Der Papst kommt
Von Andrea Hensgen
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Buchvorschau
Der Papst kommt - Andrea Hensgen
Meinem Sohn, dem Stadtbetrachter
Andrea-Hensgen_sw.jpg Andrea Hensgen verbrachte ihre Kindheit in einem Dorf an der französisch/luxemburgischen Grenze, studierte in Saarbrücken Geisteswissenschaften und lebte anschließend 25 Jahre in Karlsruhe. Hier wuchsen ihre drei Kinder auf, hier begann sie ihre schriftstellerische Arbeit. Bereits ihr erstes Werk, ein philosophisches Jugendbuch, erfuhr viel Beachtung und Übersetzungen in mehrere Sprachen. Sowohl für ihre nachfolgenden Romane und Erzählungen als auch für ihre zahlreichen Kinderbücher erhielt Andrea Hensgen Preise und Auszeichnungen, zuletzt im Jahre 2011 das Vilnius-Stipendium des Hessischen Literaturrats und das Kinderbuchstipendium des Landes Luxemburg. Philosophische Fragen stehen im Mittelpunkt des gesamten Werkes. In Andrea Hensgens Betrachtung der Welt fließt das Wissen um die geistigen Traditionen Europas und in ihren Blick auf die Menschen jene Entwürfe gelungenen Lebens, wie sie unsere Kultur hervorgebracht hat. Die Autorin lebt mit ihrem Mann in einem Dorf nahe Freiburg.
Andrea Hensgen
Der Papst
kommt
Roman
1565.pngDer Eingang in die Stadt
Kolja in Karlsruhe, das passt nicht.
Schon während der ersten Tage fühlt es sich deutlich schwieriger an als Koljas Erlebnis anderer Städte. Wobei er ohnehin der weit verbreiteten Ansicht kaum zustimmen würde, die Fremde eröffne mehr Freiheiten als das Gewohnte.
Seine mehrmonatigen Aufenthalte an fremden Orten empfand Kolja bislang jedes Mal vor allem als Begrenzung. Im vertrauten Raum geht man ungehindert seinen Dingen nach. Dagegen kostet es Zeit und Kraft, eine unbekannte Umgebung so weit zu erkunden, bis man weiß, welche Menschen, welche Orte ein weiteres Interesse lohnen.
Einer neuen Stadt steht der Fremde alleine gegenüber. Aus Not greift er nach Gelegenheiten, die ihm zuhause keinen Blick wert wären.
Statt den Gästen der Geburtstagsfeier wendet sich Kolja dem Fenster zu. Er sieht hinab auf den breiten, dunklen Streifen mitten in der Stadt. In der Nacht umschließt das matte Licht der Laternen entlang der Außenmauern das Innere des Zoos. Gehege, Wege und Tierhäuser verschmelzen zu einem undurchdringlichen Schwarz.
Andernorts streift man nach der Ankunft in der fremden Stadt und den ersten Schritten aus dem Bahnhof durch Kneipen- oder Vergnügungsviertel. In Karlsruhe spaziert man vorbei an Giraffen, Elefanten und Löwen. Der Name dieser Mischung aus Tiergehegen und Blumenanlagen verdankt sich einem überschaubaren Park rund um die Tierareale mitsamt einer Seebühne.
Vor ein paar Tagen führte eine seiner ersten Erkundungen der Stadt auf die Promenade an diesem See entlang. Vom Klang der Musik ließ er sich zur Bühne leiten. Die Musikvereine der umliegenden Orte vertrieben dort den Spaziergängern und den herbeigefahrenen Nachbarn und Bekannten die Zeit am Sonntagmorgen. Alle verband eine schläfrige Gleichgültigkeit, die Spieler mit ihren Instrumenten auf der Bühne und jene, die unter ihnen geduldig dösend in der Sonne saßen.
Ruhig glitten Schwäne und Enten über den See, unbeeindruckt von den vielen kleinen Booten, in denen die Zoobesucher an ihnen vorbeizogen. Junge Familien und Gruppen älterer Leute überließen sich dem ebenso anstrengungs- wie ereignislosen Vergnügen. Selbst die Kinder schienen von dieser Sonntagsstimmung erfasst und ließen stumm Halme und Zweige am Rand der Boote durchs Wasser treiben.
Oft passiert es Kolja an einem Ort wie diesem, dass ihn das Gefühl befällt, einem Geschehen beizuwohnen, dem bald die Menschen fehlen werden. In zehn oder fünfzehn Jahren wird sich hier hoffentlich niemand mehr am Sonntagmorgen einfinden, um geduldig dem Akkordeonspiel seines Nachbarn zu applaudieren. Auch Panther, Nilpferde und Giraffen werden dann endgültig von diesem Ort verschwunden sein.
Kolja wendet seinen Blick zurück zu den Geburtstagsgästen.
Wahrscheinlich wollte der Gastgeber die bekannte Runde an Gästen und Gesprächen um ein fremdes, unvorhersehbares Element bereichern. So erklärt sich Kolja seine Einladung. Eine Melange aus Langeweile und Neugierde, der unbedacht der Impuls entschlüpfte, die eingespielte Gesellschaft einmal aufzumischen. Außer dem Gastgeber kennt Kolja hier niemanden und spürt zu seinem eigenen Erstaunen nicht den geringsten Antrieb, an diesem Zustand etwas zu ändern.
Von seinem Fensterplatz aus kann er dem Gespräch um den Redner dicht vor ihm folgen, ohne sich der Runde sichtbar anschließen zu müssen.
Schon jetzt beschäftigt der Papstbesuch die ganze Stadt. Dabei sind es noch knapp vier Monate, bis der Papst auf dem Flughafen in Baden-Baden einfliegen und in Karlsruhes Fußballstadion eine Predigt halten wird. Selbst Kolja als Fremdem drängt sich das Spektakel auf, durch Gespräche in der Kantine, durch den prominenten Platz in den Lokalnachrichten und nicht zuletzt durch die lebensgroßen Plakate des Papstes auf allen Werbeflächen in der Mitte der Stadt. Leutselig lächelnd winkt er den Leuten zu.
Mittlerweile weiß Kolja nicht mehr zu entscheiden, ob sein Misstrauen gegenüber diesem Lächeln aus seinem Wissen um die Positionen des Papstes rührt oder Tag für Tag gefüttert wird durch den Anblick dieser lebensfrohen Miene. Ununterscheidbar verschmelzen darin ein kumpelhaftes Anbiedern und eine selbstgewisse Entschlossenheit.
Wie der Mann da zwei, drei Schritte vor Kolja die Rede schwingt inmitten der Runde, ist er Auftritte vor Publikum gewohnt. Ein Jurist, den Bemerkungen der Zuhörer nach, klein, ein spitzes Gesicht und schlechte Zähne, Kolja schätzt ihn auf Ende vierzig. Wie viele Männer dieses legasthenischen Typs hat er sich den schmalen, fast schmächtigen Körper seiner Jugend bewahrt, mit Ausnahme der mächtigen Ausdehnung seines Bauchs. Leicht nach vorne gebeugt steht er da, als zöge ihn dessen Gewicht zu Boden.
Er kennt den Kreis, weiß zweifelsohne die vorherrschende Meinung hier abzuschätzen. Offenbar liegt ihm nichts daran, die Schärfe seiner Rede zu mildern, um Provokationen zu vermeiden. Ganz im Gegenteil.
„Immerhin, er wagt Neues, setzt andere Zeichen. Soweit das möglich ist innerhalb einer jahrhundertealten Hierarchie. Und die Leute jubeln ihm zu, als hätten sie seit langem auf nichts mehr als einen solchen Aufbruch gewartet!"
Sein Blick springt von einem zum anderen in der Runde, als rührte ihn der Papst zu einem aufrichtigen Staunen und als läge es nun an seinen Zuhörern, ihm eine Erklärung zu liefern.
„Was erwarten sich die Leute bloß von diesem Mann? Ist denn diese Kirche überhaupt noch bereit und fähig zu einem wahren Christentum?"
Abrupt bremst sein fragender Blick ab auf dem Gesicht einer jungen Frau und heftet sich daran fest. Sofort flammt eine mädchenhafte Röte darin auf. Offenbar ebenfalls eine Fremde in dieser Runde, gegenüber niemandem hier gab sie sich bislang so leichthin vertraut wie die übrigen Gäste miteinander. Eine Südländerin, wahrscheinlich aus Italien, Anfang dreißig, grundgläubig und völlig hilflos, in einer solchen Gesellschaft über ihren Gott zu reden.
Christoph springt ihr bei. Kolja hat dessen Namen in der Begrüßungsrunde aufgeschnappt. Christophs Eintritt, etwas verspätet, war unüberseh-, unüberhörbar gewesen. Umarmen und Küsschen, übertriebene, fast zärtliche Komplimente, keine der Frauen enttäuschte Christoph in seinem scheuen Vergnügen, mit Mitte fünfzig nichts von seinem jugendlichen Charme eingebüßt zu haben. Kolja gab den Frauen in Gedanken recht. Da kam kein eitler Narziss an, sondern tatsächlich einer von der Sorte Menschen, denen es vergönnt ist, sich mit unbekümmerter Freude an sich selbst durchs Leben zu begleiten. Christoph scheint ohne Sorge, dass das Getue rund um sein Kommen bei dem Großteil der Gäste etwas anderem als ehrlichem Wohlwollen entspringen könnte.
Auffallend dicht stellt er sich der schüchternen Südländerin zur Seite.
„Fritz, lass’ es doch, einen Strohmann aufzubauen, bloß um ihn gleich wieder zufrieden abzubrennen. Das gab es immer, und wird es immer geben. Die Leute brauchen einen, zu dem sie beten können und der es gut mit ihnen meint. Wenn dessen oberster Funktionär dann nett daherkommt, umso besser."
„Wenn es so einfach wäre, Christoph!"
Wie Fritz Augen plötzlich tiefer, dunkler werden, lässt Kolja aufmerken.
„Keine Frage, dass die Menschen seit ihren Anfängen, und damals weitaus stärker, einen Gott brauchten und sich entsprechende Bilder schufen. Aber darum geht es mir doch gar nicht."
„Worüber reden wir denn sonst?"
„Über uns, Christoph, über uns Menschen!"
Ein zweites Mal lässt Fritz seinen Blick prüfend über die Runde gleiten, bis zu Kolja am Fenster.
„Wie denken Sie denn darüber? Was meinen Sie, wieso erweist sich dieser Glaube als so unverwüstlich, in einer hochzivilisierten, durchgängig ökonomisch ausgerichteten Gesellschaft?"
Der Kreis öffnet sich für Kolja. Sieben Augenpaare wenden sich ihm zu. Sein Einstieg heute Abend hätte gern weitaus weniger spektakulär ausfallen dürfen. Niemand sonst als er selbst ist schuld daran! Viel zu sehr hat er auf den stolzen Fremden gesetzt und diesen Fritz damit offenbar herausgefordert.
Statt ihm sofort zu antworten, tritt Kolja mit einem stummen Nicken in die Runde, zwischen einen etwa gleichaltrigen Mann und eine kräftige, schwarzgekleidete Frau. Der Mann stößt ihn leicht am Arm und sieht ihn beruhigend an. Kolja begreift sofort, dass er an seiner Stelle Fritz Rede und Antwort stehen wird. Dabei ist der Beistand für den fremden Gast keineswegs der Grund für diesen unverhofften Einsatz.
Selbst wenn der Mann sich die Anstrengung abverlangte, seine Erregung zu verbergen – er wäre kaum imstande dazu.
„Eben, Fritz! Wegen uns Menschen brauchen wir diesen Gott!"
Seine Worte knallen in die Mitte der Runde, als hätte er einen Stein geworfen. Einen Moment lang greift der Blick des Mannes ins Leere, bevor er zurückkehrt zu Fritz. Der nickt ihm begütigend zu.
„Das wissen wir doch alle, Lorenz, dass es ihn gibt, weil wir ihn brauchen. Aber wenn dies nur die eine Seite wäre, was wir uns wünschen und erhoffen, und es ganz unabhängig davon tatsächlich einen Gott gäbe! Einen Gott, dem wir völlig egal wären, den unsere Bilder überhaupt nicht berührten. Einen Gott, der das ganz andere wäre oder schon immer war und ist und ewig bleiben wird, jenseits unserer begrenzten Vorstellungen! Und dann?"
Fritz sieht Lorenz an, als müsste der hier und jetzt das endgültige Urteil über Gottes Unbegreifbarkeit fällen, ja als wollte Fritz Lorenz’ Zustimmung mit Macht erzwingen.
Die Antwort bekommt er sofort.
„Einen Gott, dem meine Gebete egal wären, den will und brauche ich nicht."
Kolja sieht in ratlose Gesichter, niemand rührt sich. Dennoch scheint es ihm, als träten alle einen Schritt zurück.
Außer Fritz. Ein feines, beinahe theatralisches Seufzen entschlüpft ihm. Wie er den Kopf dabei zur Seite neigt, die Hand ziellos über die Wange streift und die Augen dabei schließt, verrät jedem hier, dass Fritz die Lust an dem Gespräch vergangen ist, just in diesem Moment.
Für Fritz hat Lorenz mit dieser Antwort fraglos den Rang eines gleichrangigen Gegners eingebüßt. Als Spielchen wird Fritz das Gespräch zu Ende bringen. Lorenz richtet sich auf, atmet unüberhörbar laut ein und aus. Ein letztes Wort, dem die anderen aus mitleidiger Nachsicht nichts mehr hinzufügten, ließe ihn in diesem Augenblick seine Einsamkeit in diesem Kreis allzu schmerzhaft spüren.
„Fritz, wenn es diesen Gott nicht gäbe, der uns Gerechtigkeit verspricht, am Ende aller Tage, was würdest Du dann den Opfern der Nazis sagen, wenn Du in Berlin zwischen den Stelen stehst? Fritz, was würdest Du ihnen sagen?"
Abrupt verstummen alle Gespräche, selbst außerhalb der geschlossenen Runde. Vollkommen still ist es inmitten der knapp vierzig Menschen im Raum. Mit einem Blick umfasst Kolja die Anwesenden, ohne den Kopf dabei zu bewegen. Lorenz steht zu dicht neben ihm, als dass er ihm ins Gesicht sehen könnte.
Mit einem solchen Bekenntnis hat hier keiner gerechnet. Wer stellte ernsthaft eine solche Frage? Jeder hier spürt, was Lorenz damit wagt, und so viel ist allen klar: Mit der letztendlichen Antwort auf diese Frage kippt oder hält sein Lebensplan.
Kolja glaubt zu fühlen, wie Lorenz Körper an Spannung verliert und für Sekunden in sich zurücksinkt. Bis er sich mit einem Nicken darin fügt – von diesen Leuten ist keine Antwort, kein Verständnis zu erwarten.
Seine Antwort gibt sich Lorenz selbst.
„Du müsstest ihnen sagen, dass sie umsonst gestorben sind. Dass es keine Sühne geben wird, dass es niemals wieder gutgemacht werden wird, was ihnen angetan wurde. Fritz, würdest Du ihnen das sagen wollen?"
Bedrückende Stille. Alle schweigen, peinlich berührt von dem Fehler, der einem von ihnen da unterlaufen ist.
Und wieder wird es Lorenz mit diesem Schweigen nicht gut sein lassen können, und Fritz wäre der Letzte, der sich vor dem grauenvollen Mord an Millionen Unschuldigen geschlagen gäbe – da könnte Lorenz weitaus mehr Herzensleid und Trauer und Pathos in seine Rede legen. Die zwei kennen einander, da ist sich Kolja sicher, und treffen heute nicht zum ersten Mal aufeinander.
Übertrieben lässig beugt sich Fritz Lorenz entgegen.
„Was sonst, Lorenz? Es liegt kein Sinn darin, dass diese Toten Opfer eines wahnsinnigen Verbrechens wurden. Weder ein Mensch noch ein Gott wird es jemals wieder gutmachen können."
Ein wissendes Grinsen spielt um Fritz’ Mundwinkel. Es zielt nicht darauf ab, Lorenz bloßzustellen. Fritz scheint vielmehr ehrlich überrascht, dass da einer so rührend naiv kein Ende damit finden kann, an Gerechtigkeit zu glauben. Alle übrigen Gäste schließen sich Fritz’ Einschätzung wortlos, verschämter an.
Mit einem Satz beendet Lorenz die Herablassung, die ihm aus den Gesichtern entgegenschlägt, ihn sanft herausdrängt aus dem Kreis.
„Das ist uns Gott doch schuldig, die Erlösung."
Kolja sieht, wie das Lächeln um Fritz’ Lippen tiefer noch als bislang mit dessen Gesichtszügen verschmilzt. Und glaubt zum ersten Mal zu sehen, wie Bedrängnis abprallt an einem Gesicht, das den zähen Willen verrät, allem Leid der Welt zum Trotz in der eigenen Seele keinen Schaden zu nehmen.
Ein solches Lächeln wird Frauen eine unerschütterliche Sicherheit versprechen. Koljas Blick schweift zu der jungen, hübschen Frau, die sich den ganzen Abend lang verlässlich in Fritz’ Nähe hält. Ein mädchenhafter Typ, im fraglosen Vertrauen darauf, dass der Mann an ihrer Seite ihr die Widrigkeiten des Alltags verlässlich vom Leibe hält, wie er Kolja nach wie vor überraschend oft begegnet. Die blonden Haare hat sie zu einem losen Zopf gebunden, den sehnig-trainierten Körper unter einer weiten Jacke versteckt. Unruhige Augen, höflich-entgegenkommende Gesten, sie nimmt mehr mit von diesem Abend als sie von sich gibt.
Nachher auf dem Heimweg werden beide darin einig sein, wohin Lorenz’ verzerrter Glaube ihn schlimmstenfalls wird treiben können. Und Fritz wird insgeheim erleichtert und Lorenz dankbar sein über die abrupte Wendung des Gesprächs.
Ebenso wie Kolja. Immerhin hat Lorenz ihn vor der Verlegenheit bewahrt, sich gegenüber Fremden bekennen zu müssen.
Während des restlichen Abends weicht Kolja einem Zusammentreffen mit Lorenz aus.
Bis er plötzlich in der Küche neben ihm steht, Kolja nimmt sich eben ein Bier aus dem Kühlschrank. Es wäre geradezu verletzend, nicht wenigstens ein paar Worte zu wechseln.
Erst jetzt sieht Kolja ihm direkt ins Gesicht. Sofort schiebt sich das Bild eines Jungen darüber, des Jungen, der Lorenz einmal gewesen sein könnte, scheu, vorsichtig und unscheinbar. Abwartend sieht er Kolja an. Kolja hält ihm ein Bier entgegen.
„Auch eins?"
„Ja, danke."
„Ne tolle Wohnung hier!"
„Ja, schon."
„An so was kommen sicher nur Einheimische ran."
„Sind wir ja fast alle hier."
Lorenz’ neugierigen Blick müsste Kolja mit einer Auskunft erwidern. Er nimmt einen Schluck Bier.
„Sie sind also hier aufgewachsen?"
„Ja, und hätte auch hier studiert, wenn es geklappt hätte. Aber zum Glück tat sich gleich nach der Uni hier die Stelle auf und ich konnte wieder zurück."
„Erst neulich habe ich gelesen, dass achtzig Prozent aller jungen Leute sich im Umkreis von weniger als zehn Kilometern Entfernung ihres Heimatorts ansiedeln."
„Wundert Sie das?"
Kolja wendet sich zur Seite und stellt die Flasche auf den Tisch. Lorenz ist misstrauisch, und Kolja ratlos, wie er dessen Verdacht auf die Schnelle zerstreuen kann. Es bleibt ihm nichts als die Gegenfrage.
„Sie nicht?"
„Das Leben ist doch anstrengend genug. Wenn man seine Leute kennt, wird es um einiges leichter."
„Ja, so kann man es sehen."
„Sie sind von zuhause weggegangen?"
„Ja."
Bewahrte sich Kolja bislang vor allem Mitleid, kippt es in diesem Augenblick um, und wieder sieht Kolja den Jungen vor sich, der nach einer Erklärung drängt, fast wie nach einem Freundschaftsbeweis, und wie ein Junge verweigert er sich diesem Begehren, je unverhüllter es sich zeigt.
„So ist es nun mal, der eine geht, der andere bleibt."
Kolja greift nach seinem Bier und schlüpft durch die Tür, an einem Paar vorbei, das sich auf der Schwelle zwischen Küche und Flur unterhält.
Das Umland
Karlsruhe glänzt mit zwei weitläufigen Grünflächen im Zentrum der Stadt. Der Stadtgarten mit seinen Tieren, Promenaden und Blumenrabatten verlangt geradezu nach einer großen Wiese andernorts, auf der sich alles tummeln kann, was in der Stadt ansonsten keinen Auslauf hat: sporthungrige Studenten und rüstige Rentner, Großfamilien in bunten Tüchern rund um Reis- und Fleischpfannen, scheu-verliebte Pärchen Hand in Hand und junge Väter, die stolz-entspannt einen federleichten Kinderwagen vor sich her rollen lassen.
Gegenüber der kleinteilig geordneten Anlage des Stadtgartens erlaubt die große Wiese im Schlosspark eine Geselligkeit, wie man sie von Bildern ausgedehnter englischer Landschaftsgärten zu kennen glaubt, jedoch weitaus bunter und lebendiger. Bälle fliegen durch die Luft und werden lachend aufgefangen, junge Männer lassen sich von ihren Kindern