentralität, die gewachsene Funktion als wirtschaftliches Entscheidungszentrum und das Bestehen unzerstörter Verwaltungsbauten gaben den Ausschlag bei der Bestimmung Düsseldorfs zur Landeshauptstadt. Das Land grenzte im Norden und Nordosten an Niedersachsen, im Südosten an Hessen, im Süden an Rheinland-Pfalz und im Westen an Belgien und die Niederlande. Bei der Gründung des Landes Niedersachsen spielten andere Überlegungen ein Rolle als bei der Gründung von Nordrhein-Westfalen. Es gab die Vorstellung, das Gebiet des späteren Niedersachsen in drei gleich große Staaten aufzuteilen, deren Existenz sich aus ihrer geschichtlichen Entstehung ableiten ließe. Doch in einer Sitzung des Zonenbeirates vom 20. September 1946 wurde dafür plädiert, die britische Besatzungszone in drei Flächenstaaten und also mit einem einheitlichen Niedersachsen aufzuteilen, Hauptstadt des Landes wurde Hannover. Mit der Verordnung Nr. 46 der britischen Militärregierung vom 23. Augst 1946 „Betreffend die Auflösung der Provinzen des ehemaligen Landes Preußen in der britischen Zone und ihre Neubildung als selbständige Länder" wurde das Land Schleswig-Holstein nach der gleichen Verordnung gegründet wie die beiden anderen Länder. Deutlich wurde der Geist, aus dem sich die Ländergründungen vollzogen, es war die Abkehr vom Preußentum, von Preußen als dem Land des Militarismus, der Wiege der Weltkriege und der aggressiven Außenpolitik.

    Schleswig-Holstein hatte nach dem Kriege die im Verhältnis zu seiner Bevölkerung meisten Vertriebenen aufnehmen müssen und war damit doppelt belastet, einerseits die eigene Bevölkerung und dazu noch die Vertriebenen versorgen zu müssen. Kiel setzte sich gegen Schleswig als Landeshauptstadt durch, das geschah auf Veranlassung der britischen Militärregierung, und es tagte auch in Kiel der erste Landtag schon am 26. Februar 1946, der noch nicht gewählt worden, sondern von der Militärregierung ernannt worden war. Damit war die britische Besatzungszone in drei Flächenstaaten aufgeteilt worden, dazu kam Hamburg. Bremen blieb unter amerikanischem Einfluss, obwohl es als Exklave von der britischen Besatzungszone umschlossen war, weil die Amerikaner für sich einen Seehafen beanspruchten. An einem Morgen kurz vor ihrer Abreise nach Amsterdam sagte Bärbel, nachdem sie die Rheinische Post gelesen hatte, zu Martha und Otto:

    „Wir sind jetzt Nordrhein-Westfalen und leben in einem Bindestrich-Land!" Aber das interessierte die beiden Ostpreußen herzlich wenig, für sie war ihre Heimat Königsberg und würde es auch immer bleiben. Dabei sollten sie sich später durchaus auch als Zugezogene begreifen, aus denen sich besonders das Ruhrgebiet schon seit Jahrzehnten speiste, es hatte eine kulturelle Identität herausgebildet, die eben nicht in landesspezifischen Wurzeln gründete, sondern ein Konvolut aus allen möglichen Herkünften war.

    Am späten Nachmittag saßen sie alle zusammen in Bärbels Wohnzimmer und besprachen die Entwicklung, die über sie hinweggezogen war, und auf die sie keinen Einfluss hatten ausüben können. Nordrhein-Westfalen oder North Rhine-Westphalia, wie das Land auf Englisch hieß, musste ihnen wie ein Kunstprodukt erscheinen, und das war es ja wohl auch. Anders als in den anderen Ländern, in denen homogene Bevölkerungsgruppen zusammenwuchsen, wurde hier einfach alles zusammengewürfelt, der Eindruck drängte sich einem jedenfalls auf. Aber letztlich blieb die Schaffung des neuen Nordrhein-Westfalen für seine Bewohner eine bloße Hülle, innerhalb derer sich auch Ringsdorffs, Theißens und Goldschmids zurecht finden mussten, und das gelang ihnen insgesamt ganz gut. Nachdem in Essen die Krupp-Werke demontiert worden waren, deren Hauptaufgabe die Produktion von Rüstungsgütern gewesen war, wurde dort jetzt auf Friedensproduktion umgestellt, und es wurden Lokomotiven und Waggons hergestellt. Wenngleich man 1946 weiß Gott

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