Die stolze Prinzessin: BsB_Historischer Liebesroman
Von Marie Cordonnier
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Über dieses E-Book
Rogier zieht alle Register, bis sie seinen Verführungskünsten nicht mehr widerstehen kann und eine leidenschaftliche Affäre mit ihm beginnt. Weil aber Alix es im Innersten nicht glauben kann, dass Rogier sie anziehend findet, ist sie ein leichtes Opfer für die Einflüsterungen der Neider und lässt sich in ihrem heftigen ersten Zorn dazu hinreißen, Rogier zu verraten – was sie nur zu bald bitter bereut. Sie kann zwar noch das Schlimmste verhindern, aber Rogiers Vertrauen hat sie verloren. Für immer? Um ihn zurückzugewinnen, lässt sie sich ohne einen Gedanken an ihre eigene Sicherheit auf ein gefährliches Abenteuer ein.
Marie Cordonnier
Schreiben und Reisen sind Marie Cordonniers Leidenschaft. Immer wenn sie unterwegs ist, bekommt ihre Phantasie Flügel. In den Ruinen einer mittelalterlichen Burg hört sie das Knistern der Gewänder, riecht Pechfackeln und hört längst verstummte Lautenklänge. Was haben die Menschen dort gefühlt, was erlitten? Zu Hause am Schreibtisch lässt sie ihrer Phantasie freien Lauf. Der Name Marie Cordonnier steht für romantische Liebesromane mit historischem Flair. Marie Cordonniers bürgerlicher Name ist Gaby Schuster. Sie schreibt auch unter den Pseudonymen Valerie Lord und Marie Cristen. Mehr über sie gibt es auf www.marie-cordonnier.de zu lesen.
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Buchvorschau
Die stolze Prinzessin - Marie Cordonnier
1273
Krandomäne des Königs von Frankreich – 2. April 1273
»Man sagt, Ihr zahlt in Gold für Nachrichten über den Mann, den sie den Weißen Sarazenen nennen, Seigneur!«, raunte die heisere Stimme.
»In der Tat«, antwortete der andere Gesprächspartner und dämpfte ebenfalls seinen Ton. Er war sich der Tatsache nur zu bewusst, dass sie über einen Piraten sprachen, dessen Ruf an den Gestaden des Mittelmeeres der eines ebenso ruchlosen wie erfolgreichen Korsaren war. »Aber Ihr werdet Euch dieses Gold erst verdienen müssen, mein Freund. Ich vergüte nicht die üblichen Gerüchte, die man in jeder Hafenkneipe auf schnappen kann und die den Wahrheitsgehalt einer Gauklerbeichte besitzen!«
»Urteilt selbst.« Der Informant behielt trotz des deutlich zur Schau getragenen Misstrauens seine Ruhe. »Man sagt, der Weiße Sarazene sei von edler Geburt, Sohn eines verstorbenen Ritters. Er selbst macht ein Geheimnis aus seiner Abstammung und entzieht sich allen Fragen. Es geht jedoch das Gerücht, dass er in regelmäßigen Abständen Marseille anläuft, um dort einen Teil seiner Beute zu verkaufen. Der Kontakt läuft über den Wirt einer Hafenkaschemme, der sein Mittelsmann in der Stadt ist!«
»Den Namen, Mann! Den Namen dieser Spelunke!«
»Werdet Ihr dafür bezahlen?«
»Ihr habt mein Wort!«
»Futaille noire, Seigneur! Man nennt den Wirt >Barbon<, und er schätzt es nicht, wenn man sich in seine Angelegenheiten mischt!«
Zum »Schwarzen Fass< also. Die zierliche Gestalt, die im nächtlichen Schatten des Torvorbaues zufällig Zeuge des Gesprächs geworden war, wagte nicht, sich zu bewegen. In ihrem schwarzen Mantel verschmolz sie mit dem Mauerwerk. Das Klirren von Goldstücken bewies, dass der Informant für seine Dienste wie versprochen entlohnt wurde.
»Vergesst die Mitteilung und wem Ihr sie gegeben habt, mein Freund!«, mahnte der Edelmann, und der eisige Ton des Ratschlags war mehr tödliche Drohung als die Worte selbst. »Sollte ich Gerüchte vernehmen, dass man den >Weißen Sarazenen< im Futaille noir ergriffen hat, werde ich Euch zu finden wissen, und wenn es am Ende der Welt ist!«
»Ich weiß schon nicht mehr, wovon Ihr sprecht, Seigneur!«
Die beiden Männer hatten sich längst in verschiedene Richtungen entfernt, als sich ein Schemen aus dem Torvorbau löste und zum Hintereingang der Herberge eilte. In wenigen Stunden würde die Sonne aufgehen und die Reisenden unter dem grauen Schieferdach des >Weißen Schimmels< daran mahnen, ihren Weg fortzusetzen. Doch jetzt schliefen die meisten von ihnen noch tief und fest auf ihren Strohsäcken, und nur jene, die im Schutze der Dunkelheit ihre Geheimnisse pflegten oder zu aufgeregt waren, um Schlaf zu finden, machten diese Stunden der Nacht zum Tag.
Roxana d’Escoudry zählte sich zu den letzteren. Nur noch zwei Reisetage, und sie waren am Ziel: dem Hof des Königs von Frankreich, der sich zum kommenden Osterfest in Vincennes versammeln würde. Der Monarch hatte sie unter die Ehrendamen seiner edlen Mutter berufen. Die verständliche Aufregung über diese Tatsache mischte sich mit dem eigenartigen Gefühl, endlich auf dem vorgezeichneten Weg des eigenen Schicksals zu sein.
Die Jahre im behüteten Schutz des Lehens von Glain erschienen ihr trotz allem, was passiert war, wie ein ruhiges, friedliches Atemholen zwischen zwei Stürmen.
Der erste hatte sie aus ihrer vertrauten Heimat vertrieben und sie mit dem Tod der beiden Männer konfrontiert, die bis dahin schützend über ihr Leben gewacht hatten. In Glain hatte sie wieder gelernt zu lachen und zu vertrauen, Geduld zu haben und Zuneigung zu geben und zu empfangen. Nun jedoch schien es an der Zeit, sich mit neuer Kraft dem Wind zu stellen und am Ende den Platz zu finden, den ihr das Schicksal bestimmt hatte. Waren es tatsächlich die königlichen Ehren des Hofes? König Philippe schien fest davon überzeugt zu sein.
Roxana beugte sich seinem Wort, aber ein heimlicher Zweifel blieb, eine Frage, die vielleicht irgendwann im >Schwarzen Fass< beantwortet werden würde. Bis dahin musste sie sich in Gelassenheit üben, denn vorerst hatte sie dem Befehl des Königs Folge zu leisten. Die Escoudrys hatten ihm Treue geschworen, und sie, Roxana, war ihm durch mehr als nur einen Eid verpflichtet.
Zudem war es ein Befehl, der sich ohnehin mit ihren Wünschen traf, denn sie war nicht mehr das hilflose verzweifelte Kind, das den sicheren Schutz mächtiger Liebe verloren hatte. Verrat, Tod und Liebe hatten ihr eine Ahnung des wirklichen Lebens geschenkt, von dem das verwöhnte Kind von Damiette keine Ahnung gehabt hatte. Die innere Unruhe, die ihr den Schlaf raubte, war mehr als nur die verständliche Aufregung vor dem unbekannten Leben am königlichen Hof. Roxana war nervös, weil sie wusste, dass dies der Aufbruch in ein neues Leben war.
Sie hatte ihn nicht mehr nötig, den Schutz der edlen Söhne des großen Falken. Auch wenn jene sich noch so fürsorglich um ihre kleine Halbschwester bemühten, die ihr Vater ihnen als seine Hinterlassenschaft aus dem Orient geschickt hatte.
1. Kapitel
9. April 1273 – Ostersonntag
Die jubelnden Stimmen des Chores vereinigten sich zu einer feierlichen, österlichen Hymne, die im Verein mit den unzähligen Kerzen, dem Leuchten des Goldes und dem Funkeln der Edelsteine die strenge Kathedrale von St. Denis in einen Ort des Entzückens und der überwältigenden Freude verwandelte. Die Damen und Herren des Hofes in ihrem Feststaat hatten sich im Gefolge der Majestäten zur Auferstehungsfeier versammelt.
Aber im dichten Meer der fromm gesenkten Köpfe waren nicht alle Gedanken in Gottesfürchtigkeit auf das hohe kirchliche Fest gerichtet. So hatte Alix de Béziers zwar ihr blasses Antlitz über die gefalteten Hände gesenkt, aber ihre schweifenden Flicke unter den halb gesenkten dichten Wimpern nahmen mehr wahr, als man annehmen mochte.
Die endlose Folge frommer Gebete und Litaneien, der sich der Hof seit dem Morgen des Karfreitags unterwarf, wurde in der Tradition des frommen Königs eingehalten, der vor drei Jahren bei seinem letzten, gescheiterten Kreuzzug einen so schrecklichen Tod erlitten hatte. Ludwig von Frankreich und viele seiner tapfersten Ritter hatten nicht beim Kampf gegen die Ungläubigen ihr Leben eingebüßt, sondern sie waren in jenen heißen Augustwochen höchst unrühmlich von Krankheit, Hitze und Erschöpfung dahingerafft worden.
Auch Regnault de Béziers war unter diesen Männern gewesen.
Seine jugendliche Witwe verschwendete jedoch in diesem Moment keinen Gedanken an ihn, auch wenn sie es nie versäumte, Messen für ihn lesen zu lassen und sein Andenken demonstrativ zu ehren. Ihr unruhiger Geist beschäftigte sich in höchst profaner Neugier mit der neuen Ehrendame, die vor wenigen Tagen den Hofstaat der Königinwitwe bereichert hatte.
Unwillkürlich sah sie zu Marguerite de Provence hin, der Witwe König Ludwigs und Mutter des jungen König Philippe, die zur Rechten Seiner Majestät kniete und unter ihren schwarzen Schleiern fast verschwand. Sie war ihrem Gemahl in großer Liebe zugetan gewesen, und Alix wusste um den Schmerz, der die hohe Frau, ganz im Gegensatz zu ihr, auch nach drei Jahren noch heimsuchte.
Die Königinwitwe war ihre Tante, denn ihre Mutter war eine Bastardtochter des Grafen Berengar de Provence gewesen, und Marguerite hatte ihre Nichte sowohl auf Grund der Verwandtschaft, als auch wegen ihres gemeinsamen Schicksals in ihr Herz geschlossen. Alix erwiderte dieses Gefühl mit der gebotenen Vorsicht, denn die hohe Frau lebte nur für ein Ziel: die Macht ihres Sohnes zu festigen und die Heiligkeit ihres verstorbenen Mannes zu rühmen.
Hinter Madame Marguerite reihten sich die Ehrendamen des Hofes. Alle waren angetan mit den elegantesten Gewändern, den extravagantesten Kopfbedeckungen und den kostbarsten Juwelen aus ihren Schatullen. Bis auf jenes liebreizende, zierliche Mädchen, das erst seit wenigen Tagen unter ihnen weilte und das Alix so seltsam faszinierte.
Roxana d’Escoudry war ihnen als Tochter eines Ritters, der mit dem König vor Tunis ums Leben gekommen war, vorgestellt worden. Ihre Aufnahme unter die Hofdamen hatte der junge König in höchsteigener Person befohlen, und Alix wusste, dass seine Mutter sich sehr darüber gewundert hatte. Niemand hatte jemals zuvor von dem Mädchen mit dem ungewöhnlichen Vornamen gehört. Allgemein war man davon ausgegangen, dass Mathieu d’Escoudry, den man den Falken genannt hatte, nur Söhne gezeugt hatte.
Nun gab es also auch noch eine Tochter. Eine zarte, anmutige Gestalt in gelber Seide, deren schimmernde schwarze Zöpfe von einem hauchfeinen Schleier bedeckt waren. Sie hatte etwas an sich, das die Blicke vieler Männer auf sich zog, doch sie schien sich ihrer
Schönheit ebenso wenig bewusst zu sein wie der Aufmerksamkeit, die sie weckte. Ihr Benehmen war bescheiden, wenn auch von einem natürlichen Stolz, der Alix mehr und mehr faszinierte.
Bisher war es ihr jedoch nicht möglich gewesen, ein persönliches Wort mit dem ungewöhnlichen Edelfräulein zu wechseln, denn ihre Tante hatte sie, Alix, zwischen den frommen Feiern des Osterfestes geradezu ausschließlich für sich in Anspruch genommen. Sie liebte es, wenn ihre Nichte mit ihrer leisen Stimme aus den frommen Stundenbüchern vorlas oder auf der Laute jene Lieder des Südens spielte, die man in Paris so selten zu hören bekam.
Ihre Blicke wanderten ziellos zur Seite und trafen auf ein anderes Augenpaar, das Roxana d’Escoudry ebenfalls beobachtete. In jenem Moment, in dem sich alle Welt dem Altar und den segnenden Händen der Geistlichkeit zuwandte, erlaubte es sich Rogier d’Escoudry, seine kleine Schwester mit einem geradezu närrisch liebevollen Lächeln brüderlichen Stolzes zu betrachten.
Alix de Béziers stutzte, seltsam berührt von diesem menschlichen Zug des spöttisch-zynischen Diplomaten, den sie als einen engen Ratgeber ihrer Tante kannte und den sie stets für einen raffinierten Politiker gehalten hatte. Ein Mann, der den Nutzen der Dinge über alles stellte und der, von brennendem Ehrgeiz erfüllt, an der eigenen Karriere arbeitete.
Männer wie er stießen sie ab. Das heißt, eigentlich hatte sie nichts gegen den gerissenen Seigneur d’Escoudry persönlich – alle Männer stießen sie ab! Welch ein Segen, dass sie nicht mehr unter der Gewalt eines von ihnen zittern musste!
Sie senkte den Kopf tiefer über die gefalteten Hände. Die steifen Leinenbinden ihrer strengen Haube schnitten dabei in ihre Haut. Es war unangenehm, aber Alix nahm es als gerechte Strafe für ihre weltlichen Gedanken, die an einem solchen Ort in einem solchen Moment nichts zu suchen hatten. Sie zwang sich, der frommen Liturgie wieder größere Aufmerksamkeit zu schenken.
Rogier d’Escoudry bemerkte, wie Alix sich abwandte, und wusste, es war eine Verweigerung. Was sonst war von Alix de Béziers, der stolzen Nichte Ihrer Königlichen Majestät, auch zu erwarten? Obwohl noch keine zwanzig Jahre alt, lebte sie unter den Damen des Hofes das Dasein einer trauernden Witwe. Ganz der Trauer um ihren Gemahl gewidmet und ohne jeden Sinn für die Vergnügungen des Hofes, die der jugendliche König so schätzte.
Der wohl geformte Mund des Seigneurs verzog sich zu jenem zynischen Lächeln, das alle Welt von ihm kannte. Er war beileibe kein Verächter des weiblichen Geschlechts, und manch eine Edeldame rühmte nicht nur seine Kunstfertigkeit im Alkoven, sondern auch seine Diskretion. Aber wenn er merkte, dass eine Frau an ihm nicht interessiert war, dann drängte er sich nicht auf. Irgendwie war dies bei Alix de Béziers jedoch anders. Ihre dunklen, schmucklosen Gewänder und die grauenvollen Hauben, unter denen sie ihre Schönheit versteckte, erbosten ihn genau wie die Art, wie sie ihre Frömmigkeit gleich einem Schutzschild vor sich her trug. Unwillkürlich presste er seine vollen Lippen aufeinander. Wahrhaftig, er musste närrisch sein, dieser eisigen Schönheit mit ihren tristen Nonnengewändern überhaupt einen zweiten Gedanken zu schenken. Ihre Augen, die durch einen Mann hindurchsahen wie durch ein Fenster, besaßen nicht mehr Leben als ein Kieselstein, und vermutlich hatte die Dame unter all den schwarzen Stoffschichten, die den Busen flach drückten, auch kein fühlendes weibliches Herz.
Alix de Béziers konnte ihm gestohlen bleiben mit all ihrer scheinheiligen Gläubigkeit und ihrer kalten Herrlichkeit! Und doch, es war etwas an ihr, das seine Blicke immer wieder wie magisch anzog, das ihn sogar auf der langen Reise beschäftigt hatte, während er Roxana von Glain nach Vincennes brachte. Roxana! Bei Gott, die Kleine war so lebendig, warm und entzückend, wie jene Frau dort fischblütig und ermüdend war.
Das Gloria stieg zu den Gewölben empor und verkündete das Ende des feierlichen Hochamts. Als sich Alix im Kreis der Ehrendamen hinter den Majestäten einordnete, fand sie sich durch Zufall an der Seite jener jungen Frau, die ihre Gedanken vor kurzem so intensiv beschäftigt hatte. Sie tauschten einen Blick, und der deutlich erleichterte Seufzer, der Roxana entschlüpfte, als sie den ersten Atemzug frischer Luft in die Lungen bekam, ließ nur eine Interpretation zu.
»Ihr seid nicht gerne in geschlossenen Räumen, nicht wahr?«, stellte Alix de Béziers fest.
»Merkt man das so sehr?« Roxana verzog reumütig das Gesicht. »Die Wärme der Kerzen, die vielen Menschen mit ihren schweren Gewändern, das alles kann einem wahrhaftig den Atem rauben. Wusstet Ihr, dass der Prophet Mohammed seinen Gläubigen vor dem Besuch des Gebetshauses den im Bad empfiehlt? Man möchte fast meinen, dass ein wenig Wasser auch vielen unserer frommen Damen und Herren nicht schaden könnte!«
»Gütiger Himmel, Kind! Wer hat Euch solche Dinge erzählt?«
Alix betrachtete die junge Frau neben sich mit einer Mischung aus Entsetzen und Staunen. Der dunkle, tiefe Glockenton ihrer Stimme war mindestens genauso überraschend wie ihre Worte.
»Ihr müsst Eure Zunge besser hüten, sonst geratet Ihr in Schwierigkeiten«, fuhr Alix fort. »Der verstorbene König hat sein Leben geopfert, um den Heiden das Christentum zu bringen – wollt Ihr da im Ernst für die Übernahme ihrer Sitten plädieren?«
»Er hat sein Leben verloren, weil dieser Kreuzzug miserabel organisiert und durchgeführt wurde!« Roxana dämpfte zwar ihre Stimme, aber das änderte nichts an dem erbitterten Zorn, der durch ihre Worte klang. »Er könnte noch leben, wenn er weniger begeistert von seinem heiligen Auftrag gewesen wäre und mehr auf die besonnenen Männer an seiner Seite gehört hätte. Sein Tod war ebenso sinnlos wie der aller anderen.«
»Ich bitte Euch!« Die unterdrückt geführte Diskussion brachte eine Spur von Leben in Alix’ marmorblasse Wangen. »Sagt nicht solche ketzerischen Dinge! Ihr wisst es vielleicht nicht, aber mein
Gemahl ist ebenfalls bei diesem Kreuzzug vor Tunis ums Leben gekommen! Nur die Tatsache, dass sie alle für ein heiliges Ziel gestorben sind, lässt uns Trost finden.«
Sie war die gottergebenen Floskeln derartig gewohnt, dass sie ihr über die Lippen flössen, ohne dass ihr Herz Anteil daran hatte. Sie konnte nicht ahnen, welche Erinnerungen sie damit für das Mädchen an ihrer Seite heraufbeschwor.
Roxana sah das schreckliche Lager vor den Mauern von Tunis erneut vor sich. Das entsetzliche Sterben der Männer, das Leid, die Hitze. Der allgegenwärtige Gestank nach Ruhr und Tod, nach Pest und Verderben, nach Verzweiflung und ausweglosem Scheitern.
Sie hatte diese Hölle auf Erden im Gegensatz zu allen anderen Damen, die davor\ redeten, erblickt, gerochen und auf den eigenen Füßen durchmessen. Sie hatte dem Tod zwei Mal ins Auge gesehen, und sie wusste, wovon sie sprach. Besser als diese noble Dame, die in leidenschaftlicher Erregung ihren Rosenkranz umklammerte und sich gleichzeitig an ihren weltfremden Illusionen über Ehre und vermeintliche Heiligkeit festhielt.
»Betet für den Frieden Eures Gemahls und vergesst, was gewesen ist«, riet sie ihr mit einer Reife, die weit über ihre Jahre hinausging.
Alix schenkte Roxana eines ihrer seltenen Lächeln; ein Lächeln, das ihr Gesicht völlig verwandelte und Wärme in ihre Augen zauberte. Roxana erwiderte es mit einer Mischung aus spontaner Sympathie und deutlicher Erleichterung. Bisher war ihr unter den Damen der Königin wenig Freundschaft begegnet. Neugier, Distanz, Vorsicht, Misstrauen, aber kein einziges offenes, liebenswürdiges Lächeln wie dieses.
»Es ist nicht leicht für Euch, als Fremde an diesen Hof zu kommen«, erwiderte Alix, die ihre Gefühle durchschaute. »Wenn Ihr erlaubt, bin ich Euch gern behilflich, damit Ihr Euch ein wenig besser zurechtfindet. Ihr könnt versichert sein, Madame Marguerite ist eine fromme und gerechte Herrin für uns alle.«
Roxana fühlte sich ein wenig eingeschüchtert von der düsteren, gottesfürchtigen Erscheinung dieser Frau, aber sie ahnte, dass Alix de Béziers dieses Angebot von Freundschaft und Hilfe aus einem ehrlichen Herzen heraus machte.
»Ihr seid zu gütig!«, antwortete sie leise. »Wie kann ich Euch dafür danken?«
»Das braucht Ihr nicht«, verkündete Alix, der der Gedanke gefiel, in diesem Mädchen vielleicht eine Freundin zu finden. »Erlaubt mir, Euch zu helfen und Euch beratend zur Seite zu stehen. Und nun kommt, Madame Marguerite wird uns vermissen, wenn wir zu lange plaudern!«
Dabei war Roxana d’Escoudry beileibe kein Mädchen, das zu sinnlosem Geschwätz neigte, das glaubte Alix bereits jetzt sagen zu können. Roxana beherrschte die seltene Tugend, erst zuzuhören und dann zu sprechen. Alix fühlte sich wohl in Roxanas Nähe; lediglich eins verwirrte sie ein wenig: Das junge Mädchen kam ihr in seinen Gesten und manchen Bewegungen merkwürdig vertraut vor. An wen nur erinnerte sie die junge Edeldame?
An Rogier d’Escoudry? Vermutlich, ja das musste es sein. Der Seigneur ging schließlich in den Gemächern der Königinmutter ein und aus. Sie, Alix, schien ihm in der Tat mehr Aufmerksamkeit geschenkt zu haben, als ratsam war. Wie gut, dass sie es festgestellt hatte, ehe es jemand anderem oder gar ihm selbst auf gefallen war.
Sie musste ihn künftig meiden, denn sie wollte keinesfalls den lästigen Ambitionen ihrer Tante Vorschub leisten, die ständig versuchte, sie für einen neuen Ehemann zu interessieren. Am besten für einen, der ebenfalls bei Hofe lebte, so dass sie nicht auf die angenehme Gesellschaft ihrer Nichte verzichten musste. Alix hatte ihre Motive längst durchschaut, aber sie dachte nicht daran, ihre hart erkämpfte Freiheit jemals wieder aufzugeben. Auch nicht für einen so eleganten und umschwärmten Mann wie den attraktiven Sohn des Falken.
Freilich begriff sie noch am selben Nachmittag, dass sie genau den falschen Weg gewählt hatte, um diesem Seigneur auszuweichen. Zwischen Rogier d’Escoudry und seiner kleinen Schwester herrschte jene familiäre Vertraulichkeit, die dazu führte, dass der Edelmann unangemeldet und jederzeit in Roxanas Gemächer spazierte. Auch an diesem späten Nachmittag, als sich das junge Mädchen mit Alix’ Hilfe für das große Bankett und den anschließenden Tanz schmückte, welche den Höhepunkt des Osterfestes bilden sollten. Alix bemühte sich eben darum, der Kammerfrau zu zeigen, wie man die Perlenschnüre in Roxanas seidige Haare flechten musste, und um ein Haar hätte sie den kostbaren Schmuck zu Boden fallen lassen, als Rogier pfeifend hereinmarschierte.
»Kleine Schwe ... Ihr?«
Rogier starrte auf die schwarze Gestalt der Dame de Béziers, die neben Roxana stand und ihn mit einer steilen Falte auf der makellosen Stirn betrachtete, als sei er eine Art besonders abscheulichen Ungeziefers, das soeben aus einer Mauerspalte gekrochen wäre.
»Seigneur?«, sagte sie klirrend frostig. Auch wenn sie keine der Schönheiten des Hofes war, eine Reverenz gehörte sich immerhin. Dass er keine Anstalten dazu machte, empfand sie als beleidigend.
»Verzeiht, ich ... oh ... «
Roxana hatte Rogier noch nie so fassungslos, so unbeholfen und tollpatschig erlebt. Seine verspätete Reverenz hatte nichts von jener Eleganz, für die er berühmt war, und Roxana fand es schon ein bisschen komisch, dass ihm sogar die Worte fehlten.
»Dame Alix de Béziers hat sich bereit erklärt,' meine Lehrmeisterin und Freundin bei Hof zu sein«, verkündete Roxana und fügte mit einem liebevoll spöttischen Blick hinzu: »Falls Ihr ebenfalls einen Rat bezüglich Eures höfischen Benehmens benötigen solltet ...«
Normalerweise hätte Rogier eine solche Bemerkung nicht hingenommen und unkommentiert gelassen. Roxana fand es höchst interessant, dass er diese Worte kaum registrierte. Er stand einfach da und starrte Alix an, erfreut, die unverhoffte Gelegenheit zu haben, aus unmittelbarer Nähe die Dame betrachten zu können, die ihn trotz aller Abwehr so faszinierte wie keine andere der Schönheiten des Hofes.
Ihre Gestalt wirkte beeindruckend und majestätisch. Das feine, dunkle Wollkleid verriet jedoch nichts über die Figur darunter. Sie trug es locker über einem dunklen Unterkleid, und mit Ausnahme des Gesichts und der Hände ließ es kein Stückchen Haut frei.
Das ovale Antlitz im Schatten der steifen Haube glich einer zarten Elfenbeinschnitzerei, bis ins winzigste Detail vollkommen. Die stolze kleine Nase, das runde Kinn, die leicht betonten Wangenknochen und die gewölbten dunklen Brauen über den großen, klaren blauen Augen hätten einer Marmorstatue gehören können, so blass und reglos wirkte Alix’ Gesicht. Rogiers Blick heftete sich auf den schön geschwungenen Mund, der sinnlich hätte wirken können, hätte sie die vollen Lippen nicht streng aufeinander gepresst.
»Ich hoffe, mein Angebot missfällt Euch nicht?«, fragte Alix gereizt, als er auf Roxanas Bemerkung nicht reagierte. Sie hatte sein Schweigen als Ablehnung interpretiert – eine Ablehnung, die ihm nicht zustand. Schließlich war sie die Nichte der alten Königin! Seine Schwester hätte sich wahrhaftig schlechtere Gesellschaft bei Hofe suchen können.
»Nein, o nein! Bei Gott, wirklich nicht!« Wenigstens hatte Rogier die Sprache wiedergefunden, auch wenn er noch weit von seiner üblichen Wortgewandtheit entfernt war. »Ich bin Euch dankbar. Ihr könntet mir keinen größeren Gefallen ...«
»Nicht Euch, Seigneur, Eurer Schwester!«, unterbrach Alix ihn unfreundlich. »Und nun erlaubt, dass wir unsere Arbeit fortsetzen. Oder gibt es etwas Wichtiges, das Ihr uns mitteilen wollt?«
Roxana hatte immer größere Mühe, ein Lachen zu unterdrücken. War das wirklich dieser stets so überlegene, zynische Rogier, der nun irgendetwas vor sich hin stotterte und sich abrupt zur Flucht wandte – so hastig und verwirrt, dass er wahrscheinlich gleich über seine eigenen Füße stolpern würde.
Roxana lächelte sich im Spiegel ein Kobold-Lächeln zu und bemerkte, dass Alix sie fragend ansah.
»Er ist gewaltig beeindruckt von Euch, Dame Alix! So habe ich ihn noch nie erlebt. Ich weiß es, weil sich Damien Cholet, der Page seines Bruders, stets genauso aufführt, wenn er Dame Léonie begegnet, seiner Herrin, die er schwärmerisch verehrt.«
Alix spürte, dass ihr die Röte in die Wangen stieg. »Unsinn!«, widersprach sie. »Monsieur d’Escoudry hat Wichtigeres zu tun, als sich von mir blenden zu lassen. Abgesehen davon, dass ich männliche Bewunderung ohnehin nicht schätze.« Sie schwieg einen Moment. »Es gehört sich nicht, dass er ohne Anmeldung in Euer Gemach platzt«, fuhr sie fort. »Ihr seid kein kleines Kind mehr, sondern eine junge Edeldame, die eine gewisse Position bei Hof einnimmt.«
Roxana überhörte geflissentlich diese letzten Sätze. Das, was Alix davor gesagt hatte, interessierte sie viel mehr. »Wieso missfällt Euch die Bewunderung der Männer?«, fragte sie neugierig. »Jede Frau schätzt derlei Komplimente.«
»Ich nicht. Ich halte meinem Gemahl die Treue über das Grab hinaus«, entgegnete Alix hochtrabend und fuhr damit fort, die Perlenschnüre zu drapieren. Die Arbeit beruhigte ihre zitternden Finger. »Ich habe das Gelübde getan, ihm niemals einen Nachfolger zu geben.«
»Habt Ihr ihn so geliebt?«
Dieses Mädchen war entschieden zu vorwitzig, und Alix dachte gar nicht daran, ihr die neugierigen Fragen zu beantworten.
»Er war