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Die Liebesdienerinnen
Die Liebesdienerinnen
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eBook654 Seiten8 Stunden

Die Liebesdienerinnen

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Über dieses E-Book

Chantal ist eine gefragte und wohlhabende Liebesdienerin. Das Schicksal will es, dass sie sieben Frauen kennen lernt, denen das Leben übel mitgespielt hat. Sie erkennt, dass die höchst unterschiedlichen, schönen und attraktiven Wesen es ohne fremde Hilfe niemals schaffen werden, sich aus ihren Schulden und ihrer Perspektivlosigkeit zu befreien. In einer feuchtfröhlichen Stunde entwickeln sie gemeinsam eine Idee, die viel zu verrückt ist, um diese nicht in die Tat umzusetzen.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum6. Aug. 2018
ISBN9783746964140
Die Liebesdienerinnen

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    Buchvorschau

    Die Liebesdienerinnen - Kurt Pachl

    Ihr Name waberte als Inbegriff für eine atemberaubende Nacht oder als verschwiegenes Synonym für eine himmlische Auszeit über den Großraum Frankfurt.

    Tausend Euro für ein paar Stunden. Fünftausend oder gar zehntausend für ein Wochenende. Das zahlten sie gerne; die gutbetuchten Männer aus den oberen Zehntausend.

    Chantal gelang es immer, sie glücklich zu machen. In ein paar Stunden oder Tagen tankten sie Kraft bei ihr auf – um sich später wieder in den Kampf zu stürzen.

    Für Männer aus Wirtschaft, Kultur, Politik und dem Klerus war Chantal ein Engel auf Zeit. Sie hatten sich schon Tage zuvor auf diese Stunden oder gar Tage mit ihr gefreut. Sie reden zu lassen, und ihnen interessiert und glaubhaft zuzuhören – das war eines der vielen Geheimnisse ihres Erfolges.

    Den meisten ihrer Kunden und Kundinnen war es ein Anliegen, zunächst ihre Probleme, Nöte und ihren Frust von der Seele sprudeln zu lassen.

    Manche sackten gar nach fünfzehn Minuten in sich zusammen - und weinten. Ja, bei ihr durften sie unendlich Vieles, was sie sich bei ihren Partnern, in ihren Unternehmen oder auch selbst innerhalb ihres engsten Freundeskreises niemals erlaubt hätten; was nicht als schicklich galt, oder was man sogar als Schwäche ausgelegt hätte. In den oberen Rängen durfte es keine Schwächen geben – niemals.

    Bei ihr durften sie weinen. Bei ihr durften sie sich anlehnen, wohltuend schweigen oder nach Herzenslust stöhnen. Mit einigen armen Seelen ging sie an einen leeren Strand. Gemeinsam schrien sie dort aus Leibeskräften gegen den Wind an, bis nur noch ein Krächzen aus ihren Kehlen drang. Und danach lagen sie lachend nebeneinander im Sand. In ihrem Job musste man kreativ sein. Weinen, Schreien, Singen, mit einer kleinen Peitsche auf unsichtbare Gestalten einschlagen, Streicheleinheiten für Körper und Seele – und natürlich Sex; guter und ideenreicher Sex. Ihr Repertoire war unerschöpflich.

    Ein wilder Bursche hatte sich ein Spiegelzimmer basteln lassen. In der Mitte stand ein riesiges Bett. Er schrie vor Glück, wenn er sich dabei betrachten durfte, ganz Mann zu sein; wenn sie dabei ihre schlanken Beine fest um seinen Hals schlang. Wieder andere, jüngere, vögelten sich in Rage; konnten nicht genug von ihrem Körper bekommen. Sie entschuldigten sich anschließend für ihre verbalen Entgleisungen.

    Chantal gab ihnen dann lächelnd und verzeihend einen liebevollen Kuss. Die meisten von ihnen bedankten sich doppelt; finanziell versteht sich.

    Bei ihr brauchten sie sich nicht zu schämen, wenn es am Anfang nicht so recht klappte. Mit viel Liebe und Fantasie brachte sie die Burschen in den meisten Fällen wieder auf Trab. Alternativ erhielten sie unendlich viele Streicheleinheiten. Mit den reiferen Semestern lauschte sie bis tief in die Nacht hinein klassische Musik. Und sie, die Edelhure, bat diese gestressten Seelen darum, die Augen zu schließen. Dann malte sie ihnen herrliche Bilder vor ihrem geistigen Auge: Angefangen von den Wassertropfen, die von den bemoosten Felsen der zwei Moldauquellen tropften; mit den unterschiedlichsten Tönen und Oktaven; gespielt von zwei unterschiedlichen Querflöten. Oder sie beschrieb den Morgennebel, welcher in der Peer-Gynt-Suite über dem Wasser waberte, und sich von den ersten Sonnenstrahlen küssen ließ. Sie kuschelte sich an diese Personen oder Persönlichkeiten wie ein kleines, sanftes Mädchen. Sie gab ihnen das Gefühl, das begehrenswerteste und liebevollste Wesen auf dieser Erde zu sein.

    Für sie, Chantal, flossen Wahrheiten, Fantasien und schauspielerischen Leistungen ineinander. Sie war einfach nur da, um ihnen zuzuhören, sie liebevoll anzulächeln, zu schnurren wie ein Kätzchen, um sie auf andere Gedanken zu bringen. Geistreiche Gespräche beim erlesenen Dinner hatte am Anfang niemand von einer Edel-Hure erwartet. Aber auch das war zunehmend ein äußerst wichtiger Bestandteil ihres fantasiereichen Arrangements geworden.

    In den Jahren vor diesem großen Desaster, das ihr Leben gänzlich auf den Kopf gestellt hatte, präparierte sie sich vor jedem Date. Schlecht gerüstet in den liebevollen Kampf zu ziehen, hätte sie sich niemals verziehen. Möglichst alles wollte sie über ihre Kunden wissen: Unter welchen Umständen waren sie aufgewachsen. Das herauszufinden gestaltete sich mitunter weitaus schwieriger, als gut gehütete Firmengeheimnisse zu erlangen. Waren es Mama-Papa-Söhnchen oder mussten sie sich aus Schlamm und Morast nach oben strampeln. Waren sie gezeichnet von dominanten oder gar übermächtigen Vätern oder seelenlosen Müttern. Hatte dieser Mann oder diese Frau in ihrer Kindheit Schlimmes erlebt; kam es gar zu Übergriffen; mussten sich diese oder andere Geschehnisse tief in deren Seele eingebrannt haben. Danach richtete sie ihre Strategie aus. Es galt keine Fehler zu machen. Welche Schulen hatten sie durchlaufen. Welche Knüppel hatte man ihnen auf den Weg nach oben zwischen die Beine oder ins Genick geworfen. Wurden sie hintergangen oder ausgenutzt. Standen sie unter der Knute einer starken Frau oder eines gewalttätigen Mannes. Jede noch so kleine Information über ihr Unternehmen und deren Wettbewerber konnte hilfreich sein.

    Es war immer eine lange Liste, die Sven Schneeweis, er war ihr Fotograf und darüber hinaus ein IT-Genie, für sie zusammentrug. Dafür liebte sie diesen Wuschelkopf. Ein lebens- und liebeshungriger Privatdetektiv, er hieß Ferdinand Papenburg, brachte Chantal vor einigen Jahren auf die Idee, zusätzlich Informationen über die Ehepartner ihrer Stammkunden in Erfahrung zu bringen.

    Für seine wertvolle Arbeit durfte er kostenlos die Dienste ihrer früheren Kolleginnen in Anspruch nehmen.

    In den letzten Jahren kamen nur wenige Männer mit ausgefallenen sexuellen Fantasien zu ihr. Frauen mit extremen Wünschen gab es ohnehin selten. Wer glaubte, mit Geld alles kaufen zu können, und dabei die rote Linie überschreiten wollte, musste erfahren, dass sie sich dies nicht mehr antun musste. Sie wusste solche Situationen stilvoll zu umschiffen. Danach gab sie diesen Klienten keine zweite Chance; selbst wenn sie bereit gewesen wären, Unsummen zu zahlen.

    Chantal kannte hunderte Ehegeschichten und Ehekriege. Bücher hätte sie darüber schreiben können.

    Aber Stil und Diskretion waren die Voraussetzungen ihres Erfolges.

    Ihre Geheimnummer stand inzwischen in vielen der kleinen schmalen Notizbüchlein wohlhabender Manager, Inhaber von Unternehmen und anderen spendablen Zeitgenossen. Selbst hochgestellte Geistliche brauchten hin und wieder eine Auszeit für ihre Seele. Frauen waren oft dankbarer, und natürlich spendabler als die Herren der Schöpfung.

    Manche Ehen wären ohne sie, ohne „Madame Chantal, schon längst in die Brüche gegangen. Die meisten ihrer Kunden waren Pragmatiker. Sie konnten gut rechnen. Ehescheidungen hätten sich finanziell ungleich verheerender niedergeschlagen können, als sich ab und zu eine Atempause mit einer niveauvollen Begleiterin zu gönnen; selbst dann, wenn diese fürstliche „Honorare erbat. Dass ihr Mann die Dienste einer „Edelhure" in Anspruch nahm, galt für einige Frauen, die sich ohnehin einen Liebhaber hielten, stilvoll und weitaus verzeihlicher, als sich in irgendwelchen obskuren Spelunken herumzudrücken.

    Ein Status quo bei ihren Stammkunden konnte unter Umständen hilfreicher sein, als eine Wiederverheiratung mit ungeahnten Folgen. Deshalb erhielten einige Kunden dezente und kostenlose Eheberatungen; Vorschläge, die selbstverständlich ganz und gar nicht uneigennützig waren.

    In den letzten Jahren gelang es ihr sogar einige Männer oder Frauen davor zu bewahren, einen gutbezahlten Job einfach hinzuwerfen. Treue, liebenswerte und spendable Kunden erhielten einen höchst außergewöhnlichen Service. Ferdinand, der kreative Privatdetektiv, bekam dann den Auftrag, das wirtschaftliche Umfeld des unschlüssigen Kunden oder der eingeschüchterten Klientin zu durchleuchten. In einigen Fällen hatte sie diesen armen Seelen zum Abschied ein Kuvert mit sensiblen Daten in die Hand gedrückt, und ihnen ins Ohr geflüstert: »Mach‘ was Gescheites daraus!«

    Tage oder Wochen später warfen sich die Dankbaren an ihren Busen. Sie bedankten sich fürstlich. Noch nie waren diese absolut nicht alltäglichen Vorgehensweisen ein Minusgeschäft gewesen.

    Der Geschäftsführer der Escort Agentur akzeptierte, dass dessen Mitarbeiterinnen keine verbindlichen Termine für Chantal vereinbaren durften.

    Sie, Chantal, bestand darauf, mit den Interessierten selbst ein Telefonat zu führen, und einen Termin zu vereinbaren – oder auch nicht.

    Im Laufe der vielen Jahre hatte sie ein fast untrügerisches Gespür entwickelt, welches Wesen sich hinter einer Stimme am Telefon verbarg. Bereits der erste Satz war in den allermeisten Fällen ausschlaggebend gewesen, ein Treffen zu vereinbaren – oder auch nicht. Allein die Stimme, die Lautstärke, die erste Wortwahl projizierten ein Bild vor ihrem inneren Auge. Sie fühlte es förmlich, als stünde einer der vielen Fieslinge neben ihr; einer, der es liebte, seine Sekretärin in einer Pause auf den Schreibtisch zu pressen – und von hinten zu vögeln. Oder war es ein seelenloser Despot, der stolz darauf war, seine Untergebenen zu knechten. Vielleicht hatte er ihren Namen aufgeschnappt, und war felsenfest davon überzeugt, auch dieses rassige Weib in seine Sammlung einreihen zu können; gleichsam der Trophäensammlung eines Großwildjägers. Er hatte schließlich Geld; viel Geld. Und er war davon überzeugt, für Geld alles kaufen zu können – auch Seelen. Edelnutten hatten aus der Sicht von so manchen reichen Spinnern ohnehin keine Seele.

    Ihr Repertoire war dann unerschöpflich. Niemals wäre sie verletzend gewesen – auch dann nicht, wenn eine Stimme in ihr schrie, diesen Mann wissen zu lassen, dass er ein Schwein sei.

    Mit flötender Stimme bat sie glaubhaft um Verständnis, in den nächsten Wochen keinen Termin unterbringen zu können. Gerne würde sie ihm jedoch die Telefonnummer einer Kollegin geben. Dass diese Typen eine Absage von einer Nutte bekamen, war Strafe genug.

    Natürlich hatte es in der Vergangenheit viele andere Telefonate gegeben.

    Bereits nach ein paar Sekunden sprang der Funke über; knisterte oder vibrierte es. Dann freute sie sich auf dieses Treffen. Aber selbst auch dann wäre sie nie auf die Idee gekommen, einem kurzfristigen Date zuzustimmen.

    Auch sie konnte sich schließlich irren.

    Sie wollte und musste sich auf dieses Treffen vorbereiten. Und hierfür brauchte sie Informationen.

    Vor wenigen Wochen hatte Chantal zufällig einem Gespräch zwischen ihrem Fotografen Sven und dem Detektiv Ferdinand gelauscht.

    »Ich bin immer wieder beeindruckt, was Madame Chantal alles über ihre Kunden in Erfahrung bringen will«, brummt Ferdinand, und Sven antwortete lachend:

    »Vielleicht liebe ich sie gerade deshalb. Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass sie sich noch an alle ihre Kunden und Liebhaber erinnern kann.«

    Wenige Wochen zuvor hatte Chantal zum ersten Mal in ihrem Leben darüber nachgedacht, wie viele Männer sie in ihrem Leben glücklich machen durfte.

    In ihren jungen und wilden Jahren sahen die Kerle sie eher als attraktives Lustobjekt. Nur am Anfang glaubten einige, sich kurz an ihrem schönen Körper abreagieren zu dürfen. Dann rächte sie sich auf ihre Weise. Zunächst fragte sie die Burschen, ob sie Männer seien; so richtige Männer.

    Was blieb den armen Kerlen dann übrig, als dies unter Beweis zu stellen.

    Stunden später genoss sie es zu beobachten, wie die Ausgepumpten zu ihrem Fahrzeug schlurften, und mit zittrigen Fingern versuchten, den Schlüssel in das Wagenschloss zu bugsieren.

    Waren es Hunderte? In den Anfangsjahren, in Freiburg, Baden-Baden, Stuttgart oder Frankfurt, waren es mit Sicherheit mehr als über tausend heißblütige Männer - pro Jahr.

    In den letzten Jahren „begleitete" sie zwei bis vier Männer in der Woche. Das Schicksal wollte es, dass auch Frauen ihre Dienste in Anspruch nehmen wollten.

    Inzwischen war sie wohlhabend geworden; sehr wohlhabend sogar. Den größten Teil ihres Vermögens hatte sie jedoch nur indirekt mit ihrem Körper „erarbeitet".

    Chantal Mauriac wurde 1963 in einem kleinen Städtchen im Elsass geboren.

    Ihr Vater, ein Weinbauer, starb früh, und ihre Mutter Jaqueline konnte das Weingut nicht mehr halten. Sie heiratete Hannes Vögele, den Inhaber einer weithin bekannten Gastwirtschaft in Freiburg.

    Die quirlige, und bereits schon in jungen Jahren gutaussehende Tochter, besuchte das Gymnasium und schloss das Abitur mit der Note 1,2 ab.

    Mama Jaqueline schäumte vor Wut, als ihre intelligente Tochter unbedingt Sängerin werden wollte.

    Stiefvater Hannes entpuppte sich jedoch als egoistischer Pragmatiker.

    In seiner Gastwirtschaft wurden vornehmlich wertvolle Weine kredenzt. Seine attraktive Stieftochter sollte die Gäste bedienen, und sie zwischendurch mit lustigen Weinliedern unterhalten. Dafür griff er sogar tief in die Tasche.

    Die heißblütige und extravertierte Chantal schlug ein wie eine Bombe. Seitdem strömten unzählige Gäste zur Weinwirtschaft am Schlehbusch.

    Es blieb nicht aus, dass diese lebenslustige Schönheit umschwärmt wurde.

    Als ein verheirateter Gast aus Baden-Baden seine Stieftochter schwängerte, war das Wohlwollen des Stiefvaters allerdings jäh aufgebraucht. Mama Jaqueline gelang es mit allergrößter Mühe, ihren Mann umzustimmen, „das arme Mädchen" nicht auf die Straße zu setzen.

    Nach vielen Monaten der strengen Disharmonie entpuppte sich Opa Hannes sogar als der größte Fan des kleinen, schreienden Gerard.

    Doch dann, ein Jahr später, ereignete sich dieses Unglück. Ohne jegliche Vorwarnung starb der kleine Schreihals.

    Es folgten Monate der Hölle auf Erden. Hannes Vögele war der schlimmste Teufel in dieser Hölle.

    Er steigerte sich in den Vorwurf hinein, dass dieser Schicksalsschlag eine Quittung für das Lotterleben seiner Stieftochter war. Gott habe sie dafür bestraft.

    Mama Jaqueline, die einstmals wunderschöne Frau, verhüllte ihren Körper fortan in schwarzer Kleidung. Sie flüchtete in Gebete und Kirchenbesuche. Täglich wanderte sie zum Grab des kleinen Gerard. Niemals, auch in den vielen Jahren zuvor, hatte sie Chantal in die Arme genommen; niemals hatte sie offensichtlich darüber nachgedacht, wie es wohl in der Seele ihrer Tochter aussehen möge.

    Dass ihre Mutter sie in dieser schlimmen Phase allein ließ, fraß sich tief in Chantals Seele; war unzweifelhaft ausschlaggebend für ihr weiteres Leben geworden.

    Nach Wochen des Haderns, nach einer Phase der Entscheidung für oder gegen das Leben, entschied sich die damals Einundzwanzigjährige für das Vergessen und für das Leben. Dieses kleine Zimmerchen des kleinen Gerard, diese vielen liebgewordenen Utensilien und das Bewusstsein um das Grab des Kleinen, nur einen Kilometer vom Gasthaus und den angrenzenden Wohnräumen entfernt, waren unerträglich geworden.

    In Baden-Baden schlug sich Chantal zunächst als attraktive Bedienung, Sängerin und Unterhalterin durchs Leben. Sie genoss es, wieder umschwärmt und geliebt zu werden. Das Leben musste weitergehen. Irgendwie.

    Viele Liebschaften, die atemlosen Fluchten glichen, gingen nahtlos in ein Leben als Hure über; in einem vornehmen Etablissement.

    Nein, als Hure oder gar Nutte hatte sich Chantal zu keinem Zeitpunkt in ihrem Leben gesehen. Sie fühlte sich allenfalls als „Liebesdienerin"

    So lange sie unliebsame Freier notfalls ablehnen durfte, und für angenehme Stunden Geld bekam, empfand sie es als eine gutgemeinte Fügung des Schicksals, Freude an sexuellen Erlebnissen zu haben.

    Sehr früh entwickelte sie ein Gespür, welcher Mann ganz normalen Sex haben wollte, welcher Bursche auf Brutalität stand, oder welchen Kerl sie als Abschaum einstufen musste.

    Was um alles in der Welt war falsch daran, dass sie ihren Körper liebte; mit dieser göttlichen Gabe zu spielen verstand, und obendrein Geld dafür bekam; zunehmend mehr Geld? Sie liebte guten oder gar hemmungslosen Sex.

    Der Liebespfad führte Chantal über eine Edelsauna in Stuttgart zu einem bekannten Sauna-Club und später einem Escort-Club in Frankfurt. Sie wusste damals, dass noch viele weitere Städte auf ihrer Lebensliste stehen würden.

    Ihr prickelnder Weg zog sie nach Paris.

    Es folgten zwei berauschende Jahre in London. An diese Jahre erinnerte sie sich später noch gerne.

    Chantal konnte sich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, warum sie damals nach Hamburg wollte.

    Diese zwei Jahre in der Hansestadt verflogen wie im Rausch.

    Ja, für diese Jahre in Hamburg war der Begriff „Rausch" mehr als zutreffend.

    Es fing mit einigen Joints an. Danach wollte sie mehr; brauchte sie immer mehr.

    Zusätzlich begann sie zu trinken und stark zu rauchen.

    Von einem Tag auf den anderen, Chantal war 32 Jahre alt, überfiel sie eine unendliche Leere und Sinnlosigkeit. An einem schönen Frühlingstag erwachte sie in einer Hamburger Klinik.

    Sie hatte versucht, sich mit einer Überdosis Rauschgift das Leben zu nehmen. Drei Monate verbrachte sie in der psychiatrischen Abteilung dieser Klinik.

    War es Schicksal oder Vorhersehung? Wollte eine höhere Macht sie aufrütteln?

    Während des Aufenthaltes in der Klinik fiel es ihr wie Schuppen von den Augen.

    Sie hatte bislang wie ein schillernder Vogel das Leben genossen; ließ sich einfach treiben. Sie hatte das Geld mit vollen Händen ausgegeben, und keine Sekunde darüber nachgedacht, Rücklagen zu bilden oder über ihre Altersvorsorge nachzudenken.

    Lediglich in eine private Krankenversicherung hatte sie einbezahlt. Doch auch diese zeigte ihr nun die rote Karte.

    Sie hatte extrem gut verdient.

    Für damalige Verhältnisse waren siebentausend Euro pro Monat viel Geld gewesen; nach Steuern versteht sich.

    Mit den letzten fünfhundert Euro in der Tasche fuhr sie nach Frankfurt.

    Die Betreiber einer Edelsauna, unweit des Bahnhofsviertels, freuten sich, sie wieder begrüßen zu dürfen.

    In der Szene sprach es sich rasch herum: „Chantal ist zurück."

    Doch sie war inzwischen verwöhnt.

    In Paris und London hatte man sie liebevoller für ihre Dienste entlohnt.

    Jetzt brauchte sie viele Freier.

    Sie brauchte Geld, viel Geld. Unabhängig davon wollte sie sich in Arbeit ersäufen; diese Schande in Hamburg ausradieren. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie Pläne; große Pläne.

    Neun Monate später gründete sie zusammen mit ihren Freundinnen Iris und Manuela eine Escortagentur für gehobenere Ansprüche. Sie wurden von Nachfragen regelrecht überrollt.

    Das war 1996.

    Der Großraum Frankfurt explodierte wirtschaftlich gesehen. Allein der Bankensektor beschäftigte mit einem Umsatz von über 2,2 Billionen Euro 80 000 Seelen. Die Kommunikationswirtschaft, viele Versicherungen und Kanzleien, Universitäten, der Handel, verarbeitendes Gewerbe, das Baugewerbe und viele Dienstleistungsunternehmen wollten ihren Repräsentationswillen zeigen. Dies schlug sich in einer eindrucksvollen Hochhaussilhouette nieder. Unzählige große Hotels beherbergten ein Meer aus Finanzhaien, Touristen oder Besuchern von Messen und Ausstellungen.

    In diesem Meer ruderten atemberaubend viele und höchst unterschiedliche Individuen. Sie waren süchtig nach einer erlebnisreichen Auszeit vom Stress und Druck des Alltages. Darunter befanden sich vor allem auch Gutbetuchte. Viele von ihnen gierten nach dem Außergewöhnlichen und nach den unterschiedlichsten sinnlichen Freuden. Sie hatten Fantasien, Wünsche und Sehnsüchte im Gepäck.

    Ein Großteil dieser Abenteuer- und Liebesvagabunden wollte nicht untergehen in dieser wabernden Masse lebenshungriger, seelisch leidender oder gar ertrinkender Seelen.

    Diese potentiellen Klienten waren sich dessen bewusst, dass sie für gehobene Dienstleistungen mehr, mitunter viel mehr, hinblättern mussten, als man in Frankfurt bereit war anzubieten; in den Saunen, Clubs, Puffs oder vielen anderen Etablissements; vor allem in der Elbe-, Weser- und Moselstraße.

    Zahlungskräftige Kunden – aber auch Kundinnen – suchten junge, attraktive, willige und ideenreiche Begleiterinnen oder Begleiter.

    Nach vielen Monaten atmete Chantal befreit auf. Endlich wieder Licht, Luft und Sonne. Endlich heraus aus dem stickigen Mief und dem Kunstlicht.

    Chantal, Iris und Manuela hatten den administrativen Aufwand einer Escortagentur unterschätzt. Nach wenigen Wochen stellte sich heraus, dass Chantal mit ihrer warmen, dunklen und rauchigen Stimme doppelt so viele Akquisitionen und Terminvereinbarungen vereinbaren konnte wie ihre Freundinnen. Darüber hinaus gelang es ihr, drei bis vier eigene Dates pro Woche wahrzunehmen. Damit erzielte sie viertausend oder sechstausend Euro pro Woche; vorausgesetzt sie stand für ihre Kunden auch an den Wochenenden „zur Verfügung". Ein langes Wochenende mit einem Kunden war besonders lukrativ – aber auch besonders knisternd, unterhaltsam und wissenserweiternd.

    Zwei Jahre vergingen wie im Flug. Dann klopfte das Schicksal erneut an die Tür.

    Das Übernahme-Angebot von „Rendezvous", einer großen Gesellschaft, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, ein europäisches Premium-Escort-Netz aufzubauen, konnten die drei Frauen nicht ablehnen. Selbstverständlich, und liebend gerne, wurden sie von dieser Gesellschaft als freie Mitarbeiterinnen übernommen.

    Chantal war nun herrlich frei und ungebunden.

    Sie hatte sich vorgenommen, künftig noch überlegter und planvoller vorgehen.

    Zwei oder maximal drei profitable Dates pro Woche würden reichen. In den Zeiten dazwischen musste sie ihr Wissen erweitern und verfeinern. Ein schöner Körper allein durfte nicht mehr ihr alleiniges Kapital sein.

    Sie war vierunddreißig. Damit war sie zwar noch nicht alt. Aber in Frankfurt oder in den anderen großen Städten wuchs die Konkurrenz in einer atemberaubenden Geschwindigkeit. Außerdem hatte sie erkannt, dass die besonders spendablen Kunden in Frankfurt jenseits der vierzig oder gar der fünfzig angesiedelt waren. Und diese Klientel war nicht ausschließlich an Sex interessiert. An den Wochenenden die Zeit nur im Bett zu verbringen – das hatte sich als wenig praktikabel erwiesen. Die reiferen Männer wollten mit ihr etwas unternehmen. Hierbei hatten ihre Klienten recht klare Vorstellungen von einer kompetenten Begleiterin. Sie wollten mit ihr ins Theater gehen oder zu Geschäftsessen. An den Abenden waren sie daran interessiert, sich zu unterhalten oder unterhalten zu werden. Viele hatten geschäftliche oder private Probleme, die sie sich von der Seele reden wollten.

    Chantals Sprachkenntnisse waren exzellent. Sie konnte sich gut ausdrücken und war extravertiert. Aber das war es auch schon. Was wusste sie über Kultur, Wirtschaft und Politik?

    Viele Männer, aber auch Frauen, wünschten sich eine attraktive Begleiterin mit Ausstrahlung, Parkettsicherheit, Charme, Humor und mit einem gewinnenden Auftreten.

    Unzweifelhaft waren das wichtige Voraussetzungen, um künftig noch erfolgreicher zu sein. Männer mit Geld, viel Geld, erwarteten das. Unabhängig davon: Sie, Chantal, wollte endlich auch stolz auf sich selbst sein dürfen. Künftig würde sie darauf bestehen, „Madame Chantal" genannt zu werden. Das sollte ihr Markenzeichen werden.

    Herrjeh. Auch für ihren Körper musste sie mehr tun als bislang. Hierbei war es nebensächlich, dass sie im Grunde genommen Sport hasste. Ihre Haut musste straff sitzen. Schließlich gab es noch junggebliebene Klienten; Männer, die auf 18-Loch-Golfanlagen zuhause waren; Männer, die eine Fitness-Anlage neben ihrem Schwimmbad installieren ließen; Männer, die sich aufgestauten Frust aus dem Leib vögeln lassen wollten. Da durfte sie nicht schlappmachen.

    Ihre neue Sedcard mit aussagefähigen Aufnahmen von Sven unterschied sich gravierend von ihrem ehemaligen Auftritt. „Madame Chantal" selbst hatte die Texte kreiert – und ihre Seele mit einfließen lassen.

    Über Geld wollte sie später nicht mehr sprechen. Niveau hatte eben seinen Preis.

    Der Geschäftsführer von „Rendezvous entschuldigte sich bei „Madame Chantal gerne. Die Anfragen übertrafen jegliches Vorstellungsvermögen. Mehr denn je oblag es „Madame Chantal" ihre Wahl zu treffen und Termine zu vereinbaren.

    Ihre neue Freiheit begann mit einem äußerst ungewöhnlichen Ereignis. Die volle Tragweite sollte sich erst viele Jahre später erweisen.

    Wie in all den Jahren zuvor hatte sich Chantal auf ihren nächsten Kunden informell und mental vorbereitet. Bereits als sie sich in das Portrait des Harald Lambers zu vertiefen versuchte, schrie eine Stimme in ihr:

    »Dieses Treffen darfst du nicht auf die leichte Schulter nehmen!«

    Das volle Haar und der gepflegte Vollbart dieses Mannes waren bereits grau meliert.

    Trotzdem wirkte der vierundfünfzigjährige Inhaber eines Chemie-Unternehmens jung und agil. Chantal konzentrierte sich auf seine Augen mit den buschigen Augenbrauen darüber. Diese Augen blickten energisch und anpackend in die Welt. Doch sie sah darin auch eine leichte Traurigkeit und Verletzlichkeit.

    Seven und der Privat-Detektiv hatten ganze Arbeit geleistet. Aus fünfzehn Seiten ging hervor, dass dieser Mann eine äußerst bizarre Kindheit hatte. Sein Vater war einer jener Arbeitstiere nach dem Zweiten Weltkrieg; fordernd und unnachsichtig. Die Mutter liebte Kultur und Musik. Sie achtete auf die notwendige Ruhe und Harmonie in der Familie. Der Nachkriegspionier starb früh, und Harald wurde ins kalte Wasser geschleudert.

    Umsatz und Gewinn von HARLAM-CHEM explodierten in den letzten fünfzehn Jahren. Die zehn Jahre jüngere Frau Isolde kam aus begütertem Hause. Vor zwei Jahren zog sie mit dem gemeinsamen Sohn Edward, er war bereits vierundzwanzig Jahre alt, aus der großen Villa im Frankfurter Nordend aus. Sie war in den letzten Jahren vollauf damit beschäftigt gewesen, ihre Erbschaft, die Eltern waren beide bei einem Autounfall ums Leben gekommen, mit vielen Männerbekanntschaften in vollen Zügen zu genießen. Harald ersäufte seine Enttäuschung in Arbeit. Frauenbekanntschaften tauchten in seinem Leben fortan nicht mehr auf; zumindest waren diese nicht in Erfahrung zu bringen gewesen. Harald Lambers galt als äußerst durchsetzungsfähig, spielte Golf und liebte Musik; vornehmlich klassische Musik.

    Sie trafen sich in einem großen und altehrwürdigen Hotel in Würzburg; unweit der Marienburg und mit Blick über die Weinberge hinunter zum Main.

    Chantal erkannte ihn von Weitem.

    Mit einem »Einen schönen Tag Herr Lambers«, ging sie lächelnd auf ihn zu, und hauchte dem erwartungsvoll dreinblickenden Mann ein zartes Küsschen auf beide Wangen.

    Fast theatralisch wich er zwei Meter zurück. Mit betont beeindruckter Miene musterte er das vor ihm stehende Wesen. Er ließ sich Zeit; viel Zeit.

    »Es gefällt mir, was ich sehe. In Natura sind sie noch weitaus schöner als auf dem Foto«, sagte er mit einer warmen Stimme, die ganz und gar nicht zu einem Manager passte.

    »So direkt hat mir das bislang noch kein Mann gesagt«, flötete Chantal. »Lachen Sie jetzt nicht, wenn ich rot wie ein Teenager werde. Oh Gott. Dieser Tag verspricht interessant zu werden.«

    »Dieses Wochenende!«

    »Entschuldigung. Natürlich dieses gesamte Wochenende«, verbesserte sie sich. »Das Wetter verspricht himmlisch zu werden. Da es in erster Linie Ihr Wochenende ist, sollten Sie mich überraschen, was wir gemeinsam daraus machen.«

    Er schlenderte mit ihr durch die Residenz. Gemeinsam bestaunten sie den in voller Blüte stehenden riesigen Residenzgarten.

    Nein. In die Innenstadt wollte die attraktive Frau nicht so gerne. Stattdessen besichtigten sie die Marienburg, um sich anschließend auf die große Terasse des Hotels zu setzen. Sie ließen ihre Blicke hinunter zum Main und auf die Stadt gleiten.

    Und irgendwann, wie sollte es anders sein, dachte Chantal, brachte er das Gespräch auf sein Unternehmen.

    »Ich bin tief beeindruckt«, sagte Harald einige Stunden später. »Wie ist es möglich, dass Sie in so kurzer Zeit so viel Wissen sammeln konnten. Sie kennen sogar meine wichtigsten Wettbewerber. Man könnte fast auf die dumme Idee kommen, einer Mata Hari gegenüber zu sitzen.«

    Chantal versuchte, dankbar und gleichzeitig etwas verlegen zu lächeln.

    »Hm. Mata Hari. Ich weiß jetzt nicht, ob ich mich geehrt fühlen soll.«

    »Das dürfen Sie. Das dürfen Sie«, lachte der Grauhaarige.

    »Wie auch immer«, fuhr Chantal fort. »Meine Freunde auf Zeit dürfen ruhig das Gefühl haben, dass ich sie respektiere, indem ich mich mit ihnen, ihrem Leben und ihrem Umfeld auseinandersetze. Es wäre doch schlimm, wenn ich mich mit dem Manager eines Mineralölkonzerns nur über Kleider oder Fußball unterhalte.«

    »Oder mit dem Inhaber einer Geflügelschlachterei«, lachte Lambers.

    Chantal verschränkte ihre schmalen Finger ineinander.

    »Dazu würde es erst gar nicht kommen«, sagte sie mit plötzlich ernster Miene.

    »Oh. Wie darf ich das verstehen?«

    »Weil ich mit einem solchen Mann nicht so locker plaudern könnte. Mit Sicherheit würde ich mit ihm nicht ein Bett teilen wollen.«

    Lambers rückte lachend seinen Sessel ein Stückchen näher.

    »Holla. Ich bin jetzt mehr als erstaunt. Eine Frau mit Prinzipien?!«

    Chantal legte ihre beiden Zeigefinger vor ihren Lippen, und senkte leicht den Kopf.

    »Es wäre jetzt nicht schön gewesen, wenn Sie statt „Frau" einen anderen Begriff gewählt hätten.«

    Fast blitzartig legte der Mann seine rechte Hand sanft und beschwichtigend auf den Arm seiner attraktiven Begleiterin. Er blickte ihr dabei tief in die Augen. Chantal entnahm aus seinen Augen ein bittendes Entsetzen.

    »Wenn ich so denken würde, säßen wir nicht beieinander. Bitte nenne mich Harald.«

    Ein offenes Lächeln huschte über das Gesicht der Begleiterin.

    »Einverstanden Harald. Der Kunde ist König.« Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort:

    »Darf ich zu diesem Thema abschließend bemerken, dass ich nur Männer begleite, die mir sympathisch sind. Meine Kunden haben ein Anrecht auf eine möglichst unbelastete und reine Seele. Nur dann kann ich ganz und gar Madame Chantal sein; eine offene, ehrliche und kompetente Begleiterin - und eventuell Liebesdienerin. Eventuell; das bedeutet, dass ich mir die Freiheit nehme, nur dann mit Männern das Bett zu teilen, die mir zumindest weitestgehend sympathisch sind. Klingt das verrückt?«

    »Nein. Nein.« Harald drückte Chantal einen Kuss auf die Hand. »Das ist für mich eine Bestätigung, die richtige Wahl getroffen zu haben … seit langer, langer Zeit.«

    Die routinierte Escort-Dame verstand es, das Gespräch sanft und glaubhaft in eine andere Bahn zu lenken. Während des erlesenen Abendessens, in einer verschwiegenen Ecke der weitläufigen Lokalitäten des Hotels, unterhielten sie sich fast ausschließlich über Musik; über Edward Grieg, über die zehn wichtigsten Stationen der Moldau von Smetana, über die vier Jahreszeiten von Vivaldi und viele andere Komponisten.

    Und erst zur fortgeschrittener Stunde gingen sie in das große Doppelzimmer mit dem riesigen Bett.

    Als Chantal mit einem aufreizenden Negligé in das Bett schlüpfte, stellte sie fest, dass Harald in einem einfallslosen, fast altbackenen Schlafanzug auf sie wartete.

    Es hämmerte und arbeitete in Chantals Kopf.

    Diese Situation kannte sie nur von reifen Herren. Oder von Männern, die es spannend machen wollten. Das unterschied diese Alterskategorie von jungen Draufgängern, die mit hochgezogenen Augenbrauen darauf warteten, dass sie sein bereits erigiertes Glied mit einem „Wow" bewunderte. Sie erfand immer wieder neue Namen für diese Wunder der Natur. Oder sie entschied sich dann einfach, jauchzend diesen Himalaja zu besteigen. Manche Kerle grunzten wie Bären, schrien vor Freude, bejubelten ihren Körper, wollten es später unbedingt noch einmal unter der Dusche machen - wollten ihre Fantasien in vollen Zügen ausleben – bis sie nur noch mit offenem Mund und geschlossenen Augen darauf warteten, dass Chantal deren unfassbare Kräfte glaubhaft lobte. Dann, erst dann, waren sie vollends glücklich.

    Jeder Kunde hatte das Anrecht darauf, individuell „bedient" zu werden.

    Wortlos kuschelte sie sich nun an den Schlafanzugträger. Sie wartete zunächst darauf, dass er ihr vielleicht ein Signal geben würde. Schließlich war er der König dieses Abends und dieser Nacht. Er, dieser König, entlohnte sie schließlich königlich.

    Doch. Verdammt. Davor hatte sie sich immer gefürchtet! Das war Gift für ihren Job, den sie so sehr liebt; den sie in den letzten Jahren zunehmend genoss.

    Dieser Mann, in seinem grässlichen Schlafanzug, war ihr im Laufe des Tages und vor allem während des Abends sympathisch geworden – sogar mehr als das.

    »Reiß‘ ihm diesen dämlichen Schlafanzug vom Leib. Lass‘ deiner Frivolität freien Lauf. Zeig‘ ihm, dass du eine Hure bist!«, schrie sie in sich hinein.

    »Zeig‘ vor allem dir, dass du nichts anderes als eine Liebesdienerin bist; eine einfallsreiche und professionelle Hure!«

    Oft hatte sie sich gefragt, ob es unerklärliche Schwingungen gab zwischen ihr und ihren Kunden.

    In den meisten Fällen waren es hilfreiche Schwingungen und Signale.

    »Oh Gott, lass‘ diesen Abend und diese Nacht ebenso verlaufen, wie die vielen, vielen anderen auch«, wünschte sie sich leicht zitternd – und schaltete das Licht aus.

    Als ob dieser Mann ihre Gedanken und Wünsche mitgehört hatte, nahm er sie in die Arme.

    Er genoss es. Das fühlte sie.

    Viele Minuten lag sie schweigend in seinen Armen. Eine knisternde, fast unheimliche Stille waberte durch den Raum. Sie schmiegte sich an seine Schulter; empfand wohlige Wärme.

    Plötzlich fühlte sie seinen Atem. Wollte er ihr einen Kuss geben? Oder wollte er ihr etwas sagen?

    Und dann glaubte sie, diesen Satz zu hören. Er flüsterte diesen Satz. Es war ein warmes und wohliges Flüstern. Seine Stimme zitterte leicht; war bittend, fragend, ehrlich:

    »Ich würde mich unendlich glücklich schätzen, wenn du mich heiraten würdest.«

    Auf alles war Chantal an diesem Abend vorbereitet. Aber nicht auf diese Frage; nicht auf diese Szene.

    Fast ruckartig richtete sie sich im Bett auf, um fast gleichzeitig das Licht wieder einzuschalten.

    Um nichts auf der Welt wusste sie, wie sie sich in den nächsten Sekunden verhalten sollte; was sie sagen würde, sagen musste, sagen durfte.

    Nach unendlich vielen Sekunden entschied sie sich für den Angriff. Im Extremfall würde sie einen Kunden verlieren; einen sympathischen Kunden. Sie war immer bereit gewesen, mehr zu geben, als dies viele ihrer Kunden für möglich gehalten hatten.

    Viele Kunden hatten in den letzten Monaten nicht nur ihren Körper gespürt, sondern auch ihr Herzblut.

    Mitunter war sie bereit gewesen, ihnen für ein paar Stunden oder auch für ein paar Tage, Einblick in ihre Seele zu gewähren. Das kam allerdings äußerst selten vor. Aber manchmal passierte es eben.

    Ihre Kunden dankten es ihr. Und kamen immer wieder.

    Zunächst entschied sie sich für ein dunkles Lachen, das ganz tief aus ihrem Körper herausbrach. Danach sprang sie aus dem Bett. Breitbeinig stellte sie sich in die Mitte des Raumes.

    »Schau mich an!«, schrie sie mit ausgebreiteten Armen.

    »Ich bin eine Hure. Gutgut. Ich bin eine teure Hure. Eine interessante und vielleicht sogar eine geistreiche Hure. Aber ich bin eine Hure.«

    Harald hatte sich ebenfalls im Bett aufgesetzt. Er lachte.

    »Einverstanden. Dann liebe ich eben eine Hure. Ich habe das Gefühl, dass ich dich mehr liebe, als ich jemals einen Menschen geliebt habe.«

    Chantal zerriss ihr teures Negligé und schleuderte es durch den Raum.

    »Bin ich so hässlich, dass du noch nicht einmal versucht hast, mit mir zu schlafen?!«

    Harald stand auf, und ging auf die Nackte zu.

    Er nahm sie in die Arme.

    Er drückte sie sanft an sich.

    »Du bist wunderschön. Du hast eine wahnsinnig erotische Ausstrahlung. Gerade deshalb wollte ich nicht mit dir schlafen … bevor ich meinen ganzen Mut aufgebracht habe, um dir diese Frage zu stellen.«

    Er gab ihr einen Kuss auf die Lippen und blickte in ihre Augen.

    »Ich liebe deinen Körper. Aber noch wichtiger ist für mich diese Madam Chantal, von der du heute Nachmittag auf der Terrasse gesprochen hast. Du bist eine intelligente, fantasievolle, empfindsame und warme Frau. Du bist all das, was ich bei Isolde immer vermisst habe.«

    »Entschuldige Harald. Ich habe weiß Gott viel Fantasie. Wir kennen uns erst seit ein paar Stunden. Wir haben uns beim Abendessen angeregt unterhalten. Dann hast du deinen tollen Schlafanzug angezogen, krabbelst ins Bett – und machst mir einen Heiratsantrag. Stelle dir einmal eine solche Szene in einem Film vor. Würdest du da nicht lachen oder zumindest herzhaft schmunzeln. Bitte. Bitte. Sage mir, dass das jetzt ein Scherz von dir war. Bitte!«

    Harald starrte die Entgeisterte ratlos an.

    »Eigentlich wollte ich dir das schon während des Abendessens sagen«, sagte er leise und zuckte mit den Schultern.

    Chantal riss sich wieder los.

    »Ich habe mit … Ach was, ich habe sie nicht gezählt«, schrie sie mit wilden Handbewegungen.

    »Ich habe mit unendlich vielen Männern geschlafen. Daran würdest du doch immer denken müssen, wenn du mich in den Arm nimmst. Das würde ich sogar verstehen.«

    Tränen kullerten über ihre Wangen.

    Gleichzeitig versuchte sie zu lachen.

    »Das ist der Frankenwein. Der ist tückisch. Harald Lambers, du bist ein Spinner.«

    »Ich sehe das völlig anders. Isolde war eine Hure. Sie ist immer noch eine Hure. Dagegen bist du eine Heilige … zumindest für mich. Wir sollten morgen noch einmal in aller Ruhe darüber sprechen. Bist du damit einverstanden?«

    Behutsam lotste er die nackte, lachende und weinende Frau wieder ins Bett zurück.

    Dort schmiegte sie sich zitternd an den Verliebten.

    »Nein. Damit warten wir nicht bis morgen«, schluchzte Chantal.

    »Ich finde dich sympathisch, sehr sogar. Aber ich habe mir geschworen, niemals zu heiraten. Ich könnte nicht mehr in den Spiegel schauen. Mein Spiegelbild würde mich immer anschreien:

    »Jetzt hast du es geschafft. Bislang warst du eine Liebesdienerin, eine Konkubine oder eine gutaussehende Escort-Begleiterin. Jetzt, nach vielen Jahren, bist du eine Nutte, die nicht nur ihren schönen Körper, sondern auch ihre verdammte Seele verkauft hat. Willst du das?! Kannst du das verantworten? Kannst du mich nicht ein bisschen verstehen?«

    Stille entstand im Raum.

    »Entschuldige. Das war wahnsinnig dumm von mir, dich so völlig unvorbereitet …«

    Harald beugte sich zur immer noch zitternden Frau hinüber.

    Sanft streichelte er über ihre Wangen.

    »Du bist doch eine kluge Frau. Was würdest du uns in dieser blöden Situation raten?«

    Blitzartig richtete sich Chantal im Bett auf. Während sie Harald hastig sowohl das Oberteil als auch die Hose des Schlafanzuges auszog, quietschte sie fast wie ein junges Mädchen:

    »Mit einem angezogenen Mann spreche ich heute kein einziges Wort mehr. Und ich rate dir, ab jetzt auch nicht mehr zu denken. Jetzt werden zwei andere miteinander kommunizieren. Dieser Bursche da …« sie fasste zwischen die Beine des völlig verdutzten Mannes … »muss doch ausgehungert sein. Ab heute nennen wir die beiden Akteure Cäsar und Cleopatra. Einverstanden?«

    Es erklang ein Lachen, begleitet von einem »Hm. Hm.«

    »Was heißt hier hm hm?!«

    »Du hast mir doch verboten zu sprechen«, quetschte Harald zwischen den fast geschlossenen Lippen hervor.

    Chantal schickte ihre Hände suchend auf die Reise. Bereits nach wenigen Sekunden begann sie leise zu kichern:

    »Schau einer an. Cäsar nimmt schon eine kriegerische Haltung ein. Aber nimm dich in Acht mein Freund. Du solltest Cleopatra nicht unterschätzen.«

    Es war eine lange Nacht geworden. Und am Morgen, die Sonnenstrahlen blinzelten interessiert durch die halbgeschlossenen Lamellen der großen Fenster, ging Cleopatra noch einmal auf Erkundungsreise.

    Am Frühstückstisch saß ein leicht lädierter und glücklicher Harald.

    Chantal wirkte munter und aufgekratzt. Schmunzelnd bearbeitete sie mit einem Löffelchen ihr Frühstücksei

    »Dein Vorschlag von gestern war alles andere als durchdacht. Künftig zusammen unter einem Dach – über

    Wochen, Monate oder gar Jahre. Das kann ich nicht verantworten. Das wäre geschäftsschädigend. Dein Unternehmen braucht einen ausgeschlafenen Kämpfer.«

    Harald ließ seine Tasse klirrend auf die Untertasse sinken. Seine Mimik verfinsterte sich schlagartig.

    »Willst du mir damit sagen, dass …«

    Weiter kam er nicht.

    Chantal warf ihm mit einem schelmischen Lächeln ein Küsschen über den Tisch.

    »Sei friedlich oh Gebieter des wackeren Cäsar. Ich möchte damit lediglich vorschlagen, dass wir uns jedes zweite Wochenende sehen. Dann bleibt unsere Liebe jung und prickelnd. Dann holst du dir Kraft und neue Inspirationen. Dann sind wir alle glücklich.«

    »Und ich wache jeden Morgen auf, und starre auf einen leeren Platz neben mir.«

    Chantal tätschelte die Hand des traurig Dreinblickenden und lächelte ihn dabei verliebt an.

    »Ach was. Dann erinnerst du dich an die zurückliegenden Tage und Nächte. Und gleichzeitig freust du dich auf unser nächstes gemeinsames Wochenende. Du wirst sehen, das Leben wird bunt, abwechslungsreich und herrlich.«

    »Habe ich eine andere Wahl?«

    »Selbstverständliche gibt es immer Alternativen. Gib mir den Laufpass. Suche dir eine Andere. Die Welt ist voll von Frauen, die dich gerne heiraten und ausnehmen würden.«

    Sie machte eine Kunstpause, und setzte dabei ihren geübten Schmollmund auf.

    »Aber … dann wären wir traurig - Cleopatra und ich.«

    Erneut machte sie eine kurze Pause, um leise fortzufahren:

    »Was haben wir zu verlieren. Vielleicht werden wir auf diese Weise alt und glücklich. Vielleicht sehe ich das in einem oder in zwei Jahren auch völlig anders.«

    Dieser letzte Satz war entscheidend. Er entschied über eine Freundschaft, die über viele Jahre Bestand haben sollte – bis zum Tod von Harald Lambers. Aber das war Jahre später; sechzehn Jahre, um genau zu sein.

    Es wurde noch ein wunderschöner Sonntag. Bevor sie sich am Abend verabschiedeten, rang Harald seinem Engel auf Zeit ab, ihn am darauffolgenden Wochenende in seiner Villa im Frankfurter Nordend zu besuchen; ausnahmsweise bereits schon am Freitagabend.

    Die Fahrt zurück nach Frankfurt legte Chantal wie in Trance zurück. Nein. Mit Harald wollte sie nicht fahren. Sie war mit dem IC gekommen, und hatte die Rückfahrt gebucht. In 75 Minuten würde sie am Hauptbahnhof Frankfurt aussteigen. Sie brauchte Zeit zum Nachdenken.

    »Ist das ein Zeichen, dass du langsam alt wirst?«, schimpfte sie in sich hinein. Noch nie in ihrem Leben hatte sie länger als eine halbe Stunde über ein zurückliegendes Date nachgedacht. Vor einem Treffen – das war etwas ganz anderes. Da benahm sie sich wie ein Rassepferd vor einem wichtigen Rennen. Hinterher war der Ausklang angesagt; das Runterfahren. Eine Ausnahme war, wenn sie glaubte, einen Fehler gemacht zu haben; daraus lernen zu müssen. Oder wenn sich ein Kunde total danebenbenommen hatte; wenn sie die Lage vor dem Treffen total falsch eingeschätzt hatte.

    Doch heute? Jetzt? Hätte sie sich anders entscheiden sollen? Blödsinn. Die Tür stand weiterhin offen. Aber eine enge Verbindung? Am Ende sogar eine Hochzeit? Und was dann?

    Eigentlich fing das richtig schöne Leben erst an. Zwei oder drei Dates in der Woche. Normalerweise kultivierte Männer; spendable Männer. Schöne Hotels und exquisites Essen. Das alles aufgeben? Für einen einzigen Mann? Für Harald?

    Aber warum, zum Teufel, quetschten sich ausgerechnet jetzt Szenen eines Treffens dazwischen? Vielleicht weil es eine grenzwertige Erfahrung war; am vergangenen Mittwoch, im Holiday Inn.

    Er hieß Udo Althoff, war 45 und hatte ein großes Architektur-Büro in Mainz. Ja. Er war ein gutaussehender Mann; fast ein Model-Typ. Doch dieser stattliche Mann war von der Natur auch stattlich ausgestattet worden. Sie konnte sich des Eindruckes nicht erwehren, dass er nur kam, um sich abzureagieren; als wolle er einen Wettbewerb der Stellungen gewinnen. Dabei wurde er laut und vulgär. Mein Gott, dachte sie währenddessen viele Male. Dieser Kerl kann doch nur seltenblöd sein. Das hätte er doch weitaus billiger haben können. Okay. Er entschuldigte sich anschließend; sogar viele Male. Und er bestand darauf, ihr quasi als eine Art Schmerzensgeld, zwei Fünfhundert- Euro-Scheine in die Hand zu drücken. In drei Stunden hatte sie 2 500 Euro „verdient". Trotzdem war sie geneigt, die zwei Fünfhundert-Euro-Scheine auf den Tisch zu legen, und ihm eine Adresse ihrer vielen Freundinnen von früher zu nennen. Doch sie hatte sich vorgenommen Stil zu zeigen. Ein nächstes Date würde es nicht geben. Sie verabschiedete sich sogar mit einem lächelnden Küsschen.

    Wollte eine Stimme in ihr vielleicht zu verstehen geben, dass sie das alles hinter sich lassen könnte … wenn, wenn sie Harald heiraten würde. Er würde sie auf Händen tragen. Fraglos. Er war mehr als wohlhabend. Und er hatte Niveau.

    »Er. Er. Er«, fauchte sie in sich hinein.

    »Oh ja. Er ist sympathisch. Nein. Das stimmt so nicht. Ich liebe ihn. Zumindest habe ich mir das eingebildet; bilde es mir immer noch ein! Bislang habe ich noch keinen Mann geliebt. Das will ich auch in Zukunft nicht tun. Dafür bin ich nicht geschaffen. Ich brauche diesen verdammten Sex; schönen Sex; guten Sex. Dieses erregende Knistern bei immer anderen Männern; interessanten Männern. Irgendjemand … da oben … oder wo auch immer … muss sich etwas dabei gedacht haben, mich so zu programmieren. Ich will nicht lügen müssen. Ich will nicht betrügen müssen. Wir werden sehen wie es weitergeht; was das Schicksal für mich, vielleicht für uns, vorgesehen hat.«

    Am Freitag-Nachmittag war sie überrascht und beeindruckt.

    Zur Straßenseite hin wirkte die Villa mit ihren beiden Türmchen und den hohen Fenstern mit den graugrünen Fensterläden eher wie ein trutziges Überbleibsel aus längst vergangenen Tagen.

    Doch das war, wie sich rasch herausstellen sollte, nur Fassade.

    In der riesigen und hohen Eingangshalle, mit dem geschwungenen und großzügigen Aufgang zum ersten Stock, dominierten zwei große und lachende Buddha-Statuen.

    Im überdimensionierten Salon hätte sich ihr Zwei-Zimmer-Appartement mit Sicherheit in einer Ecke des Raumes niedlich ausgemacht. An der Rückseite des altehrwürdigen Gebäudes war ein moderner Anbau entstanden.

    Die gigantische Fensterfront ließ einen Blick in den Japan-Garten mit vielen riesigen Bonsai-Gewächsen und einem Teich mit Brückchen zu.

    Ein schmaler Pfad führte zu einem verwunschenen Häuschen in der hintersten Ecke des Grundstückes.

    Wie sich später herausstellte, wohnte dort der Gärtner des Vorbesitzers.

    Sie hatte zwar schon von solchen Bauten im Nordosten von Frankfurt gehört.

    Aber das hier übertraf alle ihre Erwartungen.

    Chantal begrüßte Harald mit einem innigen Kuss, um lachend anzufügen:

    »Okay mein Freund. Du siehst eine tief beeindruckte Chantal. Wenn du das vorhattest, dann ist dir das gelungen. Trotzdem. Für mich zählt nur der Mensch Harald Lambers. Erst heute wird mir bewusst, warum ich bislang alle Einladungen in Privatwohnungen kategorisch ausgeschlagen habe.«

    »Umso mehr freut es mich, dass du dich heute zu einer Ausnahme durchgerungen hast. Darf ich dich kurz durch das etwas zu groß geratene Wochenendhaus führen?«

    Das Erdgeschoss wurde vom Salon mit offenen Kamin, einem Küchentrakt, dem Esszimmer mit Blick auf die Gartenanlage, Toiletten und einem Ruheraum eingenommen. Im Seitentrakt befand sich ein Schwimmbad. Die Fensterfronten reichten bis zum Boden. Hinter der Dusche und einer Sauna befand sich ein Fitness-Raum und ein Whirl-Pool.

    Im Ersten Stock, und das fiel Chantal sofort auf, gab es zwei große Schlafzimmer; jedes mit einem Doppelbett. Dazwischen waren begehbare Kleiderschränke installiert worden; wie eine symbolische Mauer.

    Von jedem Schlafzimmer aus war ein überdimensioniertes Badezimmer zu erreichen.

    Im Seitentrakt, quasi über dem Schwimmbad, befanden sich drei weitere, große Zimmer; jeweils mit einem kleinen Bad und Toilette.

    »Eine einzige Frage«, säuselte Chantal, letztlich doch sichtlich beeindruckt.

    »Das hier ist erkennbar dein Schlafgemach. Entschuldige die neugierige Frage: Ist das noch …« Sie hüstelte ». jungfräulich?«

    Harald wurde von einem Lachanfall geschüttelt.

    Er hielt sich eine Hand vor den Mund, um sein Glucksen und Prusten zu unterdrücken.

    Chantal musterte ihn ärgerlich und leicht pikiert.

    »Entschuldige mein Schatz«, sagte er lachend. »Aber fast exakt diesen Satz habe ich heute Nacht im Traum gehört. Davon bin ich dann aufgewacht. Ich habe mich sogar im Bett aufgesetzt, und in die Dunkelheit hineingestarrt. Eine Stimme in mir hat gewettet, dass ein solcher oder ähnlicher Satz niemals von dir kommen würde. Okay. Okay. Die andere Stimme hat gewonnen. Was für ein Wahnsinn.«

    »Jetzt ist es aber gut«, sagte Chantal mit süßsaurer Miene. »Ich wundere mich selbst über diese total bescheuerte Frage. Wenn ich das nächste Mal bei meinem Seelenklempner bin, werde ich …«

    Sie machte eine wegwerfende Handbewegung.

    »Quatsch. Ich sehe jetzt schon seine hochgezogenen Augenbrauen. Er wird auf die Uhr schauen und fragen, ob ich Zeit mitgebracht habe, viel Zeit.«

    Der lachende Hausherr nahm die Escort-Dame in die Arme.

    »Warum, um alles in der Welt, hast du ihm diese bescheuerte Frage gestellt?«, schimpfte sie in sich hinein. »Ausgerechnet eine Frau, und noch dazu eine Edel-Hure, die in vielen hundert Betten, zusammen mit zuvor wildfremden Männern … hat diese Frage gestellt.

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