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MATHILDE: Markgräfin von Tuszien, Herrin von Canossa, Geliebte dreier Päpste
MATHILDE: Markgräfin von Tuszien, Herrin von Canossa, Geliebte dreier Päpste
MATHILDE: Markgräfin von Tuszien, Herrin von Canossa, Geliebte dreier Päpste
eBook470 Seiten6 Stunden

MATHILDE: Markgräfin von Tuszien, Herrin von Canossa, Geliebte dreier Päpste

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Über dieses E-Book

Mathilde von Tuszien, auch bekannt als Mathilde von Canossa, war zu Lebzeiten – 1046 bis 1115 – eine der mächtigsten Adligen Italiens in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts. Als Markgräfin herrschte sie über weite Teile der Toskana und der Lombardei. Ihre Persönlichkeit war nicht frei von Widersprüchen, geprägt von hohem fürstlichem Selbstverständnis und den Idealen der Kirchenreform. Sie war fromm im Sinne der damaligen Zeit, selbstbewusst und politisch interessiert. Sie agierte erfolgreich im Spannungsfeld zwischen König und Kaiser Heinrich IV. und später dessen Sohn Heinrich V. sowie den Päpsten Gregor VII., Urban II. und Pasquale II. Mit den drei Päpsten unterhielt sie Liebesbeziehungen. Ihr Leben war geprägt von Ränkespielen und Intrigen, von Enttäuschungen und Erfolgen. Da sie zeitlebens ohne Nachkommen blieb, starb das Geschlecht derer von Canossa dem Tod Mathildes von Tuszien 1115 aus.

Karla Weigand beschreibt in diesem Buch Mathildes Leben aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Sie zeigt, wie eine Frau in einer seinerzeit männerdominierten Welt ihren Einfluss geltend machen konnte.
SpracheDeutsch
Herausgeberp.machinery
Erscheinungsdatum1. Nov. 2023
ISBN9783957657466
MATHILDE: Markgräfin von Tuszien, Herrin von Canossa, Geliebte dreier Päpste

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    Buchvorschau

    MATHILDE - Karla Weigand

    Mathilde

    Markgräfin von Tuszien, Herrin von Canossa, Geliebte dreier Päpste

    Außer der Reihe 87

    Karla Weigand

    MATHILDE

    Markgräfin von Tuszien, Herrin von Canossa,

    Geliebte dreier Päpste

    Außer der Reihe 87

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.d-nb.de abrufbar.

    © dieser Ausgabe: November 2023

    p.machinery Michael Haitel

    Titelbild: Robert na‘Bloss (Grabmal der Mathilde von Canossa im Petersdom)

    Layout & Umschlaggestaltung: global:epropaganda

    Lektorat & Korrektorat: Michael Haitel

    Herstellung: global:epropaganda

    Verlag: p.machinery Michael Haitel

    Norderweg 31, 25887 Winnert

    www.pmachinery.de

    ISBN der Printausgabe: 978 3 95765 358 1

    ISBN dieses E-Books: 978 3 95765 746 6

    Prolog

    März 1060, auf der Burg zu Canossa – ein unerfreuliches Geburtstagsgeschenk für Mathilde: das Verlöbnis mit dem ungeliebten Stiefbruder – ein Eklat, aber an der Haltung von Mathildes Eltern ändert sich nichts – eine List soll die Heirat verhindern – unwürdiges Treiben mancher Kirchenfürsten – in Cluny formiert sich dagegen Widerstand …

    Diskret pochte der Diener an die Tür zum Gemach der Gräfin Beatrix von Tuszien. »Madame, wie von Euch gewünscht, bringe ich Euch Eure Tochter, Contessa Mathilde!«

    Nachdem er das »Herein!« seiner Herrin abgewartet hatte, öffnete er die Tür und schob das widerstrebende junge Mädchen mit dem trotzigen Gesicht – fast noch ein Kind – ins Zimmer.

    »Danke, Giovanni! Du kannst gehen«, beschied ihn die Gräfin kurz. Nur zu gern befolgte der junge Domestik diesen Befehl. Die Stimme der Herrin hatte frostig geklungen und ihre herrische Handbewegung beschleunigte mit Nachdruck seinen Abmarsch.

    Erkennbar lag Ärger in der Luft; da machte sich ein kluger dienstbarer Geist am besten unsichtbar.

    Seit Tagen, Wochen, Monaten überwog auf der Burg die schlechte Laune seiner Herrschaft. Ja, man konnte sagen, seit ungefähr zwei Jahren war die Stimmung schon angespannt. Giovanni erinnerte sich noch ganz deutlich, wann das Ganze begonnen hatte.

    Im Sommer 1058 war es gewesen; die Contessa hatte ihren zwölften Geburtstag gefeiert, galt somit als »mannbar« und konnte in Kürze eine Ehe eingehen.

    Die Gedanken des Dieners bezogen sich auf Ereignisse, die man nur als dramatisch bezeichnen konnte. Dabei hatte das Fest ungewöhnlich feierlich begonnen, obwohl man normalerweise von Geburtstagen wenig Aufhebens machte – im Gegensatz zu Namenstagen, an denen man die Erinnerung an das heilige Sakrament der Taufe wachrief und damit die Mitgliedschaft in der Gemeinschaft der Christen festlich beging.

    Mathildes Mutter, Gräfin Beatrix von Canossa, Tochter Friedrichs II. von Luxemburg und Oberlothringen, sowie Mathildes Stiefvater, Herzog Gottfried III., genannt der Bärtige, hatten der zwölfjährigen Contessa feierlich eröffnet, sie sei ab sofort Gottfried IV. zur Ehe versprochen und man feiere dementsprechend an diesem Tag ihrer beider Verlöbnis.

    Die Zwölfjährige hatte einen völlig verdutzten Blick auf Gottfried den Jüngeren geworfen, den jedermann insgeheim nur »den Buckligen« nannte – und der der Sohn ihres Stiefvaters aus dessen erster Ehe war – und damit ihr Stiefbruder. Sie musste sich gerade verhört haben.

    Aber sein boshaft triumphierender Blick in dem hämisch grinsenden Gesicht sowie die todernsten Mienen von Mutter und Stiefvater hatten Mathilde rasch eines Schlechteren belehrt.

    Allen Anwesenden, die man geladen hatte, und natürlich auch ihren Eltern, war sehr wohl bewusst, dass die Contessa den seit seiner Geburt mit einem gewaltigen Höcker belasteten Knaben, der obendrein mit einem nicht sehr angenehmen Wesen, einem verkürzten rechten Bein, sowie einem ziemlich hässlichen Gesicht geschlagen war, von ganzem Herzen verabscheute.

    Auf etwaige Befindlichkeiten von Adelstöchtern nahm man jedoch keine Rücksicht und nach ihrer Meinung fragte natürlich niemand. Bei Eheschließungen handelte es sich schließlich nicht um etwas Unwichtiges und Flüchtiges wie »Liebe«, nicht einmal um Sympathie, sondern allein um Zugewinn von Ansehen, Vermögen, Ländereien, Einfluss und Macht.

    Die junge Mathilde war die einzige Erbin ihres verstorbenen Vaters, des ehemals mächtigen Markgrafen Bonifaz I. von Canossa-Tuszien, und war damit eine ausgesprochen gute und wohlhabende Partie. Ihr Stiefvater, Herzog Gottfried III., der Bärtige, sah darum nicht ein, warum er künftig das Erbe der Stieftochter an eine andere Sippe verlieren sollte.

    Der Dienerschaft und mehr noch den Freunden und Verwandten, die man zur Feier des Verlöbnisses geladen hatte, war der Augenblick niemals aus dem Gedächtnis geschwunden, als der Herzog seiner angeheirateten Tochter die »Freudenbotschaft« mitgeteilt hatte.

    Statt des erwarteten, demütigen Einverständnisses in die Notwendigkeit dynastischer Zwänge, erhielt er als Antwort einen mit schriller Stimme hervorgestoßenen, fassungslosen Aufschrei seiner Stieftochter.

    »Ihr beliebt wohl zu scherzen, Herzog!«, hatte das zwölfjährige, für sein Alter noch ziemlich kleine Mädchen geschrien. Mathilde war außer sich und im Gesicht ganz rot. »Niemals werde ich Gottfried zum Mann nehmen!«

    »Sehe ich aus, als wäre mir nach Scherzen zumute, mein Kind?«, hatte Beatrix’ zweiter Gemahl kühl erwidert. »Ich und deine Mutter haben das beschlossen und dir wird gar nichts anderes übrig bleiben, als zu gehorchen! Du wirst nun meinen Sohn Gottfried als deinen künftigen Gatten umarmen und mit einem Kuss euer Verlöbnis besiegeln, wie es der Brauch ist, Mathilde!«

    Da hatte sich das junge Mädchen temperamentvoll an die wie versteinert dastehende Gräfin gewandt.

    »Frau Mutter! So sagt doch, dass das nicht wahr ist! Ihr wisst, wie wenig gut ich mich mit meinem Stiefbruder vertrage. Ja, zuweilen verabscheue ich ihn! Er ärgert mich andauernd, spielt mir gemeine Streiche und beleidigt mich immerzu. Ja, er verleumdet mich sogar bei Euch und meinen Lehrern!«

    Ihre Stimme war umgekippt; sie schluckte und musste erst wieder zu Atem kommen, ehe sie fortfahren konnte.

    »Ihn zu heiraten fällt mir im Leben nicht ein! Lieber gehe ich ins Kloster! Sagt mir doch bitte, Frau Mutter, dass Ihr Euch nur einen Spaß mit mir erlaubt habt!«, hatte das Mädchen gefleht.

    Bei aller Empörung hatte Mathilde klugerweise darauf verzichtet, auf Gottfrieds körperliche Gebrechen und seine Hässlichkeit als Grund für ihre Ablehnung hinzuweisen. Frühzeitig hatten ihr die Kinderfrau, ihre Eltern und der Burggeistliche eingehämmert, dass den armen, aber im Übrigen recht aufgeweckten und tapferen Knaben keine Schuld an seinem unglücklichen Aussehen träfe, er im Gegenteil besonderer Liebe und Nachsicht bedürfe.

    Zu Anfang, als ihre Mutter nach dem frühen Tod ihres Vaters eine zweite Ehe eingegangen war, hatte Mathilde auch tatsächlich Mitleid mit dem entstellten Jungen empfunden. Das dauerte so lange an, bis sie erkannte, über welch schlechten Charakter ihr Stiefbruder ihrer Meinung nach verfügte: boshaft war er, nachtragend, rachsüchtig, neidisch und heimtückisch.

    Der Gräfin war der Auftritt ihrer Tochter vor allen Leuten, meist hohen Adligen aus zum Teil weit entfernten Landesteilen, mehr als unangenehm gewesen. Um die Angelegenheit nicht vollkommen eskalieren zu lassen, hatte sie begonnen, in begütigender Manier auf Mathilde einzureden.

    »Mein liebes Kind«, hatte Beatrix begonnen und sich dabei sichtlich zu einem sanften Ton gezwungen, »du bist doch klug für dein Alter und weißt mittlerweile, wie wichtig dynastische Überlegungen sind! Deinem nunmehrigen Vater, Herzog Gottfried, ist natürlich daran gelegen, seine Familie, die auch meine und nicht zuletzt auch die deine ist, noch stärker und mächtiger zu machen.

    Und dazu bedarf es nun einmal der Zusammenlegung all unserer Güter. Daraus ergibt sich wiederum, dass du, als mein einziges Kind – deine Brüder sind ja leider schon im frühen Kindesalter verstorben – sowie der einzige Sohn meines jetzigen Gemahls miteinander den heiligen Bund der Ehe eingehen müssen!«

    Jedermann im Festsaal der Burg hatte erkennen können, wie sehr die Gräfin um Entschärfung des drohenden Konflikts bemüht war. Aber Mathilde hatte auch deutlich zu spüren vermocht, wie der Zorn in ihrem Stiefvater aufloderte. Widerspruch, zumal vor zahlreichen Zeugen, konnte er nur ganz schlecht ertragen – und von einem unmündigen und ungehorsamen Mädchen schon gar nicht.

    Dessen war Mathilde sich durchaus bewusst gewesen; im Allgemeinen vermied sie darum Auseinandersetzungen mit ihm.

    Aber hier war es, Machtzuwachs der Familie hin oder her, ausschließlich um sie und ihr zukünftiges Leben gegangen! Und sie war nicht gewillt, es mit diesem Scheusal von Stiefbruder zu teilen.

    »Verehrter Herr Vater! Liebe Frau Mutter!«, hatte die Contessa vor den Gästen, die mäuschenstill und gespannt das ungewöhnliche Geplänkel verfolgten, mit aller Würde, die sie krampfhaft aufzubringen versuchte, die Diskussion darüber beendet: »Ehe ich Gottfried heirate, stürze ich mich lieber vom höchsten Turm einer unserer zahlreichen Burgen!«

    Damit hatte sie sich von der Gräfin und vom Herzog mit einem tiefen Knicks höflich verabschiedet, hatte ihren Rock samt den Unterröcken gerafft, sich umgedreht und den zu ihren Ehren reich geschmückten Festsaal hocherhobenen Hauptes und auf flinken Sohlen verlassen.

    Eine Peinlichkeit sondergleichen. Und höchst ungewöhnlich dazu. Hatte man jemals eine Tochter so mit ihren Eltern sprechen gehört? Wie konnte das junge Mädchen es wagen, gegen den erklärten Willen von Vater und Mutter zu opponieren? So mancher mochte sich im Stillen gedacht haben: Da haben sich der Herzog und die Gräfin ja etwas Schönes herangezogen. Jetzt bestimmten schon die jungen Frauen, halbe Kinder noch, wen sie zu heiraten geruhten! Wo gab es denn so etwas?

    Einigen mochte die widerspenstige Tochter vielleicht sogar als wohlverdiente Strafe gelten: Immerhin hatten Gottfried der Bärtige – auch er verwitwet – und Beatrix nach dem Tode ihres Gemahls, Bonifaz von Canossa – in aller Heimlichkeit den Bund der Ehe geschlossen.

    Aus gutem Grund: Wegen allzu naher Verwandtschaft war ihre Ehe nach kanonischem Recht eigentlich ungültig und auch erst nachträglich im Jahr 1056 von Kaiser Heinrich III. anerkannt worden.

    Im Jahr darauf war Gottfrieds Bruder Friedrich als Papst Stephan IX. sogar zu höchsten kirchlichen Würden gelangt! Somit war Gottfried der Bärtige im Augenblick einer der mächtigsten Fürsten in Mittelitalien und nicht wenige gönnten ihm zumindest im privaten Umfeld einige Turbulenzen …

    Dem Elternpaar gelang es jedoch, den sich anbahnenden Eklat mit diplomatischer Routine und gespielter Souveränität zu übergehen, indem der Herzog den pausierenden Musikanten ein Zeichen gab, zum Tanz aufzuspielen. Die Verlobungsfeier ging weiter – wenn auch ohne die kindliche Braut.

    Trotzdem war die Stimmung ganz tief unten im Keller gewesen, bedachte der Diener Giovanni im Nachhinein. Er war damals gerade erst auf die Burg gekommen und wusste über die Animositäten zwischen dem ungleichen Geschwisterpaar noch nicht so gut Bescheid. Aber er konnte sich noch gut daran erinnern, welch mörderischen Blick der junge Herzog, Gottfried der Bucklige, drei Jahre älter als Mathilde, seiner Stiefschwester nachgeschickt hatte, obwohl er das Ganze anschließend mit einem verächtlichen Lachen abgetan und seelenruhig behauptet hatte: »Meine temperamentvolle Braut ist noch etwas scheu. Das sei ihrer Jugend geschuldet; gestern hat sie noch mit Puppen gespielt. Aber sie wird sich an mich gewöhnen und schon bald zutraulicher werden!«

    Zwei Jahre waren seitdem vergangen; Contessa Mathilde war mittlerweile vierzehn und man fasste die Heirat nun ernsthaft ins Auge. Dessen war die junge Dame sich bewusst, nachdem der Diener Giovanni sie gebeten hatte, ihn zu ihrer Mutter zu begleiten, die ein »ernstes Wort« mit ihr zu sprechen wünsche …

    Nur mit äußerstem Widerstreben war sie der »Einladung« gefolgt; als ahnte sie bereits, was das Thema des »eminent wichtigen Gesprächs« sein würde.

    Ihr Stiefvater, in diesen unruhigen Zeiten im Reich meist mit kriegerischen Verwicklungen beschäftigt (erst als Gegner des Kaisers, später als sein Verbündeter), hatte es rundweg abgelehnt, noch einmal mit der »widerspenstigen Kreatur« über die längst beschlossene Heirat zu sprechen.

    Für ihn gab es keinerlei Gesprächsbedarf und Gottfried der Bärtige überließ es seiner Gemahlin Beatrix, ihre unfolgsame Tochter zu zähmen und für die Ehe »bereit zu machen«. Üblicherweise, fand der Herzog, sei »Aufklärung über heikle Eheangelegenheiten« doch ohnehin reine Weibersache.

    Mathildes Vorahnung hatte sie nicht getrogen. Aber dieses Mal ließ die Contessa sich nicht überrumpeln, heute war sie vorbereitet. Noch ehe ihre Mutter zum Kern der Sache kommen konnte, begann das junge Mädchen zu jammern und zu stöhnen. Sie krümmte sich zusammen, griff sich mit schmerzverzerrtem Blick an den Leib, als wüte ein Feuer darin.

    »Frau Mutter, ich glaube, ein reißendes Tier hat sich in meinem Bauch verkrochen«, fing sie an, um gleich darauf auf einer Liege niederzusinken, so, als könnten ihre Beine sie nicht mehr tragen.

    »Ach, meine Liebe! Keine Sorge!«, reagierte die Gräfin kühl. »Ich denke, du bekommst nur deine Tage! Bei Jungfrauen ist das oft recht schmerzhaft. Aber ich kann dich beruhigen. Als Ehefrau, die mit ihrem Gatten häufig die christlich gebotene eheliche Gemeinschaft pflegt, gibt sich das ganz von selbst! Die Krämpfe im Unterleib verschwinden dann in aller Regel; hauptsächlich nach der Geburt eines Kindes. Da spreche ich aus Erfahrung! Dann sind die monatlichen Malaisen so ziemlich verschwunden.

    Das bringt mich just zu jenem Thema, weswegen ich dich habe kommen lassen!«

    Ehe die Gräfin noch ein weiteres Wort über baldige Heirat, Eheleben, Kinderkriegen et cetera verlieren konnte, ließ Mathilde sich wie entseelt von der Polsterbank sinken und lag verkrümmt auf dem dicken Teppich, der den kalten Marmorboden in der mütterlichen Kemenate bedeckte.

    Jetzt erschrak die Gräfin doch. Was war los mit ihrer Tochter? Litt sie womöglich an einer schweren Krankheit? Immer wieder kam es im Frühjahr, im Sommer und sogar noch im Herbst zu Seuchenausbrüchen durch gefährliche Stechmücken. Trotz Trockenlegungen versumpfter Feuchtgebiete in Norditalien fanden die Insekten stets aufs Neue Tümpel oder moorige Wasserlöcher, in denen sie ihre Eier ablegen und sich dank des warmen Klimas enorm vermehren konnten.

    Leidtragende waren das Vieh sowie die Hirten und Bauern, aber genauso die Bewohner der Städte und sogar die Adelsherren auf ihren Burgen. In manchen Jahren hielt der Tod reiche Ernte unter den Seuchenopfern.

    Besorgt rief die Gräfin nach ihrer Lieblingszofe und befahl ihr, umgehend nach dem Medikus zu schicken. Sie selbst wagte nicht, aus Sorge vor Ansteckung, ihre allem Anschein nach bewusstlose Tochter zu berühren. Der Diener Giovanni musste die junge Dame aufheben und in ihre Kemenate tragen, wo dann der herzogliche Leibarzt sich Mathildes annehmen sollte.

    Contessa Mathilde – erst einmal erleichtert über den Aufschub aller Gespräche über verabscheute Hochzeitsvorbereitungen – hoffte sehnlichst, der Arzt möge auf ihren Schwindel mit der Ohnmacht hereinfallen.

    ›Und falls er so gewitzt ist und merkt, dass ich alles nur vorgespielt habe, möge er um Gottes willen so gut sein und mich weder bei meiner Mutter noch beim Herzog anschwärzen!‹ Selbst in Gedanken nannte sie Gottfried den Bärtigen nur »Herzog« und niemals »Vater« …

    Mathilde ging so mancherlei durch den Kopf, während sie auf das Erscheinen des im Laufe der Jahre etwas träge gewordenen Medikus wartete. ›Wie wäre es denn wohl, falls mein wirklicher Vater noch leben würde?‹

    Graf Bonifaz von Canossa, ein ausgesprochen harter, ja brutaler Herr seiner zahlreichen Untertanen und dementsprechend verhasst, war am 6. Mai 1052 – Mathilde war gerade einmal sechs Jahre alt gewesen – während einer Jagd in einem Auwald bei Cremona von einem vergifteten Pfeil getroffen worden.

    Ob absichtlich oder versehentlich, konnte nie geklärt werden. Er war verstorben, ehe er noch Zeit gehabt hatte, seine vielen Sünden und Missetaten zu bereuen und zu sühnen, etwa durch die Stiftung eines Klosters oder den Bau einiger Kirchen.

    Nach Bonifaz’ Tod war es zu schweren Unruhen unter den aufständischen, überwiegend städtischen Untertanen gekommen. Sie witterten Morgenluft, nachdem sie den Tyrannen losgeworden waren, und waren bestrebt, nicht erneut einem ähnlich harten Herrn wie dem glücklicherweise verstorbenen, Gehorsam schulden zu müssen. Sie erhofften sich, mit der jetzt schutzlosen Gräfin leichtes Spiel zu haben.

    Die Witwe, Gräfin Beatrix, hatte sich nicht anders zu helfen gewusst, als sich und ihre kleine Tochter Mathilde unter den Schutz des mächtigen, gleichfalls verwitweten Herzogs Gottfried des Bärtigen zu begeben. Der Herzog war immerhin ein Bruder eines der höchsten Geistlichen der katholischen Kirche, des späteren Papstes Stephan IX. …

    Eine in ihrer schwierigen Lage durchaus nachvollziehbare Entscheidung, denn Gottfried wurde des Aufstands im Herrschaftsgebiet seiner Gemahlin Beatrix umgehend Herr.

    Schwieriger erwies sich indessen seine politische Ausrichtung. Gottfried III., der Bärtige, war als naher Verwandter des Papstes ein Gegner Kaiser Heinrichs III., wohingegen das Haus Canossa bisher stets kaisertreu gewesen war.

    Es kam sogar zu kriegerischen Auseinandersetzungen. Zum Glück dauerten die Scharmützel nur kurze Zeit an. Die kaiserfreundliche Tradition des Hauses Canossa erwies sich der Gegnerschaft Herzog Gottfrieds überlegen und bald darauf erfolgte sogar eine Versöhnung mit Heinrich III., der daraufhin auch des Herzogs Ehe mit Gräfin Beatrix anerkannte.

    Somit bildeten Oberlothringen, später auch Niederlothringen, das Kaiser Heinrich III. zeitweilig Gottfrieds schwachsinnigem Bruder Gozelo übertragen hatte, sowie Canossa einen riesengroßen und einflussreichen Herrschaftsbereich.

    Es kam immer wieder zu Zwietracht im römisch-deutschen Reich; auch die Kirche sorgte für genügend Unruhe, denn ihre Vertreter machten nicht selten ihrem hohen Amt keinerlei Ehre und es formierten sich allmählich ernsthafte Widerstände gegen das schamlose Treiben mancher Kirchenfürsten.

    Vor allem einer sorgte für Aufsehen, ein gewisser »Mönch Hildebrand«, geboren etwa 1030 in Sovana, Tuszien, der sich quasi zu einem der Wortführer der Kirchenreform machte, die von einem Kloster im französischen Cluny ausging. Wobei Hildebrand auch nicht davor zurückschreckte, gewisse Rechte des Kaisers infrage zu stellen.

    Dennoch gelang es Heinrich III. noch einigermaßen, die Zügel in der Hand zu behalten.

    ›Welchen Gemahl hätte mir mein leiblicher Vater Bonifaz wohl ausgesucht?‹

    Diese Überlegung stellte Mathilde nicht zum ersten Mal an. ›Gemocht hat er mich ja nicht besonders! War doch nach einer Reihe von jung verstorbenen Söhnen, die er lieber behalten hätte, nur ich – eine Tochter – sein einziger Nachkomme. Er ist darüber ziemlich enttäuscht gewesen und hat das mich und meine Mutter deutlich spüren lassen. Meistens jedoch hat er mich gar nicht beachtet!‹

    Mathilde stimmten solche Gedanken immer ziemlich traurig. Aber trotz seiner Missachtung, die sie als kleines Mädchen sehr oft gespürt und bis heute nicht vergessen hatte, war Mathilde sich dessen gewiss, dass er ihr mit Sicherheit keinen Krüppel mit schlechtem Charakter zum Gemahl aufgezwungen hätte. Dass Gottfried IV. klug und mutig sein sollte, ließ ihn in ihren Augen keineswegs sympathischer erscheinen.

    ›Das hätte mein richtiger Vater schon aus Angst unterlassen, dadurch womöglich missgebildete Enkel zu bekommen‹, folgerte die Contessa illusionslos. ›Doch auf einen aufrechten Charakter und ein friedvolles Wesen meines zukünftigen Gatten hätte er vermutlich auch nicht groß geachtet!‹

    Sie hörte den Medikus den Flur zu ihrem Gemach, einem Raum ganz am Ende dieses Stockwerks, entlangeilen. Sie erkannte ihn an seinem schweren Schritt. Im Laufe der Jahre hatte der Arzt reichlich Speck angesetzt. Als er schnaufend ins Zimmer trat, fand er im Dämmerlicht, bei nahezu geschlossenen Klappläden, das junge Mädchen vor, scheinbar entkräftet, mit geschlossenen Augen und sich auf dem Bett krümmend.

    1. Teil

    Herbst 1069 – Hochzeit in Oberlothringen, kein Tag des Glücks und der Freude für die Braut Mathilde – Mathildes Stiefvater erlebt diesen Tag, den er selbst herbeigeführt hat, nicht mehr; sein Nachfolger, Herzog Gottfried der Bucklige, hat die lange Verlobungszeit beendet – eine Hochzeitsnacht, die keine ist …

    Mit Grauen und Abscheu hatte Mathilde diesem ganz bestimmten Tag entgegengesehen: dem schrecklichen Tag ihrer Vermählung mit Gottfried IV., dem Buckligen.

    Jegliches Widerstreben, alle Ausreden, sämtliche Finten hatten der unglücklichen Braut wider Willen letzten Endes nicht geholfen. Selbst ein Hungerstreik hatte den Stiefvater nicht umstimmen können, genauso wenig, wie ihre Drohung, als Nonne in ein Kloster zu gehen.

    Auch der Leibarzt hatte sich seinerzeit nicht als hilfreich in Mathildes Sinn erwiesen, obwohl er wenigstens dichtgehalten hatte, als sie vorgegeben hatte, schwer krank zu sein.

    Auch sämtliche Versuche Mathildes, sich ihre Mutter Beatrix als Verbündete zu sichern, waren kläglich gescheitert.

    »Mein liebes Kind! Nach Gottes Willen ist es deine Pflicht, deinem Vater und Vormund zu gehorchen! Ich als Ehefrau des Herzogs habe keinerlei Einfluss in dieser Angelegenheit. Auch ich unterliege dem Willen meines Gemahls und kann mich nicht dagegen auflehnen.

    Solches gebührt uns Weibern nicht, sagt die Kirche. Also, meine Liebe: Füge dich in Gottes Namen und nimm endlich Vernunft an. Es wird dir, mir, ja, uns allen zu Ruhm und Ehre gereichen!«

    Mathildes Protest war daraufhin nur noch ganz schwach gewesen und die Gräfin hatte ihn auch umgehend beiseite gewischt mit den Worten: »Ich verstehe deine Sorge nicht! Du tust gerade so, als handele es sich bei deinem Bräutigam Gottfried um ein Ungeheuer! Er hat mir und seinem Vater einst in die Hand versprochen, dich gut zu behandeln – obwohl du so widerspenstig bist und dich zu keiner Zeit eures Verlöbnisses als liebevolle Braut gezeigt hast!

    Ich habe beinah die Befürchtung, Tochter, dass du dich in dieser Ehe als das Monstrum erweisen könntest.

    Ich ersuche dich also dringend, in dich zu gehen und dich um Demut zu bemühen. Kein Mensch verlangt von dir, deinen Mann zu lieben. Aber gehorchen – und zwar in allem – musst du ihm.

    Rede mit deinem Beichtvater, mein Kind! Ich bin sicher, er wird dir das Gleiche sagen wie ich!«

    »Die unglückliche Contessa hat keine Wahl; sie muss endlich in den sauren Apfel beißen und ihrem ungeliebten Stiefbruder das Ja-Wort geben«, flüsterten sich die Domestiken zu und musterten die schöne junge Frau insgeheim mit mitleidigen Blicken.

    »Ja, nicht einmal der Hinweis, die Kirche dulde Eheschließungen unter so nahen Verwandten nicht, hat ihr nichts gebracht«, wusste eine Dienerin der Brautmutter hinter vorgehaltener Hand zu berichten. »Ihr Stiefvater, Herzog Gottfried III., konnte schließlich jedermann den Dispens des Heiligen Vaters vorweisen, der in diesem Fall natürlich eine Ausnahme gemacht hat. Es handelt sich schließlich um die einflussreiche Familie von Canossa, der man den Zusammenschluss mit den nicht minder mächtigen Lothringern aus nachvollziehbaren Gründen nicht hat verweigern wollen!«

    »Bei Gottfried dem Bärtigen und seiner Heirat mit Beatrix hat es sich ja genauso verhalten!«, wussten die meisten noch. Die beiden waren immerhin Cousin und Cousine ersten Grades gewesen …

    Ein schlechter Witz der Geschichte war indes, dass ausgerechnet Mathildes Stiefvater, der ja »das ganze Elend« eingefädelt hatte, von der Hochzeit gar nichts mehr mitbekommen würde: Vor etwa einem Jahr war Herzog Gottfried III. gestorben.

    Jetzt war das Trauerjahr vorüber und sein Erbe, Herzog Gottfried IV. der Bucklige, hatte das Datum der Heirat mit seiner Stiefschwester unwiderruflich festgelegt.

    Hergerichtet und geschmückt als wunderschöne Braut stand die unglückliche junge Frau an diesem sonnigen Herbsttag 1069 in ihrem Gemach, wo ihre Zofen unter der Leitung ihrer seit Jahren vertrauten Leibmagd Susanna letzte Hand an sie legten, an ihr seidenes Gewand, ihre Frisur und den Kranz auf ihrem dichten aschblonden Haar, das noch offen auf ihre Schultern und über ihren Rücken floss.

    »Nicht mehr lange, Herrin, und diese wunderschönen Haare werden unter der Frauenhaube versteckt sein«, meinte Susanna mit bedauerndem Unterton in der Stimme, während sie den traditionellen Myrtenkranz auf dem Kopf ihrer Herrin befestigte.

    »Nicht nur meine Haare werden verschwinden, meine Gute«, erwiderte Mathilde gramvoll. »Auch mein Lachen und meine spontane Fröhlichkeit werden künftig der Vergangenheit angehören. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich in der Ehe mit meinem Stiefbruder viel zu lachen haben werde!«

    Die Dienerinnen, erschrocken über die offenen Worte der jungen Herrin, taten so, als hätten sie sie überhört. Nur Susanna wagte es, einen Kommentar dazu abzugeben.

    »Ich wünsche Euch so sehr, Contessa, dass Ihr nicht zu viel zu leiden haben werdet unter der Gewalt Eures Gemahls! Vielleicht lässt sich doch noch alles besser an, als von Euch befürchtet!«

    »Dein Wunsch in Gottes Ohr, meine Liebe«, entgegnete Mathilde trocken. »Aber, glaub mir, zu großer Hoffnung besteht kein Anlass. Mein Gemahl weiß, was ich von ihm und dieser abscheulichen Ehe mit ihm halte. Ich habe es ihm seit Jahren nicht verschwiegen und ihn immer wieder gebeten, seinen Vater von sich aus umzustimmen und ihn zu veranlassen, eine andere Gemahlin für ihn zu suchen.«

    Dann ging das Temperament mit der jungen Frau durch und wütend rief sie aus: »Aber Gottfried der Bucklige hat sich boshaft geweigert; es gefiel ihm, dass ich litt unter diesem Verlöbnis, als sei es das Schwert des Damokles, das über meinem Haupt an einem seidenen Faden baumelt.

    Oh, nein, Susanna! Mein Gemahl wird es geradezu genießen, mich zu quälen und zu erniedrigen sowie mich für meine deutlich gezeigte Abneigung gegen ihn büßen zu lassen!«

    Die langjährige Dienerin hielt es für besser, jetzt den Mund zu halten. Alle Wände in der Burg hatten bekanntlich Ohren …

    Mathilde sollte das kostbare Brautdiadem ihrer Mutter Beatrix tragen, das in Form eines Myrtenkranzes gestaltet und mit zahlreichen wertvollen Edelsteinen besetzt war. Die Gräfin hatte es ihrer Tochter am Morgen des Hochzeitstages überreicht mit den mahnenden Worten: »Erweise dich der wertvollen Gabe würdig, mein Kind! Mögest du sie tragen im Zustande der Jungfräulichkeit – wie ich hoffe – und ihr auch als Ehefrau keine Schande bereiten! Auf dass du sie einst unbefleckt weitergeben kannst an deine eigene Tochter, die Gott euch beiden, neben vielen gesunden Söhnen, schenken möge!«

    »Ich weiß das wundervolle Geschenk zu würdigen, Frau Mutter, und sage Euch Dank«, hatte Mathilde artig entgegnet. Die Gräfin hingegen hatte die Contessa mit eindringlichem Blick gemustert. Was die körperliche Unberührtheit ihrer eigenwilligen, aufsässigen und eheunwilligen Tochter anbelangte, war sich die Gräfin nämlich keineswegs sicher gewesen …

    Mathilde als Braut war bereits ein spätes Mädchen, eine »alte Jungfer« im landläufigen Sinne. Was in diesem Fall bedeutete, dass sie es schlau verstanden hatte, die verhasste Hochzeit ewig lange hinauszuzögern. Einerseits eine wahre Meisterleistung, aber andererseits auch ein Beinaheskandal.

    Viele hohe Herren, an deren Meinung Herzog Gottfried III. etwas gelegen war, hatten sich darüber bereits mokiert. Selbst der Heilige Vater hatte schon spöttisch angefragt, ob es im Hause Lothringen und Canossa neuerdings üblich sei, dass Töchter bestimmten, wann und wen sie zu ehelichen geruhten.

    Mathilde schenkte der immer noch schönen, älteren Frau, zu der sie immerhin ein besseres Verhältnis als zu ihrem Stiefvater bei dessen Lebzeiten unterhielt, ein aufgesetzt naives Lächeln. Sie wollte der Gräfin damit zu verstehen geben, dass sie durchaus Verständnis für die Skepsis, was die Jungfräulichkeit ihrer ungebärdigen Tochter anbelangte, aufbrachte …

    Aber beantworten würde sie ihre stumme Frage auf gar keinen Fall. Das war eine Sache, die sie allerhöchstens mit ihrem Beichtvater besprach, einem Priestermönch in mittleren Jahren aus Cremona, mit Namen Bernardo.

    Bei allem Widerwillen, den ihr bereits der bloße Anblick ihres künftigen Gatten einflößte, war sie doch einsichtig genug, dankbar die Tatsache zu begrüßen, dass es ihr zumindest vergönnt gewesen war, die verhasste Hochzeit so lange hinauszuzögern, bis sie beinahe schon ihren vierundzwanzigsten Geburtstag feiern konnte.

    »Meine Beharrlichkeit – mögen andere ruhig Sturheit dazu sagen – hat es zuwege gebracht, dass ich die mögliche Dauer dieser grässlichen Ehe immerhin um fast ein Jahrzehnt verringert habe«, hatte sie heute Morgen noch Pater Bernardo anvertraut. Und zwar anlässlich ihrer Beichte vor dem Empfang des Sakraments der Ehe, trotz ihres tapferen Lächelns mit Tränen in den großen blaugrauen Augen.

    Seine Antwort darauf würde Mathilde auch niemals vergessen: »Gottes Wege sind unerforschlich, meine Tochter! Wer weiß zu sagen, welche Stolpersteine auf dem Lebenspfad Eures Gatten liegen werden und wann der Herr Euren Gemahl zu sich rufen wird?«

    Auf den baldigen Tod ihres Gemahls zu hoffen, verbot Mathildes starker Glaube und ihr unbedingtes Festhalten an den Geboten der Kirche, welche den Weibern Gehorsam und Treue gegenüber ihren Eheherren zur christlichen Pflicht erklärten – gleichgültig, wie diese sich gegen ihre Angetrauten benehmen mochten.

    Mathilde kannte etliche adlige Damen, die von ihren Ehemännern regelmäßig verprügelt wurden und dennoch bei diesen rohen Kerlen ausharrten – weil ihnen gar nichts anderes übrig blieb.

    Außerdem plagten die Braut wider Willen im Augenblick ganz andere Sorgen: diese fürchterliche Hochzeitsnacht einigermaßen unbeschadet an Leib und Seele zu überstehen, war ihr einziges Bestreben.

    Sie hoffte, bereits in dieser Nacht schwanger zu werden, um sich dann baldmöglichst ihren aufgezwungenen Gatten buchstäblich vom Leib halten zu können. Ihren Zweck hätte sie dann erst einmal erfüllt; zumindest bis sich herausstellte, dass sie Mutter eines gesunden Kindes geworden war. ›Hoffentlich wird es ein Knabe werden!‹

    Mathilde erging sich bereits in Zukunftsfantasien, um die traurige Gegenwart leichter ertragen zu können. ›Mein einziges Glück besteht darin, dass ich keinen anderen Mann liebe. Sonst müsste ich mich wohl tatsächlich aus dem Fenster stürzen‹, überlegte sie nüchtern.

    Wie im Traum rauschte die Zeremonie der Eheschließung, die kein Geringerer als der Erzbischof von Florenz vollzog, an ihr vorüber. Auch die anschließenden Feierlichkeiten absolvierte sie wie eine Traumwandlerin, erwiderte die zahlreichen Glückwünsche mit freundlichen, wohlgesetzten Phrasen und erwartete mit Ungeduld und Angst zugleich das Ende dieser makabren Inszenierung.

    Nach außen hin ruhig, innerlich vor Angst bebend, stand sie jetzt vor dem breiten, einladend aufgeschlagenen Bett, das beide, nachdem die sogenannten »Ehezeugen« das Schlafzimmer verlassen hatten, um sich auszukleiden und die über einem Sofa parat liegenden Nachthemden anzulegen.

    Es war nämlich allgemeiner Brauch, dass die Neuvermählten, noch angekleidet, sich nebeneinander ins Bett legten und somit vor den Augenzeugen ihren Willen bekundeten, diese Ehe auch zu vollziehen. Nachdem sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, erhob sich das Paar wieder, um sich für die Nacht herzurichten.

    Das Schlafgemach war in sanftes Kerzenlicht getaucht, aber Mathilde wagte es nicht, ihren Blick vom Boden zu erheben, aus lauter Widerstreben, ihren Gatten ansehen zu müssen, der bereits begann, sich seiner seidenen, mit Gold durchwirkten Gewänder zu entledigen. Achtlos ließ er sie zu Boden fallen. Sobald er das Unterhemd abgelegt hätte, könnte sie seinen monströsen Höcker sehen und davor ekelte sie sich. Aber um vieles schlimmer noch würde es werden, sobald auch seine Beinkleider fielen …

    Krampfhaft presste Mathilde die Augen zusammen. Sie machte keinerlei Anstalten, ihrerseits die Kleidung abzulegen.

    ›Hoffentlich besitzt er wenigstens so viel Anstand und bläst die Kerzen aus‹, schoss es der unglücklichen jungen Frau durch den Kopf. ›Im Dunkeln brauche ich ihn dann wenigstens nicht zu sehen. Es wird schon schlimm genug sein, ihn zu spüren.‹

    Mathildes Lieblingszofe Susanna stand wie selbstverständlich abwartend neben dem Bett bereit.

    Um ihre junge Herrin aus ihrer Erstarrung zu reißen, begann sie schließlich: »Erlaubt, Frau Gräfin, dass ich Euch behilflich bin, die Prunkgewänder der Hochzeit abzulegen sowie Euer Haar von dem kostbaren Kranz zu befreien und auch den übrigen Schmuck zu verwahren!«

    Die Dienerin machte Anstalten, Hand an ihre Herrin zu legen, aber mit einer unwirschen Geste untersagte ihr das Gottfried der Bucklige in barschem Ton. »Du kannst gehen! Wir bedürfen deiner Dienste nicht. Ich selbst werde mich um die Garderobe meiner Gemahlin kümmern!«

    Er lachte meckernd. Kaum war die erschrockene Susanna aus dem Zimmer verschwunden, riss er Mathilde als Erstes den Myrtenkranz vom Kopf. Als Nächstes zerrte er rücksichtslos an ihrem Festgewand, ohne sich um die geringste Sorgfalt zu bemühen.

    Mathilde hörte, wie der kostbare cremefarbige Seidenstoff riss und sie spürte – bei immer noch geschlossenen Augen – mit welcher Grobheit er ihr die wunderschöne doppelreihig geschlungene Perlenkette vom Hals entfernte, sodass nicht nur der Verschluss, sondern auch die Schnur entzweiging und die einzelnen Perlen klackernd auf dem Fußboden herumsprangen. Reflexartig riss sie daraufhin die Augen auf.

    Bereits im nächsten Augenblick stand sie vollkommen nackt vor ihm, denn ihr Ehemann hatte ihr mit einem einzigen Ruck auch das Untergewand heruntergerissen. Instinktiv hob Mathilde die Arme, um mit den Händen ihre Brüste zu bedecken; aber Gottfried hinderte sie daran und presste dabei ihre Finger schmerzhaft zusammen.

    »Wieso willst du dich bedecken, Frau?«, fragte er grinsend. »Du gehörst schließlich mir und als dein Gemahl habe ich wohl das Recht, dich genau betrachten zu dürfen! Jeder, der ein Pferd kauft, wird es vor dem endgültigen Zuschlag genau untersuchen. Aber von uns armen Männern verlangt die Kirche, dass wir bei einer Heirat die Katze im Sack kaufen. Es könnte ja gut sein, dass du einen beträchtlichen körperlichen Makel hast, den du bisher sorgfältig verborgen hast. Meine Missbildung kennst du ja schon. Also lass dich gefälligst von mir anschauen!«

    Zum ersten Mal hatte Gottfried sein verkrümmtes Rückgrat und den gewaltigen Höcker erwähnt, der ihm wie ein gefüllter Sack auf der linken Schulter lag. Mathilde war darüber ziemlich verblüfft – in gewisser Weise hatte er ihr damit den Wind aus den Segeln genommen.

    ›Völlig unnötig‹, dachte Mathilde, während Gottfried sie von oben bis unten ungeniert taxierte. ›Ich wäre nie so wenig feinfühlig gewesen, ihn auf diesen Makel hin anzusprechen, denn dafür kann er wirklich nichts. Ganz im Gegensatz zu seinem ekligen Benehmen mir gegenüber!‹

    »Ganz ordentlich!«, hörte sie ihn fast gleichgültig sagen. »Das Nachtgewand lass liegen, wo es ist. Mach jetzt, dass du endlich ins Bett kommst, Weib!«

    Damit erhielt sie einen Schubs von ihrem Gatten und fand sich rücklings auf der Matratze des Bettes liegend vor. Unwillkürlich biss Mathilde die Zähne zusammen. Jetzt war es offenbar so weit und sie müsste sich in das Unvermeidliche fügen … Erneut schloss sie ergeben die Augen. Sie hatte sich vorgenommen, alles klaglos über sich ergehen zu lassen.

    Sie hörte Gottfried im Gemach herumtappen und nach einer kleinen Weile öffnete sie die Augen einen Spalt weit. Was tat er so lange? Sie hatte schon damit gerechnet, er werde sich wie ein Tiger auf sie stürzen.

    ›Ach! Mich hat er nackt

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