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eBook166 Seiten2 Stunden

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Über dieses E-Book

"Der Prozeß Karl Rasta gehört der Kriminalgeschichte an. Sein spannungsvoller Verlauf hat wochenlang die Spalten der Zeitungen gefüllt. Man weiß, daß Karl Rasta wegen Doppelmordes zweifach zum Tode verurteilt wurde, man weiß auch, daß heute noch, nach seinem freiwilligen Ende, die Kriminalisten verschiedener Meinung sind, ob er schuldig, mitschuldig oder unschuldig war, und ich bekenne offen, daß ich, trotzdem ich unter allen Lebenden Karl am besten kenne, nicht weiß, ob ich ihn als Mörder, als tödlichen Verführer oder nur als unerbittlichen Menschen bezeichnen soll." So beschreibt der "Oberlehrer Eberhart Weßler" auf den Einleitungsseiten, die Karl Rastas Lebensbeichte vorangestellt sind, den Charakter seines Freundes. Hier kündigt sich bereits die unbarmherzige psychologische Dichte dieses Romans aus dem Jahre 1924 über einen Mörder an. Dem folgen dann die "Dokumente zu meinem Leben" aus Karl Rastas eigener Hand, die er vor seinem Freitod in der Todeszelle verfasst hat. Ein bewegender, ein aufrüttelnder und im besten Sinne verstörender Roman von einem großen deutschen Schriftsteller, den es nun wiederzuentdecken gilt.-
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum26. Feb. 2016
ISBN9788711474594
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    Buchvorschau

    Gegen Morgen - Walther von Hollander

    Turel

    Die Vorgeschichte

    dargestellt

    durch Karl Rastas letzten Freund,

    den Oberlehrer

    Eberhart Weßler

    Die Mutter Karl Rastas, Frau Amtsgerichtsrat Rasta, geborene Gräfin Laschka, starb in diesem Frühling. Damit sank der letzte Mitspieler der totenreichen Tragödie, die Karls Namen trägt, ins Grab, der letzte Mensch, der Mitwisser und Handelnder zugleich, noch manches Dunkle hätte aufhellen können.

    In den zwei Jahren seit Karls Ende, hat außer der Dienerschaft niemand die „Gräfin" — wie man sie allgemein nannte — zu Gesicht bekommen. Man wußte nur, daß sie das Gut Willstetten, dieses bluttriefende Erbe, das ihr auf gräßlichen Umwegen zugefallen war, so umsichtig und tatkräftig verwaltete, als gelte es, für Generationen vorzusorgen und aufzubauen. Ob sie selbst ihre letzten Tage heiter oder traurig zugebracht hat oder (was wahrscheinlicher ist), mit dem undurchdringlichen Gleichmut, den sie vor den letzten Teil ihres Lebens gestellt hatte, das weiß niemand.

    Die Rastas, die gewissermaßen die Eckbohms ausgetilgt haben, in einem Geschlechterkampf von mittelalterlicher Düsterkeit, sind nun selbst ausgestorben. Das Gut ist an den Staat gefallen. Es ist beinahe, als seien alle diese Menschen nie gewesen. Jegliche Spur ist ausgetilgt.

    Der Tod der Gräfin hat mich nun endlich gezwungen, Vollstrecker des letzten Willens Karl Rastas zu sein. Ich habe mich lange dagegen gewehrt, die Dokumente des Mörders, der sich mein Freund nannte, und dessen letzte Tat die Zerstörung meines Lebens war, herauszugeben, und man wird nach Kenntnisnahme dieser Vorgeschichte verstehen, daß es für mich mehr Hemmungen als Sporne gab, den letzten Willen zu ehren. Ich füge mich — auch das wird man am Ende besser verstehen — als nach allen Erklärungen, die ich geben könnte. Ich habe mich entschlossen, meine bitteren Gefühle auszuschalten und nur das hierherzusetzen, was zum Verständnis der folgenden Dokumente notwendig und wichtig ist.

    Karl Rasta entstammte einer angesehenen Juristenfamilie. Sein Großvater war der berühmte Rechtslehrer und Forscher Eugen Rasta, sein Vater, Hermann Rasta, war Amtsrichter in meiner Heimatstadt. Er war ein Mann von ungeheurem Wissen, glänzender Dialektik, scharfsinniger Logik und beißender Ironie, zu der sich im Verlaufe der Jahre eine immer wachsende Verbitterung gesellte. Diese Verbitterung war berechtigt. Nach Urteilen von Fachleuten überragte Hermann Rasta nicht nur die Fakultätsgrößen seiner Generation, sondern auch seinen berühmten Vater Eugen um Haupteslänge, und es war sicher eine Ungerechtigkeit, daß diese Kraft als Amtsrichter unserer norddeutschen Mittelstadt verkümmerte. Woran diese offensichtliche Zurücksetzung lag, habe ich nie ganz begriffen. Vielleicht war es wirklich die Schuld seiner Frau, eben jener geborenen Gräfin Laschka, einer sehr kleinen, zierlichen, unendlich hochmütigen Polin, die man nur selten zu Gesicht bekam, und die hinter einer Wolke von geheimnisvollem Klatsch und Tratsch ein Dasein führte, dessen Äußerlichkeiten vielleicht nur ihrem Mann, deren innerstes Geheimnis — wie ich aus Karls Aufzeichnungen entnahm — nur ihrem Sohn bekannt war.

    Jedenfalls soll sie es gewesen sein, die ihren Mann bestimmte, den Ruf an verschiedene kleinere Universitäten abzulehnen, weil sie seine Berufung nach Wien mit Energie und scheinbar sicherem Erfolg betrieb. Woran dann diese Berufung scheiterte — ob wirklich, wie die Klatschmäuler behaupteten, an dem Bekanntwerden schwerer sexueller Jugendirrungen der Gräfin oder, wie ich eher annehme, an der schließlich versagenden Energie Hermann Rastas —, das weiß ich nicht.

    Aus der Ehe stammten zwei Söhne, Eugen und Karl. An den etwa fünf Jahre älteren Eugen erinnere ich mich nur dunkel. Er starb bereits mit vierzehn Jahren in einer Irrenanstalt, an unheilbarer Melancholie, sagen die Einen, an Auszehrung infolge Hypertrophie des Gehirns, die Anderen.

    Karl war mein Freund, sozusagen von den Windeln her. Mein Vater war Präsident des Oberlandesgerichts, an dem Karls Vater Amtsrichter war. Er war also gewissermaßen der Vorgesetzte Hermann Rastas und mag es mit diesem bedeutenden Untergebenen nicht leicht gehabt haben. Jedenfalls gab es zwischen den Familien unter der weiten Decke des konventionellen Verkehrs Spannungen, die einige Male fast zum Zerreißen der Decke führten. Bei mir zu Hause kam es dann immer zu erregten Gesprächen meiner Eltern, die immer wieder in den Satz gipfelten, daß „bei aller anerkannten Tüchtigkeit doch wohl vieles mit dem Mantel der christlichen Nächstenliebe zuzudecken sei".

    Ich habe mich um die Eltern Karls im Grunde nie viel gekümmert und habe sie auch nicht oft zu Gesicht bekommen. Der Vater Rasta war mir gleichgültig, für die Gräfin hatte ich eine mit Gespensterfurcht untermischte leidenschaftliche Verehrung, die der Anlaß zum ersten Streit mit Karl war.

    Hinter der palazzoimitierenden Villa der Rastas, die an dem ziemlich steilen Südhang der Stadt lag, kletterte ein sehr gepflegter, zierlicher Garten herauf, zwischen dessen wunderbaren Rosenbeeten, Rosenhecken, Rosenbüschen man an Sommerabenden die Gräfin leise und ruhelos stundenlang einhertrippeln sehen konnte. Das waren dann die Abende, an denen wir lautlos und bedrückt in einer Ecke saßen, gelangweilt Blätter zerpflückten, Stöcke zerschnitzten oder höchstens auf einem Grashalm zu fiepen wagten. Oder ganz leise über den Zaun kletterten und uns den Abhang hinabrutschen ließen, in den verwitterten, zerfallenden Sandsteinbruch, der mit Höhlen und Hecken, Teichen und Tümpeln der eigentliche Schauplatz unserer Jungenspiele war. Hier auch hat mir Karl Rasta anvertraut, wie sehr sein Leben unter dem unruhigen Schatten der Mutter stand und daß nach ihren Wanderabenden im Garten immer „irgendwas Furchtbares" im Hause geschah.

    Was dieses Furchtbare war, hat er mir nie gesagt. Es muß auch verschieden gewesen sein. Ein Zank zwischen den Eltern, ein klägliches Winseln der Mutter, das man — so sagte er — durch zwei Stockwerke hörte, ein unheimliches Geräusch von der im Zimmer fortgesetzten Wanderung. „Sie ist wie eine Fledermaus, sagte mir Karl, „tags siehst du sie kaum, nachts aber flattert sie umher und trinkt Blut, um ihr kaltes Blut warm zu machen. Ich hasse sie. Sie ist ekelhaft, dumm und unheimlich.

    Das Urteil des Zwölfjährigen mag richtig gewesen sein. Mich hat es damals maßlos entsetzt und führte zu der ersten Entfremdung zwischen uns, die indes nicht lange andauerte. Es blieb lediglich das Gefühl des Unheimlichen, ich spürte immer die Fledermaus um Karls breiten Kopf. Auf die Dauer aber konnte ich mich seinem Einfluß nie ganz entziehen. Er war in unserer Freundschaft immer der Führer, zuweilen der Verführer, stets der Überlegene. Ich mußte stets um seine Freundschaft werben, war seiner nie ganz sicher und weiß auch heute nicht, warum er eigentlich mit mir befreundet war.

    Er war klüger und entschiedener als ich. Er hatte bei kältester Berechnung ein erstaunliches Temperament (eine mir ganz fremde Charaktermischung) und wußte seine Selsamkeiten immer so zu drapieren, daß der Wind der Anerkennung von allen Seiten segelfüllend ihn vorwärtstrieb. Er wußte alle Arten von Menschen zu nehmen und hatte bei einer an Biederkeit grenzenden Schwerfälligkeit eine erstaunliche innere Wandelbarkeit und Verwandlungsfähigkeit. Er war bei aller Faulheit ein glänzender Schüler — ich konnte nur mit eisernem Fleiße ihm nachkommen —, bei aller Frechheit äußerst beliebt bei den Lehrern. Er hatte ein phänomenales Gedächtnis, war trotz seines zur Fülle neigenden Körpers äußerst gewandt in allen Leibesübungen, war interessiert für alles zwischen Himmel und Erde. Mit einem stierartigen Willen ging er immer neue Gebiete des Wissens und Könnens an, verbiß sich nacheinander in Mathematik, Botanik, Astronomie, Militärwissenschaften, in Tennis, Skilauf, Schwimmen, Tischlern. Ließ binnen kurzem fast auf jedem Gebiet seine Lehrer weit hinter sich, ruhte nicht eher, bis er der Erste im Fach war, um es dann achtlos beiseite zu stellen. Kurz: er war in seinen Eigenschaften der bestechendste und bedeutendste Mensch, den ich gekannt habe. Ich hätte ihm auf jedem Gebiete die glänzendste Laufbahn prophezeit und auch jetzt noch, da ich weit über seinen Tod hinaus sein Feind bin, ist mir sein Ende unbegreiflich und schmerzvoll.

    Ich glaube nicht, daß ich nachträglich ungerecht sein Bild verzerre, wenn ich sage, daß vielleicht in seinem Äußeren, genauer gesagt: in seinem Gesicht, Züge waren, die in jene verhängnisvolle Richtung wiesen. Ich sagte schon, daß sein Körper sehr groß und breit war und nur durch dauerndes Training davor bewahrt wurde, ungeschlacht zu sein. Auf diesem Körper, an dem die ganz überraschenden feinnervigen Frauenhände teils lächerlich, teils erschreckend wirkten, — saß auf einem breiten, kurzen Hals ein etwas zu kleiner, ganz runder Kopf, dessen breite, weiche Backen, dessen winziger, glutroter Mund, dessen dünnes, überaus gepflegtes blondes Kraushaar seltsam abstoßend wirken konnten, besonders in Augenblicken der garnicht seltenen Depressionen, die ihn die Augen halb schließen ließen, oder auch im Schlaf, der seinem Gesicht etwas durchaus Ochsenartiges verlieh.

    Der Reiz des Gesichtes lag allein in den Augen, die gewissermaßen alle Schlaffheit des übrigen Gesichtes in sich einsogen, die in einem unbeugsamen Glanz schienen, die ein glühendes Gefühl ausstrahlen und übertragen konnten. Mächtige, tiefe blaue Augen, Augen, wirklich bald magisch und flimmernd wie Wintersterne, bald benachbart wie niedrige Südsterne, und die Unsterne meines Lebens, die unheimlich durch meine Nächte brennen.

    Aber ich greife vor. Ich spreche von dem Karl Rasta, der mein Leben entschied. Vor dem Vierzehnjährigen steht der Dreißigjährige, und sie erscheinen mir oft ein und derselbe. Und doch kann das nicht sein. Nur etwas Entsetzliches kann diesen glänzenden, meteorischen Menschen aus seiner Bahn geworfen haben. Obgleich ...

    Obgleich: ich sprach ausführlich von seiner Mutter. Ich weiß, wie sehr Karl seine Mutter haßte, weiß aber andererseits, daß während des Prozesses so ungewöhnlich innige Beziehungen zwischen Mutter und Sohn festgestellt wurden, daß die greise Gräfin um ein Geringes von der Zeugenbank auf die Anklagebank hätte übersiedeln müssen. Da steckt schon ein Rätsel. Haßte er sie, wie er mir damals versicherte, oder liebte er sie, wie später festgestellt wurde? Klar erscheint mir jedenfalls, daß die Mutter, wenn nicht durch Taten der böse Geist, so durch ihr Blut das verderbende Feuer dieses Lebens war.

    Mir ist das alles erst später klar geworden. In meiner Vierzehnjährigkeit fühlte ich eigentlich nur, daß im Rastaschen Hause sich nicht das einfache, gesetzmäßige Familienleben abrollte, wie bei mir, im Allgemeinen aber waren unserer Freundschaft diese Dinge ganz gleichgültig, und wir wuchsen miteinander als echte Bengels über Äpfelstehlen, Molchefangen, Drachenkleben, Indianerhüttenbauen, Teschingschießen, erste Zigarette und ersten Rausch ziemlich reibungslos in die Zeit des ersten Romans, der ersten Liebe, der Tanzstunde hinein.

    In der Tanzstundenzeit kam es zum ersten Bruch, und hätte ich damals meiner inneren Stimme gehorcht, wäre es zum endgültigen Bruch gekommen. Es handelte sich scheinbar um eine einfache Primanerliebe, und wäre diese Liebe zu Dorothea Gerbers nicht die Liebe meines Lebens geworden, so würde diese Episode in all dem leichten Sand und Flußtang versunken sein, in den vielerlei im Erleben Wichtiges und in der Wirkung Unwichtiges herabsinkt, und über die der Fluß des Lebens bis zur Unkenntlichkeit glättend hinwegfließt. So aber ...

    Wir waren Rivalen. Ich kann mich nicht entschließen, ein Bild meiner nachmaligen Frau zu zeichnen. Teils weil sie zu lebendig und schmerzvoll in mir wohnt, teils, weil sie in all ihrer Lieblichkeit und Tiefe, in ihrer Sonnigkeit und Melancholie, in ihrer heiteren und doch verschleierten Schönheit nur mir bekannt ist. Für Karl Rasta — und hier schnürt mir der Zorn die Kehle — war sie eine unter Vielen, und darum ist ihr Wesen für den Verlauf der Sache unwesentlich.

    Es begann sehr jungenshaft damit, daß wir auf einem Spaziergang in die herbstlichen Berge uns gegenseitig unsere Liebe zu Dorothea gestanden und im Überschwange unserer Freundschaft jeder sich anbot, vor dem anderen zurückzutreten. Wir kamen schließlich dahin überein, daß jeder getrennt um Dorothea werben solle und nur verpflichtet sei, den Anderen über den Erfolg auf dem Laufenden zu erhalten.

    Dieses Versprechen hat Karl gebrochen. Ich will diese Kindergeschichten, so bedeutungsvoll sie mir erscheinen, nicht ausspinnen. Tatsache war, daß Dorothea an einem Abend mir ihre Liebe mit Hand und Mund versicherte, und daß ich am anderen Abend, als ich zu Karl gehen wollte, ihm dieses mitzuteilen, sie und ihn in einem Gebüsch in inniger Umarmung stehen sah. Noch heute erinnere ich mich des entsetzlichen Schmerzes, den ich damals empfand, und habe in meinem ganzen Leben, selbst in den glücklichsten Jahren meiner Ehe, nie über diesen Jugendschmerz lächeln können, gleich als ob ich immer

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