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Der Earl von Gaudibert gegen die Mächte der Finsternis: Teil 2 - Die Loge der Lucretia
Der Earl von Gaudibert gegen die Mächte der Finsternis: Teil 2 - Die Loge der Lucretia
Der Earl von Gaudibert gegen die Mächte der Finsternis: Teil 2 - Die Loge der Lucretia
eBook503 Seiten6 Stunden

Der Earl von Gaudibert gegen die Mächte der Finsternis: Teil 2 - Die Loge der Lucretia

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Über dieses E-Book

Zurück aus Hamish Hamilton müssen sich Graham McPherson und Suggs dessen bewusst werden, ihrem wahren Widersacher noch nicht begegnet zu sein. Das geheimnisvolle Kollektaneenbuch wirft zusätzliche Fragen auf. Bei ihren Ermittlungen kreuzen sie nicht nur die Wege weiterer berühmter Zeitgenossen, sondern stoßen zudem auf eine jahrhundertealte Verschwörung, die ihren Ursprung in dem kleinen Küstenort nahm und in die ihr alter Gegner St.John-Smythe verwickelt zu sein scheint. Um hinter dessen Geheimnis zu kommen, ersinnen sie einen tollkühnen Plan, der jedoch nicht für alle Beteiligten gut ausgehen wird …
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum12. März 2020
ISBN9783945045381
Der Earl von Gaudibert gegen die Mächte der Finsternis: Teil 2 - Die Loge der Lucretia

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    Buchvorschau

    Der Earl von Gaudibert gegen die Mächte der Finsternis - M.W. Ludwig

    Ludwig

    Der Earl von Gaudibert gegen die Mächte der Finsternis

    Teil 2

    Die Loge der Lucretia

    Impressum

    Alle Rechte an den abgedruckten Geschichten liegen beim Art Skript Phantastik Verlag und dem Autor.

    Copyright © 2020 Art Skript Phantastik Verlag

    Lektorat » Marion Lembke

    » www.mysteryofwords.de

    Komplette Gestaltung » Grit Richter | Art Skript Phantastik Verlag

    Innenseiten-Illustrationen » Jana Jorde

    Der Verlag im Internet

    » www.artskriptphantastik.de

    » art-skript-phantastik.blogspot.com

    Alle Privatpersonen und Handlungen sind frei erfunden.

    Ähnlichkeiten mit realen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

    Über den Autor

    M. W. Ludwig wurde 1977, 81 Jahren nach den schauerlichen Ereignissen in diesem Buch, im Rheinland geboren. Bereits während seines Anglistik und Germanistikstudiums an der RWTH Aachen arbeitete er als Pressesprecher verschiedener internationaler Künstler, Eventmanager, Zeitungskolumnist und Radiomoderator. Inzwischen lebt er mit seiner Frau, einem Sohn und zwei Töchtern, zweieinhalb Hunden, einer Katze und einem Papagei abwechselnd im (fast) westlichsten und (fast) östlichsten Zipfel Deutschlands, wo er neben seiner schriftstellerischen Arbeit Englisch unterrichtet und Theaterstücke inszeniert. Geschichten denkt er sich schon aus, so lange er denken kann. Und im Sommer 2016 klopfte dann ein gewisser Graham McPherson an seine Tür…

    Facebook: www.facebook.com/MW-Ludwig-863417360432210/

    Für

    Henriette, Wilhelmine, Bruno und Konstanze

    Für Tanja

    Wo waren wir stehengeblieben?

    Etwa ein Jahr nach dem Ende ihrer Wette wird McPherson, inzwischen mit Gann Li-Pen verheiratet, von seinem einstigen Rivalen St.John-Smythe aufgesucht, der behauptet, von übersinnlichen Kräften verfolgt zu werden. Zwar lehnt es McPherson zuerst ab, ihm zu helfen, doch ändert er wenig später seine Meinung, als er sich gezwungen sieht, für seine Verlegerin einen Gruselroman zu schreiben. St.John-Smythes Geschichte scheint ihm hierfür wie geschaffen. Doch scheint es, als käme diese Entscheidung zu spät – St.John-Smythe ist nämlich plötzlich wie vom Erdboden verschwunden. Gemeinsam mit Suggs, zu dem er inzwischen ein eher angespanntes Verhältnis hat, dringt er in das Haus des Spiritisten ein. Dort treffen sie auf Roger Kint, einen geheimnisvollen jungen Mann, der sich als St.John-Smythes Neffe vorstellt, ihnen jedoch auch nicht weiterhelfen kann.

    Derweil wird London von einer Reihe sonderbarer Ereignisse heimgesucht. Dort erwartet Suggs eine große Überraschung: Die Prinzipalin der Theatertruppe ist niemand anders als seine frühere Partnerin und große Liebe Miranda, die ihn einst nach einem Betrug im Stich gelassen hatte.

    Von Aleister Crowley, einem ehrgeizigen wie zwielichtigen Okkultisten, erfährt McPherson von einem geheimnisvollen Zauberspiegel, der angeblich das Tor zur Erkenntnis darstellt.

    Bei seinen Recherchen sucht McPherson St.John-Smythes Lehrstuhl an einem kleineren College auf, wo er Dr. H.G. Francis, dessen Assistentin kennenlernt, die ihr eigenes düsteres Geheimnis zu hüten scheint. Dort ereilt ihn die Neuigkeit, dass der Gesuchte wieder aufgetaucht ist. Angeblich habe er in dem kleinen Küstenort Hamish Hamilton in North Yorkshire einen Selbstmordversuch unternommen und ist daraufhin in die nahegelegene Nervenheilanstalt Seaberry Hill House überführt worden.

    McPherson und Suggs zögern nicht, dorthin aufzubrechen, wo ihnen eine Reihe schauriger Abenteuer widerfahren und sie nur knapp dem Tode entrinnen.

    Hamish Hamilton scheint zu alledem Schauplatz zweier weiterer Mysterien zu sein, die wohl irgendwie mit St.John-Smythes Problem zusammenhängen: Etwa 80 Jahre zuvor wurde die junge Österreicherin Laura Palmer nach einer unheilvollen Begegnung in ihrer Heimat zur Genesung in die Obhut ihres Onkels Sir Sebastian Melmoth geschickt, was von dessen Tochter Heather Grace und ihrem brüderlichen Freund, dem Burschen Nicholas Foe, argwöhnisch beäugt wurde, immerhin verhielt sich Laura äußerst seltsam.

    Vierzig Jahre später, in den 1850ern, geriet eine Bande von Internatsschülern mit dem mysteriösen Zauberkünstler Dr. Urian aneinander, der sie auf seiner Bühne der Lächerlichkeit preisgab. Eine Schmach, die besonders Sinner, der Anführer der Clique, nicht auf sich sitzen lassen wollte.

    Unterdessen erhält Gann eine Reihe mysteriöser Botschaften, die ihr furchtbare Angst bereiten, deren Zusammenhang sie jedoch noch nicht erfassen kann. Dennoch ist sie sich dessen bewusst, in furchtbarer Gefahr zu schweben.

    Und hier sind wir nun wieder. London im Jahr 1896. Der Jahreswechsel steht kurz bevor. Kalter Wind weht durch die Straßen und Gassen der Hauptstadt des Empire und über die Themse. Schauen Sie dort! An der Kaimauer hat gerade ein Schiff angelegt. Es handelt sich um einen kleinen Kutter, der von der schottischen Küste hierher gesegelt ist. Am Bug steht der Name des Schiffes: Blind Mermaid. Die Seeleute sind so schwer damit zugange, das Schiff zu vertäuen und die Ladung zu löschen, dass niemand den leisen Schrei hört, der plötzlich in einer winzigen Kajüte unter Deck ertönt …

    Vorhang auf, für eine weitere Reihe tragischer Ereignisse …

    I.

    Eine Reihe mysteriöser Begebenheiten

    »That is the true beginning of our end«

    William Shakespeare. Ein Sommernachtstraum; V, 1

    »Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich.«

    Leo Tolstoi. Anna Karenina

    1.

    Willkommen in London

    Das Mädchen stöhnte leise auf und warf einen letzten Blick auf seinen Zettel, bevor es ihn sorgsam in einer Tasche des viel zu großen Seemannsmantels verstaute.

    Vor zwei Stunden war der Skipper in die kleine Kajüte gekommen, die man ihr für die Überfahrt zugestanden hatte. Das schwere Pochen seiner Stiefel hatte ihr bereits verraten, dass er kommen würde, noch bevor er seinen Schlüssel in das Loch an ihrer Tür gesteckt hatte. Instinktiv hatte sie die dünne Decke höher gezogen. Im flackernden Licht der Tranfunzel hatte sie sein Gesicht kaum erkennen können, als er sich zu ihr runter beugte und mit sturmgegerbter Stimme verkündete: »Wir sind da, Missie. London. Sie können jetzt von Bord gehen.«

    Eben wollte ein seltsames Gefühl sie erfassen - war es nervöse Vorfreude, war es die Leichtigkeit, endlich von Bord zu kommen? -, als er sie packte und mit unbarmherzig starkem Griff zurückhielt. »Natürlich erst, sobald Sie für Ihre Überfahrt bezahlt haben!«

    Sie biss sich auf die Unterlippe, bis sie fast die Zähne aufeinander spürte, um nicht laut zu schreien. Sie hatte bereits für die Überfahrt bezahlt, immer und immer wieder hatte sie das in den vergangenen Wochen getan. Doch hätte es keinen Sinn gehabt, ihm das zu sagen. Das wusste er wohl genauso gut wie sie. Sie hatte keinen Besitz gehabt, als sie auf der Insel Hoy vor der Nordküste Schottlands an Bord des Kutters Blind Mermaid gegangen war, nichts, was sie den Männern hätte anbieten können als Preis für den Transfer. Alles, was ihr von ihrem Vater geblieben war, war ein schlichtes Amulett. Das jedoch zu veräußern kam nicht in Frage. Sie hatte es versteckt, so gut sie konnte. Und tatsächlich hatte es niemand bei ihr entdeckt.

    Sie blickte auf die Narben an ihren Armen und Beinen. Zuerst hatten sie die Männer abgeschreckt, als wären sie ein schlechtes Omen, doch war diese Zurückhaltung nicht von langer Dauer gewesen.

    Schnell schon hatte es ihr nichts mehr ausgemacht, die Tage hier unten im schwachen Licht der Funzel zu verbringen. Hier hatte sie wenigstens ihre Ruhe vor deren unzüchtigen Blicken und dem, was sie diesen folgen ließen.

    Sie warf einen langen Blick auf das Bild in ihrem Medaillon. Dabei wurde sie erneut von jener unbestimmten Hoffnung erfasst, die ihr den Mut zu dieser Reise erst gegeben hatte.

    Schnell stopfte sie ihre wenigen Habseligkeiten in einen Seesack, warf ihn sich über die Schulter und verließ die Kajüte. Sie hatte fast die Treppe zum Außendeck erreicht, als ihr etwas einfiel. Sie machte noch einmal kehrt und ging zurück in die enge Kammer. Dort griff sie nach dem Schlüsselbund und schloss die Tür von außen zu.

    Sie achtete nicht auf die schäbigen Kommentare der Seeleute, ging zielstrebig auf den Steg zu, der von Deck zur Kaimauer führte. Es schwankte etwas unter ihren Füßen und sie musste sich festhalten, um nicht in die brackig kalte Themse zu fallen.

    Staunend betrachtete sie die Hafenarbeiter, die mit ihren Kränen und Seilwinden die Ladungen löschten. Sie hatte es tatsächlich nach London geschafft. Fast war ihr, als würde ihr Herz einen Schlag aussetzen. Schnee wurde ihr eiskalt ins Gesicht geweht, doch spürte sie die stechende Kälte gar nicht.

    Als sie ihren Seesack wieder hochheben wollte, fiel ihr auf, dass ihre Finger noch immer blutig waren. Sie hatte sich mit dem Skipper nicht über die letzte Rate ihrer Reisekosten einigen können. Man konnte sagen, dass sie am Ende das stichhaltigere Argument gehabt hatte. Sie wischte das Blut notdürftig an ihrem Mantel ab, dann ging sie langsam, denn der Boden schwankte immer noch, über die Kaimauer davon.

    Sie wusste nicht viel über diese Stadt. Alles, was sie wusste, war, dass hier ein Mann lebte, den sie würde finden müssen. Ein Mann mit Namen Vincent St.John-Smythe.

    ***

    In dieser Nacht fand Graham McPherson kaum Schlaf. Waren seine Beschwerden bislang hauptsächlich tagsüber aufgetreten und hatten im wohligen Dahindämmern von ihrer Schärfe verloren, riss und brannten sie inzwischen des nachts mit heiterem Zynismus weiter. So sehr er sich auch drehte und wendete, er bekam keine Ruhe. Sogleich begannen seine Gedanken wieder zu rotieren und er dachte an all die möglichen Krankheiten, über die er in diversen Nachschlagewerken gelesen hatte und auf die womöglich seine Symptome hindeuteten, wenngleich seine Ärzte anderer Meinung waren. Aber natürlich konnten auch Ärzte irren. Wenn sie sich nur auf eine Krankheit hätten einigen können! Er seufzte und griff nach seiner Medizin, die er stets griffbereit auf seinem Nachttisch stehen hatte.

    Gann stöhnte im Schlaf. Wahrscheinlich befand sie sich gerade in einem schlechten Traum. Er beugte sich zu ihr und strich ihr liebevoll die Haare aus dem Gesicht. Auch wenn er es ihr nicht sagte, hatte er doch ein schlechtes Gewissen ihr gegenüber. Seit Monaten schon kreisten seine Gedanken abwechselnd um seine Gebrechen - und die Geschichte - und seine Gebrechen. Dass Gann derweil versuchte, sich ihm zuliebe in seiner Welt zurechtzufinden, bemerkte er zwar, würdigte es jedoch viel zu wenig.

    »Es tut mir leid«, hauchte er und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Da schreckte sie auf und ergriff seine Hand. Zuerst dachte er, sie wäre erwacht und wollte etwas sagen, doch dann bemerkte er, dass sie anscheinend weiterschlief. Ihre Augenlider waren fest zusammengepresst, ihr Gesicht schmerzverzogen. Ihr Körper bebte. Als wollte sie einen unsichtbaren Gegner vertreiben, wälzte sie sich hin und her. Dabei schrie sie etwas, das er nicht verstand und wohl Thailändisch war: »ต้องการอะไรกับฉัน Shen-Te? โปรดทิ้งฉันอยู่คนเดียว! หัวใจฉัน! โปรมัน!«¹ Dann sackte sie in seine Arme und begann bitterlich zu weinen.

    2.

    Antrittsbesuch

    »Du magst sie wirklich, oder?«, fragte Gann.

    Suggs nickte zaghaft.

    »Auch so sehr, dass du ihren Verrat verzeihen kannst?«

    Suggs überlegte eine Weile, dann nickte er wieder. »Ich denke schon.«

    Gemeinsam saßen sie im Salon des Hauses am Abney Park. Voller Dankbarkeit für seine Unterstützung hatte McPherson nach ihrer Heimkehr beschlossen, Suggs und seine wiedergefundene Freundin Miranda heute Abend zum Dinner einzuladen.

    Als nun der Abend gekommen war, bemühte sich Suggs, bereits vor der vereinbarten Zeit am Abney Park zu sein. Nicht, dass er so sehr auf Überpünktlichkeit bedacht war. Vielmehr lag dies in einer ganz konkreten Bitte begründet, die ihm ein wenig peinlich war. Zwar hatte er im Laufe der Jahre gelernt, Menschen einzuschätzen und ihre geheimsten Begierden zu erraten, das weibliche Geschlecht allerdings war ein Geheimnis, dessen Enthüllung ihm noch nicht gelungen war. Seit Mirandas Verschwinden im vergangenen Jahr (und wohl auch schon vorher, wenn er ehrlich war), fühlte er sich stets etwas unbeholfen, wenn es allzu emotional wurde. Da sie nun als weitgereiste Dame von Welt zurückgekehrt war, überkam ihn plötzlich große Sorge, ihr nicht genügen zu können.

    Und so hatte er schweren Herzens Gann darum gebeten, ihm Tipps für den Umgang mit Frauen im Allgemeinen und Miranda im Speziellen zu geben. Ein Freundschaftsdienst, dem sie, nachdem sie ihren anfänglichen Lachanfall überwunden und verstanden hatte, dass es ihm ernst war, gerne nachkam. Glücklicherweise war McPherson noch unterwegs zu irgendeinem seiner zahlreichen Therapeuten (es fiel ihr schwer, den Überblick zu behalten), so dass sie vorerst ungestört waren.

    Fast tat er ihr ein wenig leid, als er so vor ihr saß. Andererseits war sie wütend darüber, wie leichtherzig er scheinbar über Mirandas Verrat hinwegsah. Es schien wohl tatsächlich um ihn geschehen zu sein. Blieb nur zu hoffen, dass sie es nun wenigstens ehrlich mit ihm meinte.

    »Und glaubst du, dass sie noch etwas für dich empfindet?«, fragte sie.

    Er wich ihrem Blick aus. Offenbar fiel ihm die Antwort sehr schwer. Sie wollte ihn gerade erlösen, da klingelte es an der Tür.

    »Oh, wenn man vom Teufel spricht!«, bemerkte Gann mit einem Lächeln.

    Mrs Lang öffnete die Salontür. »Bitte entschuldigen Sie, Mrs Gann, aber draußen steht ein Bote, der eine Nachricht für Sie hat.«

    »Eine Nachricht für mich?« Augenblicklich wurde ihr schlecht. »Ja, aber … warum hat er sie Ihnen nicht einfach gegeben?«

    »Bedauere, aber er besteht darauf, sie Ihnen selbst zu geben. Ich fürchte, er erhofft sich dadurch ein höheres Trinkgeld«, antwortete die Haushälterin.

    »Wenn das so ist«, sagte Gann geistesabwesend. Sie fürchtete, dass es dem Menschen keineswegs nur um ein paar Pennies ging. »Wenn du mich für einen Augenblick entschuldigst, Suggs?«

    Er nickte, und sie folgte Mrs Lang aus dem Salon, wobei sie große Mühe hatte, ihre Anspannung zu verbergen.

    Der Gang zur Haustür wurde mit jedem Schritt kälter, was nur bedingt an den winterlichen Temperaturen liegen mochte. Als Gann schließlich die Haustüre öffnete, war ihr, als berührte sie einen Eisklotz. Sie holte tief Luft und warf einen Blick nach draußen. Ein grobschlächtiger Asiate in einem schwarzen Anzug stand auf dem Treppenabsatz und blickte sie entschlossen an.

    »Was kann ich für Sie tun, Sir?«, fragte sie aufgesetzt selbstsicher.

    »Miss Kanschalak. Er hat mir eine Nachricht für Sie gegeben.«

    Natürlich bestand für Gann kein Zweifel daran, wer er war. Zumal sie in diesem Moment die schwarze Kutsche auf der anderen Seite der Straße bemerkte.

    »Worin besteht sie?«, fragte sie.

    Der Mann griff in seine Tasche, zog einen zusammengefalteten Zettel hervor und reichte ihn ihr. Ehe sie ihm auch nur danken konnte, verbeugte sich der Mann wortlos und kehrte zur Kutsche zurück. Sie überlegte, ihm etwas nachzurufen, ihn um ein erklärendes Wort zu bitten, biss sich jedoch auf die Zunge. Er hätte ihr doch keine Antwort gegeben. Ein Bote Lo-Pans lernte sehr schnell, seine Aufgabe zu erfüllen, ohne dabei nach links oder rechts zu schauen oder gar selbst zu denken.

    Bibbernd vor Kälte und Aufregung blickte sie ihm nach, bis die Kutsche losgefahren war, das Papier krampfhaft umklammert. Endlich, als sie hinter der nächsten Ecke verschwunden war, traute sie sich, es aufzufalten. Ihr Atem ging stoßweise und ihre Sicht verschwamm, als sie die Zeilen las, die in thailändischen Lettern darauf geschrieben waren:

    น้องกันย์ คิดว่า ผม แก้ปิศนา, ไม่อยากพูดมาก แค่ ถ้าข้อมูลของเราถูกต้อง แล้ามันจะดีกว่า ถ้า น้องไม่ปล่อยคนอื่นเห็น ในอีก 2 วัน. ผม จะอธิบายทุกอย่างให้. ไว้ใจเรา. ความไม่รู้ เป็น ของขวัญ. L.²

    Sie wollte kreischen, wollte schreien, bekam jedoch keine Luft. Mühsam hielt sie sich am Treppengeländer vor der Haustür fest, um nicht wegzusacken.

    Der Zettel fiel ihr aus der Hand und segelte trotz seines gewaltigen Gewichts gemächlich wie eine große Schneeflocke zu Boden - wo er just in diesem Augenblick von einem überaus gut gelaunten Graham McPherson aufgehoben wurde. »Nanu, was haben wir denn da? Gann, was machst du hier draußen in der Kälte?«

    Für einen Moment wurde ihr schwarz vor Augen und sie überlegte sich schon krampfhaft eine Antwort, eine lapidare Erklärung für das nicht Erklärbare, als ihr plötzlich einfiel, dass der Schrieb in einer Sprache verfasst war, die er nicht lesen konnte. Eine warme Woge der Beruhigung umfing sie. Wenigstens dies.

    »Das ist nur … eine Nachricht von einem Lieferanten aus dem Chinatown. Ich hatte bei ihm einen Heiltee für dich geordert, der nun angekommen ist«, log sie spontan.

    Liebevoll strich er mit seinen Fingern über ihre eiskalte Wange. »Du bist so aufmerksam, mein Schatz!«

    »Das bin ich wohl«, antwortete sie gedankenverloren.

    »Aber nun lass uns schnell reingehen, ehe wir uns den Tod holen!« Er legte seinen Arm um sie und wollte eben die Türe öffnen, als sich hinter ihnen jemand leise räusperte.

    »Entschuldigung, Mr McPherson?«

    Überrascht drehten sie sich um. Eine Frau in einem schwarzen Mantel stand ein paar Schritte vor der Haustür und blickte zu ihnen hoch. »Mein Name ist Miranda Quinn. Die … Bekannte von Suggs. Bitte verzeihen Sie mein Zuspätkommen. Ich habe einer alten Verwandten noch einen Besuch geschuldet, der sich nicht mehr aufschieben ließ.«

    »Natürlich«, entgegnete er freundlich. »Treten Sie doch bitte ein!«

    »Danke Ihnen!« Zögernd folgte sie ihnen ins Haus.

    Im schummrigen Licht der Diele sah Gann die Frau genauer. Sie war etwas kleiner als sie selbst, mochte vielleicht 35 Jahre alt sein. Ihr Gesicht zeugte davon, dass sie durchaus schon einiges erlebt hatte, wobei ihre eisblauen Augen für Ganns Begriffe vielleicht etwas zu abgründig, ihr spitzes Lächeln etwas zu kokett waren. Am auffallendsten jedoch war ihre feuerrote Mähne, die ihr lose bis über die Schulter fiel. Dazu kam, dass Gann das unbestimmte Gefühl hatte, sie von irgendwoher zu kennen, was bestimmt unmöglich war. Denn selbst wenn sie so einige Frauen ihres Kalibers kannte, wiesen diese doch meist andere ethnische Züge auf. Keine Frage, sie verstand, was einen Mann so verrückt machte, wenngleich sie auf Anhieb beschloss, diese Frau zuerst einmal im Auge zu behalten.

    ***

    Lady Sylvia Batton Rouge war Witwe.

    Seit sie es vor drei Jahren endlich geschafft hatte, ihren Mann zu Grabe zu tragen, lebte sie allein in ihrem Stadthaus am Eaton Place in Belgravia, wenn man die zahlreichen Bediensteten nicht einrechnete, die sich täglich von ihr schikanieren ließen.

    Sie war äußerst standesbedacht, bestand auf einer strikten Trennung zwischen der Herrschaft und ihren Lakaien. Vor vielen Jahren hatte es da einen Zwischenfall gegeben; ein Mündel ihres Gatten war in andere Umstände geraten, noch dazu durch sein eigenes Zutun. Ein unfassbarer Hass hatte sich in ihrem Herzen gegen dieses Balg aufgestaut. Wie eine Mutter hatte sie sich ihrer zuvor angenommen, nachdem ihre Eltern, Klienten von Sir Batton Rouge, verstorben waren und der ältere Bruder zu mittellos war, um sich um sie zu kümmern, und hatten ihr damit das Armenhaus erspart. Obdach hatte sie ihr geschenkt und dabei nicht viel mehr verlangt als Respekt und Anstand. Sie hatte ihr gar in ihrer unfassbaren Güte gestattet, sie Tante Sylvia zu nennen. Nur um dann so schmerzhaft hintergangen zu werden.

    Die genauen Umstände interessierten sie dabei ebenso wenig wie die Frage, wer mit wessen Einverständnis was getan hatte. Wichtig war allein, einen drohenden Eklat zu vermeiden; das Kind musste weg. Und sein Baby mit ihm. Daran gewöhnt, selbst zu erledigen, was zu erledigen war, beauftragte sie eine treue Zofe damit, nach einer Engelmacherin zu schicken. Dabei ließ sie durchscheinen, dass der Zweck alle Mittel und Opfer erlaubte. Als es ein paar Abende später im Schutz der Dunkelheit an der Tür klingelte, befand sie sich mit ihrem Gatten in einer besonders heiteren Aufführung von Shakespeares Viel Lärm um nichts. An jenem Abend wurde der große Heizkessel im Keller des Hauses zum ersten Mal in diesem Herbst angefeuert.

    Unglücklicherweise verstand die Engelmacherin ihr Handwerk jedoch soweit, dass das rote Scheusal den Weg nicht gemeinsam mit seinem Bastard antreten musste. Nachdem sie sich von ihren Blutungen erholt hatte, immerhin war Lady Batton Rouge ja kein Unmensch, brachte man sie mit einer stattlichen Mitgift im Substitute for Hope Asylum for Poor Orphan Girls, einem Arbeits- und Waisenhaus in Lisson Grove, unter.

    Ihren Mann, dem sie außerhalb der spärlichen Momente, zu denen sie ihr unsägliches Ehegelübde noch verpflichtete, ohnehin kaum noch im Privaten begegnete, schnitt sie von nun an mit kühler Verachtung. Er sollte seine Vorliebe für das junge weibliche Hauspersonal noch zwei, drei weitere Male so sehr übertreiben, dass sie daran nicht vorbeisehen und sich der dummen Gans annehmen musste, bis er eines Nachts bei der neuerlichen eigenen Auslegung seines Dienstherrentums an ein Mädchen geriet, welches ihn mit einer Rattenfalle erwartete. Dies setzte seinen Trieben ein jähes Ende. Wieder reagierte Lady Batton Rouge, wie man es von einer Lady erwarten konnte; das Mädchen flog auf die Straße, der Skandal wurde vermieden. Ihr Mann starb ein paar Wochen später friedlich an den Folgen einer nicht weiter präzisierten Entzündung, wie es im Leichenbericht behutsam formuliert stand.

    Seitdem verwaltete sie den Besitz mit eisiger Strenge. Gelächter wurde in den Fluren ebenso vermieden wie sonstige Geräusche, an denen die Lady Anstoß nehmen konnte. Umso verstörender waren die Laute, die Punkt zehn Uhr in dieser Nacht durch das Haus am Eaton Place schallten und Lady Batton Rouge kurz nach dem Einschlafen aus dem Schlaf rissen. Schlaftrunken brauchte sie einen Moment, um zu realisieren, dass es sich bei dem unsäglichen Krach um das Gebrüll eines Säuglings handelte.

    Wütend fuhr sie auf. Was hatte das nun wieder zu bedeuten?

    Offenbar hatte jemand ein Neugeborenes in ihr Haus gebracht, das nun aus Leibeskräften krakeelte. Diese Unverfrorenheit sollte nicht unbestraft bleiben. Sie langte nach ihrer Rute, die sie allzeit bereit neben dem Bett stehen hatte, zog ihren Nachtmantel an und begab sich aus dem Schlafzimmer, um diesem Balg samt seiner verlotterten Mutter eine Lektion zu erteilen.

    Ein schwerer Geruch klebte wie Nebelschwaden in der Luft, offenbar ein Überbleibsel der Marmelade, die die Köchin heute eingekocht hatte.

    Atemlos schritt sie durch die Zimmer, eine Kerze in der einen, die Rute in der anderen Hand, derweil das, was sie mit dem armseligen Geschöpf anstellen würde, mit jedem Raum, den sie unverrichteter Dinge wieder verlassen musste, in ihrem Kopf gewalttätigere Züge annahm. Wütend schlug sie auf Kissen und Decken, Zierpflanzenkübel und Regale. Bald hatte sie die gesamte obere Etage durch, doch obgleich alle Räume leer waren, schrie das Baby weiterfort, als wäre es nur wenige Meter vor ihr.

    Nachdem sie auch die letzte Tür aufgerissen und sich trotz des Lärms davon hatte überzeugen müssen, dass das Zimmer dahinter leer war, sank sie zitternd vor Zorn auf die Knie. Da wurde sie plötzlich der kleinen vergitterten Luke gewahr, die dicht über dem Fußboden verlief und als Heizöffnung diente. Sie kroch näher heran und tatsächlich schien es, als kämen die schrillen Töne genau von dort.

    Mit einem Male sprang sie auf und stieg, so schnell es ihre Knochen erlaubten, die Treppe in den Heizkeller hinab, während ihr die Umstände nun glasklar waren: Eines der Dienstmädchen mochte sich das Balg eingefangen und heimlich entbunden haben. Um unbemerkt zu bleiben, hatte sie sich entschlossen, das brüllende Etwas im Keller zu versorgen.

    Doch das konnte ihr so passen! Mit der Erkenntnis dessen stieg eine sinistere Freude in ihr auf. Oh, sie würde sie lehren, wer hier was entschied!

    Doch wie groß war ihre Verwunderung, als sie die schwere Tür zum Heizungskeller aufstemmte und diesen trotz des Schreiens, das hier ohrenscheinlich seinen Ursprung nahm, bis auf den gewaltigen Heizkessel und den Kohlehaufen dahinter leer vorfand. Allerdings stand die Kesseltür einen Spalt weit offen. Ein dreckiger Stofffetzen baumelte heraus. Dahinter züngelten kleine Flämmchen empor. Was sollte das nun wieder bedeuten? Mit der Spitze der Rute drückte sie den Lumpen in den Kessel und schmiss die Tür zu.

    Augenblicklich hörten die Schreie auf. Als hätte sich das Balg im Kessel selbst befunden, was jedoch ganz und gar unmöglich war. Immerhin brannte dort das Heizfeuer.

    Verwirrt und gleichsam unbefriedigt trat Lady Batton Rouge den Rückweg an. Von oben würde sie der Zofe nach einem Schlafmittel läuten. In diesem Moment erblickte sie die Fußspuren. Rote Abdrücke nackter Füße, die eben noch nicht da gewesen waren, führten aus dem Keller und die rückwärtige Treppe hinauf. Neuerlicher Jagdtrieb erwachte in ihr und sie folgte der Spur bis ins Dachgeschoss. Und da wurde ihr bewusst, wo die Fußabdrücke sie hinführten: in die Dachkammer am obersten Treppenabsatz, in der einst ihr Mündel gewohnt hatte.

    Als sie dort anlangte, war die windschiefe Zimmertür nur angelehnt. Mit der Spitze ihrer Rute drückte sie sie ganz auf.

    Und erstarrte im nächsten Augenblick.

    Vor ihr in der Dunkelheit stand sie, das Mädchen, in ihrer zerlumpten Unterwäsche. In ihrem Arm hielt sie ein tropfendes Bündel. Erschrocken nahm Lady Batton Rouge eine Hand vor den Mund. Da wurde das Mädchen ihrer gewahr. Langsam hob es seinen Kopf und blickte sie aus seinen eisigblauen Augen an. Lady Batton Rouge musste sich am Türrahmen festhalten, um standhaft zu bleiben, als es mit leiser, doch scharf schneidender Stimme sagte: »Hallo Tante Sylvia! Wie schön dich zu sehen!«

    Aber nein, das konnte doch gar nicht sein!

    »Du?«, rief sie in die Dunkelheit. Zwar erkannte sie die Stimme des Mädchens, und doch war es vollkommen unmöglich, sie hier zu sehen. Bestimmt träumte sie nur! Und das ließ sich schnell beenden. Mit aller Kraft kniff sie sich in den Arm. Doch so sehr sie ihre Haut auch drehte und zerrte, diese furchtbare Erscheinung blieb, wo sie war.

    »Ich bin gekommen, um deinem Mann sein Kind zu bringen!«, fuhr da die Erscheinung unbeirrt fort und hielt ihr das blutige Bündel entgegen. Dabei erklang ein leises Klingeln, wie von einem Glöckchen.

    Ehe die Lady reagieren konnte, löste sich das Bündel aus den Händen des Mädchens und schwebte durch den düsteren Raum wie von Dämonenhand auf sie zu. Erschrocken hob sie die Hände und wich vor der Erscheinung zurück. Dabei vergaß sie, dass sie dicht vor dem oberen Treppenabsatz stand. Sie ruderte zwar noch wild mit den Armen in der Luft, doch half ihr auch das nicht mehr viel. In einem Bogen, der jedem Zirkusartisten zur Ehre gereicht hätte, flog sie die Treppenstufen hinunter, um mit einem lauten Pochen, das das leise Knacken ihres Genicks mühelos übertönte, am unteren Ende der Stufen auf einem Teppichläufer zu liegen zu kommen, für dessen unzureichende Reinigung sie vor wenigen Stunden noch die Rute hatte herausholen müssen.

    ***

    »Bitte sagen Sie, Miss Quinn …«, setzte Gann an.

    Der Abend war inzwischen recht weit fortgeschritten und sie hatten die Tafel gegen die ungleich gemütlichere Sofagarnitur vor dem Kamin eingetauscht. McPherson schenkte eine dritte Runde Sherry für die Damen und Whiskey für sich selbst aus. Suggs blieb bei einem Glas Ginger Ale.

    »Miranda«, korrigierte ihr Gast. »Bitte nennen Sie mich Miranda.«

    »Gut, Miranda. Bitte helfen Sie mir, ich überlege bereits den ganzen Abend, ob wir uns schon einmal gesehen haben?«

    Miranda schien zu überlegen. »Nein, ich denke, dass ich mich erinnern würde.« Rückversichernd zwinkerte sie Suggs zu.

    »Ich dachte nur -«

    »Oh, vielleicht haben Sie mich einmal auf der Bühne gesehen?«

    »Sie sind Schauspielerin?« Gann nippte betont beiläufig an ihrem Drink. »Nicht das Schlechteste, was eine Frau machen kann.« Suggs blitzte sie an, woraufhin sie tat, als wäre sie sich ihrer Spitze gar nicht bewusst.

    »Ja«, antwortete Miranda mit Stolz in der Stimme. »Vielleicht haben Sie meine Vorführung im Grand Guignol Theater gesehen?« Sie wartete ein kurzes Zucken der Erkenntnis in Ganns Gesicht ab, wandte sich dann mit leiser Genugtuung an die gesamte Tischgesellschaft: »Es ist schon erstaunlich, wie viele sehr vornehme Menschen sich auch gern einmal etwas zu Gemüte führen, das ihnen Jane Austen nicht bieten kann. Wobei ich gehört habe, dass Sie im Glücksspielgeschäft tätig waren? Suggs erzählte so etwas von Keksen …« Dabei funkelte sie derart freundlich in Ganns Richtung zurück, dass die Punktrichter ihr zumindest ein Remis zugestehen mussten.

    Suggs stellte sein Glas ab und räusperte sich, um das Thema zu wechseln. »Wie haben Sie eigentlich vor, in Sachen St.John-Smythe weiterzumachen, McPherson? Wir haben ihn zwar gefunden, aber klüger sind wir immer noch nicht.«

    »Da haben Sie leider recht, mein Bester«, entgegnete dieser nachdenklich und stellte sein Glas ab. »Der Knoten ist keineswegs weniger entwirrt. Der Fall ist komplizierter, als ich dachte.«

    »Knoten? Fall? Jetzt machen Sie mich neugierig!«, brachte sich Miranda zurück ins Gespräch. »Es klingt ja wie eine dieser Geschichten von Dr. Watson!«

    »Oh, bestimmt ist Ihnen diese Geschichte viel zu trist. Viel zu unblutig. Und Verrat unter Freunden gab es auch nicht«, giftete Gann über ihren Sherry hinweg.

    »Sie meinen, so als würde man jemandem helfen, eine unmögliche Wette zu gewinnen um danach in seinem Buch der Lächerlichkeit preisgegeben zu werden?«

    Ehe die beiden zu physischen Waffen greifen konnten, ergriff McPherson schnell wieder das Wort: »Lassen Sie uns doch einmal konstatieren: St.John-Smythe stößt auf den Hinweis zu einem Zauberspiegel, durch den man mit dem Jenseits kommunizieren kann. Er tauscht sich darüber mit Alibori aus.«

    »Vielleicht kam der Hinweis ja sogar von ihm?«, überlegte Suggs.

    »Möglich. Jedenfalls ist Alibori nun tot.«

    »Vergessen wir nicht die Umstände. Der Professor hat sich aus heiterem Himmel erhängt. Zuvor hat er noch versucht, St.John-Smythe in London zu treffen, der ihn jedoch abblitzen ließ«, warf Gann ein. »Was wäre, wenn St.John-Smythe ihn bei dem Geheimnis um den Spiegel übervorteilt hat? Das sähe ihm wohl ähnlich.«

    McPherson nickte nachdenklich. »St.John-Smythe nimmt etwas später an einer Séance teil, um einen Geist zu beschwören. Der sagt ihm Verderben voraus und gibt sich im Folgenden alle Mühe, sein Versprechen zu halten.«

    »Woraufhin St.John-Smythe Sie aufsucht, allerdings nun seinerseits vor die Tür gesetzt wird«, sagte Suggs.

    »Er reist daraufhin selbst nach Hamish Hamilton, wo Alibori gelebt hat und besucht den Schauplatz einer örtlichen Geistergeschichte. Dann ist irgendwas passiert, das ihn dazu drängt, sich umbringen zu wollen.«

    »Allerdings wird er gefunden und ins Irrenhaus gebracht, wo Sie ihn dann besuchten«, fuhr Suggs für ihn fort. »Mir kommt da gerade eine Idee. Was wäre, wenn St.John-Smythe den Irren nur gespielt hat, um sich dort vor seinen Gegnern zu verstecken?«

    »Ehrlich gesagt, kam er mir ziemlich durch den Wind vor. Er verwechselte mich gar mit Wells, als ich die Zelle betrat, und schnüffelte an mir.«

    »Er schnüffelte an dir?«, fragte Gann mit verzogenem Gesicht.

    McPherson nickte. »Aber das war noch nicht alles. Am Ende unseres Gespräches bat er mich, einer bestimmten Frau etwas auszurichten.«

    Miranda beugte sich interessiert vor. »Und was war das?«

    »Dieses henochische Wort – Moooah, bereue.«

    »Was uns wieder zu dem Spiegel zurückbringt. Beziehungsweise zu der Suche danach.«

    »Eine Frau? Das könnte Dr. Francis gewesen sein!«, warf Suggs ein.

    »Wer ist diese Dr. Francis?«, fragte Miranda.

    »Sie arbeitet wohl für St.John-Smythe. Wir haben sie in seinem Büro getroffen«, erklärte Suggs.

    McPherson schüttelte den Kopf. »Aber St.John-Smythe deutete an, sie wäre schon einmal bei ihm gewesen. Er sagte: Sie wird mich bald wieder besuchen. Dr. Francis schien jedoch ebenso über seine Anwesenheit in Hamish Hamilton überrascht zu sein wie wir. Ganz zu schweigen davon, dass St.John-Smythe sagte, es fiele ihm schwer, ihren Besuch zu ertragen. So furchterregend schien mir Dr Francis nicht.«

    »Ach nein?«, zischte Gann schnippisch.

    »Nein, sie schien mir recht sympathisch. Außerdem …«

    Suggs, der im Gegensatz zu McPherson Ganns Frage durchaus richtig verstanden hatte, räusperte sich, um McPherson dabei zu unterbrechen, in sein Verderben zu segeln. »Ich denke, diese Frau ist unsere vielversprechendste Spur.«

    Plötzlich war es Gann, als träfe sie ein heißer Schwall Wasser. »Augenblick. Eine Frau, sagt ihr? Graham, du erinnerst dich doch an das Buch, das du mir von St.John-Smythe ausgeliehen hast. Through the …«

    »Through the Looking-Glass and what Alice found there«, ergänzte McPherson. »Was ist damit?«

    »In dem Einband steckte ein anderes Buch. Aber kein Roman. So etwas wie ein Notizbuch, eines, worin man Aufzeichnungen sammelt.«

    »Ein Kollektaneenbuch?«

    »Wie auch immer. Auf der ersten Seite stand eine kurze Nachricht, die sich an einen Sinner richtete. Darin wurde ein gewisser Swamp erwähnt, der tot ist. Der Absender nannte sich Alibi

    »Alibi, das könnte ein Spitzname von Alibori sein!«, bemerkte Miranda.

    Suggs blickte Gann entgeistert an. »Und davon erzählst du erst jetzt?«

    Sie zuckte mit den Schultern. »Alibi, Sinner, Swamp, ich hielt es nicht für wichtig.«

    McPherson griff nach ihrer Hand. »Und worum geht es in diesen Aufzeichnungen?«

    Sie überlegte. »Ich bin noch nicht sehr weit gekommen. Zwar kündigte dieser Alibi an, es ginge um irgendein Ereignis, das vor vierzig Jahren passiert ist, dann allerdings geht es hauptsächlich um ein Mädchen, das im Jahre 1818 davon erzählt, wie ihre Cousine zu ihrer Familie geschickt wurde, um sich von einer schweren Krankheit zu erholen.«

    »Denken Sie das Gleiche wie ich, Suggs?«, fragte McPherson aufgeregt.

    »Heather Grace und Laura. Die Geistergeschichte, hinter der St.John-Smythe in Hamish her war.«

    »Und wieder sind wir zurück in Hamish Hamilton.«

    »Das ist aber noch nicht alles …« Gespannt blickten sie Gann an. »In die Deckklappe des Buches war ein Bild eingenäht. Das Bild einer jungen Frau mit schwarzem Haar. Auf der Rückseite standen ein paar Buchstaben. Die waren aber ziemlich schwer zu entziffern. C. Cave oder so. Vielleicht der Name des Künstlers.«

    »C. Cave? Möglich. Es könnte jedoch auch der Name der Frau sein, nach der wir suchen. Ich denke, es macht Sinn, noch einmal nach North Yorkshire zu fahren und ihre neue Freundin Mrs Marsh nach etwaigen Liebschaften des seligen Professors zu befragen.«

    »Lassen Sie mich raten, wer Ihnen dabei vorschwebt …« Suggs schüttelte den Kopf.

    McPherson lächelte verlegen. »Nun, sie kennt Sie bereits. Noch dazu als Polizisten. Das macht es um einiges einfacher.«

    »Ich werde Suggs begleiten. Ich habe da so eine Ahnung,

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