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Geliebte Lügnerin Chantal: BsB Historischer Liebesroman
Geliebte Lügnerin Chantal: BsB Historischer Liebesroman
Geliebte Lügnerin Chantal: BsB Historischer Liebesroman
eBook289 Seiten4 Stunden

Geliebte Lügnerin Chantal: BsB Historischer Liebesroman

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Über dieses E-Book

Frankreich zur Zeit des Sonnenkönigs:

Chantal de Marivaux läßt sich von ihrer Zwillingsschwester Cerise zu einem gefährlichen Abenteuer überreden: Sie tauschen ihre Rollen und Chantal erobert nicht nur das Herz des verfemten Abenteurers Jean-Paul d'Aubery, sondern auch das des Sonnenkönigs! Aber der König verzeiht keinem Rivalen.
SpracheDeutsch
HerausgeberBest Select Book
Erscheinungsdatum11. Nov. 2014
ISBN9783864662423
Geliebte Lügnerin Chantal: BsB Historischer Liebesroman
Autor

Marie Cordonnier

Schreiben und Reisen sind Marie Cordonniers Leidenschaft. Immer wenn sie unterwegs ist, bekommt ihre Phantasie Flügel. In den Ruinen einer mittelalterlichen Burg hört sie das Knistern der Gewänder, riecht Pechfackeln und hört längst verstummte Lautenklänge. Was haben die Menschen dort gefühlt, was erlitten? Zu Hause am Schreibtisch lässt sie ihrer Phantasie freien Lauf. Der Name Marie Cordonnier steht für romantische Liebesromane mit historischem Flair. Marie Cordonniers bürgerlicher Name ist Gaby Schuster. Sie schreibt auch unter den Pseudonymen Valerie Lord und Marie Cristen. Mehr über sie gibt es auf www.marie-cordonnier.de zu lesen.

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    Buchvorschau

    Geliebte Lügnerin Chantal - Marie Cordonnier

    begegnet.

    PARIS – HERBST 1661

    1. Kapitel

    »Wahrhaftig, es kann kein Zweifel daran bestehen, dass du auf dem Lande lebst, meine Liebe! Julie wird die Hände über dem Kopf zusammenschlagen!«

    Cerise de Ducasse, die charmante Gräfin Vigan, ließ die komplizierte Stickerei sinken, über der sie mehr geträumt als gearbeitet hatte und schenkte ihrer Besucherin ein Lächeln das zwischen echter Freude und erkennbarer Verzweiflung schwankte.

    »Welch eine Begrüßung! Du siehst mich bestürzt und zutiefst getroffen. Womit habe ich dieses vernichtende Urteil meiner bedauernswerten Erscheinung verdient?«

    Im Gegensatz zu ihren Worten machte die Gescholtene einen höchst vergnügten Eindruck als sie auf die Gräfin zutrat, sie in die Arme schloss und zärtlich auf beide Wangen küsste. Sie war mit äußerster Einfachheit gekleidet, wenngleich der matte Samtschimmer ihres Reisekostüms bewies, dass es sich bei dem Gewebe um einen Stoff von bester Qualität handelte.

    »Papperlapapp, egal ist es dir! Versuche nicht, mich an der Nase herumzuführen. Ich kenne dich ebenso gut wie mich selbst. Und nun hör auf, herumzuzappeln, setz dich! Erzähle mir, wie es dem Erben des Hauses Marivaux geht? Ist er von gleicher Gewissenhaftigkeit und Langeweile wie unser verehrter Herr Cousin?«

    Die Gräfin klopfte auffordernd auf die weiche Polsterbank an ihrer Seite, wo die üppigen, volant-verzierten Röcke ein wenig Platz ließen.

    Ihr Gast indes hob abwehrend beide Hände.

    »Kleines, ich hätte Angst, dir jene bezaubernden schwarzen Spitzen zu ruinieren, die dieses bemerkenswerte Gewand schmücken, das du trägst. Frierst du nicht? Was ist es? Ein Negligé oder ein Frisierumhang?«

    »Ein Morgenkleid«, erklärte die andere hoheitsvoll, aber zwei unbezähmbare Grübchen in ihren Wangen bewiesen, dass sie ein Lächeln unterdrückte. »Ich verzeihe dir, dass du über die Feinheiten der Pariser Mode nicht auf dem laufenden bist. Indessen werden wir viel zu tun haben, damit du mir keine Schande machst!«

    »Du bestürzt mich, Kleine! Was geht unter diesem Turban aus Locken vor? Trägt man das jetzt in Paris? Wie schrecklich mühsam! Gib dir keine Mühe, die Eleganz ist dein Stil, nicht der meine. Lass' dich von François und seiner Gemahlin grüßen. Es ist ihnen gelungen, einen kräftigen kleinen Sohn in die Welt zu setzen, der sicher einen hübschen Baron de Marivaux abgeben wird, sobald er einmal mehr Haare und auch ein paar Zähne haben wird.«

    Die Gräfin, die inzwischen ihre Nadelarbeit endgültig zur Seite gelegt hatte, schüttelte den wohlfrisierten Kopf. »Unsere verehrte Tante wird alles daran setzen, dass niemand von diesem Ereignis erfährt. Der Gedanke, dass François sie zur Großmutter gemacht hat, deprimiert sie zutiefst. Sie fürchtet, dass sie nun mit einem Schlag altert!«

    Die Besucherin hob die Brauen. »Diane de Marivaux besitzt nicht viel mehr Verstand als ihr Schoßhündchen, und das zeichnet sich bereits durch einen äußerst einfältigen Charakter aus«, stellte sie trocken fest. »Wie wäre es, wenn du mir endlich erklärst, was diese Geheimnistuerei bedeuten soll? Weshalb diese Botschaft, die mich bittet, dich heimlich aufzusuchen, ohne dass eine Menschen Seele von meinem Besuch erfährt? Sehr befremdlich, wenngleich ich gestehe, dass es dir gelungen ist, mich neugierig zu machen. Ich habe die Gartenpforte benutzt und den Kutscher angewiesen, einen öffentlichen Stall aufzusuchen. Eine merkwürdige Vorsichtsmaßnahme. Schließlich handelt es sich hier um das Haus meines Vaters. Würde es dich sehr enervieren, mir ein paar Erklärungen zu geben?«

    Man musste Cerise de Ducasse sehr genau beobachten oder sehr gut kennen, um die kaum sichtbaren Spuren großer Anspannung und schlafloser Nächte in ihren schönen Zügen zu entdecken. Auf ihre Besucherin traf beides zu. Sie fasste die Gräfin an den Händen und zog sie von ihrem Sitz hoch, an die halb offenen Fenstertüren, die auf die Terrasse von dort auf die gepflegten Gärten hinausführten, welche das Hôtel de Marivaux flankierten.

    »In der Tat, meine Liebe, was ist geschehen?« wiederholte sie ihre Frage eindringlicher. »Was bekümmert dich? Ich spüre schon seit geraumer Zeit, dass sich in deinem Leben Dinge ereignen, die dich bedrücken! Du bist nicht mehr du selbst ...«

    »Ich ahnte, dass du es wissen würdest!«

    Zwei Paar leuchtend grüner Augen sahen sich an, in deren Tiefen sich ein absolutes gegenseitiges Verständnis spiegelte, das keiner Wort bedurfte. Wie der Blick in einen Spiegel war es für beide, wenn man von den modischen Details der Frisur oder der Kleidung absah. Im Abstand von wenigen Minuten am selben Tag zur Welt gekommen, einte die Gräfin Vidan und ihre Zwillingsschwester Chantal de Marivaux ein natürliches Band, das weit über jede übliche Geschwisterliebe hinausging.

    Die Natur hatte sich vor fast fünfundzwanzig Jahren den pikanten Scherz erlaubt, ein ohnehin schon makelloses Werk zu verdoppeln. Ohne die modischen Anhaltspunkte von Garderobe oder Haartracht, jene von Gestik oder Temperament, war es nur einer Handvoll Menschen möglich, die winzigen Unterschiede zu entdecken, die es trotz allem gab. Menschen, die sie liebten.

    Der Graf Vidan war einer von ihnen gewesen. Im Alter von 17 Jahren hatte sich Cerise in Henri de Ducasse verliebt und den Edelmann geheiratet. Obwohl sie damals ihr Elternhaus verließ und sich beide Schwestern wesentlich seltener sahen, war ihre tiefe Verbindung erhalten geblieben. Aus diesem Grund wagte Chantal auch eine Frage, die außer ihr niemand gestellt hatte.

    »Ist es ... immer noch Henri?« flüsterte sie vorsichtig und hielt die Hände ihrer Schwester, als könne sie damit die ohnehin enge Verbindung noch vertiefen.

    Henri de Ducasse war vor drei Jahren bei der Einnahme von Dünkirchen im Dienste seiner Majestät des Königs gefallen. Unter dem Schock dieser Nachricht hatte Cerise damals auch das Kind verloren, das sie nach jahrelanger Ehe endlich von ihm erwartete. Obwohl ihre Zwillingsschwester nicht verheiratet war, konnte sie die volle Schärfe des doppelten Verlustes nachfühlen, welcher die junge Frau zu jenem Zeitpunkt getroffen hatte.

    Cerises neues Amt als Ehrendame der jungen Königin von Frankreich war vor wenigen Monaten sowohl Trost wie auch Ablenkung für sie gewesen. Seit Beginn des Jahres 1661 lebte sie bei ihrer Tante Diane de Marivaux in Paris. Die Baronin hatte das elegante Hôtel de Marivaux nach dem Tode ihres Gatten vor zehn Jahren bezogen und gefiel sich inzwischen in dem Gedanken, dort die Hausherrin zu sein. Der Comte de la Chaise, mit ihrer Schwester Niniane verheiratet und der Baronin doppelt verbunden, weil es sich bei ihrem Gatten um seinen Cousin gehandelt hatte, benötigte den Palast so selten, dass er bisher keinen Einspruch gegen diesen Irrtum erhoben hatte.

    Die schöne Witwe zählte zu den vertrauten Freundinnen der Königinmutter. Ihr Gespür für Mode, ihre Fähigkeit, sich endlos über höfischen Klatsch zu verbreiten und ihre oberflächliche Frömmigkeit machten sie zu einer unentbehrlichen Begleiterin Anna von Österreichs. Sie hatte mit Freuden die Herrschaft über den Landsitz der Marivaux' an ihren Sohn François abgetreten, um dem Landleben, das sie verabscheute, für immer den Rücken zu kehren. Bis vor wenigen Wochen hatte Chantal angenommen, dass ihre Schwester unter dem Schutz ihrer Tante den Schmerz überwunden und wieder Freude am Leben gefunden hatte.

    »Nein, Chantal, es ist nicht Henri«, sagte die Gräfin nun. Sie befreite sich und trat aus dem verräterischen, hellen Licht des späten Nachmittages zurück, das die bläulichen Schatten unter ihren tiefgrünen Augen verstärkte und bewies, dass sie sich nicht so unbeschwert fühlte, wie sie sich zu geben versuchte. »Es ist Dominique. Dominique d'Aubry. Sagt dir der Name etwas?«

    »Aubry?« murmelte Chantal, während ihre Gedanken rasten. Wie sollte sie sich nicht an diese Familie erinnern, deren Oberhaupt Maximilian d'Aubry zu den vertrauten Freunden ihres Vaters gezählt hatte, ehe er in den Wirren der Fronde sein Leben, seine Ehre und sein Vermögen eingebüßt hatte? Soweit sie wusste, handelte es sich bei Dominique um seinen Neffen. Sein einziger Sohn hieß Jean-Paul d'Aubry. Ein Name wie eine lebenslang schmerzende Narbe. Chantal mochte nicht an die Tränen denken, die sie vergossen hatte, als sie erfuhr, dass er in derselben Schlacht wie sein Vater ums Leben gekommen war.

    »Chantal, hörst du mir zu?« Cerise kam zurück und umklammerte nun ihrerseits die Finger der Schwester so heftig, dass diese leise aufschrie. »Dominique d'Aubry dient bei den Musketieren des Königs!«

    »Sei so gütig und kläre mich darüber auf, was an diesem Umstand so bemerkenswert ist«, forschte Chantal, deren bislang nur vage Sorge plötzlich zu konkreter Furcht wurde. Weshalb war ihre Schwester so aufgeregt?

    »Dominique zählte zu Henris besten Freunden«, berichtete Cerise, und ihre Blässe wich einer sanften Röte, die aus dem viereckigen Dekolleté des grünen Seidenkleides stieg und sich über die Wangen bis zur Stirn hinaufzog. »Anfangs gefiel es mir nur, mit jemand über Henri zu plaudern. Meine Erinnerungen mit jemand zu teilen, der ihn auch gemocht hatte, aber . ..«

    Sie brach ab, und eine hilflose Geste bewies Chantal, dass ihr die richtigen Worte fehlten, zu sagen, was sich aus diesem Beginn entwickelt hatte.

    »Dann hingegen hast du gemerkt, dass es durchaus noch andere Themen geben könnte, die euch gemeinsam wichtig sind«, fügte sie klarsichtig hinzu. »Warum diese Aufregung? Ich frage mich für dich, und ich bin sicher, dass es in Henris Sinn ist, dass du wieder glücklich bist. Musste ich mich ins Haus schleichen, nur damit du mir sagen kannst, dass du eine neue Liebe gefunden hast? Ich bitte dich, Cerise. Seit wann besitzt du diese Vorliebe für dramatische Auftritte? Du hast mir einen wirklichen Schrecken eingejagt! Ich hatte Angst, dass du in echten Schwierigkeiten bist.«

    »Du verstehst mich nicht«, seufzte Cerise, und Chantal nickte betont dazu.

    Sie hatte eine zwölfstündige Fahrt in einer zwar herrschaftlichen, aber doch rumpelnden Kutsche auf zum Teil schlechten Landstraßen hinter sich. Der Besitz des jungen Grafen Marivaux lag in der Nähe von Sens und die

    Nachricht ihrer Schwester, die sie dort erreicht hatte, drängte auf Eile.

    Chantal fühlte sich müde und schmutzig. Sie sehnte sich danach, ihre verschwitzten Kleider zu wechseln und sich den Luxus eines heißen, parfümierten Bades zu gönnen. So sehr sie ihrer Schwester eine neue Liebe gönnte, der Bericht über die romantischen Einzelheiten konnte doch sicher einige Zeit warten? Ein prüfender Blick in Cerises Augen belehrte sie freilich darüber, dass wohl eher ihr Reinlichkeitsbedürfnis warten musste.

    Chantal senkte die Lider und drehte ihrer Zwillingsschwester den schmalen Rücken zu. Es hatte ganz den Anschein, als wolle sie ihr Gesicht verbergen, während sie weitersprach.

    »Ich liebe Dominique, und er erwidert meine Zuneigung. Ich sehne mich danach, diese Liebe zu legalisieren, denn ich erwarte ein Kind von ihm. Aber ...«

    »Wie wunderbar!« Chantal erinnerte sich nur zu gut, wie verzweifelt Cerise nach ihrer folgenschweren Fehlgeburt gewesen war. Gleichzeitig drängte sie ihr eigenes Erstaunen darüber zurück, dass sich Cerise einem Mann hingegeben hatte, der noch nicht einmal ihr offizieller Verlobter war. Weshalb riskierte sie eine solche Komplikation? Konnte sie nicht warten bis ihre Ehe gesegnet worden war?

    »Ich freue mich für dich«, murmelte sie ein wenig bemüht. »Weshalb machst du dir Sorgen?«

    »Dominique d’Aubry ist ein Musketier des Königs«, flüsterte die Gräfin Vidan. »Ein Soldat ohne Rang, ohne Vermögen, mit dem Namen einer verfemten Familie. Ich dagegen bin die Witwe eines Mannes von nobelstem Adel. Hinzu kommt, dass sich die Ehrendamen der Königin nicht ohne die Zustimmung des Königs verehelichen dürfen. Erst recht nicht, wenn ein Vermögen wie das von Henri im Spiel ist. Seine Majestät behält sich vor, eine Hand wie die meine einem Manne zu geben, den er entweder besonders auszeichnen oder besonders belohnen will. Er hat wahrhaftig keine Veranlassung, einen Aubry zu ehren, dessen Familie während der Fronde gegen ihn gekämpft hat. Du weißt, wie sehr er jede Erinnerung an diesen Aufstand hasst.«

    »Oh!« Chantal begriff mit einem Schlag das volle Ausmaß von Cerises Schwierigkeiten. Sie sah sogar noch weiter, denn sie sagte: »Ich befürchte, dass auch unser Vater diese Verbindung kaum gut . heißen wird!«

    Die hochgewachsene, imponierende Gestalt des Grafen de la Chaise schien wie ein Gespenst zwischen den beiden jungen Frauen emporzuwachsen. Seine Autorität wurde von keinem Familienmitglied in Zweifel gezogen, wenngleich er sich von Zeit zu Zeit heftige Auseinandersetzungen mit seinem ältesten Sohn Raimond lieferte, während Joffrey, der zwei Jahre nach den Zwillingen zur Welt gekommen war, eher den diplomatischen Weg bevorzugte, um seinen eigenen Kopf durchzusetzen.

    »Maximilian d’Aubry war einer seiner besten Freunde. Dass er sich in das Abenteuer der Fronde verwickeln ließ, hat er ihm nie verziehen. Du weißt doch, wie loyal er dem König ergeben ist«, seufzte Cerise. »Aber soll ich wegen unseres Vaters auf den Mann verzichten, den ich liebe? Der mir bewiesen hat, dass mein Leben auch ohne Henri einen Sinn haben kann? Ich ertrage es nicht, von ihm getrennt zu werden, Chantal! Ich brauche Dominique! Ich brauche seine Liebe! Bitte glaube mir, auch wenn du es vielleicht nicht verstehen kannst!«

    Die Tatsache, dass ihre Schwester mit 25 Jahren noch keine Ehe geschlossen hatte und auch keinerlei Interesse daran zeigte, sich zu binden, war der Grund für Cerises Zweifel am schwesterlichen Verständnis. So sehr sich die beiden jungen Frauen äußerlich ähnlich sahen, so grundlegend unterschieden sie sich in ihrer Veranlagung und in ihrer persönlichen Sicht der Dinge.

    Cerise besaß eine charmante Liebenswürdigkeit, ein sanftes Anlehnungsbedürfnis und eine feminine Zartheit, die in krassem Gegensatz zu Chantals stürmischem Temperament standen. Wo Cerise Schutz und Hilfe suchte, fand Chantal jede Einmischung und jeden Rat unerträglich. Zwar war es ihren Eltern gelungen, ihre Wildheit zu kontrollierter Selbstbeherrschung zu bändigen, aber niemand, der sie kannte, wäre auf den Gedanken verfallen, sie für fügsam zu halten.

    Sie interessierte sich im Gegensatz zu Cerise weder für elegante Roben noch für Schmuck – sondern für die Herstellung des Weines, der auf den Hängen um das Schloss wuchs. Sie hatte mit wechselndem Erfolg die temperamentvollsten Pferde des Stalles geritten, sobald es ihr gelungen war, den Lehrern zu entkommen, welche die Kinder des Grafen de la Chaise unterrichteten; und sie hasste jene komplizierten Nadelarbeiten, die ihre Schwester so liebte, von ganzem Herzen.

    Während Cerise mit den Jahren eine spielerische Fertigkeit des Flirtens entwickelte, die vom Stallburschen bis zu ihrem Vater alle in Bann schlug, beeindruckte Chantal ihre Tutoren mit einer schnellen Auffassungsgabe und fast männlicher Logik. Sie liebte es, Fragen und Problemen auf den Grund zu gehen und ihre Unabhängigkeit zu beweisen.

    Dank dieser geschulten Intelligenz war es ihr auch gelungen, jeden Heiratsplan, den ihre wohlmeinenden Eltern bisher für sie geschmiedet hatten, erfolgreich zu durchkreuzen. Immer weniger deswegen, weil sie einem längst vergangenen Jungmädchen-Traum nachtrauerte, sondern weil sie zunehmend Geschmack an einem Leben fand, das keinen Ehemann kannte, der ihr Vorschriften machte.

    Sie überließ es Cerise, bei Hofe zu brillieren und eine glänzende Heirat einzugehen, während sie selbst sich weigerte, das väterliche Schloss zu verlassen und sich am Hofe des Königs bei Kartenpartien und Klatsch zu langweilen. Inzwischen hatte es den Anschein, als habe sich alle Welt bereits gewöhnt, dass diese außergewöhnliche junge Frau unverheiratet bleiben würde. Sogar ihr Vater hatte seine Suche nach einem passenden Ehemann für Chantal aufgegeben und schätzte wie ihre Brüder ihre fachkundige Hilfe bei der Führung und Verwaltung seiner umfangreichen Ländereien und Geschäfte.

    Auch ihr Vetter François wusste um diese Talente. Als die schwere Stunde seiner Frau nahte, war es Chantal, die er um Hilfe bat. Nur sie konnte sowohl eine nervöse junge Mutter beruhigen wie auch einen riesigen Haushalt dirigieren. Er hatte es mit Bedauern gesehen, dass sie unverhofft früh erneut aufgebrochen war, nachdem sie die Botschaft ihrer Schwester erreichte.

    »Ich verlange ja nicht, dass du auf deinen Liebsten verzichten sollst, Cerise!« Chantal fasste ihre Schwester am Ellbogen und drängte sie sanft, sich wieder auf die Bank zu setzen. »Aber mir ist keineswegs klar, welche Hilfe du von mir erwartest? Auch wenn ich bei unseren Eltern ein gutes Wort für deinen Dominique einlege, so besteht noch immer die Frage, ob der König eine Ehe mit ihm billigen wird. Was willst du tim? Wann erwartest du dein Kind?«

    »Um Lichtmess des nächsten Jahres. Wir müssen so schnell wie möglich den Segen der Kirche erhalten. Dominique wartet nur noch auf meine Nachricht.«

    Chantal runzelte die Stirn. Es lag ihr auf der Zunge, ihre Schwester zu fragen, weshalb sie eine ohnehin komplizierte Situation noch durch ein Kind verschärft hatte. Sie war Witwe, sie musste doch um die möglichen Folgen leichtsinniger Leidenschaft wissen. Weshalb war sie dieses unnötige Risiko eingegangen? Sie erinnerte sich an die stürmische Passion, die Henri de Ducasse und Cerise verbunden hatte. Eine Leidenschaft, die sie im geheimen eher erschreckt hatte. Weshalb sich einem anderen Menschen derart ausliefern, so abhängig von ihm werden?

    Wahrhaftig, es lebte sich ruhiger ohne derartige Komplikationen. Sie musste Gott dafür danken, dass sie davon verschont geblieben war. Allein, der Augenblick eignete sich nicht zu philosophischen Betrachtungen. Cerise harrte auf ihre Antwort.

    »Natürlich wäre es vernünftig, wenn eure Verbindung den kirchlichen Segen hätte«, sagte sie nach kurzem Überlegen. »Weder unser Vater, noch der König dürfte auseinanderreißen, was ein Priester zusammengefügt hat. Aber dazu besteht im Moment keine Möglichkeit. Das einzige, was du versuchen könntest, ist, mit nach Hause zu kommen und dir die Unterstützung unserer Mutter zu besorgen. Vertrau dich ihr an! Mit ihrer Hilfe kannst du unseren Vater überzeugen, und er wiederum könnte mit seinen Verbindungen zum König dafür sorgen, dass . . .«

    »Nein!« Cerise rang die Hände, ohne zu berücksichtigen, dass sie dabei die zarte Seide des hübschen Morgenkleides zerknitterte. »Du weißt, wie ich Vaters Tadel fürchte. Er erschreckt mich zu Tode, wenn er mich aus seinen schwarzen Augen anfunkelt. Ich kann ihm nicht gegenübertreten. Ich habe Angst, dass ich aus lauter Schrecken alles tue, was er mir befiehlt.«

    »Heilige Madonna«, manchmal strapazierte die Schwester sogar Chantals Geduld. »Rede nicht wie eine dumme Gans, ich bitte dich! Dein Vater liebt dich, das weißt du sehr genau. Und wenn er poltert, dann tut er es erstens in diesem Fall mit Recht, und zweitens beruhigt er sich anschließend auch wieder. Warum kannst du nicht abwarten, bis es so weit ist? Oder fällt dir eine andere Möglichkeit ein, dein Problem zu lösen?«

    Ein strahlendes Lächeln glitt über Cerises feine Züge, und in Chantals Magengrube krampften sich ahnungsvoll die Nerven zusammen. Sie duckte sich unter dem kommenden Schlag. So sah ihre Schwester aus, wenn sie etwas ganz außergewöhnlich Ungebührliches ausheckte.

    »Aber natürlich, deswegen habe ich dich doch gerufen. Die Sache ist ganz einfach. Ich werde Dominique in aller Heimlichkeit heiraten und mit ihm fliehen, bis sich die Wogen über unsere Verbindung geglättet haben. Danach werde ich versuchen, mit ihm gemeinsam unsere Eltern zu besänftigen, und dann können beide ihren Einfluss geltend machen, damit der König unsere Verbindung im nachhinein billigt. Das ist doch ganz einfach, findest du nicht auch?«

    Die naive Frage entlockte ihrer Schwester eine Grimasse. Soviel sonnig kindlicher Glauben an das Schicksal forderte die Schwierigkeiten geradezu heraus. Chantal schüttelte den Kopf so heftig, dass die Locken, die sie offen, nur mit einem Band zurückgebunden trug, das nachlässig gebundene Gefängnis sprengten und über die Schultern flössen.

    »Bemerkenswert einfach«, spottete sie. »In der Tat würde mich nur ganz nebenbei interessieren, wie du dein Verschwinden bei der Königin erklärst. Du bist eine ihrer Ehrendamen, hast du das vergessen? In einem solchen Amt entfernt man sich nicht einfach vom Hof, ohne dass es Ärger gibt. Du würdest vermisst werden. Zudem sagt man, Seine Majestät sei äußerst empfindlich, wenn es um die Wahrung seines Ansehens geht. Er legt großen Wert darauf, dass man ihn respektiert. Hältst du es für ein Zeichen von Respekt, wenn du davonläufst und einen Mann heiratest, der mit Sicherheit sein Missfallen findet?«

    »Ich muss keine Erklärungen abgeben!« Jetzt war es Cerise, die das Kinn reckte und triumphierend auf ihre Besucherin blickte. »Ich habe keine Begründungen nötig, denn für den Hof werde ich nicht verschwinden.«

    »Interessant. Hättest du die Güte, dieses Rätsel auch für mich zu lösen?«

    »Aber ja, es ist ganz einfach und mit ein wenig Nachdenken würdest du die Antwort selbst herausfinden«, strahlte die Gräfin Vidan in ungetrübtem Frohsinn. »Du wirst meine Rolle übernehmen, und deswegen wird mich niemand bei Hofe vermissen!«

    Sogar Chantal benötigte ein paar Herzschläge, um diese ungeheuerliche Erklärung zu bewältigen.

    »Du bist närrisch!« Sie durchmaß das bezaubernde Boudoir mit seinen vergoldeten Möbeln, den Tapisserien und den bestickten Polstern ohne einen Blick für die Eleganz seiner Einrichtung aufzubringen. Sie musste ihrer Empörung mit körperlicher Bewegung und schroffen Worten Luft machen. »Findest du nicht, dass wir beide ein wenig zu alt für derartige Kinderspiele sind?«

    »Willst du damit sagen, dass du mich im Stich lässt? Dass du mir deine Hilfe verweigerst?«

    Das neuerliche Duell zweier grüner Augenpaare endete damit, dass dieses Mal Chantal als erste besiegt den Blick abwandte.

    »Nein, natürlich nicht«, seufzte sie. »Aber wie stellst du dir das vor? Weder bin ich fähig, bei Hofe deine Rolle zu spielen noch würde es unserer verehrten Tante gelingen, das Geheimnis auch nur einen einzigen Nachmittag lang für sich zu behalten. Du kennst sie doch!«

    Diane de Marivaux, die längst das vierzigste Lebensjahr überschritten hatte, zählte noch immer zu den Schönheiten des Hofes, wenngleich sie diese Tatsache inzwischen eher ihrer natürlichen Eleganz als ihrem jugendlichen Schmelz verdankte. Der einzige Ehrgeiz den sie besaß, betraf ihre eigene, geachtete Stellung bei Hofe. Als Nachfolgerin der schönen Madame de Chevreuse durfte sie sich eine intime Freundin der Königin nennen, und sie würde einem solchen Maskenspiel schon aus Angst um diese bedeutende Position bestimmt nie zustimmen.

    Aber sowohl

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