Geschichten aus Baden und dem Elsass
Von Anton Ottmann
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Buchvorschau
Geschichten aus Baden und dem Elsass - Anton Ottmann
für den elsässischen Teil meiner Familie
Anton Ottmann, Jahrgang 1945, Lehrer für Mathematik und Physik, promoviert in Erziehungswissenschaften, schreibt seit fast 50 Jahren wissenschaftliche Artikel und Bücher zur Mathematikdidaktik und erstellt Arbeitsmaterialien für den Unterricht. 1996 erschien sein Erfolgsband „Weihnachten ist jedes Jahr (3. Auflage, 2012), 2004 der Erzählband „Die Pariserin
, 2009 „Geschichten aus Baden und dem Elsass (2. Auflage, 2018), 2013 der Roman „Trauerjahr
und 2018 „Begegnungen in der Weihnachtszeit. Als Mundartpreisträger veröffentlichte er 2014 „Kurpfälzer Gebabbel
und Kurzgeschichten in verschiedenen Anthologien.
Anton Ottmann
Geschichten
aus Baden
und dem Elsass
* Die Jahreszahlen geben den Zeitraum an, in dem die Geschichte spielt.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten
sind im Internet über http: // dnb.ddb.de abrufbar.
Titel unter Verwendung eines Fotos von www.photocase.de
© 2. Auflage, 2018 · Alle Rechte vorbehalten.
Nachdruck, auch auszugsweise, ohne Genehmigung
des Verlages nicht gestattet.
Lindemanns Bibliothek, Band 79
Info Verlag GmbH
Karlsruhe · Bretten, Germany
www.infoverlag.de
ISBN 978-3-96308-086-9
„Schwowe ist im Elsässischen das Synonym für „Deutsche
Gaulsknoppel und Kuhplatscher
(1950)
Ein Jahr nach dem Einzug „der Flüchtlinge in ein kleines Dorf im Kraichgau hatte Anneliese Wipfler der Frau Rieger, die mit ihrem Sohn Adolf unter dem Dach wohnte, ein Stück ihres Garten abgetreten. Ihre Großzügigkeit bereute sie aber bald, als sie sah, dass bei ihrer Untermieterin die Kartoffeln, Bohnen, Karotten und Zwiebeln viel schöner wuchsen als bei ihr. „Kein Wunder
, dachte sie, „die ‚Sauteufel‘ liegen ja Tag und Nacht auf der Lauer und holen die Kuhplatscher und Gaulsknoppel von der Straße, kaum dass die Kuh oder der Gaul sie haben fallen lassen."
Eines Tages stellte Anneliese sie zur Rede: „Frau Rieger, so geht das nicht, die Gaulsknoppel und Kuhplatscher vor dem Haus stehen allen Hausbewohnern zu."
„Na und, gab diese frech zurück, „warum sammeln sie diese dann nicht selbst ein?
„Das ist jetzt die Höhe. Bis ich Besen und Schaufel geholt habe, ist ihr Adölfchen schon auf der Straße."
„Wir könnten uns doch einigen, lenkte Frau Rieger ein. „Sie sammeln bis zum 12-Uhr-Läuten und wir sind dran bis es dunkel wird.
Anneliese stimmte dem schnell zu, weil sie beobachtet hatte, dass die Viecher, die morgens frisch vom Stall kamen, sich meistens vor ihrem Haus erleichterten.
Eines Tages sah Anneliese vom Küchenfenster aus, dass vor der gegenüber liegenden Schule gerade der neue Lehrer und seine Frau vom Leiterwagen des Bauern Oswald klettern. In dem Moment hoben die beiden Pferde die Schweife und drückten einträchtig einen Bollen nach dem anderen heraus. „Das gibt vier Schaufeln voll, dachte sie und holte schnell Schaufel, Kehrwisch und Eimer. Da kam auch schon das Adölfchen die Treppe herunter gestürzt. „Halt
, schrie sie, „das sind meine Knoppel!"
Der Junge ließ sich nicht aufhalten: „Nein, die gehören uns. Und vom Treppenabsatz oben tönte die hysterische Stimme seiner Mutter: „Frau Wipfler, es ist fünf Minuten nach zwölf Uhr, die Glocken haben eben aufgehört zu läuten.
Zornig ging Anneliese zurück in ihre Küche und knallte lautstark die Türe zu. „So ein undankbares Volk, schimpfte sie vor sich hin, „für die kann man machen, was man will, da kommt einfach nichts zurück.
Eines Morgens traf Anneliese den Lehrer auf der Straße. Er hatte genau wie sie Schaufel, Kehrwisch und Eimer in der Hand.
„Was machen Sie denn da?", fragte sie erstaunt.
„Das sehen Sie doch, ich sammle Mist für meinen Garten."
Die Knoppel lagen auf seiner Straßenseite, eine weitere Diskussion war überflüssig.
Von da an lag sie auf der Lauer. Zwei Tage später erwischte sie dann den sauberen Herrn, wie er vor ihrem Haus, mit zufriedenem Lächeln und elegantem Schwung einen Platscher auf die Schaufel hob. Sie rannte schnell hinaus und baute sich vor ihm auf: „Herr Lehrer, was Sie da machen, ist nicht recht."
„Wie meinen Sie das?"
„Die Knoppel stehen Ihnen nur bis zur Mitte der Straße zu."
„Und wer sagt das?"
„Aber Herr Lehrer, das war doch schon immer so."
„Das interessiert mich nicht."
Anneliese kochte vor Wut, rannte schnurstracks ins Haus und hoch zur Frau Rieger. Die hörte sich die Geschichte an und gab ihr schließlich recht: „Wo kämen wir denn da hin, wenn jeder einsammeln würde, wo es ihm einfällt. Wir beschweren uns beim Bürgermeister."
„Alle Achtung, da wäre ich nicht drauf gekommen. Die Flüchtlinge sind doch nicht so blöd", dachte Anneliese.
„Herr Lehrer, eröffnete der Bürgermeister die Sitzung des örtlichen Friedensgerichtes, „die beiden Damen hier, Frau Wipfler und Frau Rieger, führen Beschwerde über Sie. Von alters her ist es bei uns üblich, dass jeder vor seinem Haus die Gaulsknoppel und Kuhplatscher zwecks Düngung seines Gartens einsammeln darf. Dieses Recht gilt bis auf die Mitte der Straße, genau wie die Kehrpflicht. Nun behaupten die beiden, dass Sie sich nicht an diese Vorschrift halten. Was sagen Sie dazu?
„Herr Bürgermeister, das ist alles Quatsch, zum Lachen ist das. Die Straße ist öffentlich, jeder darf sie benutzen und jeder darf den Mist aufsammeln, wo es ihm gefällt."
„Herr Lehrer, mischte sich da Frau Rieger ein, „wenn Sie auf der Straße einen Zehn-Mark-Schein finden, wem gehört der?
„Dem Eigentümer", gab dieser schlagfertig zurück.
„Wenn das so ist, meinte da der Beisitzer vom Friedensgericht, der Bauer Oswald, „dann habe ich auch etwas dazu zu sagen: Das, was meine Pferde fallen lassen, gehört also mir. Und wenn ich es nicht selbst einsammle, verzichte ich darauf, ist das richtig?
Nachdem rundum zustimmend genickt wurde, fuhr er fort: „Ehrlich gesagt, mir ist es scheißegal, wer den Mist einsammelt, ich habe zu Hause genug davon."
„Oswald, regte sich der Bürgermeister auf, „das ist dummes Geschwätz, irgendwie muss die Sache geregelt werden, also gehen wir nach dem Gewohnheitsrecht.
Plötzlich grinste der Lehrer breit über das ganze Gesicht. „Also meine Damen und Herren, ich halte das ganze ja für Unfug. Aber vielleicht gibt es eine Lösung. Wenn Sie, Herr Oswald, so viel Mist haben, bringen Sie mir einfach eine Fuhre für meinen Garten, dann können von mir aus die beiden Damen auf der ganzen Straßenbreite so viel einsammeln, wie sie wollen."
In dem Moment fiel dem Bauer Oswald blitzschnell sein Seppl ein, der beim Lehrer in die Schule ging, und stimmte ganz schnell zu: „Bürgermeister, du weißt doch, wenn ich etwas für die Allgemeinheit tun kann, bin ich immer dabei."
Den Abend haben dann alle im Gasthaus zur Sonne beim Freibier vom Bürgermeister beschlossen.
Zehn Jahre später tuckern in aller Frühe die Traktoren vor Annelieses Küchenfenster vorbei. Da muss sie manchmal an die Zeit denken, als sie mit Frau Rieger, die längst nicht mehr bei ihr wohnt, und dem Lehrer über die Gaulsknoppel und Kuhplatscher gestritten hat. Dass sich die Welt verändert hat, kann sie ja noch verstehen, aber dass man seit Neuestem die wertvolle „Suddelbrüh von den Toiletten in die Kanalisation laufen lässt und dafür Blaukorn zum Düngen der Erdbeerpflanzen nimmt, kann sie nicht nachvollziehen. „Früher haben die Leute beim Schaffen halt doch mehr im Kopf gehabt
, denkt sie, die Anneliese.
Ein elsässischer Gast
(1945)
Erna Straub rückte die Stühle um die Tische zurecht, ging zum Schanktisch, nahm ein Glas nach dem anderen und wischte es mit dem Geschirrtuch blank. Da ging die Tür auf und ein französischer Soldat in Uniform kam herein.
„Hübscher Kerl", schoss es ihr durch den Kopf. Dann aber erschrak sie: Seine Augen waren brennend, starr, irr.
Da stand er auch schon vor ihr und sprach sie auf deutsch an: „Geld her, schnell!"
Da erst nahm sie die Pistole in seiner Hand wahr. Sie lachte: „Was willst du? Geld? Das kannst du haben. Ich kann eh nichts damit anfangen."
„Reden Sie nicht. Machen Sie die Kasse auf oder ich schieße."
„Junge, Junge, du bist doch von drüben, aus dem Elsass, vielleicht kenne ich deine Mutter. Was würde die sagen, wenn sie wüsste, was du hier treibst!"
Der Soldat wurde blass, langsam ließ er die Pistole sinken.
Erna griff vorsichtig nach der Waffe und legte sie auf den Schanktisch. „Komm, setz dich und trink ein Glas Wein mit mir."
Er wusste nicht, wie ihm geschah. Er hatte sich alles so genau überlegt und dann brachte ihn diese Alte mit seiner Mutter durcheinander. In ihrer Kittelschürze, die Haare zum Knoten gebunden und mit den strengen dunklen Augen sah sie ihr auch noch ähnlich. Wortlos nippte er an seinem Glas.
Erna ließ ihn einen Moment seinen Gedanken nachhängen. „Erzähle, warum hast du das gemacht, Junge?"
Er senkte verlegen den Kopf. „Das verstehen Sie nicht. Und sagen Sie nicht immer Junge zu mir, ich heiße François."
„Gut François, was verstehe ich nicht? Ich bin auch nicht von gestern und habe schon einiges erlebt in diesem Krieg."
„Ich hasse euch Deutsche!"
„Meinst du, mir gefällt der Krieg? Vorher hatten wir immer viele Kunden von der anderen Seite. Gemütliche und lustige Leute, und wenn drüben Kirchweih war, sind wir mit dem Boot zum Tanzen gefahren. Und meine erste große Liebe war so ein junger Mann wie du, ein Elsässer. Soll ich euch jetzt auch hassen? Deine Kameraden, die uns verhungern lassen? Es musste mal raus, all das, was sie die letzten Tage beschäftigt hatte und über das sie mit niemandem reden konnte. „Aber eines sage ich dir, wenn ich eine Tochter hätte und die Marokkaner hätten sie vergewaltigt, wie es hier im Dorf passiert ist, würdest du nicht hier sitzen.
Ganz in Gedanken hatte sie nach dem Küchenmesser gegriffen, das zufällig auf dem Tisch lag.
Erschrocken wich er zurück.
Sie warf es wieder hin und strich mit der Hand ihre sowieso schon straffen Haare glatt. „Was hat der Krieg nur aus uns gemacht!"
Beide schauten in ihr Glas und hingen ihren Gedanken nach.
„Und wie bist du auf diese blöde Idee gekommen?"
Er zuckte mit den Schultern: „Als die Deutschen das Elsass besetzt haben, war das am Anfang gar nicht schlimm. Meine Eltern hatten keine schlechte Meinung von ihnen und irgendwann würden sie wieder verschwinden, meinten sie. So wie schon einmal. Dann zogen sie meinen Vater ein, er fiel im Kessel von Stalingrad. Bevor sie mich auch noch holten, flüchtete ich mit einem Freund in die Schweiz. Zwei Jahre lang habe ich