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Zwischen Anfang und Ende: Fernblick Hindukusch
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eBook248 Seiten3 Stunden

Zwischen Anfang und Ende: Fernblick Hindukusch

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Über dieses E-Book

Es sind Aspekte der historischen, praktischen und kämpferischen Art, die den Prozess, ein junger Arzt in einem großen Flüchtlingslager zu sein, inhaltlich begründeten und seinen aufopfernden Beitrag aus der Normbreite der Medizin im Arztsein hervorhob. Die genetische Grundlage hatten die Eltern gelegt, war doch der Vater Björn Baródin der hochmotivierte Professor für Neurologie und Psychiatrie und dazu ein tief veranlagter Humanist. Die Objektivität kommt in der klärenden Subjektivität ans Licht. So ist es bei dem jungen Arzt Karl Ferdinand, der die Merkmale eines guten Arztes und engagierten Humanisten in einer Welt der Verworfenheit in sich trägt mit dem Wunsch, den Weg zum besseren Verständnis mitzugestalten und das Vertrauen in einer seelisch gestörten Menschheit zu wecken und zu festigen.

Die Psychologie des Gedichts weist auf die Ruhe zwischen den Sternen und auf den Verlust der Ruhe nach Anbruch des Tages mit seinen Bewegungen im Kommen und Gehen, die sich sprachlich fassen lassen bis hin zur sprachlichen Fassungslosigkeit. Es ist der Tag, an dem sich die Weite der Freiheit krümmt und kerkert und in der Verkürzung bis auf den Punkt zusammenschrumpft. Diesem Vorgang unterliegen die Dinge des Lebens von der Saat bis zur Ernte, von der Geburt bis zum Tod. Es ist der Mensch als Sämann, der mit der Saat die Möglichkeiten aus der Hand wirft, was er zum Zeitpunkt der Ernte mit dieser Hand nicht mehr fassen kann.

In all den Dingen mit dem Durcheinander steckt das Leben, dass sich der Mensch in den Gedanken bis zu den Sternen streckt. Auf dem Weg ins Universum gibt es Gedankenblitze als Markierungslichter für den sich ausstreckenden Verstand, die zeitlos blinken und nicht zu löschen sind. Die Suche nach dem Licht bringt Zweifel und Verzweiflung, weil die 'Wolkendecke' über dem rasenden Verstand nicht aufreißt, um den Einblick mit dem Durchblick zu bekommen. Denn zur Erkenntnis braucht es das Licht, um im Zwischendrin die Kreuzungen der evolutiven Entscheidungen zu verstehen..
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum8. Feb. 2020
ISBN9783750224094
Zwischen Anfang und Ende: Fernblick Hindukusch

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    Buchvorschau

    Zwischen Anfang und Ende - Helmut Lauschke

    Aus einem Brief

    Fernblick Hindukusch

    Die Axiologie der Wertelehre liegt in der Verwirklichung am Mitmenschen als Bestandteil der Ontologie.

    Viele waren in der Partei gewesen, standen mit Bonzen vertraut am Tresen, machten farbige und rotköpfige Sprüche und tranken auf Spesen der Partei.

    Männer traten mit Bärten hervor, die durchs System rasiert marschierten, andere kamen mit Stoppelbart und Glatze, die hatten damals schon ‘ne Fratze.

    Dach und Keller wurden durchsucht, für die Kleinen blieb die Folter vorgebucht, die’s nicht waren, weder in der Partei noch in den Trupps mit dem Schlägerallerlei.

    Trotz Gewissen gerieten sie in Not, vielen brachte es den späten Tod durch Drosselung und mit harten Hieben, weil sie bei der Wahrheit blieben.

    Nehmen Not und Prügel denn kein Ende, was ist Hoffnung ohne Wende, wenn Andersblicken folgen Andersschläge mit gezinkten Haken und gestirnter Säge?

    Die, die’s waren, sind verschwunden, wurden auch später nicht gefunden. Es war in einer Nacht bei Mondenschein, keiner hätte es gedacht, der könnt es sein.

    Wieder hat der Mond gelacht, die Kleinen fanden sich erneut bewacht, saßen hinter Schloss und Riegel. Doch die Großen waren frei.

    Wer’s nicht glaubt, den hat Blindheit tief geschlagen. Was soll die Menschheit noch ertragen mit all der Blindheit und der Lüge, mit der Macht und der Intrige?

    Verloren hat der Schmerz sein Zentrum, das Denken weiß nicht ein noch aus. Es ist der Hochgeschwindigkeitszug der Zeit, der, wenn er nicht an der letzten Weiche entgleist, unhaltbar in den Wahnsinn der Unendlichkeit rast.

    Das andere, das ist der Mensch, der es nicht begreift, da hat es das Denkzentrum tief getroffen. Die Barrikaden sind niedergerissen, und die Grenzpfähle sind verschlissen. Da sind die Pfade der Moral zertrampelt und zertreten.

    Das Ende des Krieges ist in Sicht

    Wilhelm Theisen stellte den kleinen Volksempfänger auf der schmalen Fensterbank hinter der Sitzbank an. Atmosphärische Störungen kratzten im Lautsprecher. Eine Stimme drang durch, wurde laut, dann leise, verschwand und kam zurück, die vom heldenhaften Kampf der deutschen Truppen um Breslau sprach. Sie sagte, dass Breslau eine Festung sei, in der Wehrmacht und Zivilbevölkerung wie ein Mann stünden und dem Feind den erbitterten Widerstand leisteten. Der Sprecher nannte 34 abgeschossene, russische Panzer. Verluste an eigenen Panzern nannte er nicht. Darauf sagte Wilhelm Theisen, dass die Wehrmacht den Großteil ihrer Panzer wohl in Russland und in Polen bereits verloren habe. Mit den paar übrig gebliebenen Panzern käme eine Panzerschlacht nicht mehr in Frage. Luise Agnes und Eckhard Hieronymus dachten an ihren Sohn Paul Gerhard und an die Bekannten und befreundeten Menschen in Breslau, wie dem alten Gemeindemitglied Matthias Kehrer, der an einem Lungenkrebs litt und zu dem Zeitpunkt verstarb, als Eckhard Hieronymus sich von ihm und seiner Tochter verabschiedete. Er erinnerte sich an den Abschied von der Kriegerwitwe Elisabeth Kreutzer, die so aktiv in der kirchlichen Frauenhilfe war und nach dem Tod ihres Mannes Adolf Kreutzer, der in den letzten Jahren als Küster ausgeholfen und die Glocken geläutet hatte, wenn der alte, an der Parkinsonschen Krankheit und am Bluthochdruck leidende Peter Meyer ausgefallen war. Frau Kreutzer hatte drei kleine Kinder und musste, nachdem ihr Mann an der Weichsel gefallen war und die Kriegerwitwenrente nicht reichte, aus finanziellen Gründen die geräumige Wohnung am Grossen Markt aufgeben und eine kleine Obergeschosswohnung in der verpönten Schindelgasse am hinteren Burgplatz beziehen. Sie bestritt den Lebensunterhalt für die Familie durch eine zusätzliche Halbtagstätigkeit als Putzfrau im Hause eines hochgestellten Parteimenschen, der aber angekündigt hatte, dass er Breslau verlassen werde, um sich und seine Familie vor den Russen in Sicherheit zu bringen.

    Eckhard Hieronymus erinnerte sich an den Abschiedsbesuch beim tapferen, jungen Pfarrer Rudolf Kannengießer in der engen Dachgeschosswohnung in der Deutschstraße 25, mit dem von Büchern überladenen Schreibtisch im kleinen Arbeitszimmer, das auch sein Wohnzimmer war. An ihm bewunderte Eckhard Hieronymus die kompromisslose Geradheit im Glauben und die Furchtlosigkeit vor den Konsequenzen, die ihn einige Male in die Verhörkeller der Gestapo gebracht hatte, wo ihm das Erlebnis der Folter nicht erspart blieb. Eckhard Hieronymus hatte die drei russischen Tiefflieger vor Augen, die sie vom Dachfenster aus beobachteten, wie sie mit ratternden Maschinengewehren über die Stadt flogen, als die Menschen hektisch mit ihren Fluchtvorbereitungen zugange waren. Im Ohr hatte er die Kannengießer’schen Sätze, die er wie ein Vermächtnis mit sich trug: „Das ist nun das Ende. Dann werden auch bald die Nazimäuler schweigen. Sie werden irgendwo untertauchen und die Schuld für das klägliche Ende mit der großen Katastrophe auf die Menschen abwälzen, die dafür nicht ganz schuldlos sind, weil sie dem Teufel zur Macht verhalfen und zum Teufelswerk schwiegen und noch mitmachten, anstatt dagegen zu protestieren. Die Kirche habe kläglich versagt, wenn es um die Erfüllung des Auftrags geht, sich für die armen, wehrlosen und gequälten Menschen einzusetzen.

    Wir als Kirchenmänner haben uns selbst zu ängstlichen Zuschauern degradiert, anstatt wie ein Paulus aufzustehen und die Verbrechen gegen die Menschheit laut und deutlich anzuprangern. Viele gute Menschen gingen Eckhard Hieronymus durch den Kopf, von denen er sich nicht mehr verabschieden konnte. Er fragte sich, wie es diesen Menschen wohl ergehen mochte, wenn der Sprecher im Radio vom heldenhaften Kampf um Breslau sprach, wenn er sagte, dass Breslau eine Festung sei, in der Wehrmacht und Zivilbevölkerung wie ein Mann stünden und dem Feind erbitterten Widerstand leisteten. Da stach die Bemerkung von Pfarrer Kannengießer auf die Frage, ob er Breslau verlassen werde, wie ein Leuchtturm heraus: „Ich werde den Kampf um Breslau von meinem Dachfenster aus verfolgen.

    Klaus Mehring, der sich noch Bratkartoffeln nachgeben ließ, sagte, dass die Kampfmoral bei der Truppe bei Null angekommen sei. Dieser Verlust hinge, soweit er es verstanden habe, nicht nur mit dem fehlenden Nachschub an Nahrung, Decken, Winterkleidung und Kriegsmaterial, sondern mit den Hinrichtungen und den Gräueltaten an der Zivilbevölkerung zusammen. Es war nicht nur ein Landser, der sein Entsetzen über die Vorgänge in den Konzentrationslagern ausgesprochen hatte. Sie alle drückten es aus, dass ein Volk, das solche Verbrechen begeht, der Strafe nicht entgehen könne. Sie sagten auch, dass die Kriegsgegner nicht frei von Verbrechen seien, dass aber die Schuldabrechnung mit dem Sühnemaß auf die zukommen und hart treffen werde, die den Krieg verlieren. „Das sind doch wir, die Deutschen!, fuhr Eckart dazwischen, „die die Kriegsschuld aufgebrummt bekommen. Die Alliierten werden sich die Hände reiben und von den Deutschen hohe Reparationen erpressen. Darauf meinte Klaus Mehring, dass er nach allem, was er persönlich in den paar Monaten als Soldat erlebt habe, einen Sinn für die ausgleichende Gerechtigkeit in der Art entwickelt hätte, dass die Deutschen für die Verbrechen an der Zivilbevölkerung und den Menschen in den Konzentrationslagern schon ihre Strafe verdient hätten. „Wer sich an alten, wehrlosen Menschen und an Müttern mit ihren Kindern vergeht, der kann doch nicht ungestraft davonkommen." Das Prinzip der Bestrafung wurde ohne Gegenstimme geschluckt. Wilhelm Theisen sagte, dass dann auch die Alliierten für ihre Verbrechen bestraft werden sollten, worauf Eckhard Hieronymus fragte, wer denn die Sieger bestrafen soll. Das wäre die Aufgabe des Völkerbundes, erwiderte Wilhelm Theisen.

    Es war kurz vor Mitternacht, als sich die Tischrunde in der Küche aufzulösen begann. Die Menschen verabschiedeten sich in Dankbarkeit von Mutter Dorfbrunner, der Frau von Haus und Hof, die einige Scheite und Braunkohlestücke im Herd nachlegte, um am Morgen die Glut zum Kochen zu haben und die Küche über Nacht warm zu halten. „Es ist spät geworden. Ihr müsst doch müde sein. Morgen früh könnt ihr länger schlafen. Deckt euch warm zu! Ich wünsche euch eine gute Nacht." Sie beauftragte ihren Sohn, den Gästen beim Auffinden der Schlafstellen zu helfen. Eckart ging mit der Petroleumlampe voraus, zog das Scheunentor auf, stellte die Lampe auf den Hackeklotz, hielt die Leiter für die aufsteigenden Breslauer Dorfbrunners fest und setzte sie dann gegen den Schober auf der anderen Scheunenseite. Er stieg als erster hoch, gefolgt von Klaus und Heinz, breitete das Heu auf dem Bretterboden dick genug aus und legte die ausgebreiteten Decken darauf. Klaus und Heinz waren von ihren Schlafstellen angetan. Sie meinten, dass sie da wie im Paradies schlafen würden. Vor welchem Schober die Leiter angelegt bleiben solle; diese Frage stellte Eckart den beiden Parteien auf den zwei gegenüberliegenden Schobern. Es wurde sich dahingehend geeinigt, dass sie dem linken Schober für die drei Breslauer angelegt bleiben solle, damit die Damen ohne Verzögerung das Plumpsklo vor dem Gemüsegarten aufsuchen können. Eckart wünschte den Parteien eine gute Nacht, löschte die Petroleumlampe, stellte sie neben den Sockel des Hackeklotzes und schob das Scheunentor von außen wieder zu. Aus dem Schweinestall kamen Schnarchgeräusche, der Hengst war still, auf dem Scheunengiebel saß die Eule, die Sterne flunkerten schwach, der Mond stieg in die neue Phase, und der Bodenfrost zog an. Eckart überquerte den Hof, überprüfte die Torverriegelung an der Hofeinfahrt und verschwand im Wohnhaus, wo er die Tür von innen verriegelte.

    „Hört mal, ihr da drüben, rief Klaus Mehring vom rechten Schober zum linken herüber, während Heinz seine ersten Schnarchtöne von sich gab, „heute habt ihr unsere Geschichte gehört, morgen wollen wir eure Geschichte hören. Darauf sagte Eckhard Hieronymus, dass er sie gerne erzählen werde; sie sei aber weniger aufregend, weil sich seine Geschichte auf die Familie, den Beruf und die Stadt Breslau beschränke. Er könne nicht mit Fronterlebnissen und den anderen fürchterlichen Erlebnissen aufwarten, mit denen die beiden als Soldaten in ihren jungen Jahren konfrontiert wurden. Klaus wollte das nicht so unter dem Scheunendach stehen lassen und meinte, dass jeder Mensch in dieser Zeit aufregende Dinge erlebe, die ihm nachts den Schlaf und tagsüber die Konzentration rauben. Eckhard Hieronymus gab ihm recht und erinnerte sich an den 1918-Novemberbrief seines verstorbenen Vaters, des Oberstudienrates Georg Wilhelm Dorfbrunner, der am Stiftsgymnasium für Knaben in Breslau Geschichte und Geographie unterrichtete, wie er davon schrieb, dass durch die Sorgen über die Ungewissheit des Verbleibs seiner Söhne Friedrich Joachim und Hans Matthias seine Konzentration derart gelitten habe, dass er im Unterricht die Jahreszahlen vom 1. Punischen Krieg mit dem Kampf um Troja durcheinandergeworfen hatte und sich vor Verwechselungen in der Geographie auch nicht mehr sicher sei.

    „Morgen werde ich ihnen unsere Geschichte erzählen, sagte er zu Klaus, der mit dem „Lift bereits auf Talfahrt ins Unterbewusstsein abgestiegen war, und aus dem ‘fahrenden Zug’ noch murmelte: „Dann ist es ja gut. Heinz schnarchte, als sägte er die Scheune in Stücke. „Luise Agnes, schläfst du?, fragte Eckhard Hieronymus im Flüsterton. „Nein, die Erlebnisse des Tages lassen mich nicht zur Ruhe kommen, sagte sie. Dann rief er flüsternd nach Anna Friederike, die der Schlaf bereits überwältigt hatte. „Es war der vollste Tag meines Lebens, sagte Luise Agnes. Etwas später fügte sie hinzu: „Wo wird Mutter sein? Hast du eine Idee, wohin Ludwig und Martha Lorch gegangen sind? „Nein, ich weiß es nicht, antwortete Eckhard Hieronymus, „sie haben mir nichts gesagt. „Stand denn auf dem Zettel nichts? So, wie ich die Lorches kenne, machen sie immer klare Angaben. „Morgen schaue ich noch einmal auf den Zettel. Ich kann mich nicht erinnern, dass da etwas vermerkt war. „Vielleicht haben Lorches die Angabe des Ziels im Schreiben versteckt, aus Sorge, dass das Papier in falsche Hände kommt. „Das kann gut sein, denn sie haben Mutter durch all die Jahre vor den Nazis bewahrt und gut für sie gesorgt. Da sollte nun am Schluss nicht ein Fehler passieren. „Ob Mutter Dorfbrunner mit deinem Bruder Friedrich Joachim in Dresden angekommen ist? „Das hoffe ich. Dresden ist nicht so weit von hier, das können wir bald in Erfahrung bringen. „Hat Onkel Alfred ein Telefon? „Ich weiß es nicht.

    Komm lass uns für die letzten Stunden bis zum Morgen zur Ruhe kommen. Möge der Herr seine Hand auf das bedrängte deutsche Volk und die vielen anderen gequälten Völker legen, dass die Menschen aus der Sackgasse der Verzweiflung herausfinden und die Wunden mit dem Verband der Verzeihung bedeckt werden. Möge der Herr auch diesen Hof und seine guten Menschen beschützen; möge er seine Hand auf unseren Sohn Paul Gerhard legen und ihn zur Familie zurückführen. Wir bitten den Herrn, uns unsere Sünden zu vergeben, die wir bewusst und unbewusst begangen haben. „Vor dir, Herr, der du unsere Herzen kennst, bekennen wir unsere Fehler und Schwächen und bitten dich um deine Gnade und den Beistand für den Gang in eine uns völlig ungewisse Zukunft. Lass uns Mutter Hartmann und Mutter Dorfbrunner mit dem Bruder Friedrich Joachim bald finden. Herr, wir bitten dich um unser tägliches Brot, das wir uns selbst nicht besorgen können. Nimm uns in unserer Not und in unserem Flehen an. Amen!"

    Zu den fremdartigen Gerüchen kamen die fremden Scheunengeräusche dazu. Es nagte und kratzte, klopfte und wühlte in den verschiedensten Ecken und Winkeln. Windstöße brachten die Dachschindeln zum Klappern, die Bretterfugen zum Knarren und das Scheunentor zum Vor-und-zurück-schlagen mit dem Quietschen des Eisenriegels im Schloss. Hier mussten außer den fünf Menschen, die teils schliefen und teils den Schlaf noch suchten, andere Wesen übernachten, denn es raschelte im Heu auf beiden Schobern. „Meinst du, dass hier Mäuse sind?, fragte mit dem Gefühl des aufkommenden Ekels Luise Agnes ihren Mann, der bereits im „Gleitflug zur unterbewussten Etage war und auf die Frage nicht mehr reagierte. Das tat für ihn Anna Friederike; sie bat ihre Mutter dringend, nun endlich zu schlafen.

    „Selbst wenn es Mäuse sind, die tun dir nichts, das sind keine Nazis. So, nun schlaf endlich. Das Wort der Tochter hatte sich die Mutter zu Herzen genommen und schlief endlich ein. Hatte sie doch zu später Stunde begriffen, dass sie vor Mäusen keine Angst zu haben brauchte. Denn Mäusen ist es ganz egal, wie arisch sich die Menschen ausnahmen, solange sie nur an die Getreidekörner oder das Saatgut für die nächste Saison herankommen. Luise Agnes war tief eingeschlafen. Sie bekam das kräftige Rascheln mit dem plötzlichen Absprung der Katze vom Schober mit der quietschenden Maus im Maul nicht mit. Doch nun hatte sich Anna Friederike erschrocken. Sie drehte sich zur Seite, mit der Bauchseite gegen den Rücken der Mutter. Eckhard Hieronymus drehte sich nach dem Katzensprung mit dem Gesicht zu Luise Agnes und stellte im Drehen aus dem Halbschlaf die Frage: „War etwas?

    Nachdem sich die Ohren an die nächtlichen Scheunengeräusche gewöhnt hatten, trat die Schlafphase in Kraft. Die Mäuse konnten huschen, rascheln und knabbern, sie störten die Schlafenden nicht. Plötzlich, es war in den frühen Morgenstunden, draußen war es noch stockdunkel, stieg Anna Friederike die Leiter herunter, um ihre Blase auf dem Plumpsklo zu entleeren, als Heinz im Traum aufschrie: „Hört endlich mit der Prügel auf! Ich will es sagen, wer’s war. Ihr schlagt mich noch tot. Eckhard Hieronymus setzte sich wie vom Schlag getroffen auf. Er fuhr mit der Hand über die Decken, fühlte Luise Agnes neben sich, aber nicht Anna Friederike neben ihrer Mutter. „Anna Friederike, wo bist du?, rief er. Statt der Antwort knarrten und quietschten die Räder auf der Laufschiene des Scheunentors. „Hört endlich auf, ihr seid doch Schweine! Es macht euch nichts aus, mich totzuschlagen. Euch wird der Teufel holen! Dann jammert und zittert ihr. Hört doch auf, das hat doch alles keinen Zweck!"

    Eckhard Hieronymus stieg die Leiter herab. Er rutschte mit dem linken Fuß von der Sprosse und konnte sich mit letzter Armkraft vor dem Absturz retten. Er stieß gegen den Hackeklotz, warf die Petroleumlampe um, stellte sie wieder auf, schob das Scheunentor auf, dann wieder zu, und ging zum Plumpsklo, um Anna Friederike zu suchen. Die Brettertür war verriegelt. Noch bevor er ihren Namen rief, rief sie von drinnen nach draußen: „Vater, bist du’s? „Ja, ich bin’s, sagte mit großer Erleichterung Eckhard Hieronymus. „Warte, ich bin gleich fertig. Das ist ja lausig kalt. Da kann man nicht lange auf dem Klo sitzen, ohne festzufrieren." Der Vater entlastete seine Blase draußen auf dem gefrorenen Boden des Gemüsegartens. Als Anna Friederike den Türriegel zurückschob, zog Eckhard Hieronymus die Trainingshose hoch. Beide gingen zur Scheune zurück. Anna Friederike öffnete und schloss das Scheunentor. Der Vater stieg als erster die Leiter zum Schober hoch. Anna Friederike folgte mit ihren Händen den Fersen des Vaters. Sie fanden Luise Agnes im tiefen Schlaf, horchten nach ihren ruhigen Atemzügen und wunderten sich, dass sie nichts vom Katzensprung, dem Leiterabstieg und dem Aufschrei von Heinz aus seinem geträumten Folterverhör mitbekommen hatte. Vater und Tochter legten sich ihr zu beiden Seiten, deckten sich sorgsam zu und unternahmen einen letzten Schlafversuch.

    Es wurde länger als geplant in den Morgen geschlafen. Die Uhrzeiger standen zwischen neun und zehn. Durch die Bretterspalten drang das trübe Licht. Klaus und Heinz auf dem anderen Schober schliefen tief. Außer gelegentlichen Verdauungsgeräuschen war von ihnen nichts zu hören. Eckhard Hieronymus stieg mit dem Handtuch über der Schulter und einem Stück Seife in der Hand die Leiter herab und machte sich auf den Weg zur Waschküche. Er legte Seife und Handtuch ab und ging zum Plumpsklo, um sich dort eingeriegelt dem Verdauungsgeschäft zu widmen. Sich den Po mit Zeitungspapier abzuputzen, was für die Landbevölkerung Routine war, das musste Eckhard Hieronymus nun lernen. Er ging zur Waschküche zurück, wusch sich im Eimer die Hände, rasierte sich vor einem kleinen Spiegel auf der Fensterablage, goss das kalte Wasser mit der großen Blechkanne in den Bottich, stieg hinein und machte das morgendliche Bad im Schnellverfahren. Dann stieg er aus dem Bottich und rieb die Haut mit dem Handtuch trocken. Er zog sich den Trainingsanzug über, als Luise Agnes und Anna Friederike in die Waschküche kamen, um ihre Kaltwasserbäder zu nehmen. Er ließ sein Badewasser ab, steckte dann den Stöpsel in das Ablaufloch und schüttete frisches Wasser in den Bottich. Dann ließ er die Frauen für sich, ging zur Scheune und nahm die Leitersprossen zum Schober, wo er die „Betten" machte, die Decken zusammen- und übereinanderlegte, sich anzog, die Haare ohne Spiegel kämmte, die Leiter herunterstieg und vor dem offenen Torspalt der Scheune stehend den 146., seinen Lieblingspsalm sprach, dem er sein Morgengebet anschloss, wobei er Paul Gerhard, die beiden Mütter, seinen Bruder Friedrich Joachim mit dem gebliebenen Schaden aus dem 1. Weltkrieg, und die vielen Menschen in großer Not in das Gebet einschloss.

    Durch den Torspalt sah er Eckart, den fleißigen Bauer, der im Schweinestall zugange war, dort ausmistete, den Mist auf der Schubkarre über den Hof nach draußen beförderte und trockenes Stroh nachschüttete. Dann trug er die Eimer mit Trockenfutter und frischem Wasser in den Stall. Die Schweine dankten es mit dem Grunzen der Behaglichkeit, was Eckhard Hieronymus bis zur Scheune hörte. Auf dem rechten Schober raschelte das Heu. Klaus stand in Hose und

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