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Paulo bereist die Seidenstraße (4)
Paulo bereist die Seidenstraße (4)
Paulo bereist die Seidenstraße (4)
eBook310 Seiten4 Stunden

Paulo bereist die Seidenstraße (4)

Von HaMuJu

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Über dieses E-Book

Paulo bereist die Seidenstraße zwei Jahre lang und lernt viele verschiedene Menschen kennen, er stellt fest, dass es bei aller Fremdheit viel Verbindendes gibt und nimmt die fremdländische asiatische Welt mit besonders großem Interesse auf.
Es entspricht seiner inneren Einstellung, dass er sich Fremdem gegenüber offen zeigt und es in sich aufnimmt.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum9. Sept. 2013
ISBN9783847652465
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    Buchvorschau

    Paulo bereist die Seidenstraße (4) - HaMuJu

    ESSEN

    Ich liebte es über alles, mit Frau Aldenhoven unten in der Laube zu sitzen und ihr zuzuhören, wie sie aus ihrer ostpreußischen Heimat erzählte.

    Frau Aldenhoven war eine alte ansehnliche Frau, sie war erfahren und hatte viel zu erzählen. Wie bei alten Frauen üblich hatte sie die langen grauen Haare nach hinten gekämmt und zusammengebunden. Die Haartracht wurde von einem Haarnetz gehalten. Ihre Kleidung war schlicht, hausfrauengemäß, ein Allerweltskittel in undefinierbarer Farbe, bei der ein Rot-Lila überwog. Sie trug Perlonstrümpfe, die sie über den Knien zusammenrollte und Schlappen., die eine Mischung aus Straßenschuh und Pantoffel waren. Frau Aldenhoven setzte zum Lesen eine Brille auf, sie war von stämmiger Figur, ihre Oberarme hatten einen beträchtlichen Umfang und ihre Beine waren durch die Perlonstrümpfe eingeschnürt. Sie hatte ein tief zerfurchtes Gesicht, auch Arme und Beine zeigten Falten. Es ging etwas Ehrwürdiges von ihr aus. Frau Aldenhoven war eine Person, zu der man aufschaute und die man achtete.

    Sie wohnte unten im Haus. Immer, wenn ich zur Haustür hereinkam und Frau Aldenhoven unten im Flur war, grüßte ich sehr höflich und Frau Aldenhoven grüßte dann zurück, auf ihrem alten Gesicht war dann ein Lächeln zu sehen. Von Frau Aldenhoven ging ein Geruch aus, der schwer zu beschreiben war. Für mich war es ein Duft, wenngleich es ein Körpergeruch war. Sie roch aber nicht nach Schweiß und duftete nicht nach Parfum. Für mich verbarg der Duft ein ganzes Leben.

    Der Duft gab etwas von Frau Aldenhovens Innerem frei, etwas, das sie nicht steuerte oder beeinflusste.

    Der Duft war unverkennbar sie, sie war grundehrlich, arbeitsam und mitteilungsbedürftg. Ich liebte sie fast und sie spürte meine Zuneigung. Immer wenn Frau Aldenhoven in der Laube saß, sommertags, saß ich bei ihr. Es gab noch einige andere Erwachsene mit ostpreußischer Vergangenheit, niemand wusste aber seine Lebenserfahrungen so erfolgreich und berührend vorzubringen, wie Frau Aldenhoven. Immer wieder erzählte sie von Gumbinnen, wo sie als Magd auf einem Gutshof gearbeitet hatte, sie ließ nichts auf ihren ehemaligen Gutsherrn kommen, auch dann nicht, wenn er zu Pferde sitzend die Landarbeiter mit der Reitgerte züchtigte.

    Frau Aldenhoven schwelgte so sehr in der alten Zeit, dass sie von den neuen Verhältnissen, die sie umgaben, gar nichts mitbekam. Den Hitler fand sie aber auch nicht gut, der war dumm und konnte dem Landadel nicht das Wasser reichen, schließlich waren die Gutsherren gebildete Menschen. Sie erzählte immer wieder, wie ein Trupp SS-Leute auf ihr Gut kam, um Land für die Reichswehr zu requirieren. Wie da ihr Gutsherr mit denen umgesprungen wäre, das hätte man sehen sollen!Gesenkten Hauptes wären die SS-Leute wieder von dannen gezogen! Frau Aldenhoven hatte ihren Mann nach dem Kriege verloren, er war in russischer Gefangenschaft umgekommen.

    Wir könnten uns ja nicht vorstellen, was es bedeutet hätte, in einem russischen Gefangenenlager untergebracht gewesen zu sein. Bei -30°C hätten die Gefangenen in Steinbrüchen arbeiten müssen, kaum einer hätte die Strapazen überlebt. Wenn Frau Aldenhoven von der alten Zeit sprach, hegte sie keinen Groll, auch nicht gegen die sowjetischen Soldaten, denen sie kurz vor Kriegsende noch in die Hände gefallen wäre. Darüber schwieg sie sich dann aber aus. Sicher war sie, wie tausend andere Frauen auch, von den Soldaten vergewaltigt worden. Sie floh vor der vorrückenden Sowjetarmee nach Westen, bis sie im Ruhrgebiet ankam. Ihr „Ostpreußen" war das Thema, mit dem sie sich bei jedem Gehör verschaffte. Andere Ostpreußenstämmige nickten immer nur stumm, wenn Frau Aldenhoven erzählte, sie hatten das Gleiche erlebt, ihnen fehlte aber die Fähigkeit, von diesen Dingen mit solcher Warmherzigkeit zu erzählen, wie es nur Frau Aldenhoven konnte. Unvergessen war die Geschichte, wie sie und drei weitere Mägde dreißig Pferde sicher in den Stall brachten, nachdem ein fürchterliches Gewitter aufgezogen war. Ein Hengst war auf sie zugestürzt und warf sie mit seiner Flanke gegen den Weidezaun. Sie nahm einen dicken Knüppel und schlug dem Hengst kräftig vor den Kopf. Daraufhin war er gefügig und trabte zum Stall, die anderen Tiere folgte ihm. Der Gutsherr, der zu diesem Zeitpunkt nicht auf dem Hof war, dankte es seinen vier Mägden am nächsten Tag, jede durfte einen Tag frei machen, wann es ihr gefiel.

    Sie dankten dem Gutsherrn, den freien Tag hatte Frau Aldenhoven aber nie genommen. Die dreißig Pferde waren kostbare Trakehner, sie wären vor Angst ausgebrochen und hätten sich dabei möglicherweise verletzt. Einmal hatte Frau Aldenhoven Gelegenheit, von Gumbinnen aus mit dem Zug nach Königsberg zu fahren. Immer wieder erzählte sie die Geschichte, wie sie in Königsberg einen Hut gekauft hatte. Sie ging in ein Modegeschäft, trat sehr selbstbewusst auf und kaufte sich einen Hut von der Fensterauslage, die Verkäuferin half ihr beim Anprobieren. Der Hut stand ihr, sie behielt ihn während ihres Aufenthaltes in Königsberg auf. Sie sah sich mit ihren Freundinnen vom Gutshof das Schloss und den Dom an. Sie setzten sich auf die Terrasse eines Cafes, tranken Kaffee und aßen Kuchen. Frau Aldenhoven behielt die ganze Zeit ihren Hut auf und zog bewundernde Blicke auf sich. Am frühen Nachmittag fuhren sie wieder zurück nach Gumbinnen. Erst als sie wieder auf dem Gutshof waren, nahm Frau Aldenhoven den Hut ab und setzte ihn nie wieder auf, auf ihrer Flucht nach Westen war er verloren gegangen.

    Sie zog alle in ihren Bann, besonders mich, ich wagte es nie, während ihres Erzählflusses dazwischen zu reden oder Rückfragen zu stellen. Alle Erwachsenen hatten in der Laube eine Flasche Bier vor sich stehen, nur Frau Aldenhoven nicht, sie trank ein Glas Wein. Wenn sie erzählte, nahm ihr Gesicht edle Züge an. Um ihren Erzählungen Inbrunst zu verleihen, schloss sie manchmal die Augen. Ihre Stimme hatte eine mittlere Lautstärke, sie sprach unverkennbar ostpreußisch, hinter jeden zweiten Satz setzte sie ein „näch". Dann roch ich wieder den Duft, den sie verströmte. Das war Frau Aldenhoven, alles gehörte zusammen, ihre Geschichten, die zuhörenden Nachbarn, der Sommer und der Duft nach Frau Aldenhoven.

    Ich würde das nie vergessen.

    Sie war nie wieder in Ostpreußen. Es gab ja organisierte Fahrten, alle Reiseunternehmen boten solche Fahrten an. Von denen, die solche Fahrten unternommen hatten, hörte Frau Aldenhoven aber immer nur, dass drüben alles verfallen wäre, der Iwan nichts instand setzte. Sie war achtzig Jahre alt und wollte sich eine solche Fahrt nicht mehr zumuten, sie müsste sicher weinen, wenn sie den alten Gutshof verfallen da liegen sähe.

    Ab und zu lud mich Frau Aldenhoven ein, bei ihr fernzusehen, was ich sehr gerne tat. Manchmal hatte sie vorher Königsberger Klopse bereitet.

    „Nu iss mal schön!", sagte sie dann zu mir und legte mir noch zwei Klopse auf den Teller. Ihre ganze Wohnung roch nach ihr, nach Wärme und Gemütlichkeit. Nach eineinhalb bis zwei Stunden ging ich dann wieder hoch zu uns. Ich hatte ihr dann immer alles über meine Freundinnen und Freunde erzählt. Oft war sie dabei auf ihrem Sofa eingenickt.

    Ich weckte sie dann nicht und schlich mich aus ihrer Wohnung.

    Eines Tages starb Frau Aldenhoven auf ihrem Sofa, sie war friedlich eingeschlafen. Mich beschlich eine tiefe Trauer. Ich hatte nie wieder einen Menschen mit so einer Wärme, Aufrichtigkeit und weiser Lebenserfahrung getroffen.

    Ich beschloss, nach meiner Schule, die zwei Monate später beendet wäre, eine Auszeit von meinem Zuhause zu nehmen, ich war von der Bundeswehr freigestellt, hatte also Zeit in Mengen. Ich wollte ein halbes Jahr, völlig auf mich allein gestellt, durch die Welt ziehen. Fürs Erste hätte ich genügend Geld, meine Ersparnisse beliefen sich auf 3500 Euro, damit käme ich schon recht weit. Aber wohin sollte es gehen? Viele fuhren ach dem Abitur eine Zeit lang in die USA oder nach Australien. Da wäre mein Geld im Nu alle gewesen, die Lebenshaltungskosten waren in diesen Ländern mindestens so hoch wie bei uns. Ich musste mir auch darüber klar werden, was ich studieren wollte, denn das wusste ich noch nicht, da käme eine Auszeit gerade recht.

    Ich besuchte Frau Aldenhoven auf dem Friedhof, vielleicht könnte sie mir einen Tipp geben! Ich setzte mich auf eine Friedhofsbank und dachte nach. Was hätte Frau Aldenhoven wohl zu Asien gesagt? Was hätte sie dazu gesagt, wenn ich die Seidenstraße entlang reisen wollte? Die sagenumwobene Seidenstraße ging mir schon lange durch den Sinn. Man konnte so etwas auch organisiert machen, nach Samarkand fliegen und dann komfortabel mit Bus oder Zug durch die Gegend fahren. Daran dachte ich natürlich nicht. Mir schwebte vor, die Seidenstraße entlang zu pilgern, schon mit einem Ziel, aber ohne fest organisiertes Vorwärtskommen. Pilgern würde Laufen bedeuten, endloses Laufen, aber ich würde auch mit LKWs und Bussen fahren. Ich begann, auf dem Friedhof direkt neben Frau Aldenhoven von meiner Fahrt die Seidenstraße entlang zu träumen, ich hatte den Eindruck, sie hätte nichts dagegen gehabt. Fast sah ich ihren edlen Gesichtsausdruck, fast nahm ich ihren warmen Ruhe verbreitenden Geruch wahr. Ich brachte die verbleibenden zwei Monate Schule hinter mich und verabschiedete mich von Freunden und Klassenkameraden. Wir wollten uns natürlich alle wiedersehen, ein Klassentreffen veranstalten, so in zwei, drei Jahren. Viele, denen ich von meinem Seidenstraßenplan erzählte, hielten mich für verrückt.

    Einige gingen zur Bundeswehr, einige fingen ein Studium an, einige gingen auf Reisen.

    Ich begann, mir die Sachen zusammen zu stellen, die ich während meines Unternehmens brauchen würde. Ich brauchte einen stabilen Rucksack, er musste nicht besonders groß sein, schließlich konnte ich nicht so viele Sachen über weite Strecken schleppen, sechzig Liter Packmaß würde er aber haben müssen. Das Material müsste fest und die Taschenverschlüsse müssten haltbar sein. Der Rucksack müsste sehr viele Stöße und unsanfte Würfe aushalten, er müsste auch eine komfortable Rückenstütze haben. Gut zugängliche Seitenfächer für Taschenmesser, Karten und kleine Kleidungsstücke mussten vorhanden sein. Natürlich musste der Rucksack wasserdicht sein, zumindest gegen Regen geschützt. Ich ließ mich beraten, fand aber kaum Leute, die Ahnung hatten und sich vorstellen konnten, welchen Anforderungen der Rucksack genügen musste. Ich machte keine Backpacker-Tour oder eine alpine Bergwanderung, mein Vorhaben war ganz anderer Natur und wahrscheinlich war es das, was die Berater überforderte, ich entschied mich schließlich für den „Bach Overland in schwarz. Auch auf die Farbe kam es an, ich wollte nicht durch Symbolfarben die Aufmerksamkeit meiner ganzen Umgebung auf mich ziehen. Mit 229,95 Euro lag der Rucksack im Preis ziemlich oben, ich hoffte, er würde halten, was er versprach. Der „Bach war mit 3,5 kg kein Leichtgewicht, das relativ große Gewicht hatte er seiner guten Verarbeitung zu verdanken. In den folgenden Tagen und Wochen setzte ich mir immer wieder den Rucksack auf den Rücken, packte ihn mit schwerem Material, zum Beispiel mit Ziegelsteinen und trainierte das Laufen mit Rucksack. Ich verstellte den Beckengurt und die Schultergurte, bis ich ein angenehmes Tragegefühl hatte.

    In der Stadt kaufte ich mir dann eine Türkeikarte, denn meine Tour würde in Istanbul beginnen. Das war nicht ganz der Beginn der Seidenstraße, ich würde aber spätestens in Täbriz im Iran auf den klassischen Verlauf stoßen. Ich hatte schon seit langem das Schweizer Offiziersmesser, es war das klassische, das über so viele Funktionen verfügte, die ich gar nicht alle brauchte, aber man wusste ja nie! Als großes Problem stellte sich die Aufbewahrung meiner Wertsachen heraus. Es gab die verschiedensten Möglichkeiten: Brustbeutel, Innentaschen in der Hose, Gürtel mit Aufbewahrungsfächern auf der Innenseite usw. Alle Systeme hatten eine Macke, sie wurden am Körper getragen, wenn jemand wirklich scharf auf die Wertsachen gewesen wäre, hätte er einen niedergeschlagen und die Sachen geraubt, die er wollte. Aber man musste wenigstens die Ausweispapiere immer dabei haben, Geld konnte man sich bei Banken beschaffen. Am besten war die Einrichtung der Postbank, auf ausländischen Postfilialen kostenlos Geld abheben zu können. Das ersparte es einem, größere Geldbeträge bei sich tragen zu müssen. Zehn Abhebungen waren kostenfrei, danach musste man eine geringe Gebühr bezahlen, ungefähr 2,50 Euro wenn man 300 Euro abhob, das hielt sich sehr in Grenzen.

    Ich musste mir auch noch einen Schlafsack besorgen, der einerseits wärmte, andererseits aber nicht so viel wog und klein in seinen Abmessungen war. Man hatte bei Schlafsäcken kaum Anhaltspunkte, wonach man sich beim Kauf richten sollte. Es gab den Temperaturbereich, der angab, bei wie viel Grad der Schlafsack noch ausreichend Wärme bot, das Material musste so stabil sein, dass es bei grobem Untergrund nicht sofort einriss. Ich entschied mich für einen „Ajungilak Kompakt 3-Seasons", der für einen Temperaturbereich von +5°C bis zu -10°C vorgesehen war, er kostete 150 Euro. Ich musste mir zum Schluss noch ein paar solide Wanderschuhe kaufen. Wahrscheinlich wären die das größte Problem, dachte ich. Schließlich gab es gerade bei Wanderschuhen eine solche Fülle an Materialien, dass man kaum zurecht kam. Wollte man Ganzlederschuhe, worauf viele schworen, die aber ihr Gewicht hatten? Sie eigneten sich in steinigem Gebiet, wo sie den Fuß vor scharfkantigen Steinen schützen mussten. Oder genügte ein Leichtbauwanderschuh, der am Schaft nicht die hohe Materialfestigkeit zeigte, aber den großen Vorteil des geringen Gewichtes hatte? Die Sohle wäre genau so stabil wie die der Ganzlederschuhe und er war besser geeignet, den Fuß vor Wasser zu schützen. Letztlich kam es natürlich darauf an, wie der Schuh am Fuß saß. Man musste schon ein paar Tage mit dem Schuh laufen, um sagen zu können, ob Schuh und Fuß miteinander harmonierten. Es gab nur wenige Geschäfte, die sich darauf einließen.

    Am Ende entschied ich mich für den „Raichle Explorer LS". Der Schuh kostete 98 Euro und bot alles, was ich von einem guten Wanderschuh erwartete Er war überwiegend aus Nubukleder und wog nur 1,3 kg! Tagelang lief ich mit dem Schuh durch die Gegend. Ich verspürte nirgendwo Druckstellen oder sogar Blasen. Es kam auch darauf an, welche Strümpfe man in den Schuhen trug, ich nahm dünne Baumwollstrümpfe. Neben den Wanderschuhen würde ich noch ein Paar Turnschuhe und ein Paar Schlappen mitnehmen.

    Damit hatte ich meine wichtigsten Ausrüstungsgegenstände zusammen gekauft. Ich beschloss, zunächst nach Istanbul zu fliegen und dort alles weitere abzuklären. Ich hatte noch zwei Wochen Zeit, dann würde es von Düsseldorf aus losgehen. Der Flug kostete 110 Euro, da überlegte ich nicht lange nach einer Busverbindung. In diesen zwei Wochen ließ ich mir eine Gammaglobulin-Impfung gegen Hepatitis C und eine gegen Hepatitis A geben, ich ließ meinen Tetanus-Status überprüfen und stellte mir eine Reiseapotheke zusammen. Sehr wichtig waren wirksame Mittel gegen Durchfall! Ich überprüfte meine Ausweispapiere und wurde Kunde der Postbank, Visa hatte ich schon längst, mein Flugticket hatte ich mir im Internet gekauft.

    Ich legte alle Sachen zusammen, die mir wichtig für meine Reise erschienen, besonders warme Kleidung. Ich hatte von früher noch eine sehr gut gefertigte „Northface Outdoor"-Jacke, die mir sicher gute Dienste erweisen würde. Ich würde ein Reisetagebuch schreiben, ich packte also eine Kladde und einen guten Kugelschreiber in meinen Rucksack. Zum Glück fiel mir ein, dass ich mit meinem Schweizer Messer wohl nicht durch den Security-Check am Flughafen kommen würde, ich ließ es also zu Hause. Ich würde mir irgendwo unterwegs ein entsprechendes Messer besorgen.

    Von allen wichtigen Dokumenten, die ich mitnehmen würde, machte ich Fotokopien, was die Wiederbeschaffung verloren gegangener Papiere erleichtern würde. Und dann ging es los! Vieles musste sich noch einspielen, zum Beispiel, wo ich mein Geld aufbewahren sollte, wie viel Geld ich immer griffbereit haben musste, wo meine Ausweispapiere waren, aber das würde sich alles schon finden. Ich verabschiedete mich von zu Hause und versprach, mich regelmäßig telefonisch zu melden. Das wäre ja alles kein Problem! Ich fuhr nach Düsseldorf.

    Noch sah ich aus wie ein x-beliebiger Backpacker. Wie oft ich schon auf dem Düsseldorfer Flugplatz war! Ich war ganz in Gedanken, es würde nicht in einen vorbereiteten Urlaub gehen. Wenn ich von Istanbul aus in den Ostteil der Stadt übergesetzt hätte, nach Asien, dann würde mein großes Abenteuer beginnen. Die Busfahrt von Köln hätte sicher vierzig Stunden gedauert, mit dem Flugzeug wäre ich in drei Stunden am Atatürk-Airport. Gut, dass ich das Schweizer Messer zu Hause gelassen hatte, wir wurden alle sehr genau gecheckt!

    Wie ließ sich meine Stimmung beschreiben?

    Istanbul

    In Istanbul angekommen war ich guter Dinge, das Wetter war herrlich, Sommerhitze! Aber ich war nicht entspannt, ich dachte voraus, an die Dinge, die auf mich zukommen würden, mit denen ich nicht rechnete, die mich vielleicht überraschten, auch negativ! Aber ich hatte keine Angst, im Gegenteil, dieses gespannte Gefühl hatte etwas Konstruktives, Vorwärtstreibendes. Ich fuhr mit Metro und Straßenbahn in die Stadt. Der Atatürk-Airport lag dreißig Kilometer außerhalb Richtung Griechenland.

    Die U-Bahn war klimatisiert, in der Straßenbahn machten sich aber dann unangenehme Körpergerüche breit, die Leute stanken. Das schien aber niemanden sonderlich zu stören. Man hielt sich an den an der Deckenstange befestigten Haltegriffen fest und entblößte so die schwitzenden Achselhöhlen. Bestenfalls wandten die Leute scheinbar teilnahmslos ihr Gesicht ab und blickten nach draußen. Ich war froh, als ich endlich in Eminönü angekommen war. Jemandem, der es nicht gewohnt war, solch einen Gestank in der Öffentlichkeit um sich zu haben, war das doch unangenehm, sich mit den schwitzenden Zeitgenossen in der Straßenbahn herumdrücken zu müssen. Aber da sollten mir noch ganz andere Gerüche um die Nase wehen! In Eminönü suchte ich in der Hamidye Caddesi die Verwandten eines ehemaligen Klassenkameraden auf.

    Aydin hatte es auf unserem Gymnasium tatsächlich bis zum Abitur geschafft. Er stammte aus Istanbul, sein Vater kam Anfang der 1970er Jahre nach Deutschland und bekam einen Job bei Krupp. In Istanbul wohnten seine Tante, sein Onkel, sein Cousin und sein Großvater. Die Familie wusste schon von Aydin, dass ich kommen würde und hieß mich willkommen, er selbst war nicht zu Hause. Es war ein quirliges Stadtviertel, in dem die Familie wohnte. Eine Unzahl von Menschen huschte über die Hamedi Caddesi hin und her und ging irgendwelchen Geschäften nach. Es gab zig kleine Läden in der Straße, in denen mit allem Möglichen gehandelt wurde. Sie waren uralt und wurden über Generationen geführt. Das war genau das, was den Charme dieser gigantischen Metropole ausmachte, ein Stück Beständigkeit in dem sich permanenten Veränderungen zuwendenden Trubel.

    Aydins Onkel besaß ein altes zweistöckiges Haus, in dem er ein Geschäft besaß, er handelte mit Haushaltswaren, mit Töpfen, Gläsern und Küchenutensilien, besonders Besteck. Hinten im Laden gab es eine Messerschleiferei, die Leute kamen und brachten ihre stumpfen Haushaltsmesser, manche brachten auch Äxte. Ganz früher gab es auch eine Messerschmiede, davon konnte der Großvater erzählen. Aydins Cousin übersetzte, was der Großvater über seine Zeit als Messerschmied zu berichten wusste. Aus allen Stadtteilen Istanbuls wären die Menschen herbei geströmt und hätten seine Messer haben wollen, er hätte Bestellungen für Wochen gehabt. Man war immer zufrieden mit seiner Arbeit und die Leute kamen, um ihre Messer schleifen zu lassen. Mit einem Male war Schluss mit der Messerschmiede, billige Messer aus Fernost überschwemmten den Markt. Da konnte Aydins Großvater preislich nicht mithalten, er gab die Schmiede auf.

    Hinten im Laden konnte man noch die erloschene Esse und den Amboss bestaunen, sie sahen aus, als könnte man sie jederzeit wieder benutzen, ein Feuer entfachen, die Glut mit dem Blasebalg anfachen und dann den Eisenrohling erhitzen, um ihn auf dem Amboss zu schmieden, tack, tack, tack, die Hammerschläge wären in der ganzen Nachbarschaft zu hören, sie waren immer der Pulsschlag des geschäftigen Lebens in der Hamedi Caddesi. Aber das war längst vorbei. Messer kamen aus industrieller Fertigung und waren bei weitem nicht so langlebig wie die, die Aydins Großvater geschmiedet hatte. Er trauerte der Zeit nach, saß in seinem Sessel und träumte in den Tag hinein.

    Ursprünglich stammte er aus Konya, siebenhundert Kilometer südöstlich von Istanbul. Aydins Onkel ging seinen Geschäften nach, Aydins Tante war einkaufen, Aydins Cousin, der fünfzehn Jahre alt war und ich saßen beim Großvater und hörten, was er zu erzählen hatte. Er rauchte streng riechende Orientzigaretten, seine Finger waren ganz gelb von dem Zigarettenqualm. Pro Tag genehmigte er sich ein, zwei Raki, mehr trank er nicht. Das Alkoholtrinken hatte in der Türkei keine Tradition, nicht so wie bei uns, wo man bis zur körperlichen Erschöpfung soff. Der Großvater hieß Yussuf und schien froh zu sein, jemanden gefunden zu haben, der ihm zuhörte, Aydins Cousin, Mehmet, übersetze fleißig. Yussufs Augen glänzten, wenn er von früher erzählte. Seine Frau Hatice war vor vier Jahren an Krebs gestorben. Er hatte sie sehr geliebt und kam lange Zeit nicht über ihren Tod hinweg. Als Yussuf von meinem Vorhaben, die Seidenstraße entlang zu pilgern hörte, war er lange Zeit still. Dann schaute er mich an, als wollte er sagen:

    „Du willst also die Welt entdecken!

    Es sprudelte aus ihm heraus, ich musste ihm meine Ausrüstungsgegenstände zeigen, er nahm meinen Rucksack in die Hand und nickte anerkennend mit dem Kopf. Dann begutachtete er meine „Raichle"-Schuhe, sah sich genau deren Verarbeitung und die Sohle an und attestierte auch den Schuhen gute Qualität. Ob ich denn alles zu Fuß machen wollte. Ich verneinte und sage, dass ich alle sich mir bietenden Verkehrsgelegenheiten nutzen wollte. Ob ich denn kein Messer hätte, wollte Yussuf von mir wissen und ich sagte ihm, dass ich mit einem Messer nicht durch die Sicherheitsüberprüfung am Flughafen gekommen wäre.

    Wenn ich zwei Tage Zeit hätte, könnte er mir ein Messer schmieden, sagte Yussuf dann. Ich antwortete, dass ich vier Tage in Istanbul bleiben und ihm beim Schmieden eines Messers gern zusehen wollte. Wieder hatte Yussuf den Glanz in den Augen, „gut" sagte er dann, wir würden am nächsten Tag in den Großen Basar gehen und Messerstahl kaufen, er hätte einen alten Bekannten im Großen Basar, der sich auskannte und nicht betrügen würde. Ich müsste für ein geschmiedetes Messer aber schon dreißig bis vierzig Euro ausgeben!

    Ich willigte ein und entgegnete, dass ich gerne bereit wäre, für ein gutes Messer so viel Geld auszugeben. Ich bekam ein eigenes Zimmer neben dem von Mehmet und ging früh schlafen. Aydins Onkel und Tante verließen am nächsten Morgen nach dem Frühstück zeitig das Haus. Wir liefen zum Großen Basar, den wir nach zehn Minuten erreichten, es wimmelte von Touristen. Die Händler waren alle auf die Touristen eingestellt und belagerten sie. Immer wenn sich eine Touristengruppe näherte, gingen sie auf sie zu und priesen ihre Ware an. Oft hatten sie den typischen Touristenramsch im Angebot, viele Touristen vielen darauf herein und kauften zu völlig überzogenen Preisen. Immer gaben die Händler den Touristen das Gefühl, gehandelt und ein gutes Geschäft gemacht zu haben. Dabei machten sie selbst gut und gerne zweihundert bis dreihundert Prozent Gewinn. Der Große Basar war ein fünfhundert Jahre altes Geschäftsviertel in Istanbul, er bestand aus einem Gewirr von überwölbten Gassen und Gässchen. In der Mitte befanden sich die Gold- und Silberhändler. Eine Menge Cafes reihten sich aneinander. Yussuf ging zielstrebig auf seinen Händler zu.

    Mustafa führte seinen Stand schon in der dritten Generation, er handelte mit Messern und Schmuck, man konnte über ihn aber auch Rohstahl beziehen, so wie er zum Schmieden gebraucht wurde. Er umarmte Yussuf herzlich und ging dann mit ihm in die hinterste Ecke seines Verkaufsraumes, dort kramte er ein Stück Rohstahl hervor. Yussuf nahm das Stück in Augenschein und befand es für gut, man wurde schnell handelseinig. Yussuf zahlte und ging mit Mehmet und mir wieder hinaus, er freute sich über das gute Geschäft, das er gemacht hatte. Wieder glänzten seine Augen, wahrscheinlich in Vorfreude auf seine Schmiedearbeit. Zu Hause angekommen schickte er Mehmet los, Holzkohle kaufen. Er entfachte auf seiner alten Feuerstelle ein kleines Holzfeuer und schichtete, als es richtig brannte, Holzkohle darauf. Die Esse zog immer noch gut. Den Blasebalg hatte man inzwischen elektrifiziert. Yussuf leitete den Luftstrom vorsichtig auf die Holzkohle, bis sie weiß glühte. Dann legte er den Stahlrohling in die Glut und wartete, bis er die Schmiedetemperatur erreicht hatte. Anschließend nahm er den Rohling mit der Schmiedezange und legte ihn auf den Amboss. Yussufs Bewegungen waren fast jugendlich und bestimmt, mit großer Eleganz schlug er mit dem Hammer auf den Stahlrohling und formte ihn nach seinem Willen. Tack, tack, tack, der alte Arbeitsrhythmus war wiedergekommen.

    In der Nachbarschaft wunderte man sich, dass Yussuf seine Schmiedearbeit wieder aufgenommen hatte. Mehmet erklärte Neugierigen, was es damit auf sich hatte. Yussuf war lange Zeit nicht ansprechbar, er schien in seiner Arbeit versunken. Immer wieder legte er den Rohling ins Feuer, bis er rot glühte und schlug dann mit dem Schmiedehammer auf ihn ein.

    Diese Tätigkeit dauerte Stunden. Mit einem Mal legte Yussuf den Hammer zur Seite und wischte sich den

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