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Über dieses E-Book

Georg Schubert führt mit Frau und Kindern ein geordnetes Leben im Vorstadtidyll. Man gibt sich weltoffen und tolerant. Doch plötzlich wird die familiäre Willkommenskultur auf die Probe gestellt.
Was macht man, wenn das "Flüchtlingsproblem" plötzlich im heimischen Wohnzimmer sitzt, noch dazu im innig geliebten Fernsehsessel? Was, wenn sich die Ehefrau erst engagiert und dann afrikanisiert? Und sich dieser Besuch ganz anders verhält, als man erwartet?

"Besuch" ist eine satirische Versuchsanordnung in der kleinbürgerlichen Komfortzone. Nach der Lehrerzimmergroteske "Drei Klausuren und ein Todesfall" legt Michael Marten eine absurd-komische Parabel vor über Klischees, Vorurteile und Projektionen.
SpracheDeutsch
HerausgeberSatyr Verlag
Erscheinungsdatum3. Sept. 2018
ISBN9783947106073
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    Buchvorschau

    Besuch - Michael Marten

    6

    1

    »Die Neger werden weiß geboren ...«

    Immanuel Kant

    Physische Geographie (1802), § 2

    Im Wohnzimmer saß ein Afrikaner.

    Marianne war in der Küche, und ich fragte sie, wer der Kerl sei und was er hier in unserer Wohnung mache. Sie wusste es nicht. Er sei halt auf einmal da gewesen. Am Morgen sei sie zum Wochenmarkt gegangen, Wolfsbarsch kaufen, Schalotten und Knoblauchzehen, wie nahezu jeden Freitag, dann auf eine Tasse Kaffee zu Ariane, die habe Beziehungsprobleme, das wüsste ich doch, da gebe es Gesprächsbedarf, die Beziehung zu Harald sei nicht frei von Spannungen da …

    Ich seufzte laut und verschränkte die Arme vor der Brust. Als sie heimgekommen sei, die Einkaufstaschen abgestellt habe und ins Wohnzimmer gegangen sei, um durchzulüften, da saß er halt schon da.

    Im Fernsehsessel.

    Ich fragte sie, warum sie nicht die Hausverwaltung kontaktiert oder die Polizei angerufen habe. Wegen Hausfriedensbruch und so. Aber der sitze doch einfach nur da, ganz friedlich, und tue niemandem was. Wahrscheinlich werde er sowieso bald verschwinden. Vielleicht wolle er sich einfach nur etwas ausruhen. Es sei schließlich ein weiter Weg von Afrika nach Gütersloh-Nord. Außerdem solle ich nicht wegen jeder Kleinigkeit gleich so einen Aufstand machen. Sie zeigte auf die Kartoffeln, die auf dem Tisch lagen, und drückte mir ein Messer in die Hand. Marianne hasst es, Kartoffeln zu schälen, ich mag Oreganokartoffeln.

    Er saß in meinem Fernsehsessel.

    Ziemlich groß war er, schätze mal 1,90 Meter, mindestens, dazu kräftig gebaut. Zwei schwielige Hände, die aussahen, als hätten sie sehr viele sehr schwere Dinge tragen müssen. Die Haut: pechschwarz. Sein Alter schwer zu sagen, eher vierzig plus als vierzig minus. Eine Art Umhang bedeckte seinen Körper, löchrig, weiß, übersät mit kleinen Flecken. Auf dem Kopf trug er eine runde, schwarze Mütze mit bunten Stickereien, Blumenmuster.

    Die Hände auf dem Bauch gefaltet, starrte er ins Leere, regungslos. Sonst machte er nichts, bewegte sich nicht einen Millimeter. Saß einfach nur da.

    Wie eine Statue.

    Beim Abendbrot gab es nur ein Thema.

    Julchen fragte, ob sie nicht mit ihm spielen könne. Marianne und ich sagten, wir müssten erst mal selbst mit dem neuen Onkel klarkommen, dann würden wir weitersehen. Julchen plärrte. Wir versprachen eine Extraportion Eis zum Nachtisch. Julchen willigte ein.

    Alexander fand ihn cool (oder mega?). Endlich mal jemand, der so gar nicht in unsere spießige Reihenhaussiedlung passe. Sowieso Zeit, dass die ganze Gegend mal ordentlich aufgemischt werde. Für jede Veränderung in dieser »Vorstadthölle« sei er dankbar. Dann nahm er die Schale mit dem Vanillepudding und verschwand in seinem Zimmer.

    Gegen acht las ich Julchen noch ein Märchen vor, »Der Teufel mit den drei goldenen Haaren«, zweieinhalbmal, dann schlief sie ein (gerade als der König den Jüngling ermorden lassen wollte!). Leise stellte ich den »Teufel« in ihr Bücherregal und entdeckte »Zehn kleine Negerlein«.

    Ich schämte mich ein wenig (laut Widmung ein Geschenk meiner Großmutter für meine Mutter zum Weihnachtsfest 1955). Ich versteckte es im obersten Fach des Wohnzimmerschranks.

    Am Laptop klickte ich mich noch durch die Nachrichten. Krisen, wohin man schaute. An der Londoner Börse purzelten die Kurse, bei uns ist irgendwas mit Asylsuchenden. Später, im Bett, hätte ich gern mit Marianne über alles geredet, sie schlief aber bereits.

    Am Morgen stand ich etwas früher auf als üblich und schlich ins Wohnzimmer, in dem unser Gast noch schlief. Ich legte einen Fünfzigeuroschein auf den Tisch, schön nah am Fernsehsessel. Hoffentlich Anreiz genug, um die Wohnung zu verlassen. Auf diese Weise hätte ich unser kleines Problem elegant aus der Welt geschafft, ohne dass Marianne oder die Kinder etwas bemerkten.

    Beim Frühstück konnten die Ereignisse des Vorabends nicht besprochen werden, da wie jeden Morgen (fast) alle in Eile waren. Julchen musste – entweder von Marianne oder von mir – in den Kindergarten gebracht werden, bevor wir uns auf den Weg machten, Marianne in die Zahnarztpraxis, in der sie halbtags als Sprechstundenhilfe arbeitete, ich in die Firma. Der Einzige von uns, der die Ruhe weghatte, war Alex, der von uns zur »Schulhölle« mehr oder weniger gepeitscht wurde.

    Im Büro das Übliche.

    Am Nachmittag, ich kam etwas früher nach Hause als gewöhnlich, betrat ich das Wohnzimmer in der Hoffnung, unseren ungebetenen Gast nicht mehr vorzufinden. Fehlanzeige. Er lag, wie schon am Vortag, still und schlafend in meinem Fernsehsessel.

    Er schnarchte.

    Nach dem Abendbrot wollten Julchen und ich eigentlich fernsehen. Aber unser Gast schlief, wir hörten ihn schnarchen. Ihn zu stören, kam nicht infrage, jedenfalls für Marianne und Alex. Julchen erreichte für ihren Fernsehverzicht eine Verdoppelung ihrer Eisportion – dank zäher Verhandlungsführung. Daher machte ich mich gleich auf den Weg hinunter in den Keller, zur Tiefkühltruhe.

    Gern hätte ich den großen Abendfilm gesehen – was über deutsche Nachkriegsgeschichte, Flucht aus dem Osten, Neuanfang im Westen. Laut Fernsehkritik ein spannender Film. Aber das ging nun nicht mehr. Stattdessen spielte ich in der Küche »Fang den Hut« mit Julchen. Alex verschwand in seinem Zimmer, Marianne hörte ein Kulturfeature auf WDR3, eine kritische Darstellung des gar nicht fortschrittlichen Frauenbildes der Achtundsechziger. Marianne nickte ab und zu bestätigend.

    Am nächsten Tag war ich mir ziemlich sicher, unser Problem bald gelöst zu haben. Heimlich, Marianne lag noch im Bett, waren in den frühen Morgenstunden drei nagelneue Fünfzigeuroscheine (sowie eine Monatskarte für den Verkehrsverbund Ostwestfalen!) in die Falten seines Umhangs gewandert. In der Mittagspause telefonierte ich mit meiner Frau. Ich sagte etwas wie: »Vielleicht ist er schon weg, wenn wir nach Hause kommen.« Marianne teilte meinen Optimismus nicht. Wie sich am Nachmittag herausstellte, sollte sie recht behalten.

    Am Abend: großer Familienrat.

    Was sollten wir mit ihm machen?

    Julchen fand, der große Onkel solle bleiben, damit sie endlich einmal mit ihm spielen könne. Falls er gehen müsse, stehe ihr allabendlich ein Eis zu. (Später einmal, im Berufsleben, werden sich Topmanager an meiner Tochter ihre keramikverblendeten Zähne ausbeißen.) Alex war ebenfalls fürs Bleiben, »weil wegen Coolness und überhaupt«. Er sei gespannt, wie der Gütersloher Spießer auf den Gast reagieren werde. Er freue sich bereits auf die betretenen Gesichter unserer erzreaktionären Nachbarn.

    Marianne schwieg zunächst, sagte dann: »Es sieht schon extrem blöd aus, einen Afrikaner auf die Straße zu setzen. Hungersnöte, Bürgerkriege, das ganze Zeug, die Zeitungen sind doch voll davon, Talkshows auch.«

    Ich stimmte prinzipiell zu, wies jedoch auf allerlei Gefahren hin – wir kannten den Mann doch gar nicht, vielleicht war er gefährlich? Vielleicht würde er uns berauben? Hilfsbereitschaft sei ein nobler Zug, finde aber ihre Grenze in der Gefährdung des Helfenden.

    Marianne sagte, wahrscheinlich wolle er uns nichts antun, sondern habe selbst schlimme Dinge hinter sich gebracht. Wir wüssten doch gar nichts über ihn, vielleicht sei er ganz normal, so wie sie und ich. Dann sah sie mich an, schüttelte kurz den Kopf und sagte: »Na ja, vielleicht so normal wie ich.«

    Die Abstimmung ging drei zu eins aus. Er durfte also zunächst bleiben.

    Später überreichte mir Marianne 200 Euro und eine Monatskarte für den Verkehrsverbund Ostwestfalen. Beides hatte ich offenbar im Wohnzimmer verlegt. Sie fragte, ob ich eventuell schon ein wenig tüddelig würde. Was ich als Autofahrer denn mit der Monatskarte eigentlich anfangen wolle? Dabei lächelte sie so merkwürdig.

    Er hatte sich bewegt!

    Na ja, nicht gleich übertreiben, also direkt bewegt, so mit Ortswechsel, von A nach B, hatte er sich eigentlich nicht. Er saß noch immer im Fernsehsessel. Aber bewegt haben musste er sich, denn als ich am späten Nachmittag ins Wohnzimmer kam, hielt er die Fernbedienung, die noch am Vorabend einen guten Meter Luftlinie entfernt auf dem Tisch gelegen hatte, in der Hand und zappte ständig zwischen den Sendern hin und her. Offensichtlich gefielen sie ihm nicht so recht. Als ich vor ihm stand, drückte er mir die Fernbedienung in die Hand, drehte sich auf die Seite und begann bald zu schnarchen.

    Marianne, der ich sofort davon erzählte, meinte, die Programme hätten ihm möglicherweise nicht gefallen, Story, Dialoge, Charaktere, lediglich solider Durchschnitt, Vorabendprogramm halt, hätte ihn wahrscheinlich unterfordert, rein intellektuell.

    Wir aßen Abendbrot, es gab Lachscarpaccio, Fettucine als Hauptgang und zum Dessert Pannacotta. Julchen erzählte vom Kindergarten. Der doofe Jonathan habe im See – sie meinte einen kleinen Teich neben der Spielecke: ein Biotop – einen Frosch gefangen und den mit voller Wucht an die Wand geworfen. Genau an die Stelle, an die die Blümchengruppe im letzten Sommer das Gesicht von Prinzessin Lillifee gemalt habe. Diese habe nun drei Augen. Das sei lustig gewesen. Ich fragte Alex nach seinem Schultag, aber er sagte, es gebe nichts zu berichten. Der Alltag in Gefängnissen sei weniger aufregend, als brave Bürger gemeinhin vermuteten. Marianne sagte, er

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