Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Die silberne Riesin: Als Maria Theresia das Nashorn traf. Ein historischer Roman
Die silberne Riesin: Als Maria Theresia das Nashorn traf. Ein historischer Roman
Die silberne Riesin: Als Maria Theresia das Nashorn traf. Ein historischer Roman
eBook374 Seiten4 Stunden

Die silberne Riesin: Als Maria Theresia das Nashorn traf. Ein historischer Roman

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Eine zahme Bestie auf Grand Tour d'Europe: Nashorn trifft Kaiserin!

Das erste Nashorn, das nach Jahrhunderten Europa lebend erreichte
Maria Theresia, Voltaire, Madame Pompadour – sie alle wurden zu Nebenfiguren, als sie in Europa eintraf: die gefürchtete und gefeierte Nashorndame Clara. Wieso schrieb ihr Casanova ein Liebesgedicht? Was hat Clara mit Tabak und Bier zu tun? Und wie konnte sie für die Menschen gleichermaßen eine Höllenbestie und eine Salonschönheit sein?
Jeannine Meighörner erzählt eine außergewöhnliche und einzigartige Geschichte: die Reise der Nashorndame Clara, die, nachdem Wilderer ihre Mutter ermordeten, in Gefangenschaft geriet – und dort wie ein Schoßhündchen aufwuchs. Bis sie ihre Reise von Indien über Kapstadt nach Wien, Rom und Versailles antrat, wo sich die Monarchen, Künstler und Philosophen um eine Audienz rissen. Denn niemand in Europa hatte seit Jahrhunderten je ein lebendes Nashorn zu Gesicht bekommen.

Politische Machtspiele inbegriffen
Es ist aber nicht nur ein idyllisches Bild von menschlicher Neugier und Zuneigung zu diesem Wundertier, das Meighörner zeichnet, sondern auch ein aufregender Einblick in die Machtkämpfe zwischen den europäischen Adelsfamilien des 18. Jahrhunderts, die diesem Schauspiel zugrunde lagen. Clara traf das Who-is-Who des europäischen Adels. Maria Theresia wurde sogar vor dem Treffen gewarnt: "S'Monstrum schauen" könnte ihrem ungeborenen Kind schaden. Es wagten aber auch noch andere: Friedrich der Große, König Ludwig XV mit seiner Madame Pompadour genauso wie Diderot, Rousseau, Johann Sebastian Bach und Casanova. In allen europäischen Zentren mit all ihren kulturellen Besonderheiten: Wien, Roman, Venedig, Zürich und Versailles.

Mit allen Sinnen eintauchen in Claras Geschichte
Clara ist für manche von Meighörners Figuren eine unselige Missgeburt, für andere das Wunder von Leiden oder die Orangenprinzessin – in jedem Fall aber eine silberne Riesin.
Dass sie Claras Geschichte auf Papier erzählt, hält Meighörner aber nicht davon ab, die ganze Bandbreite unserer Sinne zu bedienen: Wer wissen will, wie eine kahl rasierte Glatze in der brütenden Hitze Indiens unter einer zu stark gepuderten Perücke juckt, der kann das bei Meighörner nachfühlen. Und was Maria Theresia bei ihrem ersten Treffen mit Clara gerochen hat, steigt von den Buchseiten direkt in die Nase. Es war überraschend, so viel sei verraten!
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum1. März 2022
ISBN9783710767913
Die silberne Riesin: Als Maria Theresia das Nashorn traf. Ein historischer Roman

Mehr von Jeannine Meighörner lesen

Ähnlich wie Die silberne Riesin

Ähnliche E-Books

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Die silberne Riesin

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Die silberne Riesin - Jeannine Meighörner

    I. ’s Monstrum nicht schauen …?

    5. November 1746 – Schloss Schönbrunn

    Maria Theresia gähnte mit weit aufgerissenem Mund. Erstaunlich weiße Zähne blitzten im fahlen Licht eines Tages, der noch keine Farben besaß. Ihr erster Blick galt dem Gesicht ihres Mannes. Dessen Lider flatterten insektenflügelgleich. Ein Kaiser lag als einfacher Mann in seinem Nachtschweiß, gefangen in einem Traum. Sollte sie die Flatterlider küssen?

    Sie beugte sich über den Schlafenden – und schreckte zurück: Der Burgenländer vom Souper sprach aus ihm. Bis Mitternacht hatte er getafelt, seine Lippen purpurn vom Wein. Das zunehmende Licht verriet: Der Rote hatte auch wie mit Tinte gezeichnete Konturen um seinen Mund hinterlassen. „Lustige Lachwinkel", kicherte sie leise. Kein Mann außer ihm war ihr je begegnet, der so wohlgeformte Lippen besaß. Dabei gab sich halb Europa bei ihr die Klinke in die Hand. Zerrte an ihr.

    Umso mehr genoss sie diese süße Benommenheit, wenn der Tag noch jung war und sie nur ein vernarrtes Ding mit vom Schlaf zerwühltem Haar, das seine Nase kitzeln würde bei einem Kuss. So widerstand sie. Sie liebte ihren Mann, liebte aber auch die frühen Stunden, wenn er noch schlief.

    Man lag jede Nacht beisammen. Wo gab es das in ihren Kreisen? Ihr Ehebett − genau mittig zwischen ihren und seinen Gemächern platziert − war ihre Arche in dem stürmischen Ozean, zu dem ihr Leben geworden war. Noch wollte sie das wohlige Nest nicht verlassen, dabei war sie als Frühaufsteherin gefürchtet, als „Generalin des Morgengrauens". Sie kannte das Geschwätz der Domestiken.

    Das untrügliche Rauschen des Regens drang durch die großen Fenster, die im Sommer das gewaltige Grün von Schönbrunn und die Sonne in ihre Gemächer einluden. Sie hatte schon barfuß auf Sonnenkringeln getanzt. Heute würde man sie unter einem Himmel aus Blei durch holprige Straßen voll schlammiger Pfützen karren. Durch das Zimmer kroch eine klamme Kälte wie ein ängstliches Tier.

    Sie dachte an die seltsame Kreatur, der sie später begegnen würde. Man stelle sich das vor: Ein Kaiserpaar verließ seinen Palast, um einem Tier die Ehre zu erweisen. Hofierte ein Stück Vieh. Aber war es das überhaupt? Man hörte Abenteuerliches über dieses … dieses … Ding. Kam es tatsächlich aus einem Land der ewigen Sonne? Dann fror es nun wohl jämmerlich, denn auf der Freyung ging immer der Wind. Aber dieser Platz im Herzen der Stadt war mit Kalkül gewählt, ihn umgaben Adelspaläste mit spendierfreudigem Publikum.

    Aber wozu sich jetzt den Kopf zerbrechen? Sie hauchte: „Noch bin ich nicht im Geschirr. So nannte sie das Repräsentieren- und Regierenmüssen, die Mühsal des ewigen Taktierens. „Noch lastet auf meinem Nacken kein schweres Joch. War sie erst im Geschirr, galt es, mit aller Kraft zu ziehen und dabei die Richtung zu bestimmen in unwegsamem Terrain bei erdrückender, voller Verantwortung. „Keinem Zugtier mutet man das zu, keinem Bierross, keinem Fiakergaul." Sie bemerkte das Selbstgespräch und verstummte.

    Gottseidank war sie mit robuster Gesundheit gesegnet und mit Humor, am liebsten Wienerisch derb. Überhaupt war sie jetzt nur eine Frau, die den warmen Körper eines Mannes neben sich spürte und die Bettdecke fester an sich zog. Noch war sie ihr Schutz gegen all das, was dieser Tag zu werden drohte. Ihre Hände glitten wie von selbst unter ihr Nachtgewand. Die Handflächen formten einen Halbmond unter ihrem Nabel. Die Haut fühlte sich dort seltsam an: weich und wellig.

    Ihre Schwangerschaften hatten Spuren hinterlassen. Rillen des Lebens. Sie blieben Franz Stephan nicht verborgen. Leider. „Madame, Ihre Taille zieren Jahresringe, da ich ein so guter Bevölkerer bin. Haha, ein Bevölkerer mit einem Glückstreffer pro Jahr." Dieser Scherz war sein liebster. Ja, er konnte sich aufplustern wie ein spanischer Don Juan, und so war er auch unterwegs. Man hatte es ihr zugetragen. Ein Seufzer drang tief aus ihrer Brust. Selbst eine Frau wie sie besaß ihren Mann nie für sich allein. Zumindest aber besaß sie die Mittel, ihren Hahn überwachen zu lassen und sein Kratzen in einem anderen Hühnerhof mit dem Sand der Diskretion zu bestreuen.

    Sie biss sich nachdenklich auf die Unterlippe. Nun, bei Tageslicht betrachtet, hatte sie tatsächlich keine Taille mehr: Sie besaß ein eng geschnürtes Korsett. In den zehn Jahren ihrer Ehe war ständig Leben in ihr herangewachsen. Sie war eigentlich immer schwanger gewesen oder in den Wehen gelegen. Erst vor Kurzem mit Maria Amalia. Nie hatte sie Zwillinge geboren und keine Leibesfrucht zu früh verloren. Sie wusste von Frauen, die von Fehlgeburt zu Fehlgeburt allmählich ihr Leben aushauchten. Unter Blutstürzen, Schmerzen und Scham. Doch hatte eine einfache Weibsperson die Wahl? Ja hatte sie eine Wahl? Nein, der Druck lastete doppelt auf ihr, neues Leben hervorzubringen. Bevorzugt Söhne, Söhne, Söhne. „Ich muss im Geschirr gebären", seufzte Maria Theresia.

    Plötzlich huschte ein Lächeln um ihren Mund, sie erinnerte sich an eine weitere Sottise ihres Mannes: Sie sei ein guter Mutterboden für seinen Samen. Der Kaiser neigte zu Zweideutigkeiten, lag sie in seinen Armen. Über den Mutterboden hatten sie beide herzlich gelacht.

    Die Umarmungen Franz Stephans taten ihr jedoch nicht immer gut. So hatte sie ihren neuen Leibarzt Gerard van Swieten mit der für eine Frau ungeheuerlichen Frage konsultiert: „Wie bereitet mir die Liebe mehr Pläsir?" Mir! Seine Antwort, schmallippig vorgetragen, hatte sie aus dem Stand heraus erzürnt: Das Glück einer Ehefrau liege im Empfangen und Erdulden. Im Erdulden? Was solle sie noch alles erdulden? Ewige Schwangerschaften und einen ihr von eitler Mannhaftigkeit aufgezwungenen Krieg? Als sie den Holländer in ihre Dienste genommen hatte, hielt sie ihn für einen Vertreter des neuen Denkens. Einen Reformer. Schließlich war er ein Schüler des legendären Naturforschers Herman Boerhaave aus Löwen gewesen, der schon ihren Franz Stephan als jungen Mann von den Blattern geheilt hatte. Doch galt dieses Denken allein für Männer der Wissenschaft? Die sei Frauen ja verboten. Selbst die Heilkunde für Frauen sei ein vermaledeiter Herrenclub, hatte sie noch in ihrer Empörung geschimpft. Der Doktor war über ihre Worte sichtlich erstaunt gewesen. Nun, der kühle Kopf von der Nordsee würde sich an ihr Temperament gewöhnen müssen, sonst hätte er keine Zukunft in Wien.

    Sie hatte beschlossen, ihrem weiblichen Instinkt mehr zu vertrauen. Wieso eigentlich nicht jetzt? Sie betastete die Rillen des Lebens mit den Fingerkuppen, zeichnete behutsam deren Ränder nach. Hielt den Atem an, hörte in sich hinein. Mhm … Keimte da wieder etwas unter diesen Hautfalten? Wuchs neues Leben heran in ihr? Puh … Nicht schon wieder, es wäre ihr neuntes Kind! „Zehn sind genug, hörte sie sich sagen. „Zehn! Die Zahl zischte aus ihrem Mund, messerscharf und fest entschlossen. Sie wäre bald im dreißigsten Jahr, wäre also nicht mehr jung, jedes Kindbett wäre riskanter. Das wusste auch ihr Leibarzt, der Geburtshilfe sogar an der Wiener Universität unterrichten lassen wollte. Aber wie sollte sie Franz Stephan beibringen, dass sein Talent bald nicht mehr gefragt wäre? Sein Talent als Bevölkerer. Man führte ja doch eine sehr körperliche Ehe.

    Sie kaute auf ihren Lippen herum, bis es wehtat – eine schlechte Angewohnheit! Sie durften nicht anschwellen, nicht bluten. Später müsste sie makellos aussehen, selbst vor Leuten, die sie nie in Schönbrunn empfinge. Jenem Geschäftemacher mit diesem angeblichen Wundertier und den angelockten Gaffern. Sie beäugten ein Vieh und begafften dabei doch sie. Wo läge der Unterschied? Das Volk gierte nach Sensationen. Gab es nicht auch Rangeleien um die besten Plätze bei Hinrichtungen?

    Sie spürte wieder Unmut in sich und kämpfte dagegen an, indem sie sich auf ihr Bett besann und den Mann darin. Bewies ihre stolze Kinderschar nicht auch ihr gemeinsames Glück? Ihre ewige Vernarrtheit ineinander? Diese wurde adeligen Damen selten zuteil, wenn sich ihre Don Juans – fern vom Ehebett – mit ihren Mätressen vergnügten. Ihr Mann lag zumindest nachts bei ihr. Jede Nacht. Und wagte er nicht kürzlich die Prognose: Es wäre bald wieder an der Zeit – sie empfinge ja schon, wenn er sie nur anlächle?

    Doch ihr Bauch gehörte nicht nur ihm und schon gar nicht ihr allein. Nein, der Bauch einer Herrscherin war ein öffentlicher Bauch, ein Herrschaftsbauch. Der Fortbestand des Hauses Habsburg und das Schicksal seiner Untertanen hingen von ihrem Körper ab, seinem simplen Funktionieren. So sah das ihr Doktor van Swieten unter seinem Männerhut der Wissenschaft. Sie wusste das längst, besaß aber die Schläue einer Frau. Nicht umsonst ließ sie jede Empfängnis als Ereignis zelebrieren. Wenn sie erste Kindsbewegungen spürte und sich sicher war, ließ sie sich feierlich in einer prunkvollen Sänfte zum Gottesdienst tragen und schwebte auf Samtkissen und Blattgold gleich einem Himmelswesen in die Kirche ein. Ein starkes Signal, das verriet: Heureka! Unsere Königin von Gottes Gnaden ist wieder gesegneten Leibes!

    Als sie vor drei Jahren eine Schwangerschaft länger verheimlicht hatte – es war ihre sechste und jene mit Maria Elisabeth gewesen, sie wusste dies immer ganz genau –, taten alle verstimmt. Dabei wollte sie nur dummes Gerede vermeiden, als sie als Reiterin beim sogenannten Damenkarussell in der Wiener Hofreitschule auftrat, um einen Sieg über Preußen zu feiern, dem sie Böhmen hatte entreißen wollen. Ihr goldenes Böhmen! Sie war auf einem Hengst in die Hofreitschule geprescht, dass der Sand aufstob, wollte sich ein Mal als siegreiche Kriegsherrin fühlen, gefeiert vom Publikum. Sie hatte sogar heimlich Reitstunden genommen, um auf dem feurigen Gaul eine gute Figur zu machen. Kämpferisch wie eine Amazone.

    Und gönnte man ihr dieses Amüsement? Die Wiener Gesellschaft applaudierte zum Schein, hintenherum echauffierte man sich jedoch. Eine Dame und gute Mutter führe sich nicht so auf, hieß es. Doch keine dieser Puderpomeranzen mit ihren degoutanten Schönheitspflästerchen war so mutig, wie sie es war. Während man sie in Böhmen für ihren Sieg feierte, tobte sich daheim die Blödheit an ihr aus. Am schlimmsten lärmten die Hanswurste, die Bierbäuche. Der Kaiser bringe sicher noch ein paar künftige Kaiser und Könige zusammen, sofern seine Madame von ihrem hohen Ross heruntersteige, vergnügte man sich in den Dorfschenken.

    Ein weiterer Seufzer drang aus ihrer Brust. Sie gab ihr Bestes, war bienenfleißig, liebte ihre Heimat, verließ sie ungern und tat alles für sie. Drang dies durch bis zu jenen vorlauten Bierwänsten? Nein! Aber Franz Stephan flogen die Herzen zu. Allein weil er ein Mannsbild war.

    Dabei hatte ihre Familie ihn, nicht er sie gerettet. Vor gut fünfzehn Jahren und nach der Besetzung Lothringens durch die Franzosen hatte ihr Vater den seiner Heimat beraubten Pechvogel gnädig am Wiener Hof aufgenommen. Der junge Exilant hatte es verstanden, sich als dessen Jagdgefährte beliebt zu machen und durch seine lustige Art hervorzutun. Auch sie, ein dürres, blasses Hascherl, hatte Franz Stephan zum Lachen gebracht. Aus ihren Albernheiten erwuchs jedoch ein Gefühl, größer als eine Kinderfreundschaft. Dabei hatte ihr Vater weit bessere Partien für sie im Sinn gehabt, schließlich war sie die Tochter des Kaisers. Aber sie wollte sich nicht ins Ausland verschachern lassen wie eine Trophäe. Und schon gar nicht nach Berlin. Ihr Herz hing an Wien und an einem charmanten Flüchtling. Nicht umsonst war ihr Vater erzürnt. Sie hätte die Ressentiments Preußens beenden können. Mit einem Ehering und einem befruchteten Herrschaftsbauch. Oh, glückliches Österreich, heirate! Oh, unglückliches Österreich, heirate den Falschen?

    Nun verströmte ihr Herzensdieb seinen Nachtgeruch, den sie mochte – bis auf die saure Note des Weins. Plötzlich rundete er die Lippen, als küsse er die Luft. Der dunkle Rotweinrahmen um seinen Mund kräuselte sich und seine Hände tasteten auf der Suche nach Maria Theresias Körper über das Bettlaken. Ein komischer Anblick, fast hätte sie laut herausgeprustet, doch man durfte Franz Stephan selbst im Halbschlaf nicht unterschätzen. So kam es ihr gelegen, als aus ihrem Ankleidezimmer ein Lichtschein unter der Türschwelle aufleuchtete. Sie hatte die Kammerzofen heute früher bestellt.

    Sie schlüpfte aus dem Bett und tapste auf nackten Füßen dem Streifen Honiglicht entgegen. Die Kälte des Bodens machte sie hellwach. Nach einigen Schritten hielt sie jedoch abrupt inne. Sie erschauerte unter einem Gefühl: zart und gewaltig zugleich. Es war, als flöge ein Schwarm Schmetterlinge an ihrer Bauchdecke entlang. Ihr entfuhr ein erstauntes „Oh!". Wie in Trance zog sie ihren Morgenmantel über, streifte Pantoffel über die Füße. Nichts war vergleichbar mit dem Moment, wenn sich erstmals neues Leben bei seiner Mutter ankündigte. Diesem Zauber. Sie wollte lachen, tanzen, weinen – sie, die ewig Schwangere.

    Dieser Taumel war noch in ihr, als sie das Reich ihrer Kleider betrat. Mit einem versonnenen Lächeln schloss sie die knarzende Tür. Und erschrak! Anstatt einer Zofe stolperte ihre Obersthofmeisterin, Maria Karolina von Fuchs-Mollard, ins Licht. In ihrem Blick ein Ausdruck, als sei der Leibhaftige hinter ihr her. Maria Theresia zog irritiert die Augenbrauen hoch. Brauen, die selbst ihre Kritiker beeindruckten. Auch ihre ausdrucksstarken Augen gefielen weit besser als ein Kuriosum in der Politik: eine Frau. Seit dieses seltsame Tier quer durch Europa stampfte, das sie später besichtigen sollte, hatte man sie auch schon als „das Monstrum an der Macht" verhöhnt. Sie!

    „Meine Königin, ich muss Euch warnen: Meidet dieses Monstrum. Solltet Ihr wieder einmal guter Hoffnung sein, dürft Ihr nur Schönes anschauen, soll ’s Kind hübsch werden. Ihr dürft Euch auch nicht erschrecken und dabei berühren, soll ’s Kind kein Muttermal bekommen. Und vor allem vor großem Schrecken muss man’s bewahren, sonst bekommt ’s Kindl das böse Wesen."

    Die Stimme der Obersthofmeisterin überschlug sich fast. Dazu verdrehte sie ihre Augäpfel, als gäbe ihr der Allmächtige eine Botschaft ein. Eine Geheimbotschaft für Ihre Majestät. Im flackernden Kerzenschein war das doch ein recht gruseliger Anblick. In ihrer unermüdlichen Wachsamkeit hatte sie mitunter etwas Furchteinflößendes. Nicht umsonst nannte man sie „die Füchsin". Tatsächlich besaß sie ein Pelztierwesen, das überall Gefahren witterte und für Palastintrigen einen Riecher hatte.

    „Mir guten Morgen zu wünschen, kam Euch nicht in den Sinn? Nur dieser Unsinn? Ihr seid zu hoch geschnürt, werte Füchsin. Spart Euren Atem, bedenkt Euer Alter", erwiderte Maria Theresia nun betont kühl. Das saß. Sie wollte diese alarmierte Stimmlage auf Abstand halten zwischen sich und dem, was in ihr geschah. Diesem Wunder. Eigentlich schätzte sie den Rat der Füchsin und empfand tiefe Zuneigung zu ihr. Aber heute kam sie zu Unzeiten in ihre privaten Gemächer. Und dann mit so einem Benehmen?

    *

    Die Füchsin spürte, wie ihr das Blut zu Kopfe stieg. Sie neigte zu nervösen Flecken an Hals und Dekolleté. Nicht umsonst hatte sie sich mitten in der Nacht herrichten und pudern lassen. Sie musste überzeugen, musste diese törichte, vom Schlaf zerwühlte Frau beschützen. Seit deren Geburt tat sie kaum etwas anderes. Zwar hatte der 13. Mai 1717 dem Wonnemonat alle Ehre gemacht, man hatte die neugeborene Maria Theresia Walburga Amalia Christina aber noch im Licht desselben Tages getauft – auch auf ihr Zuraten hin. Die Seele der Kleinen wäre so nicht an den Teufel gefallen, hätte der Kindstod nach ihr gegriffen. Immerhin starben Neugeborene ja wie die Fliegen. Auch deshalb hatten die Kindseltern, Kaiser Karl VI. und seine Frau Elisabeth Christine von Braunschweig-Wolfenbüttel – früher eine überzeugte Protestantin –, eine verdiente Hofdame als Kinderfrau gewählt und als persönliche Beschützerin des Mädchens: sie, die Füchsin.

    Die kleine Resi, so Maria Theresias Kosename, hatte an ihrer Hand die ersten Schrittchen gewagt. Und man beschritt auch den weiteren Weg zusammen − seit nunmehr fast dreißig Jahren. Doch ausgerechnet jetzt musste sie Resi auf dem falschen Fuß erwischen. Deren Herrschaftsfuß. Zwar trug Maria Theresia Pantoffeln aus nachtblauer Seide, doch sie klapperte damit durch ihre Gemächer, als treibe ein Uhrwerk sie an. Tack, tack, tack.

    Die Füchsin probierte ein Lächeln, doch es geriet ihr schief. Sie fühlte sich in Resis Gegenwart uralt und linkisch, die Junge war um ihr Auftreten zu beneiden. Ja selbst in diesem Aufzug und mit ihrem unfrisierten Haar wirkte Maria Theresias Körperhaltung majestätisch. Trüge sie eine Maske, würde man sie dennoch an ihrem Gang erkennen, während verkleidete Bauern sich mit groben Gebärden immer als Bauern verrieten, dachte die Füchsin. Doch hinter Maria Theresias kinderblauen Augen, ihrem freundlich geformten Mund, ihrem alabasternen Teint – sie besaß die Haut ihrer Mutter, die ihr Vater „meine weiße Lisl" genannt hatte – und ihrer natürlichen Grazie verbarg sich ein eiserner Wille zur Macht. Sie wollte alles wissen, alles kontrollieren. Sie war mehr als eine Generalin des Morgengrauens, sie war eine Generalin, bis sie am Abend die Augen schloss, selbst wenn sie wie ein Engel aufzutreten verstand.

    Sie durfte sich von dieser Frau nicht bezirzen lassen, von ihrem gefährlichen Charme. Kein Geringerer als Friedrich von Preußen hatte mit diesen Worten seine Gesandten in Wien gewarnt.

    Nicht umsonst nannte Maria Theresia ihren Erzfeind aus Berlin ganz uncharmant „das Monstrum. Er schimpfte sie die „Wiener Gebäranstalt. Sie hasste ihn umso mehr, da er ihr Schlesien und Böhmen abgenommen hatte, kaum war ihr Vater verstorben. Ohne Kriegserklärung war er einmarschiert, diese preußische Viper.

    Zwar hatte ihr Vater sie zur Erbtochter des Hauses Habsburg bestimmt mittels jener Pragmatischen Sanktion, über die nun alle sprachen. Er hatte seiner Erbtochter aber jede politische Erziehung vorenthalten. Dass sie zierlich tanzte, talentvoll schauspielte und eine helle Gesangsstimme besaß, zählte nicht in der Weltpolitik. Und Verträge, die ihr Vater ausgehandelt hatte, damit ein Frauenzimmer als alleinige Erbin der habsburgischen Monarchie anerkannt und in Europas Zirkel der Macht geduldet wurde, waren nach seinem Tod das Papier nicht wert gewesen.

    Sie hatte in seine Fußstapfen treten müssen wie ein Lamm, das man zur Schlachtbank führte. Jeder Herrscher in Europa hatte die unbedarfte Idiotin fallen sehen wollen, jeder hatte ihr Land begehrt. Anfang zwanzig war sie damals gewesen und von Feinden umzingelt. Karl Albrecht von Bayern bedrängte sie mit Waffen, aber auch Philipp von Spanien, August III. von Sachsen und die ewig lauernden Franzosen – alle wollten sich ein Stück aus dem zarten Fleisch des habsburgischen Lämmchens herausschneiden. Ein Filetstück. Zu allem Elend waren auch noch ihre Staatskassen leer.

    Kurze Zeit nach ihr war dann jener Friedrich von Preußen an die Macht gekommen, kaum älter als sie. Man hatte ihn ja als Heiratskandidaten gehandelt, aber sie hatte Wien für diesen Abkömmling eines kaltherzigen Soldatenkönigs nicht verlassen wollen. Genauso wenig wie ihre Jugendliebe Franz Stephan.

    Was hatte der Verschmähte getan, den sein eigener Vater als „Deserteur" hart bestraft und als Nichtnutz beschimpft hatte, als einen Schwärmer und weibischen Flötenspieler ohne politischen Verstand? Kaum hatte der Tod seinem Soldatenvater die Macht entrissen, marschierte der Flötenspieler in Schlesien ein. Maria Theresias Schlesien, ihrer Kornkammer. Selbst Böhmen versuchte er an sich zu reißen. Der Preuße entfachte einen blutigen Krieg, den Österreich auf den Schlachtfeldern meist verlor. Sie war zu jung gewesen, ihre Generäle zu alt und ihre Soldaten zu schlecht bewaffnet.

    So war sie notgedungen selbst zu einer Art Generalin geworden. Wagte Reformen, studierte nächtelang Akten, wenn der Palast noch schlief. Ihr Mann sowieso. Nun, sie war klug genug, Franz Stephan zu lieben, ohne eine Einmischung in ihre Geschäfte zu dulden. Davon verstand er nichts. Und nun?

    „Erspart mir diesen Aberglauben, unterbrach Maria Theresia die Füchsin jäh. „Wir sind in Schönbrunn, nicht unter Bauern mit einem stinkenden Misthaufen als Gipfel der Erkenntnis.

    „Aber Majestät, Ihr handelt ausdrücklich gegen das Hofdekret vom 27. August 1773. Ich zitiere: ‚Mit grässlichen Schäden behaftete Bettler sind fortzuschaffen, weil daraus üble Folgen für eine Leibesfrucht Ihrer Majestät entstehen könnten …‘"

    „Herrgott, ich bin der Hof", wurde die Füchsin erneut unterbrochen. Sie wusste, dass Maria Theresia nicht leicht zu beeindrucken war und ihre Schwangerschaften bisher erstaunlich mühelos ertrug. Sie wusste auch, dass körperliche Schwächen sie ungeduldig machten, ja ärgerlich. Aber eine Füchsin hatte einen langen Atem und war listenreich. Sie würde Maria Theresia diesen riskanten Besuch schon noch vergällen.

    „Aber Majestät, es stand auch in den Gazetten und im Wienerischen Diarium ganz groß, dass die Bestie mit ihrem Teufelshorn eine ungesunde Belustigung sei. Zudem ordinär." Die Füchsin griff in ihr Dekolleté und zog einen Fetzen Papier hervor, den sie Maria Theresia vor die Nase hielt. Diese nahm ihn mit spitzen Fingern.

    „Was soll an einem Tier ordinär sein? Und Euer Beweisstück ist von Eurem Busen gewärmt", stöhnte Maria Theresia pikiert.

    Das bedruckte Papier zeigte ein seltsames Wesen, daneben posierte ein Mann in einer fremdartigen Uniform. Er wirkte winzig, das Wesen riesengroß. Ein verstörender Anblick. Aber nun war nicht der Moment, Schwäche zu zeigen. „Der Pöbel eilt, vom Bösen verführt", zeterte die Füchsin.

    Maria Theresia ließ das Blatt zu Boden fallen und erhob ihre Hand: das Signal, zu schweigen. Eine schmale, weiße Hand, aber eine herrische Geste. „Der Besitzer dieses Tieres scheint sein Handwerk zu verstehen. Und was die Wiener in Scharen anlockt, soll ich ignorieren? Meine Wiener? Versteht Ihr denn gar nichts von Politik?" Maria Theresia verdrehte die Augen wie die Füchsin zuvor.

    „Aber Ihre Majestät solltet dort nicht hingehen als Mutter", schnaubte die Füchsin und zog einen Schmollmund.

    „Ich bin eine Herrschermutter. Wisst Ihr, was das heißt?", konterte Maria Theresia und deutete auf die Brust der Füchsin: Dort erblühten rote Flecken wie Spalierrosen.

    Die Mokierte schwieg, errötend vor Scham.

    „Ich trage zwei Kronen, jede fühlt sich an wie ein eiskalter Eisenhut. Kronen machen Kopfweh", Maria Theresia griff in ihre Morgenmähne, als setzte sie sich eigenhändig eine Krone aufs Haupt.

    Eigentlich trägst du drei Eisenhüte, bedenkt man die Kaiserkrone, die du deinem Mann beschafft hast, kam der Füchsin in den Sinn. Dafür hast du mit dem verhassten Preußenlümmel Frieden schließen und ihm Schlesien abtreten müssen, damit er der Wahl deines Gatten zum Kaiser zustimmte. Du wirst dir Schlesien zurückholen wollen, aber seither schätzt du die Kaiserkrone gering. Die Füchsin wusste auch, dass die Erbtochter Habsburgs die Krone ihrer Vorväter voller Stolz trug und von Gottes Gnaden, da deren Blut auch in ihr floss: den Adern einer Frau. Als gesalbte Königin von Böhmen und als Königin von Ungarn mochte sie sich nicht noch als Kaiserin krönen lassen. Wozu auch? Sie wäre nur Kaiserin als ein Anhängsel: als Ehefrau. Mit ihrer Ablehnung missachtete Maria Theresia den ausdrücklichen Wunsch ihres Mannes.

    Zwar war sie mit ihm ins deutsche Frankfurt gereist – sie, die so ungern reiste –, die Krönungszeremonie hatte sie aber aus der Ferne von einem Balkon aus verfolgt, ihrem Mann kokett zuwinkend. Er, dem als Franz I. Stephan die Kaiserkrone Karls des Großen aufs Haupt gesetzt wurde, war von seiner Gattin „mein Mäusl gerufen worden. „Die junge Habsburgerin traut sich etwas, hatten wohlmeinende Beobachter daraufhin gescherzt. Kritiker jedoch hatten gemurrt: „Was ist der Eigensinn eines Weibes verglichen mit der Krone des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation? Und eine Krönungszeremonie im altehrwürdigen Dom zu Frankfurt ist kein Wiener Kaffeehaus."

    Und ausgerechnet heute forderte ihre Resi einmal mehr das Schicksal heraus. Das galt es als Obersthofmeisterin zu verhindern. Es gab klare Regeln für Frauen, es gab Traditionen. „Ihre Majestät erinnern sich, dass man Euch nicht an das Sterbebett Eures Herrn Vaters ließ, damit Euer Ungeborenes keinen Schaden nähme", mahnte die Füchsin in der Hoffnung, sie dadurch überzeugen zu können.

    „Das war falsch!, schoss es allerdings aus Maria Theresias Mund. „Ich trug Joseph unterm Herzen und da sich dies anders anfühlte als bei den Mädchen, wollte ich ihm sagen, dass ich den ersehnten Stammhalter erwarte. Als Kaiser sollte er es wissen. Die schmerzliche Erinnerung schien sie erneut hin und her zu treiben. Tack, tack, tack. Die Füchsin folgte ihr auf den Fersen, die alte und die junge Frau verband eine seltsame Choreografie.

    „Ihre Majestät wird in Europa bewundert als die schönste Monarchin." Die Füchsin änderte ihre Strategie ins Schmeichlerische.

    Doch Maria Theresia wirbelte jäh herum, öffnete ihren Morgenmantel und entblößte sich kurz.

    Die Obersthofmeisterin erschrak, wusste aber, dass ihre Resi hinter verschlossenen Türen durchaus zu impulsiven Reaktionen fähig war.

    „Ha … bewundert man mich dafür? Für mein quellendes Fleisch? Haha! Warum bewundert man mich nicht für meinen Verstand?", rief sie voller Lust an der Provokation.

    „Aber Ihre Majestät sehen immer noch aus wie ein Mädchen. So strahlend. Nur damals war Eure Statur noch so … entsetzlich … dünn", stammelte die Füchsin und kicherte künstlich.

    „Und heute?", Maria Theresia deutete auf ihr Dekolleté und blies die Backen auf, um ihr Gesicht voluminöser erscheinen zu lassen.

    Die Füchsin senkte ihren Blick. Peinliche Stille trat ein.

    „Heute bin ich die dicke Resi, schnaubte Maria Theresia. Aber schon einen Moment später lachte sie spitzbübisch. „Aber auch in der Politik bin ich ein Schwergewicht. Schlecht für jene, die mich unterschätzen. Ha … vielleicht bin ich ja das Rhinozeros der Weltpolitik. Dieses exotische Tier soll doch ein Weibchen sein?

    Es war eine ihrer größten Stärken, dass selbst im Unmut immer wieder ihr Humor aufblitzte. Alle Stimmungen verkörperte sie kraftvoll. Als Mittel der Diplomatie konnte sie sogar aus dem Stegreif weinen. So war sie als frisch gekrönte Königin von Ungarn vor den ungarischen Landtag getreten und hatte – in Tränen aufgelöst – um Unterstützung gegen Preußen gebeten. Auf ihrem blonden Schopf hatte die Stephanskrone erdrückend gewirkt – natürlich, es war ja auch eine Männerkrone – und in ihrem Arm hatte der erst wenige Monate alte Joseph, ihr Kronprinz, gestrampelt. Eine herzzerreißende Szene für jene, die sie gesehen hatten. Es waren nur Männer anwesend gewesen. Gerührt gelobte der ungarische Adel dann: „Unser Leben und Blut für unseren König Maria Theresia!" Dass sie als König eindeutig weiblichen Geschlechts war, sah ihre Landesverfassung nicht vor. So sah man über ihre wogende Mutterbrust hinweg und gelobte einem König Treue, der weinte wie ein Mädchen. Dabei war der alteingesessene ungarische Hochadel nicht minder eigensinnig als dieses

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1