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eBook263 Seiten3 Stunden

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Über dieses E-Book

"Hans Adalbert von Hagendörp kam an einem Oktobernachmittag des Jahres 1913 mit dem D-Zug in seiner Heimatstadt B. an", so beginnt dieser hinreißende Roman Walther von Hollanders. Geschrieben nach dem Krieg beleuchtet dieser Roman die Lebensverhältnisse an der Nahtstelle zwischen Adel und Nichtadeligen unmittelbar vor dem Großen Krieg. Da gibt es beispielsweise Herrn Großmann, den Sohn des Klempners, der es zu Reichtum gebracht hat und zu Höherem drängt. Was Hans Adalbert quält, ist sein Liebe zu der Braunschweiger Hofschauspielerin Helene Garberding. Noch weiß er nicht, dass Helene ihm nachgereist ist und am nächsten Tag in B. eintreffen wird, ein für Adalberts Kreise nicht akzeptabler Vorgang. Alle Welt spürt, dass die Zeiten sich ändern, nur wie entscheidet sich der Einzelne?-
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum1. Jan. 2017
ISBN9788711474716
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    Buchvorschau

    Vorbei ... - Walther von Hollander

    www.egmont.com

    1

    Hans Adalbert von Hagendörp kam an einem Oktobernachmittag des Jahres 1913 mit dem D-Zug in seiner Heimatstadt B. an. Heinolt, der Kutscher, erwartete ihn an der Sperre und nahm ihm Helmschachtel, Gewehrfutteral und Handkoffer ab.

    Während er das grosse Gepäck, den neuen Rohrplattenkoffer, abholte, der viel zu gross war für vierzehn Tage Urlaub, stand der kleine, schlanke Hagendörp bei den Kutschpferden Russka und Schlippe. Er tauchte mit seinem zartknochigen Pferdsschädel zwischen die Köpfe der Pferde. Er schnupperte befriedigt den Geruch von Pferdsfell und Riemenzeug. „Na, meine Damen, sagte er leise, „da wären wir wieder. Ganz angenehm bei euch. Zucker? Nein, Zucker habe ich nicht. Morgen früh gibt’s Zucker und übermorgen und die ganzen vierzehn Tage. Ja, da wieherst du, Schlippe. Vielen Dank. Na, dann will ich mich denn auch freuen. Schön. Er seufzte, zog das Zigarettenetui aus der Hosentasche, klopfte umständlich die Zigarette zurecht und entzündete ein Streichholz.

    In dieser Sekunde nun flammte die neue elektrische Beleuchtung um den Bahnhofsplatz auf, die Bogenlampen, die das Bahnhofsgebäude flankierten, zischten mit blendenden Kohlenstiften, und die ganze Bahnhofsstrasse hinunter sprangen die Lampen an. Es war, als hätte Hagendörp mit seinem Streichholz eine ganze Stadt unter Licht gesetzt.

    „Donnerwetter, sagte er überrascht, „da sind wir ja Grossstadt geworden. Und zum Kutscher Heinolt, der nun endlich mit dem Koffer angekeucht kam: „Na, Heinolt, alter Grossstädter? Was macht ihr denn für feudale Geschichten?"

    „Es ist überhaupt, Herr Baron, keuchte Heinolt, „ich finde es ja scheusslich. Er stellte den Koffer krachend auf die Gepäckraufe am Wagen und schnürte ihn fest.

    Sie fuhren die Bahnhofsstrasse hinunter, die Lichterkette entlang, von der Juliane von Hagendörp, Hans Adalberts Schwester, geschrieben hatte, eine magere Perlenkette sei das, ein „Möchteschon-aber-Kannichtganz. An der Ecke der Bahnhofsstrasse übernahm der junge Herr von Hagendörp die Zügel. Heinolt konnte nun seine Meinung sagen. „Sind alle verrückt geworden hier in B. Fünftausend Einwohner knapp, aber elektrisches Licht müssen sie haben. Und wer es nicht bezahlen kann, kriegt es gepumpt.

    „Das Schloss soll ja grossartig sein mit dem elektrischen Licht, sagte Hans Adalbert und lächelte. Juliane hatte auch geschrieben, dass man ganz billiges Geld kriegen konnte, um das Licht einzubauen. Dreiundzwanzig Zimmer, Inspektorhaus, Gärtnerhaus, die Leutehäuser, die Ställe ... alles konnte man nun „beknipsen. Das musste an die dreitausend Mark gekostet haben.

    „Und wer hat das Geld und wer ist schuld? fragte Heinolt, und er antwortete gleich selbst: „Immer nur wieder dieser Grossmann. Der redet und schreibt, und mit einemmal steht alles da.

    „Grossmann? fragte Hagendörp. „Das muss doch ... sagen Sie mal, Heinolt, dass ist doch der Sohn vom Klempner Grossmann. Weiss schon, war in Prima, als ich nach Sexta kam. Oder nein, war schon weg. Beim Alten kauften wir unsere Murmeln. Die lagen wie die Bonbons in einem hohen Glas. Zehn Stück einen Pfennig. Roch so schön nach Gummi im Laden. Im Sommer wenigstens. Im Winter roch es nach Kohl und alten Strümpfen.

    Er lachte. Er gab den Pferden einen ganz leichten Schlag mit der Peitsche. Er sprach weiter, mehr zu sich als zum Kutscher: „War gar nicht so einfach ein Einkauf bei Grossmann. Juliane und ich schnappten draussen Luft, hielten die Nase zu, liefen in den Laden und schrien: ‚Für zehn Pfennig Murmeln!‘ Und raus — und warteten draussen, bis er sie abgezählt hatte. Hundert Stück für zehn Pfennig. Ist doch billig, Heinolt, nicht?"

    Heinolt nickte. Er schlug jetzt die Arme unter und schwieg. Denn man war mitten in der Stadt und bog auf den Plan ein, die Hauptstrasse. Von den fünftausend Einwohnern promenierten ungefähr fünfhundert hier, kauften ein, standen umher, schwatzten, betrachteten einander, zogen die Hüte voreinander, lehnten neugierig in ihren Fenstern, sassen hinter Efeuwänden im Café Gresshorn und im Schwarzen Lamm zum Abendschoppen. Man musste über den Plan im Schritt fahren, das Kopfsteinpflaster stuckerte, schlug und tat den Pferden weh. Ein paarmal schrie Heinolt: „He ... Hallo ... He ...!, weil die Frauen nicht auswichen, sondern neugierig den Wagen anstarrten. „Der junge Baron, das konnten sie nun an allen Abendbrottischen erzählen, „ist auf Herbsturlaub gekommen. Er hat seinen neuen Koffer wieder mit, den von Meiling für hundertsechzig Mark und den hellen auch und die Gewehre auch."

    „Der Sohn vom alten Klempner Grossmann, fing Hagendörp wieder an, als der Wagen in den Schlossweg einbog, „ist reich geworden und pumpt den Leuten Geld, damit sie sich Licht anschaffen können. Ist doch reizend von Grossmann.

    Er schnalzte. Die Pferde setzten sich in Trab, die Wagenräder knirschten über die sandige Strasse, die zum Schloss Hagendörp führte. Hier draussen war es noch dämmerhell. Der Sonnenuntergang stand gelb, grün, rot über den Hagenbergen. Der Nordhimmel über dem Fluss glänzte gläsern. Torfrauch lag beizend in der Luft, Geruch von Kartoffelfeuer.

    „Viere lang, mummelte jetzt Heinolt und zeigte mit dem Daumen rückwärts, „der Alte ist Klempner, und der Junge fährt viere lang. Soll man’s für möglich halten?

    „Viere lang, gähnte Hagendörp, schon etwas gelangweilt, „Grossmann fährt viere lang? Was fährt er denn? Schimmel? Na, ist ja prachtvoll. Vier Schimmel!

    Heinolt nickte. „Wenn das alles wäre ... Aber er hat ... also wirklich ... er hat wahrhaftigen Gott ... na ... hören Sie mal, Jungherr!"

    Hagendörp hielt gehorsam. Sie sassen und horchten. Man hörte aber nur die Hunde vom Schlosse bellen, die wohl die Pferde schon rochen, man hörte die Fontäne plätschern, die immer zur Ankunft angestellt wurde. Pelll ... pelll ... pelll ... machte die Fontäne, und Hans Adalbert wusste: gleich, wenn sie um die Ecke bogen, würden sie ein rosa Wasser, eine Limonadensäule gegen den Himmel steigen sehen. Wie in Rom, hatte die Mutter immer gesagt. Pelll ... pelll ... pelll. Nein, es war nichts anderes zu hören. „Also, fragte Ali ungeduldig, „was ist? Singt Grossmann, wenn er vierspännig fährt, oder pfeift er oder tutet er mit einer Hupe wie die Automobile oder ...

    „Er hat einen Trompeter hinten drauf, antwortete Heinolt dumpf, „einen mit einer langen, silbernen Trompete.

    „Wie in der Bibel vor Jericho", schloss Hagendörp.

    Er gab den Pferden einen leichten Schlag mit der Peitsche, und so bogen sie in scharfem Trab in die Allee ein. Die alte Zugbrücke über den Wassergraben donnerte und knarrte. Man hörte aufgeregte Rufe vom Schloss her, und nun kam die Überraschung, die allerdings nach der Illumination des Bahnhofsplatzes nicht mehr so stark wirkte: über dem riesigen barocken Torbogen, der Schloss Hagendörp gegen die Aussenwelt abschloss, flammten zwei Bogenlampen auf. Die Sandsteingöttin, die, von Putten flankiert, mit einer Girlande von Steinrosen bekleidet, die linke Seite schmückte, wurde so vom Licht getroffen, dass sie durch die Dämmerung zu schweben schien, und durch wenige Meter Dunkelheit von ihr getrennt schwebte der athletisch gebaute Gott rechts nackt in der Abendkühle.

    „Donnerwetter, sagte Hagendörp, „das ist wahrhaftig ulkig!

    Da waren sie schon durch den Torbogen in den Park eingebogen, fuhren die Allee zum Schloss hinauf, das fast dunkel, riesig und ruhig unter dem blassen Abendhimmel, dem hellgelben Schein herbstlicher Edelkastanien lag: Schloss Hagendörp, die Heimat Hans Adalberts von Hagendörp, in der er seit dem Tode der Eltern nur noch ein Besuch war. Denn Hagendörp war ja Majorat.

    2

    Draussen am Portal stand Kuntze, der Diener, mit den beiden Kindern, Clemens Hagendörp, zwölf Jahre alt, und der achtjährigen Marianne. Sie begrüssten den Onkel stürmisch. Er brachte immer die schönsten fliegenden Schweine mit, Zigaretten, die ein Feuerwerk enthielten, Bonbons, die mit Essig, Mohrenköpfe, die mit Senf gefüllt waren.

    „Onkel Ali, zwitscherte Marianne, „was für einen Blödsinn schleppst du heute an? Und Clemens setzte erklärend hinzu: „Papa meint, wenn du da bist, traut man sich nicht zu essen wegen der Pappewürstchen und der Essigschokolade."

    Jetzt erschien Juliane in der Tür, den Kragen der Jacke hochgeschlagen, die Hände in den Taschen, einen halben Kopf grösser als Hans Adalbert, sehr männlich mit ihrer Hakennase, den schmalen Lippen, den hohen, schlanken Beinen und den knochigen Hüften. „Ali, sagte sie und zog den Bruder mit einem derben Griff an ihre Brust, „alter Bengel! Gott sei ausnahmsweise gelobt! Na, denn komm man. Die hohen Herrschaften sind in der Halle.

    Sie hakte den Bruder unter und zog ihn ins Haus. Sie wartete in der Garderobe, bis er sich die Hände gewaschen und den Scheitel neu gezogen hatte. Sie sprach eifrig in den Spiegel hinein über das Wetter, über das elektrische Licht, das man mit fünf Wochen Lärm und Dreck und mit dreitausend Mark bezahlt hatte, über die Tante Clementine, die Fürstin L., die erwartet wurde.

    „Na ... denn ... schloss Juliane, und nun zog der ganze Tross in die Halle ein. Oskar, der Erbherr auf Hagendörp, kam dem Bruder ein paar Schritte entgegen. Die Schwägerin hob den Kopf vom Stickrahmen, lächelte und winkte. „Na ... denn ... sagten die Brüder, reichten sich die Hände, griffen zu ihren riesigen Zigarettenetuis und hielten sie sich gegenseitig unter die Nase. Ali — so wurde Hans Adalbert im Familienkreis genannt — bot auch der Schwägerin eine Zigarette an. Aber sie dankte. Sie rauchte niemals.

    Der Willkommens-Portwein wurde serviert. Es kam der Begrüssungsgang zur Köchin, Frau Predoll, zum Gärtner, Herrn Predoll, quer über den Hof in den Pferdestall, zu den Pferden und zum Futtermeister Schwintze, es kam ein Wettlauf mit Clemens, dem Neffen, den Lindenweg hinunter bis zum Pavillon, an der fliegenden Nymphe vorbei und zurück. Ali musste sich schon ein wenig ins Zeug legen, um zu siegen. Denn Clemens rannte im Stil von Hanns Braun.

    Danach gab es eine prachtvolle Überraschung für die Kinder, Leuchtballons, die man an Bindfaden steigen liess und wie künstliche Monde bis in Dachhöhe hinaufmanövrieren konnte, wo sie die Nacht über hockenblieben. Bald darauf wurde schon zu Abend gegessen. Danach spielte man Skat, und endlich war es zehn, und man ging schlafen.

    Oder wenigstens das Ehepaar Hagendörp ging schlafen. Juliane aber und Hans Adalbert trafen sich zehn Minuten später in Julianens Zimmer. Juliane hatte sich schon ins Bett gelegt. Nein, sie sass, wie sie abendelang, nächtelang sass, die Beine ein wenig angezogen, einen Kissenberg im Rücken neben der Wand, die fast tapeziert war mit den unzähligen Bildern der Mutter. Zart und langschädelig, mit grossen, stillen Augen blickte sie auf ihre „unähnliche" Juliane herab und sah auf Hans Adalbert, der ihre Züge, nur wenig ins Männliche, ins Frischere und Lustige gewandelt, jetzt durchs Leben trug.

    Neben dem Bett stand ein Kühler mit zwei Flaschen Wein, Zigaretten, ein wenig Gebäck, Makronen vor allem, von Frau Predoll für Ali zubereitet. Ali zog sich den riesigen Blumenstuhl, den Stuhl der Mutter, ans Bett, und nun fing eigentlich der Urlaub an. „Prost, sagte Juliane, „und dass es dir immer gut gehe, mein Kleiner!

    „Prost, Grosse! antwortete Hans Adalbert. „Und schön, dass du wenigstens hier bist. Sonst ... Er zog die Schultern ein wenig hoch, er rieb sich die Knie. Er stand auf und ging ans Fenster. Ein ziemlich kühler Nachtwind hatte sich aufgemacht. Der Viertelmond stand über der Blutbuche. Laura, die Wolfshündin, war gerade losgekommen und rannte bellend mit ihren drei Jungen ums Schloss. Aus der Stadt antworteten ein paar Hunde.

    „Schön hier, sagte Ali, „sehr schön, prachtvoll.

    Er setzte sich wieder in den Stuhl, schwieg. „Du sprichst schon so viel, wie Papa sprach, sagte Juliane. „Oskar denkt auch, als Majoratsherr darf er nur wenig sprechen. Da spricht denn unsere gute Anna den ganzen Tag. ‚Meinst du nicht, liebe Juliane, dass man den Landrat schneiden sollte, wenn er erst nach vierzehn Tagen Besuch macht? Meinst du nicht, dass die Kinder lieber nicht mit diesen Kindern von Amtsrichtern, Oberlehrern, Bürgermeistern und Konditoren verkehren sollten? Neulich kam die Amtsrichterin ihre Tochter suchen. Stand mit einemmal in der Diele. Entsetzlich.

    „Aber meinst du nicht, lachte Ali, „dass unsre Anna hier mal ein bisschen recht hat? Wenn man mit den Leuten in B. erst einen Verkehr anfängt, stehen sie plötzlich alle in der Diele. Denk’ es mir grossartig, Bürgermeister Koste oder Rechtsanwalt Klusemann unter der Sodomitischen Flucht stehend. „Du vergisst, dass es ohne die Leute aus B. etwas langweilig ist, sagte Juliane. „Ich reite, ich fahre spazieren, ich komme auf die Güter zum Tee oder zum Jagdessen. Aber beim Jagdessen muss man so lange warten, bis die Herren geruhen von der Jagd zu kommen. Und sobald das Essen aus ist, muss man machen, dass man wegkommt, weil sie dann anfangen wollen, ihre unanständigen Geschichten zu erzählen. Es ist wirklich sehr langweilig.

    „Aber die Leute aus B. sind doch wahrhaftig auch nicht amüsant. Oder —?"

    „Nein, antwortete Juliane. Es klang nicht ganz überzeugend. Ali sah sie erstaunt an. Er spürte: auch die „lustige Juliane war nicht mehr so lustig. Wurde sie etwa, wie andere Frauen, schon mit vierunddreissig Jahren bitter? Übrigens hatte sie sich auch äusserlich verändert. Sie trug das Haar jetzt straff zurückgekämmt, in einem festen Knoten im Nacken zusammengesteckt. Sie hatte an den Schläfen ein paar Falten bekommen.

    „Juli ... lächelte er ... „Grosse ...!

    Sie sprachen noch von B. Es waren wieder ein paar Skandale vorgekommen, die Frau des Postmeisters war ins Wasser gegangen, ein Schokoladenmädchen hatte einen Fabrikanten geheiratet, eine Beamtentochter hatte ein Kind gekriegt, ohne vorher auf dem Standesamt gewesen zu sein. Es war immer dasselbe. Neu war Grossmann mit seineu Millionen. Er besass jetzt das ehemalige „Kleine Palais der Fürstin Clementine L., das schönste Haus von B., drüben am Abhang des Eichenberges. Seine Schimmel waren die schönsten Pferde von B., seine Ausgaben märchenhaft, sein Auftreten musste man albern und aufreizend nennen. Juliane entwarf ein genaues Porträt Grossmanns. Er sah seinem Vater, dem Klempner, ähnlich. War breit, unscheinbar, grauhaarig, hatte einen grossen Kopf und einen kleinen Spitzbart. Trug graue, steife Hüte wie ein Engländer, weisse Gamaschen wie ein französischer Bühnengraf. Machte wilde Anstrengungen, im Schloss zu verkehren. Aber bisher war es ihm nicht gelungen. Juliane hatte ihn nur bei Quandts in Schwendorf getroffen und bei Töches in Quennfeld. „Übrigens hörst du gar nicht zu, unterbrach sie sich, „du sitzt da und trinkst wie ein Alter und horchst und denkst. Komm mal her, mein Kleiner."

    Ali schüttelte den Kopf. „Erzähl nur weiter von diesem Grossmann. Hört sich ganz romantisch an. Heinolt war auch voll davon. Vier Schimmel und eine Trompete hinten wie vor Jericho."

    „Nein, sagte Juliane, „genug Klatsch. Jetzt musst du mal erzählen. Komm her und schiess los.

    Hans Adalbert setzte sich gehorsam auf die Bettkante. Er nahm sich eine neue Zigarette.

    Laura, die Wolfshündin, kam belfernd zurückgelaufen. Die Jungen jankten um sie herum, ein Käuzchen pfiff. Drüben auf der anderen Seite, am Inspektorhaus also, oder an den Leutehäusern, rief eine Frau, eine andere antwortete, und ein paar Männer lachten bellend.

    „Euer Grossmann, fing Ali wieder an, aber Juliane hielt ihm den Mund zu. „Nein, nein, rede du, sagte sie, „mit dir ist was los, hast du Ärger im Dienst? Nein? Schulden? Ja? Wieviel? Knapp fünfhundert? Viel zuviel, Ali, aber nicht genug, um solche Augen zu machen. Dann ist es also rein privat."

    „Mächtig privat, lachte Hans Adalbert. „Lass man —

    Juliane holte hinter ihrem Kissen einen Brief heraus. „Da, sagte sie, „ich habe es mir gleich gedacht. Habe ihn deshalb aus der Post gefischt. War doch besser, wie? Oder ist es eine Verlobung, Kleiner?

    Der „Kleine schüttelte den Kopf. „Privat ... ganz privat. Er steckte den Brief ein, sagte nichts weiter, trank seinen Wein, rauchte noch zwei Zigaretten. Juliane rauchte und trank nicht. Nach zehn Minuten fing sie an zu gähnen. Sie drängte Ali zum Aufbruch, zog ihn noch einmal an sich heran. Sah ihn lange und forschend an. Auge in Auge, ein altes Spiel, das sie früher immer gespielt hatten, wenn es galt, eine Wahrheit herauszukriegen oder eine Standhaftigkeit im Verschweigen zu beweisen.

    „Ali, sagte sie dann, „wenn es eine wirkliche Liebe ist, dann musst du dich eigentlich freuen. Also freu dich. Aber sei dir klar, dass es vorübergeht. Verstehst du mich, Kleiner? Es geht vorüber. Denk dir, Henriette von Bütow hat drei Monate geweint, als der Mann auf der Jagd erschossen wurde. Jetzt, nach einem Jahr, heiratet sie den Vetter Bütow. Denk dir, so schnell geht das vorüber.

    Und nach einer Pause, als müsste sie es ihm einbläuen: „Es geht vorüber, es geht vorüber. Hörst du?"

    Hans Adalbert lächelte die Schwester an. Er versuchte vergnügt auszusehen. Aber er sah grau und grämlich aus. „Ich höre", brummte er und wies nach B. hinunter. Man hörte jetzt aus der Stadt eine Trompete heraufklingen, hell, lustig und frech.

    „Grossmann tutet, sagte Juliane und lachte. „Doll, was?

    „Ja ... ziemlich doll", gähnte Hans Adalbert und ging hinaus.

    Er stand im dunklen Gang zwischen den mächtigen Schränken. Hinten im Gang brannte noch wie früher ein auf Öl schwimmendes Licht und warf die riesigen Schatten von Geweihen und Vögeln, von grossen Kronleuchtern und Wandarmen. Leutnant von Hagendörp schlich auf den Zehenspitzen an dem Bild des Reichsgrafen Ulrich aus der mütterlichen Linie vorbei. Er zog die Tür schnell hinter sich ins Schloss, als wollte er die Schatten abschrecken, er legte sich ins Bett, löschte das Licht, warf sich unruhig hin und her, machte wieder Licht und nahm nun endlich den Brief vor. Er las, die Augenbrauen angestrengt gehoben. „Na ja, sagte er, „natürlich ... weiss ich ja. Dann löschte er endgültig aus. Draussen bellte Laura, die Hündin, wild auf. Grossmanns Trompete näherte sich, bog kurz vor dem Schlossweg ab und fuhr in Richtung Schwendorf davon.

    Dann war alles still, und Ali Hagendörp konnte über seinen Brief nachdenken und über Juliane, die immer gleich wusste, was los war, und wusste, wie es ausgeht ... und ob sie wohl auch diesmal recht behielt, und ob wirklich auch dies vorübergehen würde, wie jede andere Liebe? Das war doch ganz und gar unmöglich. Unmöglich! Denn sein Leben hatte sich endlich verändert.

    3

    Der erste, der von der Geschichte etwas Genaueres erfuhr, war Clemens, der zwölfjährige Majoratserbe. Er hatte nämlich die Luftballons, die sie am Abend vorher aufsteigen liessen, von der Dachluke aus in Sicherheit gebracht und festgestellt, dass er mit einer Wäscheleine leicht in das offene Fenster des Onkel Ali hineinkommen konnte. Er fand, dass Ali jetzt um neun Uhr endlich aufstehen könne. Denn wann sollte man wohl Tennis spielen, schiessen, reiten, wann sollte man rudern, schwimmen, wettlaufen, Pflaumen ernten und zum Hirscheschreien fahren, wenn man nicht gleich mit irgend etwas anfing? Er bewaffnete sich also mit einer wassergefüllten Blumenspritze, band sich eine Wäscheleine um, die er auf dem Dachboden um eine starke Säule wand, und rutschte über das Dach abwärts bis zur Regenrinne. Von hier aus schwang er sich in den Wipfel der mächtigen Edelkastanie, die mit gelben Blättern leuchtend vor dem Fenster des Onkels stand. In der Kastanie konnte er wie auf einer Treppe bis zur Fensterhöhe hinuntersteigen und auf einem ziemlich starken Ast so ans Fenster herankommen, dass er mit einem kleinen Klimmzug im Fenster sass.

    Er stieg vorsichtig hinein und hatte schon auf den schlafenden Ali gezielt, als er einen Brief auf dem Bett liegen sah. Den musste man besser wegnehmen. Denn sonst gab es durch die nasse Tinte eine Riesenschweinerei, und Mamsell Wenig würde sehr schimpfen und ihn bei der Mutter verpetzen. Clemens nahm also den Brief vorsichtig mit zwei Fingerspitzen fort. Dabei las er: „Liebster Ali ... müssen zu Ende sprechen ... so nicht auszuhalten ... werde einfach morgen nachfahren ... nicht böse ..."

    Clemens warf den Brief zornig in die Ecke ... einfach: „nachfahren"

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