Ein Blumenkind ohne Heimat: Sophienlust Extra 51 – Familienroman
Von Gert Rothberg
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Über dieses E-Book
In der Reihe Sophienlust Extra werden die schönsten Romane dieser wundervollen Erfolgsserie veröffentlicht. Warmherzig, zu Tränen rührend erzählt von der großen Schriftstellerin Patricia Vandenberg.
»Traute Rauscher«, sagte Denise von Schoenecker und ließ nachdenklich den Briefbogen sinken. Dann blickte sie ihren Mann an. »Erinnerst du dich noch, Alexander?« Alexander von Schoenecker faltete das landwirtschaftliche Wochenblatt zusammen, in dem er eben gelesen hatte. »Nein, mein Herz. Müsste ich mich erinnern?« »Düsseldorf – Romeo und Julia«, half Denise ihrem Mann. In den Augen des Gutsbesitzers blitzte es auf. Vor einem knappen halben Jahr hatte er zusammen mit seiner Frau die Vorstellung im Schauspielhaus besucht. Es war das herausragende Ereignis während eines ziemlich langweiligen Kongresses gewesen. »Unvergesslich«, murmelte er. »Wie kommst du gerade jetzt darauf?« »Weil ich hier einen Brief dieser bezaubernden jungen Schauspielerin habe. Sie hat ein Problem.« »Wieder einmal!« Alexander lächelte. »Wie ich dich kenne, wirst du es schnellstens zu deinem eigenen machen.
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Buchvorschau
Ein Blumenkind ohne Heimat - Gert Rothberg
Sophienlust Extra
– 51 –
Ein Blumenkind ohne Heimat
Was wird aus der kleinen Sonny?
Gert Rothberg
»Traute Rauscher«, sagte Denise von Schoenecker und ließ nachdenklich den Briefbogen sinken. Dann blickte sie ihren Mann an. »Erinnerst du dich noch, Alexander?«
Alexander von Schoenecker faltete das landwirtschaftliche Wochenblatt zusammen, in dem er eben gelesen hatte. »Nein, mein Herz. Müsste ich mich erinnern?«
»Düsseldorf – Romeo und Julia«, half Denise ihrem Mann.
In den Augen des Gutsbesitzers blitzte es auf.
Vor einem knappen halben Jahr hatte er zusammen mit seiner Frau die Vorstellung im Schauspielhaus besucht. Es war das herausragende Ereignis während eines ziemlich langweiligen Kongresses gewesen.
»Unvergesslich«, murmelte er. »Wie kommst du gerade jetzt darauf?«
»Weil ich hier einen Brief dieser bezaubernden jungen Schauspielerin habe. Sie hat ein Problem.«
»Wieder einmal!«
Alexander lächelte. »Wie ich dich kenne, wirst du es schnellstens zu deinem eigenen machen. Worum handelt es sich überhaupt?«
»Sie schreibt, es betreffe ihre kleine Nichte. Ob sie herkommen dürfte, um mit mir darüber zu reden.«
»Ich brauche dich wohl nicht zu fragen, was du antworten wirst«, bemerkte Alexander liebevoll. »Wie ist sie überhaupt auf dich gekommen, Denise?«
»Vielleicht weniger auf mich als auf Sophienlust. Sie muss davon gehört haben. Wie und auf welche Weise ist ja auch egal. Ich werde ihr morgen antworten und sie einladen, uns zu besuchen. Abgesehen von ihren Kümmernissen freue ich mich darauf, diese begabte Künstlerin nun auch persönlich kennenzulernen. Du doch auch, Alexander, oder?«
»Hm …« Er räusperte sich. Um die Wahrheit zu sagen, er war wirklich sehr stark von der schauspielerischen Leistung Traute Rauschers beeindruckt gewesen. Auch wenn ihm ihr Name im Moment nicht geläufig gewesen war, so hatte er doch weder ihr liebliches Gesicht noch ihr ausdrucksstarkes und leidenschaftliches Spiel vergessen. Er stand auf und warf ein Buchenscheit in den Kamin.
Um Denises schön geschwungenen Frauenmund huschte ein winziges Lächeln. Sie spürte nicht einmal einen Hauch von Eifersucht.
Ganz im Gegenteil – es freute sie sogar, bei ihrem Alexander eine liebenswerte Schwäche zu entdecken. Überdies wusste sie genau, dass seine große Liebe zu ihr und das Verstehen, das zwischen ihm und ihr bestand, durch kein äußeres Ereignis getrübt werden konnte.
Denise lehnte sich zurück und legte die schlanken Beine auf das marokkanische Sitzkissen. Wieder einmal fand sie, dass die Abende in Schoeneich, wenn draußen der Wind um die Mauern pfiff und ein lebendiges Feuer nicht nur den Raum, sondern auch die Herzen erwärmte, wunderbar waren.
»Ich bin so glücklich, Alexander«, sagte sie leise aus ihren Gedanken heraus. »Ich müsste noch viel mehr tun, um etwas davon weiterzugeben.«
Alexander von Schoenecker setzte sich auf die Lehne von Denises Sessel und legte den Arm um die Schultern seiner Frau. »Noch mehr?«, sagte er zärtlich. »Jetzt untertreibst du aber wirklich. Manchmal habe ich Sorge, du könntest dich übernehmen.«
»Ach wo. Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch die Kraft. Heißt es nicht so?«
Das stimmte. Seitdem Denise nach dem Willen der früheren Besitzerin Sophienlusts das Kinderheim leitete, waren mit den Aufgaben auch ihre Kräfte gewachsen. Denise verstand es meisterhaft, ihre verschiedenen Wirkungsbereiche miteinander zu verbinden, sodass weder Sophienlust noch ihre eigene Familie zu kurz kam. Allerdings stieß Denise bei Alexander von Schoenecker auch auf großzügiges Verständnis, ebenso bei ihrem Sohn Dominik, der einmal das Erbe seiner Urgroßmutter Sophie von Wellentin antreten würde. Nick, wie der Gymnasiast allgemein genannt wurde, besaß trotz seiner erst fünfzehn Jahre bereits ein ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein. Er interessierte sich für alles, was Sophienlust betraf, und setzte sich mit jugendlichem Feuereifer ein, wenn es um das Schicksal der dem Heim anvertrauten Kinder ging.
Sogar der kleine Henrik, der aus der Ehe von Denise und Alexander hervorgegangene Sprössling, fand es ganz in Ordnung, fast ebenso viel in Sophienlust wie in Schoeneich zu sein. Ebenso nahm Andrea von Lehn, die mit einem Tierarzt verheiratete Tochter Alexanders aus seiner ersten Ehe, lebhaften Anteil an den kleinen und großen, manchmal erheiternden, sehr oft aber auch dramatischen und erschütternden Begebenheiten in Sophienlust. Daran hatte auch die Geburt ihres ersten Kindes nichts geändert. Das von allen mit Spannung erwartete Ereignis lag nun schon eine Weile zurück, und der kleine Peter sah inzwischen, wie seine beiden Onkel Nick und Henrik erklärten, bereits recht menschlich aus.
Denise schmiegte sich in Alexanders Arme. Hier fühlte sie sich geborgen und beschützt, hier war die Quelle, aus der sie immer wieder neue Kraft schöpfte. Sie wusste, Alexander verstand sie auch ohne viele Worte.
Vielleicht war es die Harmonie dieser beiden Menschen, die ausstrahlte und – wie ein Stein, den man ins Wasser wirft – immer weitere Kreise zog. Man konnte Denise von Schoenecker nicht begegnen, ohne von ihrer Persönlichkeit angerührt zu werden. Vermutlich war dies auch das Geheimnis ihrer Erfolge. Niemand führte Buch darüber oder hätte zu zählen vermocht, wie oft es ihr schon gelungen war, anderen Menschen mit Rat und Tat beizustehen. Es war ihre Lebensaufgabe, ein winziger Dank für das eigene Glück. Nicht von Anfang an war es ihr in den Schoß gefallen. Auch sie hatte ihre dunklen Stunden voller Tränen und verzweifelter Gedanken gehabt, aber sie waren jetzt Vergangenheit. Mit hinein in die Gegenwart genommen hatte sie die Fähigkeit, andere zu verstehen. Wer auch immer zu ihr kam, durfte mit ihrer Hilfe rechnen.
Jetzt würde es also Traute Rauscher sein, jene Frau mit der dunklen, samtigen Stimme, den übergroßen leuchtenden Augen und den ausdrucksvollen Gebärden.
Denise sah dem Besuch der Schauspielerin erwartungsvoll entgegen. Es würde reizvoll sein festzustellen, ob die im Scheinwerferlicht magisch wirkende Anziehungskraft dieser Frau der nüchternen Wirklichkeit standhielt.
*
Ein paar Tage später war es so weit. Denise von Schoenecker und Traute Rauscher saßen zusammen im Biedermeiersalon von Sophienlust unter dem großen Ölgemälde, das Sophie von Wellentin darstellte, die mit ihrem Testament für die Entstehung des Kinderheims Sophienlust gesorgt hatte.
Zwischen den beiden Damen stand ein zierlicher Tisch mit Tee und knusprigem Gebäck, dessen Zubereitung die Stärke der Köchin Magda war. Noch hatte Traute Rauscher nicht über ihr Anliegen gesprochen. Denise war viel zu klug, um Fragen zu stellen. Sie spürte sehr deutlich die leichte Befangenheit, die auch die Routine der Schauspielerin nicht zu überdecken vermochte. Aber gerade das machte ihr die Besucherin besonders sympathisch.
»Ich habe viel über Sophienlust gehört«, meinte Traute Rauscher endlich. »Trotzdem übertrifft die Wirklichkeit alle Vorstellungen. Ich finde, es ist ein kleines Paradies.«
»Wir nennen es ›Das Haus der glücklichen Kinder‹, erwiderte Denise lächelnd. »Nicht, weil hier absolut alle glücklich sind. Das ist auf dieser Welt wohl auch nicht möglich. Trotzdem sind sehr viele Kinder hier glücklich geworden, und das ist auch unser Ziel.«
Traute Rauscher blickte die schöne Frau mit dem schwarzen Haar und dem feingeschnittenen Gesicht nachdenklich an. »Sie haben sich eine große Aufgabe gestellt, Frau von Schoenecker.«
»Ach, sie kam eigentlich ganz von selbst auf mich zu.« Denise überlegte kurz, ob sie der Besucherin etwas aus ihrem Leben erzählen sollte, und fand, dass es ihr das Reden vielleicht leichter machen würde.
Also berichtete sie von ihrer Laufbahn als Tänzerin und von ihrer ersten Ehe mit Dietmar von Wellentin, die auf so tragische Weise durch den plötzlichen Tod ihres Mannes noch vor der Geburt ihres Sohnes Nick geendet hatte. »Nick ist der Urenkel Sophie von Wellentins«, sagte sie mit einer Handbewegung zu dem Bild hin. »Jetzt geht er ja noch in die Schule, aber eines Tages wird er das alles hier übernehmen. Ich bin sozusagen nur die Sachwalterin.«
»Oh nein!«, unterbrach Traute Rauscher sie impulsiv. »Viel eher halte ich Sie für den guten Geist. Ich habe mich, ehrlich gesagt, ein bisschen vor dieser Unterredung gefürchtet. Es ist doch eigentlich eine ziemliche Anmaßung, als gänzlich Fremde hier hereinzuschneien. Aber nun habe ich Sie kennengelernt und wage es auch, meine Bitte vorzutragen.«
»Sie brauchen keine Hemmungen zu haben, Frau Rauscher«, sagte Denise. »Was Sie mir auch anvertrauen werden, es bleibt selbstverständlich alles unter uns.«
»Wie ich Ihnen schon schrieb, handelt es sich um meine Nichte Sonny«, begann die Besucherin langsam. »Aber ich glaube, ich muss ein wenig weiter ausholen. Hoffentlich stehle ich Ihnen nicht zu viel Zeit?«
»Durchaus nicht. Ich werde uns noch Tee eingießen, ja? Nehmen Sie doch noch von dem Gebäck.«
»Tee sehr gern. Ich bin in letzter Zeit immer so durstig. Dafür hapert es mit dem Appetit.«
Das sieht man, dachte Denise. Das Gesicht der jungen Schauspielerin war von einer durchscheinenden Blässe. Um den Mund lag ein müder Zug. Auch die Hände, die sie in ruhelosem Spiel ineinander verschlang, wirkten überaus zart und kraftlos. War das alles einem geheimen Kummer zuzuschreiben, oder war die junge Frau etwa krank? Denise lehnte sich bequem zurück. Sie war sicher, schon bald Näheres darüber zu erfahren.
»Sonny ist das einzige Kind meiner Schwester Gilda, die mit einundzwanzig Jahren einen Spanier geheiratet hat, Paco Vanessa, übrigens sehr gegen den Willen meines Vaters. Unsere Mutter starb schon sehr früh.« Traute schwieg und trank einen Schluck Tee. Ihre Kehle war wieder einmal wie ausgedörrt. Vielleicht sollte ich doch wieder einmal einen Arzt aufsuchen?, überlegte sie.
»Gilda hat ihr Medizin-Studium in Madrid beendet«,