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Die Friesenhexe in der Neuen Welt: Historischer Roman
Die Friesenhexe in der Neuen Welt: Historischer Roman
Die Friesenhexe in der Neuen Welt: Historischer Roman
eBook635 Seiten8 Stunden

Die Friesenhexe in der Neuen Welt: Historischer Roman

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Über dieses E-Book

Die begnadete Heilerin erlebt neue Herausforderungen

Anfang des 18. Jahrhunderts muss die Heilerin Kerrin einmal mehr die nordfriesische Insel Föhr verlassen. Nach dem Tod der Gottorfer Herzogin Hedwig Sophie hat der Bischof Christian August das Ruder im Herzogtum Schleswig-Holstein-Gottorf übernommen. Und für Kerrin bedeutet das zunehmend Gefahr, denn der Bischof hat ein besonderes Auge auf Frauen, die mehr als Heilerinnen zu sein scheinen. Und so flieht Kerrin auf einem Schiff in die Neue Welt, begleitet von ihren Kindern und den Böhmischen Brüdern, Anhängern des Reformators Jan Hus. Der abenteuerliche Weg führt über Baffin-Land und den Sankt-Lorenz-Strom weiter in den Süden, immer auf der Suche nach einem Ort der Ruhe und des Friedens, und immer begleitet von der Sehnsucht nach der Heimat …
SpracheDeutsch
Herausgeberp.machinery
Erscheinungsdatum18. März 2023
ISBN9783957657831
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    Buchvorschau

    Die Friesenhexe in der Neuen Welt - Karla Weigand

    PROLOG

    Die Insul Föhr … ist ihrer Grösse nach ein hübsch Insul / wird aber auch bewohnet von rauhen Leuten / wiewol sie ein wenig mehr als die Sylter poliret* seyn /… Sie ist länglich rundt / so man Oval oder Eyformig nennet: ihre Länge ist bey nahe anderthalb Meil weges / die Breite eine große Teutsche Meile / ist wol bewohnet / hat Geest und Marsch / und trägt demnach allerhandt Getreide / und hat gute Viehezucht/ drey Kirspel** / und in denselben bey 4200 Einwohner / wird durch zwei Landvögten nach den Herrschafften regieret …

    Caspar Danckwerth, im Jahre 1652

    * poliret: höflich (vgl. im Englischen: polite)

    ** Kirspel: Kirchspiel

    »Na, das hat uns grade noch gefehlt!«

    Kerrin Rolufsen beeilte sich, das junge Ding, das außer sich zu sein schien und kaum sprechen konnte, zu beruhigen. Sie war selbst reichlich verstört, als sie von Marret, einer ihrer Mägde, erfahren hatte, dass sich in der letzten Nacht im Kuhstall eine abscheuliche Missgeburt ereignet hatte.

    So etwas kam zum Glück nur sehr selten vor. Rindvieh war kostbar und die benötigten Weideflächen zu gering; nur die wenigsten Föhringer hielten sich Kühe. Üblich waren genügsame Schafe oder Ziegen. Nach kurzem Überlegen versuchte die Hofherrin abzuwiegeln, denn Marret, normalerweise eine vernünftige Person, erschien ihr arg durcheinander zu sein.

    Kerrin argwöhnte, es könne mit der erst kürzlich erfolgten Entbindung der jungen Magd zu tun haben. Möglicherweise war sie auch mit der freiwillig übernommenen Aufgabe, zwei Kinder gleichzeitig zu stillen, überfordert. Marret hatte sich nämlich auch für den kleinen Tamme als Amme zur Verfügung gestellt.

    Der Junge war einer der Zwillingssöhne von Kerrins Vetter Matz Lorenzen, Sohn des Nieblumer Pastors Lorenz Brarens und seiner kränklichen und deshalb heillos überforderten Frau Thorke.

    Was die Magd Marret derzeit so kopflos machte, war aber auch zu grauslich! Das neugeborene Kälbchen besaß einen deformierten und viel zu kleinen Kopf. Und was das Schrecklichste war: Das Tier hatte weder Augen noch Ohren …

    Da musste auch Kerrin, nachdem sie einen Blick auf das unglückliche Geschöpf geworfen hatte, kräftig schlucken und ihren Ekel unterdrücken. Sie hatte zwar schon einiges in ihrem Leben an Anomalien gesehen, aber das hier übertraf alles.

    »Man sagt, auf Hooge und der Insel Oomrang geht das schon seit einem halben Jahr so!«

    Marret schüttelte sich und vermied den Blick auf das elende Kälbchen, dem sogar seine eigene Mutter, Kerrins Lieblingskuh Dörte, keine Aufmerksamkeit schenkte. »Vermehrt kommen dort jetzt missgestaltete Lämmer zur Welt!«

    Kerrin riss sich zusammen und machte nicht viel Federlesens. Ohne erst nach einem der Knechte oder nach ihrem Vater, Commandeur Roluf Asmussen, zu rufen, zückte sie beherzt das scharfe Messer, das sie ständig in einer ledernen Scheide am Gürtel trug und schnitt dem bedauernswerten Kälbchen den Hals durch. Vor dem Schnitt hatte sie das Tier mit Kopf und Vorderleib in einen Heuballen gedrückt, um zu vermeiden, von dem herausschießenden Blutschwall besudelt zu werden.

    Anschließend packte sie das tote Kalb, das keinen Laut von sich gegeben hatte, steckte es in einen Rupfensack und verschnürte diesen ganz fest.

    Inzwischen hatten sich längst die meisten Knechte und Mägde des Anwesens stillschweigend im und vor dem Stall eingefunden, um zu beobachten, wie die junge Herrin auf das Unglück regieren würde.

    In aller Ruhe erteilte Kerrin Jon, einem ihrer zwei jütischen Knechte, den Auftrag, den Sack samt Inhalt bei der nächsten Ebbe im Watt zu vergraben. Essen würde das verunstaltete Tier ohnehin niemand … Nicht einmal den Inselarmen würde sie es anbieten können und es den Hofhunden vorzuwerfen, widerstrebte ihr.

    »Am besten, wir vergessen das Ganze möglichst schnell«, schärfte sie ihrem Gesinde ein. Marret, die bei der ganzen Aktion wie erstarrt neben Kerrin gestanden hatte, musste sie allerdings am Arm packen und leicht schütteln, damit die junge Magd wieder zur Besinnung kam. Das junge Ding nickte ernsthaft; aber Kerrin war sicher, dass im Nu ganz Föhr darüber Bescheid wissen würde.

    ›Würde mich nicht wundern, wenn jetzt wiederum das dumme Gerede über meine angeblichen Hexenkünste auf der Insel kursieren würde‹, überlegte sie verdrießlich. ›Einfach Blödsinn! Wenn ich tatsächlich etwas von Zauberei verstünde, würde ich wohl kaum mein eigenes Vieh verhexen! Aber mit Logik kommt man bei einigen Leuten nicht weit.‹

    Auch ihre Freundin Birte, eine sehr erfahrene Hebamme auf der Hallig Hooge, Tochter von Pastor Peter Knudtsen, hatte das schon leidvoll erfahren müssen. Die böswilligen Gerüchte über Birte waren so zahlreich geworden, dass die junge Frau schließlich ernsthaft daran gedacht hatte, die Flucht zu ergreifen und Hooge zu verlassen.

    Ihre noch kleinen Kinder Jens und Catrina wollte sie mitnehmen auf die Meerjungfrau, einen Segler, im Augenblick im Amsterdamer Hafen ankernd, den Birte Petersen von einem kinderlos verstorbenen Verwandten geerbt hatte. Woraufhin ihr boshafte Neider den Spottnamen Walfängerbraut angehängt hatten …

    ›Wie wird es Birte wohl ergehen in der Fremde?‹, überlegte Kerrin, die größten Respekt vor Birte Petersens Mut empfand, so etwas ernsthaft ins Auge zu fassen. Die junge Frau wollte Gerüchten zufolge irgendwo in Amerika, der »Neuen Welt«, landen und sich dort für lange oder gar für immer ansiedeln. Etwas, das Kerrin für sich auf gar keinen Fall anstrebte. Für sie gab es auf Dauer nur ein Leben auf Föhr.

    TEIL I

    EINS

    Kerrins eigene Pläne sahen folgendermaßen aus: Sie hatte sich ernsthaft vorgenommen, im späten Frühjahr oder Anfang des Sommers ihre liebe Freundin, die Herzogin Hedwig Sophie in Gottorf aufzusuchen. Die edle Frau hatte sie schon so oft eingeladen und immer war irgendetwas dazwischen gekommen. Wozu den Besuch noch länger hinausschieben?

    Während des vergangenen Winters war Kerrin, die im Jahr 1708 ihren siebenundzwanzigsten Geburtstag feiern würde, auf Föhr und den umliegenden Inseln und Halligen ihrer eigentlichen Profession als Heilerin nachgegangen, sooft man sie gerufen hatte.

    Und das war sehr häufig der Fall gewesen. Während der Zeit ihrer Abwesenheit, als sie in Grönland ihren verschollenen Vater, den Walfang-Commandeur Roluf Asmussen, gesucht und glücklich aufgespürt hatte, hatten sich die Kranken und Gebärenden an die zwei anderen Inselheiler wenden müssen. Die waren zwar keine Stümper auf ihrem Gebiet, aber mit Kerrin hatten sie nicht zu konkurrieren vermocht; was sogar ihre schärfsten Gegner insgeheim zugegeben hatten.

    Nur Birte auf Hooge war als Wehmutter annähernd so gut wie Kerrin, aber der blieben die Patienten fern aufgrund böswilliger Gerüchte …

    Im späteren Sommer 1708 käme Kerrin dann wieder aus Gottorf zurück und wäre bereit, zusammen mit Kaiken, der unehelichen Tochter ihres Bruders Harre, sowie mit dem Säugling Tamme ihren Vater und seine zweite Frau Beatrix van Halen, eine vermögende Witwe, nach Amsterdam zu begleiten und eine Weile dort zu verbringen.

    Roluf Asmussen hatte nämlich endgültig beschlossen, seinen Lebensabend in Holland zu verbringen, dem Walfang »Adieu« zu sagen und sich künftig um die weit gestreuten Import-Export-Geschäfte seiner Gemahlin zu kümmern.

    Kerrin würde eine Weile in Amsterdam bleiben und anschließend im Herbst zurück nach Föhr reisen. Kaiken und Tamme wollte sie nicht nach Gottorf mitnehmen. Das turbulente Hofleben erschien Kerrin für die Kleinen zu anstrengend. Außerdem könnte sie sich den Kindern sowieso nicht in dem Maße widmen, wie sie es für angebracht hielt.

    Die Kinder würden auf dem Hof unter der Obhut von Frau Beatrix und Kerrins Vater Roluf Asmussen bleiben, unterstützt von Muhme Göntje, der Frau von Pastor Lorenz Brarens. Ihre Stiefmutter hatte versprochen, dafür zu sorgen, dass Tamme bis Ende des Sommers abgestillt sein würde. Damit wären die Seereise und der Aufenthalt in Holland um einiges erleichtert …

    So jedenfalls sah Kerrins Plan aus, der von der gesamten Familie für gut befunden wurde. Göntje ermahnte die junge Frau wiederholt eindringlich, sich ja um »gute« Garderobe und den dazu passenden Schmuck zu kümmern.

    »Meine Liebe, du weißt doch, dass viele Damen am Herzogshof glauben – mit Ausnahme der Frau Herzogin natürlich –, dass alle Inselfriesinnen Bauerntrampel sind! Du bist also sozusagen Föhrs Aushängeschild und musst beweisen, wie falsch diese Leute mit ihrer Meinung liegen!«

    Das brachte Kerrin zum Lachen. Selbst ihre Stiefmutter mischte sich ein und pflichtete Göntje bei. Ein souveränes Auftreten bei Hofe würde sich auf jeden Fall für Kerrin positiv auswirken.

    »Keine Sorge, Beatrix!« Zur Anrede »Mutter« vermochte sie sich noch nicht durchzuringen. »Ich werde die Föhringer Damenwelt nicht blamieren! Ich habe noch die komplette gute Garderobe von meinem letzten Besuch in Gottorf wohlverwahrt in der Truhe liegen. Und den richtigen Schmuck habe ich von meiner verstorbenen Mutter Terke geerbt und auch einiges von meinem Vater als Geschenk erhalten!«

    Um Beatrix zu beruhigen, versprach Kerrin zudem, sich noch zwei Kleider, »Roben« nannte man diese Art, extra schneidern zu lassen. »Damit muss es dann aber wirklich gut sein! Ich bin schließlich keine Hofdame – und möchte auch um nichts auf der Welt eine werden!«

    In Wahrheit verspürte sie ein reichlich mulmiges Gefühl. Immerhin würde sie dort Herrn Claus von Pechstein-Mannsfeld begegnen, der bisher größten Enttäuschung ihres Lebens, der sich nach wie vor als Hofmann der Herzogin im Schloss Gottorf aufhielt.

    Auf den schmeichlerischen Edelmann und Blender seinerzeit hereingefallen zu sein, machte Kerrin selbst heute noch wütend. Er hatte ihr, dem damals noch naiven unschuldigen jungen Ding, die wahre und ewige Liebe vorgegaukelt, um sie in sein Bett zu bekommen. Sein Charme und seine heißen Liebesschwüre hatten sie alle Vorsicht und selbst ihre keusche Erziehung vergessen lassen; so war sie ihm hoffnungslos in blinder Verliebtheit verfallen und hatte ihm jedes Wort bezüglich einer gemeinsamen Zukunft geglaubt. Platz für nüchterne Überlegung war in ihrem übervollen Herzen nicht gewesen. Das hatte der feine Galan weidlich ausgenützt.

    Sobald sich eine Heirat mit einer vermögenden adligen Dame – wenn auch schon etwas fortgeschrittenen Alters – geboten hatte, hatte er Kerrin eiskalt abserviert und sofort zugegriffen, obwohl ihm diese »gute Partie« äußerlich überhaupt nicht zugesagt hatte. Ihre wohl gefüllte Geldschatulle dafür umso mehr …

    Für Kerrin war damals eine Welt zusammengebrochen. Am meisten erbost hatte sie jedoch sein dreistes Ansinnen: »Zwischen uns muss sich ja durch meine Heirat mit dieser Dame, an der mir übrigens überhaupt nichts liegt, gar nichts ändern, meine Schöne! Du kannst selbstverständlich meine Geliebte bleiben; wir sollten bloß diskret sein, damit unsere Frau Herzogin nichts davon mitbekommt! Hedwig Sophie scheint mir in diesen Dingen etwas altmodisch zu sein …!«

    Da war Herr von Pechstein bei Kerrin allerdings an die Falsche geraten. Sie hatte ihm nun ihrerseits die kalte Schulter gezeigt, auch wenn es ihr beinahe das Herz gebrochen hatte. Den verachtungsvollen Blick, den sie ihm zum Abschied zugeworfen hatte, hatte er so nicht erwartet und er war auch dementsprechend verblüfft gewesen.

    Er, der sich offenbar für unwiderstehlich hielt, konnte ihre Entscheidung keineswegs verstehen. Er war auch ausgesprochen beleidigt, dass sie anscheinend so leicht von ihm lassen konnte – vermochte sich jedoch insgeheim eines gewissen Respekts für ihre Charakterstärke nicht ganz zu verweigern.

    Vor allem hatte ihm die besonnene und ruhige Art doch irgendwie imponiert, mit der sie ihm um einiges klarer ihre Meinung über seine Handlungsweise verdeutlicht hatte, als es ein weinerlicher, zeternder oder gar hysterischer Ausbruch vermocht hätte.

    ›Schon um dem sauberen Herrn zu demonstrieren, dass ich in der Zwischenzeit keineswegs hässlicher oder nachlässiger geworden bin, werde ich mich so gut herrichten, wie es mir möglich ist‹, nahm Kerrin sich jetzt vor. ›Alles wird gut werden‹, sagte sie sich, um sich selbst Mut zu machen. ›Nur Hedwig Sophie wird vermutlich versuchen, ihr Veto einzulegen, sobald sie erfährt, dass ich sie und den Gottorfer Hof so bald schon wieder zu verlassen beabsichtige.‹

    Kerrin konnte ihre Freundin nur zu gut verstehen. Trotz des wundervollen Schlosses, in dem die Herzogin lebte, den unzähligen Annehmlichkeiten des höfischen Lebens, den Festen, den Konzerten und Bällen, den Jagdausflügen und sonstigen Zerstreuungen, war die junge Dame in ihrem goldenen Käfig zwar eine sehr reiche, aber auch eine sehr einsame Frau …

    Hedwig Sophie, Schwester des schwedischen Königs, hatte bisher in ihrem Erwachsenendasein noch nicht sehr viel Schönes erlebt. Erst eine unglückliche Ehe mit einem notorisch untreuen Ehemann, der sich nie wirklich für sie interessiert hatte; dann, nach dem frühen Tod des Herzogs, die alleinige Last der Regierung auf den schmalen Schultern, hin und her gezerrt von »Diplomaten« bei Hof, die nur eifersüchtig darauf bedacht waren, die Herzogin auf ihre Seite zu ziehen, um selbst den größten Prestigegewinn und die entsprechenden finanziellen Vorteile daraus zu ziehen.

    Und das bei der derzeitig heiklen politischen Lage: Der Nordische Krieg war noch keineswegs beendet; er machte im Augenblick lediglich eine kleine Pause.

    Dann war da noch die Erziehung ihres sechsjährigen Sohnes Carl-Friedrich, den sie abgöttisch liebte. War er doch das einzig Positive ihrer misslungenen Ehe mit dem an Selbstüberschätzung leidenden Herzog. Seinem Hang, sich als bedeutender Kriegsheld gebärden zu müssen, trotz seiner unbedeutenden Stellung unter den übrigen Akteuren des Nordischen Krieges, war auch sein frühzeitiges Hinscheiden 1702, kurz nach der Geburt seines Sohnes, zu verdanken gewesen.

    Leider herrschten am Hof recht unterschiedliche Meinungen über die adäquate Erziehung des künftigen Herzogs. Erschwerend kam hinzu, dass der Herzogin keineswegs allein die Aufzucht ihres einzigen Kindes oblag.

    Ihr Schwager, jüngster Bruder ihres verstorbenen Gemahls, der Geistliche Christian August, unlängst zum Erzbischof von Lübeck ernannt, nachdem Kerrins Oheim, Pastor Lorenz Brarens diese Ehre abgelehnt hatte, war nicht nur Mitregent im Herzogtum Schleswig-Holstein-Gottorf, sondern ebenfalls für Carl-Friedrich erziehungsberechtigt … »Einer Frau, selbst wenn sie Herzogin ist, traut man diese Aufgaben offenbar nicht zu!«, hatte Hedwig Sophie sich in einem Brief an Kerrin einst bitter darüber beklagt.

    ›Dagegen sind meine momentanen Probleme geradezu lächerlich‹, dachte Kerrin. ›Ich habe zwar schon einiges an Schlimmem ertragen müssen – den viel zu frühen Verlust der Mutter, sowie den Tod von Freunden und sogar Verlobten.‹

    Es war leider die Wahrheit: Alle Männer, die das Pech hatten, sich in die schöne Commandeurstochter Kerrin zu verlieben, waren bisher frühzeitig gestorben.

    ›Aber im Augenblick kann ich zufrieden sein. Ich selbst und alle meine Lieben sind gesund. Und das Beste: Mein über alles geliebter Papa hat wieder eine Gefährtin gefunden, die wunderbar zu ihm passt! Ich freue mich aufrichtig für ihn!‹

    Dass Roluf Asmussen mit Beatrix van Halen die richtige Wahl getroffen hatte, hatte Terke Kerrin schon vor längerer Zeit prophezeit. Hin und wieder erschien der jungen Frau nämlich ihre verstorbene Mutter Terke im Traum und weissagte ihr Dinge, die nur sie wissen konnte …

    Terke hatte zu ihren Lebzeiten die Gabe des sogenannten »Zweiten Gesichts« besessen. Und selbst nach ihrem Tod vermochte sie hin und wieder ihrer Tochter Kerrin, die ihr in vielem ähnlich war, Dinge und Ereignisse in Traumgebilden zu vermitteln, die sich nachträglich als wahr erweisen sollten.

    ZWEI

    Das laufende Jahr 1708 hatte mit eisigen Temperaturen begonnen; dazu waren plötzlich noch ungeheure Schneemassen vom Himmel gefallen. Priele waren eingefroren und sogar die Verbindung von Föhr zum Festland per Schiff war unmöglich gewesen; das öffentliche Leben auf den friesischen Inseln war erlahmt.

    Kerrin hatte die freie Zeit genutzt, um sich die zahlreichen Bücher ihres Oheims vorzunehmen, die vom Leben der wenigen europäischen Siedler auf dem nordamerikanischen Kontinent berichteten. Birtes Vorstellung vom Aufbau einer Existenz in der Neuen Welt hatte sie darauf gebracht, sich ebenfalls damit zu befassen – rein theoretisch natürlich.

    Etwa auf der Höhe von Grönlands Süden gelegen, schienen die landschaftlichen Gegebenheiten doch nicht ganz die gleichen zu sein, die Kerrin aus eigener Anschauung kannte. Obwohl auch Baffin-Land ein raues Land sein musste, mit eisigen Wintern und kurzen wärmeren Sommern, lebten dort aber mehr Tiere, als sie in Grönland gesehen hatte.

    Das Lesen musste Kerrin aber immer häufiger unterbrechen. Zunehmend wurde sie gefordert von ihrer lebhaften, aufgeweckten Pflegetochter Kaiken. Das kleine dreijährige Mädchen fiel nicht nur durch ihre ungewöhnliche Tierliebe auf, es schien ihrer Umgebung oftmals sogar, als verstünde es die Sprache der Tiere …

    Diesbezügliche Bemerkungen von Knechten und Mägden wehrte Kerrin aber jedes Mal vehement ab. Sie konnte es nicht zulassen, dass bereits über das kleine Kind seltsame Gerüchte in Umlauf kamen … Sollte es sich erweisen, dass auch ihre Nichte mit »der Gabe« gesegnet (oder geschlagen!) war, kämen noch früh genug Schwierigkeiten auf Kaiken zu.

    Verlangte die Kleine nach ihrer Aufmerksamkeit, war Kerrin jederzeit bereit, alles stehen und liegen zu lassen, um sich ihrer Nichte zu widmen, die zu allem und jedem Fragen hatte und darauf eine Antwort erwartete.

    Dass sich auch außerhalb der nordfriesischen Inseln und Halligen die Welt weiterdrehte und sich Wichtiges abspielte, konnte Kerrin jeweils durch ihren Oheim, den Nieblumer Pastor von »Sankt Johannis«, Friesendom genannt, erfahren. Lorenz Brarens führte nämlich unter anderem eine lebhafte Korrespondenz mit einer Hofdame der Herzogin Hedwig Sophie, Frau Alma von Roedingsfeld, die wiederum durch ihren Bruder beste Verbindungen zum russischen Zarenhof unterhielt.

    Bekanntlich hatten die Schweden am 3. Februar 1706 unter ihrem König Karl XII. – Hedwig Sophies Bruder – eine dreißigtausend Mann starke sächsische Armee, der auch Russen und Polen angehörten, vernichtend geschlagen. Und das mit nur achttausend Soldaten! Zar Peter hatte daraufhin das Klügste getan, was er in dieser Lage hatte tun können, nämlich den Rückzug anzutreten. Wobei er wohlweislich die tückischen Pripjet-Sümpfe umgangen hatte.

    Karl XII. hatte daraufhin seiner Armee die sofortige Verfolgung der Russen befohlen. Wie Pastor Brarens es insgeheim befürchtet hatte, versuchte er dabei eine Abkürzung genau durch dieses Sumpfgebiet!

    Ihr Oheim las Kerrin die wichtigsten Passagen aus dem Brief Frau von Roedingsfelds vor, mit all den zahlreichen Gefahren und Unabwägbarkeiten, denen die schwedischen Soldaten ausgesetzt gewesen waren – und die viele von ihnen samt ihren Pferden nicht überlebt hatten, weil sie im Schlamm versunken waren.

    Die schweren Karren mit zusätzlichen Waffen, Ersatzmunition, Medikamenten, Verbandszeug und nicht zuletzt Verpflegung, gingen als Erstes im Morast verloren. Also mangelte es auch daran und nicht wenige verhungerten und verbluteten in den Pripjet-Sümpfen oder starben, vollkommen entkräftet, am Gift der unzähligen Stechmücken, die schauderhafte Krankheiten übertrugen.

    Wäre Schweden komplett gescheitert, wäre das kleine Herzogtum Schleswig-Holstein-Gottorf völlig schutzlos gegen das feindlich gesinnte Dänemark dagestanden.

    Erst Wochen später war in Gottorf die erlösende Nachricht eingetroffen, die Schweden hätten sich trotz aller Schwierigkeiten durch die mörderischen Sümpfe vorangekämpft; zumindest ein Teil von ihnen.

    Die russischen Truppen hätten sie freilich nicht mehr einholen können. Der Zar konnte demnach davon ausgehen, dass zumindest vorläufig die Gefahr einer schwedischen Invasion Russlands nicht bestünde.

    Kerrins Onkel äußerte allerdings die Vermutung, dass Zar Peter – aufgeschreckt durch den unerwarteten schwedischen Angriff – nunmehr gewarnt wäre. Denn sein Heer, seine Offiziere und sein gesamtes Territorium waren für eine größere feindliche Auseinandersetzung keineswegs vorbereitet.

    »Wer Peters Denkungsart nur ein bisschen kennt, müsste wissen, dass er diesen Mangel jetzt schleunigst beheben wird!«, schrieb die Hofdame.

    Lorenz Brarens machte ganz unverhohlen den schwedischen König für das Fiasko verantwortlich. Karl XII. hatte sich ohne jeden Anlass, nur wegen seiner ausgeprägten Großmannssucht, auf kriegerische Kampfhandlungen mit Russland eingelassen.

    DREI

    Kaum war die Verbindung zum Festland wieder möglich, trafen dieses Mal auch Nachrichten von Gottfried Wilhelm Leibniz, einem engen Freund von Kerrins Oheim, im Nieblumer Pastoratshof ein.

    1646 in Leipzig geboren und aufgewachsen, seit 1676 allerdings Bibliothekar und Rat Herzog Johann Friedrichs von Hannover, hatte Leibniz immer noch gute Verbindungen nach Sachsen. Er wusste von den Ängsten der Bevölkerung vor der Brutalität der schwedischen Soldaten zu berichten, die vom sogenannten »Dreißigjährigen Krieg« her noch lebhaft ins Gedächtnis der Bevölkerung eingebrannt war.

    Der Gelehrte schrieb von der panischen Flucht der kurfürstlichen Familie. Der sächsische Staatsrat war nämlich entschlossen, den schwedischen Invasoren keinen Widerstand zu leisten.

    Jetzt musste nach ihrer Ansicht Schluss sein mit den überzogenen Ambitionen ihres Kurfürsten. Wozu sollte er noch König von Polen sein? Für August »den Starken« (ähnlich geartet wie der Schwede Karl XII.) wollten die Staatsräte nicht auch noch das sächsische Kurfürstentum opfern! Bereits am 13. Oktober 1706 hatte man nämlich einen Friedensvertrag mit den Schweden unterzeichnet. Warum diesen jetzt ohne vernünftigen Grund brechen?

    Der Pastor und seine Nichte Kerrin bedauerten, dass es jeweils so lange Zeit brauchte, bis man auf den Inseln Bedeutsames erfuhr. Mittlerweile konnte die politische Lage schon längst eine ganz andere sein.

    Bis zur Abreise nach Gottorf wollte Kerrin die verbleibende Zeit noch nutzen, um möglichst viele Stunden mit ihrer Adoptivtochter Kaiken und mit dem Säugling Tamme zu verbringen.

    Der kleine Junge verschlief zwar den größten Teil des Tages, aber für das kleine Mädchen war es am schönsten, vor Kerrin auf dem Rücken »Salomes« sitzend, über die Insel zu reiten; und das in einer Geschwindigkeit, dass ihre rotgolden schimmernden Haare durcheinandergewirbelt wurden und der Gegenwind in ihrem Gesicht das Atmen schwer werden ließ. Dann jauchzte die Kleine und feuerte ihre »Mama« an, noch schneller zu reiten.

    Ihre leibliche Mutter würde Kaiken vermutlich niemals kennenlernen. Hatte die blutjunge Magd sich doch gleich nach der Geburt von Harres unehelichem Töchterchen aus dem Staub gemacht … Übrigens ganz im Sinne Kerrins, die sich mit Freuden ihrer kleinen Nichte angenommen hatte.

    Auch sie genoss diese Ausflüge aus vollem Herzen. So konnte sie dem Kind die ganze Schönheit Föhrs vor Augen führen, um auch in Kaiken die Liebe zu ihrer Heimatinsel zu wecken.

    Gerade ein nicht besonders spektakuläres Erlebnis sollte im Gedächtnis der Kleinen einen ganz speziellen Eindruck hinterlassen, den sie auch in späteren Jahren nicht vergessen sollte.

    »Mama, kuck doch mal! Was machen die denn da?«, hatte Kaiken ganz aufgeregt gefragt und mit dem Fingerchen auf eine Reihe von jungen Leuten gedeutet, die mit übermannshohen Stangen zugange waren. »Was tun die denn mit den Besenstielen, Mama?«

    Kerrin musste lachen. »Besenstiele sind das zwar nicht, aber es macht großen Spaß, mein Schatz! Schau genau hin und du wirst sehen, wie sie mithilfe der Stangen über die vielen Rinnsale springen, die oft zwei Meter tief sein können und die wir Priele nennen! Ohne diese Stäbe wäre es gar nicht möglich, von einem Feld zum anderen, von einer Weide zur anderen zu gelangen – außer mit einem riesengroßen Umweg. So aber geht’s ganz leicht.

    Jeder Schäfer kann das«, erklärte sie der aufmerksam lauschenden Kleinen, »und natürlich jeder Bauernjunge. Sogar die Mädchen und jungen Frauen machen mit, wenn es darum geht, nur so zum Spaß über die Wasserläufe zu springen. Wer die meisten Sprünge schafft – ohne in den Priel zu fallen natürlich – hat gewonnen und bekommt den Preis, den sie jeweils vor Beginn des Spiels ausgemacht haben.«

    »Das ist aber lustig! Das gefällt mir!«, jubelte Kaiken. »Hast du das auch schon gemacht, Mama?«

    »Freilich! Alle jungen Leute auf Föhr tun das. Das nennt man ›Tradition‹.«

    »Darf ich da auch mitmachen?«

    »Natürlich, mein Schatz! Aber erst wenn du größer bist. Jetzt wärest du noch viel zu schwach, um überhaupt den Springstab zu halten!«

    »Versprich mir, Mama, dass du es mir sagst, wenn ich groß genug bin, ja?«

    »Ich versprech’s dir, mein Kind!«, schmunzelte Kerrin. Solche Augenblicke waren es, die sie unendlich glücklich machten.

    VIER

    Kerrins Gemütslage sollte sich bald dramatisch ändern. Der nächste Schlag hatte nicht lange auf sich warten lassen. Sie war noch dabei gewesen, ihr Gepäck zusammenzustellen, das sie an den Herzogshof mitzunehmen gedachte, als sich auf Föhr die niederschmetternde Nachricht verbreitete, die alle Insulaner wie ein Blitz an einem heiteren Sommertag traf.

    Frau Alma von Roedingsfeld war es, die als Unglücksbotin gedient hatte.

    Auf dem holsteinischen Festland hatte es in den letzten Monaten etliche Fälle von Pocken gegeben. Sogar in Gottorf hatte die schreckliche Seuche einige Menschenleben ausgelöscht. Als man jedoch bereits geglaubt hatte, die furchtbare Krankheit, gegen die es kein Mittel gab, hätte sich wieder davongemacht, war diese mit voller Wucht zurückgekehrt.

    Und dieses Mal hatte sie nicht einmal Halt vor dem herzoglichen Hof gemacht. Etliche Damen und Herren waren – zusammen mit einigen Bediensteten – binnen weniger Tage der Seuche erlegen. Auch die junge Herzogin hatte ihr Leben im Alter von nur siebenundzwanzig Jahren verloren.

    Wieder einmal hatten sich Kerrins »Gesichte« bewahrheitet. Weil der böse Traum sich nicht wiederholt hatte, hatte sie dieses Mal ernsthaft geglaubt, es käme nicht zum Schlimmsten und das Ganze wäre nur ein Irrtum gewesen …

    Frau von Roedingsfeld, selbst von der Seuche verschont geblieben, hatte in ihrer Trauerbotschaft noch geschrieben, König Karl von Schweden sei anlässlich der Kunde vom plötzlichen Tod der älteren Schwester tief betroffen gewesen und habe bittere Tränen vergossen.

    So unvermittelt, wie die Krankheit aufgeflammt war, so schnell war sie auch wieder verschwunden. Auf Föhr, den übrigen Inseln und Halligen hatte sie sich, dem HERRN sei Dank, gar nicht erst ausgebreitet.

    Auf Föhr waren die Menschen nach der Todesnachricht wie gelähmt. Man verdankte der edlen Frau doch so vieles! Ihr lauteres und freundliches Wesen hatte Hedwig Sophie bei sämtlichen Untertanen sehr beliebt gemacht, während sie gegenüber dem in einer Schlacht gefallenen Herzog eher Zurückhaltung oder gar Gleichgültigkeit empfunden hatten.

    Mit Wehmut hatten sich die Insulaner an den bereits länger zurückliegenden Besuch der Herzogin und an ihr Versprechen erinnert, anstatt der schlichten Anlegestelle in Wyk einen richtigen Hafen »By de Wyke!«, bauen zu lassen, der auch das Festmachen von größeren Schiffen ermöglichen würde.

    Am 31. Oktober 1704 hatte die Herzogin dem Ort Wyk die begehrte »Hafengerechtigkeit« verliehen. Pläne und erste Vorbereitungen waren bereits aufgenommen worden.

    Unter den untröstlichen Föhringern herrschte jetzt Einigkeit: Die begonnenen Arbeiten würden mit Sicherheit auf Eis gelegt werden …

    Die große Frage lautete jetzt, welches Schicksal Nordfriesland überhaupt drohte. Würde es seinetwegen zum Kampf zwischen Schweden und Dänemark kommen? Und wie würde darauf der deutsche Kaiser reagieren? Würden sich die Niederlande und womöglich die mächtige Seefahrernation England auch noch einmischen? Alles schien derzeit möglich zu sein.

    Und nicht zu vergessen: Den gefährlichen und verschlagenen Ludwig XIV. von Frankreich gab es immer noch; von Russlands Zar Peter ganz zu schweigen.

    »Der wird auf jeden Fall versuchen, das durcheinandergewirbelte Machtgefüge in Europas Norden zu seinen Gunsten auszunutzen«, hatte Kerrins Vater Roluf behauptet und niemand hatte ihm widersprochen.

    Kerrin hatten noch ganz andere, sehr trübe Gedanken umgetrieben.

    »Lever God! Wie wird es dem jungen Herzog, dem armen mutterlosen Jungen, ergehen? Carl-Friedrich ist mit seinen knapp sieben Jahren doch noch ein kleines Kind!«, hatte Kerrin nach einer Weile des Nachdenkens geflüstert, nachdem sie von der Katastrophe erfahren hatte.

    Diese Sorge trieb auch den Nieblumer Pastor um.

    »Jetzt ist der Knabe Vollwaise und allein auf das Wohlwollen oder die Willkür seines Oheims, des frisch gekürten Erzbischofs, angewiesen. Und die Herren, die bisher um die Macht und die Deutungshoheit am Gottorfer Hof bezüglich der einzuschlagenden Politik gerungen hatten, werden mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln versuchen, sich in Stellung zu bringen! Der kleine Herzog hat ja noch nichts zu melden!«

    Zweifellos standen nun dem unmündigen, jetzt auch noch mutter- und schutzlosen Knaben schwere Zeiten bevor. Aber nicht nur ihm, sondern auch allen Untertanen von Schleswig-Holstein-Gottorf.

    Die schlimme Nachricht hatte Kerrins Oheim, Pastor Lorenz Brarens seinem Schwager Roluf Asmussen und dessen künftiger Frau Beatrix auf dem Commandeurshof überbracht.

    Seinen Hoogener Amtsbruder, Pastor Peter Knudtsen, hatte er bereits über das schwere Unglück am Gottorfer Hof informiert. Deutlich war dem die Erleichterung darüber anzumerken gewesen, seine Tochter Birte samt ihren Kindern aus der Gefahrenzone Schleswig noch rechtzeitig herausgebracht zu haben und an einem – wie er hoffte – sicheren Ort zu wissen. Die Seuche war tückisch und konnte jederzeit auch die Inseln erreichen.

    ›So hat Birte ihr mutiges Vorhaben also in die Tat umgesetzt und ist tatsächlich von Hooge weggezogen.‹ Kerrin empfand großen Respekt vor Birtes Schneid.

    »Niemand weiß, wie es jetzt mit dem kleinen Herzogtum weitergehen wird«, hatte sie ihren Vater murmeln gehört. »Unser jetziger Herzog ist noch über viele Jahre hinaus viel zu jung und unverständig, um die Regierungsgeschäfte übernehmen zu können. Das werden andere für ihn in die Hand nehmen und wir müssen damit rechnen, dass wir künftig ein ewiges Gezerre um die Macht am Hof erleben werden. Es ist ein wahrer Jammer. Gott möge uns Nordfriesen beistehen!«

    Kerrins Stiefmutter Beatrix, die aufmerksam zugehört hatte, hatte ihrem Mann einen fragenden Blick zugeworfen. Sie wusste natürlich im Großen und Ganzen Bescheid über die politische Lage des Herzogtums, aber Einzelheiten bezüglich des Charakters der verstorbenen Regentin waren ihr unbekannt. Roluf hatte sich beeilt, seine holländische Frau ins Bild zu setzen.

    »Hedwig Sophie war bei ihrem Volk außergewöhnlich beliebt, vor allem bei uns Föhringern. Ganz im Gegensatz zu ihrem Herrn Gemahl, der sich immer als wichtiger und fähiger Mitspieler auf dem politischen Schachbrett der wirklich großen Akteure im ›Nordischen Krieg‹ gesehen hat, wie etwa Russland, Schweden, Dänemark, nicht zu vergessen Frankreich im Hintergrund. Er spielte sich immer schon lieber als tapferer Kriegsheld auf, anstatt sich um seine Untertanen zu kümmern und sein kleines Land geschickt aus den Querelen der anderen herauszuhalten!«

    »Eine grobe Fehleinschätzung, die ihn letztlich schon im Jahr 1702 das Leben gekostet hat!«, hatte Kerrins Oheim hinzugefügt. »Ich werde am kommenden Sonntag in meiner Kirche die Gemeinde über das neue Unglück, das uns betroffen hat, unterrichten.«

    Untröstlich und unendlich traurig hatte Kerrin ihre Taschen und Beutel, die sie für die Reise nach Gottorf bereits fertig gepackt hatte, wieder ausgeräumt. Nie wieder ihre liebste und beste Freundin sehen zu können, mit ihr zu sprechen, sie zu umarmen und ihr ihre kleinen und größeren Herzensgeheimnisse anvertrauen zu dürfen, war ihr unfassbar und als eine Strafe erschienen, die weder sie noch die Herzogin verdient hatten. Von dem kleinen mutterlosen Knaben ganz zu schweigen.

    Wie bereits etliche Male in ihrem Leben hatte die junge Frau mit Gott gehadert, diesem angeblich so allwissenden und allgütigen HERRN, der, wie alle Geistlichen behaupteten, wie ein Vater über seine geliebten Erdenkinder wachte …

    ›HERR, sieht so deine Vaterliebe aus? Erwartest du ernsthaft, dass deine Kinder das verstehen oder gar gutheißen? Ist es nicht vielmehr so, dass wir dir vollkommen gleichgültig sind? Womöglich hältst du uns für so wichtig, wie für uns Menschen etwa die Mücken sind?‹, hatte sie in ihrem Inneren rebellisch reagiert.

    Dieses Mal hatte sie darauf verzichtet, sich bei ihrem geistlichen Oheim Rat zu holen. ›In diesem Fall ertrüge ich seine Mahnungen nicht, die darauf hinauslaufen würden, alles, was Gott uns auferlegt, demütig anzunehmen, in der Gewissheit, alles geschähe zu unserem Heil!‹

    FÜNF

    Die Stimmung am nächsten Sonntag in der Kirche war entsprechend düster gewesen. Die Einwohner von Föhr hatten das Schlimmste befürchtet. Wahrscheinlich würde es vorbei sein mit dem bisher recht beschaulichen und vor allem friedlichen Leben der Insulaner und Hallig-Bewohner.

    Bis jetzt waren die Berufsfischer nämlich vom Militärdienst befreit gewesen. Das konnte und würde sich jetzt wohl ganz schnell ändern.

    Nach Meinung verständiger Leute hätte es der Schwedenkönig Karl XII. (wie der neu ernannte Fürstbischof von Lübeck, ebenfalls ein Bruder der verstorbenen Herzogin Hedwig Sophie) dabei belassen sollen, sich über seinen Triumph zu freuen. Schon im Jahr 1706 hatte er doch das feindliche sächsische Heer, trotz dessen vierfacher Übermacht, vernichtend geschlagen.

    Aber leider hatte König Karl der »Cäsarenwahn« gepackt, wie Lorenz Brarens es ausgedrückt hatte. Er hatte Russland auf russischem Boden angegriffen und anschließend den Zaren immer tiefer ins feindliche Land hinein verfolgt. Inzwischen wusste es jedermann auf den Inseln und Halligen, dass Zar Peter nur scheinbar mit seinen Soldaten geflohen war, um die schwedischen Verfolger in die heimtückischen Sümpfe zu locken.

    Karl in seiner Blindheit war prompt in die Falle getappt und hatte eine verheerende Schlappe erlitten, die viele schwedische Kämpfer das Leben gekostet hatte.

    Wären sie tatsächlich auf ihre russischen Feinde gestoßen, hätten sie von vorneherein verloren gehabt – ohne Schießpulver, ohne Waffen, die im Morast versunken waren …

    Kerrins Vater Roluf Asmussen hatte es auf den Punkt gebracht: »Was für eine grenzenlose Dummheit und Verantwortungslosigkeit von Karl XII.: Der schwedische König hat ohne Not sinnlos das Leben guter Männer geopfert!«

    »Wie ist es eigentlich nach dem Abenteuer in diesen Pripjet-Sümpfen weitergegangen?«, hatte sich Kerrin erkundigt, erstaunt beäugt von Muhme Göntje. Der Blick der älteren Pfarrersfrau hatte Bände gesprochen.

    Seit wann mischten sich Frauen – und gar so junge – in die Gespräche der Männer über Politik ein? Aber weder Kerrins Vater noch ihr Onkel hatten daran Anstoß genommen. Die Tochter des Commandeurs war schließlich nicht dumm und keineswegs ein verschüchtertes ungebildetes Mäuschen, unfähig, komplexe politische Zusammenhänge zu begreifen.

    »Das weiß ich sogar sehr genau«, hatte ihr Pastor Lorenz geantwortet. »Und zwar durch einen Amtsbruder in Gottorf, mit dem ich ebenfalls regelmäßig korrespondiere und auch von meinem lieben und geschätzten Freund und Briefpartner, Gottfried Wilhelm Leibniz.

    Natürlich hatte der schlaue Zar das Moorgelände seinerseits umgangen … Die halb verhungerten Schweden hat er gnädigerweise laufenlassen.

    Was den ›Nordischen Krieg’‹ anbelangt, scheint im Augenblick noch ein Patt zu bestehen. Wie es aussieht, ist momentan auch die Gefahr einer weiteren schwedischen Invasion in Russland gebannt.«

    »Aber«, hatte Kerrins Vater zu bedenken gegeben, »durch den missglückten Angriff der Schweden ist der Zar jetzt sicher gewarnt. Er wird eine gewaltige Anstrengung machen, um diesen Zustand baldmöglichst zu ändern. Und Gott allein weiß, was Peter dann tun wird.«

    Allen war das Herz schwer gewesen.

    »Die Kriegsgefahr ist noch keineswegs gebannt«, hatte Kerrins Vater behauptet. »Sollte König Karl XII. weiterhin Soldaten einbüßen, wird er wohl kaum zögern, im Namen seines unmündigen Neffen auch die nordfriesischen Männer – und damit auch die Osterland-Föhringer, die zu Schleswig-Holstein gehören, sowie die Hoogener gleich mit – zum Kriegseinsatz heranzuziehen.«

    »Wenn dann noch der dänische König seinerseits seine friesischen Untertanen von Westerland-Föhr zu den Waffen ruft«, hatte Pastor Brarens eingeworfen, »wird das einen Bruderkrieg zwischen den Föhringern bedeuten!«

    Ein wahrhaft albtraumhafter Gedanke, den niemand zu Ende hatte denken mögen. Lorenz Brarens und Roluf Asmussen waren schweigend übereingekommen, über das leidige Thema »Nordischer Krieg« gegenüber den Insulanern ab jetzt strenges Stillschweigen zu bewahren. Pastor Knudtsen wollte es auf Hooge genauso halten.

    »Die Wahrheit über die prekäre Lage würde den einfachen Leuten bloß Angst machen«, hatten Kerrins Vater und ihr Oheim gemeint. Es bestünde die Gefahr, dass dumme Gerüchte sich in Windeseile über ganz Nordfriesland und darüber hinaus verbreiten könnten. Geschwätz hatte das nun mal so an sich.

    Die Herren hatten es zudem als unverantwortlich empfunden, womöglich Ideen in die Welt zu setzen, die einige Heißsporne ermuntern könnten, gefährliche Unruhen im Land zu initiieren.

    Kerrins Oheim war davon ausgegangen, dass ihn sein Freund, der Universalgelehrte Leibniz, Mathematiker und Philosoph, auf dem Laufenden halten würde. Leibniz, sozusagen in Hannover an vorderster Front als herzoglicher Rat von Johann Friedrich von Braunschweig-Lüneburg, saß somit an der Quelle für das Wissen um alle politischen Ereignisse.

    Pastor Brarens war seit Langem sehr glücklich und stolz, einen solch klugen Kopf zum Freund zu haben. Genauso wie er froh gewesen war, im Hoogener Pastor Knudtsen einen ebenso guten Freund zu besitzen, der sich seinerseits geschmeichelt gefühlt hatte, wenn ihn Lorenz Brarens mit Neuigkeiten vom Gottorfer Herzogshof versorgte, die er in regelmäßigen Abständen von einer Hofdame im herzoglichen Haushalt übermittelt bekam.

    SECHS

    Da Kerrin nach dem Tod von Herzogin Hedwig Sophie keinen Grund mehr hatte, nach Gottorf zu reisen, beschloss die Familie des Commandeurs, die Abreise nach Amsterdam vorzuverlegen. Asmussen würde rechtzeitig für eine Fahrgelegenheit sorgen. Zum Glück besaß er als ehemaliger Kapitän immer noch gute Verbindungen zu Schiffseignern.

    Die nächsten Tage vergingen demnach mit Packen. Eine Angelegenheit, die vor allem Roluf Asmussen einiges abverlangte. Für den Commandeur war es immerhin ein Abschied für immer. Er musste genau überlegen, was er aus der alten in seine neue Heimat Holland mitzunehmen gedachte. Natürlich würde er noch öfter besuchsweise auf die Insel kommen, aber Wichtiges durfte und wollte er jetzt keinesfalls zurücklassen.

    Darunter waren auch zahlreiche Dinge, die mit vielen Erinnerungen verbunden waren, guten und auch weniger guten. Auch solche, die schmerzliche Gefühle hervorriefen, waren darunter. Etwa Gegenstände, die einst Terke, seiner verstorbenen ersten Frau und großen Liebe, gehört hatten.

    Frau Beatrix hatte Roluf gut zugeredet, nicht etwa aus falsch verstandener Rücksicht auf ihre, Beatrix’ Gefühle darauf zu verzichten.

    »Erinnerungen an deine geliebte Frau Terke, immerhin die Mutter von Kerrin und Harre, gehören zu deinem Leben, mein Liebster!«, hatte sie ihm klargemacht. »Warum sollte ich daran Anstoß nehmen?«

    Es hatte Roluf sehr glücklich gemacht, so eine verständnisvolle, nicht mit sinnloser Eifersucht behaftete Gefährtin zu haben.

    Aber noch stand ein großes Ereignis bevor, ehe man sich aufmachen wollte nach Holland. Die Hochzeit des ehemaligen Commandeurs Asmussen und Beatrix van Halen stand an! Beider Wunsch war es, nicht als verlobtes, sondern als verheiratetes Paar nach Hause zu kommen.

    Die Vorbereitungen liefen auf Hochtouren und nicht nur in Nieblum herrschte bei der Bevölkerung gespannte Erwartung; auch die übrigen Insulaner erhofften sich von der Feier einer der berühmtesten und reichsten Familie Föhrs allerhand Gutes und vor allem Nahrhaftes.

    Endlich gab es in diesen düsteren Zeiten wieder einmal Grund, um zu feiern. Alle würden gratulieren – und sich eine Einladung zu Speis’ und Trank erhoffen. Es war klar, dass sich die Commandeurs-Sippe nicht lumpen lassen würde …

    Auf ein Tanzvergnügen musste man allerdings verzichten: Immerhin herrschte Trauer über den überraschenden Tod der beliebten Landesmutter, Herzogin Hedwig Sophie.

    Die Feier war dann eher eine stille und besinnliche, aber nichtsdestotrotz eine sehr würdevolle Angelegenheit. Jeder Geladene ging anschließend gut gesättigt und zufrieden nach Hause.

    Kerrin, die ihren Vater so lange schmerzlich vermisst hatte, nutzte neuerdings jede Gelegenheit, um sich mit ihm zu unterhalten. Am liebsten war ihr, wenn er ihr von ihrer Mutter Terke erzählte, die sie nur noch als Erscheinung in ihren Träumen als junge und ausnehmend schöne Frau kannte.

    Auch Geschichten, als sie und Harre noch kleine Kinder gewesen waren, schätzte Kerrin sehr. Aber da blieb der Commandeur etwas einsilbig. Da er jedes Jahr über viele Monate fern der Heimat auf dem Meer verbracht hatte, war sein Wissen über die beiden reichlich dürftig. Und wenn er zu Hause gewesen war, waren ihm andere Personen – zuvörderst seine geliebte Frau Terke, aber auch andere – um einiges wichtiger gewesen als kleine unwissende Kinder. Er hatte zudem jeweils den gesamten Herbst und Winter über Unterricht gehalten für junge Seeleute, die weiterkommen und das Steuermanns- oder gar das Kapitänspatent erlangen wollten.

    Überhaupt: Kleine Kinder zu erziehen und sich um sie zu kümmern, war traditionell doch Frauensache …

    »Eigentlich habe ich mich für dich, Kerrin, und für deinen Bruder erst richtig interessiert, als ihr beide das sogenannte ›verständige Alter‹ erreicht hattet«, gestand Roluf etwas beschämt. »Eigentlich schade. Da habe ich wohl vieles versäumt. Heute würde ich das ganz anders machen!«

    Das zu hören, freute Kerrin aufrichtig. Sie hoffte, Beatrix würde ihrem Mann endlich Bescheid geben über ihre Schwangerschaft. ›Papa wird aus dem Häuschen sein vor Freude!‹, überlegte sie.

    Dass sie darüber Bescheid wusste und es neulich ihrer Stiefmutter auf den Kopf zugesagt hatte, hatte Beatrix verblüfft. »Woher weißt du …?«

    Da hatte Kerrin gelacht. »Du vergisst, dass ich auch Hebamme bin – und eine sehr gute dazu! Ich erkenne die Anzeichen sofort. Oft sogar schon eher als die betreffende Frau selbst.«

    Beide waren übereingekommen, Roluf noch nichts zu sagen. Er würde sonst die Reise nach Amsterdam bis nach der Geburt verschieben, aus Sorge um Beatrix. Und die wollte unbedingt, dass ihr Kind in Holland zur Welt käme.

    »Ich kann es selbst noch gar nicht recht glauben«, gestand sie Kerrin. »Ich bin fast vierzig Jahre alt und soll mein erstes Kind bekommen? Hoffentlich geht alles gut!«

    Da konnte Kerrin sie aber beruhigen. »Du bist robust und sehr gesund. Es gibt keinen Grund für dich, dir Sorgen zu machen. Du bist genauso stark wie eine Frau, die zwanzig Jahre jünger ist. Dein Alter spielt in deinem Fall keine große Rolle. Du hast immer wohlbehütet und vernünftig gelebt, hattest keine anstrengenden körperlichen Arbeiten zu verrichten und bist sehr klug und mäßig, was das Essen und das Trinken von Alkohol angeht.

    Freu’ dich auf dein«, sie verbesserte sich, »auf euer Kind, Frau Mutter!«

    Es war das erste Mal gewesen, dass Kerrin den Begriff »Mutter« in Bezug auf Beatrix ausgesprochen hatte. Etwas, das Rolufs Frau zu Tränen gerührt und sie spontan veranlasst hatte, die erwachsene Stieftochter zu umarmen.

    Kurze Zeit vor der Abreise von Föhr erhielt Kerrin Besuch von jemandem, den sie längere Zeit nicht mehr gesehen hatte.

    »Beinahe hätte ich dich nicht wiedererkannt, min Jung! Was bist du groß geworden! Geht es dir gut?«, erkundigte sich Kerrin, die gerade dabei war, ein wenig Spielzeug für Kaiken einzupacken sowie noch Bettzeug für den kleinen Tamme. Das erst wenige Monate alte Söhnchen von Vetter Matz und seiner kränklichen Frau Thorke gedieh prächtig.

    »Kann ich etwas für dich tun, mein Lieber?«

    Kerrin freute sich aufrichtig, Ketel zu sehen. Der Junge musste jetzt ungefähr dreizehn Jahre alt sein. Als vermeintlich Sechsjährigen, weil er so klein und mickrig ausgesehen hatte, hatte sie ihn einst vor dem sicheren Tod bewahrt. Seine Mutter hatte ihn ihr mit einer schweren Lungenentzündung gebracht und sie verzweifelt angefleht, ihrem damals acht Jahre alten Sohn zu helfen.

    Kerrin hatte den Wunsch der Frau erfüllt. Obwohl Ketels Eltern einst für ihren Tod plädiert hatten, sie als verblendete Einheimische für eine Hexe gehalten und als solche hatten verbrennen wollen. Im letzten Augenblick hatte ihr Bruder Harre es damals vermocht, sie vor dem Scheiterhaufen zu bewahren …

    Das todkranke Kind hatte Kerrin leidgetan – aber mit Ketels Eltern wollte die junge Frau nie mehr etwas zu tun haben.

    Als der Junge älter und verständiger geworden war, hatte er die Wahrheit erfahren, sich von seinen Eltern abgewandt und darum gebeten, als Knecht für Kerrin Rolufsen arbeiten zu dürfen. Damals hatte Kerrin abgelehnt; sie trug nämlich Bedenken, in diesem Fall gelegentlich doch mit Ketels Mutter sprechen zu müssen.

    Nun stand der Bursche erneut vor ihr.

    »Frau Kerrin, ich habe erfahren, dass Sie nach Holland reisen wollen, um Ihren Herrn Vater und Ihre Stiefmutter nach Amsterdam zu begleiten! Und Kaiken und Tamme sollen mitkommen. Da werden Sie doch gewiss noch ein Paar helfende Hände gebrauchen können, die Ihnen einiges an Arbeit abnehmen könnten!« Er schaute sie dabei treuherzig an.

    Kerrin musste schmunzeln. »Ja, nun! Dass ich Sissel als meine Magd mitnehme, ist gewiss! Sie ist fleißig und geschickt!«

    Ketels Miene verdüsterte sich. »Ach so! Schade! Ich hätte Ihnen so gern geholfen, um Ihnen endlich meine Dankbarkeit zu beweisen, Frau Kerrin!«

    »Nu, lass’ man den Kopp nich’ hängen, min Jung! Ich habe schon erfahren, wie tapfer und tüchtig du bist! Immerhin hast du vergangenen Herbst die kleine Catrina, die Tochter von Birte, der Hooger Pastorentochter, gerettet, als die beim Spielen in einen Priel gefallen ist. Das Kind wäre gewiss ertrunken, wenn du ihr nicht nachgesprungen und sie aus dem kalten Wasser gezogen hättest! Alle anderen Blagen sind jedenfalls feige davongerannt!

    Noch zwei zusätzliche starke Arme werden uns nicht schaden. Von mir aus kannst du gern mitkommen!«

    Worauf Ketel einen kleinen Freudentanz aufführte.

    »Aber deine Eltern müssen einverstanden sein! Sonst heißt es womöglich

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