Musik und die Jugend: Probleme im Verständnis der Musik
Von Helmut Lauschke
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Nach den Eltern kam Oberstudiendirektor Sternberg auf Boris zu und beglückwünschte ihn zu den Leistungen seiner Schüler, die schon beachtlich seien, wenn er das Alter der Spieler dabei bedenkt. "Der jüngste Schüler kommt erst noch", sagte Boris, worauf Herr Sternberg ein erstauntes Gesicht machte, zumal der Jüngste nicht den Anfang im Spielen gemacht hatte.
Leonard Bernstein: Wir wollen den großen Vermächtnissen eines Schillers, van Beethovens und Furtwänglers folgen und uns mit unserer Musik für die Versöhnung unter den Menschen und Völkern einsetzen. Denn die Sprache, die wir sprechen, sprengt die Eingeengtheit des Verstandes und ist auf die Herzen der Menschen gerichtet, die ohne die Sprache der Musik, ich meine, ohne von der Musik angesprochen zu werden, hart werden und verkümmern, weil es die Worte nicht bringen, wie es Beethoven in der Neunten erklingen lässt. Der Musiker muss sich als Vorkämpfer für die Würde und Größe des Menschen empfinden, die wieder hergestellt werden müssen, wenn es mit der Menschheit weitergehen soll, wo sich die Kinder kommender Generationen noch zu Hause und geborgen fühlen können. Musik soll helfen, dass die Wunden heilen, sie soll Hoffnung auf das Gute im Menschen, soll Licht in die verdunkelten Herzen der Verzagten und Verzweifelten bringen. Wenn wir uns das Leid und die Not der Diskrimination und Armut der Menschen vor Augen halten und ihnen die Musik der Heilung und Versöhnung bringen, dann erfüllen wir unsere Pflicht am Menschen, dann sind wir gute Musiker."
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Buchvorschau
Musik und die Jugend - Helmut Lauschke
Vorbereitungen für den Klavierabend mit den Schülern
Probleme im Verständnis der Musik
Gegen sechs Uhr morgens kam Boris in Berlin an. Er nahm ein Taxi und war gegen sieben in der Knesebeck Straße 17. Boris nahm die Post aus dem Briefkasten und ging in seine Wohnung im zweiten Stock, stellte den Koffer im Schlafzimmer ab und machte sich in der Küche eine Tasse Kaffee. Am Klubtisch im Arbeitszimmer, den Stapel von Partituren hatte er vom Tisch genommen und auf den Boden gelegt, trennte er die Briefe von den drei Sendungen der ‘Berliner Morgenpost’ und wandte sich den Briefen zu. Ein Brief kam aus Oslo, in dem das Komitee für die Ausrichtung der Feierlichkeiten im Rahmen der diesjährigen Friedensnobelpreis-Verleihung anfragt, ob er bereit sei, mit dem Osloer Kammerorchester Mozart’s Klavierkonzert D-Dur, Köchelverzeichnis 537, das Krönungskonzert zu spielen. [Von den 22 Klavierkonzerten war das D-Dur Konzert, KV 537, das vorletzte, das Mozart 1788 in Wien komponiert hatte.] Die anderen Briefe enthielten Rechnungen für Bücher und Noten. Da in Moskau die Uhren zwei Stunden weiter waren als in Berlin, rief Boris gegen neun Marina an, um sich nach ihrem seelischen Zustand zu erkundigen. Ihre Stimme war heiser und schwach. Sie sagte, dass sie eine schlaflose Nacht hatte, weil sie sich im Traum nicht von Ilja Igorowitsch trennen wollte. Es braucht Zeit, bis ich mich damit abfinde, dass es ihn nicht mehr gibt
, sagte Marina, und Boris hörte, wie sie dabei zu weinen begann. Sie bedankte sich für den Anruf und die guten Wünsche, die ihr Boris in dem Morgengespräch übermittelte, in dem er Marina die Kraft und den Mut zusprach, die Zukunft nun ohne Ilja Igorowitsch anzupacken.
Es war Samstag, und der Klavierabend zu vier Händen mit den Schülern war nur noch wenige Tage entfernt. Das Probespielen musste unverzüglich wieder aufgenommen werden. Da Claude Zerbal am späten Dienstagnachmittag so schlecht, ja katastrophal die Beethoven-Sonata, Opus 6 gespielt hatte, dass die Frage aufkam, ihn vom Programm zu streichen, weil sein Spiel eben nicht klappte, rief ihn Boris zuerst an und bestellte ihn für elf Uhr. Dann rief er die anderen Schüler an, die alle jünger als Claude waren, und bestellte sie für den Nachmittag und Sonntagvormittag zum Probespielen ein. Bis elf war eine halbe Stunde Zeit, die Boris nutzte, um sich frisch zu machen und einen frischen Kaffee aufzubrühen. Er saß mit der Tasse am Klubtisch und betrachtete das vergilbte, an den Ecken geknickte Schwarzweißfoto seiner Großmutter Katharina Zwetlana Baródin mit dem schönen Gesicht, aus dem Intelligenz und Willensstärke herauszulesen waren, die nun im großen Moskau
ihren Sohn Ilja Igorowitsch wieder hatte, als es an der Tür klingelte. Boris legte das Foto auf den Tisch zurück und ging zur Tür. Es war Claude Zerbal, der mit den Noten unter dem Arm sich fünf Minuten verspätet hatte. Er drückte Boris sein Beileid aus, als sie schon nebeneinander auf der Bank vor dem Flügel saßen. Fangen wir mit dem Beethoven an
, sagte Boris, dem die Müdigkeit nach der Moskauer Reise trotz Brausen und drei Tassen Kaffee noch in den Knochen steckte. Es war abgemacht, dass Claude den oberen Part spielen sollte und deshalb rechts von Boris saß. Du hast geübt
, sagte Boris erleichtert, als sie fast in der Mitte des Allegro molto waren. Am Ende des Satzes gab er Claude einige Verbesserungshinweise. Sie spielten den ersten Satz noch einmal, der nun in etwa dem entsprach, was Boris vom vierhändigen Spiel des Stückes erwartete. Auch beim Rondo musste sich Claude einige Ratschläge zu Herzen nehmen. Aber er hatte geübt und spielte weit besser als bei der vorherigen Probe am Dienstag. Das war die Hauptsache, wenn er bei dem Schülerkonzert mit dabei sein wollte. Nach dem Beethoven ging es zu Mendelssohn Bartholdy. Hier wechselten sie die Plätze, Boris rechts und Claude links, weil der Oberpart im ‘Andante mit Variationen’, Opus 83a, technisch deutlich schwieriger war als der Oberpart in der Beethoven-Sonate. Boris war erleichtert, dass Claude seine Warnung verstanden und sich während seiner Moskauer Kurzreise ans Klavier gesetzt und intensiv geübt hatte. Auch hier wiederholten sie das Andante, und Boris gab einige Erklärungen zum Thema mit den thematischen Veränderungen in den folgenden Variationen. Nun sind wir aus der Talsohle heraus
, sagte er, aber Du hast an beiden Stücken noch viel zu arbeiten, denn an beiden sind noch Verbesserungen nötig, wenn Du auf den Stand kommen willst, den ich von dir erwarte und das Publikum von mir erwartet.
Es wurde ein neuer Probentermin für Montag festgelegt und kein Wort in Sachen Olga Zerkow gewechselt, als Boris gegen halbeins Claude zur Haustür brachte und ihm die Mahnung des intensiven Übenmüssens mit auf den Weg gab. Dann schloss er die Tür, grüßte vor der Treppe Frau Herta Steinfeld in der halb geöffneten Tür ihrer Parterre-Wohnung mit den Worten: Guten Tag Frau Steinfeld, ich bin wieder zurück!
und nahm die Stufen zur Wohnung im ersten Obergeschoss.
Am Nachmittag, genau halbdrei, kamen Angelika Hoff und Wolfgang Schön. Angelika spielte aus Debussy’s Petite Suite
das ‘Cortège’ und ‘Mennet’ in kindlich schönster Weise mit dem Charme der Heiterkeit und der natürlichen Gabe zur Innigkeit. Sie hatte das absolute Gehör, das noch feiner abgestimmt war als es die wohltemperierten Tasten im Anschlag auf dem Flügel spielen konnten. Boris war von ihrem Spiel hoch angetan. Wunderbar, wie Du das bringst
, sagte er und strich Angelika seine Anerkennung über ihr blondes Haar. Als sie die beiden Stücke bei der Wiederholung auswendig spielte, war Boris von ihr begeistert. Großartig, wunderbar!, wie Du es spielst
, rief er aus. Sie war stolz und strahlte, als sie sich von der Bank vor dem Flügel erhob und sich in einen der Sessel neben dem Klubtisch setzte, um Wolfgang bei seinem Spiel zuzuhören. Er war wie schon bei den vorherigen Proben aufgeregt. Als sich Wolfgang neben Boris auf die Bank gesetzt hatte, beruhigte ihn Boris auch diesmal mit den Worten: Wolfgang, sei nicht aufgeregt, Du kannst es und hast es bewiesen.
Doch legte sich sein Aufgeregtsein auch diesmal erst im Spiel von Bizet’s Jeux d’Enfants
, und er spielte die Oberstimme der vier Stücke ‘La Toupie’, ‘La Poupée’, ‘Les Chevaux de bois’ und ‘Le Volant’ fehlerfrei, dass ihm Boris sein Lob auf die Schulter klopfte. Wolfgang hatte fleißig geübt und spielte die Stücke auswendig, nachdem ihn Boris gefragt hatte, ob er sich das Auswendigspielen zutraue. Er machte es großartig, und Boris sagte es ihm, dass er die Zuhörer mit seinem Spiel begeistern werde. Da strahlte Wolfgang, bei dem die anfängliche Nervosität spurlos verschwunden war. Die beiden Kinder wurden für die nächste Probe am Montag nach der Schule nachmittags um drei einbestellt. Boris brachte sie runter zur Haustür. Als er die Tür öffnete, strahlten sie ihren Müttern entgegen, die sie für den Heimweg in Empfang nahmen.
Boris wartete nun auf Jürgen Stolz, den achtzehnjährigen, bei dem es in der Familie nicht mehr klappte, weil sich der cholerische Vater von der Mutter scheiden lassen wollte. Jürgen war für vier Uhr bestellt. Da waren noch zwanzig Minuten, in denen sich Boris einen Kaffee machte und sich mit der Tasse an den Klubtisch setzte und nach dem letzten Brief von Ilja Igorowitsch griff, den er auf seiner alten Reiseschreibmaschine geschrieben hatte, weil er nach dem ersten Schlaganfall mit der rechten Hand nichts mehr anfangen konnte und mit der linken Hand das Briefschreiben nicht geschafft hatte. Nachträglich bewunderte Boris die Willensstärke des Vaters, sich einer solchen Anstrengung zu unterziehen. Er stellte sich vor, dass der Brief eine Woche gedauert haben musste, um fertig geschrieben worden zu sein. Beim Lesen des letzten Briefes mit der Danksagung für alles, was der Sohn dem Vater an Freude durch sein Spiel gegeben hatte, machte Boris doch traurig, und er wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Er legte den Brief