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Der Riss: Und es reißt immer weiter
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eBook137 Seiten2 Stunden

Der Riss: Und es reißt immer weiter

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Über dieses E-Book

Es ist ein fast einstündiger Abendspaziergang nach Hause, auf dem Pfarrer Bardenbrecht sich das Abendgespräch über die kranke Gesellschaft mit dem Mangel an Menschlichkeit und díe 'weggebrochene' Verantwortung in die Erinnerung ruft. Die Referate des Kinderpsychologen Bebenau und des Schuldirektors Schucht haben ihn besonders angesprochen, weil sie in der symptomatischen Auflistung den Nagel auf den Kopf der Zeit getroffen haben. Wie schon das Prinzip 'Freiheit' zusammen mit der Verantwortung geht, so geht mit der Verantwortung auch die Menschlichkeit, die eine 'Mangelware' in den Familien und der Gesellschaft geworden ist. Beide sind krank und in sich zerrissen, als seien sie vom "humanity deficiency virus" befallen.Ünett: "Ich war noch keine zwei Jahre alt, als ich in ein Waisenheim gegeben wurde. Es war nicht klar, ob zu diesem Zeitpunkt meine Mutter noch lebte oder tot war. Jedenfalls fehlte jede Spur von ihr. Die Heimleiterin war eine ältere Frau von kurzer hagerer Gestalt. Sie hatte eine grelle Stimme und schimpfte bei den kleinsten Anlässen, Sie liebte uns nicht und tat ihre Arbeit nicht aus Liebe. Sie tat die Arbeit für Geld, das sie von Privatpersonen und vom Sozialamt jeden Monat bekam. Beim ungewohnten Blick in die Schaufenster mit den Kleidern, Möbeln oder Fahrrädern kam mir das Bild in den Sinn, wie Waisenkinder als Auslage hinter den erleuchteten Schaufenstern nebeneinander sitzen und den Betrachtern von der Straße ihre lächelnden Gesichter entgegenschicken. Denn weggegebene Kinder suchen Eltern und ein Zuhause. Diese Kinder sind zu erwerben, sie warten darauf, aus dem Schaufenster genommen und mitgenommen zu werden."
Auf dem Feld der Diagnosestellung, das für den Psychiater oft ein komplexes, wenn nicht kompliziertes Feld mit seinen Verschichtungen, Stufen und Schrägen ist, kommen die Symptome hinzu, die subtil gesehen, analysiert und bewertet werden müssen, um die Diagnose zu stellen, die einer Revision nicht vorenthalten bleibt, wenn am Gerüst der angereihten und übereinander gesetzten Symptome sich etwas verändert.
Björn Baródin, der emeritierte Professor für Psychiatrie, dachte und malte die kranke Menschheit mit den hungernden, weinenden und verkrüppelten Kindern. Er schob den verzweifelten Menschen den psychiatrischen Spiegel unter, um sie aus dem Zwang finsterer Depressionen und den furchtbaren Träumen der Selbstvernichtung zu befreien. Was er auch dachte, der dunkelnde Grauschleier des Zweifels blieb. So liegt die letzte Weiche vor dem Auge, die noch zu stellen ist, damit der Zug der von allen guten Geistern verlassenen Menschheit nicht in die hoffnungslose Endgültigkeit der totalen Finsternis rast.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum25. Mai 2018
ISBN9783742736826
Der Riss: Und es reißt immer weiter

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    Buchvorschau

    Der Riss - Helmut Lauschke

    Die schmerzliche Bürde

    Und es reißt immer weiter

    Pfarrer Bardenbrecht hat vergessen, auf dem Weg zur Mission die Convulex-Tabletten in der Apotheke für seine Tochter abzuholen, die vor drei Tagen einen schweren epileptischen Anfall erlitten hatte. Tochter Adele ist das einzige Kind aus der zweiten Ehe, nachdem die erste Frau an einem bösartigen Hirntumor im dritten Ehejahr verstorben war. Seine zweite Frau Brigitte ist sieben Jahre jünger, und beide machen sich große Sorgen um Adele, deren Anfälle trotz Medikamenten an Häufigkeit und Schwere zunehmen. Sie war im dritten Jahr des Jurastudiums, als ihr Freund, der ein fertig studierter Arzt war, einen schweren Unfall auf dem Brennerpass verursachte, bei dem sich der Wagen überschlug und etwa fünfzig Meter die steile Böschung abstürzte. Der Freund war auf der Stelle tot, und Adele wurde von der österreichischen Rettungsmannschaft aus dem Wrack geborgen und mit dem Hubschrauber zum Uni-Klinikum nach Innsbruck geflogen, wo ihr ein großer Blutungsherd aus dem Gehirn entfernt wurde. Das Jurastudium musste sie aufgeben, da unter diesen Umständen mit den hirnorganischen Anfällen an den Beruf eines Rechtsanwalts oder Richters nicht mehr zu denken war. Stattdessen hat Adele mit dem Studium der klassischen Philosophie begonnen. Weil sie an den Beruf einer Lehrerin dachte, vorausgesetzt, dass die Krampfanfälle abnehmen, hat sie für das Studium noch die Sprachen Latein und Französisch dazugenommen.

    Pfarrer Bardenbrecht legt einen längeren Weg zurück, um die Hirsch-Apotheke am anderen Ende der Stadt zu erreichen, die an dem Wochenende Dienstbereitschaft hat. Er drückt die Bereitschaftsklingel und wartet eine kurze Zeit, als Apotheker Wagner die Tür öffnet und den Pfarrer freundlich begrüßt, den er durch seine Tätigkeit und Predigten im Rundfunk seit Jahren kennt. Der Pfarrer gibt das Rezept, und der Apotheker fragt bei der Betrachtung des Rezepts nach dem Zustand von Adele. Er macht ein ernstes Gesicht, als Pfarrer Bardenbrecht ihm sagt, dass eine Besserung mit einem Rückgang der Anfälle bislang nicht eingetreten sei. Apotheker Wagner enthielt sich des Kommentars und ging zu einem der hohen Regale, um die Tabletten zu holen. Er stellt die Schachtel auf die gläserne Theke und verlangt den Preis plus Dienstbereitschaftszulage. Der Pfarrer zahlt, der Apotheker gibt das Wechselgeld und packt die Schachtel mit den Tabletten in eine kleine, grüne Plastiktüte. Er öffnet dem Pfarrer die Tür und wünscht der Tochter gute Besserung, die der Vater ihr von ganzem Herzen wünscht. Vielen Dank und ein geruhsames Wochenende, sagt Pfarrer Bardenbrecht, als er die Apotheke verlässt. Vom Bürgersteig hört er, wie Apotheker Wagner die Tür abschließt und einen Türriegel vorschiebt.

    Es ist ein fast einstündiger Abendspaziergang nach Hause, auf dem Pfarrer Bardenbrecht sich das Abendgespräch über die kranke Gesellschaft mit dem Mangel an Menschlichkeit und díe ‘weggebrochene’ Verantwortung in die Erinnerung ruft. Die Referate des Kinderpsychologen Bebenau und des Schuldirektors Schucht haben ihn besonders angesprochen, weil sie in der symptomatischen Auflistung den Nagel auf den Kopf der Zeit getroffen haben. Die Vorträge der Familienrichterin Fabian und des Soziologen Lange fand er im Vergleich zu ihren früheren Referaten zum Thema Hat sich der Mensch die Armut selbst verdient? eher farblos und schlaff. Wie schon das Prinzip ‘Freiheit’ zusammen mit der Verantwortung geht, als wären sie ein Paar, so geht mit der Verantwortung auch die Menschlichkeit, die eine ‘Mangelware’ in den Familien und der Gesellschaft geworden ist. Beide sind krank und in sich zerrissen, als seien sie vom humanity deficiency virus befallen.

    Nieselregen setzt ein, und Pfarrer Bardenbrecht legt einen Schritt zu. Wenige Autos und einige Motorroller fahren durch die Nacht. Ein ‘singender’ Radfahrer biegt mit Seitenschleifen in eine dunkle Seitenstraße ab. In beiden Wohnzimmerfenstern ist Licht, als er kurz nach elf zu Hause ankommt, die Haustür auf und hinter sich zuschließt. Er begrüßt Brigitte, die aufgeregt aus dem Wohnzimmer in den Flur kommt, mit dem Kuss auf die Stirn. Sie berichtet von einem epileptischen Anfall, den Adele zwischen acht und neun erlitten hat, der schwerer war als der vor zwei Wochen. Beide gehen die Treppe hoch zum ersten Stock, um nach ihr zu sehen. Die Nachttischlampe brennt, und ein philosophisches Buch liegt aufgeschlagen daneben. Adele schläft den erlösenden Schlaf. Die Atmung ist regelmäßig und tief. Der Pfarrer und seine Frau geben sich die Hand und stehen besorgt vor dem Bett und beobachten Adeles schlafendes Gesicht, dessen Mimik nach dem epileptischen Anfall noch nicht entspannt ist. Vater und Mutter fragen sich dasselbe: Was wird aus unserer Adele werden? Da sie sich diese Frage schon tausendmal gestellt haben, ohne eine Antwort auf die Frage zu finden, verlassen beide Adeles Schlafzimmer. Sie lassen die Nachttischlampe an und gehen mit den Sorgen um die Zukunft die Treppe hinunter.

    Brigitte bringt aus der Küche frischen Tee und setzt das Tablett mit Kanne, Zuckerdose und den Tassen auf den kleinen Klubtisch im Wohnzimmer zwischen den beiden Fenstern. Wie war das Gespräch?, fragt Brigitte, während sie die Tassen füllt und den Zucker einrührt. Peter Bardenbrecht gibt einen kurzen Abriss des Abends und hebt die beiden Referate des Kinderpsychologen und des Schuldirektors hervor, die ihm wegen ihrer symptomatischen Treffergenauigkeit besonders zugesagt haben. Der Kinderpsychologe Bebenau hob den Gesprächsmangel als Mangel der Beziehungsbekundung hervor, der in den Familien zur Vereinsamung und Verwahrlosung führt. Hinzu kommt der Verlust der gegenseitigen Verantwortung und die Angst, Verantwortung zu tragen beziehungsweise tragen zu können. Da gibt es den Schwund der Zusammengehörigkeit im Denken, Fühlen und Sprechen mit der Lockerung und Ausgleisung der besonderen Bindung innerhalb der Familie mit der Austrocknung und Verödung der Sprache, der Verengung der Gedanken und der Verkümmerung der Gefühle durch das erschreckende Defizit an Menschlichkeit.

    Bei Schuldirektor Schucht lag der Schwerpunkt im getrennten Aufgabenbereich mit der getrennten Verantwortlichkeit in der Kindererziehung durch die Eltern und in der schulischen Ausbildung durch die Lehrer. Beide Aufgaben müssen erkannt und erfüllt werden, wenn aus Kindern verantwortungsbewusste Staatsbürger werden sollen. Eltern und Lehrer haben sich zu ergänzen, und die Eltern haben die Lehrer in ihrem Bildungsauftrag zu unterstützen, indem sie dem Kind den Sinn der Schule erklären und mit ihm auf der täglichen Brücke der Kommunikation das Gespräch auf den Wert der Hausaufgabe und ihrer sorgfältigen Erledigung lenken. Es ist das Missverständnis der Eltern, die Schule als Erziehungsanstalt für unerzogene oder sonst wie schwer erziehbare Kinder zu betrachten. Das kann die Schule bei dem ohnehin umfangreichen Bildungsauftrag auch nicht sein.

    Adele wird von einem Traum erschüttert. Sie ruft um Hilfe. Brigitte und Peter Bardenbrecht eilen die Treppe hinauf ihr zu Hilfe. Der Pfarrer setzt sich auf die Bettkante, legt den Kopf der Tochter in seine Hände und streicht ihr mit der rechten Hand über Stirn und Haar. Adele öffnet ihre Augen und lächelt den Vater an, der ihr das Lächeln mit dem Dank und der Hoffnung auf eine baldige Besserung erwidert. Du hast einen schweren Traum gehabt, flüstert der Vater. Adele schließt die Augen: Es war ein Kampf auf Leben und Tod. Zwei Männer, die in Begleitung einer jungen Frau waren, fielen mich an und warfen mich auf den Boden. Ein Mann zog das Messer und hielt es an meinen Hals, während der andere mich an den Händen und Füßen fesselte. Sie trugen mich zu einem großen Auto, bei dem der Kofferraum geöffnet war. Da kam ein anderes Auto. Der Fahrer sprang heraus und rannte mir zu Hilfe. Er schlug den Männern mit einem Knüppel auf die Köpfe, die mich vor Schreck fallen ließen, dass ich gefesselt einige Meter die Böschung herabrollte. Sie sprangen ins Auto, ohne den Kofferraum zu schließen, und verschwanden mit der jungen Frau. Der freundliche Fahrer löste die Fesseln, half mir von der Böschung auf und fuhr mich mit seinem Auto nach Hause.

    Mein armes Kind, dann hast du ja große Ängste ausstehen müssen, sagt der Vater und streicht der Tochter sanft übers Haar. Ich glaube, dass mich diese Träume nie in Ruhe lassen werden, ergänzt Adele und hält die Augen geschlossen. Vater Bardenbrecht wusste darauf keine Antwort und versuchte die Tochter mit den Worten zu beruhigen: Mein Kind, du wirst es erleben, dass die Träume freundlicher werden und dich nicht mehr fesseln. Dann bist du sehr optimistisch. Siehst du denn nicht, dass die Anfälle von Mal zu Mal schwerer werden. Da kann ich freundliche Träume doch nicht erwarten. Adele sieht den Vater mit großen Augen an, der besorgt auf ihr Gesicht schaut und sanft über ihr Haar streicht.

    Er legt Adeles Kopf vorsichtig zurück und verlässt mit Brigitte das Zimmer. Die Tür lehnt er nur an, um ihre Rufe und Hilferufe früh zu hören und ihr zu Hilfe zu eilen. Leise gehen sie auf Strümpfen die Treppe hinunter, als sich Peter Bardenbrecht an seinen Onkel Karl erinnert, der von einem Granatsplitter am Kopf getroffen wurde und danach unter epileptischen Anfällen litt, die mit den Jahren trotz der Medikamente an Schwere zunahmen und zu einer hirnorganischen Verblödung führten. Dass dieses Schicksal auch Adele treffen würde, das bekümmert ihn und Brigitte sehr. Im Wohnzimmer und bei der zweiten Tasse Tee stimmen sie überein, dass sie noch einmal den Neurologen konsultieren wollen, um die Fragen bezüglich der Prognose mit ihm durchzusprechen.

    Das Gespräch mit dem Neurologen findet zwei Wochen später statt, in dem Pfarrer Bardenbrecht und seine Frau ihre Sorgen um den sich verschlechternden Zustand von Adele vortragen. Der Arzt wirft einen Blick auf die Eintragungen in der Karteikarte und drückt seine Sympathie aus. Nach mehreren Sekunden schweigender Nachdenklichkeit sagt er, dass bei der zunehmenden Krampfbereitschaft die Tablettendosis erhöht werden müsse. Sonst falle ihm zu Adeles Kopfproblem nichts Neues ein. Es wird ein Termin für Adele vereinbart, bei dem die Hirnströme abgeleitet und registriert werden sollen. Die Bardenbrechts erheben sich mit sorgenvollen Gesichtern, und der Neurologe begleitet sie zur Tür des Sprechzimmers.

    Auf dem Rückweg treffen sie auf ihren Hausarzt, der von einem Hausbesuch kommt. Dr. Francke ist ein älterer Herr, der kurz vor dem Ende des Berufslebens steht. Er grüßt die Bardenbrechts und erkundigt sich nach dem Zustand von Adele. Der Pfarrer teilt ihm mit, dass sie gerade vom Neurologen kommen, weil Adele einen schweren epileptischen Anfall am Vorabend hatte. Er sagt, dass ein Termin zur Ableitung der Hirnströme vereinbart wurde und der Neurologe eine Erhöhung der Tablettenzahl angeordnet habe. Dr. Francke sieht in die besorgten Gesichter der Bardenbrechts. Bringen Sie Adele morgen in meine Praxis, damit ich sie untersuchen kann. Der

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