In der Wiege vertauscht: Fürstenkinder 56 – Adelsroman
Von Manuela Jensen
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Über dieses E-Book
Ihre Lebensschicksale gehen zu Herzen, ihre erstaunliche Jugend, ihre erste Liebe – ein Leben in Reichtum, in Saus und Braus, aber oft auch in großer, verletzender Einsamkeit.
Große Gefühle, zauberhafte Prinzessinnen, edle Prinzen begeistern die Leserinnen dieser einzigartigen Romane und ziehen sie in ihren Bann.
Moltkestraße 12, ja, die Adresse stimmte. Thorsten Graf Riekhoff verglich die Hausnummer mit derjenigen, die auf einem Notizzettel stand. Es war ein ehrwürdiges, dreistöckiges Patrizierhaus und sah eigentlich nicht danach aus, daß sich hier eine Großhandelsfirma für feinmechanische und optische Instrumente befinden würde. Doch dann entdeckte er das Firmenschild und den Pfeil, der ins Souterrain des Gebäudes wies. »Bitte, Sie wünschen?« wurde er gleich darauf von einem netten jungen Mädchen gefragt, dem er in einem von Neonleuchtern erhellten Büroraum gegenüberstand. »Ich brauche ein Ersatzteil für meine Filmkamera.« »Oh, das tut mir leid. Wir sind ein Großhandel. Würden Sie sich bitte an ein zuständiges Fotogeschäft wenden?« kam die Erwiderung. »Das Fotogeschäft Gehlsen verwies mich an Sie«, sagte er. »Wissen Sie, es ist nämlich so, daß ich die Kamera morgen unbedingt betriebsbereit haben muß, und man konnte meine Kamera dort nicht reparieren. Vielleicht ist eine Ausnahme möglich?« Das junge Mädchen maß den Mann mit einem prüfenden Blick und meinte dann: »Einen Moment, ich werde die Chefin fragen.« Die Chefin kam. Sie war eine elegant gekleidete Dame, noch keine dreißig Jahre alt, wie Graf Thorsten schätzte, mit einem ebenmäßig geschnittenen, sehr reizvollen Gesicht, großen blauen Augen und goldblonden, schlichtfrisierten Haaren. »Meine Assistentin sagte mir, daß das Fotogeschäft Gehlsen Sie an uns verwiesen hat wegen eines Ersatzteils für Ihre Filmkamera?« fragte sie mit angenehm weicher, dunkler Stimme.
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Buchvorschau
In der Wiege vertauscht - Manuela Jensen
Fürstenkinder
– 56 –
In der Wiege vertauscht
Das Schicksal fügte sie zusammen
Manuela Jensen
Moltkestraße 12, ja, die Adresse stimmte.
Thorsten Graf Riekhoff verglich die Hausnummer mit derjenigen, die auf einem Notizzettel stand. Es war ein ehrwürdiges, dreistöckiges Patrizierhaus und sah eigentlich nicht danach aus, daß sich hier eine Großhandelsfirma für feinmechanische und optische Instrumente befinden würde.
Doch dann entdeckte er das Firmenschild und den Pfeil, der ins Souterrain des Gebäudes wies.
»Bitte, Sie wünschen?« wurde er gleich darauf von einem netten jungen Mädchen gefragt, dem er in einem von Neonleuchtern erhellten Büroraum gegenüberstand.
»Ich brauche ein Ersatzteil für meine Filmkamera.«
»Oh, das tut mir leid. Wir sind ein Großhandel. Würden Sie sich bitte an ein zuständiges Fotogeschäft wenden?« kam die Erwiderung.
»Das Fotogeschäft Gehlsen verwies mich an Sie«, sagte er. »Wissen Sie, es ist nämlich so, daß ich die Kamera morgen unbedingt betriebsbereit haben muß, und man konnte meine Kamera dort nicht reparieren. Vielleicht ist eine Ausnahme möglich?«
Das junge Mädchen maß den Mann mit einem prüfenden Blick und meinte dann: »Einen Moment, ich werde die Chefin fragen.«
Die Chefin kam. Sie war eine elegant gekleidete Dame, noch keine dreißig Jahre alt, wie Graf Thorsten schätzte, mit einem ebenmäßig geschnittenen, sehr reizvollen Gesicht, großen blauen Augen und goldblonden, schlichtfrisierten Haaren.
»Meine Assistentin sagte mir, daß das Fotogeschäft Gehlsen Sie an uns verwiesen hat wegen eines Ersatzteils für Ihre Filmkamera?« fragte sie mit angenehm weicher, dunkler Stimme. »Haben Sie die Kamera bei sich?«
»Ja, selbstverständlich.« Graf Thorsten reichte sie ihr.
Die Dame betrachtete sie und murmelte Fabrikat und Fabriknummer vor sich hin. »Es ist ein älteres Modell«, stellte sie fest.
»Sie ist sieben Jahre alt«, bestätigte er.
»Welchen Defekt hat man festgestellt?«
Er wiederholte das, was man ihm in dem Fotogeschäft Gehlsen gesagt hatte.
»Hoffentlich kann ich Ihnen helfen.«
»Oh, es wäre zu schade, wenn es nicht möglich wäre. Wissen Sie, meine Tochter wird morgen eingeschult. Seit ihrer Geburt habe ich sie regelmäßig gefilmt, und ich möchte natürlich nicht versäumen, diesen wichtigen Tag ebenfalls festzuhalten.«
»Wir könnten Ihnen eine Leihkamera zur Verfügung stellen, falls die Reparatur nicht sofort durchzuführen ist«, kam ihm die Dame liebenswürdig entgegen. Ein kleines Lächeln spielte um ihre Lippen. »Welch ein Zufall, meine Tochter wird morgen ebenfalls eingeschult.«
»Für das ganze Stadtgebiet ist morgen der Einschulungstag für die ABC-Schützen«, entgegnete er ein wenig trocken. »Ein Zufall wäre es erst, wenn es sich um die gleiche Schule handelte.«
»Die Mozart-Schule«, erklärte sie, obwohl sie über seine Bemerkung eigentlich etwas pikiert war.
»Wirklich?« Er lachte. »Dann ist der Zufall tatsächlich perfekt. Anja kommt auch in die Mozart-Schule.«
»Meine Tochter heißt Sabine.«
»Gestatten Sie: Riekhoff – Thorsten Graf Riekhoff«, stellte er sich daraufhin höflich vor.
»Hannelore Velten«, nannte sie kurz ihren Namen.
Ihr Interesse galt lediglich der Filmkamera. Jedenfalls schien es so. In Wirklichkeit dachte sie angestrengt darüber nach, wieso ihr dieser Mann, der sich als Thorsten Graf Riekhoff vorgestellt hatte, bekannt vorkam. Sie konnte sich nicht erinnern, ihm jemals begegnet zu sein.
Sie ahnte nicht, daß Graf Thorsten dachte: Sie erinnert mich an irgend jemanden, wenn ich nur wüßte, an wen. Denn kennen tue ich sie bestimmt nicht.
Abwesend sah er zu, wie sie von der Filmkamera etwas abschraubte, dann ans Telefon ging und, für ihn unverständlich in Zahlen und Buchstaben ausgedrückt, den Teilnehmer am anderen Ende der Leitung fragte, ob dieses und jenes am Lager sei.
Kurz darauf erschien ein junger Mann im grauen Arbeitskittel, der ihr etwas reichte.
»Danke«, sagte sie, und in Sekundenschnelle hatte sie zwei Teile der Kamera ausgewechselt.
»Ich freue mich, daß ich Ihnen helfen konnte, Graf«, sagte sie ohne Überheblichkeit. »Ihre Kamera ist wieder in Ordnung. Sie können also die Einschulung Ihrer kleinen Tochter filmen.«
»Sie verfügen über großes Fachwissen«, sagte er nicht ohne Bewunderung.
Leicht zuckte sie die Schultern. »Nicht unbedingt. Man eignet es sich an, wenn man muß.«
»Wenn man muß?« fragte er unwillkürlich.
»Ich mußte«, entgegnete sie, und es war eine seltsame Mischung zwischen Resignation und eisernem Willen. »Mein Mann hat die Firma aufgebaut, er war der Fachmann, und als er starb, tauchte für mich das Problem des Weiterlebens auf. Wäre es nur um mich gegangen, so hätte ich die Firma liquidiert. Aber um meiner Tochter willen wäre das verantwortungslos gewesen.«
»Sie haben sich eine Materie angeeignet, die Ihnen vorher fremd war?« fragte er fast ungläubig.
»Ja«, bestätigte sie schlicht. »Es war nicht einfach, Graf. Ich bin wie ein Lehrling durch alle Abteilungen des Betriebes gegangen, sogar die Buchhaltung eingeschlossen, und heute weiß ich, wie die Dinge laufen. Vielleicht hatte ich zufällig technisches Verständnis. Jedenfalls ist es mir seit nunmehr fünf Jahren gelungen, die Firma zu erhalten und sogar noch auszubauen.«
Wieso erzähle ich ihm das eigentlich alles? dachte sie. Ich bin doch sonst nicht so mitteilungsfreudig Fremden gegenüber. Ist es nur, weil seine und meine Tochter morgen in der gleichen Schule eingeschult werden?
Sie wußte nicht, daß sie sehr nachdenklich aussah, als sie ihn musterte. Er hatte eine gerade, kräftige Nase, tiefgescheiteltes dichtes braunes Haar, ernste braune Augen und ein eher breites als schmales Gesicht. Unter dem linken Auge entdeckte sie ein winziges Muttermal, das jedoch keinesfalls störend wirkte.
Daß ihre Tochter Sabine an der gleichen Stelle ein ebenso winziges Muttermal hatte, entfiel ihrem Denken momentan, weil Graf Riekhoff sagte:
»Meine Hochachtung, gnädige Frau. Sie sind sehr jung – Verzeihung, wenn ich das sage – da ist es für Sie bestimmt nicht einfach gewesen, sich Respekt zu verschaffen und alle Schwierigkeiten zu meistern.«
Eine heiße Welle kroch vom Hals her in ihre Wangen. Sie schüttelte sich etwas und hoffte, damit das Erröten verhindern zu können. »Respekt – Sie mögen recht haben, Graf. Es war nicht ganz einfach, ihn mir zu verschaffen. Aber vielleicht gelang es mir gerade, weil ich noch verhältnismäßig jung bin, alle Schwierigkeiten zu meistern.«
Dieses sanfte Erröten vom Hals her, das durch eine leichte Schulterbewegung irgendwie abgeschüttelt wurde, war eine typische Bewegung von Graf Thorstens Tochter Anja.
Seltsam, dachte er, daß Menschen, die nichts miteinander zu tun haben, die gleichen unbewußten Angewohnheiten haben können.
»Dann werden wir uns morgen wiedersehen«, sagte er verbindlich. »Würde es Ihnen unangenehm sein, wenn ich Ihre Tochter auch im Film festhalten würde?«
»Aber durchaus nicht. Sie werden doch sicher versuchen, alle Kinder der Klasse einzufangen, denn es soll doch schließlich eine Erinnerung an den ersten Schultag sein, an dem so viel wie möglich eingefangen werden muß.«
»Ich meinte es eigentlich anders.« Er zögerte.
»So?« fragte sie erstaunt.
»Ja, ich dachte, daß ich Ihnen den Film dann auch einmal vorführen dürfte.«
Sie machte diese eigentümliche Schulterbewegung, ehe die Röte erneut vom Hals her in die Wangen steigen konnte. »Das wäre sehr nett«, entgegnete sie leichthin, aber es kostete sie Mühe, es einfach so nichtssagend zu äußern.
Nimm dich zusammen, Hannelore, hämmerte sie sich ein. Du begibst dich in eine Situation, an der du scheitern könntest. Graf Riekhoff ist dir auf eine Weise sympathisch, die du seit dem Tod deines Mannes nicht mehr für möglich gehalten hast. Er aber ist verheiratet. Willst du Konflikte heraufbeschwören, die durch das kleine Wörtchen Nein zu vermeiden wären?
»Ich danke Ihnen«, hörte sie ihn sagen. »Anja und ich freuen uns darauf, Sie und Ihre kleine Tochter bei uns als Gast zu sehen. Ihre Tochter heißt Sabine?«
Wieso sagte er: Anja und ich und kein Wort von seiner Frau?
»Ja, Sabine«, antwortete Hannelore Velten mechanisch.
»Sabine«, wiederholte er. »Denken Sie nur, diesen Namen hätte ich meiner Tochter auch gern gegeben. Aber meiner Frau gefiel der Name Anja besser.« Seine Stimme senkte sich zu rauher Gedämpftheit. »Meine Frau starb bei der Geburt des Kindes, und deshalb heißt meine Tochter also Anja.«
Ein enger Ring schnürte sich um Hannelores Kehle. »Anja ist ein wunderschöner Name«, preßte sie hervor. »Er klingt so sanft.«
Ein warmes Leuchten verdrängte den Ernst aus seinen Augen.
»Anja ist sehr sanft«, sagte er. »Sie ist blond und sehr zart. Ich weiß nicht, welcher unserer Vorfahren in ihr auferstehen wird, denn meine Frau war schwarzhaarig, und ich«, er strich sich kurz über das dichte braune Haar, »bin niemals blond gewesen.«
»Oh, das gibt es«, entgegnete Hannelore hastig. »Mein Mann war aschblond, und ich«, sie machte eine ähnliche Handbewegung wie Graf Thorsten, »bin wohl hellblond zu nennen. Sabine ist auch dunkelhaarig.«
»Nun, morgen werden Sie Anja kennenlernen, und ich werde das Vergnügen haben, Sabine aufs Zelluloid zu bannen.« Er zückte seine Brieftasche. »Was bin ich Ihnen schuldig, gnädige Frau?«
Sie füllte einen Kassenbon aus. »Siebenundzwanzig Euro.«
Er legte