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Sehnsucht - Lebensreise einer Abenteurerin: Begegnungen mit Menschen und Orten
Sehnsucht - Lebensreise einer Abenteurerin: Begegnungen mit Menschen und Orten
Sehnsucht - Lebensreise einer Abenteurerin: Begegnungen mit Menschen und Orten
eBook294 Seiten3 Stunden

Sehnsucht - Lebensreise einer Abenteurerin: Begegnungen mit Menschen und Orten

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Über dieses E-Book

Ich bin eine Frau, die fast immer auf Achse ist. Vermutlich habe ich das Reise-Gen, wenn es das denn gibt. Dennoch ist mein Buch kein Reisetagebuch, trotz einiger Reiseberichte. Es ist auch keine klassische Biographie, wenngleich viele Texte biographisch sind. Das, was mich physisch auf Trab hält, beschäftigt mich geistig und seelisch - und so schreibe ich es auf.
Ich habe mein bisheriges Leben Revue passieren lassen: Begegnungen, Erlebnisse und natürlich auch Reisen - alles, was man in so einer großen Zeitspanne erleben kann.
Mein Buch ist die Zusammenführung von Erzählungen aus verschiedenen Zeiten über meine Lebenserfahrungen zu einem vielseitigen Unterhaltungswerk: Ein Kaleidoskop von Eindrücken, auf etwa 300 Seiten, für Neugierige aller Altersstufen.
- Ilka Lenz
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum3. März 2022
ISBN9783347478367
Sehnsucht - Lebensreise einer Abenteurerin: Begegnungen mit Menschen und Orten

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    Buchvorschau

    Sehnsucht - Lebensreise einer Abenteurerin - Ilka Lenz

    Kapitel 1

    Kindheit – 1945 bis 1959

    Muttersehnsucht

    Wenn ich an Erich Kästner denke, denke ich nicht zuerst an seine fröhlichen Jugendgeschichten, sondern mir fällt als erstes seine Heiligabend-Geschichte ein, die ich schon oft in der Adventszeit in meinen Kreisen vorgetragen habe. Mir schnürt es noch heute das Herz zusammen, wie er über das liebende Herz seiner Mutter spricht.

    Als ich ein kleines Mädchen war, hatte ich stets Sehnsucht nach meiner Mutter. Ich war ein „Oma-Kind".

    Ich war vielleicht drei Jahre alt, als ich zu meiner Oma kam. Es gibt hierzu keinen konkreten Tag, an den ich mich erinnern könnte.

    Es war nach dem Krieg, etwa 1947 oder ´48.

    Meine Mutter stand am Kriegsende mit drei kleinen Kindern, meinen zwei Brüdern und mir, ich war das mittlere Kind, plötzlich allein da. Wir lebten in einem kleinen Ort in Niedersachsen, Vorsfelde, heute eingemeindet zu Wolfsburg. Während des Krieges, 1944, wurde die Stadt Braunschweig, wo meine Familie damals lebte, von Bomben zerstört. Die Einwohner wurden evakuiert. Wir also nach Vorsfelde, in das Haus meiner Großeltern. Mein Vater war nach Kriegsende und als Kriegsversehrter zunächst desorientiert. Er entschied sich, in Braunschweig Religion zu studieren. Seine Frau und die drei kleinen Kinder blieben in Vorsfelde. Meine Mutter eröffnete in ihrer Wohnung eine Leihbücherei; das kam ihrer Neigung zur Literatur und der wirtschaftlichen Not entgegen.

    Für die Kinder war nicht allzu viel Zeit da. Tagsüber kam regelmäßig die Oma mal vorbei. Sie lebte in der Meinstraße, nur zwei Straßen weiter von unserer Kirchstraße. Sie war damals vor kurzem Witwe geworden und allein. Meine Mutter war eine ihrer beiden Töchter. Daher war sie an Mädchen gewöhnt und so kam es wohl, dass sie sich mehr des kleinen Mädchens annahm als meinen Brüdern. Ich war wohl gern mit ihr zusammen, und sie nahm mich öfter mit zu sich nach Hause, bis ich ganz dort wohnte.

    Für meine Mutter war es einerseits eine Hilfe im Lebenskampf, aber sie glaubte auch, dass es mir dort an nichts fehlen würde. Das tat es auch nicht. Dass es mir an Mutterliebe fehlte, konnte sie nicht erkennen.

    Auf dem Kirchhof

    Als ich noch ganz klein war und meine Mutter keine Zeit hatte, weil sie arbeitete, und sie hatte immer viel zu tun, mussten die Kinder irgendwo hin.

    Kitas gab es damals noch nicht. Meine Mutter hatte da viele pragmatische Ideen, wie sie später erzählte.

    Manchmal stellte sie mich in der Kinderkarre einfach auf den Hof. Von oben konnte sie aus dem Küchenfenster nach mir schauen. Sie erzählte, dass ich mich niemals langweilte, sondern mich angeregt mit den Hühnern unterhielt, die auf dem Hof umherliefen: „Putt, putt, putt …"

    Oder aber sie stellte mich mitsamt dem Laufstall auf den Kirchplatz. Die Kirche befand sich fast genau gegenüber dem Hause in der Kirchstraße, in dem wir wohnten. Hier musste sie nur zur anderen Seite in der Wohnung wechseln, nämlich zu einem Fenster zur Straßenseite, zum Wohnzimmer. Von dort aus konnte sie mich beobachten. Viele Leute, die über den Kirchplatz liefen, blieben an meinem Laufstall stehen und plauderten und spaßten mit mir. Ich habe immer freundlich zurückgelacht. Sicher stammt aus dieser Zeit mein freundlicher Umgang mit fremden Menschen.

    Wenn es regnete, dann wurde ich zu der alten netten Nachbarin, Frau Becker, geschickt. Ich war gern bei „Tante Becker", durfte ich doch dann auf dem Stuhl, der am Fenster stand, sitzen und auf die Straße schauen. Dies war eigentlich ihr Platz, wo sie gewöhnlich den Tag verbrachte. Außerdem durfte ich jedes Mal in die Keksdose greifen, die sie aus dem Küchenschrank holte. Das war etwas Besonderes, denn Kekse waren nicht alltäglich.

    Ansonsten holte mich meine Oma ab und nahm mich mit zu sich in die Meinstraße.

    Die Oma

    Es ging mir gut bei meiner Oma, die eine sparsame, vernunftbetonte und gutmütige Frau war. Die Wohnverhältnisse waren allgemein schwierig. Es gab ein Klohäuschen auf dem Hof. Die Wohnung, ein Teil der oberen Etage eines schönen alten Fachwerkhauses, bestand aus einer „guten Stube", die nur bei Besuch beheizt und benutzt wurde. Darüber hinaus gab es zwei kleine Räume ohne Heizung und fließend Warmwasser.

    Zum einen die kleine Küche, zum anderen die winzige Schlafkammer.

    Die Küche mit einem Herd, der angefeuert werden musste und auf dessen Eisenringen fortwährend ein Topf mit heißem Wasser stand. Ich erinnere mich auch an den typischen Küchenschrank jener Zeit mit vielen Türchen und Glasfensterchen. In der Mitte der kleinen Küche stand ein Holztisch, dahinter an der Wand ein altes Sofa, auf dem ich stets saß. Hinter meinem Platz gab es ein kleines Fenster zum Hof. Im Winter hatte das Fenster eine malerische Eisgardine. Ich hauchte immer an eine Stelle und rieb mit dem Finger ein Loch hinein, um hinaussehen zu können. Meine Oma saß gewöhnlich auf einem stabilen Stuhl mir gegenüber. Sie machte die himmlischsten Eintöpfe. Niemals werde ich ihren Grüne-Bohnen-Eintopf mit Kartoffeln vergessen, ganz zu schweigen von ihrem herrlichen Kartoffel-Grießkuchen. Und bei ganz besonderen Gelegenheiten gab es Schokoladenkuchen vom Blech mit Pudding gefüllt – ein Traum!

    Abends aßen wir kalt, d. h. belegte Brote. Es gab die gute „Rama- Margarine. Ich mochte keine Wurst, aber gern Käse, besonders Camembert. Einmal brachte sie eine hübsche runde Pappschachtel mit diesem Käse vom Einkaufen mit, es war ein Märchenbild darauf abgebildet. Darin waren zwei Hälften in Silberpapier eingewickelt. Ich fragte meine Oma, wie viel ich von diesem Käse essen dürfe. Sie sagte: „So viel du willst, mein Mädchen. Dann verzehrte ich eine ganze Hälfte. Als sie das mitkriegte, verschlug es ihr fast die Sprache. Als sie diese wiederfand, sagte sie: „Das ist ja nicht zu fassen! Das ist ja wohl ein Spektakelstück!" Das mit dem Spektakelstück hörte ich öfter mal, aber meistens als Kommentar zu politischen Radiosendungen. Fernsehen gab es noch nicht.

    Die Schlafkammer hatte zwei Betten, die über Eck standen. Ein Bett für meine Oma und eins für mich. Sonst gab es in der Kammer nur noch eine Wäschekommode, auf der die Waschschüssel mit Krug stand. Unter dem Bett meiner Oma stand der Nachteimer.

    Winter in Vorsfelde

    Im Winter war es bitterkalt. Die Außenwände waren nicht isoliert. Die Bettdecke war oben etwas steifgefroren. Ich machte fast jeden Abend Theater, wenn ich ins Bett musste. Obwohl meine Oma mir schon Stunden vorher eine kupferne Wärmflasche, die sie in ein Handtuch wickelte, ins Bett legte, war es drum herum immer noch kalt. Es ging selten ohne Tränen ab. Sie rubbelte mit ihren Händen meinen Rücken warm, bis ich endlich einschlummerte.

    Abgesehen von den kalten Wintern war ich eigentlich ganz gern in Vorsfelde. Im Sommer nahm meine Oma mich in den Ferien jedes Mal mit zu den Verwandten auf den Bauernhof in Brechtorf. Sie musste immer helfen, sie war ein richtiges „Arbeitstier", so auch bei der Ernte bei den Bauern. Ich durfte dann bei Elli, der Magd, schlafen, die eine eigene Kammer hatte. Am Tag brachte uns ein Gaul auf die Weide, Elli und mich, und wir hüteten die Kühe. Natürlich gab es auch Schweine und Ferkelchen und Hühner und Gänse.

    Wenn dann die Schule wieder anfing, aber meine Oma noch arbeiten musste, wurde ich frühmorgens auf ein altes Fahrrad gesetzt, auf dem ich dann die zirka drei Kilometer nach Vorsfelde zu meiner Schule radelte.

    - Ich mit etwa fünf Jahren -

    Die Bauernhochzeit

    Ich habe viel von meiner Oma gelernt. Sie brachte mir Bruchrechnen bei und Stricken. Und vor allen Dingen übte sie mit mir in der kleinen Küche das Walzertanzen. Sie zeigte mir die Schritte: Eins, zwei, drei … eins, zwei, drei …, denn wir waren zu einer Bauernhochzeit bei besagten Verwandten eingeladen. Die einzige Tochter und einziges Kind des Bauern, Waltraut, wollte heiraten. Wir fieberten dem Ereignis entgegen. Ich musste zweimal zur Schneiderin für mein neues Kleid aus rosa Taft. Dann war es so weit. Ich durfte sogar zusammen mit der Nachbarstochter der Braut den Schleier tragen. Wir beiden Mädchen trugen die gleichen weißen, bestickten Baumwoll-Kleidchen, die wohl schon bei einer anderen Hochzeit getragen worden waren. Wir waren außerordentlich stolz und ergriffen, wie wir hinter der schönen Braut mit dem langen Schleier über den Kirchhof in die Vorsfelder Kirche schritten. Der Bräutigam, es war der Knecht Jupp, der den Hof retten sollte, trug einen schwarzen Frack. Danach dann die große Feier im Gasthof mit viel Essen und natürlich einer Dorfkapelle und Tanz. Jetzt trug ich mein rosa Taft-Kleid. Ich hatte auch ein Gedicht über ein Schlüsselkörbchen lernen müssen. Dieses Schlüsselkörbchen, welches ich nach dem Vortrag der Braut überreichen musste, steht symbolisch für die Schlüssel des neuen Heimes. Später tanzte die Braut mit mir Walzer. Alle klatschten und meine Oma war stolz auf mich.

    Der Unfall meines kleinen Bruders

    Wir Kinder spielten draußen. Ich wohl mehr in Hof und Garten meiner Oma, aber meine Brüder spielten auf der Straße, das war üblich. Einmal war meine Mutter zu einer Feier nach Wolfsburg eingeladen und meine Oma sollte auf uns Kinder aufpassen. Dies ging völlig daneben, denn meine Oma wohnte ja in einer anderen Straße und hatte die Jungs gar nicht im Blick.

    Mein jüngerer Bruder turnte unter einem parkenden LKW rum. Er versteckte sich im Radkasten und wollte wahrscheinlich heimlich mitfahren. Als der Laster anfuhr, rutschte er auf die Straße und geriet zwischen die schweren Hinterräder. Es gab ein großes Geschrei der umstehenden Leute und mein Bruder wurde zu einem nahegelegenen Arzt gebracht, beziehungsweise wurde dieser herbeigeholt. Der Unfall sprach sich wie ein Lauffeuer in Vorsfelde herum. Meine Oma stürzte daraufhin die Straße entlang zur Arztpraxis, und ich lief hinterher.

    Vor der Arztpraxis hatte sich eine große, neugierige Menschentraube gebildet. Ich konnte gar nicht richtig gucken. Dann ging die Tür auf und ich sah, wie der Arzt meinen Bruder auf einem Kissen hinaustrug in Richtung Krankenwagen. Mein Bruder war blutverschmiert mit hängenden, teils gebrochenen Gliedern. Ich erinnere mich daran, dass ich dachte, warum lässt mich keiner durch. Er ist doch mein Bruder. Aber aus Schüchternheit sagte ich nichts. Dann sah ich, wie meine Oma mit in den Krankenwagen stieg und wie sie wegfuhren. Ich wurde stehen gelassen. Verstört trottete ich in die Wohnung meiner Mutter. Dort kam auch der andere Bruder nach dem Spielen hin. Wir warteten ängstlich auf die Heimkehr unserer Mutter und Oma, die dann auch irgendwann kamen. Mein kleiner Bruder kehrte erst nach ein paar Wochen mit einem Gipsbein aus dem Krankenhaus zurück.

    Der Bruch

    Dann kamen weniger glückliche Zeiten. Meine Mutter kam oft in Geldnot und borgte sich bei meiner sparsamen Oma hin und wieder mal Geld, bis es zu Streitigkeiten kam, weil der neue Mann meiner Mutter ein Geldverschwender war. Er vertrank das Geld und meine Oma wollte das nicht tolerieren. Dann sagte meine Mutter, sie solle es sich überlegen. Sie könne ja auch das Kind wieder zu sich holen. Sie sagte, sie werde am nächsten Tag wiederkommen und dann würden sie gemeinsam das Kind, also mich, befragen, wo es denn lieber leben wolle, bei der Mutter oder bei der Oma.

    Als meine Mutter weg war, nahm mich meine Oma auf den Schoß und wollte mich auf den nächsten Tag vorbereiten. „Was wirst du denn morgen sagen?", fragte sie. Mir war zum Weinen zumute. Ich war völlig überfordert. Natürlich wollte ich einerseits lieber bei meiner Mutter und meinen Brüdern sein. Die beste Oma der Welt kann doch niemals die Sehnsucht nach der Mutter stillen. Aber ich fühlte mich in der Zwickmühle, denn schließlich hatte ich meine Oma ja auch sehr gerne.

    Am nächsten Tag kam die Zerreißprobe. Oma und Mutti starrten gebannt auf mich, als ich nun gefragt wurde, wo ich denn nun lieber wäre. Ich senkte den Kopf, schaute auf den Boden und sagte schüchtern: „Bei Beiden."

    Somit blieb ich bei der Oma.

    Der Umzug

    Kurz darauf überschlugen sich die Ereignisse. Sowohl meine Mutter als auch meine Oma mussten Vorsfelde verlassen.

    Der neue Mann meiner Mutter bekam eine Stelle als technischer Zeichner in Helmstedt angeboten und dazu eine Wohnung in Mariental-Horst, acht Kilometer entfernt davon. In meiner Erinnerung verließ meine Mutter mit Mann und meinen zwei Brüdern in einer Nacht- und Nebelaktion den Heimatort. Ich wurde ferngehalten, durfte die Abfahrt nicht sehen und wurde auch nicht verabschiedet.

    Sie waren auf einmal weg.

    Sonst war es manchmal so gewesen, dass ich nach der Schule über den Kirchplatz bummelte und dann in der Kirchstraße bei der Familie meiner Mutter mit dem neuen Mann vorbeiklingelte. Was dieser gar nicht gern sah.

    Nun waren sie aus der Straße einfach verschwunden.

    Ich konnte das gar nicht begreifen. Auf dem Weg zu meiner Oma starrte ich ständig auf die wiederkehrenden Wahlplakate mit dem Bild von Konrad Adenauer darauf und dem Text: „Keine Experimente."

    Meine Oma tröstete mich damit, dass ich ja in den Ferien gern dorthin fahren könne, worauf ich mich dann auch riesig freute.

    Das Fachwerkhaus in Vorsfelde teilte sich meine Oma mit ihrer Schwester, meiner Großtante Mariechen. Es war das gemeinsame Elternhaus. Tante Mariechen bewohnte bereits mit ihrer Familie nach und nach das ganze untere Stockwerk und die halbe obere Etage. Im Rest des Hauses bzw. in der anderen oberen Hälfte wohnten ja meine Oma und ich. Aber nun wollte Tante Mariechen, weil ihr Mann in Pension ging, unbedingt das ganze Haus für sich und ihre Familie beanspruchen. Meine Oma sollte ihren Teil abtreten und ausziehen, natürlich gegen eine zeitgemäße Auszahlung. Obwohl meine Oma die Ältere der beiden war und von daher eigentlich das größere Recht an dem Haus hatte, hatte sie keine Chance gegen den Kampfgeist der hartgesottenen Schwester. Es gab unendlich viele und lautstarke Streitereien zwischen den beiden, bis meine Oma schließlich aufgab. Ihre einzige Bedingung war, ihre Wohnung zum Tausch anbieten zu dürfen. Lieber akzeptierte Tante Mariechen eine fremde Familie als meine Oma. In dieser Zeit war meine Großkusine Brigitte, die unten wohnte, mein einziger Trost.

    Oft saßen wir gemeinsam im Treppenhaus auf der hölzernen Treppe mit dem wunderschön gedrechselten Treppengeländer und litten gemeinsam unter dem Gekreische der Schwestern, das sich oft vor unseren Augen unten im Flur abspielte.

    Ich erinnere mich gut an den Abend, als mir meine Oma traurig und sehr ernst mitteilte, dass wir nach Braunschweig ziehen würden. Sie hätte über die Braunschweiger Zeitung eine Tauschfamilie gefunden. Es gab ja Mitte der 1950er Jahre noch nicht viele Wohnungen und man konnte eigentlich nur tauschen. Das ehemalige Familienhaus in Braunschweig war schließlich durch Bomben zerstört worden. Aber ein älteres Ehepaar wollte gern aus ihrer kleinen Wohnung weg aus Braunschweig und so kamen wir dorthin.

    Später erfuhren wir, dass der Nachmieter bzw. Tauschmieter bereits im ersten kalten Winter in Vorsfelde verstorben war.

    Der Wäschekorb

    In Braunschweig konnte ich mich nicht richtig einleben. Alles war so fremd. In der Schule waren sie viel weiter als ich. Ich fühlte mich sehr einsam. Ich war doch erst zehn oder elf Jahre alt. Wenn ich doch wenigstens ein Schwesterchen gehabt hätte! So erfand ich einfach eines. Ich nahm den aus Weide geflochtenen Wäschekorb meiner Oma vom Schrank, packte meine kleine Babypuppe aus Gummi, damals meine einzige Puppe, hinein und legte ein Kopfkissen darüber. In der Schule habe ich dann mit meinem Schwesterchen angegeben. Eine Schulkameradin, die neben mir saß, wollte unbedingt das Baby sehen und kam mit zu mir nach Hause. Ich sagte ihr, sie müsse ganz still sein, das Baby würde schlafen und wir dürften es nicht wecken. Sie solle nur einen kurzen Blick in den Korb werfen.

    Ich hatte die Puppe bis über das Näschen gut zugedeckt, so dass man nur das blanke Gummiköpfchen etwas sehen konnte.

    „Ach, ist das niedlich", sagte sie nur.

    Ein paar Tage später kam die Mutter der Klassenkameradin vorbei und brachte ein hübsches, rosafarbenes Strampelhöschen als Geschenk für das Baby mit. Meine Großmutter war an der Tür. Sie glaubte ihren Ohren nicht zu trauen. „Was denn für ein Baby? Aufgeregt rief sie mich herbei und sagte: „Das ist ja wohl ein Spektakelstück.

    Später musste ich mit einem Blumenstrauß zu dieser Familie gehen und mich entschuldigen.

    Ferien im Wald

    Endlich Sommerferien! Ich durfte nach Mariental-Horst fahren, zu meiner Mutter und meinen zwei Brüdern.

    Mariental-Horst, ein ehemaliger Fliegerhorst aus dem 2. Weltkrieg, liegt wunderschön direkt am Lappwald. Der Naturpark Elm ist auch ganz in der Nähe. Der kleine Ort bestand praktisch nur aus drei uförmigen Wohnblöcken: dem Tulpenhof, dem Rosenhof und dem Nelkenhof. Letzterer damals als „Polenhof" bezeichnet, wegen der vielen Umsiedler.

    Wir wohnten direkt am Wald, im Tulpenhof.

    Für uns Kinder war es ein Paradies. Wir konnten im Wald spielen. Außerdem gab es im Nachbarort Grasleben ein Kino, wo wir sonntags hingehen durften. Es gab die 1950er-Jahre-Filme: Viele Western und

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