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Irmi
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eBook420 Seiten6 Stunden

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Über dieses E-Book

Der vorliegende Roman spiegelt den Werdegang eines siebzehnjährigen Mädchens wider, das in einem Alpental lebt und unter der dörfliche Enge leidet, die ihm keinen Raum lässt für Gedanken, die an das Fundament des Lebens rühren.
Es wird mit der Schilderung ihrer häuslichen Umgebung ein Spannungsbogen angelegt, der am Ende wieder aufgegriffen und einer Lösung zugeführt wird.
Der Autor bedient sich der neutralen Erzählperspektive und lässt die Protagonisten frei agieren, er führt den Leser so in die Erlebenswelt von Irmi, der Hauptdarstellerin ein und lässt ihn sich sein eigenes Urteil bilden.
Irmi wendet sich früh der Astronomie zu, in der sie eine Möglichkeit sieht, der Bedrücktheit ihrer Existenz zu entfliehen, sie geht mit großer Hingabe an die Sternbeobachtung und bezieht Mathi, den Hofknecht und Franz, ihren späteren Freund mit ein.
Mathi ist ein Mitvierziger, der nie den Absprung vom Hof geschafft hat und bei Irmis Familie lebt wie eine alter Sohn, er ist Irmi verfallen, seit sie ein Kleinkind war und bereit, alles für sie zu tun.
Zu Franz entwickelt Irmi im Laufe der Zeit eine intensive Beziehung und die beiden lieben sich erst jetzt, nachdem sie jahrelang die gleiche Realschule im Nachbarort besucht hatten.
Aus heute nicht mehr nachvollziehbaren Gründen war aber eine innige Kontaktaufnahme auf der Realschule nicht möglich.
Die beiden beenden ihre Schullaufbahn und melden sich in Innsbruck auf dem Gymnasium an, Irmi verspricht sich davon, dass sie ihren Wissensstand erweitern kann und sie will insbesondere einen Einblick in die Philosophie vermittelt bekommen.
Sie und Franz lernen auf dem Gymnasium Latif, einen Mitschüler afrikanischer Herkunft kennen und freunden sich mit ihm an.
Irmis Eltern lassen ihre Tochter gewähren und unterstützen sie auch in ihren astronomischen Bestrebungen.Franz´ Vater wird durch Irmi an seine altes Jugendhobby, die Astronomie, erinnert und legt sich das gleiche Teleskop zu, das sich Irmi zu ihrem Geburtstag hat schenken lassen.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum22. Juli 2014
ISBN9783847698425
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    Buchvorschau

    Irmi - Hans Müller-Jüngst

    Die Personen:

    Irmi war nicht das typische Mädchen vom Lande, von dem man dachte, dass es drall und dumm wäre, sie sah vielmehr gut aus und war von hoher Intelligenz. Sie trug ihr dunkles Haar in unterschiedlichen Längen und manchmal hochgesteckt, sie war sehr schön anzusehen. Ihr Busen war mittelgroß und sie versteckte ihn immer unter flattrigen Oberteilen. Sie legte keinen Wert auf Äußerlichkeiten wie modische Kleidung, sondern interessierte sich vielmehr für innere Werte, weshalb sie sich zunehmend mit Philosophie beschäftigte. In dieser Hinsicht unterschied sie sich stark von ihren Altersgenossinnen.

    Irmis Mutter Maria war relativ klein in ihrem Wuchs und hatte ihrem Alter entsprechend auch schon Hüftspeck angesetzt. Sie trug ihre Haare kurz, auch weil sie mittlerweile schon grau waren. Trotz ihrer Pummeligkeit war sie ein sportlicher Typ und half ihrem Mann mit großem Körpereinsatz im Stall. Sie hatte einen geraden Charakter und war ein absolut zuverlässiger Mensch, mit dem sich ihre Tochter sehr gerne unterhielt.

    Irmis Vater war ein sehr verschlossener Mensch, der nicht gerade in seiner Arbeit aufging, sie aber erledigte, wie man das von einem Landwirt erwartete. Er war groß und stämmig und trotz seiner Verschlossenheit war das, was er sagte, für Irmi von großem Wert, denn er war lebenserfahren, und seine Worte hatten deshalb Gewicht.

    Mathi war ein hagerer Typ mit feinen Gesichtszügen, er war Mitte vierzig und sah sehr männlich aus. Er war nicht sehr groß und wirkte auch nicht sehr kräftig, weshalb manche ihm den Job als Knecht gar nicht zutrauten. Er lebte bei Hofmairs wie ein alter Sohn, der den Absprung nicht geschafft hatte, er fühlte sich in seiner Haut aber sehr wohl.

    Franz war ein großer und muskulöser junger Mann, der gut aussah, jedenfalls in den Augen der meisten gleichaltrigen Mitschüler. Er trug sein Haar lang, was wieder modern war, und er legte keinen Wert auf modische Kleidung, weshalb er am liebsten in T-Shirt und Jeans herumlief, man fühlte sich bei ihm an einen Hippie erinnert. Franz war unsterblich in Irmi verliebt, und Irmi liebte ihn auch. Er war grundsolide, und man konnte sich auf ihn verlassen, das war es besonders, was Irmi an ihm liebte.

    Gabi war einerseits Hausfrau und verrichtete ihre Hausarbeit auch zu aller Zufriedenheit, das füllte sie aber nicht aus. Sie war eine sehr gut aussehende Fünfzigerin, blond, mittelgroß, schlank, die sich noch zu jung fühlte, um auf das Altenteil abgeschoben zu werden, was ihr normalerweise bevorstünde, wenn Franz aus dem Haus wäre, und sie wollte dem vorbauen und sich in ein Projekt stürzen.

    Dieter war ein typischer Durchschnittsmitbürger, der seiner Arbeit nachging und mit seinem Leben rundum zufrieden war. Er war leicht untersetzt und hatte bereits ein Kränzchen, über Irmi ist er zu seiner alten Jugendleidenschaft zurückgekehrt, der Astronomie. Er war Franz ein guter Vater, was Franz natürlich dankbar annahm und Dieter wurde von seinem Sohn geschätzt. Er liebte seine Frau Gabi und führte mit ihr ein auskömmliches Leben in einem schmucken Einfamilienhaus am Dorfrand von Lerbach.

    Jeanette, Irmis Cousine, war in ihrer Jugendphase ein Modepüppchen, das übertriebenen Wert auf Mode, Schmuck und Schminke legte. Über ihre Ausbildung, ihren Reifeprozess und den Umgang mit Irmi orientierte sie sich aber anders: sie begann sich für ihr Leben, das Leben anderer und philosophische Fragestellungen zu interessieren und tauschte sich darüber mit Irmi aus. Jeanette war ein ausgesprochen hübsches Mädchen mit langem brünettem Haar und schlanker Figur. Sie betonte nach wie vor ihr Äußeres, wenn auch nicht mehr so stark.

    Antonio war ein durchschnittlich anmutender junger Mann mit durchschnittlichen Ansichten zu seinem Leben. Er war ein Südtiroler wie er im Buche stand, das heißt, dass er verwurzelt war mit seiner Heimatstadt Sand in Taufers und nichts auf seine Heimatliebe kommen ließ. Er lebte nicht weit von Jeanette entfernt und besuchte sie regelmäßig, um mit ihr auf ihrem Zimmer zu sitzen und zu reden oder zusammen in die Eisdiele im Ort zu gehen. Er liebte seinen Ausbildungsberuf Automobilverkäufer und freute sich schon darauf, wenn er im folgenden Frühjahr seine Ausbildung beenden und fest in diesen Beruf gehen würde.

    Christa hatte etwas von ihrer Lerbacher Schwester und das war das Bodenständige, sie war aber auch, ebenso wie Maria, eine ansehnliche Frau von Fünfzig. Sie war geradlinig und führte in Sand in Taufers ihren Haushalt, gleichzeitig war sie aber weltoffen uns in ihrer Haltung dem Leben gegenüber sehr modern eingestellt, wovon auch Jeanette profitierte.

    Herbert war ein in die Jahre Gekommener, von seinem Beruf beinahe Aufgezehrter, der aber noch genügend Reserven hatte, sich zu behaupten und ein guter Familienvater zu sein. Er war leicht füllig und hatte einen unübersehbaren Bauchansatz, er trug ein Kränzchen auf seinem Kopf. Er war aber immer noch sportlich genug, lange und anstrengende Wanderungen zu unternehmen.

    Toni war ein Skilehrer, wie man ihn sich als Flachlandtiroler so vorstellt, sein Gesicht war braungebrannt und er war eine junge sympathische Erscheinung. Toni beherrschte das Skifahren aus dem Effeff, und man konnte sich leicht vorstellen, das er der Schwarm vieler Mädchen gewesen war. Gleichzeitig war er in der Lage, seinen Schülern sehr feinfühlig das Skifahren beizubringen und dabei eine nicht enden wollende Geduld zu haben.

    Latif fiel wegen seiner Hautfarbe auf und war es gewohnt, die Blicke aller auf sich zu ziehen, machte sich aber nichts daraus. Er stammte aus einem reichen afrikanischen Diplomatenhaus und war in Innsbruck geboren. Latif hatte eine sehr sympathische Art an sich und wurde gleich von Irmi und Franz umworben, als sie zusammen in Innsbruck das Gymnasium besuchten.

    Zu Hause

    Es kam für das Mädchen darauf an, unbeschadet den Himmel zu erreichen und sich von dem Elend auf Erden zu lösen, nur dann würde es die Sphären erspüren, die ihm im Denken vorschwebten. Hier in seinem erstickenden Umfeld waren ihr die Zugänge zum Denken genommen, hier schienen alle nur unhinterfragt zu funktionieren und um nichts anderes als die Daseinsvorsorge bemüht zu sein. Irmtraud hieß das Mädchen, von dem ich erzählen will. Es lebte in einem Alpental fernab von jedwedem großstädtischen Trubel. Irmtraud überlegte schon ab und zu, ob sie, wenn sie erwachsen wäre, nicht in die Stadt ziehen sollte, nach Innsbruck zum Beispiel. Sie war davon überzeugt, dass das städtische Leben am ehesten das Denken förderte, einfach, weil es einem die Zeit dazu einräumte, die allen in dem Dorf, in dem Irmtraud lebte, genommen war. Wenn Irmi wie sie von allen genannt wurde, einmal mit ihrer Mutter über diese Dinge sprach, fragte die immer völlig entgeistert:

    „Du und Dein Denken, was bedeutet das denn überhaupt für Dich?" Sie klang dabei immer so vorwurfsvoll, als würde sie Irmi nicht ernst nehmen und ihr nicht zutrauen, dass sie wusste, wovon sie redete. Oftmals hatte Irmi ihrer Mutter zu verstehen gegeben, dass sie gewillt war, über bestimmte fundamental wichtige Dinge nachzudenken wie die Fragen:

    „Warum leben wir?" oder

    „Wo liegen Anfang und Ende unseres Universums?" Ihre Mutter wies solche Fragen immer mit der Bemerkung weit von sich:

    „Davon werden die Menschen auch nicht satt!"

    Und sie deutete damit an, dass sie es für sinnlos hielt, an solche Dinge auch nur einen Gedanken zu verschwenden. Irmi glaubte aber, dass es wichtig war, über solche Dinge nachzudenken, obwohl sie wusste, sie würde keine Antworten auf solche Sinnfragen finden. Für Irmi war es von großem Interesse, darüber nachzudenken und die Untiefen des menschlichen Lebens damit ein wenig zu auszuloten.

    „Geh doch mal in den Stall und hilf Mathi!", sagte ihre Mutter dann, und Irmi befolgte diese Anordnung sofort. Zu Hause bei ihrer Familie gab es eine Landwirtschaft, die von allen Familienmitgliedern und dem Knecht Mathi betrieben wurde. Mathi war dafür zuständig, das Vieh zu füttern und alles Übrige zu erledigen, was der Hof an Arbeit erforderte.

    Besonders, wenn Irmis Vater mit dem Traktor auf der Matte war, um Gras für das Vieh zu holen, war Mathis Fähigkeit, Dinge zu sehen, die getan werden mussten, von großem Nutzen für Irmis Familie. Mathi war schon seit mehr als zwanzig Jahren auf dem Hof angestellt und hatte Irmi aufwachsen gesehen. Er bewohnte ein Zimmer im hinteren Hoftrakt und war unglaublich bescheiden, er trank nicht und hatte keine Frauengeschichten. Für ihn war der Hof sein alles, sein gesamter Wahrnehmungshorizont. Von daher gab es für ihn auch keinen Anlass, über die Dinge nachzudenken, die Irmi für so wichtig hielt. Aber Irmi ging oft und gern zu Mathi, um ihm darzulegen, was gerade der Gegenstand ihrer Gedanken war. Dabei kam es ihr gar nicht darauf an, von Mathi erleuchtende Antworten zu erhalten. Ihr war nur von Bedeutung, dass sie in Mathi einen Zuhörer fand, auf den sie unwidersprochen einreden konnte. Anfang und Ende des Universums waren für Mathi so weit von seinem Vorstellungsvermögen entfernt, dass er an sie keinen Gedanken richtete. Er dachte vielmehr an seine Stallarbeit und vielleicht noch an das Geschehen im Tal, mehr interessierte ihn einfach nicht. Irmis Familie, die Hofmairs, war seit Generationen in Lerbach ansässig. Lerbach war der Name des Dorfes, das in der Geschichte eine Rolle spielen wird. Es lag in einem Talkessel, rechts und links flankiert von mächtigen Gebirgsstöcken, die auf über dreitausend Meter hinauf ragten. Dem Dorf war deshalb am Tag nie lange Sonnenlicht beschieden.

    Das Tal hatte im Süden gegen den Alpenhauptkamm einen Abschluss. Wenn sich einmal jemand nach Lerbach verirrte, kam er von Norden und war entweder Tourist, der im Sommer wandern und im Winter Ski fahren wollte, oder er war Zulieferer für den Dorfladen, oder er war Besuch für eine der zwanzig Dorffamilien. Zu Hofmairs kam einmal im Jahr die Schwester von Irmis Mutter. Sie lebte in Südtirol und hatte eine ziemlich beschwerliche Anreise über den Brenner. Sie brachte immer ihre Tochter Jeanette mit, die in Irmis Alter war, mit der Irmi sich aber nicht sonderlich gut verstand. Ihre Interessensphären lagen doch zu weit auseinander, Jeanette interessierte sich für Popmusik und Mode und Irmi für die wichtigen Lebensfragen. Eigentlich war Irmi immer froh, wenn Tante Christa und Jeanette wieder nach Hause fuhren. Nicht dass sie sich mit Jeanette stritt, Irmi fühlte sich durch ihre Anwesenheit nur eingezwängt. Besonders wenn Jeanette damit anfing, sich bei Irmi darüber auszulassen, dass in Lerbach nichts los wäre, konnte Irmi regelrecht aus der Haut fahren. Sie hielt sich bislang aber immer unter Kontrolle und ließ Jeanette nichts von ihrer Haltung spüren. Tante Christa und Jeanette blieben immer über Nacht und fuhren am nächsten Tag wieder nach Hause. Und immer standen Irmis Eltern mit ihr vor der Tür und winkten, bis Tante Christa und Jeanette nicht mehr zu sehen waren. Spätestens dann sagte ihre Mutter immer zu ihr:

    „Du hättest ruhig ein wenig netter zu Deiner Tante und Deiner Cousine sein können!" Irmi stand anschließend da wie ein begossener Pudel, war sich aber keiner Schuld bewusst. Sowohl Alois Hofmair, Irmis Vater als auch Maria Hofmair, Irmis Mutter waren in Lerbach geboren und hatten sich irgendwann in früher Jugend bei einem gemeinsamen Kirchgang kennen gelernt und später geheiratet. Mathi war auch gebürtiger Lerbacher und stammte aus einer Knechtsfamilie. Die Familie Mathis hatte schon immer auf den Höfen im Dorf gearbeitet. Mathi hatte die Volksschule im Dorf besucht und anschließend gleich den Knechtsberuf ergriffen. Irmi besuchte die letzte Klasse der Realschule in Feldweiler. Das war der nächste größere Ort sechs Kilometer entfernt nach Norden und sie trug sich mit dem Gedanken, nach der Realschule in Innsbruck auf das Gymnasium zu wechseln. Das würde bedeuten, dass sie fünfundzwanzig Kilometer mit dem Bus fahren müsste, was sie aber drei Jahre lang in Kauf nehmen wollte. Sie war eine sehr gute Schülerin und wissbegierig, für sie sollte sich der Zugang zu den entscheidenden Sinnfragen des Lebens erschließen und das bedeutete, dass sie auf dem Gymnasium in die Philosophie zumindest hineinriechen könnte. Eigentlich war Irmi in dem Alter, in dem Mädchen sich für Jungen zu interessieren begannen, aber außer vielleicht für Franz Heinbichler, der die gleiche Klasse auf der Realschule besuchte wie Irmi und auch in Lerbach wohnte, interessierte sich Irmi für keinen Jungen. Manchmal besuchte Franz Irmi, und sie gingen danach gemeinsam durch das Dorf und erzählten sich dieses und jenes, meistens aus dem gemeinsamen Schulleben.

    Es war aber noch nie zu Zärtlichkeiten zwischen den beiden gekommen, dass sie sich zum Beispiel geküsst hätten, danach stand Irmi nie der Sinn. Das Leben im Dorf war sehr eingefahren und begann erst allmählich, durch neue Impulse aus dem Tourismus eine Änderung zu erfahren. Das bemerkten besonders die Alten mit ihrem seismografischen Gespür und dagegen lehnten sie sich auf. Wenn zum Beispiel vor dem Dorfgasthof „Schneider" die Autos der ersten Skitouristen parkten, stellten sich die Alten demonstrativ vor die Autos und starrten auf die Nummernschilder, um herauszubekommen, woher die Autos stammten. Anschließend gingen sie in die Gaststube und geißelten alles Fremde, dabei tranken sie Bier und mussten vom Wirt zur Mäßigung gemahnt werden, weil sie bei ihrem Gezetere auch laut wurden. Für Irmi war das Verhalten der Alten hinterwäldlerisch und ewig gestrig, es passte auf keinen Fall in ihr Weltbild, in dem solche Fremdenfeindlichkeit keinen Platz hatte. Wenn man von den Alten sprach, meinte man eigentlich drei Männer: Fritz Lechleitner, Hermann Schreiber und Hans Holzmoser, die seit jeher das Dorfleben bestimmten, der eine als Küster, der andere als ehemaliger Gemeindevorsteher und der dritte als pensionierter Volksschullehrer.

    Fritz Lechleitner hatte sein Küsteramt mit großer Umsicht betrieben. Er war bei den Sonntagsgottesdiensten und bei sonstigen Gottesdiensten in der Kirche für das Glockengeläut und auch für das Pfarramt zuständig, damit es dort genau wie in der Kirche immer sauber und im Winter geheizt war. Er stand vor den Gottesdiensten neben der Kirchentür und registrierte genau, wer den Gottesdienst besuchte und wer nicht. Besonders die Kinder hatten einen großen Respekt vor der Person des Küsters, der eine wichtige Kontrollinstanz in ihrem Leben war. Während der Gottesdienste stand Fritz Lechleitner neben den Kinderbänken im Kirchraum und achtete genau darauf, dass die Kinder keinen Unsinn machten. Die Kinder trauten sich nicht, aus der von ihnen erwarteten Rolle zu fallen, wenn sie ihre Blicke zu Herrn Lechleitner schweifen ließen und in sein ernstes Gesicht blickten. Der Küster stand in der Wichtigkeit der Person über dem Pfarrer, der geradezu lammfromm war und keiner Fliege etwas zu Leide tun zu können schien. Irmi musste natürlich die Gottesdienste besuchen, und sie empfand die Kontrolle durch Herrn Lechleitner als ausgesprochen unangenehm. Als sie einmal dem Gottesdienst ferngeblieben war, weil sie sich nicht so recht wohlgefühlt hatte, schien es ihr so, als erwartete der Küster eine Entschuldigung von ihr. Aber Irmi blieb hart und entschuldigte sich nicht bei ihm. Sie untergrub so die mächtige Position, die der Küster innehatte. Irmi musste auch regelmäßig zur Beichte und der Pfarrer fragte sie immer, ob sie unzüchtige Handlungen an sich vorgenommen, und ob sie diese allein begangen hätte.

    Irmi schämte sich danach bald zu Tode und war immer froh, wenn die Beichte vorüber war. Sie sprach anschließend mit ihrer Mutter über die Beichte und brachte ihre Empörung darüber zum Ausdruck, dass der Pfarrer sie mit dermaßen intimen Fragen konfrontiert hatte. Die Mutter antwortete ihr, dass sie darüber nicht großartig nachdenken und dem Pfarrer irgendetwas auf seine Fragen antworten sollte. Sie hätte das in Irmis Alter immer so gemacht und so hätten es auch alle getan, die sie gekannt hätte. Irmi stritt nicht weiter mit ihrer Mutter über diesen Punkt. Sie sah aber nicht ein, was es den Pfarrer anging, ob sie unzüchtige Handlungen an sich vorgenommen hätte, wie er das nannte und nicht weiter darüber nachzudenken, das kam für sie überhaupt nicht in Frage. Für sie war klar, dass der alte Pfarrer geil war und sich an dem, was ihm die Mädchen erzählten, aufgeilen wollte und sie sah nicht ein, dass sie ihn in seiner Geilheit weiter bedienen sollte. Sie beschloss, gegen den Willen ihrer Eltern, nicht mehr zur Beichte zu gehen, auch wenn sie sich dadurch ihren und den Groll des Pfarrers auf sich zog. Beim Küster war sie mit einem solchen Verhalten vollkommen unten durch, für ihn war es gänzlich unnormal und deshalb nicht zu dulden, dass jemand nicht zur Beichte ging, und das hätte es auch noch nie gegeben. Irmi ging noch einen Schritt weiter und meldete sich in ihrer Schule vom Religionsunterricht ab, was von ihren Eltern auch nicht gerne gesehen wurde, sie ließen ihre Tochter aber gewähren.

    In der Folgezeit wurden Irmis Gottesdienstbesuche immer seltener, bis sie sie ganz einstellte. Zur Beichte ging sie nie mehr, und sie erklärte Mathi auf dessen Nachfrage hin, warum sie eine solche antireligiöse Haltung eingenommen hatte. Der Küster stand für das Althergebrachte und scheinbar nicht Veränderbare, Unumstößliche. Seine Ansichten standen der Entwicklung des Dorfes zur Moderne hin im Weg. Und das Dorf musste sich entwickeln, wenn es den Anschluss an die neuen Strömungen nicht verlieren wollte und die neuen Strömungen kündigten sich mit den ersten Touristen an, sie begannen, im Dorf Fuß zu fassen. Irmi spürte wie mit ihnen etwas ins Dorf einzog, das es vorher nicht gegeben hatte. Wenn die beiden Touristenpärchen mit ihren Autos vor dem Gasthof „Schneider" parkten, wirkten sie wie Exoten und belebten mit ihrem Erscheinungsbild die Tristesse, die ansonsten immer im Dorf herrschte.

    Hermann Schreiber war ein ähnliches erdverwachsenes Dorfnaturell wie Fritz Lechleitner. Er hatte in seiner Zeit als Gemeindevorsteher viele in die Zukunft weisende Entwicklungen blockiert, weil er sich dem Neuen gegenüber verschloss und dabei alle Alten auf seiner Seite wusste. Er war der Sohn von Adolf Schreiber, der während der NS-Zeit durch antisemitisches Gebaren von sich reden gemacht hatte. Er hatte jüdische Mitbürger in Lerbach zur Anzeige gebracht und so dafür gesorgt, dass sie in die Konzentrationslager abtransportiert wurden. In gewisser Weise sah sich Hermann Schreiber in der Tradition seines Vaters, nur dass er seine Antihaltung nicht gegen Juden, sondern gegen alles Fremde richtete. Jede Entscheidung, die eine Neuerung gebracht hätte, war ihm zuwider und er wusste sich mit aller ihm zur Verfügung stehenden Macht dagegen zu wehren. In seine Amtszeit fielen das kleine Wasserkraftwerk, die neue Umgehungsstraße und die Errichtung zweier Skilifte.

    Alles wurde nur gegen seine erklärten Willen gebaut, aber gegen die Mehrheit in der Gemeindeversammlung war er eben machtlos. Hermann Schreiber war ein großgewachsener und streng dreinblickender Mann, dem man schon wegen seiner äußeren Erscheinung Respekt entgegenbrachte. Allerdings hatte er in der Zeit seit seiner Zurruhesetzung davon stark eingebüßt, und auch wenn er noch so grimmig schaute, nahmen ihn selbst die Kinder kaum noch ernst. Auch bei sich zu Hause, wo er bis vor Kurzem noch unumschränkter Herrscher gewesen war, waren die Fronten aufgeweicht und Hermann fügte sich schon einmal den Anordnungen seiner Frau. Die bekam mehr und mehr Oberwasser und blickte in dem Maße, in dem Hermann an Einfluss verlor, auf, und man beachtete sie mit einem Mal im Dorf, nachdem sie lange Zeit hinter Hermann abgetaucht gewesen war. Hermann wurde ein verbitterter alter Mann, nachdem seine Zeit eigentlich abgelaufen war und so manches Gemeinderatsmitglied musste an seine Zornesausbrüche während der Versammlungen zurückdenken, wenn er Andersdenkende rüde zurückzuweisen trachtete und seine Stimme dabei eine Lautstärke erreichte, dass man sie draußen auf der Dorfstraße wahrnehmen konnte.

    Sein politischer Stil war autoritär und insofern erinnerte er stark an seinen Vater. Er zeigte sich völlig uneinsichtig, wenn man demokratisches Verhalten bei ihm einklagen wollte. Hermann Schreiber pflegte solchen Mahnern immer entgegenzuhalten:

    „Ein starkes Dorf braucht einen starken Führer!", was die so Angesprochenen gleich zum Schweigen brachte. Seine Nachfolge trat sein Sohn Walter an, der aus dem gleichen Holz geschnitzt war wie sein Vater, dennoch wählte ihn die Gemeindeversammlung zum Gemeindevorsteher. Allerdings war Walter nicht ganz so starrköpfig und verbohrt wie sein Vater und stand zum Beispiel dem Bau eines Freibades nicht im Wege. Die Finanzen von Lerbach waren zwar denkbar knapp bemessen, aber es gab Zuschüsse vom Kreis und vom Land. Ein Freibad würde den Freizeitwert des Dorfes um ein Vielfaches steigern und vielleicht auch den Sommertourismus fördern. Im Übrigen hatten natürlich alle Kinder ihren Spaß, sie würden in den Sommermonaten aus der Schule kommen, ihre Hausaufgaben erledigen und schnell ins Freibad stürmen.

    Hans Holzmoser war der dritte der verbitterten Alten im Bunde und wurde nach seiner Pensionierung aus dem Schuldienst immer starrköpfiger, genau wie die anderen beiden, wobei Fritz Lechleitner als der Jüngste noch als Küster im Dienst war. Die jungen Leute, die heute in Irmis Alter waren, konnten sich noch gut an das strenge Schulregiment von Lehrer Holzmoser erinnern. Er war ein Lehrer von altem Schrot und Korn und im Geiste noch sehr der Zeit des Nationalsozialismus verhaftet, wenngleich er selbst diese Zeit nicht mehr miterlebt hatte. Sein Vater war aber zu dieser Zeit Lehrer an der Dorfschule und ein glühender Verehrer Hitlers, er hatte von dieser Verehrung etwas auf seinen Sohn übertragen. Irmi wusste noch genau, wie sie damals in die Klasse von Lehrer Holzmoser ging, und er die Kinder alle zu Beginn des Unterrichts strammstehen ließ. Wenn ihm dabei die Körperhaltung eines Kindes nicht gefiel, ging er zu ihm und brüllte es an, bis das betreffende Kind in seine Augen stramm genug stand. Auch die Schläge, die Lehrer Holzmoser auszuteilen wusste, hatte Irmi in guter Erinnerung, so wie damals bei Daniel. Daniel Bircher war in Irmis Klasse und hatte mit seinem Sitznachbarn gequatscht. Er war derjenige, der dem Lehrer auffiel, seinen Nachbarn hatte er gar nicht zur Notiz genommen. Daniel musste aufstehen und nach vorne kommen, und noch bevor er an der Tafel stand, schlug Lehrer Holzmoser ihm mit voller Wucht ins Gesicht. Der Schlag war mit einer solchen Wucht ausgeführt worden, dass Daniel einige Schritte zurücktaumelte, und sich die fünf Finger der Schlaghand des Lehrers auf seiner Wange abzeichneten. Daniel stand kurz davor, loszuheulen, konnte sich eine Weinen aber verkneifen und schlich wieder zu seinem Platz zurück. Alle Mitschüler musterten ihn und beobachteten seine Wange, die Fingermale verschwanden aber nach und nach wieder. Daniel hatte sich nicht getraut, zu Hause von den Schlägen zu erzählen, weil die Schläge natürlich auch eine Ursache hatten, und die lag bei ihm. Lehrer Holzmoser ging unmittelbar nach der Schlagattacke zum Unterricht über, denn für ihn war es nichts Besonderes, seine Schüler zu schlagen, wenn sie seinen Unterricht störten. Er hielt sich aber bei den Mädchen zurück, wenn die Mädchen quatschten, schrie er herum und schüchterte sie auf diese Weise ein. Alle Schüler hatten Angst vor ihm und er musste nicht befürchten, von den Eltern wegen seiner Brutalität Kontra zu bekommen, im Gegenteil, manche Eltern ermutigten ihn sogar, ruhig einmal kräftig zuzulangen, wenn ihr Spross sich danebenbenahm.

    „Schläge in Maßen und zur rechten Zeit haben noch nie jemandem geschadet!", sagten sie dem Lehrer Holzmoser. Der fühlte sich durch solche Bemerkungen nur ermuntert, seinen brutalen Schlägen freien Lauf zu lassen. Er konnte von Glück sprechen, jetzt nach seiner Pensionierung nicht von ehemals Gepeinigten zur Rechenschaft gezogen oder gar verprügelt zu werden. Die meisten seiner ehemaligen Schüler hatten die Schläge, die sie seinerzeit von ihm einstecken mussten, vergessen und hatten anderes zu tun, als sich im Nachhinein über Hans Holzmoser zu ärgern. So fristete er im Alter sein Dasein, war unentwegt mir seinen Gesinnungsgenossen zusammen und ärgerte sich zusammen mit ihnen über alles Neue und Fremde im Dorf.

    Nie sah man einen von den dreien einmal lachen und man hätte wohl meinen können, dass sich ihr Gram bei ihnen festgefressen hatte und sie aufzehren würde. Als Nachfolger von Lehrer Holzmoser war ein junger Nachwuchslehrer angetreten, der aus Innsbruck stammte und mit seinem Wagen jeden Tag hin- und herfuhr. Er war das glatte Gegenteil von Herrn Holzmoser, freundlich zu den Schülern und offen für alles, ohne es an der nötigen Autorität fehlen zu lassen. Er wurde von allen Schülern sehr gemocht und auch die Eltern schätzten ihn als neuen Lehrer sehr. Er war Anfang Dreißig und schon von seinen Alter her eher jemand, der neuen Strömungen zugeneigt war und sich schon von daher den Groll der drei Alten zuzog. Aber das störte den jungen Lehrer Meyer nicht, er wusste die gesamte Schülerschaft, die meisten seiner Kollegen und auch die Eltern hinter sich. Manchmal ging er im Sommer ins Freibad und zeigte den Schülern dort seinen Astralkörper, er war wirklich gut trainiert und tat etwas für sein Aussehen. Wenn Irmi etwas davon mitbekam, dass er ins Freibad ging, ging sie auch dorthin und scharwenzelte an seinem Liegeplatz vorbei. Lehrer Meyer aber nahm davon keine Notiz, Irmi war auch erst sechzehn und deshalb noch zu jung, als dass sie die Aufmerksamkeit von Lehrer Meyer hätte auf sich ziehen können. Stattdessen legte sich Irmi unweit von seinem Liegeplatz hin und beobachtete ihn dabei, wie er las oder aus seinem Rucksack sein Essen herausnahm und es verspeiste.

    Wenn er aufstand, um ins Wasser zu gehen, folgte Irmi ihm, immer darauf bedacht, ihn nicht unnötig zu bezirzen, er kannte sie ja auch gar nicht. Wenn sie ein paar Bahnen geschwommen waren, stellte sich Bernd Meyer schon mal auf das Einmeterbrett und machte einen astreinen Kopfsprung. Irmi hielt sich währenddessen am Beckenrand auf und beobachtete seine Sportdarbietung bewundernd. Herr Meyer tauchte nach seinem Sprung wieder auf und verließ das Becken, lief zu seinem Liegeplatz zurück, trocknete sich ab und legte sich wieder hin. Natürlich wurde er dabei auch von seinen Schülerinnen beobachtet, die aber durchweg noch in einem Alter waren, in dem sie als Kinder nicht an erotische Abenteuer denken konnten. Manche von ihnen gingen schon mal zu ihm und unterhielten sich kurz mit ihm. Nach zwei Stunden beendete Bernd Meyer seinen Freibadbesuch wieder und fuhr zu sich nach Innsbruck zurück. Irmi ging danach auch nach Hause und ertappte sich dabei, wie sie an ihn dachte und ins Träumen geriet, sie ging auf ihr Zimmer und legte sich auf ihr Bett. In den Sommermonaten gab es auf dem Hof der Hofmairs immer viel zu tun, und wenn Mathi abends Zeit hatte, setzte sich Irmi mit ihm vor sein Zimmer im hinteren Teil des Hofes. Mathi hatte da einen kleinen Holztisch, eine Bank und zwei Stühle hingestellt und saß oft dort, um sein Abendessen einzunehmen. Das Abendessen bestand zumeist aus gutem Brot, einem Stück Schinken und einem Stück Käse, dazu trank er Wasser oder selbst gepressten Apfelsaft.

    Ein Freund von Alkohol war Mathi nie gewesen, er hatte schon mal ein Bier im Gasthof „Schneider" getrunken, war aber nie soweit gegangen, dass er Alkohol bei sich zu Hause getrunken hätte. Mathi war ein hagerer und für sein Alter gutaussehender Typ, er konnte verschmitzt lächeln und dabei ein liebenswertes Gesicht aufziehen. Irmi saß manchmal zwei Stunden am Abend mit ihm auf dem Platz vor seinem Zimmer und stellte ihm Fragen wie:

    „Mathi, hast Du eigentlich einmal überlegt, warum es uns Menschen gibt, was der Sinn unseres Lebens ist?" Mathi sah Irmi anschließend immer an, als wollte er sagen:

    „Was ist denn das für eine Frage, es reicht doch, dass es uns gibt, und wir versuchen, mit unserem Leben zurechtzukommen!" Irmi merkte in solchen Momenten immer gleich, dass sie mit solchen Fragen bei Mathi nicht weiterkam und wechselte schnell das Thema zu Fragen des Dorflebens zum Beispiel. Sie fragte ihn, was er von den Skiliften oder anderen Errungenschaften der jüngsten Zeit wie der Umgehungsstraße hielt. Mathi überlegte daraufhin immer kurz bevor er antwortete:

    „Ich finde diese Dinge nicht schlecht, wenn die Menschen sie haben wollen, erfüllen sie doch auch einen Sinn!" Irmi überraschte die Weitsicht, die Mathi gelegentlich zu erkennen gab, für sie war das ein Zeichen dafür, dass er sich Gedanken machte und die Dinge, die um ihn herum geschahen, einordnen konnte.

    Eines Sonntags fragte Irmi Mathi, ob er nicht einen Spaziergang mit ihr zum Talabschluss machen wollte, und als er sie fragte, was sie denn dort anstellen wollte, antwortete Irmi:

    „Wenn wir dort sind, werde ich es Dir erzählen!" Also liefen die beiden am Sonntagmorgen, als andere in den Gottesdienst gingen, los und machten sich zum Talabschluss auf, der ungefähr drei Kilometer entfernt lag. Manche der Leute, die sie auf ihrem Weg durchs Dorf trafen, und die zur Kirche liefen, drehten sich zu den beiden um und mochten sich ihren Teil gedacht haben, das war Irmi und Mathi aber vollkommen gleichgültig. Sie liefen langsam aber stetig zum Ende des Tals, immer den Bernebach entlang, der aus großer Höhe herabfloss und einen kleinen Wasserfall bildete. Als sie dort angelangt waren, hörten die Weiden auf und das Gelände stieg langsam gegen den Berg an, bis es steil und felsig wurde und in einen Hang überging. Sie liefen beide den Hang hinauf, der Weg hatte längst aufgehört, und als sie das untere Drittel des Hanges erklommen hatten, setzte sich Irmi auf ein kleines Felsplateau und sagte Mathi, dass er sich zu ihr setzen sollte.

    „Ich will Dir jetzt erzählen, warum ich mit Dir hierhin gelaufen bin!", sagte Irmi und fuhr fort:

    „Ich habe die Absicht, mir zu meinem siebzehnten Geburtstag in zwei Wochen von meinen Eltern ein Teleskop schenken zu lassen!" Mathi schaute Irmi mit großen Augen an:

    „Was willst Du denn mit einem Teleskop?" Irmi entgegnete:

    „Ich möchte es, wenn ich nachts hier bin, auf ein Gestell legen und den Himmel betrachten, das Gestell muss erst noch aus Ästen oder Ähnlichem gebaut werden!" Mathi überlegte und fragte im Anschluss:

    „Welche Maße hat denn Dein Teleskop, das muss ich wissen, wenn ich Dir ein Gestell bauen soll!" Irmi zeigte die ungefähre Länge von fünfundsiebzig Zentimetern und die Dicke von etwas fünfzehn Zentimetern.

    „Das kann aber noch variieren, ich muss mir das Teleskop noch einmal genau ansehen!", ergänzte sie. Mathi gingen Gedanken an ein Gestell durch den Kopf und Irmi sagte:

    „Das Teleskop muss auf dem Gestell absolut ruhig aufliegen, jede noch so kleine Bewegung bedeutet am Himmel einen gewaltigen Sprung!" Mathi fiel gleich eine Möglichkeit ein:

    „Ich werden in zwei noch auszuhebende Löcher Pfähle stecken, die ich mit Brettern verbinde, auf den Brettern kannst Du Dein Teleskop mit Bändern festzurren!" Irmi konnte sich vorstellen, was Mathi meinte und fand seinen Vorschlag gut:

    „Wir werden im Verlauf der kommenden zwei Wochen also noch einmal hierhin kommen und einen Spaten, Pfähle und Bretter mitbringen!" Mathi dachte daran, die benötigten Dinge mit einer Schubkarre zu dem Hang zu fahren, damit sie sie nicht tragen mussten. Als sie auf dem kleinen Felsplateau saßen, hatten sie einen wunderschönen Blick das Tal entlang.

    Sie konnten in der Ferne Lerbach sehen wie es von der Umgehungsstraße eingefasst wurde und wie rechts am Hang die beiden Skilifte standen, mit denen im Winter die Skitouristen hoch transportiert wurden. Links vom Dorf konnten sie das Freibad ausmachen, das aber zu weit entfernt lag, als dass man Einzelheiten ausmachen konnte. Es herrschte an dem Ort absolute Stille, es war im Dorf auch nicht gerade laut. Aber eine solche Stille fand sich nur dort, wo sie sich befanden.

    „Was hast Du denn davon, wenn Du Dir den Himmel durch ein Teleskop anschaust?", fragte Mathi beinahe ketzerisch. Irmi sah ihn an und wusste erst gar nicht, ob sie ihm eine erschöpfende Antwort zu geben in der Lage sein würde. Schließlich entgegnete sie:

    „Der Blick in den Himmel offenbart dem Betrachter, wie klein doch unsere Welt ist, und wie unbedeutend wir Menschen doch sind!" In dem Augenblick, in dem sie den bedeutungsschweren Satz ausgesprochen hatte, war ihr klar, dass Mathi sie nicht verstehen würde, es musste aber fürs Erste reichen.

    „Weißt Du eigentlich wie die Alpen entstanden sind?", fragte sie Mathi anschließend und Mathi wusste das natürlich nicht.

    „In grauer Vorzeit, vor etwa hundert Millionen Jahren, waren die Erdplatten noch in Bewegung, die afrikanische Platte stieß mit der europäischen Platte zusammen und faltete sie auf, als wenn man eine Tischdecke zusammenschiebt, so sind die Alpenberge entstanden, und Mathi staunte, was Irmi alles wusste.

    Nachdem sie eine Zeit lang gesessen und den schönen Blick genossen hatten, standen sie wieder auf und liefen nach Lerbach zurück. Es war früher Nachmittag geworden und Irmi hatte ihrer Mutter noch am Morgen gesagt, dass sie nicht zum Essen erschiene. Ihre Mutter hatte ihr etwas vom Mittagessen zurückbehalten und wärmte es für sie auf. Kurze Zeit später fragte sie ihre Tochter:

    „Was hast Du denn am Talabschluss mt Mathi gemacht?" Irmi antwortete:

    „Wir sind den Hang hinaufgelaufen und haben uns auf ein kleines Felsplateau gesetzt, auf dem Mathi mir ein Gestell bauen will, auf dem ich mein Teleskop befestigen will, das Ihr mir hoffentlich in zwei Wochen zu meinem Geburtstag schenken werdet!"

    „Ein Teleskop willst Du von Vater und mir geschenkt bekommen, es ist ja gut, dass ich jetzt davon erfahre!", erwiderte Irmis Mutter. Irmi erläuterte:

    „Ich will immer, wenn ich nachts zum Talabschluss laufe, das Teleskop auf das Gestell legen und den Himmel beobachten."

    „Du glaubst doch wohl nicht, dass wir Dich nachts dorthin laufen lassen!", entgegnete Irmis Muter bestürzt.

    „Wenn ich nachts zum Talabschluss laufe, wird Mathi mich natürlich begleiten, sagte Irmi, allein hätte ich den Mut nicht dazu, und ich weiß auch gar nicht, ob ich allein das Teleskop dorthin bringen könnte! Irmis Vater war schon längst wieder draußen auf der Weide und mähte Gras für das Vieh, Irmi würde nach dem Essen im Stall helfen müssen.

    Sie wollte später noch mit ihrem Laptop zu Mathi und ihm das Teleskop zeigen, das sie sich ausgesucht hatte, auch ihrer Mutter würde sie die genauen Daten des Teleskops geben. Sie aß schnell, was ihre Mutter ihr aufgewärmt hatte und lief anschließend mit ihr in den Stall. Sie legten zusammen den Kühen

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