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Die Bettelprinzessin von Bethlehem
Die Bettelprinzessin von Bethlehem
Die Bettelprinzessin von Bethlehem
eBook501 Seiten8 Stunden

Die Bettelprinzessin von Bethlehem

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Über dieses E-Book

Bethlehem, so heißt das Waisenhaus, in dem die junge Luisa aufwächst - und "Bettelprinzessin" nennen sie alle im Dorf, seit sie in der Weihnachtszeit bei einem Umzug auf die große Not des Heimes aufmerksam machte. Mit ihrem pechschwarzen Haar ist sie das hübscheste Mädchen im Heim - und die Liebenswürdigkeit und Herzlichkeit, die sie allen entgegenbringt, erfüllt jedes Herz.
Doch aus ihrer dörflichen Heimat verschlägt es sie in weite Ferne: Als Assistentin eines Professors reist sie nach Argentinien, in dessen ungezähmtem Norden sie den feurigen Prinzen Alfredo de Caldera trifft, Junior-Patron der riesigen Farm "Paraiso" … und nichts ist mehr, wie es war.
In der überwältigenden Landschaft Argentiniens entfaltet sich Luisas Schicksal zwischen Liebe, Glück und einem Leidensweg, der schier über ihre Kräfte zu gehen scheint, bis endlich wieder Frieden im Paradies einkehren kann.
Mit leichter Hand liefert Autor Ludwig Steimer eine ergreifende Geschichte, die den Leser in ihrer Welt versinken lässt, und spannt dabei einen schillernden Bogen über zwei Kontinente und drei Generationen.

"Mit meinem Roman möchte ich den Menschen näherkommen, Beschwingtheit und Träume zum Vorschein bringen - und in der so komplizierten heutigen Zeit das Tempo des Alltags herunterfahren, damit wir den Blick wieder auf das ursprüngliche Leben richten können, das uns bestimmt ist."
Ludwig Steimer
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum7. Aug. 2017
ISBN9783744861830
Die Bettelprinzessin von Bethlehem
Autor

Ludwig Steimer

Es wird so sein, dass ich von „Ihnen“ etwas ab bekam. Von meiner Großmutter und Mutter. Großmutters Verse und Gedichte wurden seiner Zeit gerne in der Tages-Zeitung immer wieder veröffentlicht. Auch für meine Mutter galt das geschriebene Wort sehr viel und weiß Gott, wie viele Briefe, geschriebene Artikel und Verse sie aufbewahrt hatte in Schuhkartons, zwischen der Bettwäsche und Speik-Seife, im Kleiderschrank. Auch ich entdeckte das Schreiben schon als junger Mann und konnte philosophische Verse, Gedichte und Kurzgeschichten aus dem Stehgreif heraus auf Papier bringen. Es war dann nur eine Frage der Zeit, bis es dann immer mehr wurde und „das Geschriebene“, sich zu einem Roman entwickelte. Bestimmt liegt es auch an meiner schönen Heimat, in den Bergen, dass ich immer mehr Inspirationen bekomme für meine nächsten Romane.

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    Buchvorschau

    Die Bettelprinzessin von Bethlehem - Ludwig Steimer

    Paraiso-Tierra

    1. Kapitel

    Die Bettelprinzessin von Bethlehem

    Frieden ist’s wieder auf der ganzen Welt, Frieden auch in unserem Obersttaler Tal, in unserem Dorf Obersttal, Ruhe, die so gut tut und die Seele erwärmen lässt, Nebelschwaden an den Berghängen und hier unten im Ort brechen langsam auf, die Sonne strahlt schon hoch droben die Bergspitzen an und erhellt so langsam den Ort im goldenen Herbstkleid. Vöglein, du? Am Wegesrand noch verweilst, bist nicht zum Zuge gekommen, mit deinen Brüdern und Schwestern gen Süden zu fliegen, so halte dich an die Menschen bei diesem harten Winter hier, einen Menschen zu finden, der dich über den Winter kommen lässt.

    Wir schreiben das Jahr 1947, Freitag, den 27. Oktober. Die Menschen sind wieder nach vielen Jahren des Überlebenskampfes einigermaßen zur Normalität übergegangen. Aber für viele Menschen klingen immer noch die Sirenen in ihren Ohren, hauptsächlich den Müttern und Kindern hier ist es noch keine Normalität, viele Männer und Väter aus unserem Ort sind in der Fremde geblieben und wurden dort in fremder kalter Erde beerdigt. Selbst einige Kinder im Alter von 13 Jahren noch wurden durch einen Verräter in der Zeit von 1944 an die Herrschenden verraten, und das fast am Ende des Krieges, unter Zwang einberufen und sinnlos geopfert. Dies war in einem Nachbarort so geschehen. Wer verurteilte diese fürchterlichen Verbrechen, die an unseren Lieben begangen wurden? Niemand, es war ja nur der Krieg der Erwachsenen, und die nehmen sich das Recht, Kriege zu führen und Menschen umzubringen, weil es ihr Führer von ihnen für etwas Sinnloses verlangte. Wie viele Kinder mussten sterben in dieser Zeit? Dieser seelische Schmerz der verlorenen Kinder haftet heute noch und für immer an unseren Müttern, so viele Tränen werden noch fließen über ihre Wangen, lange Zeit, ohne Halt. Selbst wenn der Wind vieles weggetragen hat, die Narben in den Herzen lösen sich nie mehr auf. Vergessen dürfen wir auch nicht die vielen Mädchen und Jungen, die in der Kriegszeit und um das Kriegsende geboren wurden und durch die Kriegswirren verloren gingen oder auf Straßen ausgesetzt wurden. So wie auch Hunde, die lästig waren und die niemand mehr haben wollte, weil für sie das Futter nicht mehr ausreichte. In den Ohren, in diesem Augenblick, hört man die Kirchturmuhr schlagen, und schaut man nach oben zu ihr, so sieht man es genau, die Zeiger stehen auf 10.30 Uhr. Einige Frauen sind auf dem Weg ins Milch- oder Lebensmittelgeschäft oder sonst beschäftigt, das Normale vom Tag zu erledigen. Die Taschen sind nicht voll bepackt, wenn sie wieder die Geschäfte verlassen. Wie auch, sie können sich auch nur das Nötigste leisten, eineinhalb Jahre nach Kriegsende, aber man sieht, dass sich die Regale langsam wieder füllen. Es ist, wie man meinen könnte, heute ein ganz normaler Freitag, den Herbst riecht man in der Luft, die Berge so nah, als ob man sie greifen könnte, die letzen wärmenden Sonnenstrahlen machen sich langsam breit im Tal. Auch an diesem Vormittag fährt der Nachtzug von Mailand, über München kommend, im Bahnhof ein. „Alles aussteigen, ruft der Schaffner, „Endstation Obersttal. Die Fahrgäste verlassen den Zug und gehen auf den Bahnsteig Richtung Ausgang. So auch ein unauffällig gekleideter Mann mit einer Größe von etwa 180 cm, mit einer dunklen Hose, einem braunen, dreiviertellangen, gefütterten Woll- Jackett an und mit einem Schlapphut auf dem Kopf, der auch nicht mehr der neueste war, und einem zerbeulten Koffer in der Hand. Würde man nicht genau hinsehen, würde man es nicht bemerken, dass sich etwas unter seinem ausgeweiteten Jackett befindet. Zusammengebunden um den Hals zu einem Bündel. So verlässt er den Bahnhof und er weiß genau, wo er hinwill, weil er raschen Schrittes die Steinäckerstraße hinauf läuft. Keine zehn Minuten und er ist am Ziel. Er vergewissert sich, schaut nach links, schaut nach rechts, schaut zu den angrenzenden Häusern und bleibt vor einem größeren Anwesen stehen. „Hier wird es sein", denkt er und schiebt das Gartentürchen zur Seite, das nur angelehnt ist, und läuft ein paar Schritte weiter, bis er zur Haustür kommt. Er zieht an einem Metallknopf, der hinter der Tür mit einem festen Draht oben am Türrahmen mit einer Glocke verbunden ist. Er muss nicht lange warten und es wird ihm geöffnet. Nach einer knappen Stunde öffnet sich die Eingangstür wieder und der Mann tritt heraus, schaut nach links, schaut nach rechts, man hat das Gefühl, man solle ihn nicht sehen. Aber wenn man ihn genau ansieht, ist das Bündel unter seiner Wolljacke nicht mehr über seine Schulter gebunden. Raschen Schrittes läuft er die Straße hinunter und verschwindet Richtung Bahnhof.

    Von diesem Moment und Tage an hörte, geschweige sah, man ihn jemals im Ort wieder. Und er war verschwunden, als ob er nie hier gewesen wäre. Die Jahre gingen so ins Land und aus einem Baby, das damals im Bündel im Waisenhaus abgegeben wurde, ist heute ein kleines hübsches Mädchen geworden, mit pechschwarzen Haaren, zu Zöpfen geflochten, und dunklen Augen, man sieht ihr auch an, dass ihre Mama aus Süditalien stammte, das hübscheste Mädchen im ganzen Waisenhaus, das heute, am Sonntag, den 21.09.1956, ihren 9. Geburtstag feiert. Es wäre heute bestimmt eine noch schönere Feier geworden, wenn nicht erst vor 14 Tagen Schwester Lore an Herzversagen gestorben wäre. Sie war für uns alle hier die liebste Schwester im Waisenhaus, sie war die Mutter für 70 Mädchen.

    Wir alle im Kinderheim waren traurig, dass sie von uns gegangen war. „So, Luisa, sagte die Schwester Agathe zu mir, „du darfst jetzt die neun Kerzen auf der Schokoladentorte ausblasen, die, gefüllt mit Marmelade und überzogen mit Schokoladenguss, mein Lieblingskuchen und der vieler anderer Kinder hier auch war. Wenn wir Geburtstag hatten, konnten wir uns so eine gute Torte wünschen. Es war für uns immer der schönste Tag im Jahr neben Weihnachten, wenn wir auch Geschenke bekamen. Es war schon aufregend, so ein Geburtstag, wo ich alle meine Freundinnen einmal im Jahr einladen durfte, aber viel aufregender war für mich, was wohl in den schön verpackten Geschenken war, die auf dem Nebentisch lagen. Dies fühlte im Moment auch Oberschwester Agathe: „Nimm dir zuerst das längliche Paket mit dem Brief darauf, es ist ein Geschenk von Schwester Lore, die vor 14 Tagen von uns gegangen ist, Gott hab sie selig, es ist ein großer Verlust für uns alle und für das Kinderheim. Ich nahm das Paket mit der schönen roten Schlaufe und den Brief, der darunter eingesteckt war; und alle schauten gespannt auf mich; was in diesem Päckchen wohl war, das ich vom Tisch nahm? Ich öffnete die Schlaufe und entfernte das schöne Geschenkpapier, und mit zwei Handgriffen war der Karton geöffnet. Da lag sie nun, die Puppe, die ich mir immer gewünscht hatte, mit verschiedenen Kleidchen, die mir Schwester Lore genäht hatte. Und traurig wurde ich plötzlich, dass meine Lieblingsschwester nicht mehr am Leben war. Den Brief von ihr öffnete ich sofort, um ihn zu lesen. Da stand: „Mein Engelchen, meine liebe Luisa-Maria, wenn du meinen Brief liest, werde ich schon im Himmel sein, meine Liebe ist mit Gott und mit dir, auch wenn ich nicht mehr bei dir und unter euch sein kann, so werde ich immer mit dir sein, das Leben wird auch dir, liebe Luisa-Maria, nicht immer Sonnenschein bringen und du wirst oft denken, warum ist es so schwer? Verzweifle nie am Leben, Gott und ich werden immer bei dir sein. Bei den letzten Sätzen des Briefes versagte fast meine Stimme, weil mir Tränen über meine Wangen liefen, aber unter Tränen las ich ganz tapfer leise weiter vor. „Das Geld, das du bekommen hast, lege es auf ein Sparbuch, es wird dir eines Tages für deine Ausbildung nützlich sein. Schwester Oberin möchte dir bitte ein Sparbuch anlegen. Und so nahm ich aus dem Kuvert 1.200,00 DM und zehn 100-Dollar-Scheine und hob es hoch, dass alle es sehen konnten. Oh, so viel Geld. Ich dachte, jetzt bin ich ja reich. Ruhig wurde es jetzt im Zimmer, auch Schwester Agathe war sichtlich beeindruckt angesichts dieses kleinen Vermögens. „So, meine Kinder, jetzt trinkt euren Kakao und esst mal den guten Kuchen. Sie schaute in die Runde und fühlte mit mir, dass ich plötzlich so traurig war, und erhob sich von ihrem Stuhl und kam zu mir und drückte meinen Kopf an sich. „Nicht traurig sein, Luisa-Maria, wir hier sind alle deine Familie und wenn du einmal Sorgen hast, so komme nur zu mir, egal, was es auch sein mag, dass dich bedrückt, ich werde immer für dich da sein. So, und jetzt mach mal das nächste Päckchen auf, fuhr Oberschwester Agathe fort, und so nahm ich es ganz schnell vom Beistelltisch und ich fühlte, dass es weich war, und hatte es auch ganz schnell geöffnet. Ich sah einen beigefarbenen Pullover mit einem Reh auf der Vorderseite eingestickt. „Meine Lieblingsfarbe, juhu, rief ich vor Freude. „Der ist von mir, ergriff Schwester Oberin das Wort, „Er wird dir noch etwas zu groß sein, aber da ihr ja alle so schnell in die Höhe schießt, wird er in Kürze genau passen. Und so hatte ich ihn schon übergezogen, und ich zeigte mich allen meinen Freundinnen. Wie schön er doch sei, so kuschelig weich, und kratze nicht einmal, und ich sah zu meinen Freundinnen und merkte, dass bestimmt die eine oder andere etwas neidisch auf mich schaute, aber die haben ja auch bald Geburtstag und bekommen etwas Schönes zum Anziehen und dann sitze ich auch hier und bekomme nichts … Ich ging zur Schwester Oberin und bedankte mich mit einem Knicks, und sie sah, wie ich über das ganze Gesicht strahlte. „Ist schon recht, Luisa, aber jetzt lass dich mal genau betrachten, wie er sitzt. Sehr schön, stellte sie fest. „Und dreh dich mal, ja, passt sehr gut. Und streck mal deine Arme aus, auch gut. Sie sagte: „Ich habe bei einem anderen Mädchen in deiner Größe Maß genommen, sehr schön, passt, wie eine kleine Prinzessin … Das war jetzt zu viel der Worte, in einem Kinderheim waren alle gleich, da gab es keine Unterschiede, aber von der Schwester Oberin persönlich Prinzessin genannt zu werden, freute mich sehr. „So, Luisa, meinte die Schwester Oberin und schaute auf den Beistelltisch. „Und jetzt packe das nächste Päckchen aus. Heraus kam ein Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel. „Es ist von allen deinen Freundinnen hier. Und so bedankte ich mich bei jeder meiner Freundinnen persönlich. Und zu guter Letzt stand Oberschwester Agathe vom Tisch auf, ging zum Schrank und öffnete eine Tür, und heraus nahm sie ein Päckchen in der Größe eines Schuhkartons, das mit einem Speckpackpapier und einer alten Kordel eingebunden war. „Liebe Luisa, sagte Oberschwester Agathe, „dieses Päckchen ist von deiner Mutter aus Mailand, ich wollte es dir erst, wenn du älter bist, aushändigen, aber ich denke, du bist schon sehr groß für dein Alter. Halte es in Ehren, es sind Briefe und persönliche Dinge von deiner Mutter darin, so hat es mir der Mann erzählt, der dich vor neun Jahren hier bei uns abgegeben hat. Aber sei so gut, öffne es erst, wenn du in deinem Zimmer und alleine bist. Und so übergab sie mir das Päckchen und plötzlich war es wieder ganz ruhig im Zimmer, weil meine Freundinnen ja auch das gleiche oder ähnliche Schicksal erfahren mussten, oft nicht wussten, wie es um ihre Vergangenheit geschehen war und woher sie kamen, als sie einfach so im Waisenhaus abgegeben wurden.

    So stellte ich das Päckchen von meiner Mutter auf die Kommode neben mir und ließ es nicht mehr aus den Augen. Endlich, so ging es mir im Kopf herum, nach neun Jahren zu wissen, dass ich auch einmal eine Mutter hatte und jetzt von ihr persönliche Dinge erhalte. So endete mein schönster Tag im Jahr und nach ein paar Mensch-ärgere-dich-nicht-Spielen sagte Schwester Oberin, dass wir jetzt langsam das Zimmer aufräumen sollten, weil es gleich 17.30 Uhr wäre und wir zum Abendessen gehen müssten. Nach dem Abendessen und Heute-nicht-mehr-aufräumen-Müssen in der Küche, wegen meines Geburtstags, ging ich wie gewohnt Richtung Schlafräume und merkte plötzlich aus meinem heutigen Anlass, dass ich ja umgezogen war, das hieß, wenn hier jemand von den Kindern ins Gymnasium kam, wohnten und schliefen diese in einem Zwei- bis Vierbettzimmer im 3. Stock, mit einem Schreibtisch für jeden Mitbewohner. So hatte ich meinen ersten gesellschaftlichen Aufstieg im Kinderheim. Meine beiden Mitbewohnerinnen, die Claudia und die Anna, kannte ich schon. Sie waren auch schon fast so lange im Kinderheim wie ich, die Susanne war ebenfalls als Säugling in einem Karton vor das Kinderheim gestellt worden. Wir verstanden uns vom ersten Moment an bestens, und das war auch gut so, wenn wir etwa die nächsten acht bis neun Jahre zusammenwohnen sollten. Es war für mich eine verhältnismäßig schöne Zeit angebrochen, da ich jetzt ins Gymnasium ging. Dieses lag etwas außerhalb vom Kinderheim, was für uns und für mich bedeutete: Wir hatten freien Ausgang, waren nicht mehr eingesperrt und wir konnten uns frei bewegen. Die Schule wurde in mehreren Etappen abgehalten, Jungen und Mädchen getrennt, weil zu dieser Zeit nach dem Krieg noch nicht genug Schulräume zur Verfügung standen. Das Schönste für uns Mädchen war nach der Schule am Samstag, über den Marktplatz an der Kirche entlang zu laufen, wenn Markt war. Oh, so viele Früchte, Trauben, Äpfel oder Gemüse und viele schöne Blumen gab es zu sehen. Bei einem Stand blieb ich immer stehen, weil der so viel Früchte und Gemüse aufgebaut hatte und weil mich die Marktfrau angesprochen hatte, die dahinter stand, und ich alles genau ansah, als ob ich etwas kaufen wollte. Sie merkte aber wohl sehr schnell, dass ich kein Geld hatte. „Na, du hübsche Föhl, wie ist dein Name?, wollte sie jetzt wissen. Sie kam hinter ihrem Stand hervor, gab mir ihre Hand und sagte: „Ich bin die Resel, und du bist also die Luisa? „Ja, antwortete ich und sah sie dabei andächtig an. „Und zu wem gehörst du? Auf diese Frage war ich nicht gefasst. „Na, zu wem denn, sag schon, wollte sie wissen. Und etwas kleinlaut sagte ich: „Ich wohne im Kinderheim. „Nun gut, meinte sie, „man kann es sich ja nicht suchen, woher man kommt, holte eine Tüte hinter ihrem Stand und gab drei große, rote Äpfel hinein. „Entschuldigung, Frau Resel … Etwas bittend sagte ich: „Wir sind vier Mädchen im Zimmer. „Auch recht, sie schmunzelte, und so legte sie noch einen dazu in die Tüte und überreichte sie mir. Meine Augen fingen zu leuchten an. „Danke, danke, danke, Frau Resel, danke. „Ist schon gut, antwortete sie, und so lief ich schnellen Schrittes und voller Freude nach Hause, wo ich ankam, schnell nach oben die Treppen hinauf lief, um meinen Schulranzen und die Tüte Äpfel in unser Zimmer an meinen Platz zu legen, meinen Anorak auszog und schnellstens nach unten in den Speisesaal lief. Alle, die Schwestern und Mädchen, waren schon anwesend, und ich bekam sofort von der Schwester-Aufsicht einen strafenden Blick, weil ich mich etwas verspätet hatte. Als ich auf die große Uhr sah, die über dem Eingang zum Speisesaal hing, da war es genau 12.35 Uhr, so lag ich noch mit fünf Minuten über der Zeit im Limit. Späterkommen wurde nicht geduldet, da hieß es dann zwei Tage Küchendienst wie Abräumen, Gemüse putzen und sonstige Dinge verrichten, die in einer Küche anfallen. „Warum kommst du jetzt so spät?, wollten meine Zimmerbewohnerinnen wissen, als ich an ihren Tisch kam. „Ja, ich ging halt noch über den Markt und hab euch Äpfel mitgebracht", war meine Antwort. Oh, hatte ich jetzt einen Hunger und konnte es kaum erwarten, bis die Schwester mit dem Mittaggebet fertig war und uns einen guten Appetit wünschte. Kohlrouladen mit Speck-Zwiebelsoße und Salzkartoffeln gab es heute, als alle ihren gefüllten Teller vor sich hatten, war absolute Ruhe im Saal. Einen Hunger hatten wir immer, sodass wir manchmal dachten, ob es wohl reiche, was auf den Tisch kam, aber satt wurden wir dann doch. Unser Tagesablauf hier war genau eingeteilt. Nach dem Essen konnten wir eine Stunde ausruhen und dann mussten unter Aufsicht der Älteren Schularbeiten gemacht werden. So hatten wir Kinder vom Heim einen sehr guten Notendurchschnitt, der immer besser war als der von den Kindern draußen.

    Der goldene Herbst hatte sich schon seit einiger Zeit verabschiedet, über die Nacht kam der erste Schnee ins Tal und es wurde so richtig kalt, in der Nacht 10 bis 12° C minus. Und so bekamen wir zusätzlich Bettflaschen in unser Bett, um uns daran zu wärmen, aber dies nutzte bei meiner Freundin Susanne wenig. Sobald es in der Nacht sehr kalt wurde, dauerte es nicht lange und sie schaute von ihrem Bett herunter zu mir, da ich unten lag, und sagte: „Mir ist so kalt, darf ich zu dir kommen? Und so war es in der kalten Jahreszeit fast immer, dass meine Freundin Susanne sich an meinem Rücken erwärmte. Immer wieder musste ich die letzten Tage an das Päckchen von meiner Mutter denken, das mir Schwester Agathe zu meinem Geburtstag ausgehändigt hatte, und so kam eine günstige Gelegenheit, als meine Mitbewohnerinnen zum Mittag einmal draußen waren, um zu spielen. So ging ich an meinen Schrank und holte das Päckchen, das ich unter meiner Wäsche versteckt hatte, hervor und setzte mich an meinen Schreibtisch. Das Speckeinpackpapier hatte ich schnell samt Kordel entfernt und so öffnete ich behutsam den Deckel vom Schuhkarton. Mein Herz begann zu klopfen, als ich die Gegenstände darin sah, alle von meiner Mama, mehrere Briefe, und zum ersten Mal sah ich meine Mama auf einem Bild und ich strich mit meinen Fingerspitzen liebevoll über das Gesicht von meiner Mama. Wie schön sie doch war, ich musste sie eine ganze Zeit lang ansehen. So stellte ich das Bild von meiner Mama vor zwei Bücher, dass ich sie genau sehen konnte. Den ersten Brief nahm ich heraus und entfaltete ihn. „Mein liebstes und schönstes Kind auf Erden, wenn du diese Zeilen liest, werde ich schon lange im Himmel sein, es tut mir so leid, dass ich dich, mein Herz, aufgrund meiner Krankheit nach deiner Geburt verlassen musste, aber Gott wollte es so, wie so viele ungerechte Dinge zu dieser Zeit. Ich möchte dir nun etwas von mir erzählen, damit du auch weißt, wer deine Mutter war. Mein Name ist, war, Raffaela-Luisa Alberto, ich bin am 03.04.1927 geboren, in der Nähe der Stadt Brindisi in Süditalien. Ich hatte noch drei Schwestern und einen Bruder, wir und dein Großvater haben auf einem Landgut gelebt, wir alle mussten für einen Großgrundbesitzer arbeiten, auch wir Kinder. Der Sohn des Grundbesitzers verging sich an mir, mehrmals, als ich dreizehn Jahre alt war. Wir zeigten dies bei der Polizei an, aber hier lachte man uns nur aus und meinte, wir könnten ja gehen. „Zigeuner haben hier sowieso nichts zu sagen, geht wieder in euer Land zurück, dies waren die Worte des Polizeichefs aus einem Vorort von Brindisi. Wir bekamen immer weniger zu essen und lange Zeit keinen Lohn, sodass wir unser Hab und Gut zusammenpackten und nach Mailand gingen. Dort nahmen wir jede Arbeit an, die wir bekamen, um nicht zu verhungern. Durch Beziehungen, die dein Großvater durch seine Arbeit knüpfte, bekam ich eine Arbeit in einem sehr wohlhabenden Haus als Hausangestellte. Hier ging es mir sehr gut, weil ich auch hier wohnen musste, um immer da zu sein, wenn Gäste kamen, die ich bedienen musste. Ich war gerade 16 Jahre alt geworden, als ich deinen Vater, den Sohn des Hauses, kennen lernte. Er durfte für ein Wochenende von der Front nach Hause. Wir waren sofort ineinander verliebt, als wir uns zum ersten Mal im Salon des Hauses sahen und ich ihm einen Kaffee servierte. So begann unsere Beziehung. Er kam, so oft es möglich war, nach Hause und zu mir, wir wollten heiraten, auch wenn sein Vater dagegen war – gegen so eine Hochzeit, wie er es nannte. Dein Vater war hoher Nachrichtenoffizier in der deutschen Wehrmacht und war beim Kampf von Monte Cassino dabei, als die Amerikaner am 15.02.1944 das Bombardement mit 200 US-Bombern der 12. und 15. Luftflotte eröffneten, so wurde in zwei Angriffswellen von den Alliierten Monte Cassino in ein Trümmerfeld verwandelt. Am 17.05.1944 wurde Monte Cassino von den Deutschen aufgegeben, weil sich die Lage in Italien zu Gunsten der Alliierten verändert hatte. Als der Krieg schon einige Zeit zu Ende war, musste dein Vater zurück nach Monte Cassino, um dort die restliche Munition und Bomben mit einer Sprengstoff-Spezialeinheit zu entschärfen. Dabei passierte es, dass eine Bombe hochging und dabei drei Mann ums Leben kamen, darunter auch dein Vater. Dein Vater wusste, dass ich schwanger war und wir heiraten wollten, aber leider kam es nicht mehr dazu. So konnte ich durch Recherchen einen deutschen Soldaten ausfindig machen, der sich noch in Mailand befand und mit deinem Vater in Monte Cassino gekämpft hatte, dieser hat dich dann nach Deutschland nach Obersttal in das Heim gebracht, weil ich nicht wollte, dass mein Schwiegervater dich bekommt, weil er ja gegen mich war. Von deiner Verwandtschaft in Italien weiß niemand, wo du bist. Mein liebstes Kind, jetzt weißt du, woher du kommst und wer du bist, ich werde immer bei dir sein, in deinem Herzen, in Liebe, deine Mutter, Gott ist mit dir. Wie angespannt und reglos saß ich da und las den Brief meiner Mama immer wieder, von meiner allerliebsten Mama, jetzt endlich zu wissen, wer ich war und woher ich kam, da blieb es nicht aus, dass mir immer mehr Tränen aus den Augen rollten und ich laut schluchzte. „Oh, meine liebe Mama, meine Mama und mein Papa, waren immer wieder meine Worte, die von meinen Lippen kamen. So legte ich den Brief nach einiger Zeit wieder zurück in den Schuhkarton und sah in einem anderen Kuvert ein goldenes Kettchen von meiner Mama, mit einem Kreuz daran. Vor Glück und großem Schmerz in meinem Herzen küsste ich es und hängte es um meinen Hals und dachte: „So, Mama, jetzt bist du immer bei mir", und weinte in mein Kissen, das ganz nass wurde von meinen Tränen. Das erste Mal in meinem Leben konnte ich richtig um meine Mama weinen, von der ich vorher nichts wusste und die heute nicht mehr ist. Aber in meinem Herzen ist meine liebe Mama für immer da. Wie lange ich in mein Kissen weinte, weiß ich nicht mehr, nach einiger Zeit stand ich auf und brachte mein persönliches Heiligtum, den Schuhkarton mit den Dingen meiner Mama, wieder in meinen Schrank.

    Die Adventszeit hatte begonnen, eine sehr schöne Jahreszeit, diese vorweihnachtliche Zeit. Im Ort wurden die Straßen mit Girlanden geschmückt, vor der Kirche wurde ein sehr großer Weihnachtsbaum aufgestellt, der beinah bis zur Kirchturmspitze reichte und bestimmt über 1000 Lichter hatte. Unser Heim verschönerte sich auch von Tag zu Tag immer mehr mit weihnachtlichen Dekorationen. Drei Tage vor Nikolaus begann die Zeit der Weihnachtsbäckerei, das hieß, ab Mittag nach dem Essen duftete das ganze Haus nach Weihnachtsplätzchen, nach Lebkuchen, nach Springerle, nach Spritzgebäck usw. Ab dieser Zeit wollten wir alle plötzlich Küchendienst leisten, um etwas abzubekommen von den guten Plätzchen. Da leisteten es sich auch manche, etwas zu spät zum Essen zu kommen, um Strafdienst in der Küche abzuleisten. So war die Küche zu dieser Zeit fast immer überbelegt mit helfenden Händen … und noch drei Tage, so lange kam es uns allen vor, noch drei Tage bis Nikolaus, eine Ewigkeit. Beim Heimweg von der Schule ging ich auf direktem Weg über den Marktplatz zu Resel, und ich hatte schon das Gefühl, dass sie auf mich wartete. „Na, meine Prinzessin, rief sie mir schon entgegen, „wie weit sind die Handschuhe, die du für Schwester Agathe zu Weihnachten stricken möchtest? „Ich weiß nicht, gab ich zögernd zur Antwort und holte sie aus meiner Schultasche heraus. Sie schaute mit prüfendem Blick darauf. „Oh, oh, meinte sie. Dies hieß bei ihr: Könnte besser sein. „Die sind aber gar nicht so, wie ich es dir gezeigt habe, die Maschen sind viel zu weit auseinander, das muss noch mal aufgemacht werden. Weißt, was ich mache, die nehm ich mit nach Hause und strick sie dir fertig, ja, bist damit einverstanden? „Oh ja, zu gerne, sagte ich zu Tante Resel. „Willst mir nachher, wenn du gegessen hast, beim Aufräumen helfen? „Oh ja, gerne, ich komme nach dem Essen gleich zurück und helfe dir beim Zusammenpacken. Seit ihr Mann vor ein paar Jahren gestorben war, hatte sie es nicht leicht, ihren Alltag zu bestreiten, aber trotzdem war sie für sich und andere immer guter Hoffnung. Vor dem Speisesaal, als ich die Treppen herunterkam, sah ich schon, wie die älteren Mädchen, manche unter uns anhielten und ihnen leise, fast schon geheimnisvoll, etwas ausrichteten, auch mir, und ich solle es ja nicht weitersagen, nur denen, denen ich vertrauen konnte, natürlich, das war schließlich Ehrensache. Hier im Heim war es so, dass die Insassen eines jeden Zimmers eine verschworene Gemeinschaft bildeten, dies bei einem Ritual unter Schwur belegten und wir immer, was es auch sein könnte, füreinander da waren.

    So ruhig war es noch nie im Speisesaal gewesen, ob die Schwestern-Aufsicht es nicht merkwürdig fand, dass hier plötzlich, alle Mädchen so gut erzogen waren? Oder war es nur die Aufregung angesichts der anstehenden Dinge? Gegessen war schnell, abgeräumt noch schneller, und so verließen wir fast lautlos wieder den Speisesaal. „Ich sehe, dass Sie ja noch gar nichts gegessen haben, oh Schwester Rosa. Oberschwester Agathe gab ihr zur Antwort: „Ich habe keinen Hunger, ich mache mir so viele Sorgen, wie es wohl weiter geht. Wir haben seit vier Jahren die doppelte Zahl an Mädchen hier im Heim und die Zuschüsse von der Gemeinde reichen schon lange nicht mehr aus. Es fehlt an Winterkleidung, Handschuhen, Mützen, an allem. Gottseidank waren die Lebensmittel bis jetzt immer einigermaßen ausreichend, aber jetzt wird es auch langsam eng. Wir brauchen mehr frisches Obst, mehr Lezithin, manche bekommen schon Rachitis. Wir können auch nicht durchheizen, weil wir nicht genügend Brennmaterial haben, und so geht es gerade weiter, und jetzt stehen Nikolaus und Weihnachten vor der Türe. „Oberschwester Agathe, bitte, wir werden einen Weg finden, Gott lässt die Seinen nicht im Stich. „Na, meinen Sie, Schwester Rosa? Und warum starben im Krieg so viele Unschuldige? „Aber Oberschwester Agathe, ich bitte Sie, verlieren Sie nicht den Mut. Es gibt immer einen Weg, lassen Sie ihn uns gemeinsam finden! „Na, wenn Sie meinen. Oberschwester Agathe aß jetzt doch etwas zögernd von ihrem Teller. Schwester Rosa verließ das Zimmer der Oberschwester. Tante Resel bediente die letzten Kunden an ihrem Marktstand, als ich zu ihr kam, wie versprochen, und sie trug mir gleich auf, als sie mich sah: „Bitte, Luisa, kehre den Abfall zusammen und ordne die leeren Kisten zusammen. Die letzten Kunden waren bedient und der Markplatz leerte sich so langsam wieder. „Also, Luisa, ich werde die Handschuhe für Schwester Agathe mit nach Hause nehmen und am Samstag wieder mit bringen, bist ja sicherlich damit einverstanden. „Oh, zu gerne, betonte ich. „Was gibt es sonst Neues im Heim?, wollte sie wissen. „Oh, Tante Resel, wir haben heute Mittag eine Geheimsitzung. „Geheimsitzung?, meinte sie und zog die Stirn hoch. „Ja, richtig. In der Turnhalle. „Es geht um etwas sehr Wichtiges und das kannst du mir jetzt nicht sagen? „Nein, ich weiß es ja auch noch nicht genau, soviel ich weiß, geht es um einen Umzug durch den Ort vor Weihnachten. „Das klingt ja äußerst interessant, was du mir da erzählst, heute Nachmittag weiß ich mehr, werde dir am Samstag darüber berichten, und so bekam ich für meine Arbeit meine fünfzig Pfennige. Ich bedankte mich wie immer mit einem Knicks und war eiligst wieder auf dem Weg nach Hause. Meine Zimmer-Mitbewohnerinnen winkten mir schon zu, als ich in die Turnhalle kam: „Wo kommst jetzt so spät her, Luisa?, wollten sie gleich wissen. „Ja, ich bin halt eben noch aufgehalten worden, gab ich zur Antwort. Oben auf dem Podium hatten schon die Bürgermeisterin Renate und der beisitzende Mädchen-Gemeinderat Platz genommen. So ergriff sie, die Bürgermeisterin, das Wort: „Sind jetzt alle da? und einstimmig nickten wir alle, die Wache stand vor der Türe und schaute zum Eingang, „Ja ich halte Wache, gab Siglinde zur Antwort, „gut, dann können wir ja beginnen. Es geht um Folgendes, begann unsere gewählte Bürgermeisterin Renate, sorgenvoll ihre Rede, „Wir haben leider etwas erfahren, das uns alle betrifft, alle, betonte sie deutlich mit ernstem Gesicht. „Es geht um unser Überleben, um unser Dasein hier im Heim."

    Im Saal war es plötzlich so stille, dass man eine Nadel hätte zu Boden fallen hören können. „Mir ist zu Ohren gekommen, dass es nicht gut um unser Heim steht, es sind nicht genug finanzielle Mittel vorhanden, das heißt im Klartext: Es reicht nicht mehr für genügend Brennstoff, um über den Winter zukommen, warme Kleidung für den Winter fehlt usw. Was können wir tun? Wie können wir Oberschwester Agathe helfen, hat jemand Vorschläge?, fragte die Bürgermeisterin fordernd in den Saal hinein. Plötzlich brach Tumult im Saal aus, wie man hören konnte. „Und jetzt haben wir nichts mehr zu essen oder müssen wir jetzt frieren, oder müssen wir betteln gehen? Bei manchen kamen kleine Tränen zum Vorschein bei diesen schlechten Nachrichten. „Und das vor Nikolaus und Weihnachten, schlimmer kann es ja nicht mehr kommen, meinten die Beisitzerinnen, die links und rechts von unserer Bürgermeisterin Renate saßen. „Ruhe im Saal, unterbrach die Bürgermeisterin, „Ruhe, eine nach der anderen bitte. Die Vorschläge durften aufgesagt werden, der Reihe nach, mit der erhobenen Hand, sodass jede, die etwas zu sagen hatte, sich jetzt mitteilen konnte. Aber viel Brauchbares an Vorschlägen kam nicht heraus, abgesehen von der Frage, ob wir jetzt alle arbeiten sollten. „Nein, unterbrach die Bürgermeisterin, „das geht nicht, selbst wenn wir Großen Arbeit finden würden, würde es nicht ausreichen, um alles zu bezahlen, was ansteht. Die Bürgermeisterin erhob die Hand und meldete sich, sie habe so eine Idee: „Wir veranstalten einen Umzug durch den Ort, und Ausgangspunkt ist der Marktplatz. Unser Chor und Heimorchester voran und alle, die laufen können, hinterher. Wir brauchen weiße Leintücher, die wir zu einem Gewand zusammennähen, solche wie bei unserem Weihnachtskrippenspiel. Ferner benötigen alle, die mitlaufen, einen Stock, auf dem ein goldener Stern angebracht ist, ein paar haben wir ja schon. Die Weihnachtslieder, die unterwegs durch die Straßen und auf dem Marktplatz gesungen werden, werden wir ab morgen in der Freistunde einüben, ebenfalls werde ich noch überlegen, wo wir so viele Leintücher herbekommen. Die Stöcke für die Sterne und die Sterne aus Holz, die dann angemalt werden, dürften kein Problem werden. Wir werden im Dorf richtig auf uns aufmerksam machen, werden beim Umzug Zettel verteilen, wie es um uns steht, um die Kinder dieser Gemeinde und der Welt. Luisa, für dich habe ich etwas Besonderes ausgedacht. Sie schaute zu mir herunter. „Da du schon jetzt zwei Sprachen sprichst, sehr klug bist und sehr gut singen kannst, wirst du im Umzug vorangehen, du wirst das Lied von The little drummer Boy, sprich Girl, singen, durch alle Straßen im Ort, um auf uns aufmerksam zu machen und um die Anwohner zum Marktplatz zu bewegen. Eine Trommel haben wir ja auch schon, wir müssen nur sehen, woher wir so ein Trommlergewand bekommen. Bist du damit einverstanden? „Aber natürlich, antwortete ich übereifrig. „Sind denn alle damit einverstanden?, fragte die Bürgermeisterin in den Saal hinein. Einstimmig erhoben die Anwesenden ihre Hände und bejahten die Abstimmung. „Somit ist die Sitzung geschlossen, und kein Wort von der Geheimsitzung darf unsere Schwesternschaft erfahren, habt ihr verstanden?, brachte die Bürgermeisterin ernsthaft zum Ausdruck, „und die nächste Sitzung ist für morgen zur selben Zeit angesagt, um die Vorbereitungen zu treffen. So verließen wir alle den Saal, fast lautlos, um auf unsere Zimmer zu kommen. In dem Moment, als wir die Treppen hochgehen wollten, kam Schwester Rosa aus der Küche und schaute uns mit großen Augen an und wunderte sich bestimmt, ob wohl ein Wunder geschehen sei, dass wir so diszipliniert an ihr vorübergingen. Wir alle wussten jetzt, dass es um unser Überleben ging, dieser Gedanke machte uns jetzt plötzlich alle so erwachsen, so verantwortungsvoll. Wir waren jetzt kein Heim mehr mit kleinen sorglosen Kindern, nein, wir waren mit einem Schlag kleine Erwachsene geworden, die die Verantwortung über ihr Dasein mittragen wollten. Einschlafen an diesem Abend konnten wir alle nicht, wohl infolge der Ereignisse, die wir erfahren mussten heute Mittag, und weil wir uns Sorgen machten, wie es wohl weitergehe mit uns. Es war gerade recht, dass unsere Bürgermeisterin uns in unserem Zimmer besuchte und sie schon nach dem Klopfen im Zimmer stand: „Guten Abend, ihr Hübschen, na, wie geht’s ,Luisa? Ich habe für dich schon die Texte geschrieben von den Liedern, die du singen wirst. Und wie ich dir schon sagte, wirst du vorneweg gehen im Umzug und das Lied The Little Drummer Boy, sprich, Girl, singen und trommeln, dann das Orchester hinter dir und hinter uns die, die mit uns gehen und die Zettel verteilen. Des Weiteren, fuhr die Bürgermeisterin fort, „wenn ihr eine Idee habt, wo wir noch 56 weiße Leinentücher, die wir zu Gewändern nähen können, bekommen, gebt mir Bescheid, acht Gewänder haben wir schon. Morgen Mittag werden wir gleich mit den Proben beginnen, und macht euch keine Sorgen, es wird alles gut werden. Ich wünsche euch eine gute Nacht und schlaft gut. Und so verschwand sie wieder aus unserem Zimmer. Es war gut, dass sie bei uns war, unsere Bürgermeisterin, um uns zu beruhigen. Und so schliefen wir kurz danach auch gleich ein. Wie es aber aussieht, schliefen in diesem Hause noch nicht alle. Schwester Oberin saß noch hinter ihrem Schreibtisch und Schwester Rosa auf einem kleinen Sofa neben dem Schreibtisch. Es hörte sich nach einem sehr lebhaften Gespräch an und man konnte sich schon denken, worum es ging. Zum Schluss kommend, stand fest: Oberschwester Agathe würde am Mittwoch, dem 17.12., für einen Tag nach München fahren, um im Innenministerium die Situation darzulegen, wie es finanziell um das Heim stand. Schwester Agathe stand von ihrem Schreibtisch auf und ging ans Fenster, zog den Vorhang zurück und schaute nach draußen. Sie musste feststellen, dass man keine fünf Meter mehr sehen konnte, so sehr schneite es. „Das wird morgen bestimmt wieder 40 cm Neuschnee geben, dachte sie, und so zog sie den Vorhang wieder schnell zu, als wolle sie damit die Kälte abhalten. „So, Rosa, wir werden jetzt auch ins Bett gehen." Und so verließen sie das Büro und gingen in ihre Zimmer.

    Ich konnte es kaum erwarten, am Samstag, dem 06.12., Nikolaustag, nach der Schule zum Mittag bei Tante Resel auf dem Markt vorbeizukommen. Sie sah mich natürlich schon von der Ferne. „Na, meine Prinzessin?, rief sie mir schon entgegen, „ich habe die Handschuhe für dich fertig gestrickt. Dafür bedankte ich mich herzlich, sie merkte aber gleich etwas: „Was ist los mit dir, du bist so traurig? „Oh, Tante Resel … Und so erzählte ich ihr meine, unsere, Sorgen, vom Heim. „Wir veranstalten vor Weihnachten einen Umzug am Abend durch den Ort zum Marktplatz. Es sind insgesamt 56 Mädchen, die am Umzug teilnehmen. Tante Resel, kannst du mir helfen, wir brauchen noch 46 weiße Tücher oder Nachthemden, egal, nur weiß müssen sie sein. Tante Resel, kannst du nicht mal heute Mittag nach dem Essen bei uns vorbeikommen und auch mit unserer Bürgermeisterin sprechen? Ohne zu überlegen und mit ernstem Gesicht sagte sie: „Aber selbstverständlich werde ich kommen, wenn ich hier fertig bin. Gegessen war schnell und abgeräumt noch schneller, man hatte das Gefühl, dass in der letzten Zeit alles so militärisch ablief, mit absoluter Disziplin. Und so trafen alle, die alleine laufen konnten, in der Turnhalle ein. War nur gut, dass die Halle einen separaten Eingang hatte und man nicht durch den Haupteingang musste. Und so warteten wir keine zehn Minuten, bis Tante Resel vom Markt kam, von der ich schon vorher unserer Bürgermeisterin erzählt hatte. So ging ich ihr gleich entgegen und machte sie mit unserer Bürgermeisterin bekannt. Und so setzten wir uns an einen leeren Tisch im Saal mit den Besitzerinnen. Tante Resel ergriff gleich das Wort. „Was ich da von Luisa gehört habe, bestürzt mich sehr. Auf jeden Fall, auch wenn ich nicht viel habe, werde ich alles tun, um euch zu helfen. Wir haben schon beschlossen, dass wir Marktfrauen euch vorübergehend mit Obst und Gemüse helfen, das wir über das Wochenende nicht verkaufen und lagern konnten, weil sonst die Ware verdirbt. Diese Waren könnt ihr dann mit dem Leiterwagen am Samstag nach dem Markt abholen, darüber werde ich noch mit meinen Kolleginnen sprechen, aber das wird schon in Ordnung gehen. Weiter fuhr Tante Resel fort: „Luisa meinte, ihr braucht weiße Gewänder? „Ja, richtig, wir wollen sie bei dem Umzug tragen, 48 davon brauchen wir noch, aber Modelkleider müssen es nicht sein, gab Bürgermeisterin Renate zur Antwort, „es soll auch nur zum Umhängen sein, wie ein Poncho, mehr nicht. „Ich glaube, ich weiß, wie ich euch helfen kann, schmunzelte Tante Resel. „Ich habe doch eine Bekannte im Krankenhaus, bei der könnten wir uns doch die Krankenhemden ausleihen, was meint ihr denn, dann brauchen wir nicht 46 Hemden zu nähen, und wie viel Arbeit das auch macht! Genau, ich werde nachher gleich zu ihr gehen und sie fragen, sie muss uns einfach helfen, ob sie will oder nicht, ich habe ihr auch schon oft geholfen. Erleichterung kam ins Gesicht unserer Bürgermeisterin und in die Gesichter der Beisitzerinnen. „Tante Resel, wenn Sie uns helfen könnten, meinte die Bürgermeisterin, „sind wir Ihnen ewig zu Dank verpflichtet. Eine spaßige Geste kam von Tante Resel zurück: „Ewig muss es nicht sein, aber für eine Zeit schon. „Ich werde übrigens am Umzug teilnehmen, und meine Kolleginnen und Kollegen müssen auch mitmarschieren. Wann soll denn der Zeitpunkt sein? „Genau kann ich es noch nicht sagen, meinte die Bürgermeisterin, „so etwa um den 17.-18.12. herum, denke ich. „Gut, damit wir uns darauf einrichten können. So, Luisa, und jetzt zu dir, du hast die wichtigste Aufgabe, du wirst ja an der Spitze des Umzuges gehen, und bis wir auf dem Marktplatz angekommen sind, wirst du das Lied The Little Drummer Girl mit unserer musikalischen Begleitung singen, immer wieder, und auf einer kleinen Trommel trommeln, können wir dies schon mal einüben? Ich meinte, dann würden wir es einmal probieren. „Ich bitte um Ruhe, rief die Bürgermeisterin in den Saal, „sind die Musikerinnen bereit?, während noch nicht akkurate Töne aus ihren Musikinstrumenten kamen. „Also Achtung, 1, 2, 3 The Little Drummer Boy/ Girl von Katherine K. Davis. Stopp, aus, so geht das nicht. Wenn wir an dem Abend so musizieren, dann laufen uns alle davon. Bitte schaut mehr auf eure Noten, und Luisa und Maria, die Haupttrommlerinnen, ich wünsche, das Trommeln muss richtig exakt sein – wie beim Militär. So, und jetzt stellt euch auf, hintereinander, Luisa voraus, die Musizierenden in einem Abstand von zwei Metern dahinter und danach der Chor, und zu guter Letzt alle Mädchen, die mitgehen, als ob wir auf der Straße laufen würden. Wir beginnen mit The Little Drummer Girl, den Text habt ihr alle, gut, also, los geht’s, 1, 2, 3 … stopp, stopp, alle exakt hintereinander. Wenn ich die Damen bitten darf, es muss aussehen wie bei einer Militärkapelle, verstanden, also, los geht’s, 1, 2, 3 … Die Zeit verging so schnell an dem Nikolausnachmittag und nach ca. zwei Stunden hatten es alle verstanden, auch die Kleinsten mit fünf und sechs Jahren, die dann auch schon alle einmal auf der Toilette waren, wobei man ihnen auch behilflich sein musste. So wurde es gerade Zeit, direkt in den Speisesaal zu gehen, vor Aufregung hatten alle einen roten Kopf und waren erhitzt, aber das Lied vom The Little Drummer Boy war im Kasten. „Perfekt, meinte auch unsere Bürgermeisterin. Die Tische waren schon alle mit Tannenzweigen geschmückt und Kerzen standen in der Mitte, das hieß, nach dem guten Essen heute Abend, Nudelsalat und Würstchen, mussten schnell die Tische abgeräumt werden, denn der heilige Nikolaus mit Knecht Ruprecht hatte sich angesagt. Und so kamen dann auch von der Küche die Kannen Kakao und Tee auf den Tisch und dazu Butterstollen. So warteten wir alle, auch die Schwesternschaft, geduldig, auf den heiligen Nikolaus. Den man auf einmal nicht mehr überhören konnte vom Flur her, er hielt eine Glocke in der Hand und läutete ziemlich kräftig damit, damit man ihn ja nicht überhören konnte. So ging die Tür auf und ein Nikolaus von fast zwei Metern mit einem langen weißen Bart trat mit seinem Knecht Ruprecht, fast ebenfalls so groß und breit, in den Raum, mit einer Rute in der Hand. Er stellte sich vor den Tisch vor die Schwesternschaft, und zwei Helfer brachten vier große Säcke mit und stellten sie beim Nikolaus ab. So öffnete der heilige Nikolaus sein großes Buch und las daraus vor. Die ganz Kleinen von uns, die gerade so mal laufen konnten, suchten spontan Schutz bei den Großen, so ein Knecht Ruprecht ist halt doch kein Plüschtier. Von nicht allen hier im Saal verlas der Nikolaus aus seinem Buch Gutes, aber im Großen und Ganzen war er sehr zufrieden mit uns. Dann rief er meinen Namen auf. „Luisa, komm doch auch mal nach vorne, ich habe gehört, du bist in deiner Klasse die Beste und zwei Sprachen sprichst du auch schon, das ist aber eine gute Leistung. Ich habe für dich ein schönes interessantes Geschenk, ein Buch, und er gab es mir in die Hand, „und hier bekommst du noch eine Tüte mit Süßigkeiten, die magst du doch bestimmt auch. „Oh, sehr gerne. Ich bedankte mich beim Nikolaus und ging dann wieder an meinen Tisch zurück. Und so holten fast alle ihre Geschenke beim Nikolaus ab, nur die ganz Kleinen bekamen ihre Tüte und Geschenke an ihren Platz. So unterhielten sich die Schwester Oberin und der Nikolaus noch einige Zeit, bevor er sich verabschiedete und sagte: „Bleibt schön brav bis zum nächsten Jahr und folgt den Schwestern", und so verließen sie, der Nikolaus, Knecht Ruprecht und seine Helfer, den Speisesaal. Als wir Großen so um 22 Uhr in unseren Betten lagen, die Kleinen waren bereits schon im Bett, und wir einen sehr schönen Nikolausabend feiern konnten, kamen in der Ruhe unsere beängstigenden Gedanken wieder zum Vorschein, selbst wenn keine im Zimmer darüber sprach, was wohl werden würde, wenn wir vielleicht aufgeteilt würden auf verschiedene Häuser, was wir so nie akzeptieren wollten. Der Tag endete für

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