Grenze der Erfüllung
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Buchvorschau
Grenze der Erfüllung - Walther von Hollander
geblendet.
Sterbende Unendlichkeit
Es ist nun vorbei. Dieses Blatt Papier schiebe ich vor den entsetzlichen Spiegel, vor den Brunnen, in den ich Stunde um Stunde tiefer versinke. An den armseligen Buchstaben klammere ich mich fest, an den Worten, die allein mir geblieben sind — als Strohhalm und Strick.
Nicht mehr erwachen gelang nicht. So bleibt das Brüten in der Dämmerung und ein erster Gang in der Morgenfrühe, wenn zwischen den Häusern noch nicht der Geruch hastender Menschen ist. Es gilt nicht — den Weg noch einmal zurückschauend — zu klären, sondern nur noch, weil ich weiter atme, den eisernen Block über mir zu halten, mit zielloser Kraft. Leben ist das nicht, aber Leben ist auch nichts anderes — und mit dem Trommelschlag der Geschehnisse sich über die bespannte Leere hinwegwirbeln ist ebenso sinnlos wie dies, dass ich in einem Zimmer verbittert sitze, das Vergangene liebe, es fern von mir halte und mein Geschick beschreibe.
Süsser als alles ist das berauschende Opiat der Einsamkeit; spärlich sind die Früchte jedweder Leidenschaft, und nur wer einmal in seinem innersten Kern wankend wurde, versteht, dass die Welt in rasendem Lauf durch die Leere stürmt, um sich im eignen Gleichgewicht zu halten. Warum schliesslich vom Unrat der Erlebnisse das Erleben überwuchert wird, warum in der Tiefe der Durst uns quält nach dem leichteren Himmel und unter der blauen Seidenfahne einer gemächlichen Leidenschaft der Durst nach Tiefe, warum wir ewig gehetzt von uns in andere stürzen und aus den anderen nackt in uns zurückgejagt werden, wozu wir in tausend Formen uns zu giessen trachten und niemals auch nur eine Form zu füllen vermögen — warum wir reifen wollen und uns tief innen vor Frucht und Vollendung schaudert — das alles trinke ich als Frage in mich hinein und weiss, dass eine Antwort so schön und so ohne Zweck ist wie der Gang der geliebten Frau, der nun an meinem Fenster vorübergehn muss.
In der Nacht, als wir uns kennen lernten, schwang sich die silberne Frage des Viertelmondes über dichtgedrängte Schornsteine. Dem hastigen Aufleuchten erster Begehrlichkeit folgte die Täuschung des Erfülltseins. Worte überstürzten sich, Geständnisse lauerten, und es war wieder einmal, als seien all die verwirrten Pfade zweier verschleuderter Leben wie klar fliessende Kanäle zu dem einen Zweck gespannt, in diese Nacht zu fliessen. Waren wir beide dem Spiel mit Schicksalen entwachsen, so reizte uns um so tiefer das Spiel mit Worten, das so leicht die Seelen zu tauschen meint, wenn die Ströme der Leiber ineinanderzischen. Glückseligkeit — die Insel aus Worten gebaut und mit Wollüsten bewimpelt, schimmerte dicht hinter unsern geschlossenen Augenlidern. Woher wir kamen, wussten wir nicht, und unsere Jugend wurde so durchleuchtet vom Glanze dieser ersten Stunde, dass unsere Zukunft wie ein unfassbarer Akkord unsere Glieder zu dem ewigen Rhythmus der Einheit zusammenfügte.
Wir bemühten uns, aus dem Wissen der kommenden Enttäuschung Mauern zwischen uns zu errichten, aber durch die Luken des Genusses fanden wir uns zu immer schnellerer Fahrt in die Abgründe einer Leidenschaft, die mit wunden Lippen und zusammengepressten Zähnen sich dem Erwachen wehrt.
Gegen den Morgen zu begann Regen auf dem Blechgesims des Fensters zu trommeln, streichelte mit zärtlichen Fingern die kühler werdende Haut der geliebten Frau, bis ich erschreckt über der Schlafenden innehielt, und nun schon wusste, dass es zwischen Liebenden nur Brücken gibt, deren in die Herzen gewuchtete Pfeiler mit den Herzen zugleich auseinanderfallen, dass keine untrennbaren Wege zwischen zwei Menschen laufen, dass es Hitze gibt und niemals Wärme, und dass schliesslich doch nur übrig bleibt: für den einen in der Luft der Leidenschaft unruhig weiterzuschlafen und für den anderen an den erwachenden Häusern vorbei in die frostige Kühle des neuen Tages zu traben.
Wir fanden uns wieder, die Stirnen ein wenig beschattet durch den Gedanken, dass von der uns zugemessenen Lust schon ein Teil verbraucht sei, pressten hart die Finger ineinander und suchten, ob uns gelänge, Funken aus den knackenden Knöcheln zu schlagen. Wir erzählten hastig vom Gedenken an die vergangene Nacht, und wie alles blass sei, was uns zuvor begegnete. Ausgelöscht!
Dennoch fanden wir immer mit Worten in das Vergangene zurück, gruben Schlacken aus, erinnerten uns lächelnd, dass jeder getrennt vom andern durch seltsame Wirrungen in diese Stunde getrieben sei und reichten alle Dinge der Vergangenheit wie verblasste Kostbarkeiten dar. Ich erzählte etwa, wie den Knaben noch unter den Apfelblüten eines engen Gartens erste Leidenschaft zum Schluchzen zwang und die tastenden Hände sich am harten Stamm des Baumes wundrüttelten, so dass ein früher Schnee durch die Mondstrahlen wirbelte. Und sie erzählte von einer Fahrt der Leidenschaft, Leib fest an Leib gepresst, durch Städte, die ihren Namen verloren und durch Zimmer, die unvergesslich und ewig waren, von Flüssen und Bergen, die immer im Hintergrund standen und einer Schiffskabine, die fest im Gedächtnis gemauert blieb. Wege alles nur, verstaubt, vom Räderrollen aneinandergedrängter Geschehnisse. In das Schweigen hinein fielen dann Küsse der Leidenschaft, spitz und glühend, trieben uns zu immer schnellerer Lust und vergruben uns in die Bergwerke des brennenden Verlangens. „Es gibt nur einen Weg, sagte sie, „Vergessen und das Vergessen vergessen. Verströmen und nicht mehr wissen, dass man Strom ist.
Und ich