Ein Stich fürs Leben
Von Magda Bauer und Bernhard Bauer
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Buchvorschau
Ein Stich fürs Leben - Magda Bauer
La Coruna
Selbst für einen Novembertag war es zu kühl in La Coruna und der ablandige Wind schien sich mit der niedrigen Temperatur verbündet zu haben.
Die Möven flogen und kreischten wie immer, sie sahen die Ansammlung von Menschen offensichtlich als die üblichen Fischer, eben mit reichem Fang zurückgekehrt.
Doch heute gab es nicht die tägliche Ration von Fischresten, so sehr sie auch immer über die Köpfe der Anwesenden hinwegschwirrten. Ihren Ärger zeigten sie damit, daß sie sich auf die Fischer zu stürzen schienen und erst knapp vor deren Köpfe abdrehten.
Das Thermometer zeigte lediglich vierzig Grad Fahrenheit und die Korvette Maria Pita schwankte am Pier, als ob auch sie frieren würde.
Auch den beiden Herren am Pier sah man an, daß sie froren. Trotzdem schienen sie sehr konzentriert ihren Aufgaben nachzugehen.
Der eine, Don Francisco Javier de Balmis y Berenguer, ein Mann um die 50, noch mit ziemlich vollem Haar, rundem Kinn und ausgeprägter Nase. Körperlich nur durchschnittlich groß, verriet sein Gesicht doch Entschlossenheit.
Er war der Direktor der Expedition in die spanischen Überseegebiete, von König Carlos IV. selbst initiiert und finanziert.
Der andere, der Kapitän dieses eher unscheinbaren Dreimasters, der Maria Pita, Don Pedro del Barco.
Balmis wachte mit Adleraugen darauf, daß alle Güter unbeschädigt an Bord kamen, mahnte immer wieder zur Vorsicht. Besonders an den Thermometern lag ihm, immer wieder kontrollierte er sie, ob sie intakt waren, aber auch an den fünfhundert Exemplaren des Traktates über Impfungen von Moreau de la Sarthe war ihm sehr gelegen, nicht nur, weil er die Abhandlung selbst aus dem Französischen übersetzt hatte, sondern weil sie im Auftrag König Carlos IV. als Anleitung für die Impfungen gegen die Pocken zur Verteilung in den Kolonien bestimmt waren, um dort das Impfwissen auch in schriftlicher Form zu verbreiten. Die Belader brachten noch Lebensmittel, zwei Barometer zur Wetterbetimmung, Leinentücher sowie sechs Notizbücher zur Dokumentation dieser Impfexpedition gegen das gefürchtete und todbringende Übel, die Pocken.
Um die Unversehrtheit von Tausenden Glasplättchern kümmerte Balmis sich ebenfalls selbst, schließlich sollte für den Fall der Unterbrechung der menschlichen Impfkette zwischen jeweils zwei von Ihnen die Lymphe bewahrt und transportiert werden, auch wenn er selbst wegen des tropischen Klimas an deren Wirksamkeit Zweifel hatte.
Obwohl die Temperatur trotz einer fahlen Sonne kaum gestiegen war, schien Balmis leicht zu schwitzen. Es lag wohl eher an der Aufregung und weniger an der
Kleidung, hatte er doch den Reisemantel schon abgelegt und trug nur mehr seine Weste und eine knielange Hose. Oder lag es am zweispitzigen Hut?
Don Barco schien alles nicht schnell genug zu gehen, er wollte unbedingt noch heute auslaufen und trieb die Belader zur Eile an. Er war das Befehlen gewohnt, und von einem Kapitän erwartete auch niemand etwas anderes.
Beide wußten jedoch, daß eine lange gemeinsame Reise vor Ihnen stand und sie nur erfolgreich sein wird, wenn sie eng zusammenarbeiteten. Jeder mußte sich auf den anderen verlassen können. Und die Expedition mußte erfolgereich sein, wer würde es wagen, unter die Augen des Königs zu treten um von einen Mißerfolg zu berichten?
Die Möven hatten in der Zwischenzheit eingesehen, daß nichts zu holen war und verschwanden eine nach der anderen.
Statt ihnen fanden sich im Hafen viele Schaulustige ein, von Handwerkern, Hausfrauen und Kindern bis zu den Honoratioren der Stadt. Der Bischof, der Gouverneur, der Bürgermeister, sie alle waren gekommen.
Nur, warum erschien Senora Isabell Zendal mit den Jungen nicht? Schließlich sind sie für den Erfolg der Expedition wesentlich, als lebende Impfkette.
Es ging ein Raunen durch die Zuschauer im Hafen und dann kam sie endlich in Begleitung von gut zwanzig drei- bis achtjährigen Jungen, die blass und eher dünn, so wie Waisenkinder oft sind, hinter Isabel hertrotteten, aber alle adrett gekleidet mit einem Bündel ihrer Habseligkeiten am Rücken, gefolgt von ein paar Männern, die Truhen an Bord brachten.
Die größeren Kinder waren richtig aufgeregt, sprachen untereinander über das bevorstehende Abenteuer laut und aufgeräumt in lustiger und fröhlicher Stimmung. Sie hatten zwar wenig bis gar nichts von dem verstanden, was Isabel ihnen über die bevorstehende Reise erzählt hatte, waren aber einem Abenteuer keinesfalls abgeneigt.
Die anderen, vor allem die ganz kleinen, konnten sich keinen Reim daraus machen, was mit ihnen geschehen würde, waren still und schienen besorgt zu sein.
Als alles und alle an Bord waren, überprüfte Don Francisco zum letzten Mal ob auch nichts fehlte und Don Pedro, ob alles so verstaut war, daß bei höherem Seegang nichts beschädigt wird oder sogar verloren geht.
Der Bischof sprach seinen Segen und besprengte alle mit Weihwasser, auch die Umstehenden.
Don Barco beorderte alle Matrosen an Deck und gab seine Befehle aus.
Dann hiess es Leinen los, Balmis und Barco standen hinter dem Steuermann, die Zuschauer im Hafen riefen noch die besten Wünsche für den Erfolg der Reise hinterher und so begann die Real Expedicion Filantropica de la Vacuna am 30. November 1803, die weltweit erste philantropische Expedition in der Geschichte der Menschheit, beauftragt von Carlos IV. von Spanien.
Madrid
Nicht nur der königliche Hofarzt Dr. Requeno konnte sehen, daß Maria Teresa nicht mehr lange zu leben hatte, ein kleines Mädchen von knapp drei Jahren und Tochter des Königs Carlos IV. Auch seine Mutter spürte, daß der Tod sich unweigerlich anschlich.
Apathisch und schwitzend lag das Mädchen in seinem Bett, übersäht von Pusteln, die allen Umstehenden bekannt waren: Pocken.
Ihre Mutter (war selbst mit Pocken infiziert, hatte die Krankheit jedoch überstanden) hielt ihre Hand, streifte mit einem feuchten Tuch über ihre Stirn, und auch wenn das Fieber damit nicht zu besiegen war, sie tat es immer wieder.
Es herrschte Stille im Raum, und niemand wollte ein Wort sagen und diese Stille unterbrechen.
So flüsterte der Hofarzt Dr. Requeno der Königin das zu, was er sich verpflichtet fühlte zu sagen:
Madame, sollten wir nicht den König rufen?
Da begann die Königin erneut zu weinen und zu schluchzen, sie wußte was das bedeutet, dies von dem Arzt zu hören, dem sie und der König vertrauten. Und trotzdem wollte sie es nicht glauben.
Nach einer Weile bat sie den Arzt schliesslich, er solle jetzt zum König gehen.
So ging er aus dem Zimmer, dann durch die angrenzenden Räume des Palastes bis zu den Wachen vor den königlichen Privaträumen. Auch wenn er das volle Vertrauen des Königs hatte, mußte auch er sich an gewisse Regeln des Hofzeremoniells halten.
Er brauchte kein Wort zu sprechen, der Wachposten wußte, was er zu tun hatte, öffnete die Tür und verschwand.
Nach ein paar Minuten kam ein Diener, der sich verneigte und ihm mit einem Zeichen deutete, ihm zu folgen. Dr. Requeno folgte ihm durch zwei Räume und im nächsten erwartete ihn der Kammerherr, der an die Tür am Ende des Raumes klopfte, öffnete und laut hörbar sagte:
Majestät, der Hofarzt bittet, Sie zu sprechen
.
Es sei ihm gestattet
.
Ich hoffe, Sie bringen keine schlechten Nachrichten
.
Ich bedauere Majestät, ich würde gerne bessere Nachrichten bringen. Aber die Königin hält es für wünschenswert, wenn Sie zu Ihrer Tochter Maria Teresa kommen würden
.
Carlos IV. sprach kein Wort, erhob sich und beide gingen den Weg zurück, den Requeno gekommen war.
Am Krankenbett seiner Tochter Maria Teresa sprach Carlos kein Wort, betrachtete schweigend sein krankes Kind, ergriff kurz dessen