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Isabelle de Paradou: BsB Historischer Liebesroman
Isabelle de Paradou: BsB Historischer Liebesroman
Isabelle de Paradou: BsB Historischer Liebesroman
eBook289 Seiten3 Stunden

Isabelle de Paradou: BsB Historischer Liebesroman

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Über dieses E-Book

Band 3 der fünf Isabelle-Romane: Isabelle hat in der Festungsstadt Les Baux, im Herzen der Provence, Zuflucht gefunden, nachdem ihr Mann endlich freigekommen ist. Gerade erst hat sie die Romanze mit Nicolas Stiefbruder beendet und beginnt wieder an ihr Glück zu glauben, da trifft sie erneut ein Schicksalsschlag: Nicolas stürzt vom Pferd und verletzt sich dabei tödlich. Isabelle ist geschockt und zieht sich ganz in sich selbst zurück.
"Marie Cordonniers Romane heben sich nicht nur durch das weniger übliche Set sondern dadurch von der Masse ab, dass die Autorin es wie kaum eine andere versteht, Stimmung zu erzeugen und dem Leser zu vermitteln. Deswegen wirken ihre Romane immer glaubwürdig. Außerdem sind sie so spannend wie unterhaltsam – aber immer ernsthaft", schreibt eine Leserin.
SpracheDeutsch
HerausgeberBest Select Book
Erscheinungsdatum30. Dez. 2013
ISBN9783864662096
Isabelle de Paradou: BsB Historischer Liebesroman
Autor

Marie Cordonnier

Schreiben und Reisen sind Marie Cordonniers Leidenschaft. Immer wenn sie unterwegs ist, bekommt ihre Phantasie Flügel. In den Ruinen einer mittelalterlichen Burg hört sie das Knistern der Gewänder, riecht Pechfackeln und hört längst verstummte Lautenklänge. Was haben die Menschen dort gefühlt, was erlitten? Zu Hause am Schreibtisch lässt sie ihrer Phantasie freien Lauf. Der Name Marie Cordonnier steht für romantische Liebesromane mit historischem Flair. Marie Cordonniers bürgerlicher Name ist Gaby Schuster. Sie schreibt auch unter den Pseudonymen Valerie Lord und Marie Cristen. Mehr über sie gibt es auf www.marie-cordonnier.de zu lesen.

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    Buchvorschau

    Isabelle de Paradou - Marie Cordonnier

    konnte.

    1. Kapitel

    15. September 1483

    Babette brachte die Neuigkeit vom Markt mit, und trotz der tiefen Trauer, die das Haus umfangen hielt, war ein gemeinsames Aufatmen spürbar. Eine Erleichterung, der sich auch Giselle de Paradou nicht verschließen konnte, auf deren Schultern wieder die Last einer Verantwortung ruhte, deren sie längst ledig zu sein geglaubt hatte.

    Ein Hauch von Sommerkräutern folgte ihr wie eine Wolke, während ihre langen Röcke die trockenen Gräser und Wildkräuter berührten, die den Boden der geräumigen Halle bedeckten. Pierre, Babettes Mann, hatte sie auf den Wiesen vor der Stadt gemäht und sich dabei gefragt, ob diese Vorbereitungen für die kältere Jahreszeit überhaupt einen Sinn hatten. Würden sie den kommenden Winter noch in Les Baux verbringen können?

    Die Gräfin trug den Duft von Pierres Ernte in das kleine Kabinett Isabelles. Es war einer der wenigen Räume des Hauses, der einen Teppich zum Schutz gegen die fußkalten Steinböden besaß. Wie üblich, saß die junge Frau auf der schmalen gepolsterten Bank in der Fensternische und schaute in die Ferne.

    Obwohl sich der Kopf mit der schwarzen Schleierhaube in ihre Richtung drehte und ein leiser Gruß sie willkommen hieß, hatte die Ältere den Eindruck, dass Isabelle durch sie hindurchsah. Mehr und mehr sorgte sie sich um Seele und Geist ihrer Schwiegertochter, aber sie versuchte, sich ihre Bedenken nicht anmerken zu lassen. Endlich gab es einmal wieder eine freudige Botschaft!

    »Isabelle, Liebes, ich habe gute Nachrichten! Die Sanktionen des Königs wurden aufgehoben! Die Festung ist gerettet, und Palamède de Forbin wurde nach Paris befohlen! Es heißt, die Regentin und ihr Gatte haben dem König auf dem Totenbett versprechen müssen, dass sie dem Reich den Frieden bewahren!«

    Den Frieden? Isabelles Mund verzog sich bitter. Sie legte das winzige Kittelchen zur Seite, das sie für ihre kleine Tochter mit rötlichem Garn umbordete. Dass sie antwortete, entsprang eher dem Wunsch, der Gräfin zu Gefallen zu sein, als um ein Gespräch über ein – ihrer Meinung nach – sinnloses Thema zu beginnen.

    »Freut Euch nicht zu früh, Mutter. Philippe de Commynes wird bald dafür sorgen, dass die versöhnlichen Töne aus der Hauptstadt verstummen. Der alte Fuchs wird sich kaum so ohne weiteres entmachten lassen. Ist Euch entfallen, dass die Mächtigen nur selten das meinen, was sie öffentlich durch ihre Herolde dem dummen Volk verkünden lassen?«

    Obwohl ihr der zynische Unterton der Rede missfiel, freute es die alte Dame, dass es ihr gelungen war, Isabelle aus ihrer tödlichen Lethargie zu reißen.

    »Tatsache ist, die Burg wird nicht geschleift. Das bedeutet, die Stadt bleibt unversehrt, und wir behalten die einzige Zuflucht, die wir besitzen. Ich muss gestehen, mir ist damit eine große Sorge abgenommen. Zudem könnte es ja auch sein, dass sich die Regentin irgendwann einmal eurer Freundschaft erinnert …«

    Isabelle hasste es, die Hoffnung in den müden, schwarzen Augen zu zerstören, aber sie fand sich dazu gezwungen. Wollte sie Anne de Beaujeus Abschiedsworte ernst nehmen, so würde sie sich sinnlosen Wunschträumen hingeben. Trotzdem klang ihr die leise, kultivierte Stimme der Tochter König Ludwigs noch im Ohr: »Es werden Tage kommen, in denen diese schlimmen Zeiten der Vergangenheit angehören und Eure Feinde, wie die meinen, besiegt sind, Isabelle. Dann werde ich Euch gern an meiner Seite willkommen heißen, und wir wollen gemeinsam unsere Tränen trocknen. Bis dahin, liebste Isabelle, lebt wohl und passt auf Euch auf!«

    »Warum sollte sie das tun?«, murmelte sie nun und nahm ihre

    Näharbeit wieder auf. »Vergesst nicht, dass für sie Nicolas de Paradou bereits vor einem Jahr in den Kerkern des Königs an den Folgen des hochnotpeinlichen Verhörs gestorben ist. Wenn sie an mich denkt, so vermutlich nur, um mich endgültig und für immer zu vergessen. Zudem hat sie gewiss andere Probleme, da wette ich …«, schloss sie burschikos.

    Schnelle Schritte näherten sich auf dem Gang, dann wurde die Tür hastig und formlos aufgerissen. Babette stürzte in das Zimmer und nahm sich kaum die Zeit für einen respektvollen Knicks.

    »Ein Bote, Madame Belfort! Ein Bote mit dem königlichen Siegel! Er will … er will … er sagt, er bringt Botschaften für die Gräfin Paradou!«

    »Für mich?« Giselle de Paradou blickte verwirrt, und Babettes mächtiger Busen wogte vor Aufregung, als sie den Kopf schüttelte.

    »Für die hochedle Dame Isabelle, Gräfin de Paradou, hat er gesagt!«

    Isabelle erhob sich so abrupt, dass Garne, Nadeln, Stoff und Schere von ihrem Schoß zu Boden rutschten.

    »Ein Bote des Königs? Für mich? Heilige Sarah, was bedeutet das?«

    »Empfang ihn und du wirst es erfahren«, drängte die Ältere, die insgeheim fürchtete, Isabelle würde sich halsstarrig weigern. »Einen Boten des Königs weist man nicht ab. Noch dazu, wenn er unter Berufung auf deinen richtigen Namen Einlass begehrt.«

    Isabelles Gedanken überschlugen sich. Wer hatte ihre Spur entdeckt? Philippe de Commynes? Verfolgte sie der Kanzler des verstorbenen Königs und Pate ihres Mannes noch immer mit seinem Hass?

    Es widerstrebte ihr, das kleine Gemach zu verlassen, in dem sie den größten Teil ihrer Tage zubrachte, aber es ließ sich wohl nicht vermeiden. Sie spürte die Neugier Babettes und die besorgte Ungeduld der alten Dame. Diese beiden da wären nur zu glücklich, wenn sie ihre selbstgewählte Isolation endlich aufgäbe. Aber dazu fühlte sie sich einfach nicht im Stande. Schon die wenigen Schritte zur Tür kosteten sie alle Kraft.

    Der Bote war ein stämmiger, grauhaariger Soldat in der Uniform der königlichen Leibwache. Er vollführte eine so respektvolle Reverenz vor der zierlichen Gestalt in Schwarz, dass Isabelle unwillkürlich die Stirn runzelte. Wer hatte ihn angewiesen, sie mit solcher Ehrerbietung zu behandeln?

    »Ihr wolltet mich sprechen?«

    Sie trat zu dem geschnitzten Lehnstuhl vor dem großen Kamin, aber sie setzte sich nicht. Es war Nicolas’ Lieblingsplatz gewesen, und sie umklammerte die komplizierten Ornamente seiner hölzernen Lehne, als fände sie dort Kraft und Trost für die bevorstehende Unterredung.

    »Ihre Königliche Hoheit, Dame Anne de Beaujeu, entsendet Euch ihre gnädigsten Grüße und diese Papiere!« Isabelle nahm das lederumwickelte Paket mit dem königlichen Siegel in Empfang, als handle es sich um einen Giftbecher.

    »Ferner soll ich Euch mitteilen, dass der Kommandant der Festung Befehl erhalten hat, Euch eine Eskorte zur Verfügung zu stellen, sobald Ihr mit den Euren zum Auf bruch bereit seid. Er erwartet Eure Nachricht.«

    Isabelles Hände krampften sich um die Dokumente. Eine Eskorte? Wozu im Namen aller Heiligen benötigte sie eine Eskorte? War sie verhaftet? Nein, offensichtlich nicht. Denn der Kurier behandelte sie wie eine Edeldame von Rang und nicht wie eine schuldige Verräterin.

    »Ich verstehe nicht …«, murmelte sie und versuchte die Furcht zu beherrschen, die sie trotz allem überfallen hatte. Dem Mann entging ihre Panik nicht.

    »Diese Papiere werden Euch alles erklären, Gräfin!«, beruhigte er sie. »Erlaubt mir, mich zu verabschieden.«

    Isabelle entließ ihn mit einer stummen Geste. Also wirklich keine Verhaftung. Auch keine weiteren Soldaten, die auf einen Wink ihres Anführers hin in den Raum stürzten. Nur Stiefeltritte, die sich entfernten. Mit weichen Knien sank sie auf den Stuhl, aber sie machte keine Anstalten, die Botschaften zu lesen. Sie saß einfach da und wartete darauf, dass sich der Rhythmus ihrer Atemzüge wieder beruhigte.

    Im Gegensatz zu ihr wollte Giselle de Paradou ihre Neugier nicht länger zügeln. Sie kam näher, und es fehlte nicht viel, dass sie mit einem Dankgebet auf die Knie gefallen wäre.

    »Der Himmel ist uns also doch noch gnädig«, seufzte sie. »Kein Zweifel, Anne de Beaujeu ist deine Freundin geblieben. Willst du nicht endlich lesen, was sie schreibt? Warum brichst du das Siegel nicht?«

    Die junge Frau presste die vollen Lippen aufeinander. Wäre es möglich gewesen, sie hätte am liebsten alles in das Kaminfeuer geworfen. Wozu sich entsinnen? Wozu wieder in Kontakt mit dieser glänzenden Welt des Hofes treten, in der ihr Hilfe verweigert worden war? Warum wieder an jene entsetzlichen Stunden erinnert werden, als Nicolas’ Leben zwar bedroht war, aber wenigstens noch existierte.

    »Isabelle, ich bitte dich!« Die mahnende Stimme ihrer Schwiegermutter riss sie aus ihren düsteren Überlegungen. Sie fuhr auf, und das Paket rutschte von ihrem Schoß.

    Sie bückte sich, um es aufzuheben.

    »Entschuldigt, Mutter! Öffnet Ihr es, ich habe nicht den Mut dazu …«

    War das noch die Isabelle, die sich allein, nur mit ein paar in den Rock eingenähten Goldstücken aufgemacht hatte, ihren Mann zu retten? Das wilde Zigeunermädchen, aus dem unter ihrer Obhut eine verführerische Edeldame geworden war? Die rebellische Schönheit, die allein dem Willen des mächtigen Kanzlers von Frankreich getrotzt hatte?

    Giselle de Paradou zwang sich, an das Jetzt zu denken, und schlug die schützende Hülle zurück, die mehrere Pergamente enthielt. »Ein Geleitbrief, Kind! Ein königlicher Schutzbrief für die Gräfin de Paradou und ihren Haushalt. Ausgestellt auf unseren richtigen Namen. Der Madonna sei Dank, weißt du, was das bedeutet?«

    Sie wusste es nur zu gut. Es bedeutete, die Geborgenheit dieses Hauses aufzugeben. Warum ließen sie sie nicht in Ruhe, die Mächtigen dieses Landes? War sie denn nicht schon unglücklich genug? »Ein Schreiben an dich persönlich, Isabelle. Soll ich es vorlesen?«

    Isabelle nickte gequält. Obwohl sie im Gegensatz zu den anderen Edeldamen ihrer Zeit des Schreibens und Lesens kundig war, überließ sie es der Gräfin, die steilen, energischen Schriftzüge der Dame de Beaujeu zu entziffern. Von der melodiösen, schon ein wenig brüchigen Altstimme vorgetragen, erhielten die freundschaftlichen Zeilen der Regentin eine besondere Eindringlichkeit.

    Liebste Isabelle, es ist mir ein Bedürfnis, Euch meiner Zuneigung und meines königlichen Schutzes zu versichern. Habe ich Euch nicht versprochen, dass ich an meine Freunde denken werde? Vergesst mit mir jene schrecklichen Zeiten, die längst hinter Euch liegen. Wir teilen Eure Trauer um einen stolzen Edelmann, dessen Leben auf so entsetzliche Weise ein Ende fand. Möge er in Frieden ruhen und Euch erlauben, den Sinn auf die Zukunft zu richten. Macht ein Ende mit der Trauer und den Tränen, meine schönste Freundin! Wir hoffen, Euch spätestens zum Weihnachtsfest im Kreise unserer Hofdamen begrüßen zu können. Begebt Euch unverzüglich auf die Reise, sobald Ihr Eure Angelegenheiten geordnet habt. Ich warte auf den Tag, an dem ich Euch in die Arme schließen kann. Seid gegrüßt von Eurer Anne!

    Unwillkürlich richtete sich die alte Gräfin ein wenig gerader auf, und verhaltener Jubel klang nach einer kurzen Pause aus ihren Worten.

    »Wie wundervoll! Wann wirst du fahren? Welch ein ehrenvolles Angebot!«

    Geistesabwesend drehte Isabelle den schmalen, goldenen Reif an ihrem Finger. Nicolas hatte ihn ihr angesteckt, als er sie in der Kirche der Mönche von Montmajour zur Frau nahm.

    »Ich werde nicht reisen, Mutter!«

    »Du wirst nicht …«

    Hätte sie sich vor den Augen ihrer Schwiegermutter in Luft aufgelöst, diese hätte nicht fassungsloser dreingeschaut. Es dauerte ein paar Herzschläge, bis sie die Sprache wiederfand.

    »Die Regentin von Frankreich bittet dich an den Hof, und du weigerst dich? Unmöglich, Isabelle! Oder …« Sie suchte nach einer Erklärung für die entschiedene Ablehnung. »Hältst du den Brief für eine Falle?«

    »Aber nein«, Isabelle schüttelte den Kopf. »Ich bin keine Gefahr für Anne de Beaujeu, darüber ist sie sich durchaus im Klaren. Indes, es würde ihr Gewissen beruhigen, fände ich mich zwischen ihren Damen ein. Vergesst nicht, sie hat sich geweigert, etwas für Nicolas de Paradou zu tun. Würde ich jetzt in ihrem Hause leben, musizieren, sticken, intrigieren und was da noch an Beschäftigungen der Hofdamen sind, es würde sie von ihrer Schuld freisprechen. Sie kann nicht vergessen, dass der Graf de Paradou in den Kerkern ihres Vaters an den Folgen der Folter für die Welt gestorben ist. Sie nimmt an, dass ich dieses vergangene Jahr in tiefster Trauer verbracht habe. Und nun findet sie, dass es genügt. Dass ich das Schicksal um ein paar kostbare Monate betrogen habe, weiß sie nicht, und es ändert auch nichts an ihrer Einstellung.«

    »Wie auch immer!« Die Gräfin suchte Isabelles Augen. »Hofdame zu sein, ist eine Ehre. Es bedeutet, dass unser Name wieder zu Ehren kommt. Bedenke, dass du einen Sohn hast, der eine Zukunft braucht, die seiner Abstammung würdig ist. Willst du ihn dieser Möglichkeit berauben?«

    Die Erwähnung des kleinen Jungen, der gerade erst auf kräftigen Beinchen sein Reich zwischen Kinderkammer und Vorratskellern eroberte, linderte die Strenge von Isabelles Zügen. Für sie war René ein Kind, das Liebe und Geborgenheit benötigte und nicht die ruhmreichen Versprechungen einer höchst vagen Zukunft. Er und seine kleine Schwester würden fernab der Intrigen des Hofes fröhlicher und unbelasteter aufwachsen. Gleichzeitig begriff sie jedoch, warum die alte Dame diese Ansichten nicht teilen konnte. Für sie war René nicht nur der zärtlich geliebte Enkel, sondern auch der Erbe des Namens. Die Verkörperung von neuem Glanz und neuer Ehre.

    »Ihr vermögt mich nicht umzustimmen, Mutter!«, blieb sie trotzdem fest. »Ich bin Anne und ihrem Gatten dankbar, dass ihre Gnade es ermöglicht, das verlogene Versteckspiel der falschen Namen zu beenden, aber ich bin nicht bereit, die Provence zu verlassen. Das Hofleben verlockt mich nicht, und das Gewissen der Regentin wird auch ohne meine Anwesenheit dafür sorgen, dass René zu seiner Zeit sein Recht erhält. Lasst uns nicht weiter davon sprechen!«

    »Isabelle, ich bitte dich!« Unüberhörbar schwang ein Tadel in den Worten der Gräfin mit. »Ein Mitglied des Hauses Paradou gehorcht dem Ruf seines Herrschers. Es geht nicht an, dass du dich weigerst! Der Gehorsam ist deine absolute Pflicht!«

    Heilige Sarah, da war er wieder, dieser so schwer begreifliche sture Adelsstolz, der auch zwischen ihr und Nicolas so viele Missverständnisse verursacht hatte. Vermutlich waren die 19 Jahre, die Isabelle in dem Bewusstsein verbracht hatte, eine Zigeunerin zu sein, daran schuld, dass sie keinen Unterschied zwischen dem Blut eines Landstreichers und dem eines Grafen erkennen konnte.

    Ob nun ein einfaches Mädchen aus den Bergen oder die uneheliche Tochter Renés von Aujou – sie blieb doch stets dieselbe. Isabelle. Ihr Stolz ruhte in ihr selbst und hatte nichts mit ererbten Namen und längst geschlagenen Schlachten zu tun! Zudem war er gepaart mit einer durch nichts zu besiegenden Dickköpfigkeit, die immer dann zum Vorschein kam, wenn man sie zu etwas zwingen wollte, das ihr zutiefst widerstrebte. Zum Beispiel zu dieser unseligen Reise nach Paris!

    »Sollte Euch entfallen sein, Mutter, wie mein Gatte für diese Königstreue des Hauses Paradou belohnt worden ist?«, erkundigte sie sich sarkastisch und schritt in einer plötzlichen Aufwallung ihres alten Temperamentes zum Tisch, wo sie mit der flachen Hand auf den königlichen Geleitbrief schlug, als sei dieser das Böse persönlich. »Der König hat ihn nicht einmal angehört! Er wurde von seinem Paten zum Verräter gestempelt und ohne gerechtes Urteil zum Tode verdammt! O heilige Sarah, erinnert mich bitte nicht an meine Pflichten der Krone gegenüber. Ich habe bezahlt, für mich und meine Kinder dazu! Ich wünsche nichts, als in Ruhe gelassen zu werden!«

    »Isabelle! Ich teile deine Trauer, aber nicht deinen Zorn und deine Verbitterung. Dieser Brief hier enthält die Bitte einer wahren Freundin, die wiedergutmachen will, was sie in Zeiten der Machtlosigkeit nicht abwenden konnte. Woher nimmst du das Recht, ihn einfach zu verwerfen?«

    »Ich habe anscheinend gar keine Rechte, sondern lediglich lästige Pflichten!«, murrte Isabelle. Die Auseinandersetzung hatte jedoch einen Hauch Farbe in ihr blasses Antlitz gebracht und der Gräfin bewiesen, dass sie nicht völlig in Teilnahmslosigkeit versunken war.

    »Die Erde wäre ein Chaos, wenn niemand seine Pflicht tun würde!«

    »Mutter!« Isabelle berührte ihre Stirn mit dem Handrücken und zwang sich deutlich zur Geduld. »Nehmt diese Papiere aus meinen Augen, oder ich werfe sie in das nächstbeste Küchenfeuer. Der Süden ist meine Heimat, und ich werde sie nicht freiwillig verlassen! Begreift es endlich!«

    Sie verließ die Halle mit so weit ausgreifenden Schritten, dass der düstere Trauerflor ihrer Schleier wie eine Sturmfahne hinter ihr herwehte. Die steifen Gewandfalten ließen plötzlich wieder die biegsame Geschmeidigkeit einer Gestalt ahnen, der zwei Kinder nichts von ihrer Zierlichkeit geraubt hatten. Wollte sie diese ungewöhnliche Schönheit tatsächlich in Zukunft verleugnen? Nachdenklich schob die alte Edeldame die königlichen Dokumente in den Schutz ihrer Lederhülle zurück.

    »Wüsste ich es nicht besser«, murmelte sie kaum hörbar, »ich würde meinen, sie bleibt in diesen Mauern, weil sie auf etwas wartet. Aber wenn es nicht diese Botschaft war, was hält sie sonst?«

    Ohne eine Antwort zu finden, versenkte sie die Pergamente mit aller gebotenen Vorsicht in einer ihrer Truhen. Sie hatte das unbestimmte Gefühl, der Geleitbrief könne eines Tages doch noch gebraucht werden.

    Nach der Auseinandersetzung floh Isabelle zu ihren Kindern, als wolle sie sich von ihnen die Bestätigung dafür holen, dass sie richtig gehandelt hatte. Sie fand sie im Innenhof, wo René die Efeuranken mit einem winzigen Holzschwert bekämpfte, während Babette ihn nachsichtig einen »zerstörungswütigen kleinen Teufel« schalt. Fabienne lag in ihrem Körbchen und war leise vor sich hin glucksend in das ernsthafte Studium ihrer winzigen, rosigen Finger vertieft.

    Das Bild des häuslichen Friedens beruhigte ihre gereizten Nerven. Im ersten Schock nach Nicolas’ Tod hatte Isabelle den Anblick ihrer Kinder gemieden. Doch inzwischen empfand sie Trost beim Zuschauen ihrer unschuldigen Spiele. Aber wo sie früher gelacht und mitgespielt hatte, saß sie nun meist mit einem abwesenden Gesichtsausdruck daneben und sah nur zu. René hatte diese Wandlung mit der Sorglosigkeit des von allen verwöhnten Lieblings akzeptiert. Er war zu klein, um zu begreifen, warum der Vater, auf dessen Schultern er geritten war, nicht mehr kam. Aber die Liebe aller anderen entschädigte ihn. Vom Temperament her fröhlich und unbeschwert, nahm er jede Stunde, wie sie kam.

    Fabienne hingegen, die sie jetzt hochheben und auf ihren Schoß setzen wollte, entwickelte ein feines Gespür für den Kummer ihrer Mutter. Das Baby verzog das Gesicht und brach in Tränen aus. Ratlos suchte Isabelle die Hilfe ihrer Kinderfrau. »Was hat sie nur, Babette?«

    »Es ist der Schleier, Madame!«, löste diese das Rätsel. »Sie fürchtet sich vor dem dunklen Ding. So klein wie sie ist, liebt sie nur fröhliche und helle Farben!«

    »Tatsächlich?« Entwaffnet und voller Bewunderung für dieses Wesen, das bereits begann, Vorlieben und Abneigungen zu entwickeln, löste Isabelle die Haube, die ihre Stirn sowieso nur einengte. Fasziniert verfolgte das Kind ihre Bewegungen. Schon getröstet, während noch die letzten Tränen auf den runden, samtigen Wangen schimmerten und sich der protestierend geöffnete Mund wieder schloss.

    Einmal dabei, ihrer Tochter gefallen zu wollen, öffnete Isabelle auch die strengen Haarflechten, die der lästigen Haube Halt gegeben hatten. Sie spürte die ungewohnte Erleichterung und legte den Kopf in den Nacken. Die Flut ihrer blonden Haare war wie ein glänzender Wasserfall auf dem stumpfen Schwarz der Trauerkleider.

    Sogar Babette bewunderte diesen Schmuck aus hellstem, durchscheinendem Gold, der die Farbe lebendigen Sonnenlichts einfing. Fabienne hingegen jauchzte und versuchte die seidigen Strähnen mit ungeschickten Händchen einzufangen. Isabelle ließ sie lächelnd gewähren.

    Es war dieses selten gewordene Lächeln, das auch den kleinen Krieger zu ihr lockte. Er ließ sein Holzschwert fallen und kletterte zu ihr auf die Bank. Er war das ganze Gegenteil des schwarzhaarigen, dunkeläugigen Mädchens auf ihrem Schoß. Mit zunehmendem Alter waren seine feenhaft hellen Säuglingslocken einem dichten, haselnussbraunen Schopf gewichen, der je nach Lichteinfall goldene Strähnen aufwies. In seinem feinen Gesichtchen standen quellklare, fast durchsichtige Augen, die je nach Stimmung des Buben von hellstem fröhlichen Grün zu eisigem Blau wechseln konnten. In diesem Augenblick machten sie dem azurblauen Himmel Konkurrenz, der sich über den Mauern spannte.

    Isabelle umfing ihre beiden mit ausgestreckten Armen und schloss die Lider zu einem stummen Gebet des Dankes. Wenigstens diese waren ihr geblieben, von all der stürmischen Leidenschaft, die ihr Leben erschüttert und zerstört hatte. Ihr Glück und ihr Wohlergehen sollten künftig ihre einzige Sorge sein. Das kurzweilige Spiel von Macht und Ehrgeiz überließ sie gerne den anderen.

    Babette, die die losen Efeuranken so gut es ging wieder befestigte, hing ihren eigenen Gedanken nach. War es möglich, dass Isabelle die lähmende Trauer, die das ganze Haus bedrückte, wenigstens bei ihren Kindern vergaß?

    Die junge Bäuerin, die seit langer Zeit das wechselvolle Geschick ihrer Herrin begleitete, wünschte es ihr von ganzem Herzen.

    Isabelle hingegen genoss den zeitlosen Moment des Friedens. Sie war

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