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Rittmeister Segendorf
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eBook319 Seiten4 Stunden

Rittmeister Segendorf

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Über dieses E-Book

Der alte Baron von Segendorf ist verzweifelt. Sein Landgut, das seit Jahrhunderten im Besitz der Familie ist, ist vollkommen heruntergewirtschaftet und er hat keine Ahnung, wie er aus dem Schlamassel wieder herauskommen soll. Wenn es mit dem Gut nicht bald bergauf geht, muss er seine Angestellten entlassen und in eine Wohnung umziehen, die er von seiner Pension finanzieren kann. Außerdem trägt er die Verantwortung für seine Enkelin Mite. Wer würde eine verarmte Adelige ohne Besitz und mit einem hohen Schuldenberg heiraten? Von Segendorf greift nach jedem Strohhalm und stellt den jungen Finanzinspektor Hand Georg Müller ein, um das Gut vor dem vollständigen Bankrott zu retten. Vom ersten Tag an kommt es zu Auseinandersetzungen zwischen den beiden. Gibt es eine Möglichkeit, den Familienbesitz doch noch zu retten?-
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum1. Jan. 2017
ISBN9788711463017
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    Buchvorschau

    Rittmeister Segendorf - Elisabeth Krickeberg

    Saga

    1. Kapitel.

    Also er kommt!" sagte der alte Baron von Segendorf, indem er einen soeben erhaltenen Brief mit einer Miene der Befriedigung, wie bei unverhofftem Gelingen eines schweren Werkes, aus der Hand legte.

    Er sass mit seiner Enkelin Mite am Frühstückstisch. Das junge Mädchen blickte nur eben flüchtig von ihrer eigenen Korrespondenz auf und warf gleichmütig hin: „Nun, da kannst du dich ja freuen, Grosspapa!"

    „Nein, da kann ich mich nicht freuen! rief der alte Herr mit einem Ton, der die zufriedene Miene Lügen strafte, „solch junger Schnüffel in die grosse Wirtschaft — lächerlich!

    „Aber Grosspapa, dann hättest du doch einen älteren, erfahreneren Beamten nehmen sollen —"

    „Als ob ein ‚älterer, erfahrenerer‘ Inspektor sich auf so eine Klitsche und mitten ’rein in die Lotterwirtschaft hier setzen würde! — Der alte Herr regte sich immer mehr auf. Seine von Natur rote Gesichtsfarbe spielte ins Kupferne, der breite Mund unter dem weissen, ausrasierten Kaiserbart kniff sich grimmig zusammen, und die lichtblauen Augen gaben sich wenigstens alle Mühe, ihren gewöhnlichen Ausdruck einer wahrhaft kindlichen Gutmütigkeit unter einem erregten Funkeln zu verbergen. „Und für das Gehalt, das ich ihm bieten kann! fuhr er fort. „Nee, Kinning, auf den Leim geht bloss ein junger Dummbart, der noch mit der Zusicherung der unbedingten Selbständigkeit zu ködern ist. — Pah! — er schlug mit der Hand verächtlich durch die Luft — „der letzte Versuch! — Gelingt dem Neuen auch nicht, die Karre aus dem Dreck zu schieben, — na, dann ade Segendorf. Dann überlassen wir den Schwindel hier den Herren Gläubigern, Kinning, leben ein paar Jahr noch gut und machen dann auf ’ne anständige Art Schluss — du mit ’ner vernünftigen Heirat und ich mit ... na wie sich’s für ’nen alten Kerl geziemt.

    „Grosspapa, rief das junge Mädchen empört, „du weisst doch, dass ich es nicht leiden kann, wenn du so frivole Reden führst.

    „Nanu, wenn’s dir besser behagt, können wir ja auch mit unsern glänzenden Mitteln in Posemuckel oder Kuhschnappel unterkriechen. Zwei Stuben mit Hängeboden, Staubsaugeapparat und Müllschlucker ..."

    Während er sprach, war eine ältliche Dame, gross, stattlich, zur Fülle neigend, von draussen ins Zimmer getreten und einen Augenblick lauschend an der Türe stehengeblieben. „Ach — so, fiel sie jetzt ein, „und mich hängen Sie dann in den Rauch!

    „Sie, beste Siebenstein? — warum nicht gar! Haben Sie nicht gehört, dass ich drei Gelasse vorgesehen habe? Nun, Mite erhält als Jüngste den Hängeboden. — Wer soll denn unsere Schlemmermahlzeiten herrichten? — doch nicht etwa das Gör da? Da wäre ich in vierzehn Tagen wahrscheinlich schon auf dem Kirchhof, wenn ich all das essen müsste, was Mite kocht."

    „Grosspapa, es ist schrecklich, dass du immer deine Possen treiben musst, klagte seine Enkelin. Sie hatte jetzt ihre Postsachen zusammengelegt und ihr zartes, frisches Blondinengesichtchen in bitter ernste Falten gezogen. „Die Sache scheint doch wirklich nicht spasshaft zu sein. Steht es denn so schlecht — so beinahe hoffnungslos mit Segendorf?

    Der alte Herr fuhr mit seinen kurzen Fingern ein paarmal hastig durch die noch immer volle graue Haarmähne. Sein Gesicht war jetzt so grimmig zusammengezogen, dass er aussah wie ein Nussknacker. „Das weiss der Deibel, schlimm genug!" stiess er hervor.

    „Und da hoffst du, dass ein junger, unerfahrener Mensch die Karre ..." sie schreckte davor zurück, den derben Ausdruck des Grossvaters zu wiederholen.

    „Ich hoffe gar nischt, Kind! — ’s ist eben ein letzter Versuch."

    Frau von Siebenstein war an den Tisch neben Mite getreten und strich ihr beruhigend über das lichtblonde Haar, das, in zwei dicke Zöpfe geflochten und nach Backfischart als Kranz um den Kopf gelegt, einen Glorienschein von krausen goldigen Löckchen um ihre weisse Stirn wob. „Grossvater übertreibt wie gewöhnlich", tröstete sie.

    „Ist das wahr, Grosspapa?" fragte Mite dringend.

    „Du bist ein Kindskopf! schalt Herr von Segendorf mit einem kurzen, unfreien Auflachen. „Lass die Klitsche hier doch getrost zum Kuckuck gehen, wir brauchen sie nicht! Und er nahm plötzlich sehr eifrig die Zeitung auf und vertiefte sich hinein. Er hatte sich da mal wieder verplappert, und die Auseinandersetzung begann, ihm peinlich zu werden. Er war all sein Lebtag gern trüben Dingen aus dem Weg gegangen.

    Mite atmete erleichtert auf. Sie liebte so wenig wie der Grossvater, düstern Gedanken nachzuhängen, des Lebens Ernst war ihr noch nicht nahegetreten.

    Als ihre Eltern in China, wo ihr Vater als militärischer Erzieher gewirkt hatte, rasch nacheinander einem zehrenden Fieber zum Opfer gefallen waren, zählte sie erst fünf Jahre und befand sich auch bereits in der Obhut des Grossvaters und der Frau von Siebenstein, einer Freundin seiner verstorbenen Frau und nach deren Tod Vorsteherin seines Haushalts, und die beiden sorgten um die Wette dafür, dass ihr Goldkind nur ja kein rauher Luftzug treffe.

    Damals lebte der Grossvater noch als aktiver Offizier im Westen des Reichs, und das Majoratsgut Segendorf, nicht weit von der russisch-polnischen Grenze, befand sich in den Händen seines älteren Bruders. Der war nun vor einigen Jahren kinderlos gestorben und das Stammgut in den Besitz von Mites Grossvater übergegangen. Die beiden, Jobst von Segendorf und Mite von Segendorf, waren überhaupt die letzten der Familie, und mit dem Geschlecht zugleich schien auch dessen einst so glänzender Wohlstand dahinzugehen.

    Ein Hang zu fröhlichem Lebensgenuss hatte von jeher in dem Blut derer von Segendorf gelegen, aber die Ahnen waren von Beruf aus Landwirte gewesen, und tüchtige Landwirte, die etwas vor sich gebracht hatten. Das war im letzten Jahrhundert anders geworden, seitdem Alexander von Segendorf sich auf die Gelehrsamkeit geworfen und eine Künstlerin zur Frau genommen hatte. Die hatte mehr in Italien ihren Malstudien gelebt als daheim ihrer Wirtschaft, und ihr Mann war auf Forschungsreisen in der halben Welt „herumkutschiert", wie Grossvater Jobst despektierlich meinte. Da war bei den Segendorfs nicht mehr aufgehäuft, sondern vermindert worden, rasend schnell vermindert, und der Sohn Alexanders, der nach seiner Mutter artete und ein Maler wurde, hatte das fortgesetzt. Er war der Grossvater des Jobst, und es hatte nicht viel genutzt, dass des Jobst Vater als echter Segendorf wieder mit Eifer die Landwirtschaft pflegte; seine beiden Söhne waren auch gewissermassen aus der Art geschlagen, der ältere, Wolfram, der Majoratserbe, war kränklich, lebte fast stets in Ägypten und starb unvermählt, der jüngere Jobst verbrauchte als Reiteroffizier viel Geld und hatte den Kuckuck Lust, sich um die Bewirtschaftung des Gutes zu bekümmern, zumal nachdem ihm der einzige Sohn, der es hätte erben sollen, so früh aus dem Leben gerissen war.

    Die beiden Brüder standen nicht gut miteinander. Sie waren grundverschiedene Naturen, und es gab nur unerquickliche Stunden, wenn der schwächliche, empfindliche, durch seine Krankheit verbitterte Majoratsherr mit dem frischen, derbheiteren, immer fröhlichen und von ihm glühend beneideten Bruder zusammentraf. Und Jobst war allezeit darauf gefasst gewesen, dass der ältere eines Tages doch noch heiraten würde, ihm zum Trotz, um ihm und seinen Nachkommen das Erbe zu entziehen. Freilich, als er es dann doch erhielt, hatte er mit einem grimmigen Lachen gemeint, der Verstorbene hätte wohl gewusst, dass er ihm damit einen grösseren Possen spiele, als wenn er es einem eigenen Sohn hinterlassen hätte.

    Die Wirtschaft war mit Schulden belastet, soweit das überhaupt bei einem Majorat möglich war, ja Waldbestände hatte man bereits gegen Gesetz und Recht niedergeschlagen und zu Geld gemacht.

    Die auf die Wirtschaft eingetragenen Schulden wurden vermehrt durch eine Last persönlicher Verpflichtungen des Toten, der eben in dem Bewusstsein, für keinen geliebten Menschen sorgen zu müssen, nach Gefallen darauflosgelebt hatte, ohne sich um das Nachher zu kümmern. Diese persönlichen Verpflichtungen hätte sein Bruder Jobst allerdings nicht auf sich zu nehmen brauchen, wenn sein Ehrgefühl es zugelassen hätte, dass man einem Segendorf nachsagte, er sei als Lump aus der Welt gegangen.

    So wurde die Gesamtschuldenlast dem Majorat aufgebürdet. Der Ertrag des Gutes war auf Jahre hinaus den Gläubigern verpfändet, und der Erbherr von Segendorf sah sich genötigt, seine eigenen Bedürfnisse und die Kosten für seinen Privathaushalt allein mit seiner Pension eines Generalmajors zu bestreiten. Dazu kam, dass er selber nichts von der Landwirtschaft verstand, ja als eingefleischter Soldat nicht einmal Sympathie für sie besass, und dass zu allem Unglück bei dem allgemein bekannten verrotteten Zustand der Wirtschaft auf Segendorf ein wirklich tüchtiger und erfahrener, älterer Beamter nach des alten Barons eigenem Ausspruch nicht daran dachte, sich in die verlotterte Wirtschaft zu setzen.

    Der alte Herr hatte, sosehr er es auch mit seinem grimmen Spott zu verdecken strebte, seine schweren Kümmernisse. Jetzt, seitdem er, der Not gehorchend, den Abschied genommen hatte und wieder auf dem Stammgut seines Geschlechts lebte, war auch die alte Anhänglichkeit zur Heimat wiedererwacht, und während er es in bitterm Sarkasmus liebte, sich und seinen Angehörigen den völligen Bankerott des Geschlechts Segendorf und den Zwangsverkauf der „Klitsche" auszumalen, blutete ihm sein Herz dabei, und eine glühende Scham über diesen schmählichen Untergang seiner einst so hoch angesehenen und so kernig tüchtigen Familie bohrte ihren Stachel in seine Seele.

    Und dann war da das Kind, seine Enkelin. Was sollte aus ihr werden, wenn mit seinem Tod die zwar nicht glänzende, aber doch ausreichende Versorgung durch seine Pension aufhörte? Sie besass keinen Pfennig Vermögen, und so würde sie als die Erbin eines grossen Gutes einmal hungern müssen; denn wo würde sich einer verarmten und verkrachten Adeligen die Aussicht auf eine standesgemässe Heirat bieten?

    Und während der alte Baron scheinbar eifrig die Zeitung studierte, wälzte er diese Gedanken unruhevoll in seinem Kopf umher.

    Mite hatte nachdenklich die Stirn in ihre Hand gestützt. Der Grossvater führte in letzter Zeit oft diese seltsamen und eigentlich recht abscheulichen Reben. Tante Siebenstein bemühte sich zwar, sie als Übertreibungen hinzustellen, und der Grossvater liebte ja auch wirklich krasse und manchmal höchst derbe Äusserungen, aber es lag doch so ein eigen unfreier Ton in seiner Stimme, wenn er von dem „Segendorfer Elend" redete. Sie war auch alt genug, um zu merken, dass die Segendorfer Verhältnisse wirklich nichts weniger als glänzend waren. Als Grosspapa noch aktiv war, hatten sie viel kostspieliger gelebt, und es war niemals vorgekommen, dass Tante Siebenstein gefunden hatte, ein echter Panamahut für Mite sei eigentlich ein törichter Luxus, da man doch so vorzügliche Nachahmungen für lächerlich billigen Preis haben könnte.

    Prüfend liess das junge Mädchen ihre Blicke auf dem Grossvater ruhen. Er las ja gar nicht, starrte immer auf dieselbe Stelle der Zeitung, und die Tante Siebenstein strickte gar wie ein altes Spittelweib neue Fersen in einen Strumpf des Grossvaters.

    „Grosspapa, sagte Mite plötzlich, „wenn der junge Mann nun aber wieder so untüchtig ist wie der vorige Inspektor, den du Knall und Fall hast entlassen müssen?

    „Ach, Unsinn! Die Antwort kam ein wenig ungeduldig. „Es wird doch nicht lauter dumme Tröpfe in der Welt geben.

    „Aber ein so junger Mann — —"

    „Du tust ja, als ob er noch ein Schuljunge wäre; er hat doch immerhin schon bald seine dreissig Jahre."

    „Von wo stammt er eigentlich, und wie heisst er?" warf Frau von Siebenstein ein.

    „Er stammt von da irgendwoher aus Ostpreussen und hat so einen Gattungsnamen — Schmidt oder Schulze — ich weiss es wirklich im Augenblick nicht mehr, da liegt ja der Brief, lesen Sie doch selber."

    Er erhob sich, warf seiner Enkelin noch ein paar Scherzworte zu und ging hinaus. Die Ausfragerei behagte ihm nicht, denn so sehr er anfangs befriedigt gewesen war, durch die Zusage des „Neuen" der lästigen Sucherei nach einem Ersatz für den davongejagten Inspektor enthoben zu sein, jetzt war er bereits geneigt, zu glauben, dass sie ihm nur frische Enttäuschungen und Ärgernisse bringen würde.

    Mite nahm den Brief auf und las ihn. In Knappen Worten die Versicherung, dass der Schreiber mit den Bedingungen des Barons v. Segendorf einverstanden sei und bereits in einigen Tagen die neue Stellung antreten würde. Darunter der Name, nicht Schmidt und auch nicht Schulze, sondern Müller, Hans Georg Müller.

    Mite zog das Näschen kraus. „Er ist gewiss schrecklich pöbelhaft und plump, Tante, sieh nur diese eckige Schrift. Er wird doch nicht wieder bei uns am Tisch essen?"

    „Es wird nicht zu umgehen sein, Kind, da er doch unverheiratet ist."

    Mite seufzte. „Der andere hatte so schlechte Manieren und so grobe, braune Tatzen, und er putzte nicht einmal immer seine Nägel."

    „Nun, der Neue ist ja noch jung, tröstete die Tante, „der lässt sich wohl noch von uns zurechtstutzen.

    2. Kapitel.

    Dann eines vormittags traf der neue Inspektor ein, ein grosser, schlanker Mann von festem Gliederbau mit einem energischen, etwas eckigen, hagern Gesicht und klugen, kühl kritisch blickenden Augen; das glatte braune Haar schlicht gescheitelt, der volle Schnurrbart kurz gehalten — auf den ersten, flüchtigen Blick der Typus eines intelligenten Landmannes. Seinem Äussern nach hätte man ihn zehn Jahre älter schätzen können, als er war.

    „Kinder, vor dem können wir uns vorsehen, meinte Anton, der Kutscher, in der Gesindestube, „ich glaube, der lässt nicht mit sich spassen! Ehe er noch auf dem Bahnhof in den Wagen stieg, hatte er schon bei den paar Schritten, die ich bis zum Gepäckraum fuhr, weg, dass das Handpferd den rechten Hinterfuss schonte. Er hob ihn auf, ‚vernagelt‘, sagte er bloss und schüttelte den Kopf. Na, und über jeden Feldstreifen, an dem wir vorbeifuhren, liess er sich Rechenschaft geben. Das ist ein Neunmalkluger, passt auf!

    Hans Georg Müller stand inzwischen im Herrenzimmer vor dem alten Baron. Der hatte ihn freundlich mit Handschlag willkommen geheissen und die Bemerkung ausgesprochen, dass er auf ein gedeihliches Zusammenwirken mit ihm hoffe. Es war ganz konventionell geschehen, aber der andere war nicht willens, es so aufzufassen.

    „Ich meinte, der Herr Baron habe mir die alleinige Verwaltung des Gutes übertragen, da kann von einem Zusammenwirken wohl nicht eigentlich die Rede sein", sagte er ruhig.

    „Nun ja — ja doch, natürlich! fiel der alte Herr etwas nervös ein, „aber es ist doch wohl selbstverständlich, dass bei wichtigen Fragen eine Verständigung zwischen uns stattfindet. Als Besitzer von Segendorf werde ich nicht unbedingt auszuschalten sein.

    „Dann bin ich unter falschen Voraussetzungen hierhergekommen, und ich glaube nicht, dass unsere Verbindung von langer Dauer sein wird. Ich habe aus dem Schreiben des Herrn Barons angenommen, dass das Majorat völlig für sich verwaltet werden sollte und der Herr Baron sich jedes Einspruchs in die Wirtschaftsführung enthalten wollte."

    „Sie sind sehr rasch, junger Herr! rief der Baron. „Es wird mir nicht einfallen, Ihnen bei Ihren wirtschaftlichen Anordnungen dreinzureden, wo es sich aber um vitale Interessen handelt, werden Sie mir wohl eine Stimme im Rat gestatten.

    „Es handelt sich, soviel ich verstanden habe, hier vor allen Dingen darum, Herr Baron, in kürzester Zeit aus einem vernachlässigten und heruntergewirtschafteten Betrieb ein wieder möglichst ertragfähiges Gut zu schaffen. Das ist keine leichte Aufgabe, und ich kann selbstverständlich vorläufig nicht wissen, ob es überhaupt möglich sein wird, sie zu lösen. In jedem Fall würde ich auch nicht einmal den versuch dazu machen, wenn mir nicht in dem, was meines Amtes ist, völlig freie Hand zugesichert wird. Dass ich die Grenzen meiner Befugnisse nicht überschreiten werde, darauf kann ich Ihnen mein Wort geben."

    Der Baron war ärgerlich, mehr als das, empört. Stand dieser junge Mann nicht vor ihm wie ein Gebieter, der seine Befehle erteilt? — Er war nicht gewöhnt, so mit sich reden zu lassen. Schon der ungeschminkte Hinweis auf die verrotteten Verhältnisse Segendorfs kränkte ihn tief. Und wie dieser Mensch sich aufs hohe Pferd setzte, als ob von seinem guten Willen allein das heil Segendorfs abhinge. — Hahaha! Der alte Herr hätte grimmig auflachen mögen. Man würde es ja erleben: in einigen Wochen, höchstens Monaten würde dieser selbstbewusste Herr sicher auch die Büchse ins Korn werfen, und man würde zufrieden sein können, wenn er Segendorf nicht noch ein bisschen mehr „heruntergewirtschaftet hätte. Aber einstweilen befand man sich in einer Zwangslage. Da musste man gute Miene zum bösen Spiel machen, so bitter schwer es einem wurde. So sagte er mit erzwungenem Gleichmut: „Ich habe Ihnen völlige Freiheit in dem, was Ihres Amtes ist, zugesichert, das genügt bei einem Segendorf.

    Hans Georg Müller verbeugte sich: „Ich möchte Ihnen den Vorschlag machen, Herr Baron, dass ich die Stellung zunächst auf Probe, für die Zeitdauer von sechs Monaten antrete."

    „Warum?" fragte der alte Herr misstrauisch.

    „Zuerst, weil ich die Verhältnisse hier schlimmer angetroffen habe, als ich fürchtete, und nicht weiss, ob meine Kraft ausreichen wird, mit den vorhandenen Mitteln das, was ich mir vorgenommen habe, auszuführen. Die Felder sind in miserabler Verfassung, ausgesogen bis zur letzten Möglichkeit, das Getreide steht, dass sich einem Landmann das Herz im Leibe umdreht; und auf dem Hof sieht es nicht besser aus, das hat mich ein Blick auf die Gebäude gelehrt. Es wird also harte Arbeit geben, und wenn ich mich vor dieser an sich nicht scheue, so liebe ich doch nicht, möglicherweise nutzlose Arbeit zu leisten. Und dann wird Ihnen vielleicht, oder wir können wohl getrost sagen, sicher, jetzt huschte das erstemal ein Lächeln über das Gesicht des Inspektors, „das neue Regiment nicht behagen, und Sie werden mich vielleicht gern, je eher desto lieber, wegschicken.

    „Ich fürchte, dass Sie in sechs Monaten Segendorf auch nicht umkrempeln können", meinte der Baron sarkastisch.

    „Nein, aber ich habe dann einen allgemeinen Überblick und kann beurteilen, ob mein Bleiben einen Zweck hat oder nicht. Ausserdem ist dann die Sommerarbeit vorüber, und Sie haben Musse, einen neuen Inspektor zu suchen."

    „Gut! sagte der alte Herr kühl; „die Sache wäre also abgemacht, und ich kann nur wünschen, dass Sie nicht bereuen, dem ‚verrotteten Segendorf‘ sechs Monate ihres Lebens geschenkt zu haben.

    Es klang hohnvoll und hätte den Inspektor beleidigen können; aber der schien den in den Worten enthaltenen Stachel nicht zu merken. Er verbeugte sich und ging.

    „Wenn er so viel kann, wie er Selbstbewusstsein besitzt, wird es sehr gut für Segendorf sein, erklärte der Baron seiner Enkelin und Frau von Siebenstein. „Er scheint reichlich anmassend, dieser Herr Müller. Nimm dich nur in acht, Kleine, dass du ihm nicht etwa in den Weg kommst und ihn in seiner freien Entschliessung behinderst.

    „Ich werde mich hüten, Grosspapa, ihm freiwillig in den Weg zu gehen, meinte Mite beleidigt. „Ich habe ja gleich gesagt, er würde kein angenehmer Mensch sein, triumphierte sie dann, und mit einem Seufzer fügte sie wie bekräftigend hinzu: „Und mit dem fortan zusammen leben zu müssen!"

    Sie hatte sich umsonst gefürchtet, der Herr Inspektor sorgte selber dafür, dass kein Zusammenleben zustande kam. Gleich am ersten Tag, als man ihn zu Tisch rief, liess er bitten, dass er für seine Mahlzeiten allein sorgen dürfe, er könne sich nicht an bestimmte Essenszeit binden und möchte nicht stören.

    „Er wird wohl selber empfinden, dass er nicht zu uns passt", meinte Mite befriedigt; aber der alte Herr, der ein gemütliches Schwätzchen bei Tisch liebte, ärgerte sich. Das war doch fast eine Nichtachtung, und ausserdem, der Inspektor war mit freier Station angestellt, und wenn er für sein Essen allein sorgte, würde er eine entsprechende Vergütung dafür beanspruchen, eine unnütze Ausgabe.

    „Ich möchte nur wissen, wie er sich allein beköstigen will, sagte Mite, „wer soll denn für ihn kochen? — Die Frau vom Vogt? ... Speckkartoffeln und Schlippermilch, puh!!

    Der alte Herr meinte geringschätzig: „Das soll nicht unsere Sorge sein."

    „Er wird wahrscheinlich im Krug essen, sagte Frau von Siebenstein. „Die Wirtin ist eine propre Frau und kocht gut, wenn auch nicht gerade Delikatessen.

    „Na, an die wird der Herr Hans Georg Müller von zu Hause aus ja wohl auch nicht gewöhnt sein", warf Mite mit gerümpftem Näschen hin. Bei ihr war es ausgemacht, dass der neue Inspektor ein Bauer war, und sie hatte ihn doch bisher nur gesehen und noch kein Wort mit ihm gewechselt. Denn als der Herr Müller pflichtschuldigst bald nach seinem Eintreffen den Damen des Hauses seine Aufwartung machen wollte, waren sie verhindert gewesen, ihn zu empfangen, und er schien der Ansicht, den Pflichten der Höflichkeit nun völlig genügt zu haben. Er machte keinen Versuch mehr, bei den Damen eingeführt zu werden.

    Mite sah ihn dann und wann an den Fenstern des Schlosses vorübergehen, wenn er von den Wiesen kam, die sich an den Park anschlossen, und wo zurzeit geheut wurde. Der Wirtschaftshof lag seitwärts, und Mite, die vorher täglich die jungen Lämmer besucht hatte, empfand jetzt, seitdem der „Neue da war, eine eigene Scheu, ihn zu betreten. Vermied ihn doch sogar der Grosspapa, weil „er sich nicht dumm kommen lassen wollte, wie er sich in seiner drastischen Art ausdrückte.

    Ein paar Tage nach des Inspektors Ankunft traf sein Reitpferd ein. Der Baron, der es gesehen hatte, kam ganz aufgeregt ins Schloss: „Ein Tier! Donnerwetter! Wie ich es in meinen besten Zeiten als Offizier nicht im Stall gehabt habe! Reinste, edelste Rasse, ein Goldfuchs, einfach süperb — man muss sich seines Kleppers schämen. Wie kommt der Kerl zu solch einem prächtigen Pferd? Ein Reitpferd für zwanzigtausend Mark und ein jährliches Gehalt von kaum zweitausend Mark, wie reimt sich das zusammen?"

    „Vielleicht ist er ein reicher Bauernsohn", rief Frau von Siebenstein; aber der Baron winkte ab: die hätten doch keinen Sinn und Verstand für Rassepferde!

    „Na, dann hat er es am Ende gestohlen oder in einer Wette gewonnen", sagte Mite. Sie meinte es nicht im Ernst und wollte noch etwas Scherzhaftes hinzufügen, aber in diesem Augenblick trat plötzlich der, von dem sie sprachen, durch die offene Türe des Gartensaales auf die Terrasse hinaus, auf der die Herrschaften sich befanden. Mite erschrak, und auch der Baron blickte unangenehm überrascht und ein wenig unsicher. Wie leicht konnte der Inspektor gehört haben, was man von ihm sprach, es schickte sich auch nicht, so unangemeldet daherzukommen.

    „Ich bitte um Verzeihung, Herr Baron, dass ich zu stören wage. Im ganzen Erdgeschoss habe ich keinen dienstbaren Geist gefunden, der mich hätte anmelden können, und ich möchte meinen Fuchs nicht gern noch länger der prallen Sonnenglut im Hofe aussetzen. Ich kann ihn nicht in dem Verschlag unterbringen, in dem das Pferd meines Vorgängers unter all den Pferden gestanden hat — das ist mir zu unsicher, und da erlaube ich mir die Anfrage, ob Sie gestatten, dass ich eine Ecke in dem kleinen Herrschaftsstall, in dem ja nur die beiden Reitpferde stehen, für ihn herrichten lasse."

    „Selbstverständlich! rief der Baron rasch; ihm, dem alten Reiteroffizier, wäre es eine Todsünde gewesen, ein so kostbares Tier Ackergäulen zuzugesellen. Seine Gedanken waren so von dem schönen Pferde eingenommen, dass er ganz vergass, den Inspektor seinen Damen vorzustellen, und statt dessen fragte: „Woher haben Sie den Gaul? — Ein Prachttier!

    „Direkt aus dem königlichen Gestüt in Trakehnen, Herr Baron", sagte der Inspektor ruhig und höflich, aber so knapp und kühl, dass dem alten Herrn die Lust zu weitern Fragen verging, und danach wollte er sich ebenso ruhig kühl verabschieden; aber da fiel dem Baron seine Unterlassungssünde ein.

    „Verzeihen Sie, dass ich versäumt habe, Sie bei meinen Damen einzuführen: Unser neuer Herr Wirtschaftsbeamter."

    Mite grüsste ihn würdevoll steif wie eine Matrone und wurde gleich darauf glühend rot, denn es war ihr gewesen, als ob ein spöttisches Zucken um den Mund des „Herrn Wirtschaftsbeamten" gegangen wäre. Frau von Siebenstein fand es für nötig, ein paar Worte des Bedauerns darüber zu sagen, dass der Herr Inspektor nicht an ihren Mahlzeiten teilnehmen könne, sie hoffe, dass er nicht Schwierigkeiten mit seiner Beköstigung habe.

    O nein, er danke, er habe es bei der Krugwirtin recht gut getroffen, schmackhafte Hausmannskost, „wie unsereiner es gewöhnt ist", fügte er hinzu, und wieder ging das Zucken um seine Lippen.

    „Weisst du, Grosspapa, ich glaube, der macht sich lustig über uns, meinte Mite ganz aufgebracht, nachdem er gegangen war. „Er hat einen so maliziösen Zug im Gesicht.

    „Ach, warum nicht gar! verwies sie der Grossvater um so energischer, als er selber ein unbehagliches Gefühl bei der Erinnerung an des Inspektors überlegen kühle Art empfand. „Ich möchte wissen, wie er dazu käme.

    „Aber du selber hast doch öfters schon gesagt, dass Emporkömmlinge zur Überhebung neigen."

    „Na, er soll sich unterstehen!"

    „Ich meine, die Hauptsache ist,

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