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Einmal Heimat und zurück: Roman
Einmal Heimat und zurück: Roman
Einmal Heimat und zurück: Roman
eBook238 Seiten3 Stunden

Einmal Heimat und zurück: Roman

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Über dieses E-Book

Der erste gemeinsame Urlaub nach Jahren. Erich, der gerade seinen Dienst als Offizier quittiert hat, muss dringend mal raus. Klara, seine Frau, hasst Verreisen. Ideale Voraussetzungen für einen Flug nach Malta. Während sich dort die Einwohner bemühen, eine zweite Besetzung durch Engländer und ­andere urlaubende Zeitgenossen abzuwenden, spitzt sich die Beziehungskrise zu. Erich blickt zurück auf seine Jugend, erinnert sich an die Idylle eines deutschen Dorfes der Nachkriegszeit, die auch ihre Schattenseiten hatte, an seine Ehe und seine Zeit bei der Bundeswehr. Bis sein Leben plötzlich eine ­andere Dimension erfährt: In Lourdes wird er in prophetischer ­Weise mit den Entwicklungen der Religionen, dem Zustand unseres Planeten und dem Sinn seines Lebens konfrontiert. Und er erfährt, als welche Person Papst Franziskus I. schon einmal auf Erden weilte ...

Mit viel Humor und satirischem Augenzwinkern nimmt uns Erich Koch mit auf (s)eine ziemlich abwechslungsreiche Lebens­reise, hinein in die Nachkriegszeit der aufblühenden 1950er Jahren bis heute. Der erfolgreiche Theater- und Buchautor hat weit über 100 Komödien verfasst, die auf zahlreichen Spielplänen großer und kleiner Bühnen im In- und Ausland stehen. "Einmal Heimat und zurück" ist sein fünftes und ­persönlichstes Buch.
SpracheDeutsch
HerausgeberLindemanns
Erscheinungsdatum27. Mai 2016
ISBN9783881909129
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    Buchvorschau

    Einmal Heimat und zurück - Erich Koch

    Koch_Heimat_Titel_DRUCK.jpg

    Erich Koch

    Einmal Heimat

    und zurück

    Roman

    84039.png

    Gewidmet meinem Großvater,

    meinen Eltern, meinen Schwiegereltern,

    meiner Frau und natürlich den Engeln.

    Ich danke meinem Freund Ernst Schlaich

    für seine Unterstützung und unendliche Geduld.

    Erich Koch, Jahrgang 1948, ist Buch- und Theaterautor. Der gebürtige Huttenheimer leitet das Linzgautheater in Pfullendorf. Seine über 100 erfolgreichen Komödien stehen auf zahlreichen Spielplänen großer und kleiner Bühnen im In- und Ausland. www.erich-koch-online.de

    Lindemanns Bibliothek, Band 263

    herausgegeben von Thomas Lindemann

    Titelgestaltung: Cotolemi,

    unter Verwendung von iStock by Getty Images

    Die Aufführungsrechte für den Sketch auf S. 67 ff und

    Seite 170 ff besitzt der Reinehr-Verlag, Mühltal

    © 2016 · Info Verlag GmbH

    Alle Rechte vorbehalten.

    Nachdruck ohne Genehmigung

    des Verlages nicht gestattet.

    ISBN 978-3-88190-912-9

    www.infoverlag.de

    1

    Es war der erste gemeinsame Urlaub von Klara und Erich seit mehreren Jahren. Erich konnte sich an den letzten Urlaub nicht mehr so genau erinnern. Was ihm nicht wichtig war, vergaß er schnell. Es gab wenig, was sich für ihn lohnte, im Gedächtnis behalten zu werden.

    Nicht, dass es ihnen an Gelegenheiten oder an Versuchen gefehlt hätte, aber Klara hasste es, Koffer zu packen. Koffer packen bedeutete für sie immer die Aufgabe von Vertrautheit und Wohlfühlen, ein Verlust von Sicherheit und Geborgenheit. Koffer packen war auch immer Abschied und Ungewissheit. Noch mehr fürchtete sie sich jedoch davor, die Koffer wieder auspacken zu müssen. Schon beim Einpacken stellte sie sich die Bündel schmutziger Wäsche vor, die sie nach der Rückkehr wieder werde waschen und bügeln müssen.

    Drei Tage vor Beginn der Reise begann sie, die Kleidungsstücke, die sie mitnehmen wollte, aus dem Kleiderschrank herauszunehmen. Mit Erich darüber zu reden hatte keinen Zweck. Er zog grundsätzlich das an, was sie ihm bereit legte. Erich verstand auch nicht, warum ein Kleidungsstück, das noch sauber und nicht abgetragen war, plötzlich im Altkleidersack verenden sollte. Die einzige Mode, der er sich zu unterwerfen bereit war, war der Verschleiß. Manch altes, lieb gewonnenes Stück konnte er im letzten Moment heimlich vor dem Abtransport retten.

    Erich hatte nichts dagegen, dass der liebe Gott nach dem Mann auch noch die Frau erschaffen hatte. Aber manchmal fragte er seinen Schöpfer resigniert, warum er sich dazu den selben Planeten ausgesucht hatte.

    Je näher der Urlaubstermin rückte, desto weniger sprachen sie über die Reise und desto schlechter wurde Klaras Laune. Erich, dessen Leben eigentlich auf Harmonie ausgelegt war, wurde zum Ziel von Klaras unerklärlichem Wechselbad aus Vorfreude und Angst. Sie wusste, dass es ungerecht war, aber sie konnte sich nicht dagegen wehren.

    Das Klima zwischen ihnen wurde immer frostiger, und kurz vor der Abfahrt gerieten sie regelmäßig so in Streit, dass sie beschlossen, zu Hause zu bleiben. Wie von einer riesigen Last befreit fielen sie sich in die Arme und versprachen sich, ganz gewiss nächstes Jahr über Winter in ein von der Sonne verwöhntes Land zu fliegen. Klara hasste den Winter.

    Wahrscheinlich war Klaras Angst vor dem Fliegen die eigentliche Ursache ihres Verhaltens. Ein einziges Mal hatte sie sich bisher überwunden, und sie waren zusammen über die Jahreswende zu Freunden nach Barcelona geflogen. Sie hatten eine Art Waffenstillstand geschlossen und alles so vorbereitet, dass, sollten sie nicht zurückkehren, die Erbschaftsangelegenheiten geregelt waren. Erich kam in dieser Zeit spät von der Arbeit nach Hause, und sie gingen früh zu Bett. Obwohl Klaras Gedanken nur noch um abstürzende Flugzeuge kreisten, vermieden sie jedes Gespräch darüber. Erich hatte Klara zu verstehen gegeben, dass ihm ein Trainingsanzug reichen würde, sollte der Platzbedarf für ihre Garderobe zwei Koffer auslasten.

    Alles schien dieses Mal gut zu gehen. Erich aß die letzten drei Tage vor der Abreise in der Kantine, und abends gab er sich mit einem Wurstbrot und einer Flasche Bier zufrieden. Klara hasste es, abends eine kalte Mahlzeit einnehmen zu müssen. Ihr empfindlicher Magen war dafür nicht eingerichtet. Deshalb aßen sie normalerweise ihre warme Mittagsmahlzeit abends und Erich nahm für mittags etwas Obst mit zur Arbeit, das er nach dem Mittagessen in der Kantine der Bundeswehr als Nachtisch aß. Aber drei Tage vor der Abreise war Klara nicht in der Lage, etwas Genießbares zu kochen.

    Für Erichs Vorliebe, abends ein ordentliches Vesper, wie er es nannte, einzunehmen, hatte sie noch nie Verständnis aufbringen können. Am meisten störte sie daran, dass das Brot dunkel sein musste und Erich die Schnitte daumendick machte. Erich konnte stundenlang vespern und dabei Klara zusehen, wie sie bei jedem Bissen mehr zu leiden begann.

    Sie fand immer etwas, obwohl sie es selbst zubereitet hatte, und sie kochte ausgezeichnet, was es wert war, liegen gelassen zu werden. Beim Vesper war es der Anschnitt der Leberwurst, der Darm der Schwarzwurst, die luftgetrocknete Haut der Salami, der Rand des Käses oder das erste Stück Brot des angeschnittenen Laibes.

    Erich aß alles. Vor allem konnte er es nicht leiden, wenn Klara Brot wegwarf. Wenn er es bemerkte, holte er es wieder aus dem Mülleimer heraus. Nicht essbares Brot gab es für ihn nicht.

    Als Kind hatte er oft seinem Vater zugesehen, wie dieser vor dem Anschnitt eines frischen Laibes mit dem Messer andächtig ein Kreuz auf das Brot gezeichnet hatte. Kein Essen, bei dem nicht Brot gereicht wurde. Erichs Großvater war Landwirt, und das Ende des Zweiten Weltkriegs lag noch nicht allzu weit zurück. Seine Eltern wussten noch, wie hart man für ein Stück Brot arbeiten musste.

    Erich liebte Brot. Für ein gutes Stück Brot ließ er jedes Brötchen liegen. Brot war für ihn der Inbegriff einer nicht ganz klar zu definierenden inneren Sicherheit. Brot zu haben, bedeutete Zufriedenheit, Zufriedenheit gab Zuversicht, Zuversicht versprach Glück, und wer Glück hatte, wurde geliebt. Erich war ein harmoniebedürftiger Mensch.

    Er aß bei den warmen Mahlzeiten immer alles auf. Klara ließ immer etwas auf dem Teller zurück. Entweder war es ein Stückchen Fleisch, eine Kartoffel oder eine Gabel voll Gemüse, dem ihr leicht entflammbarer Magen nicht mehr gewillt war, Einlass zu gewähren. Am Beginn ihrer Ehe hatte sich Erich noch darüber aufgeregt. Später räumte er klaglos das Geschirr in die Küche und aß dort heimlich die Reste von Klaras Teller auf. Erich hatte immer Gewichtsprobleme.

    Dagegen halfen auch keine Diäten. Nach der Kartoffeldiät mit Jojo-Effekt hatte Erich ein Kilo Mehrgewicht, nach der Eierdiät waren es zwei Kilo, die Nudeldiät lagerte vier Kilo auf den Hüften ab, und nach der Traubendiät entfernte er die Batterien aus der Waage. Sein Gewicht ging keinen etwas an. Seither hielt er konstant seine Kleidergröße. Nur einmal ließ er in seine gute Anzugshose einen Zwickel einsetzen.

    Er wusste nicht mehr genau, waren es Cäsar oder Angela Merkel gewesen, die gesagt hatten: „Lasst dicke Männer um mich sein." Die Römer verstanden zu leben. Gut, das römische Reich war untergegangen. Die Raubzüge waren zuletzt nicht mehr so erfolgreich gewesen. Aber einen Fehler hatten die Römer nie gemacht. Sie hatten die Raubzüge nie gegen das eigene Volk geführt. Die Römer schienen der deutschen Regierung egal zu sein.

    Deren Diäten hatten auch einen Jojo-Effekt. Sie wurden immer dicker. „Wer Wasser predigt, kann selbst trotzdem Wein trinken", pflegte schon Erichs Opa zu sagen.

    2

    In der Nacht vor ihrem Abflug nach Barcelona fegte ein orkanartiger Sturm über Deutschland hinweg. Erich fürchtete schon, Klara würde unter diesen Umständen keinesfalls ihren ersten Flug wagen. Entweder war es die Angst vor dem Auspacken der Koffer oder sie hatte sich in eine Art Endzeitstimmung geflüchtet. Obwohl sie wegen der umgestürzten Bäume einen Umweg zum Flughafen fahren mussten, flogen sie.

    Es wurde ein furchtbarer Flug. Aufgrund Erichs gewohnter Überpünktlichkeit waren sie zu früh am Flugplatz, waren sie zu früh in der Abflughalle, das Flugzeug startete unpünktlich, und es war Rauchverbot. Erich war aktiver Nichtraucher. Nicht, dass er als Jugendlicher nicht auch mal geraucht hätte. Rauchen war eigentlich nicht das richtige Wort, um das Elend, das ihm widerfuhr, zu beschreiben.

    Erich und sein Freund Karl hatten sich als Zwölfjährige mit heimlich gekauften Zigaretten – einer Viererpackung „Bali" – in einem Maisfeld versteckt und begannen zu paffen. Da ihnen die Stauden bis über den Kopf reichten, glaubten sie sich vor einer Entdeckung sicher. Was sie als junge Indianer auf dem Kriegspfad nicht bedacht hatten, war, dass der Rauch auch für den Sheriff sichtbar über das Kraut zum Himmel zog und seine vernebelte Botschaft verbreitete.

    Da sich das Feld direkt neben Karls Elternhaus befand, hatte der Sheriff in Gestalt von Karls Großvater sehr schnell die Spur der Rothäute aufgenommen. Weil er Erich für den Anstifter hielt, beeilte er sich, dessen Eltern eine unverschlüsselte Botschaft zukommen zu lassen. Diese verzichteten jedoch auf eine Standpauke, als sie Erichs Zustand sahen. Sie setzten auf Selbstheilungskräfte. Erich beschloss, nie mehr eine Zigarette anzurühren.

    Deshalb konnte er sich auch nur schwer damit abfinden, dass Klara ihr Leben nach Zigarettenlängen einteilte. Sie rauchte zwar, seit sie sich kannten, aber früher hatte ihn das nicht so gestört. Junge Liebe macht immun gegen passiven Zigarettenrauch.

    Je länger sie zusammenlebten, desto bewusster wurde ihm aber, dass ihre Uhr statt zweier Zeiger zwei Zigaretten hatte. Obwohl die Zigarettenhersteller damals noch nicht auf die Abhängigkeit der Verbraucher angewiesen waren, machten sie auch damals schon der Jungend weis, mit Rauchen lösten sich ihre Probleme in Rauch auf. Zurück blieb ein Körper, der nur noch mit der richtigen Mischung von Nikotin und anderen Drogen funktionierte. Für Klara war jede Zigarette ein Genuss. Deshalb kam sie auch nie wirklich auf den Gedanken, aufhören zu wollen.

    Der Genuss begann morgens nach dem Frühstück. Mit dem in der Tasse zurückgelassenen Rest von Kaffee eine erste Zigarette zu rauchen, versöhnte mit der schrecklichen Tatsache, die Nacht wieder viel zu früh mit dem Tag getauscht zu haben.

    In aller Ruhe eine zweite Zigarette zu rauchen, war ein notwendiges Ritual, um sofort oder nie eine Darmentleerung zu ermöglichen. Bei der zweiten Zigarette durfte Klara auf keinen Fall gestört werden. Erich hatte ein Mal versucht, die für ihn sinnlos verbrachte Zeit zur gemeinsamen Erstellung des Einkaufszettels zu nutzen. Das Gespräch endete im Streit, und Klara konnte drei Tage nicht auf die Toilette. An diesen Tagen gab es keine warme Mahlzeit. Erich war froh, dass sie eine andere Wohnung gefunden hatten, die schon eine Gästetoilette hatte.

    Erich lebte in dem Glauben, Zeit sei etwas Absolutes. Sechzig Sekunden ergaben eine Minute, der große Zeiger wanderte in einer Stunde eine Ziffer weiter, und der Tag hatte auch bei der Gewerkschaft vierundzwanzig Stunden. Innerhalb dieses Zeitfensters musste jeder Mensch seine Tätigkeiten koordinieren.

    Nicht so Klara. Ihre Uhr bestand aus zwanzig Zigaretten. Wenn Klara aufstand, fror sie, egal welche Uhrzeit und welche Jahreszeit angezeigt waren. Das Bett schien ihr beim Aufstehen sämtliche Körperwärmen zu entziehen, um sie für immer an sich zu fesseln.

    Außerdem hatte sie grundsätzlich Hunger, sobald sie die Augen aufschlug. Zum Leidwesen von Erich konnte sie dann an nichts anderes denken. Erich konnte Tage verbringen, ohne Nahrung zu sich zu nehmen. Trotzdem nahm er zu. Klara benötigte fünf kleine Mahlzeiten über den Tag verteilt, damit ihr nicht schlecht wurde. Erich konnte fünf kleine Mahlzeiten auf ein Mal essen, ohne dass ihm schlecht wurde.

    Nur der heiße, inhalierte Rauch einer Zigarette löste die verklebten Blutplättchen und brachte die Körperwärme zurück. Die erste halbe Stunde des Tages dauerte zwei Zigaretten lang.

    Der Rest des Tages war klar eingeteilt. „Wenn ich die Zigarette geraucht habe, gehen wir einkaufen. Wenn wir eingekauft haben, brauche ich erst eine Zigarette. Ich werde doch nach dem Essen noch in Ruhe eine Zigarette rauchen können! Wenn ich nach dem Kaffee noch eine Zigarette rauche, geht die Welt doch nicht unter! Ja, das Abendessen ist gleich fertig. Ich rauche nur noch die Zigarette zu Ende. Endlich kann ich mal in Ruhe vor dem Fernseher eine Zigarette genießen. Wenn ich die Zigarette geraucht habe, gehen wir ins Bett. Jetzt hetze mich doch nicht so! Ich kann auch nichts dafür, dass der Rauch immer in deine Richtung zieht. Jetzt gönne mir doch wenigstens das eine kleine Laster. Habe ich schon ein Mal was gesagt, wenn du deine Sportschau anschaust, obwohl im ZDF ein Rosamunde-Pilcher-Film läuft? Ich sitze ganz ruhig neben dir und sage nichts, obwohl mich mal interessieren würde, was der Beckenbauer unter Freistoß versteht. Ich rauche klaglos meine letzte Zigarette."

    Klaras Tag hatte zwanzig Zigaretten. Wenn Erich mit ihr mal abends ausging, konnte er auch auf vierundzwanzig kommen. Dann war die Welt wieder in Ordnung. Die mitteleuropäische Zeit stimmte mit der Anzahl der Zigaretten überein.

    Zigaretten entfremden Menschen. Die Werbung will uns weismachen, mit Rauchen könne man Freunde finden. Das Gegenteil ist der Fall. Die Raucher tappen in die Falle der Abhängigkeit, und die Nichtraucher fühlen sich wie in einer benebelten Mausefalle. Nur, dass der Speck eine Kippe ist.

    Während der Nichtraucher dem Raucher grimmig zusieht, wie dieser aus der Zigarette eine geheime Kraft zu saugen scheint, wird ihm klar, dass sein sauer verdientes Geld in diesem Augenblick sinnlos verpufft und er nie Zutritt zu dieser fantastischen Welt erhalten wird. Manche Männer versuchen es daher mit einer Pfeife. Die Mausefalle hat zugeschnappt.

    Erich hatte es schließlich aufgegeben, gegen Klaras Zigarettenkonsum anzukämpfen. Warum sollte ausgerechnet er diesen Kampf gewinnen? Weder sein Hinweis auf ihren morgendlichen Versuch, die Lungen frei zu husten, noch seine Drohung, seine Rente notfalls alleine zu verprassen, konnten Klara beeindrucken. Sie wusste, dass er eine Pension bekommen würde.

    Für Klara war Tabak ein legales Genussmittel, das mit leichter Handhabung auch in der Öffentlichkeit konsumiert werden konnte und auf das sie nicht verzichten wollte, oder, wie Erich dann immer einwarf, auch nicht mehr konnte.

    Ein einziges Mal vor vielen Jahren hatte Klara versucht, das Rauchen aufzugeben. Zumindest hatte sie in ihrer Familie diesen Glauben geweckt. Erich war es gelungen, seine Kinder ein Mal auf seine Seite zu bringen und sich mit ihm zu einem Protest gegen die tiefen Rauchschwaden im Wohnzimmer vor dem Fernsehgerät zu vereinen. Gemeinsam die Sesamstraße anschauen, macht solidarisch stark.

    Zunächst fand Erich eine offensichtlich eilig ausgedrückte und dann vergessene Kippe irgendwo in der Wohnung, dann fielen ihm abgebrannte Streichhölzer in die Hände, als er in einer Zeitschrift blätterte.

    Er wagte es aber nicht, Klara darauf anzusprechen. Sie hätte die Enttarnung als Anlass nehmen können, wieder zu rauchen. Vielleicht schaffte sie es doch! Als sie jedoch heimlich und schnell zum Zigarettenautomaten gegenüber ihrer Wohnung laufen wollte und dabei vom Auto einer Nichtraucherin angefahren wurde, ging ihre vorgetäuschte Abstinenz endgültig in Rauch auf.

    Zum Glück hatte das Auto nur ein paar Schrammen abbekommen und auch Klara konnte am nächsten Tag mit einer kleinen Naht über dem Auge das Krankenhaus wieder verlassen. Ab diesem Zeitpunkt war ein Rauchverzicht verbal kein Thema mehr.

    Erich dachte sich seinen Teil, und Klara sah ihm an, was er dachte. Wenn es die Witterung zuließ, ging sie zum Rauchen auf den Balkon. Klara fror schnell. Deshalb hasste sie den Winter, und nur darum war sie bereit gewesen, nach Spanien oder in den Tod zu fliegen.

    Dass sie aber vor ihrem Tod also nicht noch eine Zigarette rauchen durfte, drückte deutlich auf ihre Stimmung. Sie wurde auch nicht davon besser, dass es ein Nachtflug war und man nicht so genau sah, wie hoch das Flugzeug flog und wie lange der Boden unter dem Flugzeug aus Wasser bestand.

    Klara fürchtete sich vor Wasser. Schon die Vorstellung von tiefem, grundlosem Wasser machte ihr Todesangst. Sie fühlte sich Wasser hilflos ausgeliefert. Sie hatte nie schwimmen gelernt, weil ihr Wasser immer schmutzig vorkam. Es konnte noch so klar sein, man war sich der genauen Tiefe nie sicher. Und Klara fürchtete sich grundlos.

    Eingesperrt zu sein in einer fliegenden Zigarrenkiste über dem Meer war für sie der Supergau! Durch konzentriertes Atmen und Verweigerung der angebotenen Bordspeisung versuchte sie, der aufkommenden Panik Herr zu werden. Als das Flugzeug in ein schweres Gewitter geriet und die Passagiere zum Anlegen der Sicherheitsgurte aufgefordert wurden, war sie bereit zum Sterben. Wenn es schon sein musste, dann wenigsten schnell. Sie hatte es geahnt. Sie hatte es immer gewusst.

    3

    Als kleines Kind wurde Klara von ihrer Mutter für Kleinigkeiten in einen fensterlosen, dunklen, feuchten Kellerraum gesperrt. Sie litt Todesängste. Wahrscheinlich rührte von daher auch ihre Spinnenphobie, ihre Angst vor geschlossenen Räumen und die Furcht vor der Nacht.

    Wenn sich Erich nicht sofort auf die Spinne stürzte und sie tötete, konnte sich Klara nicht mehr kontrollieren. Dann halfen auch keine Zigaretten mehr. Sie begann sich aufzulösen.

    Hanna, ihre Mutter, hatte keine Zeit, um sich um die Ängste eines kleinen Mädchens

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