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Perlhuhnfedern
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eBook88 Seiten1 Stunde

Perlhuhnfedern

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Über dieses E-Book

In den Trümmern Berlins trifft der Erzähler Gesine, eine Freundin aus besseren Tagen, und schenkt ihr Perlhuhnfedern, die er wiederum zuvor von einem Freund erhalten hatte. Von ihrer Vermieterin erfährt er: "Den Tag über im Buchladen, und abends sitzt sie hier im Stuhl und sagt gar nichts, und nachts träumt sie, dass ich's in meinem Zimmer höre." Was die Vermieterin nicht weiß, sie träumt von Carlo, dem Künstler, der bei einem Bombenangriff in den Trümmern seines Hauses verschüttet wurde. Und dem Erzähler wird klar, dass sich in Gesine verwirklicht, was Carlo ihr einst gesagt hatte: "Das große Gefühl steht nicht am Anfang. Kann es gar nicht."
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum21. Jan. 2016
ISBN9788711474679
Perlhuhnfedern

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    Buchvorschau

    Perlhuhnfedern - Walther von Hollander

    Raum.

    Perlhuhnfedern

    Ich war ein paar Tage draußen gewesen bei Brödersdorff. Die Häuser sind da heilgeblieben. Aber die Menschen ... nein, die Menschen sind nicht heil. Irgend etwas, irgendwen hat jeder verloren. Brödersdorff zum Beispiel trauert um seine Frau, die vor dem Einmarsch der Russen sich vergiftet hat, um seine Stellung im Auswärtigen Amt, um seinen Obstgarten, der verwüstet ist und um seine Bibliothek, die irgendwer weggeschleppt hat. «Ich kann dir nichts mitgeben», sagte er beim Abschied ... «höchstens hier ...» und er reichte mir ein paar Perlhuhnfedern. «Du warst doch immer für das Bunte und Überflüssige, und vielleicht hast du jemanden, dem du das schenken kannst.»

    Ich antwortete: «Nein, ich habe niemanden.»

    Ich besah mir die Federn, während der Zug sich langsam wieder in das Trümmerfeld Berlins hineinschob. Sie waren flaumig – grau am Kiel, schwarzblau, mit einem bläulichen Schimmer im Fächer, mit weißen, großen Punkten die größeren, mit leichten Pünktchen und Strichen die kleineren. Lasierend, durchscheinend waren sie. Hob man sie gegen das Fenster, konnte man die trübe Trümmerlandschaft draußen wie durch einen Schleier sehen.

    Am Bahnhof Friedrichstraße steckte ich sie in meine Brieftasche. Nein ... ich hatte wirklich niemanden in Berlin, dem ich so luftige, lustige Gebilde schenken konnte.

    Am nächsten Nachmittag traf ich Gesine mitten auf dem Lützowplatz. Zwischen den Trümmern ging außer uns beiden kein Mensch. Sie winkte und stand dann fast erschrocken vor mir. Wir hatten uns vier Jahre nicht gesehen. Seit 43, seit damals, als wir zusammen in der Landgrafenstraße auf den Dachsparren des brennenden Nachbarhauses reitend ihr Haus retteten. «Ich habe dir Perlhuhnfedern mitgebracht», sagte ich statt einer Begrüßung. Denn jetzt, nicht wahr, ist es immer sehr aufregend, jemandem nach Jahren zu begegnen. Weiß der Teufel, was er alles erlebt hat. Schönes ist es meistens nicht.

    «Danke», sagte Gesine, nahm ihr schwarzes, etwas spitzes Hütchen ab, hielt die Federn dran und nickte beifällig. «Famos, daß du wußtest, was für einen Hut ich jetzt trage.»

    Wir setzten uns auf ein paar Trümmerbrocken.

    Die Sonne schien gerade. Die Steine verdampften den Herbstregen. «Die haben es gut», sagte Gesine, «... können rauchen.» Ich hatte noch ein paar Zigaretten bei mir. Gesine rauchte inbrünstig, nachdem sie die Zigarette in ihre lange Bernsteinspitze gesteckt hatte.

    «Die Spitze hast du gerettet», stellte ich fest.

    Sie nickte, kramte in ihrer Leinentasche, die sie an einem Jagdriemen über der Schulter trug. «Ich habe doch immer Stecknadeln bei mir», murmelte sie, die Zigarettenspitze zwischen den Zähnen schwingend.

    «Und sonst? Was hast du sonst gerettet?»

    Sie sah mich mit ihrem hellen und schnellen Blick an. «Siehst du, da sind zwei Stecknadeln.» Sie zeigte sie mir triumphierend. «Also hast du nicht viel gerettet?» fragte ich hartnäckig. Sie steckte die Perlhuhnfedern fest, pustete in den weichen Flaum des Kiels und nickte befriedigt: «Mich habe ich gerettet mit Haut und Haar.»

    «Deine Haare sind hübscher geworden. Lockerer. Hellbraun wie junge Kastanien.»

    «Gute Friseuse», sagte sie und setzte sich das Hütchen mit einem Ruck auf den Kopf. «Schade, daß kein Spiegel da ist.»

    Ich reichte ihr meinen handtellergroßen Taschenspiegel. Es war ein alter Reklamespiegel von Urbin. Auf der Rückseite sprach ein schwarzer Mann die lapidaren Worte: ‹Ich hab’s: Urbin!› (Jüngeren Menschen muß man wohl erklären, daß Urbin eine Schuhwichse war, die man ‹damals› in jeder Drogerie für 20 Pfennig kaufen konnte. Aber Gesine wußte sicher, was Urbin war. Sie war ja schon 28.) Sie probierte in dem winzigen Spiegel den Hut, indem sie sich hin und her den Hals verrenkte. «Nett, daß du an die Perlhuhnfedern gedacht hast. Geh’n wir?»

    Sie holte mit ihrer Stecknadel den letzten Rest der Zigarette aus der Spitze und tat ihn in ihr achatenes Zigarettenbüchschen. «Sieh da», sagte ich, «das Achatene hat es auch überstanden.»

    Sie antwortete nicht, aber ich sah wohl, wie ein Schatten des Unmuts oder der Trauer über ihr Gesicht zog. Vielleicht kam es nur, weil die Sonne gerade weg war. Die Steine hörten zu rauchen auf, und eine schwarze Wolkenwand schob sich über die Trümmer der Häuser. Ich wollte in die Wichmannstraße einbiegen, aber sie zog mich geradeaus durch die Nettelbeckstraße. Es ist ja einerlei. In der Gegend sehen alle Straßen gleich aus. Gleich niedergewalzt, gleich zermalmt.

    «Du magst noch immer nicht durch die Landgrafenstraße gehen?» fragte ich. Sie ging noch schneller.

    «Man kann hier eigentlich nirgends gehen», flüsterte sie. «Überall ... Na, du weißt ja.»

    «Ja, überall ... bis der Krieg kam, haben wir doch eigentlich ganz glücklich gelebt. Was?»

    «Es geht. Manchmal ja. Meist ... Ich glaube, du hast das mal gesagt. Oder war es Grünhagen? Na, einerlei ... ‹Die Lawine schiebt sich ganz langsam näher. Wir werden zermalmt und zermahlen.› So sehr fröhlich seid ihr also nicht gewesen. Und ich bestimmt nicht. Du weißt: Vater hatte es schwer. ‹Mein Herz ist ein Bleiklumpen›, sagte er immer. ‹Grau, schwer und unbeweglich!›»

    Ich wollte sie ablenken und sagte harmlos: «Da drüben in der Courbièrestraße wohnte doch Carlo?»

    «Ja, komm schnell. Er wohnt noch da.»

    Ich blieb einen Augenblick stehen und sah über die leeren Fassaden, die geordneten Ziegelhaufen.

    «Aber da steht doch kein Haus mehr?»

    Der Regen setzte mit wilden Stößen ein. Er kam direkt vom Westen her. Gesine beugte ihm den Kopf entgegen. Wir gingen untergehakt hundert, zweihundert Meter und sprachen darüber, daß es in diesem Jahr so wenig geregnet habe, daß dies der erste tüchtige Regen sei, daß die Flüsse nun vielleicht doch wieder anstiegen, die Kähne wieder spreeaufwärts fahren würden, um Kohlen in die Stadt zu bringen und Licht für die langen, mageren Abende. Plötzlich blieb sie stehen und flüsterte: «Carlo liegt da noch. Unter den Trümmern.»

    «Entschuldige!» sagte ich etwas töricht.

    «Ich weiß es genau, aber ganz sicher weiß ich es nicht», sagte sie und ging langsam gegen den Regen gebeugt weiter. Ihr Gesicht war ganz naß. Aber nicht von Tränen. «Um sieben rief er mich noch an. Es war schon Voralarm. Ich sollte nachher ’rüberkommen. Ich sagte: Ich komme. Aber ich konnte nicht. Nebenan brannte das Haus. Du weißt ja.» Und nach einer Weile: «Unten wohnte doch Lewenow, der Bildhauer. Der ist in seinem Atelier geblieben. Zwei Gipsrösser kippten über ihn. Aber es war noch genug Platz drunter zum Atmen. Drei Stunden später war er draußen. Der einzige.»

    «Und Carlo? ... Wußte denn Lewenow, daß er zu Hause war?»

    Sie zuckte die Achseln. «Nein, niemand hat ihn gesehen. Niemand. Aber ich weiß es.»

    «Du? Es könnte doch sein ...»

    «Nein, nein. Ich weiß es. Manchmal gehe ich ja hin. Ich habe auch später da gearbeitet.»

    «Wie gearbeitet? Als Trümmerfrau?»

    «Ja, als

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