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Unverarschbar
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eBook230 Seiten2 Stunden

Unverarschbar

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Über dieses E-Book

Das Leben zeigt Vollblutmusiker Ben momentan die volle Breitseite. Nicht nur dass seine Freundin ihn gerade pünktlich zu seinem Dreißigsten verlassen hat, auch seine Band hat sich nach sieben gemeinsamen Jahren aufgelöst. Doch das Leben hat die Rechnung ohne Ben gemacht, denn was ihm bleibt, ist seine Mission, zum Guerillakrieger zu werden und den Untergang der abendländischen Musikkultur in bester Selbstjustizmanier aufzuhalten. Nach ein paar zaghaften Sabotage-Aktionen sieht sich Ben überraschend der Galionsfigur des schlechten Geschmacks gegenüber: Janine Paffrath. Der Moment scheint gekommen, ihr endlich mal so richtig die Meinung zu geigen...
SpracheDeutsch
HerausgeberFuego
Erscheinungsdatum1. Sept. 2010
ISBN9783862870035
Unverarschbar

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    Buchvorschau

    Unverarschbar - Martell Beigang

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    Meinen Brüdern gewidmet!

    00.jpg

    Martell Beigang

    unverarschbar

    - Roman -

    FUEGO

    „Es ist nicht so, daß ich mir nie die ultimative Frage gestellt hätte."

    „Und wie, lautet diese Frage?"

    „Wo geh ich her, wo komm ich hin und was soll der ganze Scheiß?"

    aus Juli Zeh: Adler und Engel

    01.jpg

    „Musik ist die Heilungskraft von dem ganzen Universum! Eigentlich ein ganz schön behämmerter Satz, findet Ben. Wenn er es genau nimmt, sogar ein richtig verkehrter – grammatikalisch gesehen –, denn es müßte ja lauten „des ganzen Universums, aber Ben ist gerade überhaupt nicht in der Stimmung, um klugzuscheißen. Irgendwie mag er diesen Satz. Sehr sogar. Wo sie recht haben, haben sie recht, die post-68er von der Titanic, denn dort hat er ihn irgendwann einmal gelesen. Und für sie hofft er stark, daß sie es nicht ironisch gemeint haben, denn sonst würden sie ordentlich Ärger bekommen, denn Ben ist es bitterernst – mit der Musik. In der Mitte seines Sofas hat sich die eifrige Benutzung desselben eine veritable Delle in den dunkelbraunen Breitcordbezug gegraben. In dieser hockt Ben gerade im Schneidersitz, was ein bißchen grotesk aussieht, da sich seine langen Gräten nur mit Mühe in Position falten lassen. Er haßt es, wenn Frauen seiner Haarfarbe über sich selbst sagen, sie seien straßenköterblond, denn das klingt in seinen Ohren so selbstmitleidig. Seine Haare rangeln sich basisdemokratisch auf seinem Kopf, als habe er in einem Wäschetrockner übernachtet. In Wahrheit verwendet er viel Sorgfalt auf seine Frisur, damit man nicht erkennt, daß es überhaupt eine ist, was mitunter einiges an Zeit und Haargel erfordert. Wenn Ben so auf seinem Sofa sitzt, durchströmt ihn unmittelbar ein wohliges Gefühl. Durch die riesigen, fast bis zum Boden reichenden Fenster seiner Wohnung hat er einen Ausblick auf drei heruntergekommene Industriebaracken. Hinter ihnen verläuft eine Straße, an die sich ein kleiner, mit alten Kastanien bestandener Park schmiegt. Trotz geschlossener Fenster hört Ben, wie sich ein Zug hinter dem Park widerwillig quietschend in eine große Kurve zwingt. Dann verschwindet er hinter dem Haus Richtung Deutzer Bahnhof.

    Bens Wohnung ist eine Art Loft. Allerdings kein kernsaniertes Backsteingebäude wie in New York oder in Schöner Wohnen, sondern eine schmucklose, graue Fabrik, in der die Firma Siemens in den 50er Jahren Rohrpostsysteme entwickelte.

    Auf dem Hof stapeln sich rostige Bleche. Der Asphaltbelag zeigt an vielen Stellen derbe Risse. Aber Bens Vermieter denkt gar nicht daran, dem insgesamt sehr desolaten Zustand seiner Immobilie entgegenzuwirken, denn er spekuliert darauf, das ganze Gelände in absehbarer Zeit gewinnbringend zu verkaufen. Unlängst wurde nämlich in unmittelbarer Nähe die Kölnarena, eine riesige, 20.000 Besucher fassende Konzerthalle errichtet. Diese beschert der rechten Rheinseite Kölns, der Schääl Sick, gerade eine in Bens Augen abartige ‚Ver-Schickerung‘, die auf kurz oder lang solchen alternativen Wohnkonzepten wie der einer heruntergekommenen Fabrik keinen Raum mehr bieten wird.

    Ben liebt seine Wohnung. Für ihn versprüht sie ihren ganz eigenen, morbiden Charme. Er steht darauf, daß sich, abgesehen von den sanitären Einrichtungen, alles, was er braucht, in einem siebzig Quadratmeter großen Raum befindet: Ein Bett aus Paletten (in einer Nacht- und Nebelaktion eigenhändig geklaut), ein Stahlspind (mit Dolly-Parton-Centerfold vom Vorbesitzer), ein Schreibtisch, darauf ein Laptop und ein graues Telephon mit Wählscheibe, ein paar Metallregale mit Büchern, ein Herd (mit Gasflasche zum Wechseln) und eine Stereoanlage (von Phillips, mit sehr realistischem Sound). Vor dem Sofa steht zudem noch ein Tischchen, das Ben aus einer Waschtrommel selbst gebastelt hat. Es dient als Untersatz für einen kleinen orangefarbigen Fernseher mit Zimmerantenne, denn Satellitenschüsseln findet Ben asozial. Alles weitere empfänd er als überflüssigen Schnickschnack. Aus der Glotze ertönt klassische Musik. Fasziniert beobachtet Ben, wie Sir Simon Rattle lächelnd, mit einem dünnen Stöckchen in der Hand, sein Orchester zu Höchstleistungen aufwirbelt. Kommt echt popstarmäßig, denkt er und registriert bewundernd die wilde Lockenpracht des Maestros.

    Ben macht selbst Musik. Er ist Bassist und Sänger in Sachen Pop und Jazz.

    Ergriffen sitzt er vor der Mattscheibe und hat seit langem mal wieder das seltene Gefühl, für diesen einen, kurzen Moment die Welt zu verstehen, die ihm im gerade ausklingenden Jahr so fremd und seltsam vorkam.

    „Guck nicht so! ... Hey, ich red mit dir. Guck mich nicht so an, und vor allem: lächle nicht so dämlich dabei. Und den Knopf, den kannst du gleich wieder zumachen. Heute mußt du nicht sexy aussehen, du hast nämlich frei, bist nicht im Dienst. Also entspann dich." An Tagen wie diesem könnte sie ihr eigenes Spiegelbild mal wieder ankotzen. Einfach so, aus reinem Ekel. Und diesmal nicht, um wieder ein paar Gramm wettzumachen ...

    In den letzten Monaten lief für Ben so ziemlich alles schief, was schieflaufen konnte. Seine Freundin Tine hat ihn nach fünf Jahren mit den Worten verlassen: „Werd endlich mal erwachsen!" was an für sich schon schlimm genug ist; besonders kraß fand Ben allerdings, daß sie es feige, fernmündlich, per Telephon getan hat. Etwa zur selben Zeit wurde er dreißig, was er bis dahin immer für ausgeschlossen gehalten hatte. Das allerschlimmste jedoch war, daß sich seine Band, die SERVOKINGS, auflöste, wodurch sich Ben unterm Strich nicht nur langsam von seiner Jugend, sondern auch von seinem größten Jugendtraum verabschieden mußte: mit einer eigenen Popband riesig berühmt zu werden. Vor diesem ganzen Wahnsinn war Ben eigentlich ganz zufrieden mit sich und der Welt. Seit etwa zehn Jahren lebt er vom Musikmachen, was für sich genommen bereits ein kleines Wunder darstellt. Denn das Business ist beinhart. Aber dieses verdammte letzte Jahr lief einfach nicht so, wie es sollte, und nun sitzt er allein auf seinem Sofa aus den 70ern, und das einzige, was ihn tröstet, ist (und war eigentlich immer schon) Musik. Musik aus einem winzigen Fernseher – und an diesem Abend interessanterweise klassische Musik. Wenn man genau hinschaut, bemerkt man: Ben hat feuchte Augen, und zwar deshalb, weil sich in diesem Moment für ihn wieder einmal zeigt, daß es einen gemeinsamen Kern in jeder Musik zu geben scheint. Eine Essenz, für die es sich zu leben lohnt und die einen vergessen machen kann, was um einen herum so alles passiert. In solchen Momenten ist Ben glücklich und traurig zugleich. Melancholisch eben, und man darf ihn getrost einen der letzten Romantiker des angehenden 21. Jahrhunderts nennen.

    Ein lästiger Gedanke zerstäubt den Nebel seiner musikinduzierten Trance. Ihm kommt die Party in den Sinn, auf die er heute abend noch eingeladen ist. Lustlos bindet er sich vom Sofa heruntergebuckelt seine Adidas Samba, um sich ausgehfertig zu machen, obwohl er vielmehr Lust hätte, sich daheim mal wieder ordentlich zuzulöten. Womöglich täte es mir mal wieder ganz gut, unter Leute zu kommen, denkt er, gerade an einem solchen Tag wie heute – Silvester.

    02.jpg

    Was erwartet man von einer guten Party? Ordentlich was zu trinken, ordentlich was zu essen und, wenn man ehrlich ist, ordentlich was zu ficken. Ben ist anspruchsvoll und erwartet darüber hinaus, daß Musik läuft, die ihm gefällt. Besonders an so einem bedeutungsschwangeren Tag wie heute. Prüfend schaut er in den Spiegel und stellt fest, daß sein brauner Pulli in Kombination mit der beigefarbenen Kordhose, die er anhat, für eine Party einfach zu hängermäßig rüberkommt. So geht das nicht. Er tauscht ihn gegen ein langärmeliges T-Shirt, über das er sein neues Lieblingshemd, ein dunkelblaues Ben-Sherman-Polo, zieht. Besser. Währenddessen denkt er darüber nach, ein Taxi zu bestellen, aber das erscheint ihm an Silvester erstens aussichtslos und zweitens feige: Wo kämen wir denn da hin, wenn man nach so viel Pech wie in der letzten Zeit auch noch davon ausginge, nach der Party in eine Polizeikontrolle zu geraten? Drauf geschissen. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Ben zieht seinen Parka über und fliegt die Treppe hinunter auf den Hof, wobei er mit seinen langen Beinen immer zwei Stufen auf einmal nimmt. Damit hat er schon als Kind seine Eltern wahnsinnig gemacht. Die Tür seines weißen VW-Busses knarzt beim Öffnen, als sei ihr kalt. Ben steigt ein und läßt den Motor vorglühen.

    Auf der Severinsbrücke sieht er, wie ungeduldige Knallfrösche es mal wieder nicht erwarten konnten und schon mal vereinzelte Raketen in den nachtschwarzen Himmel feuern. Überraschend findet Ben einen legalen Parkplatz ganz in der Nähe von Andreas’ Wohnung – in Köln normalerweise ein Ding der Unmöglichkeit. Ben schifft erstmal an den nächstbesten Baum, denn er haßt es, irgendwo hinzukommen und erstmal aufs Klo zu verschwinden, bevor man sich richtig eingegroovt hat. Gastgeber Andreas ist Pianist und nach einigen gemeinsamen Projekten inzwischen ein guter Freund von Ben. Sein Tonstudio im Keller beherbergt eine respektable Sammlung antiker und kurioser „Schweineorgeln". Gefeiert wird jedoch oben in der Wohnung, im zweiten Stock, wo er gemeinsam mit seiner Freundin Andrea wohnt. Die beiden sind schon ewig zusammen, und nach Bens Theorie liegt das nicht zuletzt an ihrer beider Namen, wodurch sie irgendwie schicksalhaft verkettet sind. Tatsächlich sind sie von allen Paaren, die Ben kennt, dasjenige, was am längsten zusammen ist.

    Ben geht durch ein gepflegtes Jugendstiltreppenhaus dem stetig lauter werdenden Partylärm entgegen. Die Party läßt sich eigentlich ganz gut an. Französische Freunde von Andreas haben echten Champagner aus der Champagne mitgebracht. Wie so oft fragt sich Ben, warum er damals in der Schule so blöd sein konnte, Latein statt Französisch zu wählen. Er traf seine Entscheidung, als bekannt wurde, welche Mädchen in den Lateinkurs gehen wollten. Bens Vater, der von diesen niederen Beweggründen natürlich nichts wußte, hat es damals sehr gefreut, daß sein Sohn sich für Caesar entschieden hatte. Für ihn war Latein keine Sprache, sondern eine Haltung.

    „Les Champagners, äh, tres bons, Mademoiselle!"

    „Qui, qui ..." Scheiß Latein. Ben wendet sich dem Essen zu. Old Frank hat sich nicht lumpen lassen und für dreißig Personen provenzalische Hähnchenschenkel gezaubert. Ben geniert sich etwas mit seinen mitgebrachten Chipstüten. Egal. Der Champagner tut seine Wirkung, Sprachbarrieren werden eingerissen, die Schenkel schmecken einen Hammer, und schon kommt Ben mit Birte ins Gespräch. Nach seiner Schätzung ist sie Mitte zwanzig, und ihm gefällt besonders an ihr, wie sie ihre langen, blonden Haare mit schmalen Fingern beiläufig aus ihrem Gesicht streicht, während sie mit ihm redet. Ihr hellblauer, irrsinnig flauschig aussehender Pulli, schmiegt sich äußerst ansprechend um ihre BH-losen Brüste. Sie ist, wie Ben gerade erfährt, erst unlängst aus Norddeutschland nach Köln gezogen.

    „Köln ist wirklich die einzige echte Alternative zu Berlin", schreit sie ihm ins Ohr, denn die Musik ist brüllend laut.

    „Hamburg vielleicht noch, sagt er, „aber da ist immer so schlechtes Wetter. Keine Frage, Birte kommt extrem geschmeidig rüber, und Ben legt sich für seine Verhältnisse richtig ins Zeug. Bislang war er immer mit Mädchen zusammen, die ihn angemacht oder aufgegabelt haben, und er würde von sich sagen, daß er eigentlich gar keine Ahnung hat, wie man Mädchen klarmacht. Aber in seiner heutigen apokalyptischen Alles-Egal-Stimmung macht er auf Birte einen umwerfend coolen Eindruck, und er merkt und genießt das. Er bekommt richtiggehend gute Laune, wenn da nicht dieser nervige Sound wäre.

    „So eine Scheißmusik!" sagt er zu Birte.

    Sie fragt nur: „Welche Musik?"

    „Na, was hier gerade so läuft."

    „Hab gar nicht zugehört."

    „Ich muß immer hinhören. Ich kann gar nicht anders."

    „Ist doch egal."

    „Mir nicht! Was hörst du denn gerne für ‘n Sound?"

    Birte denkt einen Moment nach. Dabei schaut sie nach oben und preßt ihre Lippen zusammen, wobei auf ihren Wangen zwei bezaubernde Grübchen entstehen. „Ach, alles querbeet." Ben denkt bereits: Auweia, das sind mir die liebsten, da gibt sich Birte selbst den Gnadenstoß: „Im Moment hör ich ganz gerne die Best of Modern Talking."

    Danke für dieses Gespräch. Das war’s. Schade, Birte machte bis dahin auf Ben einen ganz vielversprechenden Eindruck. Aber diese Ansage entzieht ihm schlagartig die Basis weiterer Kommunikation. Alle Mädchen, die er bis dahin näher kannte, hatten einen exquisiten Musikgeschmack. Steffi war die härteste Punkrock-Expertin unter der Sonne, und Tine, seine Exfreundin, hatte er auf einem Konzert seiner eigenen Band, den SERVOKINGS, kennengelernt. Es gibt also durchaus Frauen mit passablem Musikgeschmack auf der Welt, denkt er bei sich und murmelt in Birtes Richtung: „Ich kümmer mich jetzt mal um bessere Musik".

    Er läßt sie ratlos zurück und geht ins Wohnzimmer, wo er eine Zeitlang das Treiben auf der durch weggerückte Stühle entstandenen Tanzfläche beobachtet. Eine bunte Mischung verschiedener Spezies bewegt sich auf Socken zu Dr. Motte, denn man war angehalten, sich im Flur die Schuhe auszuziehen. Hemdsärmelige Normalos, die sich ärgern, daß es damals in der Tanzschule noch kein Techno gab, Kinder alleinerziehender Mütter, Kölschrocker und vereinzelt alternativ gewandete Ausdruckstänzer (kaum zu glauben, es gibt sie immer noch!). Ben lehnt im Türrahmen und sieht sich nach dem DJ, respektive den Plattentellern um. Fehlanzeige. Quelle der geschmacklosen Musik ist ein stark nach BWL-Student aussehender junger Mann, der feist auf einem Ledersessel sitzt und mit einem Laptop auf dem Schoß gnadenlos die Top 40 der letzten Jahre raufund runternudelt.

    Stilloser kann die Welt nicht untergehen, läßt es Ben erschaudern, und er verläßt, einem plötzlichen Impuls folgend, die Party. Im Hausflur sucht er den Sicherungskasten. Mit Umlegen eines einzigen Schalters gehen alle Lichter aus, und das morbide Treiben findet ein jähes Ende. Die gräßliche Musik verstummt, und man hört teils heiter überraschte, teils panische Schreie aus der stockfinsteren Wohnung. Ben muß unwillkürlich an die letzten Minuten der Titanic denken. Irgendwie ist er ein bißchen stolz auf sich und nimmt sich für das anbrechende Jahr nur eines vor:

    In Sachen Musik wird er in Zukunft keine Kompromisse mehr machen!

    (Ich frage mich): „Wann endlich wirst du eine Idee haben,

    die auch anderen Menschen einleuchtet?"

    aus Wilhelm Genazino: Ein Regenschirm für diesen Tag

    03.jpg

    Dieser Winter ist definitiv eine Krankheit. Es ist einfach nicht kalt genug.

    OK, daß weiße Weihnacht ein Märchen ist, das man nur noch aus Kinderbüchern kennt, daran hat man sich inzwischen gewöhnt. Aber so ein pißwarmes Neujahr wie dieses Mal geht einfach nicht. Man ist versucht zu glauben, daß an den pessimistischen Prognosen paranoider Wetterfrösche tatsächlich etwas dran sei. Und wenn es dann doch mal schneit, verwandelt sich Köln binnen einer Viertelstunde in eine apokalyptische Wüste aus braunem Schneematsch.

    Heute morgen ist weit und breit kein Schnee in Sicht, trotzdem friert sich Ben kaputt. In seinem Loft zieht es wie Hechtsuppe, und seine Ex hatte mal wieder recht, als sie sagte: „Im Winter ist hier, genau hier der kälteste Punkt südlich des Nordpols!" wobei sie mit ihrem Finger auf den grauen Industrieboden seiner Wohnung zeigte. In eine dicke Strickjacke gehüllt, hat Ben gerade auf seinem Sofa seine Lieblingshaltung eingenommen: mit angewinkelten Beinen, auf dem Rücken liegend, quer zur Fahrtrichtung, hört er seine Lieblingsplatte (Joni Mitchell: Hejira) und denkt an den vergangenen Abend. Die Party war eigentlich nicht verkehrt, aber die Musik ging gar nicht. So etwas kann man nicht ungestraft lassen. Ich hatte einfach keine andere Wahl, denkt Ben, ich habe nun mal Ideale. Für ihn war es immer schon das Wichtigste, mit seiner Musik ein Statement abzugeben, der Welt seine Sicht der Dinge zu präsentieren, sie womöglich zu verbessern. Aber mal ehrlich, fragt er sich: Will die Welt meine Sicht der Dinge überhaupt hören? Gab es nicht unzählige Konzerte der SERVOKINGS, wo wir nur um die zwanzig zahlende Zuschauer hatten?

    Und wenn schon, gibt er sich selbst die Antwort, immerhin habe ich mit diesen zwanzig Menschen etwas geteilt, als ich ihnen meine Songs vortrug.

    Sein

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