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Der Málaga-Mann: BsB_Schicksalsroman
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Der Málaga-Mann: BsB_Schicksalsroman
eBook215 Seiten3 Stunden

Der Málaga-Mann: BsB_Schicksalsroman

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Über dieses E-Book

Málaga-Mann nennen sie ihn. Abend für Abend sitzt er in einer Hafenkneipe in Málaga. Unverkennbar durch die über das ganze Gesicht verlaufende Narbe und die Risse auf den Armen. Die Neulinge starren ihn an. Manchmal kommen sie mit ihm ins Gespräch. Für einen Schnaps erzählt er ihnen seine schaurig-schöne Legionärsgeschichte.
Aber die ist erfunden. Seine wahre Geschichte ist zu grausam und für ihn selbst zu demütigend. Sie begann, als er eines morgens, zusammen mit seiner fünfzehnjährigen Schwester Marisol aus einer kleinen Dorfkirche in Andalusien kam und auf eine Gruppe von Deutschen traf. Lockere Moral trifft verhängnisvoll auf strenge spanische Sitten.
SpracheDeutsch
HerausgeberBest Select Book
Erscheinungsdatum10. Nov. 2015
ISBN9783864663642
Der Málaga-Mann: BsB_Schicksalsroman

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    Buchvorschau

    Der Málaga-Mann - Hinrich Matthiesen

    Hinrich Matthiesen

    Jahrgang 1928, auf Sylt geboren, wuchs in Lübeck auf. Die Wehrmacht holte ihn von der Schulbank. Zurück aus der Kriegsgefangenschaft, studierte er und wurde Lehrer, viele Jahre davon an deutschen Auslandsschulen in Chile und Mexiko. Hier entdeckte er das Schreiben für sich.

    1969 erschien sein erster Roman: MINOU. Dreißig Romane und einige Erzählungen folgten. Die Kritik bescheinigte seinem Werk die glückliche Mischung aus Engagement, Glaubwürdigkeit, Spannung und virtuosem Umgang mit der Sprache. Die Leser belohnten ihn mit hohen Auflagen.

    Immer stehen im Mittelpunkt seiner Romane menschliche Schicksale, Menschen in außergewöhnlichen Situationen. Hinrich Matthiesen starb im Juli 2009 auf Sylt, wo er sich Mitte der 1970er Jahre als freier Schriftsteller niedergelassen hatte.

    »Zum literarischen Markenzeichen wurde der Name Matthiesen nicht zuletzt durch die Kunst, in eine pralle Handlung Aussagen zu verweben, die außer dem aktuellen stets auch einen davon unabhängigen Bezug haben. Gedankliche Strenge, sprachliche Disziplin und ein offensichtlich unauslotbarer verbaler Fundus lassen Matthiesen zu einem Kompositeur in Prosa werden.«

    Deutsche Tagespost

    »Matthiesen ist zu beneiden um seine Fähigkeiten: Kompositionstalent, menschliche Einfühlung, scharfe Beobachtungsgabe – und vor allem um seinen Stil«

    Deutsche Welle

    »Matthiesen ist für seine genauen Recherchen bekannt. Seine Bücher weichen nicht einfach in exotische Abenteuer aus, sondern befassen sich immer wieder mit deutscher Vergangenheit und Gegenwart. Unterhaltsam sind sie allemal.«

    FAZ-Magazin

    Werkausgabe Romane Band 15

    Herausgegeben von Svendine von Loessl

    Der Roman

    Málaga-Mann nennen sie ihn. Abend für Abend sitzt er in einer Hafenkneipe in Málaga. Unverkennbar durch die über das ganze Gesicht verlaufende Narbe und die Risse auf den Armen. Die Neulinge starren ihn an. Manchmal kommen sie mit ihm ins Gespräch. Für einen Schnaps erzählt er ihnen seine schaurig-schöne Legionärsgeschichte. 

    Aber die ist erfunden. Seine wahre Geschichte ist zu grausam und für ihn selbst zu demütigend. Sie begann, als er eines morgens, zusammen mit seiner fünfzehnjährigen Schwester Marisol aus einer kleinen Dorfkirche in Andalusien kam und  auf eine Gruppe von Deutschen traf. Lockere Moral trifft verhängnisvoll auf strenge spanische Sitten.

    Titelverzeichnis der Werkausgabe in 31 Bänden am Ende des Buches

    Hinrich Matthiesen

    Der Málaga-Mann

    Roman

    :::

    BsB_BestSelectBook_Digital Publishers

    Werkausgabe Romane

    Herausgegeben von Svendine von Loessl

    Band 15

    Alle Rechte vorbehalten

    © 2015 by BestSelectBook_Digital Publishers München

    ISBN 978-3-86466-364-2

    1.

    »Natürlich nannten sich die meisten von uns anders, als sie in Wirklichkeit hießen, denn wer in die Fremdenlegion geht, will seine Vergangenheit auslöschen. Er will einen neuen Anfang, und den schafft er leichter mit einem neuen Namen. Ich hatte sogar zu meinem wirklichen und dem erfundenen noch einen dritten, und bei dem blieb es dann auch während der ganzen viereinhalb Jahre. Sie nannten mich den Málaga-Mann, und dazu war es nur deshalb gekommen, weil so ein Schinder von Korporal mir eines Tages das Bild meiner Mutter wegnahm. Auf der Rückseite war das Foto-Atelier in Málaga angegeben. Dabei stammt meine Familie gar nicht aus der Stadt, sondern aus einem kleinen Dorf in der Umgebung. Es liegt etwa fünfzig Kilometer nordöstlich von hier, noch hinter Colmenar; ungefähr da, wo der Río Vélez entspringt. Der Korporal fand also zwischen meinen Sachen das Bild meiner Mutter. Er sah es sich lange an, drehte es auch um und sagte dann ›Malagueño!‹ Obwohl er Belgier war, sagte er es in korrektem Spanisch. Seitdem hieß ich für ihn nur noch Málaga-Mann und bald auch für alle anderen. So was schleift sich schnell ein, zumal, wenn man damit so herrlich fluchen kann. Malagueño! Man packt seinen ganzen Zorn hinein, und dann klingt es wie Gewitter. Wie oft hat der Schinder diesen Namen über den Platz gebrüllt, auch wenn ich gar nichts getan hatte!«

    José machte eine Pause, griff nach seinem Glas, hob es aber noch nicht, sondern spielte, während sein ausgestreckter rechter Arm auf der Tischplatte lag, eine Weile mit der sangría, die ihm die Gäste der kleinen Taverne aus ihrer Karaffe spendiert hatten, schwenkte die rote Flüssigkeit mit den Früchten und Eiswürfeln hin und her. Doch niemand sah auf das Glas oder auf die dunklen Finger, die es hielten. Aller Augen waren jetzt auf die zahllosen großen und kleinen Narben gerichtet, die vom Ärmelsaum des schwarzen T-Shirts bis hinunter zum Ansatz des Handrückens den Arm bedeckten. Eigentlich sah es gar nicht mehr aus wie ein Arm, vielmehr wie eine zerklüftete Textur oder auch, je nach der Fantasie des Betrachters, ein von hundert Messerhieben zersplissenes Stück Holz.

    José beobachtete aus den Augenwinkeln, wie die Gäste – vorwiegend Touristen, auch ein paar Ausländer dabei – das wirre Narbengeflecht bestaunten, und es gehörte zu seinem Programm, dass er nach einigen Sekunden auch den linken Arm, der bis dahin unter der herabhängenden Leinendecke verborgen gewesen war, auf den Tisch legte. Er hörte, wie eine Frau ein langgezogenes, kehliges »Oh!« von sich gab. Sein Blick streifte sie, und er sah, obwohl der Laut längst heraus war, den immer noch halb geöffneten Mund, entdeckte den lasziven Zug um die Lippen.

    Auch der hinzugekommene Arm war übersät mit Narben und Schrunden, die blauweiß schimmerten wie Perlmutt.

    Nachdem José getrunken und seine Arme wieder vom Tisch genommen hatte, kehrten aller Augen zurück zu seinem Gesicht. Vielleicht ahnten die Umsitzenden, dass es einmal ein schönes Gesicht gewesen war. Die linke Seite hatte noch den ebenmäßig braunen Teint. Im linken Auge loderte noch ein Rest Leidenschaft. Und der Mund – wenn es einem denn gelang, nur auf die linke Hälfte zu sehen – ließ vermuten, dass er früher geeignet gewesen war, die Frauen zu verwirren.

    Aber die rechte Seite! Nicht nur die Wange, sondern die ganze Spanne zwischen Schläfe und Kinn war in der gleichen Weise gezeichnet wie die beiden Arme. Und dort, gerade dort, am Kopf, im Gesicht, in jener Zone des menschlichen Körpers, die das ganz Eigene und Einmalige, das Unverwechselbare beherbergt, wirkte sich die Zerstörung besonders verheerend aus.

    Ein zerschundener Arm, was ist das schon? Man kann ihn unter der Kleidung verstecken. Auch zwei Arme kann man verstecken und immer noch als unversehrt gelten. Aber das Gesicht! Es macht stets den einen, ganz bestimmten Menschen aus, und in diesem Falle war das José Luis Bahamondes, und sein Gesicht war zur Hälfte verwüstet!

    Und doch, weil er ein Mann war, jung noch und stattlich gewachsen, kam zu dem Erschauern, das sein Anblick auslöste, nicht selten etwas hinzu, was für manch einen der Betrachter, so als wirkte da eine geheimnisvolle Magie der Wunden, das Erschreckende und Abstoßende sogar wieder aufhob. Für die in der kleinen Taverne von Málaga versammelten Menschen war José ein heimgekehrter Krieger, mehr noch, er war ein Held, der sie mit seinem abenteuerlichen Bericht in Bann hielt.

    Und Fernando Rúiz, der Wirt, schenkte fleißig nach, zwinkerte auch manchmal seinem Partner zu, was Ermunterung und Lob bedeutete und heute vielleicht sogar die Verheißung eines Nachtlagers, denn das Geschäft lief wie noch nie, fast alle Stühle der früher nur spärlich besuchten Kaschemme waren besetzt, und immer wieder ertönte, wie die Begleitmusik zur Legionärsgeschichte, das Klingeln der alten, auf dem Schanktresen stehenden Registrierkasse.

    »Eines Nachts«, José senkte die Stimme, »wir waren in unserem Camp im Kongo, ertönte es wieder, diesmal allerdings ganz leise: ›Malagueño!‹ Der Korporal stand im Zelt neben meiner Pritsche. Ich fuhr hoch: ›Was ist?‹ ›Komm!‹, sagte er, ›aber zieh dich erst an!‹ Und dann fügte er hinzu: ›feldmarschmäßig!‹ Ich kroch also aus der Decke, schlüpfte in meine wie ein Leopardenfell gemusterte Montur, zog mir die Stiefel an, setzte den Helm auf, nahm Flinte, Lampe und Feldspaten auf und verließ das Zelt.

    Unser Camp lag in einem Talkessel. Über den Tanara-Bergen hing ein kleines Stück Mond, sodass nur wenig Licht ins Gelände fiel und ich mich noch eine Weile der Vorstellung hingeben konnte, die achtzehn großen Zelte wären richtige Häuser und ich ginge über die Avenida del Generalísimo und aus irgendeiner Tür käme gleich eine Frau auf mich zu. Ja, ich hatte verdammtes Heimweh, denn ich war schon viereinhalb Jahre bei dem Verein. Aber als ich in der Kommandantur ankam, waren alle Träume verflogen. Der Korporal, der mich geweckt hatte, wartete schon auf mich. Es war der Hurensohn Mercier, den wir ›die Ratte‹ nannten, weil er fast jeden Tag unsere Sachen durchwühlte.| Er suchte ständig Fotos von Mädchen und Frauen, schob aber immer irgendwelche hergeholten Erklärungen vor, zum Beispiel, es seien Gerüchte über subversive Pläne zu ihm gedrungen und nun forsche er nach beiseitegeschaffter Munition. Wir Grenadiere wussten es besser: Der geile Bock suchte wirklich nur nach Fotos. Übrigens, auf eine solche Weise war ihm auch das Bild meiner Mutter in die Finger gekommen. Ich überraschte ihn, als er in meinem Zelt stand und es sich ansah. Es war ein Jugendbild, und er fragte mich, wie die Kleine denn im Bett sei. Sie können sich denken, wie mich das traf. Nachdem er dann den Namen des Ateliers gelesen und mich Malagueño getauft hatte, gab er mir das Foto zurück. Ich habʼ es zerrissen, weil ich wusste, ich würde es nie mehr unbefangen ansehen können.

    Dieser Mercier also wartete auf mich vor dem Zelt der Kommandantur, und dann zogen wir los. Wir sollten die sieben Kilometer entfernte Brücke, die über den Wankuru-Fluss führte, sprengen, denn in derselben Nacht wurde ein Zug mit Nachschubeinheiten, Waffen und Munition für die Berber erwartet. Ich fragte: ›Wieso nur wir beide?‹ Darauf antwortete er: ›Zwei sind eigentlich schon zu viel. Im Lager wird jeder Mann gebraucht, weil in den Morgenstunden mit einer Offensive zu rechnen ist.‹ ›Und warum‹, fragte ich weiter, ›wissen die Männer noch nichts davon?‹ ›Unter euch sind ein paar Saboteure‹, sagte er, ›und damit die gar nicht die Zeit haben, was zu machen, wird es der Truppe so spät wie möglich mitgeteilt, erst beim Wecken.‹

    Der Weg über die Tanara-Berge war beschwerlich, denn sie sind steil und zerklüftet, und wir hatten eine Menge zu schleppen. Den Sprengstoff musste ich tragen, dazu meinen Karabiner, die Lampe, den Feldspaten, eine Zeltbahn und das Werkzeug. Er trug die Kabelrolle, etwas Proviant und die Verbandstasche.

    Ich hatte schon oft Fluchtgedanken gehabt, und in dieser ziemlich dunklen Nacht, weit weg vom Camp und mit dem größten Arschloch der Welt an meiner Seite, waren sie natürlich sofort wieder da. Aber dann dachte ich an meine Kumpels und daran, dass ich sie vielleicht ans Messer liefern würde, wenn wegen meiner Flucht der Zug durchkäme, und so sagte ich mir: vielleicht auf dem Rückweg. Aber schon während der ersten Marschstunde wurde Mercier, die Ratte, überraschend zu einem menschlichen Wesen. Er bot mir Zigaretten an und hielt mir seine Feldflasche mit Whisky hin. So was entwaffnet, und man denkt mit einem Mal gut von dem Kerl, übertreibt das und vergisst dabei das Miese, das man von ihm gewohnt ist.

    Einmal, wir waren schon fast oben, kam plötzlich Geröll herunter; da packte er meine Hand und riss mich zur Seite. Noch lange, nachdem er mich losgelassen hatte, spürte ich die Wärme dieser Berührung, und das war ein gutes, ein großes Gefühl in jener Nacht da oben in den Tanara-Bergen.

    Wir redeten nicht viel auf dem Weg. Nur einmal, nach vier Kilometern etwa, machten wir eine Rast, und da erzählte er mir, dass er eine Frau hätte und drei Kinder. In Bovigny. Und dass er schon vor vielen Jahren weggegangen sei. Er erzählte mir nicht, warum; sagte nur: ›Wenn die Zeit da ist, muss der Mann gehen.‹ Es klang wie eine Order von ganz oben.

    Die Rast dauerte nur fünf Minuten. Mehr, sagte er, könnten wir uns nicht leisten, denn die Ankunftszeit des Zuges sei ungewiss. Na ja, fünf Minuten genügten mir vollauf. Wir waren ganz andere Märsche gewohnt: dreißig, vierzig Kilometer an einem Tag, nicht selten mit siebzig, achtzig Pfund Gepäck auf dem Rücken. Dagegen war dieser nächtliche Weg, von der Kraxelei in den Bergen mal abgesehen, ein Spaziergang.

    Nachdem wir wieder aufgebrochen waren, fragte ich Mercier, was für eine Brücke es denn sei, und er antwortete: ›Es ist die einzige weit und breit, die über den Wankuru-Fluss führt. Sie ist aus Holz und Eisen, und ungefähr in der Mitte musst du unsere Ladung unter den Balken binden. Dann kommst du zurück, und wir warten auf den Zug. Wenn er auf der Brücke ist, lassen wir das Zeug hochgehen.‹ Und dann sagte er noch: ›Im Wankuru-Fluss gibt es Krokodile.‹

    Gegen vier Uhr am Morgen kamen wir an. Wir rauchten noch eine Zigarette, und dann behängte ich mich mit den Sachen, die ich brauchte: Dynamit, Lampe, Werkzeugtasche, Tau. Das lose Kabelende befestigte ich an meinem Koppel. Ich betrat die Brücke. Es war eine große, stabile Brücke aus dicken Bohlen und stählernen Trägern. Etwa in der Mitte kletterte ich über die Brüstung. Dann ließ ich mich vorsichtig ein Stück hinunter. In einem Winkel der Stahlkonstruktion fand ich einen Sitzplatz, von dem aus ich einigermaßen bequem arbeiten konnte. Ich umschlang das Bündel Dynamitpatronen mit dem Tau, und dann befestigte ich es unterhalb des Schienenstranges.

    Im Licht der Taschenlampe betrachtete ich noch einmal mein Werk, war zufrieden, trat den Rückweg an. Diesmal konnte ich nicht über die Brücke gehen, sondern musste durch das Trägersystem klettern, weil ich, jeweils in Abständen von zwei, drei Metern, das Kabel zu befestigen hatte. Auch das war keine schwere Arbeit. Mit Hilfe einer Rolle Leukoplast aus der Werkzeugtasche ging sie mir ziemlich schnell von der Hand. Ich musste nur aufpassen, dass ich nicht abrutschte und runterfiel. An einigen Stellen war das Eisen nämlich nass und glitschig. Vom Frühtau. Und ein gelegentliches Gluckern und Schnaufen vom Fluss her bestätigte mir, was Mercier gesagt hatte: dass es da unten Krokodile gab. Aber mit meinen einundzwanzig Jahren war ich kräftig und hatte gute Nerven. Auf die konnte ich mich bei jedem Tritt und bei jedem Handgriff verlassen. Es war auch gar nicht kalt. Der große Temperaturunterschied zwischen Tag und Nacht, der manchmal vierzig Grad betrug, war gefürchtet, aber an diesem Morgen, es war mittlerweile fünf Uhr geworden, machten mir die nur sieben, acht Grad über Null überhaupt nichts aus.

    Ich hatte bereits viermal das Kabel an den vertikal verlaufenden Streben befestigt, und der restliche Weg bis zum Ufer betrug noch etwa zwanzig Meter, da hörte ich den Zug. Er musste schon ziemlich nah sein, denn das Pfeifen der Lokomotive kam gegen den Wind und war dennoch laut und deutlich zu hören.

    Der Schreck fuhr mir in die Knochen. Ich wusste, auch wenn ich so schnell wäre wie ein Affe: Der Weg bis zum Ufer war nicht zu schaffen! Und der Sprung nach unten verbot sich von selbst. Schließlich: Mich hinaufschwingen und auf der Brücke neben den Schienen entlanglaufen, das ging auch nicht. Man hätte mich von der Lokomotive aus gesehen und abgeknallt. Außerdem hätte ich damit ja den Lokomotivführer gewarnt, und womöglich wäre es ihm gelungen, den Zug noch rechtzeitig zum Stehen zu bringen.

    Es war seltsam, ich stellte mir nicht die Frage, ob Mercier auf mich Rücksicht nehmen und die Sprengung unterlassen würde. Für mich stand fest: Er musste, egal, ob ich nun zurück wäre oder nicht, die Ladung zünden, sobald der Zug auf der Brücke war. Was zählt in einem solchen Augenblick das Leben eines einzelnen Legionärs, wenn es darum geht, die Versorgung des Feindes mit Kriegsmaterial und Soldaten zu unterbinden? Mir war klar: Sobald das Rattern der Waggons auf der Brücke ertönen und Stahl und Holz vibrieren würden, war mein Leben nur noch eine Sache von Sekunden. Aber selbst in einer

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