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Und ich lebe doch: Von der Hölle auf dem Weg ins Glück
Und ich lebe doch: Von der Hölle auf dem Weg ins Glück
Und ich lebe doch: Von der Hölle auf dem Weg ins Glück
eBook343 Seiten5 Stunden

Und ich lebe doch: Von der Hölle auf dem Weg ins Glück

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Über dieses E-Book

Ein Leben, so bunt wie ein Kaleidoskop und dann wieder so dunkel wie der lichtloseste Keller. Isabells Geschichte beginnt im Zweiten Weltkrieg, die Eltern heiraten notgedrungen, doch schon vor der Hochzeit kommt es zum Eklat. Nachdem ihr Vater gefallen ist, schiebt die Mutter das ungeliebte Kind zu ihrer Mutter ab. Die Oma kämpft mit allen Mitteln, um das kleine Mädchen am Leben zu erhalten. Sie rettet es durch Hungerjahre, durch Krankheit und bittere Armut. Isabell schildert mit schonungsloser Offenheit die Bosheiten der Menschen um sie herum, aber auch die wunderbaren und komischen Momente ihres Lebens. Ihre Berufung findet sie in der Gastronomie. Als Barkeeperin, Wirtin und Pächterin verschiedener Lokale in und um München erlebt sie Glück und Erfolg, aber auch so manche Katastrophe. Isabell ist eine Frau, die nie aufgibt, auch wenn es noch so schwierig wird. Ihre Geschichte macht Mut und zeigt, wie man es auch ohne familiären Rückhalt schaffen kann, sich ein Quäntchen Glück zu erobern.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum13. Nov. 2018
ISBN9783746992877
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    Buchvorschau

    Und ich lebe doch - Isabell Werner

    Der Krieg, meine Eltern und

    andere Katastrophen

    Für mich war meine Kindheit alles andere als schön. Erst als Erwachsene habe ich erfahren, dass ich ein „Unfall" war, und damit ein ganz und gar unerwünschtes Kind. Diese Last habe ich zeitlebens mit mir herumgetragen.

    Erst mit fast fünfzig Jahren erzählte mir ein Freund meines verstorbenen Vaters, dass er sich sehr wohl über meine Geburt gefreut hatte. In meiner Familie wurde er immer totgeschwiegen, für sie existierte er einfach nicht. Was das für mich bedeutete, wurde mir erst als Erwachsene klar, nur das interessierte damals niemanden.

    Mein Vater war anscheinend ein sehr gutaussehender junger Mann gewesen und er war sich dessen auch bewusst. Meine Mutter und er führten, wie man heute sagen würde, eine On-off-Beziehung. Dann war plötzlich ich unterwegs, denn damals war Verhütung noch nicht so einfach wie heute. Es war zu damaliger Zeit auch unumgänglich zu heiraten, wenn ein Kind unterwegs war. Das war für beide wohl die einzige mögliche Konsequenz.

    Die Hochzeit war beschlossen und, wie in Bayern üblich, artete der Polterabend am Tag vorher in einer Alkoholorgie aus. Im Vollrausch hatte mein Vater dann mit einer anderen Frau Sex. Franz, sein bester Freund, mahnte ihn noch in der Nacht immer wieder: „Hans, mach nicht den Fehler zu beichten, Weiwi reißt dir den Kopf ab!"

    Mein Vater, immer noch im Alkoholnebel, schüttelte den Kopf und erwiderte: „Franz, ich kann doch unsere Ehe nicht mit einer Lüge beginnen. Weiwi würde es sowieso herausfinden und sie wäre grausam genug, mir mein Kind für immer wegzunehmen. Ich bereue die Dummheit jetzt schon, aber ich weiß auch, sollte sie es von jemand anderem erfahren, ihrer Rache könnte ich nie entkommen."

    Nach seiner ehrlichen Beichte, bei der er wirklich Reue zeigte, kam er nicht mehr zu Wort. Die berechtigten Vorwürfe seiner Braut waren bis auf die Straße zu hören. Sie bezeichnete ihn als Volldeppen, der nur unterhalb der Gürtellinie denken kann, aber ansonsten kein Gramm Gehirn besitzt. Sie warf alles nach ihm, was sie in die Hände bekam, bis ihre Mutter dazwischenging. Sie war zwar der gleichen Meinung wie ihre Tochter, aber für sie ging es um „Schadensbegrenzung".

    Bei ihrer Nachbarin und Freundin Rosmarie reagierte sich Weiwi dann so richtig ab und schrie vor Wut und Zorn: „Dieser Hurensohn! Wenn der glaubt, ich heirate ihn noch, dann hat er sich gewaltig geschnitten! Ich kratz ihm die Augen aus und schick ihn zu seiner verblödeten Mutter zurück."

    Bevor Rosmarie beruhigend auf sie einwirken konnte, stand ihre Mutter hinter ihr und gab ihr eine schallende Ohrfeige: „Du warst so blöd, dir ein Kind andrehen zu lassen, jetzt musst du damit leben. Getrau dich ja nicht, die Hochzeit abzusagen, denn dann kannst du mit deinem ledigen Balg gleich in die Anstalt nach Schönberg gehen."

    Dort lebten zu der Zeit viele ledige Mütter, die entweder alkoholabhängig oder psychisch auffällig waren. Vor diesem Ort hatte Weiwi mehr Angst als vor ihrer Mutter. Die aber drehte sich auf dem Absatz um und verschwand nach dieser damals nicht unüblichen Reaktion wieder in ihrer Küche. Rosmarie fühlte sich sehr unbehaglich, konnte ihre Freundin aber auch nicht beruhigen. Ihr war vor dieser Furie, wie sie sie nannte, angst und bange. Sie weigerte sich nach diesem lautstarken Ausbruch auch, auf die Hochzeitsfeier zu kommen. Auf keinen Fall wollte sie vor der Nachbarschaft noch als Freundin von Weiwi gelten. Sie machte drei Kreuze, als sie endlich ging.

    Meine Oma blieb demonstrativ der Trauung und Hochzeitsfeier fern, denn es war keine kirchliche Trauung. Wie ich erst als Erwachsene erfahren habe, durfte die Mutter meines Vaters nicht zur Trauung kommen, da es ansonsten, laut Weiwi, keine Vermählung gegeben hätte. Mein Vater und seine Mutter fügten sich, um die Hochzeit nicht zu gefährden. Niemand konnte mir je sagen, warum das Verhältnis in der ganzen Verwandtschaft so hasserfüllt war. Meine Großmutter sah den beiden nur durchs Fenster nach, als sie nach der Trauung in der Kutsche an ihr vorbeifuhren. Auch sie kam nicht zur Feier.

    Mein Vater und meine Mutter und all ihre Freunde trafen sich auf dem Vorplatz der Stadtkirche. Es gab zwar keine kirchliche Trauung, aber es war die einzige Stelle, an der sich so viele Leute treffen konnten. Obwohl alle über die Schwierigkeiten der beiden miteinander Bescheid wussten, machte die ganze Gesellschaft einen fröhlichen Eindruck. Hier konnte man dann tatsächlich ein Lächeln auf dem Gesicht der Braut sehen, aber von Vertrautheit war keine Spur.

    Egal wie sehr alle versuchten, eine entspannte Atmosphäre zu schaffen, die Bemühungen waren umsonst, denn sie wendete sich immer wieder von meinem Vater ab. Als er dann seine Weiwi, wie er sie liebevoll nannte, vor allen Freunden um Verzeihung bat, antwortete sie immer noch sehr verletzt: „Ich heirate dich nur, weil meine Mutter mich dazu zwingt, und glaube ja nicht, dass die Zukunft für dich schön werden wird."

    Die Freunde hielten den Atem an und waren mehr als bestürzt über diese Ansage. Meinem Vater soll dabei alle Farbe aus dem Gesicht gewichen sein, aber er bewahrte Haltung. Er bot ihr seinen Arm an, um gemeinsam zum Standesamt hochzugehen – vergeblich. Danach gingen sie, jeder von der gegenüberliegenden Seite, zum Eingang hoch. Schlechter konnte der Start in die Ehe nicht sein. Alle Bemühungen der Freunde, die Braut ein bisschen milder zu stimmen, liefen ins Leere.

    Es war eine typische Trauung in Kriegszeiten, mit vielen Soldaten, auch wenn mein Vater zu dem Zeitpunkt nur Reservist gewesen war. Fast alle seine Freunde waren bereits im aktiven Dienst. Mein Vater sah es auch als seine Pflicht an, mit dieser Heirat seine zukünftige Frau in jeder Hinsicht abzusichern. Es war immer noch Krieg und die Gefahr doch noch eingezogen zu werden, war immer da. Für ihn war es trotz der äußeren Umstände eine Liebesheirat, für meine Mutter nur eine lästige Pflicht. Mein Vater glaubte daran, dass sich alles doch noch einrenken würde.

    Sie aber war unversöhnlich und zeigte das auch ganz deutlich. Sie ignorierte ihn und tat, als ob er gar nicht existent wäre. In ihrem Hass war sie grausam. Schon das Hochzeitsbild zeigt alles andere als ein glückliches Paar. Freunde mussten sie mit viel Aufwand dazu überreden, überhaupt ein Hochzeitsfoto machen zu lassen. Eigentlich wären sie ein tolles Paar gewesen, nur die Augen meiner Mutter sind kalt und ausdruckslos.

    Die Chance zur Versöhnung hatten sie verpasst. Selbst die Fahrt in der liebevoll geschmückten Hochzeitskutsche machte meine Mutter zu einem weiteren Drama. Sie weigerte sich, neben ihrem Bräutigam zu sitzen. Sein bester Freund Franz entschärfte die Situation, indem er sich wie selbstverständlich neben sie setzte. Mein Vater musste gezwungenermaßen gegenüber Platz nehmen. Alle Leute auf der Straße, die sie auf dem Weg zur Feier in der Kutsche sahen, fanden das zwar merkwürdig, aber typisch für meine Mutter.

    Sie zahlte es ihm auf diese Art und Weise heim, obwohl auch sie, wenn sich die Gelegenheit bot, kein Kind von Traurigkeit war. Sie tanzte und flirtete gerne, erwartete von ihrem Partner aber vollkommene Aufmerksamkeit und Loyalität. Auf dem folgenden Fest flog sie von einem Arm in den anderen, und sogar beim Hochzeitsmahl setzte sie sich nach der Suppe an einen anderen Tisch. Die Verwandten und Freunde waren mehr als pikiert und fanden ihre Art und Weise, sich an ihrem Bräutigam zu rächen, alles andere als erträglich. Franz versuchte immer wieder, mäßigend auf sie einzuwirken, aber ohne Erfolg. Sie zeigte sich von ihrer bösartigsten Seite und buhlte bei den Freunden um Anerkennung für ihr Verhalten. Nur, da war keiner mehr auf ihrer Seite.

    Hier waren offensichtlich zwei Menschen, die nicht mehr den Weg zueinanderfanden.

    Die „Berg-Fexen", Freunde meines Vaters, spielten bis fast vier Uhr früh. Er selber war ein leidenschaftlicher Bergsteiger und ein ebensolcher Skifahrer und die Berge waren für ihn sein eigentliches Zuhause. Die Musiker stammten aus dem angesagtesten Alpenverein der damaligen Volksmusikszene. Mit ihren Gstanzln zauberten sie sogar manchmal ein Lächeln auf das Gesicht meiner Mutter, denn sie erzählten von der großen Liebe ihres Freundes zu seiner Weiwi. Im Laufe des Abends soll er sich dann doch noch mit ihr halbwegs versöhnt haben. Obwohl er sich auch danach sehr um sie bemühte: Verzeihen konnte sie ihm nie.

    Als ich schon lange erwachsen war, erzählte mir sein Freund Franz, dass sich mein Vater sehr über meine Geburt gefreut hat und sehr glücklich darüber war, dass es kein Junge geworden war. Nur für meine Mutter war ich von Anfang an nur eine Last. Sicher hatte es sie zu damaliger Zeit nicht einfach, im Hinterzimmer bei Oma mit einem Baby auf so engem Raum zu leben. Meine Oma war eine sehr dominante Frau und da schon ihre älteste Tochter einen unehelichen Sohn hatte, wollte sie diese Schande nicht noch einmal erleben. Darum hatte sie so auf einer Hochzeit bestanden, glücklich gemacht hat sie die beiden damit nicht.

    Meine Mutter stellte mich die meiste Zeit bei meiner Großmutter ab. Sicher war das Leben damals auch für sie nicht gerade einfach. Bilder von ihr zeigen eine ungewöhnlich hübsche junge Frau, die sicher sehr lebenslustig gewesen war. Auf dem einzigen Bild von mir mit ihr sieht es so aus, als ob sie mich doch ein bisschen geliebt hat.

    Da zu der Zeit Krieg war, gab es nur wenig Abwechslung für Weiwi. Auch das Zusammenleben in dem kleinen Hinterzimmer war bestimmt alles andere als einfach. Sich immer ihrer Mutter unterzuordnen, war sicherlich nicht das, was sie sich für ihr Leben vorgestellt hatte. Oma war sehr jung Witwe geworden und hatte ihre fünf Kinder alleine großgezogen. Das war bestimmt keine leichte Aufgabe, daher wahrscheinlich auch ihr herrisches Wesen.

    Der nächste große Fehler, den sich mein Vater leistete, war, mit seinem Freund Franz wieder mal eine Nacht durchzumachen. Er war von den ewigen Streitereien seiner Frau mit ihrer Mutter förmlich geflüchtet. Ihm war das so auf die Nerven gegangen, dass er seine Frau anschrie: „Du gehst mir mit deiner ewigen Nörgelei so auf die Nerven. Du kannst mich mal gernhaben. Ich gehe jetzt zu Franz und komme erst wieder, wenn du ausgesponnen hast."

    Er schlug die Türe zu, verschwand und ließ eine junge Frau zurück, die ihm die Pest an den Hals wünschte. Er zog mit Franz gutgelaunt um die Häuser, und da beide wussten, es würde bestimmt sehr spät werden, baten sie einen Freund, morgens um sechs Uhr für sie „einzustempeln. Das tat dieser dann auch, aber ein anderer, missgünstiger Kollege tratschte dies dann an ihren Chef weiter. Die Konsequenz aus dieser Verfehlung war dann leider, dass beide in den letzten Kriegstagen noch eingezogen wurden. Als dann der Marschbefehl postwendend da war, wurde ihnen doch bang ums Herz. Meine Mutter weigerte sich, ihn zu verabschieden, und so kam er zu ihr und sagte: „Pass mir gut auf meine Tochter auf und solltest du während meiner Abwesenheit das Mädchen auch nur einmal schlagen, wirst du mich von einer Seite kennenlernen, die dir bis heute fremd ist.

    Er hatte da wohl einen hellsichtigen Moment. Vielleicht ahnte er zu jenem Zeitpunkt schon, dass er nie aus dem Krieg zurückkommen würde. Meine Mutter hat sich all die Jahre trotz vieler seelischer Grausamkeiten nie getraut, auch nur einmal die Hand gegen mich zu erheben. Sie verabschiedete sich nicht von ihm und er stieg ohne Versöhnung ganz alleine in den Zug. Sie ließ ihn tatsächlich im Streit gehen, also war da nicht mal ein kleines Fünkchen Liebe geblieben. Mein Vater war in dem Moment sicher der einsamste Mann der Welt.

    Kaum, dass er aus dem Haus war, lief sie zu ihrer Freundin ins Nebenhaus. Ihre bösartige Äußerung, nachdem ihr Mann gegangen war, erschreckte Rosmarie bis ins Mark. Weiwi zeterte dermaßen lautstark, dass es auch wirklich alle hören konnten: „Hoffentlich schießt ihn ein Russe über den Haufen, damit ich ihn nie wieder sehen muss."

    Rosmarie war so entsetzt, dass sie sich immer mehr zurückzog und die Freundschaft löste sich bald auf.

    Es kam keinerlei Lebenszeichen von meinem Vater und Weiwi trauerte ihm keine Sekunde nach. Franz kam nach drei Jahren aus der Kriegsgefangenschaft nach Haus zurück, konnte aber keinerlei Auskunft darüber geben, wo mein Vater abgeblieben war. Als ich erwachsen war, erzählte er mir, dass er immer ein Bild von mir in seiner Brusttasche hatte. Leider hat es ihn nicht beschützt.

    Ich kann mich als Kleinkind nur an meine Mutter erinnern als eine Frau, die immer eine Zigarette im Mund und eine miese Laune hatte. Von Franz weiß ich, dass mich wenigstens mein Vater sehr geliebt hat. Er hat mich oft heimlich bei seiner Mutter vorbeigebracht. Nur hab ich daran keine Erinnerung, ich war noch zu klein. Später wurde „diese Oma" bei uns vollkommen totgeschwiegen, genau wie mein Vater. Das wurde mir erst in der Schule bewusst, dass es in meiner Familie keinen Vater gab. Ich denke, das war die Rache meiner Mutter, weil sie mit ihm nicht glücklich war. Nach Kriegsende wurde mein Vater als vermisst gemeldet und sie hatte nichts Besseres zu tun, als ihn sofort nach der vorgegebenen Frist für tot erklären zu lassen.

    Als ich schon zur Schule ging, belauschte ich ein Gespräch, aus dem hervorging, dass meine Mutter schon zwei Monate, nachdem die Vermisstenmeldung einging, zu einem Mann namens Frieder gezogen war. Mich ließ sie bei meiner Großmutter zurück. Meine Mutter hat zwar nie wieder geheiratet, aber nicht aus Respekt oder Liebe zu meinem Vater, sondern nur, um die Witwenrente nicht zu verlieren. Mit ihrem neuen Verhältnis Frieder führte sie von da an ein unbeschwertes Leben, denn mich hatte sie ja einfach bei Oma abgestellt.

    Die Jahre bis ich eingeschult wurde, waren für Oma sicher die schwersten ihres Lebens. Ich war ihr Sorgenkind und sie musste sich alleine darum kümmern, dass ich ihr nicht unter den Händen wegstarb. Meine Mutter interessierte sich nur für ihr eigenes Leben und darin kam ich nicht mehr vor. Außerdem kultivierte sie ihren Hass auf ihre Schwiegermutter, indem sie allen demonstrierte, wie glücklich sie mit Frieder war. Für Oma war dies alles eine große Last.

    Später erzählte mir Tante Liz, was meine Mutter ihrer verhassten Schwiegermutter vor allen Leuten an den Kopf geworfen hatte, als sich die beiden zufällig auf dem Wochenmarkt begegneten. Meine Großmutter wollte schon weitergehen, als meine Mutter ihr hinterherrief: „Damit du es weißt, ich bin heilfroh, dass dein Sohn im Krieg geblieben ist, und hoffentlich kommt er nie wieder!"

    Meine Omi soll kreidebleich und weinend weggegangen sein. Erst als ich dank einer guten Bekannten diese andere Omi kennenlernte, sah ich das erste Mal ein Bild meines Vaters. Auch mein Opa war unendlich glücklich mich endlich sehen zu können. Er verstarb kurz darauf und ich danke heute noch dem da oben, dass ich ihn noch kennenlernen durfte.

    Die Oma, bei der ich aufgewachsen war, wusste nicht, dass ich heimlich meine andere Omi besuchte. Leider hab ich zu ihr kein wirklich liebevolles Verhältnis aufbauen können, da ich nie gelernt hatte, Liebe und Gefühle zu zeigen. Sie selber hatte seit vielen Jahren einen Ersatz für mich, und zwar die Tochter ihres Bruders. Ich besuchte sie trotzdem immer wieder, aber dann gab sie mir zehn Pfennige und ich musste wieder gehen. Auf dem Heimweg war ich dann immer sehr traurig.

    Meine Mutter hatte unter Androhung, sie würde mich in ein Heim stecken oder zur Adoption freigeben, alle dazu verdonnert, mir auf keinen Fall zu sagen, dass es da noch eine andere Oma gibt. Jedem, der sie kannte, war klar, sie meinte es ernst damit. Später war sie unheimlich wütend, dass ich es trotzdem erfahren hatte, aber da war ich schon alt genug, mich gegen ihre Anordnungen zu wehren. Omi hatte in der Zeit, in der sie mich nicht sehen durfte, ihre ganze Liebe ihrer Nichte geschenkt. Ich konnte die Jahre nicht nachholen, und um ihre Liebe kämpfen konnte und wollte ich nicht. Trotzdem durfte ich sie manchmal auf ihrem Gartengrundstück besuchen. Da gab es Obstbäume, Erdbeerbeete, Himbeer- und Johannisbeersträucher und ich durfte mir den Bauch vollschlagen. Nur mit nach Hause nehmen durfte ich nichts. Sie nahm es Oma immer noch übel, dass sie mir nie erzählt hatte, dass es sie auch noch gab.

    Heute kann ich beide verstehen, es gab für sie einfach keine Wahl. Meine bösartige Mutter hatte die beiden Frauen in einen lebenslangen Konflikt gestürzt. Das Ergebnis dieser Querelen war, dass meine Cousine Helma den Platz in ihrem Herzen eingenommen hatte, den ich so gerne gehabt hätte. Als Omi älter wurde, verkaufte sie das Grundstück und zog in ein Altersheim. Als meine Mutter davon erfuhr, machte sie einen riesengroßen Aufstand. Sie hatte zwar schon viele Jahre kein Wort mehr mit ihrer Schwiegermutter gewechselt, aber jetzt kreuzte sie doch bei ihr auf. Sie warf Omi vor, dass sie das Grundstück nie hätte verkaufen dürfen, dies wäre ein Verrat an ihrem Sohn Hans. Der würde sich im Grab umdrehen, denn entweder stünde das Grundstück ihr, also seine Witwe zu, oder gegebenenfalls mir als seiner Tochter. Dieses Gezeter regte mich so auf, dass ich das sich langsam zum Besseren entwickelnde gute Verhältnis zu meiner Omi sofort wieder auf Eis legte.

    Als ob mir das Schicksal schon wieder ein Bein stellen wollte, starb Omi, als ich das erste Mal in meinem Leben in Urlaub war. Natürlich hatte meine Cousine die ganze Trauerfeier organisiert und mir blieb bei meiner Rückkehr nur noch ein Besuch an ihrem Grab. Sie schloss mich von allem aus, was mit dem Tod meiner Omi zu tun hatte. Nachträglich weiß ich auch warum. Sie hatte sich das gesamte restliche Geld aus dem Grundstücksverkauf unter den Nagel gerissen.

    Brennnesselspinat und Pfefferminz-Limonade

    – Wie Oma es schaffte, mich am

    Leben zu erhalten

    Mein Vater kam also nie aus dem Krieg zurück und Oma zog mich alleine auf. Obwohl sie außer ihren drei Söhnen den Sohn ihres Bruders und zwei Töchter großgezogen hatte, nahm sie auch mich noch auf. Auch Onkel Kuno wäre verhungert oder verkommen, hätte sie ihn nicht zu sich geholt. Ihr Bruder, der in Rosenheim lebte, war mit dem Kind vollkommen überfordert, denn er trauerte nur um seine verstorbene Frau und vergaß dabei seinen Sohn.

    Omas Wahlspruch war aber zeitlebens gewesen: „Wo sechs satt werden, werden es auch sieben." Sie glaubte auch daran, alles was man zur Türe hinaus gibt, kommt irgendwann zum Fenster wieder herein. Was für eine kluge, warmherzige Frau. Doch solange sie lebte, wurde sie von allen verkannt, zeitweise auch von mir.

    Ihr Mann starb, als sie noch ganz jung war und von da an gab es dann auch für sie keine Streicheleinheiten mehr. So lebte sie ihr karges Leben einfach weiter und versorgte uns alle. Die Verantwortung, sieben Kinder satt zu bekommen, sah sie als ihre Lebensaufgabe an. Auch hatte ihre älteste Tochter bereits einen ledigen Sohn, womit sie auch für diese beiden die Verantwortung übernommen hatte.

    Oma musste als junge Frau, als ihr Mann noch lebte, sehr lebenslustig gewesen sein. Das wurde mir erst viel später klar. Als ich groß genug war, brachte sie mir das Tanzen bei. Damit ich es auch kapierte, machte sie mir die Walzerschritte mit einem Besen vor. Noch heute erinnere ich mich an ihr strahlendes Gesicht und den Ausdruck in ihren Augen, endlich mal von den Pflichten, die sie sonst belasteten, losgelöst zu sein. Ich denke, dass sie mein Tanzunterricht an eine sehr glückliche Zeit mit ihrem Mann erinnerte. Erst heute kann ich das wirklich beurteilen. Nach dem Tod ihres Mannes gab es für sie nur noch die Pflicht, uns alle so gut wie nur möglich zu versorgen. Als dann auch noch ich dazukam, ein sehr kränkliches, kleines Mädchen, war dies bestimmt alles andere als einfach für sie. Die Sorge um ihre fast nicht lebensfähige Enkelin machte ihr das Leben noch sehr viel schwerer. Im Hinterkopf hatte sie immer die Angst, ich würde ihr unter den Händen wegsterben.

    Geld war so gut wie nie vorhanden, denn Oma musste immer schon nach dem 20. Tag im Monat im kleinen Tante-Emma-Laden, ein Haus den Berg hoch, anschreiben lassen. Meine Mutter interessierte das wenig, sie hatte jetzt eine neue Familie. Oma machte zu dieser Zeit aus allem, was sich irgendwie verarbeiten ließ, Essen. Aus Brennnesseln wurde Spinat gemacht, Pilze und Beeren aus dem Wald wurden eingemacht, um im Winter auch etwas zum Essen zu haben. Sie verwertete alles, von Bärlauch bis Sonnenblumen oder auch all das, was andere für Unkraut hielten. In dem kleinen Gärtchen neben dem Haus baute sie Erdbeeren, Tomaten, Gurken, Rettiche und so weiter an. Stachelbeeren und Johannisbeeren halfen ein wenig, alles etwas süßer und schmackhafter für uns zu machen. In der hintersten Ecke hatte sie einen wunderschönen Strauch mit weißen Heckenrosen gepflanzt. Der war wohl ein bisschen Trost für ihre Seele.

    Es gab niemanden, den es interessiert hätte, wie es ihr selbst ging. Sie versuchte alles, damit ich nichts davon mitbekam, wie es um uns bestellt war. Manchmal machte ich es ihr auch richtig schwer. Ich bettelte immer wieder: „Oma, ich möchte auch so eine Limonade wie die Kinder unserer Nachbarn, bitte, bitte!"

    Ich bemerkte gar nicht, wie sehr ich sie damit belastete. Da sich Oma für mich einfach keine Limonade leisten konnte und ich mich vehement weigerte, nur Wasser zu trinken, zauberte sie nur für mich eine „Limonade" aus Sacharin, Essigessenz und Pfefferminztee. Da ich es nicht anders kannte, denn bei den Nachbarskindern durfte ich nie probieren, war es für mich das tollste Getränk der Welt. Zucker gab es in Omas Haushalt nie, da sie immer krank wurde, wenn irgendwo auch nur ein bisschen davon drin war.

    Als dann die Weihnachtszeit kam, wurde es bei Oma in der Küche turbulent. Sie war als die beste Stollen-Bäckerin im ganzen Umfeld bekannt. Da kamen dann um vier Uhr früh die Nachbarinnen und es wurde gewerkelt, was das Zeug hielt. Am Ende waren es meistens so um die zwölf Stollen, die auf einem Waschbrett zum Backen in die naheliegende Bäckerei gebracht wurden. Auch für Oma war einer dabei, allerdings ohne Rosinen, Orangeade und Zucker. Als ich älter wurde, konnte ich ihr manchmal ansehen, wie traurig sie darüber war, nichts von ihren Köstlichkeiten selber essen zu können. Heute würde man sagen, sie hat eine Zuckerallergie.

    Oma wohnte damals ganz unten am Herbstberg, in einem uralten kleinen Häuschen mit Plumpsklo hinten im Hof. Über ihr wohnten direkt unter dem Dach die Blumosers. Er war ein sehr schweigsamer, extrem dürrer Mann und seine Frau machte auf mich immer den Eindruck einer Hexe, wie aus dem Märchenbuch. Beide waren Korbflechter, aber genauso arm wie Oma. In dem einen Raum, den sie bewohnten, wurde gekocht, geschlafen und die Körbe angefertigt. Vor ihrer Wohnungstüre stand immer ein großer Kübel mit Deckel, damit beide nicht bei jedem Bedürfnis die Treppe runter ums Haus zum Klo rennen mussten. Im Sommer konnte man es dann bis runter in den Flur riechen. Oma riss dann alle Fenster und Türen auf, um alles etwas erträglicher zu machen. Wenn die beiden dann im Hinterland unterwegs waren, um ihre Körbe zu verkaufen, entleerte sie schon mal selbst den großen Kübel. Denen ist das sicher aufgefallen, aber es wurde nie ein Wort darüber verloren. Hin und wieder brachten sie Oma ein kleines Stück Butter oder ein Hühnerbein von ihren Verkaufsfahrten mit, das war wohl der Dank dafür. Die Blumosers bewerkstelligten das alles mit dem Rad, Sommer wie Winter. Sicher keine einfache Aufgabe.

    Im Winter waren die Wände in dem uralten, teils baufälligen Haus von oben bis unten mit Reif bedeckt. Nur in der Küche war es erträglich. Da ich ja ein sehr dünnes, verfrorenes Kind war, zeigte Oma ihre Liebe wieder auf ihre ganz eigene Art. Sie baute in dem einzigen beheizten Raum, nämlich der Küche, ein Nachtlager für uns beide. Sie verbreiterte die „Ottomane" mit Hockern und Brettern. Darüber legte sie dann eine alte Matratze und polsterte sie mit Decken auf.

    Wenn Oma es sich Anfang des Monats leisten konnte, umwickelte sie zwei Briketts mit viel Zeitungspapier und ließ sie im Küchenofen die ganze Nacht vor sich hin glimmen. Dadurch war der Raum immer ein bisschen temperiert und ich hatte das Gefühl, in einem Himmelbett zu schlafen. Für meine stets kalten Füße gab es eine „Spezialwärmflasche" von ihr. Ein Ziegelstein wurde im Bratrohr aufgeheizt, mit einem Handtuch umwickelt und zu meinen eiskalten Füßen unter die Bettdecke geschoben. Ich kann heute noch das Gefühl von Geborgenheit nachempfinden, das mir diese liebevolle Geste vermittelte. Oma hätte nie das Geld gehabt, eine richtige Wärmflasche aus Gummi für mich zu kaufen, aber vermisst hab ich so eine nie.

    Aber dass ich immer die alten Kleider der Nachbarskinder auftragen musste, das machte mich unendlich traurig. Als Tante Zilly, Omas älteste Tochter, einmal davon Wind bekam, strickte sie für mich einen wunderschönen Trachtenjanker. Auf den war ich dann so stolz, dass ich ihn fast immer trug, egal ob er dazu passte oder nicht. Als Dankeschön kochte dann Oma für sie und ihren Sohn, der gerade mal ein Jahr älter war als ich, einen großen Topf Pichelsteiner: ein Festmahl.

    Dann gab es wieder Zeiten, da lag ich wieder mal über eine Woche im Bett und war zu schwach, um aufzustehen. Die Blumoserin sah als Einzige, dass Oma vor lauter Sorge um mich fast verzweifelte. Ich magerte immer mehr ab und laut Kinderarzt war er mit seinem Latein am Ende. Er meinte, dass ich bald sterben würde, sollte kein Wunder geschehen. Er schickte Oma mit den Worten weg: „Machen Sie Ihrer Enkelin die Zeit, die ihr noch bleibt, so schön wie möglich, denn für mich als Arzt ist sie austherapiert."

    Als die Blumoserin dann am Abend Oma schluchzend im Herrgottswinkel unserer Wohnung sitzen sah, machte sie ihr einen unheimlichen Vorschlag und sie schlossen einen Pakt. Oma ergriff mit viel Herzklopfen diesen Strohhalm. Die alte Hexe sagte dann Folgendes zu ihr: „Bei den Zigeunern gibt es eine Heilmethode für solche Kinder wie deine Enkelin."

    Oma war zwar zuerst entsetzt, aber dann sprang sie über ihren Schatten und sagte zu. Bei ihrer religiösen Einstellung war das zwar eine Todsünde, aber es ging um mein Leben. Oma musste schwören, mit niemandem darüber zu sprechen.

    Sehr viel später erfuhr ich, dass es ein Schamane gewesen war, der zu meiner Heilung beigetragen hatte. Er hatte bei Vollmond in einer magischen – für Oma heidnischen – Sitzung einen Wildhund geopfert, aus diesem Fett gewonnen und in eine alte Steinflasche abgefüllt. Die übergab er in einer feierlichen Zeremonie meiner Oma. Sie musste vor ihm kniend noch einmal schwören, jeder anderen Person gegenüber Stillschweigen zu bewahren.

    Das alles war sehr furchteinflößend für mich, aber ich verhielt mich ganz ruhig. Nachdem der unheimliche Mann gegangen war, nahm Oma die Steinflasche und trug sie in den Keller. Der Mann hatte gesagt, der Inhalt müsste immer gleich kühl gelagert werden. Danach saß Oma noch lange im

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