Das Geheimnis der weißen Frau: BsB_Romantic Thriller
Von Marie Cordonnier
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Über dieses E-Book
Marie Cordonnier
Schreiben und Reisen sind Marie Cordonniers Leidenschaft. Immer wenn sie unterwegs ist, bekommt ihre Phantasie Flügel. In den Ruinen einer mittelalterlichen Burg hört sie das Knistern der Gewänder, riecht Pechfackeln und hört längst verstummte Lautenklänge. Was haben die Menschen dort gefühlt, was erlitten? Zu Hause am Schreibtisch lässt sie ihrer Phantasie freien Lauf. Der Name Marie Cordonnier steht für romantische Liebesromane mit historischem Flair. Marie Cordonniers bürgerlicher Name ist Gaby Schuster. Sie schreibt auch unter den Pseudonymen Valerie Lord und Marie Cristen. Mehr über sie gibt es auf www.marie-cordonnier.de zu lesen.
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Buchvorschau
Das Geheimnis der weißen Frau - Marie Cordonnier
Epilog
1
Es war gespenstisch, von einem Moment auf den anderen hatte ich das untrügliche Gefühl, dass mein Leben an einem Wendepunkt angelangt war. Von nun an würde nichts mehr so sein wie bisher. Eigenartig, dass mich diese Erkenntnis in einer schäbigen, halboffenen Telefonzelle am Stadtrand von Belleville so plötzlich überfiel. Ich starrte auf die halbverwischte Liebeserklärung, die einer Dame namens Michelle quer über eine verschossene Reklametafel gewidmet war und wartete darauf, dass am anderen Ende der Leitung endlich der Hörer abgenommen wurde. Selbst auf die Gefahr hin, dass es sich bei Schloss Thivale um einen weitläufigen Prunkbau handeln mochte, irgendeiner musste mein hartnäckiges Läuten doch hören. Ich wollte gerade wütend wieder auflegen und meinen Plan vergessen, da wurde abgenommen. Höflich brachte ich meinen Wunsch vor.
»Ich möchte gern mit Aurélie de Thivale sprechen.«
Keine Antwort. Hatte man mich nicht verstanden? War die Leitung gestört?
»Hallo? Hier spricht Pam Westby, ich bin eine alte Schulfreundin von Mademoiselle Thivale. Sie hat mich gebeten, dass ich sie ...«
Eine Frauenstimme unterbrach mich kühl.
»Sie können nicht mit Aurélie reden.«
Du meine Güte, besondere Freundlichkeit zeichnete die Schlossbewohner nicht aus.
»Sie wartet auf meinen Anruf«, versuchte ich es erneut. »Sagen Sie ihr bitte, dass Pam Westby in Belleville auf sie wartet.«
»Ich kann Mademoiselle Aurélie nichts sagen.«
Es war heiß. Die Telefonzelle an der Südmauer des Postamtes von Belleville wurde von der Vormittagssonne in einen Backofen verwandelt. Meine Geduld schmolz in der Hitze dahin.
»Hören Sie, es kann doch kein unlösbares Problem sein, Mademoiselle de Thivale von meinem Anruf zu unterrichten. Wenn sie keine Zeit hat, werde ich versuchen, den Weg zum Schloss allein zu finden . . .«
»Kommen Sie nicht. . .«
Schweres Rauschen klang durch den Telefonhörer. Atmosphärische Störungen oder schweres Atmen? Stöhnen? Meine Gesprächspartnerin schien ebenso alt wie schroff zu sein.
»Kommen Sie nicht«, wiederholte sie. »Es gibt keine Botschaft, die Aurélie noch erreicht. Wir haben sie vor zwei Wochen auf dem Friedhof von Odenas in der Familiengruft der Thivales zur Ruhe gelegt.«
Ein eindeutiges Klicken, dann war die Verbindung unterbrochen. Ich stand da, starrte auf die restlichen Münzen hinter den Sichtschlitzen und vermochte mich nicht zu bewegen. Wenn ich mich heute an diesen entsetzlichen Augenblick erinnere, erscheint es mir fast unglaublich, dass ich nicht einen Herzschlag lang an der Richtigkeit der Auskunft zweifelte. Aurélie de Thivale, meine beste und einzige Freundin war tot.
Aber woran konnte ein so hübsches, temperamentvolles und lebenssprühendes Mädchen von fünfundzwanzig Jahren von heute auf morgen sterben? Bei unserem letzten Telefongespräch war Aurélie gelangweilt, ungeduldig, verärgert und ungerecht gewesen, keinesfalls jedoch krank.
Es lag bereits einige Wochen zurück, dass sie zur Beerdigung ihres Vaters, der bei einem Verkehrsunfall ums
Leben gekommen war, in das alte Schloss der Familie im Beaujolais gefahren war. Zu meiner Überraschung blieb sie länger als geplant, und unsere regelmäßigen Telefonate wurden seltener.
Ich versuchte mich an das letzte Gespräch genauer zu erinnern. Sie hatte mich um meinen Besuch gebeten. Sehr dringend sogar.
»Wenn du nur hier wärest, Pam«, hatte sie geseufzt. »Ich brauche jemand zum Reden. Jemand, der nicht seine Finger in dieser verdammten Thivaleschen Familiensuppe hat. Warum besuchst du mich nicht? Was hält dich in diesem schrecklichen Antibes?«
Meine Einwände, dass ich einen Beruf hätte, nicht einfach davonlaufen könne, Urlaub abwarten müsse, meinen Chef beschwichtigen, wischte sie mit der üblichen Unbeschwertheit vom Tisch.
»Schwachsinn. Dieser Sklavenjob ist nichts für dich. Hau den Krempel hin und komm nach Thivale! Ich habe mich entschlossen, eine Weile hierzubleiben. Meine liebe Stiefmutter benötigt dringend ein paar scharfe Augen, die ihr auf die perfekt lackierten Krallen schauen. Du wirst dein Vergnügen daran haben, wie ich sie austrickse. Außerdem tut es mir gut, einmal mit einem Menschen zu reden, der sich nicht ausschließlich für Wein, Weinberge, Weinstöcke und Weinverkauf interessiert.«
»Immerhin wird damit das Geld verdient, das du so gern mit vollen Händen ausgibst.«
»Merde! Moralapostel!«
Eine typische Aurélie-Antwort. Sie war mit schöner Selbstsicherheit davon überzeugt, dass sich die Welt um sie drehte. Ihr Vater hatte sie jahrelang in dieser Einstellung bestärkt und ihr auch den verrücktesten Wunsch von den Augen abgelesen. Aurélie war zutiefst gekränkt, dass er sich mit vierundsechzig Jahren in eine attraktive Witwe verliebt und die Dame Hals über Kopf zur neuen Comtesse de Thivale machte. Eine Menge böser Worte wurde gewechselt, und das Verhältnis von Vater und Tochter kühlte merklich ab. Dass ihr Vater gestorben war, ohne sich mit seiner Tochter versöhnt zu haben, machte Aurélie ebenfalls ihrer Stiefmutter zum Vorwurf.
»In zwei Monaten habe ich Urlaub, dann komme ich, falls du mich bis dahin noch haben willst«, bot ich an.
Aurélie hatte wohl oder übel zugestimmt.
»Wenn ich bis dahin nicht vor Wut geplatzt bin, okay.«
Danach hörte ich nichts mehr von ihr und – ehrlich gesagt – meine eigenen Probleme verursachten mir genügend Kopfzerbrechen. Ich wollte meinen Arbeitsvertrag mit einem Drei-Sterne-Restaurant in der Nähe von Antibes vorzeitig lösen. Obwohl ich es Aurélie gegenüber noch nicht zugegeben hatte, ich dachte nicht länger daran, die Handlangerin für eingebildete Starköche zu spielen, in deren Augen Frauen lediglich zum Geschirrwaschen und Gemüse putzen taugten.
Nachdem ich gegen den Willen meiner entsetzten Eltern die Ausbildung zur Köchin ertrotzt hatte, wollte ich nicht in einer Garde namenloser Hilfsköche untergehen. Ich wollte beweisen, dass ich auf meinem Gebiet Erfolg haben konnte. Eines Tages würde ich mein eigenes Restaurant haben, und dieser Vorsatz erleichterte mir den Abschied. Ohne Bedauern drehte ich dem mondänen Betrieb an der Côte d' Azur den Rücken.
Ich war fürs erste mit meiner Mutter in Paris verabredet, aber als ich den nervtötenden Dauerstau durch die abgasgeschwängerten Stadttunnel von Lyon hinter mich gebracht hatte, fiel mir das braun-weiße Tourismus- Schild mit dem Hinweis auf die >Monts de Beaujolais< ins Auge. Aurélie! Ganz in der Nähe musste Schloss
Thivale sein. Sie würde es mir garantiert nie verzeihen, wenn ich vorbeifuhr, ohne dass wir uns sahen. Ganz abgesehen davon, dass ich ein schlechtes Gewissen hatte, weil ich Aurélie und ihre Probleme völlig vergessen hatte.
Spontan wechselte ich die Fahrspur und verließ bei Villefranche die Autobahn. In Belleville würde ich sicher eine öffentliche Telefonzelle finden, von der aus ich meinen Besuch ankündigen konnte.
Ich freute mich auf Aurélie, und die Stationen unserer Freundschaft glitten wie Filmausschnitte durch meine Gedanken. Madame Renards >Ecole de jeunes filles< am Ufer des Genfer Sees unterhalb von Lausanne. Die zierliche, bildhübsche Zimmerkameradin, die das 13jährige, unscheinbare Pummelchen, das ich damals gewesen war, fassungslos anstarrte.
» Wer sind deine Eltern?«
Fragen dieser Art war ich gewöhnt. Obwohl ich meine Eltern sehr liebte, ging mir der Rummel, den alle um sie machten, ganz schön auf die Nerven. Abgesehen davon, war ich auch mehr als sauer, dass sie zu der Ansicht gekommen waren, dass ihr unruhiges Künstlerleben nicht dazu geeignet war, mir eine ansprechende Ausbildung zu verschaffen.
»Lisa und Marc Westby, soll ich dir's schriftlich geben?«
Ich war wütend. Ich bildete mir ein, zu wissen, was Aurélie dachte. Wie kamen diese beiden Stars zu einer Tochter, die auch nicht eine Spur ihres guten Aussehens geerbt hatte?
»Die Opernsängerin und der Dirigent?«
Ich zwang mich zur Ruhe.
»Eine weitere Dämlichkeit von dieser Sorte, und ich springe aus dem Fenster. Kreischend, wohlgemerkt! Ich bin Pamina Westby, italienische und englische Staatsbürgerin, dreizehn Jahre alt und von leidlicher Intelligenz. Wenn du mit mir auskommen möchtest, nennst du mich besser Pam. Und damit keine Zweifel herrschen, ich kann weder singen noch dirigieren.«
Die Fronten waren geklärt, und unsere Freundschaft konnte beginnen. Eine Freundschaft, die auch meine Eltern sehr begrüßten, denn Aurélie de Thivale war nicht nur aus bester französischer Adelsfamilie, sie war auch ein glühender Fan meiner Mutter. Sie verschaffte Lisa endlich die Art von Anbetung, die sie bei ihrer eigenen Tochter so vermisste, und ich gönnte den beiden die gegenseitige Zuneigung aus vollem Herzen.
Ich begriff schon sehr früh, dass ich für meine Mutter ein Wesen von einem anderen Stern war. Ich fand weder an der Musik, noch an Musikern und schon gar nicht an der glitzernden Welt der Opern- und Konzertbühnen Gefallen. Ich war ein Kuckucksei in einer Musiker-Familie. Ein zwar geliebtes, aber auch bestauntes und nicht ganz verstandenes Mitglied. Die Tatsache, dass ich auch noch einen so normalen Beruf wie den einer Köchin ergriff, erschütterte meine Eltern zwar, aber sie überraschte sie nicht mehr.
Aurélie sprang in diese Lücke und wurde so eine Art Adoptiv-Tochter meiner Mutter. Ein kapriziöses, charmantes Wesen, das nicht zuletzt auch Lisas klassische, dunkle Schönheit unterstrich, sobald sie an ihrer Seite auftauchte. Ihre stundenlangen Diskussionen über Opernpartien, Dirigenten, Tenöre und Theaterklatsch verursachten mir nur Kopfschmerzen.
»Eh . . . Mademoiselle, Sie sind nicht allein auf der Welt. Wenn Sie nicht mehr telefonieren wollen, dann machen Sie die Zelle frei!«
Ich fuhr zusammen und nahm meine Umgebung endlich wieder wahr. Eine rundliche, empörte Frau, mit vollgepackter Einkaufstasche war nicht länger bereit, zuzusehen, wie ich – den Hörer in der Hand – ohne zu telefonieren, den Apparat blockierte. Ich entschuldigte mich hastig und stieg in meinen kleinen Wagen, der am Straßenrand parkte.
Ohne den Zündschlüssel zu betätigen, umfasste ich mit beiden Händen das Steuerrad. Die schnurgerade Hauptstraße dehnte sich vor meinen Augen. Ich saß einfach da und wartete. Wartete auf das unausbleibliche Entsetzen, das nach einer solchen Nachricht, wie ich sie eben erhalten hatte, einfach kommen musste. Aber nichts. Ich war wie erstarrt. Gelähmt, ohne jedes Gefühl. Doch nach einiger Zeit merkte ich, dass ich trotz allem klar und zielgerichtet denken konnte. Dass ich fähig war, einen schnellen, spontanen Entschluss zu treffen.
Die Straßenkarte in der Seitentasche der Fahrertür war noch originalverpackt. Hastig riss ich das Zellophan ab und faltete sie auseinander. Es fiel mir nicht leicht, mich zwischen all den winzigen Dörfern zu orientieren, aber die Strecke über Cercié und Saint Lager schien mir der schnellste Weg nach Odenas zu sein.
Odenas. Ein winziger Ort im Herzen des Beaujolais, von dem ich bis heute noch nie etwas gehört hatte. Ich wusste nur eines, ich musste Aurélies Grab sehen. Vielleicht würde es mir dann möglich sein, aus meiner Trance zu einer normalen Reaktion zu finden.
Glücklicherweise war auf den winzigen, verwinkelten und schlecht geteerten Straßen nur wenig Verkehr. Ich bezweifelte, dass ich in einer kritischen Situation die Reaktionsfähigkeit besessen hätte, einen Unfall zu vermeiden. Aber außer ein paar majestätischen Katzen und gelangweilten Hunden begegnete ich kaum einem lebenden Wesen.
Ganz am Rande registrierte ich, dass fast jedes der Örtchen, die ich passierte, mit dem Namen eines bekannten Beaujolais-Weines untrennbar verbunden war. Dies war die Heimat einer Winzer-Tradition, zu deren markantesten Köpfen auch Aurélies Vater gehört hatte. Dass er neben seiner Tätigkeit als Weinbauer auch über den Ruf eines internationalen Kunstsammlers verfügte, wussten in seiner engeren Heimat nur die wenigsten. Von unseren Treffen – wenn er seine Tochter in der Schweiz und später in Paris besuchte – bewahrte ich das Bild eines silberhaarigen Grandseigneurs mit Schnauzbart, dessen sanft gerötete Nase verriet, dass er seinen eigenen Wein überaus schätzte.
Obwohl ich mich auf meinen Weg konzentrierte, hätte ich das halb umgesunkene Ortsschild mit der Aufschrift Odenas fast übersehen. Im Grund genommen hätte ich die paar Häuser, die sich um das steinerne, verwitterte Gotteshaus gruppierten, nicht einmal für ein richtiges Dorf gehalten.